100 Themes Challenge von CrackpotCity (every day is writing day) ================================================================================ Kapitel 36: #36 [Precious] -------------------------- Kleinod Als Frankie die Treppe hinauf kam, brannte im Schlafzimmer noch ein winziges Licht. Oder zumindest sah es danach aus; Pascal kauerte, halb ausgezogen, über dem Leuchten seines Laptops und schien hochkonzentriert. Es musste ihn so sehr gepackt haben, dass nicht einmal Zeit geblieben war, sich seiner zweiten Socke zu entledigen. "Ich dachte, du wolltest schlafen?" Milde grinsend schob sich Frankie auf die Bettkante. Es hing ein willkommenes Gemisch aus Gerüchen in der Luft: Frische Laken, ein bisschen Zahnpasta und Pascal - der womöglich mit all seiner Kraft Geschlechtshormone in die Luft pumpte und dabei den Abgelenkten mimte. Zumindest hätte genau das für Frankie passieren können, es wäre nicht viel anders gewesen. Erst jetzt sah Pascal auf. Es wäre wohl filmreif gewesen, hätte sich der Bildschirm in seiner Brille gespiegelt, aber dazu war seine Brille zu teuer gewesen, zu gut entspiegelt. Er zögerte einen Moment - immer noch wägte er stark ab, welche Teile seiner Gedankenwelt er in welchem Detailgrad offen legte. "Ich hab nen Link ans Smartphone gekriegt", erklärte er schließlich, "und am Smartphone lesen ist scheiße." Das war für seine Verhältnisse auch schon fast ein Roman. Und das, obwohl es Nacht war. Aber dafür war er auch weitestgehend nüchtern. Frankie linste im Licht des Laptops auf ein Stück Haut unter dem offenen Hemd, mit der gelockerten Krawatte, die zur Seite geschoben war. Manchmal, wenn Pascal einem Treffen mit Leuten bevorstand und ihn das nervöser machte, als er zugeben wollte, schmiss er sich bewusst in Schale. Es konnte wirklich niedlich sein, wie er dann mit eiserner Miene Krawattenknoten knöpfte, als wollte er zu einem Geschäftsessen mit der Famiglia. Inzwischen reagierte er auch nicht mehr ganz so widerborstig auf Frankies Einmischungen; mit seiner Hilfe ließ sich die Geschichte ein bisschen besser als charakteristischen Stil verkaufen. Bodyguard-Chic, oder so. Mafiöse Anklänge. Mal davon abgesehen, dass es zugegeben ziemlich heiß aussehen konnte. "Hmm." Stück für Stück kam Frankie näher, sobald Pascal sich wieder seinem Bildschirm gewidmet hatte, und alsbald kletterte eine Hand unter das weiße Hemd. "Vielleicht hättest du dich davor doch besser ganz ausgezogen." Er drängelte sich von der Seite in Pascals Sichtfeld und fischte nach dessen Lippen - eine Geste, die Pascal gerne zurückgab. "Warum?", fragte er in einer kurzen Pause nach einem langen Austausch, und in Wellen kam der nächste, "Hätte das", "meine Chancen", "bei dir", "verringert?" Reden war ziemlich schwer, wenn der Mund zwischendurch derart beschäftigt war, aber seine Mundwinkel schoben sich trotzdem aufwärts. Diesmal machte Frankie eine Pause, um zu überlegen, oder zumindest so zu tun. "Hmm. Nö", entschied er schließlich grinsend und schob sich vom Bett auf Pascals Schoß; er merkte noch, wie er eine kühle Kante streifte, es gab kein Rauschen oder irgendetwas Dramatisches, nur ein Krachen, ein Knacken, und es war dunkel. Pascal fror ein. "... Das ist jetzt nicht dein Ernst", sagte er. Die Frage klang nur halb so rhetorisch, wie Frankie es sich gewünscht hätte. "Ähm. Sorry. Ich..." Dabei hatte er gerade das lästige Hemd gefunden. Jetzt hielten zwei Hände seine eigenen umklammert, und wenig später beförderte ihn Pascal zurück auf die Matratze. Der Mensch konnte eine beachtliche Kraft entwickeln, seitdem er sich regelmäßig am Haus zu schaffen machte und zumindest einige ärztliche Ratschläge beachtete, was seine Verletzung anging. Kurz war es still - bis auf Pascals Schnaufen, das klang wie ein Seufzer-Understatement. Einige stoffliche Geräusche des Bettlakens bezeugten Pascals Ansinnen, aufzustehen. "Mach das Licht an." Frankie bewegte sich erst einmal nicht. "Das war ein Versehen. Ist bestimmt nichts passiert." Er bildete sich ein, Pascals Zähne knirschen zu hören. "Mach das Licht an", wiederholte der mit einer mühsam kontrollierten Komponente in seiner Stimme. "Mach das doch selbst...? Du stehst gerade." Dafür, dass Pascal die meiste Zeit über wie ein monumentaler Gletscher pro Jahr eher zentimeterweise durch Emotionsfjorde glitt, konnte er manchmal ziemlich Drama machen. Frankie sah das Problem gerade nicht. Wenn sie beim Vögeln eine Nachttischlampe umschmissen, hatte das Pascal bisher auch reichlich wenig gejuckt. Außer natürlich, dass er hinterher manchmal Scherben auffegen durfte oder so, hehe. Inzwischen hatte Pascal es aufgegeben und selbst die Nachttischlampe angeschaltet. Ein milchiges Orange suppte den Raum voll und ließ alles warm und spät wirken. In diesem Licht gab er sich die größte Mühe, den Schaden zu betrachten, vor dem er sich hingehockt hatte; als Frankie das nächste Mal hinsah, wurde er hingegen selbst angestarrt. "In letzter Zeit kotzt du mich an", sagte Pascal ohne größere Gefühlsregung und wandte sich ab. Oh, du..! Na ja. Es wäre nicht Pascal ohne diese knochenbrechende Ehrlichkeit manchmal. "Ja, sorry, es tut mir Leid." Frankie verdrehte die Augen ein bisschen, ohne darüber nachzudenken, aber das hier war so albern! "Es war'n Versehen, jetzt mach mal nicht so'n Drama hier. Ich kauf dir 'nen neuen." "Darum geht es nicht!" Pascal fauchte. Bei jemand anderem hätte Frankie vielleicht niedliche Wildkatzenvergleiche anstellen können, um das Geschehen dem Lächerlichkeitspegel in seinem Kopf anzupassen. Aber dazu konnte er Pascals frustrierten Gesichtsausdruck zu gut sehen, und die Schussnarbe, die hinter dem Hemd hervorblitzte - alles, was er in dem Moment sah, war der Mensch, der mit Waffen hantierte, der Leibwächter einschüchterte und Faustschläge austeilte, die unter Umständen ziemlich saßen. (In der Hinsicht hatte Frankie recht wenig vergessen.) "Mann, okay-- aber worum geht es dann?!" Sobald Frankie wieder sprach, war dieses tiefere Unbehagen verflogen. Stattdessen plusterte er sich auf, in (wie er fand!) gerechtfertigter Rage. "Ich bin kein Gedankenleser, Senor Don Pasquale! Da stellst du dich hin mit deinem scheiß Pokerface und meinst, ich wüsste jetzt über dein Verhältnis zur Innenpolitik von Timbuktu Bescheid." Etwas leiser setzte er hinzu: "Aber selber nicht mal Lachen von Weinen unterscheiden. Scheiß Nerd." "Ach, halt doch die Fresse." Pascal warf in müdem Frust ein Plastikteil von sich, das offenbar abgebrochen war. "Du kannst ja deine Schrottkiste da heiraten. Mit der musst du wenigstens nicht reden." "Ich sagte, halt die Fresse!" "Oooh, willst du mich rumkommandieren?" Frankie wackelte ein bisschen mit den Fingern und fühlte sich wie ein Raubvogel, der fotogen mit seiner Beute spielte. "Na los. Zwing mich doch." Und dann sah er den Blick, und wie sich Pascals Muskeln unter dem Hemd spannten, und wie er in einer ruckartigen Bewegung über Frankie stand - sich auftürmte - und Frankie fühlte sich nur noch wie ein Vogel, der sich nur zur zwanzigfachen Größe aufgeplustert hatte. Vor einem halben Jahr war der bei den Luscontis aufmarschiert - bei deren Chef sogar - und hatte ihn nach Strich und Faden zerstört. Zerstört. Weil der Typ Marias Herz gebrochen hatte. Und Pascals Einstellung dazu, seine Liebsten zu beschützen, durch einige Ereignisse in den letzten zwei Jahren etwas Fundamentalistisches gewonnen hatte. Aber das waren mehr die Nebensätze in Frankies Hirn. Das hier war ein Mensch, der sich selbst über einem Mafiadon auftürmte. (Einem, der - den Erzählungen zufolge - ungefähr groß und breit genug war, dass Pascal angeblich zwei mal in ihn rein passte. Mindestens.) Jede angespannte Sekunde wurde zur Qual, auch wenn nichts passierte. Gerade, wenn nichts passierte. Und sie einander nur anstarrten. Und dann wandte sich Pascal ruckartig ab, die Hände ineinander verkeilt, als müsste er sich selbst unter Kontrolle halten. "Du hast keinen Respekt vor meinem Zeug", sagte er schließlich leise. Sehr, sehr leise. Frankie musste gut aufhorchen, um überhaupt etwas von den Worten mitzukriegen, ehe die dunklen Ecken des Schlafzimmers sie verschluckten. "Ich hänge halt an Sachen." "Ja. Mehr als an mir", triezte er trocken. Noch war er ein bisschen angeviecht. "Ich halte das für was Pathologisches." "... Eben nicht." Pascal pausierte einen Moment, aber diesmal ließ Frankie Stille walten; er hatte gerade genug Gift gespuckt. Außerdem dauerte das manchmal mit Formulierungen und Pascal. "Es ist", begann er ohnehin bald genug, "doch nicht so schwer, zu sagen, 'Lass uns vögeln' oder sonstwas, einfach klare Ansage und dann leg ich den Kram auch weg, spätestens nach zwei Minuten, aber..." Der Rest des Satzes ging im Nichts unter, aber das war in Ordnung. Frankies verwundertes Gackern war derweil lauter geworden und sprang jetzt ein. "Klinge ich wirklich so?" "Natürlich." Pascal sah über seine Schulter und zog die Augenbraue hoch. "Du bist vulgär. Und plebiszitär." "... und du ein kleinkarierter Spießer!" Frankie fielen gerade noch schöne Sticheleien zum Thema Vögeln und Terminkalender ein, aber er ließ es bleiben. Stattdessen streckte er die Zunge nach ihm heraus; Pascal zog im Angesicht dieser ungerechtfertigten Bezichtigung den Kopf zurück und machte ein getroffenes Gesicht. Eigentlich hätte der noch ein bisschen Zucker verdient, nach dieser ungeahnten Offenheit. Das war schließlich... erstaunlich okay gelaufen. Dafür, dass sie irgendwie über ihre Beziehung zueinander sprachen. Ohne Herumzuschreien oder Beleidigtsein. Da wollte Frankie am liebsten gleich weiter machen - nur übertreiben durfte er es nicht. Sonst fuhren bei Pascal wieder alle Gitter runter, ehe man Zapfenstreich sagen konnte, und der menschliche Panzer der Eisklotzigkeit war zurück. "Du, Pascal..?" Gerade hockte er wieder über dem Laptop, hatte ihn in beide Hände genommen und schüttelte ihn vorsichtig. Er lauschte, aber es klapperte nichts. "... Was?" Darüber hatte Frankie nicht besonders gut nachgedacht. Er wog einige Formulierungen ab, ehe er sich entschied: "Du hast deinen Swag angelassen." "B... bitte was?" "Du bist so... so mafiös. Manchmal. Wenn wir streiten. Und wenn ich daran denke, was du schon alles... gemacht hast... und wem du so die Fresse poliert hast - zumBeispielmir - dann ist das--" Vielleicht kam das besser an, wenn er es in Pascal-eigenem Vokabular ausdrückte: "Etwas beunruhigend." Er ließ die Botschaft sinken. Pascals Stirn runzelte sich langsam, ehe sich die Spannung auf einen Schlag löste: "Oh." Nachdenken. "So wollte ich nicht rüberkommen." Ein bisschen Sich-Selbst-Überreden. "Tut mir Leid." Langsam ließ er sich zurück auf die Bettkante sinken, legte dabei den Laptop behutsam in seinen Schoß wie ein verletztes Tier. Der weißblonde Haarschopf Frankies flauschte sich von unten links in sein geschätztes Sichtfeld. "Pascaaal? Können wir jetzt..." Die Lippen wurden ein bisschen geschürzt und die Augen ein bisschen schmaler. "Dort weitermachen, wo wir aufgehört haben?" Sie tauschten einen Blick. Frankie gab sich Mühe, den seinen ein bisschen erotisch aufzuladen, wie bei so einem Magazincover, nur nicht ganz so unverbindlich. "... Nö." Pascal zeigte sich unbeeindruckt. "Erst mal will ich sehen, ob die Kiste noch läuft." "Mah..." Frankie zog ein paar dramatische Grimassen und fläzte sich bequem zurecht. Andererseits war der Tag auch ziemlich lang gewesen. Und so ein Bett war schon relativ bequem. Bett mit Pascal gerade doppelt. Der mit seiner mies weichen Stimme. Wer hatte ihm das erlaubt? "Okay", murmelte Frankie schließlich und setzte die Augen auf Halbmast. "Aber währenddessen erzählst du mir die Geschichte, wie du diesen Rettich von den Luscontis...!" "Rico?" "Genau, Rico! Wie du den fertig gemacht hast." "Aber..." Pascal hob die Schultern und sah zweifelnd hinunter. "Das kennst du doch alles schon." "Na dann langweilt es mich prima in den Schlaf. Wenn ich nicht anderweitig wach bleiben muss." "Pff. Banause. Diesmal mach ich's dir so spannend, dass du die ganze Nacht nicht schlafen wirst." "... Oh wirklich? Gähn..." Eine Hand ließ Pascal zur Strafe auf Frankies Gesicht fallen. Mit der anderen drückte er auf den Power-Knopf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)