Zum Inhalt der Seite

Unter meinen Schwingen

versinkt die Welt
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Flug

Unter meinen Schwingen versinkt die Welt in Wolkendunst.

Meine Hufe haben den festen Boden längst verlassen, doch noch immer galoppieren sie, lose in der Luft.

Quintus sagte, das ließe mich während des Fliegens anmutig wirken und lenke davon ab, dass ich unter der Anstrengung meiner Flügel furchtbar schwitze und keuche.

Die Rentiere am Schlitten vom Weihnachtsmann galoppieren auch immer im Nichts, sagt er leise in mein Ohr. Er spürt, dass meine Gedanken darum kreisten.

Meine Mundwinkel zucken ein wenig in die Höhe. Ich nicke knapp.

Seine Fäuste graben sich tiefer in meine Mähne, seine Knie drücken gegen meine Schulterblätter.

Er hält mich oben.

Ohne ihn könnte ich niemals eine solche Geschwindigkeit an den Tag legen.

Es geht nichts über die riesigen Schwingen eines Mischlings.

Sein schwarzes und mein weißes Paar zwingen die Luft, an uns vorbeizurauschen, Tränen fliegen wie Geschosse aus unseren Augenwinkeln, während wir krampfhaft versuchen, unsere Sicht trotz des Windes zu behalten.

Vorsprung?, bringe ich erstickt hervor.

Ich kann spüren, wie Quintus sich umdreht und nach hinten späht. Mindestens hundert Meter, sagt er.

Ich erschrecke. Warum schießen sie nicht?

Er zuckt nur mit den Schultern. Lass sie doch.

Mein zugegebenermaßen etwas hysterisch klingendes Lachen geht in überraschtes Husten über, als wir mitten in eine Wolke fliegen.

Es ist seine Mentalität. Mir bereitete es Kopfzerbrechen, warum unsere verdammten Verfolger uns nicht einfach angriffen; er begnügte sich mit der Tatsache, dass wir unversehrt blieben.

Wie weit noch? Diesmal ist es seine Frage.

Ich muss mir Haare aus dem Gesicht schütteln und den Kopf weit senken, um zwischen dem feuchten Nebel etwas zu erkennen.

Einen Moment lang glaube ich, dass wir noch eine weitere Wolkenschicht unter uns haben und demnach viel zu hoch fliegen, bis ein scheinbar winziger Baum in mein Blickfeld tritt. Ich atme erleichtert auf. Unter uns liegt schon Schnee!, rufe ich ihm entgegen. Es kann nicht mehr weit sein!

Hoffentlich sind wir nicht schon übers Ziel hinausgeschossen. Ich höre seiner Stimme an, dass er grinst.

Ich sage nichts. Meine Kehle ist schrecklich trocken und meine Flügel werden schwer. Ich frage mich, ob er auch so fühlt, und hoffe trotz unserer misslichen Lage insgeheim, dass er das tut.

Ich möchte nicht die Schwächere sein.

Eine seiner Hände zerzaust mein Haar und klopft sacht gegen die Seite meines Halses. Halt durch, sagt er. Es ist mir ein Rätsel, wie er unter diesen Umständen so leise und ruhig sprechen kann.

Seine Stimme gibt mir Kraft. Meine Hufe bewegen sich wieder schneller, und obwohl das eigentlich keinen Unterschied macht (sondern wahrscheinlich sogar unnötige Energieverschwendung ist), spornt es auch meine Schwingen an, endlich fester zu schlagen.

Ich höre Quintus lachen und ein langgezogenes Wuhu! ausstoßen. Ein bewunderndes Kichern entsteigt mir.

Er würde niemals in Panik verfallen. Es gäbe nicht eine Situation, in der er die Ruhe verlieren könnte. Bin ich verletzt, zeigt er Besorgnis, werden wir verfolgt, zeigt er Dringlichkeit, doch niemals Angst. Niemals Horror vor dem Tod. Niemals –

Eine Hand schließt sich um meinen Schweif. Ein Fauchen, das dem einer Katze nicht unähnlich ist, entweicht meiner Kehle, als ich in der Luft zurückgeworfen werde. Ich weiß, dass mein dortiger Muskel nicht stark genug ist, um jemanden davon loszuschütteln, und meine Hinterbeine treten ins Leere aus, also presse ich einfach die Zähne aufeinander und stemme mich mit aller Willenskraft weiter voran. Langsam, aber es geht.

Mein Verstand ist nun zu verbissen, um sich noch zu erschrecken. Sie haben uns!, kreischt irgendjemand in meinem Hinterkopf, doch ich lasse mich nicht davon beirren. Unter uns liegt bereits der Schnee. Wir sind nicht mehr weit vom Stützpunkt entfernt. Von einem friedlichen Weihnachtsfest. Ich werde mich jetzt nicht einfangen lassen.

Auf meinem Rücken dreht sich Quintus, vermutlich graziös wie immer, auf seinem Steißbein um, um unsere Verfolger im Blick zu haben. Er wird seine Flügel unheimlich verbiegen müssen, um jetzt noch mit mir in der Luft bleiben zu können. Ich spüre, dass er sich weiter nach vorn lehnt, und höre, dass er spottend mit Schimpfwörtern um sich wirft.

Mein erster Impuls ist, ihn davon abzubringen, ein Handgemenge mitten in der Luft zu starten, doch ich halte ihn mit Leichtigkeit zurück. Quintus mag oft unüberlegt und kindisch handeln, aber trotz – oder gerade wegen – dieser Charakterzüge bekommt er früher oder später jede Situation in den Griff.

Wenn auch oft etwas umständlich.

Eine zweite Hand schließt sich um die dicken Haare meines Schweifs, offenbar versucht jemand, auf meinen Rücken zu klettern, doch beide Hände fallen nach einem dumpfen Geräusch weg. Quintus hat, im wahrsten Sinne des Wortes, zugeschlagen.

Niemand fasst meine Freundin an!, johlt er. Schon gar nicht da hinten!

Ich muss lachen und spüre, wie Blut in meinen Kopf schießt. Wir sind nicht zusammen. Und ich glaube, niemand weiß so genau, weshalb nicht. Wir sind nicht sicher, ob wir uns lieben, er und ich. Was uns verbindet, ist eine stille Übereinkunft grenzenloser Bewunderung für den jeweils anderen.

Obwohl mir nie einleuchtete, was genau er an mir bewundert.

Er verpasst mir einen Klaps auf den Hintern. Los, du Schimmelgeflügel! Schneller, sonst wird denen da hinten noch langweilig!

Es ist seine Art, mir zu sagen, dass er weiß, dass ich noch mehr kann.

Ich spüre, dass auch seine Schwingen wieder parallel zu meinen schlagen, dass er wieder mithilft, uns nicht abstürzen zu lassen, und nicke. Ich atme schwer, Schweiß scheint aus all meinen Poren herunter zur Erde zu tropfen (ich frage mich, ob er dort wohl als Schnee ankommt), doch es geht jetzt um Leben und Tod. Ich beschleunige, verdammt noch mal.

Ich weiß, warum sie nicht schießen, flüstert eine verängstigte Stimme zwischen meinen Schläfen. Sie haben keine Schusswaffen dabei, nur Messer. Es sind nicht solche Jäger… Nicht solche, die euch töten wollen. Es sind Trophäenjäger. Die wollen euch was abschneiden.

Ich verziehe das Gesicht, beschließe, dass dieser Verdacht gerechtfertigt ist, obwohl er mir nicht gefällt. Quintus!, rufe ich gegen den Wind.

Hä?

Trophäenjäger! Was meinst du?

Er schweigt einen Moment, scheint unsere Gegner mit ihren verfluchten Jetpacks genau zu mustern. Gut möglich, antwortet er schließlich bloß.

Ich hätte wissen müssen, dass er sich davon nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Und ich sollte mir ein Beispiel daran nehmen.

Ich atme tief durch und senke den Kopf wieder gen Boden. Wie weit sind wir?, frage ich mich.

Vereinzelte Bäume schließen sich unter meinen Hufen zu einem immer größer werdenden, schneebedeckten, weiß-grünen Ganzen zusammen. Ich keuche in Euphorie. Quintus!, rufe ich erneut. Der Wald! Wir sind fast da!

Er lehnt sich zur Seite, um einen Blick nach unten zu werfen, und klopft mir anerkennend auf den Rücken. Saubere Arbeit, Herzchen! Auf die letzten Meter.

Er hat den Satz gerade beendet, als ein widerlich schmatzendes Geräusch ertönt und er laut aufschreit. Wir verlieren augenblicklich an Höhe.

Panik platzt in mein Bewusstsein, so plötzlich, als habe jemand einfach einen Schalter umgelegt (und ist es nicht auch so?). Ich muss mich zusammenreißen, um nicht einfach mit dem Fliegen aufzuhören. Was ist passiert? Mein Ruf gleicht einem Kreischen. Quintus, was ist passiert?

Über mir ertönt ein gutturales Knurren, das ich mit Mühe als Messer im Flügelgelenk. identifizieren kann. Ich fluche.

Er lässt sich auf seinen und meinen Rücken fallen, ein weiteres, ähnliches Geräusch lässt mich erschaudern. Offenbar hat er das Messer einfach wieder aus seinem Fleisch gerissen. Er lässt es achtlos fallen und ich kann aus dem Augenwinkel beobachten, wie es in rasender Geschwindigkeit durch die Luft gen Boden prescht. Sie werfen mit den Dingern, sagt er. Seine Stimme klingt erschreckend leise und brüchig. Halt den Kopf gesenkt. Schaffst du die letzten Meter alleine?

Ich antworte nicht auf seine Frage. Quintus, bist du okay? Was ist passiert?

Die sind giftig, sagt er nur noch. Lähmen.

Meine Augen füllen sich mit Tränen, diesmal ist es nicht der Wind, es ist keine Trauer oder Angst, es ist Wut.

Es ist Wut über verdammte Psychopathen, die mit giftigen Klingen nach uns werfen, um unsere exotischen Flügel zu ergattern. Meine gefiederten und seine ledrigen. Es ist ein wahrer Wettbewerb um Wesen wie uns dort unten.

Ja, sage ich schließlich. Ich bin nicht sicher, ob es laut genug war, dass er es hören konnte. Ja, ich schaffe den Rest alleine.

Ein scharfer Luftzug saust an meinem rechten Flügel vorbei und ich weiß, dass jemand ein weiteres Messer geworfen hat. Quintus?

Mmh?

Seine Stimme bricht mir das Herz. Kannst du dich noch festhalten?

Zitternde Finger bohren sich in die Haut über meinen Rippen. Geht noch…

Dann pack gut zu.

Ich setze zum Sturzflug an. Hinter mir erfüllen einige überraschte Laute die Luft und ich weiß, dass sie nichts von unsrem Stützpunkt erfahren haben. Das ist gut. Das ist unglaublich gut.

Die Baumkronen kommen näher und ich kann nicht verlangsamen, ich schätze, ich werde mir einige Äste durch die Schwingen bohren, bevor ich landen kann, doch es muss sein.

Es muss jetzt sein.

Eine weitere Klinge saust an mir vorbei, sie bleibt nicht stecken, hinterlässt jedoch einen langen Schnitt am rechten Flügel. Ich habe keine Zeit, mich zu fragen, ob ich Gift abbekommen habe.

Quintus, sage ich. Festhalten.

Die Finger zucken tiefer in mein Fleisch.

Einer meiner Vorderhufe berührt den ersten Wipfel, als es passiert. Dicke Feuerbälle, mindestens zehn, sausen an unseren Seiten vorbei in die Luft, in perfekter Präzision, ohne die Bäume zu schneiden, geradewegs auf die Jäger zu.

Auf meinem Rücken atmet Quintus lang aus. Die hätten ruhig früher kommen können, murmelt er. Ich muss lächeln.

Meine Hufe berühren festen Boden, so schnell, dass ich Angst habe, zu fallen. Ich stolpere, galoppiere einen Moment lang noch schneller, um meinen Gang zu festigen. Dann verlangsame ich.

Vor uns steht im Schutze der hohen Bäume die kleine Holzhütte, die kaum etwas beinhaltet, außer einem Gang unter die Erde.

Zwei der Elementarmagier eilen auf uns zu und heben Quintus sachte von meinem Rücken. Was ist passiert?, fragen sie unisono.

Lasst uns einfach Weihnachten feiern, nuschelt Quintus. Er klingt wie angetrunken.

Ein unnatürlich klingendes Kichern steigt aus meinem Mund. Ich nicke und trabe einfach voran. Frohe Weihnachten, flöte ich unseren Kameraden zu. Und danke für die Hilfe!

Erst im warmen Hort der Hütte drehe ich mich wieder um. Die Magier schieben erst sich, dann Quintus durch die Tür und sehen uns fragend an.

Jetzt sagt schon, fordert einer. Wir haben den halben Tag auf euch gewartet. Was war denn los, in aller Welt?

Quintus und ich wechseln einen wissenden Blick, dann müssen wir beide schmunzeln.

Wir haben nur ein wenig Fangen gespielt, antworte ich.
 

Unter meinen Schwingen versinkt die Welt in Frieden.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (6)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  FluffyFox
2018-01-03T20:46:02+00:00 03.01.2018 21:46
Heyho =) Keine Ahnung, ob du das hier überhaupt liest, die ff ist ja schon etwas betagt... Aber ich finde sie wundervoll geschrieben! Ich konnte sofort mit den Charakteren mitfiebern, die mir auch auf Anhieb sympathisch waren. Hut ab und Frohes Neues Jahr!^^
Von:  Kerstin-san
2017-12-01T18:37:07+00:00 01.12.2017 19:37
Hallo,
 
ich fand die Verfolgungsjagd sehr packend dargestellt. Man fiebert unweigerlich mit Quintus und dem pegasusartigen Wesen mit, ob sie es wohl schaffen, ihre Verfolger abzuhängen und gleichzeitig ist man von der vertrauensvollen Beziehung der beiden ganz fasziniert. Wenn das fliegende Geschöpf an sich zweifelt und ihm die Kraft auszugehen droht, ist Quintus der motivierende und stützende Halt, den es in der Situation einfach braucht. Man merkt, dass die beiden sich sehr schätzen und ein eingespieltes Team sind und das war einfach sehr schön zu lesen.
 
Die Panik, als Quintus dann verletzt wird, kam auch sehr gut rüber, aber die schützenden Feuerbälle kommen ja dann doch noch zur rechten Zeit, um die Trophäenjäger abzuwehren.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Von: abgemeldet
2008-12-30T23:10:11+00:00 31.12.2008 00:10
Wow... trotz einer Verfolgungsjagd sehr schön und gefühlvoll, auch wenn ich (leider) keine Ahnung habe, wer Quintus ist (Ich habe MedeWi nicht gelesen ^^'), aber die Geschichte war für mich als "nicht Eingweihte" trotzdem sehr gut verständlich. Mal etwas anderes als das übliche Gemetzel, eine sehr schöne Abwechslung und ich schließe mich meinen Vorrednern an: der letzte Satz rundet das alles noch perfekt ab.
Von:  Salatherz
2008-12-26T11:41:57+00:00 26.12.2008 12:41
Verdammt, war das spannend! xD
Ich hab die ganze Zeit nur auf den Text gestarrt und gedacht: "Okay, entweder sie schaffen es gerade noch oder sie kratzen ab." (wobei... wenn Quintus in MedeWi mitspielt... dann konnten sie gar nicht sterben, oder?)
Ich hab erstmal eine Weile gebraucht, um herauszufinden, was für ein Wesen das ist, aus dessen Perspektive du schreibst (ist das ein Pegasus? Das war mein letzter Gedanke! xD).
Ansonsten gibt es nur ein Wort, dass ich nicht verstanden habe. Du drückst dich immer so wunderbar aus! Dein Wortschatz ist berauschend. ^^
Das böse Wort lautet "guttural". Ich hoffe, du kannst es mit bei Zeiten mal übersetzen. oô
Von:  -myst3ry-
2008-12-23T16:33:20+00:00 23.12.2008 17:33
Ob ich mich freue? (Blickrichtung: CreppyLittleHangman)
Mehr als das! Ich bin absolut begeistert!

Mir gefällt dieser One-Shot wirklich gut, gerade das Motiv, dass man weitermacht, wenn man eigentlich keine Kraft mehr hat, wenn man nur noch mit purer Willenskraft weitergeht (oder fliegt).

Dein Schreibstil ist bewundernswert.
Du schreibst sehr detailiert und fehlerfrei (Rechtschreibung! Ein Mensch der sie beherrscht!) und man hat als Leser keine Schwierigkeiten, sich in der Geschichte zurechtzufinden und sich in die Charaktere einzufühlen.

Der Schlusssatz gibt dem Ganzen nochmals eine sehr schöne Note und vollendet eine wahrlich meisterhafte Komposition.

Und für mich als Fantasyfan ist diese Geschichte ein tolles Weihnachtsgeschenk. Danke vielmals.

Deine Myst3ry
Von: abgemeldet
2008-12-23T15:03:18+00:00 23.12.2008 16:03
So, dann wollen wir doch mal gucken, wie konstruktiv man so mit einer Schreibblockade ist xD
Ich find es schön, wirklich schön... Die Beschreibungen sind herrlich und ich für meinen Teil, der eine sehr bild- und lebhafte Fantasie besitzt, hat sich gefühlt, als würde er nebenher fliegen. Man hat den Wind gespürt, der einem entgegen fegt, die Landschaft gesehen, die sich unter einem ausbreitet und man hat sich irgendwo immer an den kleinen Optimismus!Mischie gehalten und gedacht, das schon alles gut wird xD
Wurde es ja auch, letzendlich °0°
Das schönste war ja eigentlich der Schlusssatz, das hat das ganze nochmal fein abgerundet °-°
Klasse geworden, bin mir sicher, die Beschenkte wird sich drüber freuen ^____^


Zurück