Fensterschreiben von Technomage (Every day is writing day) ================================================================================ Undine (12.02.09) ----------------- Ich zappe durch das Fernsehprogramm. Ruhelos in Bruchteilsekundenabständen. Eigentlich ist es offensichtlich, dass ich nichts von alldem sehen will, aber es ist Beschäftigung. Nichts tun und sich auf nichts konzentrieren, während man etwas wahrnimmt und zumindest einen müden Finger rührt, um damit zu interagieren. Das Bild bleibt länger als zehn Sekunden stehen, weil ich spontan entscheide eine Pause einzulegen, um was zu trinken. Noch während ich das Glas fülle bekommt eine blonde Serienschauspielerin auf der Mattscheibe einen Schnurbart gemalt, dem weitere unvorteilhafte Körperbehaarungen folgen. „Lass das.“ Meine Stimme klingt müde und nicht sonderlich überzeugt. Gereizt – vielleicht. Schwer zu sagen. „Aber du willst doch, dass ich es tue. Dir ist auch langweilig.“ Sie liegt auf meinem Bett und gähnt. Ich muss an das erwartungsvoll schnappende Maul eines Fisches denken – keine Beleidung beabsichtigt. „Komm' mir nicht damit, Undine. Nur weil wir beide wissen, wie die Sache läuft, heißt das noch gar nichts.“ Ich setze gerade mein Glas vom Trinken ab und sehe ihr Gesicht, wie es scheinbar in der Oberfläche des Wassers schwimmt. Ich glaube, mir wird schlecht. „Ach nein? Ich finde, das bedeutet eine ganze Menge. Es gab im Laufe der Zeit schon viel Einsicht in die Geschichte, aber noch nie so wortwörtlich“, murmelt Undine herunter wie ein Wasserfall, fast als würde sie die Worte nicht wirklich sprechen, die ich höre. Sie räkelt sich auf meinem Bett herum – das höre ich am Knistern der Laken – doch ich drehe mich nicht um. Undine ist ein Wassergeist. Wasserfee. Wasserelementar. Wunschweib. Andersweltliches Elementarwesen. Nennt es wie ihr wollt. Ich fand sie durch Zufall, als ich vor Jahren nachts mit Freunden in einem Baggersee baden war, und werde sie seitdem nicht mehr los. Sie ist der Meinung ihr Codex sieht vor, dass solche Begegnungen mit Menschenwesen Schicksal sind und sie mir folgen muss. So etwas wie Berufsethos, nur auf übernatürlicher Ebene. Ich habe mehr den Eindruck, ihr ist einfach nur langweilig und sie hat nichts besseres zu tun. Ich kenne die ganzen Geschichten über Feenwesen und unzuverlässige menschliche Geliebte zur Genüge. Ich kenne die Symboliken dahinter und die Unausweichlichkeit das von einer Fee auferlegte Tabu zu brechen. Mir ist auch der ganze Diskurs über die Verlockung und Hoffnung der Liebe zu einem Naturwesen geläufig und die Problematik der Unvereinbarkeit mit der Kultur. Ich bin sozusagen bestens eingelesen in das, was mich erwartet, und sehr bemüht darum es nicht dazu kommen zu lassen. Noch nicht einmal, weil ich mich vor dem Tod fürchte oder sonstige Ängste und Bedenken habe – Undine erschreckt mich morgens, wenn sie mal wieder einen schlechten Tag hat, indem sie ihr Drachengesicht und den Schuppenschwanz auffährt, das volle mythologische Konzept. Ich habe nur einfach keine Lust auf eine weitere, neuartige Weise das Stereotyp zu erfüllen, was mir die Geschichten vorgeben. „Wenn dir das so wichtig ist, dann lass dir doch wenigstens endlich mal ein Tabu einfallen, das ich brechen könnte“, fällt mir nur dazu ein. „Mh, keine Lust.“ Sie gähnt wieder. Ein eigenartiges Glucksen, als würde man Brot in Wasser werfen. „Du willst die elementare Verkörperung von Weiblichkeit und Begehren sein und du hast nicht einmal Lust dir ein Tabu einfallen zu lassen, das du mir stellst, damit ich durch die reine Tatsache, dass es existiert, dazu getrieben werde es zu übertreten“, erkundige ich mich skeptisch und mit beinahe Panik durchforste ich die literarischen Schnipsel in meinem Kopf nach einem vergleichbaren Beispiel. Kein Ergebnis. Vielleicht habe ich einfach noch nicht genug gelesen. „Du hattest ja bisher nicht mal 'ne Freundin, seit ich hier bin“, seufzt sie leicht genervt. „Was auch verdammt schwierig ist, wenn man einen Wassergeist zu Hause hat, der nur unter Widerworten alle paar Wochen das Bett verlässt, um zu duschen.“ „Ich bin Wasser, du Idiot, warum sollte ich mich waschen“, mault Undine, allerdings nicht wirklich ernsthaft. „Du hast ja seit Monaten nicht einmal das Haus verlassen.“ „Warum auch? Du bist ja schließlich wunscherfüllend. Seit du da bist, ist der Kühlschrank voll – und es gibt immer noch irgendeinen alten Game-Klassiker, den man noch nicht kennt.“ „Du und dein Internet. Dein Fernseher. Deine mp3s. Früher war das irgendwie unkomplizierter.“ Undine schüttelt den Kopf. Ich sehe es nicht, aber es ist ein Geräusch, als würde in einem Goldfischglas das Wasser hin- und herschwappen. Manchmal kriege ich Angst davor, wie gut ich sie mittlerweile kenne. „Traurig, dass ich nicht rausgehen muss, um aventiure zu bestehen, oder der Klerus vorbeischaut, um dich zur Dämonin zu erklären?“ „Mh-mm. Heute ist deine schlimmste Pflicht die Stromrechnung zu bezahlen. Dich hat nicht mal interessiert, als ich dir Zaubermacht angeboten habe.“ Sie schnaubt amüsiert, eine Sturmböe über ruhigen Wassern. „Wozu auch?“ Ich knipse den Fernseher auf AV und schalte die alte Playstation an. Obwohl ich verdammt viel Zeit habe, habe ich immer noch nicht Alundra durchgespielt. Aber bereits 24mal angefangen. Vielleicht dieses Mal. „Der Gedanke ist zwar ziemlich cool, aber letztlich wär' es nur Spielerei. Ich hab' ja dich.“ Sie lacht wie eine Seemöwe. „Soll ich mich geschmeichelt fühlen?“ Ich drehe mich zu ihr um. Zum ersten Mal seit … ja, wie lange eigentlich? Undinen in den Geschichten sind meist blonde Schönheiten mit Kindchenschema. Undines Haar ist kohlrabenschwarz und sie sieht aus wie eine attraktive Frau Mitte 20. Sie ist meist zu faul sich zu kämmen, doch ihre Augen sind so tief und blau wie ein Ozean. Ich verstehe die Anspielung. Wir leben in einem subtilen Zeitalter. „Ist es eigentlich normal, dass ich alles, was du tust, mit Geräuschen von Wasser assoziiere?“ Sie bleckt grinsend die Perlenzähne. „Es ist zumindest ein Anfang.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)