Eistränen von Kimiko_Grey ================================================================================ Kapitel 19: Die Wende --------------------- Bisher hatte ich immer versucht NICHT zuzunehmen. Mich vor dem Essen zu drü-cken, einfach alles dafür zu tun, herauszukommen, ohne an Gewicht zuzulegen. Diese Einstellung war sowas von dumm und änderte sich schlagartig. Ich weiß es noch genau wie heute, es war Oktober. Wir gingen unserem Tagesplan nach und nachdem ich aufgestanden war, mich anzog und zum wiegen ging war ja Frühstück angesagt. Mein Gewicht hatte sich nicht sonderlich geändert. In der Zeit in der ich in der Klinik war hatte ich nur drei Kilo zugenommen. Nicht viel aber für mich war es ZUVIEL. Ich wunderte mich schon, dass Lelya nicht beim wiegen war aber vielleicht hatte sie auch nur verschlafen. Ich wunderte mich über mich selbst, dass ich mir überhaupt über diese Schnepfe Gedanken machte, die mir den Aufenthalt noch schwerer machte, als es ohnehin schon war. Nachdem ich fertig mit wiegen war, ging ich ins Bad um mir die Batterien aus den wenigen Klamotten, die ich an meinem mageren Leibe trug herauszunehmen und mich anzuziehen. Dabei lief ich an einem Spiegel vorbei. Es gab nur wenige Spiegel hier in der Klinik, da magersüchtige immer denken sie seien zu dick und wenn sie sich im Spiegel betrachten, wird dieser Eindruck nur noch verstärkt, das wiederum könnte dazu führen, dass sie sich noch sehr viel mehr gegen die Therapiemaßnahmen der Klinik auflehnen würden. Wie dem auch sei. Ich machte mich schließlich auf den Weg in den Essensraum. Katsuki saß schon am Tisch und wartete. Ich setzte mich zu ihr und schaute in die Runde. Irgendwie schien es mir, dass es heute anders war als sonst. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, Leyla war auch hier nirgends zu sehen. Stattdessen fiel mein Blick auf Frau Kawashima und Frau Hamaki die sich angeregt aber gedämpft unterhielten. Frau Kawashimas Stirn hatte tiefe Sorgenfalten und auch Frau Hamaki wirkte bedrückt. Die Stimmung im gesamten Raum war sehr bedrückt, jedenfalls empfand ich es so und meine Brust zog ich zusammen. Irgendetwas schlimmes war passiert, das spürte ich und ich befürchtete, dass es etwas damit zu tun haben könnte, dass Leyla nicht anwesend war. Leider sollte ich Recht behalten. Bevor wir unser Essen bekamen, stellte sich Frau Kawashima so hin, dass wir alle sie ansehen konnten. Ihr besorgter Gesichtsaus-druck hatte sich nicht verändert. „Ich bitte um eure Aufmerksamkeit.“ Wir schauten sie neugierig an und ich hatte das Gefühl, als würde sich meine Brust mit jeder Sekunde, die sie schwieg nur noch enger zusammenzog. Dann sprach sie endlich weiter. „Wie euch sicher aufgefallen ist, ist Leyla heute weder beim wiegen erschienen, noch ist hier sie hier anwesend. Leider muss ich euch mitteilen, dass Leyla heute morgen um 4:23Uhr an ihrem starken Untergewicht verstorben ist.“ Plötzlich ging ein angeregtes, aber doch bedrücktes Raunen durch den Raum. „Ruhe bitte!“ bat Frau Kawashima. „Die regulären Therapiestunden verschieben sich heute um eine halbe Stunde, wir werden in der Kapelle eine kleine Trauerfeier für Leyla geben, denn sie war genau wie ihr: Anorexisch. Ich finde es immer besonders tragisch einen jungen Menschen an diese teuflische Krankheit zu verlieren, deshalb appelliere ich an euren gesunden Menschenverstand. Esst! Nehmt zu! Werdet gesund und führt ein normales Leben. Danke für eure Aufmerksamkeit.“ Niemand sagte auch nur ein Wort, man hörte nur das Klappern von Geschirr und Besteck. Bei einigen löste Leylas Tod teilweise so große Betroffenheit aus, dass sie sich weiter weigerten zu essen. Nicht bei mir. Es war, als wäre mit Leylas Tod ein Schalter in meinem Kopf umgelegt worden. Ich dachte an meine Eltern, meinen Bruder, Fujita und viele die mich mochten und die meinen Verlust betrauern müssten. Das wollte ich ihnen nicht antun. Und plötzlich fing ich an zu essen. Wie eine wahnsinnige futterte ich drauflos und ließ mir zweimal Nachschlag geben. Auch vom Nachtisch aß ich reichlich. Meine Tischnachbarn und auch Frau Hamaki und Frau Kawashima sahen mich an, als sei ich eben vom Mars gekommen und aus einem Raumschiff gestiegen. Ich aß bis ich satt war, ich hatte Magenkrämpfe und mir war schlecht aber ich wollte nicht brechen. Ich wollte nur noch eins: zunehmen und raus! So schnell wie möglich. Auch die weiteren Mahlzeiten verputzte ich wie eine Termite. Das führte dazu dass ich relativ schnell zunahm und auf meine 45kg kam. Und ich aß weiter solange bis ich mein Normalgewicht hatte. Das dauerte nicht lange. Nur zwei Wochen nach Leylas Tod und eine Woche nach der Beerdigung wurden meine Eltern informiert, dass ich erfolgreich therapiert worden war und sie mich abholen könnten. Sie freuten sich unheimlich, vor allem mein Vater. An dem Tag meiner Entlassung hatte ich allerdings ein unheimliches Problem: Was sollte ich anziehen?? Inzwischen wog ich 51,2kg, das war ja schön und gut aber meine Sachen, die ich trug als ich eingeliefert wurde und die, die ich eingepackt hatte waren alle zu klein, denn die trug ich mit 34kg. Ich betrachtete mich im Spiegel. Plötzlich fand ich dass ich mit meinem jetzigen, gesunden Gewicht viel hübscher war. Ich hatte ein wohlgeformtes Gesicht, nicht zu rund und nicht zu kantig, einen schönen Busen, einen flachen Bauch und muskulöse Beine. Meine blauen Augen strahlten wieder, mein Haar hatte wieder Fülle und Glanz bekommen, meine Locken schimmerten in der Novembersonne, die an diesem Tag matt durchs Fenster fiel. Es klopfte an der Tür und Frau Hamaki trat ein. „Hallo Kimiko, ich bin froh, dass du wieder gesund bist und nach Hause kannst“ „Ich auch“ sagte ich lächelnd „aber mir passen meine Sachen nicht mehr.“ „Das ist kein Problem“ erwiderte sie freundlich. „Jedes Mädchen, dass uns gesund verlässt, bekommt neue Garderobe von uns geschenkt“ Erst jetzt bemerkte ich, dass sie ein Päckchen auf dem Arm trug. Sie stellte es aufs Bett. „Schau rein, ich weiß nicht ob ich deinen Geschmack getroffen habe“ Ich öffnete das Päckchen, und nahm die Sachen heraus. Darin enthalten waren: eine weiße Jeans ein dunkelrosa Rollkragenpullover ein Unterwäscheset ein Schal Winterschuhe Und ein Wintermantel „Ich weiß nicht ob ich deinen Geschmack getroffen habe“ wiederholte sie „aber ich habe ja beobachtet, was du die Monate, als du hier warst immer getragen hast.“ Ich zog die Sachen sofort an und sie strahlte. „Die sind dir wie auf den Leib geschnitten. Und nun komm, deine Eltern warten bereits auf dich“ Ich umarmte sie und bedankte mich. Dann packte ich rasch alles zusammen und rannte die Treppe zum Foyer runter. Ich konnte es kaum erwarten endlich meine Eltern wieder zu sehen und dieser verdammten Klinik den Rücken zu kehren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)