100 Themes Challenge von CrackpotCity (every day is writing day) ================================================================================ Kapitel 38: #38 [Abandoned] --------------------------- Auf's Maul oder: If you leave your swag on, you're gonna have a bad time. Schnaufend lehnte er sich über die hohe Seitenlehne der Couch und versuchte eine bequemere Sitzposition zu finden - und schnüffelte dann prüfend am Jeansbezug, als ihn ein neuer Geruch streifte. Ein bisschen süßlich, aber nicht schlecht, vermutlich irgendeine Febreze-Variante. Seit sie diesen Hund hatten, roch die Wohnung so ganz anders. Was er nicht unbedingt negativ belegen wollte, aber so ein bisschen befremdete es ihn auch. Alles änderte sich in letzter Zeit. Er war sich nicht sicher, ob das gut oder schlecht war. Vermutlich normal, aber es machte ihm trotzdem Angst. "Also?", fragte Basket und schenkte sich noch einen Schluck Schwarztee nach. Das war hingegen ein vertrauter Geruch, in den er sich mental hineinkuschelte. "Was also", fragte er unmotiviert; aber es war ein altes Spiel, das sie spielten und am Ende verlor er doch. Meist früher als später. "Lass das und erzähl es mir einfach. Das wievielte Mal ist es? Und nun lüg dich bitte nicht selbst an." Das helle Klickern seines Teelöffels in der Tasse überbrückte die Zeit, in der von leisem Trotz über vage Einsicht zu schaler Resignation schlich und irgendwann ergeben nachzählte. Aber so einfach war das nicht. Wo zieht man die Grenze? Was ist noch okay und was ist nicht mehr okay? "Weiß nicht. Vielleicht drei. Vier. Ab wann soll ich zählen?", brummte er und griffelte nach seiner Tasse; eine dünnwandige, filigrane Teetasse mit leicht ausgestelltem Rand und passendem Unterteller. Sie kam ihm so klein und unzweckmäßig vor im Gegensatz zu seinen großen Kaffeebechern zuhause. So hübsch und man konnte sich nicht wirklich daran festhalten, zumindest sah sie dafür viel zu zerbrechlich aus. Diese Tassen hier waren dazu gemacht, den Inhalt zu genießen, und zwar auf einer ganz höheren Ebene, als "Mmh. Kaffee." Hier ging es darum, zusammen Tee oder Kaffee zu trinken. Gemeinsam. Bewusst Zeit miteinander verbringen, allein um der anderer Person Willen. Nicht wegen "Mmh. Kaffee." Er beneidete Basket ein bisschen für diese Unsubtilität, die trotzdem funktionierte, oder besser: gerade deswegen. Die dünnen Schlangen tropften bitteres Gift auf ihrem unablässigen Weg durch seinen Magen und ihm wurde noch ein bisschen schlechter. "Frankie, dir ist hoffentlich klar, dass das so keinen Sinn macht. Es ist nicht in Ordnung. Auch, wenn ihr beide Kerle seid und man sich vielleicht nicht so mit Samthandschuhen anfasst." Basket sah ihn ernst an; er hob die Tasse an die Lippen, um sein pastellig-buntschillerndes Kinn zu verdecken. Aber es war schon viel besser geworden. Gestern hatte das noch richtig übel ausgesehen. Ein Ausrutscher. Was denn sonst. Zudem war er auch nicht gerade das Unschuldslamm. Es lief doch immer gleich ab. Irgendeine banale Sache und Meinungsverschiedenheiten. Dann Kränkungen auf beiden Seiten, verbales Gezanke, das irgendwann eskalierte. Es gehören schließlich immer zwei dazu. "Ich hab's ja irgendwie selbst zu verantworten", murrte er zwischen zwei Schlucken und er genoss die süße, warme Würze in seinem Mund. Tee mochte vielleicht versnobt und uncool sein, aber irgendwie schmeckte es ihm gerade unheimlich gut. Jah. Das waren Teetassen, keine Kaffeetassen. Es passte alles so perfekt zusammen. Die Wärme machte ihn schläfrig und er blinzelte müde. Er hatte lange nicht mehr geschlafen. "Das hast du nicht!", fuhr Basket ihn scharf an und er zuckte ein bisschen zusammen, "Es kann nicht sein, dass er dir alle paar Wochen einfach aufs Maul haut, wenn ihm die Argumente ausgehen!" "Wüste Beleidigungen sind auch nicht grade 'Argumente'!" "Und Worte sind keine Fäuste! Wie lange soll das so weitergehen? Bis irgendwann seine wahnsinnigen Mafia-Gene komplett durchkommen und er dir tatsächlich ne Kugel verpasst?" Franquin prustete und winkte ab. Er hatte eine Gänsehaut und hielt die Tasse umklammert, um sich aufzuwärmen. "Das würde der nie tun, Pascal ist kein Mörder. Der hat vielleicht Temperament, aber das.. is halt italienisch und so. Ach, du verstehst das nicht, es ist mehr so wie.. ein Unfall. Es tut ihm hinterher auch immer furchtbar leid und ist so klein und jämmerlich wie ein Vögelchen, das aus dem Nest gefallen ist." "Ah, verstehe. Ein Unfall. Ich frage mich, wieviel Prozent der Opfer häuslicher Gewalt sich das auch einreden. Vielleicht 90%?" Also nein, das meinst du jetzt hoffentlich nicht ernst! Franquin stellte die Teetasse wieder auf den Tisch und zog die Füße auf die Kante der Sitzfläche. "Pfffffh, jetzt übertreib mal nicht, das ist was ganz--" "--anderes? Ach echt? Inwiefern?", hakte Basket nach und beugte sich interessiert über den Tisch. Franquin verzog sich störrisch hinter seinen Wall aus Beinen und spitzte die Lippen. Basket raffte das überhaupt nicht! Der wusste nicht, wie das ablief zwischen ihnen. Der sah nur die Ergebnisse und schloss daraus, dass Pascal ein unzurechnungsfähiger Irrer war, der ihn regelmäßig krankenhausreif prügelte - was definitiv nicht der Fall war. Vielmehr war es so, dass er Pascal oft derart überreizte, dass ihm daraufhin irgendwann der Kragen platzte und sich nicht mehr zu helfen wusste. Entweder, er verschwand dann für Stunden oder gar Tage (und er wurde inzwischen krank vor Sorge und heulte Rotz und Wasser [und Basket die Ohren voll], weil Pascal ihn ja für immer verlassen haben könnte, etc.), oder aber die Variante 'Eine aufs Maul'. Dann war Ruhe, jeder konnte seine Wunden lecken (ob nun mental oder körperlich) und sich beim anderen entschuldigen, und danach war wieder alles gut und es gab am Ende eventuell sogar eine Runde interessanten Wiedergutmachungssex. Das hatte bis jetzt immer gut funktioniert. Unangenehm wurde es eigentlich erst, wenn man äußerlich sehen konnte, dass es zwischen ihnen mal wieder geknallt hatte. Dann musste er sich immer irgendwas ausdenken und alles wurde verdammt awkward, wenn noch andere Leute mithörten und.. ja, und natürlich wegen gestern Abend. Deshalb saß er auch heute hier auf Baskets Couch und fühlte sich ein bisschen wie in der anonymen Lebenskrisenberatungsstelle. "Ich weiß halt nicht, wann ich damit aufhören muss. Ich trieze ihn immer weiter und streu' Salz in offene Wunden und das tut ihm mit Sicherheit mehr weh, als ne Faust aufs Kinn - das ist praktisch Notwehr", maulte er leise und fuchtelte unsinnig mit der freien Hand. Es war nicht so einfach, zuzugeben, dass er in dieser Hinsicht ein wirklich rücksichtsloses Arschloch sein konnte, das vor keinem Stich Halt machte. Wie Pascal, explodierte er selbst auch, nur eben in verbaler Form und warf ihm dann Dinge an den Kopf, die wirklich grausam und zutiefst verletzend waren. Im Nachhinein betrachtet war es schon irgendwie ein Wunder, dass Pascal noch nicht völlig Amok gelaufen war. "Das ist keine Entschuldigung", bemerkte Basket trocken und betrachtete den Bodensatz seines honigfarbenen Tees. "Wie würdest du reagieren, wenn ich derjenige wäre, der Debbie ein blaues Auge verpasst hätte? Und Debbie sagt so: 'Er wollte das gar nicht, und eigentlich bin ich auch selbst Schuld - ich sollte eben meine Klappe halten, und es kommt außerdem auch nicht so oft vor.' Wie klingt das in deinen Ohren? Hörst du dir selbst zu? Mann Frankie, hör endlich auf, so ein blöder Fußabtreter zu sein! Es ist nicht deine Schuld, wenn er dich schlägt - es ist seine! Er muss lernen, dass ihm solche "Unfälle" einfach nicht passieren dürfen! Es ist NICHT okay!" "Was soll ich denn machen?! Soll ich nen Karatekurs belegen, damit ich mich--" "Nein, er sollte eher ne Therapie machen. Oder besser noch ihr beide", er kratzte sich an der Nase und sah ihn nicht an, "hmm.. so hart es klingt, aber vielleicht passt ihr auch einfach nicht zueinander. Wenn es so starke Reibungspunkte zwischen euch gibt.. Verstehst du, wenn ihr beide überhaupt in der Lage seid, euch derartig zu verletzen, dann zeugt das nicht von besonders großer.. Liebe." Die Schlangen in seinem Magen rumorten wild und stießen gegen die Innenwände. Basket stand auf und kam langsam um den Tisch und setzte sich neben ihm auf die Couch. Er sah es nur verschwommen, aber er merkte es um so mehr, als ihm ein Arm um die Schultern gelegt wurde. "Ich male nicht gern den Teufel an die Wand,", fuhr Basket leise fort und strich ihm sachte über den Arm, "aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das auf Dauer gutgeht. Ich sehe dich mehrmals die Woche und es ist ein ewiges Auf und Ab. Mal platzt du vor Glück und guter Laune und dann bist du wieder am Boden zerstört und lässt deine miese Laune an uns aus - das soll jetzt kein Vorwurf sein. Naja. Vielleicht ein bisschen." Franquin hob den Kopf und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, während er die Nase trotzig hochzog: "Das war vorher auch schon so, das hat mit Pascal garnix zu tun!" "Sagen wir so, es ist jetzt anders. Wenn du schlecht drauf bist wegen einem Kater, ist das eine Sache. Unangenehm, aber mein Gott; ein Aspirin und gut ist. Aber wenn man tiefergehende Probleme mit sich herumschleppt, ist das eine andere Geschichte. Das wird nicht besser mit der Zeit, sondern immer schlimmer. Es immer von sich wegzuschieben, bis es einen wieder einholt, ist keine Lösung für die Ewigkeit. So ne Beziehung sollte einen positiven Einfluss auf dein Leben haben. Und nicht sowas", Basket piekte kurz sein buntgebatikte Kinn an und er murrte leise, "Ich weiß, der Vergleich zu mir und Debbie hinkt etwas, aber.. wir haben uns im Lauf unseres Zusammenseins beide verändert, zum Guten hin. Das klingt furchtbar kitschig, i know i know. Aber das war eine Art "sanftes Angleichen aneinander", das das Zusammensein so viel angenehmer und unkomplizierter macht." Also angeglichen haben wir uns definitiv schon, das kann uns keiner ankreiden. Pascal ist definitiv weniger klotzig und ich bin nicht mehr.. uhm.. weniger schnell beleidigt. Oder so. "Ein bisschen Rücksichtnahme ist nicht immer ein Verlust", fuhr Basket fort, "denn wenn du jemanden wirklich lieb hast, passiert das ganz automatisch; du denkst in dem Moment nicht mal daran, dass du auf irgendwas verzichtest. Aber, ihr beiden, ihr nehmt überhaupt keine Rücksicht aufeinander. Ihr glättet eure Spitzen nicht. Ein bisschen Auf und Ab ist ganz normal, aber nicht so.. krass. Ihr zwei seid wie eine seismographische Zitterlinie bei einem Erdbeben. Extreme Ausschläge nach unten und oben. Statt den einen zu beruhigen, wenn er auf 180 ist, lasst ihr euch in die krasse Stimmung mit hineinziehen und dann fliegen irgendwann die Fetzen." Franquin blieb still und genoss dumpf die Wärme seines besten Freundes an der Seite. Was er sagte, machte irgendwie Sinn, aber schüttelte gleichzeitig einen neuen Käfig Schlangen in seinen Magen. Sie machten schon irgendwo Kompromisse, vermutlich jedoch nicht genug, um es funktionieren zu lassen. Harmonisch war ihre Beziehung sicherlich nicht. Aber es war okay, immerhin HATTE er eine Beziehung, so stürmisch und ungewiss sie manchmal auch sein mochte. Immerhin hatte er eine. "Ich will aber nicht ohne ihn", murrte er und fühlte sich dabei, wie ein beleidigtes kleines Kind. Das Gefühl verstärkte sich durch die Finger, die ihm gerade durch die Haare wuschelten. "Dann arbeitet daran! Sonst verliert ihr euch eher früher als später. Wo ist Pascal jetzt?" Ein paar Schlangen bissen zu. Er zuckte mit den Schultern. Keine Ahnung. War geflüchtet. Hoffentlich hatte er auch jemanden, mit dem er reden konnte. Oh bitte mach keine Dummheiten. "Was ist passiert?" "Uh..", er seufzte und versuchte die aufsteigende Übelkeit zu ignorieren, die langsam seine Speiseröhre hinaufkletterte, "..es gab wieder Stress wegen.. fffh.. ich weiß nicht mehr. Ich hab halt irgendwann sein Smartphone gegen die Wand geworfen und er ist logischerweise ausgeflippt.. und ist weggerannt." "Hat er..?" "Nein." Nein, das hatte Pascal nicht, diesmal nicht. Trotzdem war es irgendwie schlimmer gewesen, als sonst. Aufgehitzt hatte Pascal sich, aufgebaut zu einem wütenden Berserker, dem die Sicherung durchgebrannt war. Zu dem Zeitpunkt hatte er sich schon in die Ecke verzogen. Mit diesem schrecklichen Gefühl von 'Gleich wird es wehtun'. Der große Knall von vor drei Tagen hatte sich noch nicht aus seiner Erinnerung verabschiedet und flutete sofort eine Collage aus Schmerzen im Kiefer und Blut im Mund in seinen Kopf; er wollte das nicht noch einmal erleben und hatte im Reflex die Arme um den Kopf geschlungen. Aber Pascal hatte nicht zugeschlagen - ihn nur angestarrt, bestimmt mehrere Sekunden lang, denn als er die Arme wieder hatte sinken lassen, stand dem Berserker das blanke Entsetzen im Gesicht. Kreidebleich und so tief erschüttert, dass er sofort jegliche Furcht verloren und sich stattdessen ernste Sorgen um ihn gemacht hatte. Und dann war Pascal wortlos geflüchtet. Seitdem hatte er kein Lebenszeichen von ihm gehört. Wie auch, ich Genie hab sein Smartphone kaputtgemacht. Sein Grinsen wurde zur Grimasse und er bekam kaum noch Luft, er wollte auf eine Toilette, sich einschließen, ein paar Schlangen auskotzen und ein bisschen heulen und darauf warten, dass er von außen an die Tür klopfte und sich entschuldigte, wie sonst immer. Das war doch so Tradition. Du kannst jetzt nicht einfach verschwinden! Aber dieser Gesichtsausdruck war so schrecklich gewesen, er bekam davon tatsächlich jetzt noch Zustände. Franquin wusste, dass es Pascal sehr belastete, was er (fast) getan hatte und sich deswegen heftige Vorwürfe machte. Er hoffte nur inständig, dass er.. keine wahnsinnig intelligenten Ideen bekam. So gerne hätte er ihm gesagt 'Ist schon okay, ich verzeihe dir und es tut uns beiden furchtbar leid, komm nur wieder zurück!' Wie kann er mich in so einer Situation nur allein lassen?! Ich.. krieg das allein nicht auf die Reihe! Diese Schlangen fressen mich doch auf, das kannst du nicht einfach so zulassen! "Denkst du, er kommt wieder..?", fragte er schwach und seine Stimme verließ ihn dabei fast. Diese Frage stellte er nicht zum ersten Mal, Basket hatte sie schon mehrfach gehört (nicht zuletzt vor einer Stunde am Telefon) und ihm blieb wie immer nur das Seufzen. "Kann ich dir nicht sagen. Was tust du, falls er zurückkommt?" "..? Mich freuen?!" "Und dann?" "..ich weiß nicht." "Und was tust du, falls er nicht mehr zurückkommt?" "Ich.. ich.. weiß es nicht", presste er heraus und legte den Kopf auf seine Knie ab. Ihm war schwindelig und die Augen brannten. "Weißt du was, wenn er wieder da ist, schick ihn einfach mal zu mir." "Du willst.. Pascal therapieren?", fragte er ungläubig und hob den Kopf wieder. "Reden, nicht therapieren! Das soll mal schön ein Profi machen. Ich werd ihm höchstens drohen, dass ich ihm Jeel auf den Hals hetzen werde, falls er dir nochmal ein Haar krümmen sollte." "Das will ich sehen." "Das will keiner sehen", murmelte Basket und stand wieder auf, "Und du gehst jetzt gefälligst heim und schläfst dich aus. Es nützt niemandem etwas, wenn du völlig übermüdet gleich in Ohnmacht fällst, sobald er wieder auftaucht. Das wäre eventuell etwas kontraproduktiv. Also ab ins Bett." "Ja, Mama." Er nickte und lächelte schal, ein bisschen Hoffnung war zurückgekehrt und die Aussicht auf einen Ausweg für das Wir. Das kriegen wir hin. Und Basket hilft uns dabei, der kennt sich aus. Hörst du? Also komm endlich wieder heim. Er kam nicht heim. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)