Fensterschreiben von Technomage (Every day is writing day) ================================================================================ Feuereifer II (30.01.09) ------------------------ Sam fluchte und schob sie von sich wie ein Drehkreuz in der U-Bahn. Ein glitschiges Geräusch, das peinlich gewesen wäre, doch in einem so verqueren Moment eher nebensächlich. Hechtend rutschte er auf dem nassen Boden aus und schlitterte durchs Zimmer wie ein Schnitzel durch eine Teflonpfanne. Ein fleischiges Klatschen, sein Rücken gegen den Heizkörper den ungewollten Stunt beendend. Ächzend fand sein Fußzeh den Powerschalter der Mehrfachsteckdose, woraufhin mehrere elektronische Geräte im Zimmer synchron ausatmeten. Ohne das unterschwellige Brummen und Surren war es auf einmal unheimlich still geworden. „Kondenswasser“, murmelte Sam unter schwerem Atem, „scheiße, daran hätte ich denken müssen.“ Er sah zum Bett hinüber und sie saß dort, die Beine gefaltet. Die meisten Frauen hätten sich die Decke umgeschlungen, doch sie war unfreiwillig schamloser in diesen Dingen. „Es ist ein Wunder, dass andere Frauen erst größere Mengen Blut verlieren mussten, bevor sie darauf kamen, dass du irgendwie seltsam bist.“ Ihre Stimme war keineswegs aufgebracht, aber auch nicht ganz so phlegmatisch wie sonst. Sams Gerede taute sie auf. Neulich war sie sich wie eine Fremde vorgekommen, als sie mit Sam in einem Straßencafé gesessen hatte und sich selbst in einem nahen Schaufenster leicht erröten sah, während er mit feuriger Begeisterung vom Angeln sprach. Oder war es Anglistik? Sie hatte kaum auf den Inhalt geachtet, weil sie so sehr mit Zuhören beschäftigt war. „Jen, tut mir leid. Ich seh' nur kurz davor oft aus dem Fenster – gibt diesen Moment, in dem es auf einmal flieht wie ein Tunnel – und hab' die beschlagenen Scheiben gesehen.“ Sam strich mit der Hand über das Parkett; es war so nass, als hätte man einen Eimer Wasser darauf ausgeleert. „Schon klar.“ Jen – Ginovere dank individualistischem Elternhaus – umschloss ihre angezogenen Knie. „Wir sind wie zwei Teenager in einem alten Corsa irgendwo im Wald. Nur dass wir auf dem Energieniveau einer Mikrowelle, die man in einem Kühlschrank laufen lässt, arbeiten. Hätte dir so ziemlich schnell die Elektronik um die Ohren gehauen.“ Sam spürte den eisigen Hauch ihrer längeren Sätze, auch wenn sie lang nicht mehr so formell waren wie vor wenigen Wochen, als sie sich kennen gelernt hatten. Er dachte kurz darüber nach, ob die Feuchtigkeit im Zimmer überfrieren würde, doch dann fiel ihm wieder ein, dass Jen – wie er selbst auch – nur auf Menschen wirkte. Es hatte bei ihnen beiden etwas mit der Stimme zu tun. Jen seufzte; eine rare Gegebenheit. „Trotzdem hätte es auch einfach mal klappen können. Wir haben uns ewig Zeit gelassen, um auf alles vorbereitet zu sein, warum nicht darauf?“ Es klang immer noch wie ein abgelesener Bericht, aber für Jen geradezu wehmütig. Tatsächlich, merkte Sam geistig an, waren es nicht mal zwei Wochen. Grandiose zwei Wochen. Er hatte sich schon lange nicht mehr so ruhig gefühlt und gelassen erzählen können, während sie im wahrsten Sinne des Wortes auftaute. Sie wollten sicher sein, ob ihre gegensätzliche Besonderheit nicht aufeinander losgehen würde, sobald sie beide aufeinander losgehen würden und hatten viel herumprobiert, bis sie unbesorgt gewesen waren. Nur an die Auswirkungen, die nicht ihre Körper betrafen, hatten Sam und Jen nicht gedacht. „War für dich wohl bisher noch schwieriger als für mich, mh?“ Sam versuchte sich auszumalen, wie eine Fraue, deren Stimme den Körper in eine Kühlkammer steckte, auf Männer wirkte, die nicht – wie er – ein verbaler Hochofen waren. „Immerhin hattest du vermutlich deinen Spaß, bis deine Dates heißgelaufen sind und angefangen haben Blut zu spucken, nehme ich an. Ich dagegen … Sagen wir einfach, der Grat zwischen 'Ich mag laute Frauen' und '… ist ja wie der Gesang einer Schneekönigin. Willst du dir nicht wieder was anziehen und wir schauen einen Film?' ist schmal.“ In einer schmucklosen Bewegung erhob sie sich vom Bett und durchschritt den Raum. Dumpfes Licht von Außen wanderte in Kontrasten des Kondenswassermusters über ihre nackte Haut. „Gehst du?“, fragte Sam trübselig. „Wir gehen. Ins Bad. So leicht kommst du mir nicht davon.“ Jen lächelte nicht, ihr Gesicht war wie immer eine kühle Scheibe. Aber Sam grinste für sie beide, als sich aufschwang, um ihr zu folgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)