100 Themes Challenge von CrackpotCity (every day is writing day) ================================================================================ Kapitel 29: #29 [Urban] ----------------------- - Ich hab nen Vogel - "Ach was. Ich will dich doch nicht einsperren." Eigentlich will ich genau das. In einen Käfig sperren, an die Leine legen. Und dich nur rauslassen, wenn ich in der Nähe bin, mit wachem Blick, damit du mir nicht abhaust. Wie der Vogel. Der wochenlang zu meiner Fensterbank flatterte, um scheu ein paar Krümel Brot zu picken, die da verstreut herumlagen. Der sich nach Monaten des gegenseitigen Belauerns, Distanzverringerns und argwöhnischem Dulden endlich anfassen ließ. Ganz vorsichtig. Mit einem unendlich langsamen Finger, der ganz zart übers Gefieder streichelt. Das hat dir gefallen. So viel Aufmerksamkeit von jemandem, der in dir kein flatterndes Mittagessen sieht. Es HAT dir immer gefallen. Nun sitzt der Vogel in einem großen, hellen Käfig aus Puderzucker. Im Warmen, gefüttert mit den besten Biokörnern, immerzu beschäftigt, damit ihm nicht langweilig wird. Ein gigantisches Gehege, ein kleines Zitronenbäumchen, eine große Terracottaschale mit Wasser für ausgiebige Bäder, handgeschöpftes Quellwasser, die Zuckerstäbe sieht man doch kaum. Und kein Adler oder Bussard weit und breit, das Paradies. Ich traue mich nicht, die Fenster zu verhängen, um dem Vögelchen den Blick nach draußen zu versperren. Immer sitzt es da, auf seinem trockenen Ast und starrt in den Himmel. Es hat doch genug Platz zum Fliegen, aber stattdessen sitzt es einfach nur da und sieht nach draußen. Und stößt sich den Schnabel an den Käfigstäben, immer und immer wieder, wenn ich nicht hinsehe. "Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig! Ich mache mir einfach nur Sorgen, ist das denn so abwegig?" Und was mache ich mir Sorgen, wenn das Vögelchen mal nicht aufzufinden ist. Manchmal drückt es seinen kleinen Leib durch die Gitterstäbe und versteckt sich irgendwo im Haus. Hinterm Schrank, unterm Sofa, es war sogar schonmal in der Waschmaschine. Dabei werde ich doch ganz krank vor Sorge. Hier in der Gegend schleichen viele Katzen herum, es wäre nicht das erste Mal, dass eins dieser Biester meinen Balkon erklimmt. Aber das Vögelchen versteht das nicht. Es ist doch auch nur ein dummer, kleiner Vogel. Der mir trotzig in die Finger hackt, wenn ich das eingeklemmte Ding unter der Spüle aus dem Röhrengewirr entknote. Willst du denn da drin verhungern? Dir die Flügel brechen? Und glotz mich nicht so an! Selbst schuld. "Dann geh halt? Ist mir doch egal. Den beschissenen Videorecorder krieg ich auch ohne dich programmiert!" Und jetzt ist es weg. Das kleine Vögelchen. Hat mich letztendlich doch weichgekocht. Ich hab ein gutes Herz, nicht wahr? Wie soll ich denn mitansehen, wie das kleine Ding hier an Kummer krepiert. Soll es eben wieder da draußen herumflattern. Oder auch nicht. Ich hab es nie wieder gesehen. Ich streu immer noch Körner aufs Fensterbrett, jeden Morgen. Ich verstecke mich sogar manchmal und warte, ob sich etwas hinter der Scheibe bewegt. Aber es kommen immer andere Vögel und picken gierig, was sie bekommen. Mein Vogel ist verschwunden, untergegangen in einem riesigen Schwarm graubrauner Flugsaurier. Unmöglich, das kleine Ding in dieser gewaltigen Kolonie noch einmal zu finden. Es will wohl auch garnicht gefunden werden. Der Anblick des leeren Käfigs frustriert mich, aber ich kann mich auch nicht dazu aufraffen, ihn wegzuschaffen. Er ist auch viel zu groß und schwer und und ist mit meinem Wohnzimmer verwachsen. Ich bring da blöde Ding doch garnicht durch die Tür. Und kaputtmachen.. das war doch viel zu teuer. Außerdem. Vielleicht brauch ich es ja nochmal irgendwann. Wenn der Winter kalt wird, vielleicht-- "Nö. Ist mir auch egal, wo der steckt. Irgendwo wird er schon sein." Wahrscheinlich wurde es von der Katze gefressen. Oder einem Habicht. Oder von einem perversen Franzosen abgeschossen, in Wein eingelegt und schließlich genüsslich verspeist. Wir machen so widerliches Zeug. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)