Endless Love – Without A Future? (無盡的愛) von Lina_Kudo (Eine verbotene Liebe im alten China (Goku&Chichi)) ================================================================================ Kapitel 9: 自由 - Gefährlicher Sturz in die Freiheit --------------------------------------------------- ****Rückblick**** Stumme Tränen flossen meine Wangen hinunter und fielen auf seine Rüstung. Mir war im Klaren, dass es das letzte Mal sein würde, dass wir uns so nahe sein konnten. Und genau aus diesem Grund hatte er es wohl auch erstmals geschafft, seine innere Kraft in die Knie zu zwingen. Dennoch konnte ich darüber nicht vollends glücklich sein, denn ich konnte mir denken, dass dieser Zustand nicht von langer Dauer sein würde. Ich spürte es einfach. Es sah mir gar nicht ähnlich, die Hoffnung gleich aufzugeben, bevor sie überhaupt entstehen konnte. Doch an diesem Tag wurde mein Kampfgeist gebrochen. Deshalb fand ich nicht einmal in seinen Armen inneren Frieden. Als reine Vorsichtsmaßnahme, um nicht noch tiefer zu fallen, obwohl ich mich eh schon in der tiefsten Schlucht befand. Doch was sollte es. Wenigstens für diesen einen Moment wollte ich alles um mich herum vergessen. Stumm ließ ich mich in seinen Armen sinken. Ein letztes Mal … ****Rückblick**** KAPITEL 9: 自由 Gefährlicher Sturz in die Freiheit »Mit dir werde ich alles wagen!« Ein kalter Tag im Winter brach an. Alles schien friedlich, selbst ohne das beruhigende Zwitschern der Vögel, die von der Kälte aus unserem Land verscheucht worden waren. Vereinzelte Schneeflocken fielen vom düsteren Himmel und machten es sich auf meinem schwarzen Haarschopf bequem, doch davon nahm ich keine Notiz. Nicht nur ich und meine Haare, sondern auch unsere natürliche Landschaft mit ihren ursprünglich grünen Bäumen und Wiese wurden durch eine schöne, winterliche Schneeschicht bedeckt. Ein klassisches Bild des sanftmütigen Winters. Doch diese beruhigende Harmonie fand nicht den Weg bis zu meinem Herzen und schaffte es nicht, sie mit ihrem Frieden zu füllen. Daran scheiterte sie kläglich. Denn heute war es so weit. Heute musste sie den Prinzen von Goryeo heiraten. In wenigen Stunden würde die große Übergabe und anschließende Vermählung stattfinden. Mit riesigen Schritten schlitterten wir auf das unaufhaltsame Ende zu. Wahrscheinlich würde ich sie nie wiedersehen. Jedenfalls nicht persönlich und wenn, dann höchstens von der Ferne. Doch was nützte es noch, sich darüber den Kopf zu zerbrechen? Es half sowieso nichts mehr. Es war der Wille des neuen Kaisers, und dem musste ich mich beugen, ob ich nun wollte oder nicht. Und damit sollte ich mich endlich abfinden. Je früher, desto besser. Ich würde sie verlieren. Für immer, unwiderruflich und endgültig. Es gab kein Zurück mehr. Unsere gemeinsame Zeit näherte sich dem Ende, bevor sie überhaupt richtig aufblühen konnte. Traurig, aber da war leider nichts zu machen. Immer wieder ermahnte ich mich, das Positive zu sehen: Ich war unglaublich dankbar, die Prinzessin überhaupt kennengelernt und so viele gemeinsame Jahre mit ihr verbracht zu haben. Sie hatte mir viel mehr geschenkt als ich es als General, unabhängig welchen Ranges, je verdient hätte. Ja, ich begehrte dieses Mädchen. Schon immer. Ich hätte alles für sie getan. Ich hätte sie immer beschützen wollen. Ich hätte für immer in ihrer Nähe bleiben wollen. Am liebsten hätte ich ihr auch all meine Gefühle offenbaren, doch … mein Wille zählte hier nicht. Er war nicht mehr wert als der Wille einer winzigen Ameise, die sofort unbarmherzig zerquetscht werden konnte durch die gigantischen Treter eines einfachen Menschens. Als General war zwar auch ich hoch angesehen, doch der Macht des Kaisers musste ich mich natürlich ohne Widerworte beugen. Da blieb mir gar nichts anderes übrig. Ich war schon seit Jahren ein sehr loyaler Diener der Kaiserfamilie gewesen, der seinen Herrschern stets treu ergeben war. Nie hatte ich nur daran gedacht, ihnen nicht zu gehorchen. Umso ungläubiger war es, dass es mir vor einigen Tagen gelungen war, mich zu widersetzen. Ich konnte mir bis jetzt nicht erklären, wie es mir gelingen konnte, mich erfolgreich gegen diesen unsichtbaren Fluch in mir zu wehren. Ich hatte mich wirklich für einige Minuten dagegen auflehnen können und hatte mich dazu hinreißen lassen, sie in meine Arme zu schließen. Hatte das vielleicht etwas mit meinen heimlichen und stetig wachsenden Gefühlen für die Prinzessin zu tun gehabt? Seitdem war ich nicht ein einziges in ihrer Nähe gewesen. Meine neu erlangten Kräfte, die mich kurzfristig dazu befähigt hatten, meinem wahren Willen zu folgen, hatten mich nach dieser lebensmüden Aktion sofort verlassen. »General Goku? Wir müssen uns langsam auf den Weg machen. Prinzessin Chichi wird bald dem koreanischen Prinzen übergeben«, hörte ich die Stimme meines besten Mannes und zugleich auch loyalsten Verbündeten, der schon immer zu mir aufgesehen hatte: Dong-An. Wie er immer zu sagen pflegte: »Ihr seid mein großes Idol und es ist die größte Ehre für mich, an Eurer Seite kämpfen zu dürfen!« Manchmal war er regelrecht besessen von dem Gedanken, so zu sein wie ich, und doch hatte ich diese Hartnäckigkeit und dieses unvergleichliche Durchhaltevermögen sehr geschätzt. Ich empfand zweifellos eine gewisse Sympathie für den siebzehnjährigen jungen Mann, zeigte sie ihm jedoch nicht. Im Gegensatz zu früher war ich tief in mich gekehrt und so introvertiert, dass es niemand schaffte, an mich heranzukommen. Seit dem Tag, wo ich nicht mehr ich selbst war, hatte sich mein Wesen um 180 Grad gedreht. Nur einer einzigen Person gelang es, mein Innerstes zu berühren. Und diese Person war niemand Geringeres als meine über alles geliebte Prinzessin. »Ja, ich komme«, rief ich nach kurzem Schweigen und nickte Dong-An nachdenklich zu, bevor er sich wieder entfernte. Ich holte tief Luft, erhob mich und bewegte mich auf unsere Pferde zu. Ich ging zum »Schwarzen Wind«, meinem pechschwarzen Pferd, strich kurz beruhigend über seinen langen Rücken und warf ihm wortlos einen Sattel über. Früher hätte ich niemals Pferde benutzt. Dafür wäre ich viel zu stolz gewesen, doch Pferde waren nun einmal die Ttiere für uns Soldaten. Alles geschah ganz automatisch. Ich merkte nicht einmal richtig, was ich gerade tat. Alle Bewegungen waren für mich zu einer Routine geworden. Es war vergleichbar wie ein Lied, welches man schon sein ganzes Leben lang kannte und zu jeder Zeit fehlerfrei und perfekt rauf- und runtersingen konnte, ohne sich richtig bewusst zu sein, welchen Text man überhaupt sang. Ein riesiger Meteorit hätte einschlagen können und ich hätte trotzdem wohl überhaupt nichts gemerkt trotz meiner stark ausgeprägten Sinne. Meine Gedanken kreisten nämlich einzig und allein um das baldige, unvermeidbare Ende. Es war nun an der Zeit, sie abzuholen. Schwungvoll stieg ich auf das Pferd, setzte mich hin und ritt hoch zum Palast, während die gesamte Soldatengruppe unten wartete. Aus meinem Gesicht war nichts herauszulesen. Keine Emotionen, keine Regung, nichts. Im Laufe der letzten Jahre hatte ich mir ganz unbewusst diese Maske gebastelt. Nur in zweisamer Gegenwart der Prinzessin hatte ich es hin und wieder geschafft, diese Maske abzulegen, um sie nicht mehr als nötig zu verletzen. Ich konnte es einfach nicht ertragen, den Schmerz in ihren Augen zu sehen, wenn sie in das Antlitz meiner kühlen Maske blickte. Als ich am Eingang des Palastes ankam, zog sie augenblicklich meine Aufmerksamkeit auf sich. Mir stockte der Atem. Die Prinzessin war wunderschön. Einfach zauberhaft. Kein Wort war ihrer Schönheit angemessen. Sie trug ein vielschichtiges dickes Gewand, dessen äußerste Schicht – in ein leuchtendes Gold bis Gelb getaucht und mit roten Verzierungen geschmückt – ihren zierlichen Körper vollkommen verbarg und so lang war, dass der unterste Stoff noch zwei Meter hinter ihr am Boden geschliffen wurde, wenn sich die Prinzessin in Bewegung setzte. Gelb und rot. Die Farben, die nur Angehörige aus der Kaiserfamilie tragen durften zu unserer Zeit. Ihr glänzendes, schwarzes Haar wurde prächtig mit Gold, Juwelen und sonstigem edlen Haarschmuck und langen Haarnadeln aus Gold hochgesteckt. Dazu trug sie passende, lange Ohrringe. Ihr Gesicht war so engelsgleich: Schmal und beinahe schneeweiß geschminkt. Doch ihr Gesichtsausdruck glich dem eines Geistes. Ich erkannte, dass sie um sich herum nichts mehr wahrnahm und sich mental komplett vor dem Geschehen zurückzog. Sie war todunglücklich. Diese Erkenntnis traf mich wie ein ernüchternder Schlag. Warum durfte nicht wenigstens sie glücklich sein? Warum nur? Wie oft hatte ich ihr schon gesagt, dass es an der Zeit war, unsere gemeinsame Vergangenheit loszulassen? Dass sie endlich vergessen sollte, dass wir vor langer Zeit mal Freunde gewesen waren und nach vorne schauen sollte? Warum konnte sie die Tatsache nicht akzeptieren? Ich war es nicht wert, dass sie ihre Zukunft meinetwegen wegschmiss. Im Gegensatz zu dem Prinzen konnte ich ihr leider nichts bieten. Gar nichts. Mit mir würde sie erst recht ins sichere Unglück stürzen. Mal ganz davon abgesehen, dass eine innige Beziehung zwischen uns einfach nicht denkbar war. Sie lag jenseits aller möglichen Vorstellungen. Ich ritt immer näher auf sie zu, stieg sofort von meinem Pferd ab und kniete mich tief vor ihr nieder. Sie sah mich kurz mit leeren Augen an, bevor sie in die hölzerne Kutsche einstieg. Diese Augen ließen das Blut in meinen Adern eiskalt gefrieren. Das passte einfach nicht zu ihr. Die Dinge einfach so hinzunehmen, wie sie waren. So schnell aufzugeben war nicht ihr Stil. Hatte sie sich inzwischen tatsächlich damit abgefunden und akzeptierte nun ihr Schicksal? Warum verwirrte mich das jetzt überhaupt so? Kein Geringerer als ich war es doch gewesen, der immer auf sie eingeredet hatte, dass sie ihr Schicksal endlich akzeptieren sollte – je früher, desto besser. Und jetzt, wo sie es scheinbar wirklich getan hatte, konnte ich mich damit nicht zufrieden geben. Ich verspürte alles andere als Freude oder gar Glück, denn tief in meinem Herzen wollte ich genau das, was auch sie mehr begehrte als sonst etwas. Denn durch ihre Hoffnung gab es auch für mich einen Lichtblick. Wenn sie ihre Hoffnung jetzt nun wirklich aufgegeben hatte, dann gab es auch für mich keinen Sinn mehr, im Stillen doch noch heimlich zu hoffen. Jetzt musste ich damit fertig werden. Von nun an lag es an mir, endlich zu kapitulieren. Ich war immer so sehr auf sie fixiert gewesen, dass ich selbst nicht einmal gemerkt hatte, dass ich selbst den schwersten Kampf ausfechten musste. Mit dem für mich größten und hartnäckigsten Feind, der existierte: Mich. Was war ich doch für ein hoffnungsloser Versager. Darauf erhob ich mich wieder, setzte mich auf mein Pferd und ritt neben der Kutsche her. Ich spürte ihren Blick auf mir ruhen, doch ich traute mich nicht, sie anzusehen. Die Situation war für uns beide schwer genug – da wollte ich es nicht noch weiter verschlimmern, indem ich es zuließ, dass sich unsere Blicke trafen. Jedes Mal, wenn ich lange in ihre wunderschön tiefen Perlenaugen blickte, versank ich in ihnen, vergaß alles um mich und hörte nur auf meine Gefühle; und genau das wollte ich vermeiden, denn dadurch würde ich die Befehle des Kaisers missachten. Und mich in vier zerstückelten Teilen kann keiner so wirklich gebrauchen. Das würde mir nichts bringen und ihr erst recht nichts. Ganz abgesehen davon hatten die Worte des Kaisers alleroberste Priorität. Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, als wir am vereinbarten Treffpunkt ankamen. Nun waren wir an dem Ort angelangt, an dem es für immer vorbei sein würde. Der schwerste Gang meines Lebens stand mir unmittelbar bevor. Die Soldaten von Goryeo waren bereits anwesend und warteten nur sehnsüchtig auf die Übergabe. Der Prinz stand ganz vorne, hatte seine Arme grinsend verschränkt und erwartete ›seine‹ Prinzessin mit leuchtend lüsternen Augen. Ich konnte es mir nicht erklären, glaubte jedoch, irgendetwas Unheimliches, Böses in seiner Aura zu spüren. Vielleicht war meine tiefe Abneigung auch nur auf meine heimliche Eifersucht zurückzuführen, die unentwegt in mir kochte. Ja, es hatte keinen Sinn, es vor mir selbst zu verleugnen: Ich war eifersüchtig auf ihn. Und wie ich es war. Was würde ich tun, nur um nun an seiner Stelle sein und die Prinzessin heiraten zu dürfen? Ach du lieber Himmel – alleine der Gedanke daran war eine unverzeihliche Sünde. Aber es brachte sowieso alles nichts mehr. Es gab kein Zurück mehr. Moment für Moment wurde es mir immer klarer. Und mit jedem Moment wurde es leider auch immer schmerzhafter. Ich bemerkte nicht einmal, wie ich langsam unter meiner harten Soldatenuniform zu zittern begann. Es fiel mir schwer, aufrecht auf den Beinen zu stehen, sodass ich mich sogar kurz auf das Pferd abstützen musste. Betreten schaute ich zu Boden. Schon bald würden sie mit der Rede beginnen. Dann wäre es unwiderruflich. »Prinzessin Chi!«, hörte ich einen meiner Soldaten schreien und blickte sofort hoch. Mitten in meinem Blickfeld, meterweit von mir entfernt, stand die Prinzessin am Rand eines Felsens, unmittelbar unter ihr die wilde, rauschende Brandung, die heftig gegen die Felsen peitschte. Meine Augen weiteten sich geschockt. Wie hypnotisiert ging ich einen Schritt auf sie zu. Was machte sie denn da? Sie wollte sich doch nicht ernsthaft … Nein. Das durfte nicht wahr sein! Sie war immer stark gewesen, hatte in jeder noch so aussichtslosen Lage nach vorne geblickt und hatte niemals auch nur daran gedacht, sich selbst aufzugeben! Niemals! Entsetztes Geschrei drang in meine Ohren, doch sie prallten spurlos an mir ab. Meine Augen waren fest an ihre geheftet. Sie erwiderte meinen Blick mit einer tiefen Entschlossenheit. Und plötzlich tat sie das, was sie schon seit so langer Zeit nicht mehr getan hatte: Sie lächelte. In der Öffentlichkeit. Sie lächelte tatsächlich. Ein mildes, schleichendes Lächeln umspielte ihre Lippen. Dieses zauberhafte Lächeln ließ mich fast vergessen, in welch einer ausweglosen Lage wir uns gerade befanden, weil es so unerwartet kam. Schnell kniff ich meine Augen zusammen und schüttelte meinen Kopf, um diese albernen Träumereien zu verjagen. Das war eindeutig der falsche Zeitpunkt für derartige Schwärmereien. »Hoheit, was tut Ihr da?«, rief ich mit leiser Verzweiflung und näherte mich ihr wieder unbewusst und vorsichtig, aus Angst, dass sie jeden Moment abspringen könnte. »Tut das nicht! Ich flehe Euch an!« Doch sie war wie die Ruhe selbst, rührte sich nicht einen Millimeter und machte damit auch keine Anstalten, sich von dem Abgrund zu entfernen. »Es tut mir leid, aber ich werde den Prinzen Goryeos nicht heiraten!« Ihre Stimme unterstrich die feste Entschlossenheit in ihrer Mimik. »Es gibt nur einen, für den ich so eine tiefe Zuneigung empfinde, dass ich dazu bereit wäre, diesen Schritt zu wagen. Aber mit ihm werde ich niemals eine Zukunft haben können. Wenn ich nicht ihn heiraten darf, dann niemanden. Deswegen hat alles keinen Sinn mehr. Es hat nie einen Sinn gehabt. Bitte vergib mir.« Das waren ihre letzten Worte. Der letzte Satz war zweifelsohne an mich gerichtet, da sie mir dabei besonders intensiv in die Augen gesehen hatte. Ich war wie gefangen in ihrem Blick. In der nächsten Sekunde konnte ich nur noch realisieren, wie sie rücklings fallen ließ. In den sicheren Tod. »Nein!«, brüllte ich lauthals, rannte zum Abgrund, sprang ebenfalls ohne eine weitere Sekunde zu zögern und wendete meine Flugkünste an, mit deren Hilfe ich es durch eine unmenschliche Geschwindigkeit leicht schaffte, sie nach kurzer Zeit zu erreichen. Sofort schlang ich meine Arme um ihre Taille. Ich wollte uns schon wieder nach oben befördern, doch da schüttelte die Prinzessin hektisch ihren Kopf.»Nicht fliegen! Lass dich einfach fallen. Bleib so lange wie möglich unter Wasser und schwimm weit weg von hier.« Ich gehorchte ihrer Anweisung und würde auch die folgenden in die Tat umsetzen – schließlich konnte ich seit Jahren nichts anderes. Dennoch blinzelte ich sie konfus an. Was hatte sie nur vor? Hatte sie das alles so konkret geplant? Es dauerte nicht lange, bis wir beide in die Brandung stürzten. Das Wasser war eiskalt, doch da ich gut durchtrainiert und abgehärtet war, machte mir das nicht besonders viel aus, weil ich auch das Training unter den schlimmsten Bedingungen gewöhnt war und viel aushalten konnte. Da war ich abgehärtet. Und selbst wenn nicht: Meine ersten Gedanken galten der Prinzessin. Ich hielt sie in meinen Armen, so fest, als wollte ich sie nie wieder loslassen. Es war nach wie vor meine Pflicht, sie zu beschützen und dafür zu sorgen, dass es ihr gut ging, und ich hatte ohnehin nie eine andere Absicht gehabt. Da sie mir befohlen hatte, so lange es unsere Lungen erlaubten unter Wasser zu bleiben, schwamm ich im Tauchgang zum Ufer. Trotz unserer schweren Kleidung schaffte ich es problemlos, uns im Wasser fortzubewegen. Prinzessin Chi hatte ihre Augen zwar geschlossen, doch ich wusste, dass sie noch alles mitbekam. Das Wissen, dass auch sie sehr lange die Luft anhalten konnte und dies mit geschlossenen Augen am besten konnte, wusste ich noch von unserer gemeinsamen Vergangenheit. Früher hatten wir oft Tauchspiele gespielt. Am Ende war es immer darauf hinausgelaufen, dass wir gewettet hatten, wer länger die Luft anhalten konnte. Mal hatte sie, mal ich gewonnen – das war ganz unterschiedlich gewesen. Man könnte sagen, dass wir uns in der Hinsicht ebenbürtig waren. Ich war schon sehr weit geschwommen, da ich unter Wasser ebenfalls meine Flugfähigkeiten eingesetzt hatte, und tauchte nach geraumer Zeit dann auf. Nun waren wir sehr weit entfernt von dem Ort, wo die Übergabe hätte stattfinden müssen. Ich drehte mich im Wasser um meine eigene Achse, fixierte alle Seiten mit meinen scharfen Augen, bis ich westlich von uns die rettende Küste entdeckte. Geschickt platzierte ich Chichi auf meinem Rücken und schwamm los. Als wir ankamen, legte ich sie vorsichtig ab und setzte mich neben sie, um mich auch etwas zu erholen. Da es recht kalt war, erkundigte ich mich nach ihrem Wohlbefinden. Darauf erwiderte sie erst nichts, lehnte sich nur müde an mich. Da ich keinen Einblick in ihr Gesicht hatte, konnte ich auch nicht sagen, was für eine Miene sie gerade aufsetzte. »Ich danke dir, dass du das für mich getan hast.« Ihre Stimme klang schwach und heiser. Gedankenverloren sah ich ins weite Meer hinaus. »Bedankt Euch nicht. Es ist meine Pflicht, Euch zu gehorchen – ganz unabhängig davon, was es ist. Mögen es auch noch solche tollkühnen unvernünftigen Aktionen sein wie diese.« Ich zuckte kurz zusammen, als sie zu kichern anfing. »Das hast du wirklich gut gemacht! Nun muss ich den Prinzen zum Glück nicht mehr heiraten, weil alle in dem Glauben sein werden, dass wir diesen Sturz nicht überlebt haben. Nun können wir endlich frei sein! Ist das nicht schön?« Große Erleichterung schwang in dieser Aussage mit. Ich drehte mich zu ihr um und musste an mich halten, um nicht empört oder gar vorwurfsvoll dreinzublicken. Also hatte sie das alles tatsächlich akribisch von vorne bis hinten durchgeplant? »Hoheit, sagt jetzt nicht, dass Ihr das von Anfang an geplant habt und Euer Leben so leichtfertig auf‘s Spiel gesetzt habt!«, stellte ich sie völlig entrüstet zur Rede. »Na ja«, begann sie kleinlaut mit ihrem unschuldigen Blick, »ich war mir schon ganz sicher gewesen, dass du mich retten würdest. Ich wusste es einfach. Niemals würdest du mich einfach so sterben lassen. Außerdem habe ich mal gesehen, wie du heimlich das Fliegen geübt hast.« Ein verklärtes Glitzern flackerte dabei in ihren Augen auf. Ich biss meine Zähne zusammen, denn darauf konnte ich wirklich nichts erwidern. Sie hatte schließlich recht. Ich hätte nie zugelassen, wie sie sich in den sicheren Tod gestürzt hätte. Und es war natürlich raffiniert, dass sie über meine Flugkünste Bescheid wusste. Ich habe dies niemandem erzählt, weil ich kein Aufsehen erregen wollte. »Aber habt Ihr mal daran gedacht, wie ich mich gefühlt habe, als Ihr am Abgrund gestanden und letztendlich auch noch abgesprungen seid?« Dieses Gefühl war eines der schrecklichsten, die ich je empfinden musste in meinem Leben. Einen winzigen Augenblick war mir durch den Kopf geschossen, dass ich in Zukunft wirklich ohne sie weiterleben musste. Denn es stand außer Frage, dass es mir selbstverständlich viel lieber gewesen wäre, wenn sie den Prinzen heiraten, aber dafür noch leben würde, als ihr Leben hinter sich zu lassen. Der Grund dafür war so denkbar simpel, dass er gar nicht mehr erwähnt werden musste: Im ersten Fall könnte ich sie zumindest noch lebendig sehen können, und schließlich hatte ich tief in mir schon immer eine geheime Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft getragen, auch wenn sie nur ein unerfüllter Traum von mir bleiben würde. Eine fadenscheinige Illusion, der ich bis in alle Ewigkeit erfolglos hinterherjagen würde. Das war mein Schicksal. Eine Hoffnung, so vernichtend klein, und doch das Einzige, was mich antrieb, weiterzuleben. Diesen letzten Funken wollte ich unter keinen Umständen aufgeben. Stille breitete sich zwischen uns aus und distanzierte uns immer weiter voneinander, bis sie es schuldbewusst zu verhindern versuchte. »Tut mir leid, daran habe ich nicht gedacht.« Erschrocken weiteten sich meine Augen, bevor ich schleunigst etwas einwarf. »Nein, so schlimm war es nun auch wieder nicht. Vergesst bitte, was ich Euch vorhin gesagt habe. Ich habe mir zu viel erlaubt.« Nein, sie durfte doch nicht gegenüber einem General wie mir, der so weit unter ihr stand, Schuld empfinden. So weit käme es noch! Wie konnte ich es auch wagen, ihr Vorwürfe zu machen? Bevor ein weiteres peinliches Schweigen zwischen uns ausbrechen konnte, erhob ich mich ruckartig und schaute mich um. Ich stellte fest, dass wir in der Tat sehr weit weggeschwommen waren. So schnell würde man uns nicht finden. Lasst uns in die Höhle gehen und dort die Nacht verbringen.« Ich deutete mit dem Zeigefinger auf die Höhle, die etwa zweihundert Meter von uns entfernt lag. Sie nickte zustimmend und wollte sich schon in die Gänge setzen, doch das fiel ihr sichtlich schwer. Der Sturz und die weite Schwimmstrecke hatten ihre Spuren bei ihr hinterlassen. Sollte ich oder sollte ich nicht? Immer noch mit mir ringend hatte ich die Frage bereits ausgesprochen, bevor ich es mir noch anders überlegen konnte: »Darf ich Euch tragen? Ihr seid sicher noch erschöpft.« Verlegen biss ich mir in Gedanken auf die Lippe. Oh Gott – hatte ich sie das jetzt wirklich gefragt? Wo nahm ich mir nur dieses Recht her? »Sehr gern«, antwortete sie mir und lächelte , während sich eine rötliche Verlegenheit um ihre Wangen legte. Gesagt, getan. Im nächsten Moment schob ich meine rechte Hand unter ihren Körper, während meine linke Hand ihre Schultern stützte. Mit einem Ruck hob ich sie behutsam hoch. Das gelang mir ohne große Mühe – sie war so leicht wie eine Feder. Als wir im Inneren der Höhle angelangt waren, ließ ich mir nicht unbedingt länger Zeit als notwendig, sie wieder runterzulassen. Nicht dass es mich gestört hätte, sie so nah an mir zu spüren, aber es war einfach falsch. Die Gedanken und Gefühle, die dabei meinen gesamten Körper durchströmten, durften nicht sein. Sie waren mehr als einfach nur verboten. Auch wenn ich im Innersten wusste, dass es das einzig Richtige war, sie in meinen Armen zu halten. Doch diese Erkenntnis, ganz tief in meinem Herzen verwurzelt, würde niemals bis zur Oberfläche durchdringen. Dafür war sie viel zu schwach. So schwach, dass selbst ich ihre Existenz kaum wahrnahm. »Wenn Ihr erlaubt, möchte ich nun nach Nahrung für uns suchen. Es wird nicht lange dauern. Wartet bitte hier auf mich.« Darauf nickte sie wieder kurz und zog sich die äußerste Schicht ihres Gewands aus, welches gänzlich durchnässt war von dem salzigen Meerwasser. Auch ich zog meine Außenrüstung aus und nahm meinen Helm ab, warf sie achtlos auf den Boden, verbeugte mich kurz vor ihr und machte mich anschließend auf den Weg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)