100 Themes Challenge von CrackpotCity (every day is writing day) ================================================================================ Kapitel 37: #37 [See] --------------------- Reste Es ist die Geschichte - die völlig pragmatische Geschichte - von zwei Menschen, die das gleiche Problem haben. Morgens stehst du auf, in deiner riesigen Villa, und findest die Zimmer kahl und lieblos vor. Und während du noch in der Dämmerung frierst, raffst du Hammer und Meißel zusammen und gehst nach draußen. Steigst über den Zaun und durch das Dickicht, um in der unterkühlten Wildnis draußen auf den perfekten Stein einzuklopfen. Stück für Stück. Tag für Tag. Du hast keine Ahnung, was du da tust. Du bist nicht einmal Bildhauer. Alles, was du im Kopf hast, ist dieses Bild. Diese Vision, die sich perfekt in deinem Foyer machen würde. Im Flur. Auf deinem Kamin. Im Schlafzimmer. Aber soviel du weißt, könnte der Stein beim nächsten Schlag unter deinen Händen zerbröckeln. Du klopfst mit aller Vorsicht - gerade so, dass du es spürst. Tag für Tag. Woche für Woche. Manchmal bist du müde. Es hatte angefangen mit unverbindlichen Gesprächen. Doch Gabe war gut darin, die Stimmung aufzufangen, die Blicke, die betrunken wanderten, das bisschen Lachen und die blöden Kommentare. Und Frankie war gut darin, anzugreifen, zu kitzeln und zu provozieren, bis Gabe in die Knie ging und sich bekannte. Sie sahen sich noch öfter. In Nächten, die sonst Pascal gehört hätten, saß Gabe im kränklichen Licht seines Bildschirms in der Küche und tippte unentwegt. Wenn er nicht gerade stockte oder prokrastinierte, schrieb er. Traurige Geschichten, wie er Frankie verlegen grinsend anvertraut hatte. Fernweh, in dem er sich selbst wieder fand. Manchmal tauschte er nicht einmal mehr die Namen aus, sondern versteckte die Datei nur in den Untiefen seiner Festplatte. Und eines Abends zögerten sie beide, klebrig vom gelben Licht der Tischlampe, und tauschten einen Blick. Es hingen noch die Reste eines Witzes in der Luft, wie alles so viel einfacher sein hätte können. Vorsichtige Fingerspitzen stießen aneinander, und die Konzentration aufeinander versetzte sie in fast schon synchrones Entgegenkommen. Aus dem Echo der Körpersprache, das zwischen ihnen hin und her hallte, erwuchs schließlich Gabes Schatten, über den er sprang und Frankie küsste; und Frankie war überrascht, natürlich, vielleicht ein bisschen irritiert. Aber es war warm, und er war willkommen - mehr noch, gewollt. Gebraucht. Glatter, polierter Stein schmiegte sich ihm dort entgegen, wo er sich am Felsen sonst die Finger aufriss. Im selben Boot kann es zu zweit ziemlich einsam werden. Es folgten seltene, wortkarge Arrangements. Trafen sie unverbindlich aufeinander, scherzten und lachten sie. Aber manchmal schickte Gabe eine kurze Nachricht, einen Clubnamen und eine Uhrzeit, und dort fanden sie sich - "Ich will nicht, dass Alex das sieht" - und manchmal nahm Frankie sich ein Zimmer in dem Hotel, unter der Ausrede eines Fotoshoots oder Drehtermins, "Pascal sollte nicht davon erfahren", nach Feierabend schlich Gabe sich die hintere Treppe hinauf in den dritten Stock. Sie waren zwei Verhungernde, und ihre Lösung war ein Schlag in den Magen. Frankie war responsiver. Aber sein Griff war mittlerweile ziemlich fest, und dazu braucht man nicht hinzusehen. Gabes Haare waren zu lang, aber beim Küssen bückte er sich ein Stück, und Frankie hätte schwören können, in den blauen Augen manchmal einen Grünstich zu finden. Er war rationaler: Statt passiv-aggressiv zu verschwinden, kommunizierte er in klaren Worten, über Ideen und Grenzen. Löst einen Knoten und knüpft einen anderen. Eine willkommene Abwechslung, natürlich. Keine permanente Geschichte, natürlich nicht. Aber wenn die eigene Villa gähnend leer steht, schaut man nicht mehr so genau hin, wenn eine schöne Statue im eigenen Vorgarten auftaucht. Heute war es das Medication, ein Club in einer ehemaligen Brauerei in Tagewerk. Während über dem Kupferkessel bedrohlich ein DJ-Pult schwankte, hallte der Beat aus dem hohlen Metall. Das sorgte für den eigenwilligen Sound, der von den Gästen beschrieben wurde; ein kaputtes, zitterndes Gefühl, ein intensives Vibrieren knapp unter dem Bauchnabel. An den Mauern wanden sich Treppen aus Metall in die Höhe, die von meist schwerfälligen Pärchen erklommen wurden. Ein Stück weit über dem lauten Gewimmel, am Fuß der hohen Sprossenfenster mit den milchig-dicken Scheiben, waren kleine Nischen eingerichtet, mit bequemen Polstern und Bezügen, die Flüssigkeiten gut vertrugen. Als sie - getrieben von der Musik und relativ lakonischen Trieben - die Treppe aufwärts taumelten und sich Mühe gaben, nicht über das Geländer zu fallen oder das Geländer über sie, und als der Beat unter ihrer Gürtellinie zerrte und zuckte, und als sie schließlich oben ankamen, stolperten sie fast in eine belegte Nische. Kaum bemerkt von den zwei Typen, die die Welt fast so sehr ignorierte wie einander - soweit das möglich war, wenn man aneinander hing, und dabei noch aufeinander lag. Es waren ein bisschen schwarzes Haar zu sehen und milchigweiße Spinnenhände, und mehr weißes Haar und ein Winden, Bewegungen wie eine Schlange, und sie taumelten wieder zurück, um sich eine andere Nische zu suchen. Sie wussten nicht, was das für eine Geschichte war. Und während es nach jedem Treffen obsolet werden kann, so kann jedes Mal das letzte sein. Und dann lacht man an einigen Tagen vor Vorfreude, schwärmt einander vor und wünscht sich Glück, und an anderen weint man, während man im Bad eingeschlossen ist, weil man eingekeilt ist und beim drohenden Schachmatt weder vor noch zurück weiß. Aber schließlich gibt es auch jene Tage - jene häufigen, häufigen Tage - an denen sich einfach nichts bewegt. Schulterzuckend, ohne eine Krise heraufzubeschwören. Wenn der Status Quo nur von einigen gelegentlichen Träumereien durchsetzt ist, und vielleicht durch den Griff zum Telefon. Es sieht nicht aus, als würde sich heute der Wind noch drehen. Also lass uns wenigstens miteinander Spaß haben, ehe wir noch völlig verbittern. Und dann sind die Magenschmerzen kaum zu spüren. Natürlich ist es nicht das, was du dir gewünscht hast. Aber es ist nah dran. Mach einfach die Augen zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)