Sucht von Phase ================================================================================ Sucht ----- Sucht „Johnny?“ Mehr aus Reflex als aus Absicht wandte sich Johnny zu der Stimme, die ihn gerufen hatte, um. Im nächsten Moment bereute er es wieder: In einem Augenblick der Unachtsamkeit, in dem er vor sich hingeträumt hatte und in dem er völlig verdrängt hatte, wo er sich eigentlich befand und wozu er hier war, hatte er auf seinen richtigen Namen reagiert und ihm war klar, dass die Person ihn kennen musste. Und das hier war der letzte Ort, an dem er von einem Bekannten gesehen werden wollte. Vor allem nicht in diesem Outfit! Mit einer hautengen schwarzen Hose aus Leder und einem bauchfreien T-Shirt, über dem er lediglich eine dünne Jacke trug, bekleidet, war es eindeutig, was er in dieser Gegend wollte und dass er nicht einfach nur Spazieren ging. Eilig drehte er sich wieder weg und versuchte davon zu laufen, doch er wurde fest am Arm gepackt. Es war zu spät. Entdeckt, erkannt und erwischt, schoss es dem jungen Schotten durch den Kopf, doch er sagte nichts. Er wollte die ganze Sache nicht noch unangenehmer machen, als sie so oder so schon war. Auch der Mann schien nicht vorzuhaben hier eine große Szene zu machen, sondern zog ihn einfach hinter sich her, auf das Bahnhofsgebäude zu. Johnny wusste, dass er keine Zeit zu verschwenden hatte, dass er arbeiten musste und eigentlich auch gar keine Lust hatte mit der Person mitzugehen. Nach einem kurzen Zögern hob Johnny seinen Blick um zu sehen, wer genau ihn entdeckt hatte und er erkannte Robert. Sein Schritt war bestimmt und aufgrund des festen Griffes wagte Johnny es nicht, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Hinzu kam, dass er eigentlich darüber dankbar sein musste, dass der Däne ihn nach fast einem Jahr wieder angesprochen hatte; wobei die Situation nicht unbedingt für Johnny sprach. Die Treppen hinauf stolperte er mehr, als dass er ging und überlegte, was Robert jetzt wohl von ihm denken musste und was wohl gerade in seinem Kopf vorging. Nach dem Jahr ausgerechnet so vorgefunden zu werden... Robert stieß die Tür des Bahnhofs auf und die warme Luft, die ihnen nun entgegen schlug, ließ Johnny für einen Moment lang etwas schwindelig werden und erinnerte ihn an die Kälte, in der er seit dem frühen Abend gestanden hatte. Der Griff um seinen Arm löste sich und Robert blickte ihn ernst an, seine Stimme klang leicht gereizt. „Bleib hier stehen, kapiert? Ich komme gleich wieder, also denk gar nicht daran abzuhauen!“ Johnny hatte nicht vorgehabt wegzulaufen, er wusste, dass, wenn er jetzt einfach so verschwand, er nie wieder eine Chance bekommen würde die Situation klar zu stellen. Die willkommene Wärme wurde ab und an von einem kühlen, fast eisigen, Windstoß durchbrochen, wenn jemand das Gebäude betrat oder verließ und obwohl er fror wagte Johnny es nicht, ein paar Schritte zu Seite zu gehen, um aus der Kälte zu treten, denn wenn Robert, wo auch immer er stand, ihn beobachtete und sah, dass er weg ging, würde er mit Sicherheit davon ausgehen, dass er versuchte sich aus dem Staub zu machen. Und damit würden sich Roberts düstere Vermutungen – die diesmal nicht der Realität entsprachen! – für ihn wohl bestätigen. Es grenzte Johnnys Meinung nach so oder so schon an ein Wunder, dass Robert überhaupt wieder mit ihm gesprochen hatte. Dass er ihn damals angelogen hatte – Johnny hatte in seinem ganzen Leben noch nie etwas so sehr bereut – hatte Robert sein ganzes Vertrauen in ihn verlieren lassen. Das Schlimme war, dass Robert alles Recht dazu hatte. „Du bist noch da“, Johnny glaubte aus Roberts Feststellung einen leicht verblüfften Unterton herauszuhören. Die Antwort bestand aus einem kurzen Nicken und als Robert ihn diesmal an der Hand packte, war sein Griff nicht mehr ganz so schmerzhaft. Robert schob ihn bestimmt in Richtung der Gleise. Unter normalen Umständen hätte Johnny ihn gefragt, wohin er ihn brachte, aber die angespannte Atmosphäre zwischen ihnen ließ ihn lieber schweigen und abwarten. Als sie am Zuggleis angekommen waren und Robert in den Zug stieg, erhaschte Johnny, als er ihm schweigend folgte, einen kurzen Blick auf die Fahrinformation: Nachtzug von Berlin nach Kopenhagen. Der Schotte schluckte hart. Er hatte weder ein Ticket – wobei er vermutete, dass Robert ihm wohl eines gekauft hatte – noch die Zeit und Lust mitzukommen. Er musste viel arbeiten, weil er möglichst schnell Geld auftreiben musste. Die Tatsache, dass am nächsten Tag Samstag war, war noch frustrierender, da Samstag sein Haupteinnahmetag war. Und wie sollte er überhaupt wieder zurückkommen? Robert zeigte einem Mann die zwei Tickets und dieser führte sie zu einem Schlafabteil. Beim Eintreten nickte Robert ihm dankbar zu und als Johnny ebenfalls eingetreten war, schloss er hinter ihm die Tür und deutete ihm an, sich auf eines der Betten zu setzen. Er selbst lehnte sich gegen das Nachttischchen. Mit einem ernsten und berechnenden Blick kam er sofort zur Sache: „Nimmst du wieder Drogen?“ Johnny presste seine Lippen aufeinander. „Nein.“ „Weißt du“, begann Robert und ein bitterer Unterton schwang in seiner Stimme deutlich mit, „Ich würde dir gerne glauben, aber das letzte Mal, als du mir so auf diese Frage geantwortet hast und ich dich vor allen wegen diesen Gerüchten beschützt und verteidigt habe... kam beim Test doch tatsächlich heraus, dass du bereits mehrere Monate lang ziemlich extremen Drogenkonsum hinter dir hattest.“ „Es tut mir Leid, dass ich dich damals angelogen habe“, warf Johnny ein und es klang sogar recht ehrlich, „Aber ich nehme wirklich keine Drogen mehr! Ich bin clean, ich...“ „Du musst zugeben“, meinte Robert trocken, „Es klingt nicht sonderlich überzeugend, nachdem ich dich Mitten in der hiesigen Drogenhochburg aufgegabelt habe.“ „Ich war nicht wegen der Drogen hier, sondern...“, er brach ab. „Sondern?“, hakte Robert nach. Zögerlich murmelte Johnny: „Versprichst du mir es nicht weiter zu erzählen?“ „Ich verspreche schonmal gar nichts“, gab Robert unmissverständlich zurück. Wiederum zögerte Johnny und schwieg. Er wusste, dass Robert nun erst recht davon ausgehen musste, dass er wieder süchtig war, obwohl er seinen Entzug gut hinter sich gebracht hatte und seitdem keinerlei Art von Drogen auch nur angerührt hatte. Doch er hatte Robert enttäuscht und es war ein schreckliches Gefühl gewesen auf diese Art und Weise seinen besten Freund zu verlieren – durch die eigene Dummheit. Ein zweites Mal hatte er so etwas nicht geschehen lassen wollen. Und trotzdem war er wieder in dieser Lage: etwas Dummes angestellt zu haben, Robert bei sich, der versuchte, hinter sein Geheimnis zu kommen, und er hatte sich geschworen möglichst niemanden mehr anzulügen. Gerade als Robert seinen Mund öffnete um etwas zu sagen, fing Johnny an zu reden. Er würde es durchziehen und Robert würde es entweder verstehen oder nicht. Falls nicht hätte er ihm zumindest die Wahrheit gesagt und hätte diesmal nicht im Nachhinein diese schrecklichen Schuldgefühle. „Es ist...“, er sammelte kurz seine Gedanken, „Es ist so: ich bekomme, seit ich wieder in Berlin studiere, nur noch das nötigste Geld von meinen Eltern. Sie... sie haben Angst, dass ich wieder mit den Drogen anfange... – Ich nehme wirklich keine Drogen mehr! – Jedenfalls haben mich die Typen gefunden... die Dealer meine ich... ich... Ich hab’ noch Schulden bei ihnen...“, ein kurzes Zögern folgte, „Noch einige Schulden. Ich brauche dringend Geld, daher...“ Robert hob beide Augenbrauen. „Dealst du mit Drogen?“ Johnny lief rot an. „Nein!" Er schwieg für eine kurze Weile. „Daher...?“ Der Schotte zuckte zusammen und blickte leicht beschämt zu Boden, ehe er leise „Ich mach’s für Geld“ murmelte. Die Reaktion war ein fragender Blick, den Johnny zwar nicht sah, aber dennoch spürte. „Was machst du für Geld?“ Allem Anschein nach schien es für Robert außerhalb der Vorstellungskraft zu liegen, dass er, Jonathan McGregor, ein Stricher war. „Du weißt schon“, Johnny presste wiederum seine Lippen aufeinander, „Sex.“ Robert starrte ihn entsetzt und zugleich ungläubig an. „Ich benutze aber immer Kondome“, rechtfertigte Johnny sich sofort, als er den Blick bemerkte. „Du gehst anschaffen?!“ „Was sollte ich denn sonst tun?“, verteidigte sich Johnny, „Ich brauche das Geld, ich hab’ gar keine andere Möglichkeit!“ Allmählich wurde Roberts Blick immer unangenehmer und unerträglicher und Johnny wandte den Blick ab. „Warum bist du nicht zur Polizei?“ Johnny blickte ihn wehmütig an. „Wenn ich das getan hätte, wäre ich schon längst tot.“ „Du kannst dir das Geld auch anders beschaffen! Du bist Sohn einer reichen Familie, deine Eltern“, der Däne schaffte es nicht das Beben aus seiner Stimme zu verbannen. „Meine Eltern“, er holte tief Luft, „Ich... ich habe sie schon genug enttäuscht. Ich will kein Geld von ihnen erbetteln, nur damit ich meine Schulden abbezahlen kann...“ „Johnny, das ist einfach nur dämlich!“, fuhr Robert ihn an, „Das ist der falsche Platz für diese Art von Stolz! Du solltest lieber...“ „Wenn du mich nur hierher geschleppt hast, um mich irgendwie zu belehren, dann würde ich jetzt lieber wieder gehen“, unterbrach Johnny ihn und sein Blick wirkte verbittert. Er machte Anstalten aufzustehen, doch Robert winkte mit einem Seufzen ab und fuhr sich durch die Haare. „Schon in Ordnung, wir fahren sowieso inzwischen.“ Kurze Zeit herrschte Schweigen und Johnny beobachtete gequält die Landschaft, die an ihnen vorbeirauschte. „Warum ausgerechnet Stricher?“, in Roberts Stimme schwang diesmal kein Vorwurf mit. Allem Anschein nach, hatte er Zeit gebraucht, um die Tatsache zu akzeptieren, „Du hast gute Qualifikationen, du könntest andere Jobs machen.“ „Glaubst du, ich mache das zum Spaß? Ich hab’ versucht Jobs zu bekommen. Keiner wollte mich haben. Ich hab’ meine Uhr, mein Handy und alles einigermaßen Wertvolle verkauft. Glaubst du wirklich ernsthaft, dass ich freiwillig meinen Körper verkaufe?“, neben dem leicht verärgerten Unterton schwang eine leichte Hoffnungslosigkeit mit, „Ich will nur endlich wieder aus diesem blöden Milieu raus...“ Es folgte eine kurze Pause. „Ich konnte nicht zahlen, also haben sie mich dazu gezwungen die Arbeit zu machen.“ Als Johnny sein Gegenüber anblickte konnte er nicht deuten, was dieser dachte. Seine Miene war verschlossen, und das Einzige, über das er sich klar war, war, dass der Däne nachdachte. „Schlaf jetzt am besten“, es klang nicht nach Vorschlag, sondern nach einer Aufforderung, fast nach Befehl. Mit leicht frustriertem Gesicht und dem Gefühl nicht verstanden worden zu sein, machte sich Johnny daran seine Schuhe auszuziehen. Er würde wohl oder übel in seinen Shorts schlafen, da er keinen Pyjama dabei hatte. Während er damit beschäftigt war sich weitestgehend zu entkleiden und die Klamotten als kleinen Stapel neben das Bett zu legen, war Robert an seinem Laptop tätig, den er aus einer seiner Taschen herausgeholt hatte. Schweigend legte sich Johnny hin und zog sich die Decke bis zu seinen Schultern, dann drehte er sich von Robert weg. Da er weder müde war, noch vorhatte zu schlafen, verbrachte Johnny seine Zeit damit, darüber nachzudenken, ob Robert ihm glaubte, was die Sache mit den Schulden anging. Zumindest hatte er ihm die Wahrheit gesagt. Er selbst würde das wissen und hätte somit keinen Grund für ein schlechtes Gewissen. Ob seine Eltern Robert darum gebeten hatten nach ihm zu sehen, weil sie sich nicht sicher gewesen waren, ob er auch wirklich keine Drogen mehr nahm und er sich bei ihnen nicht mehr gemeldet hatte? „Du glaubst mir nicht, oder?“, fragte Johnny nach einer Weile der Stille. „Stimmt“, bestätigte Robert. „Willst du, sobald ich schlafe, meine Sachen durchsuchen und testen, ob ich Drogen dabei habe?“, erkundigte sich Johnny weiter. „Nein“, antwortete Robert, wobei er nicht aufhörte an seinem Notebook zu arbeiten, „Es gibt andere Möglichkeiten.“ „Bluttest?“ „Bluttest.“ „Wann hast du vor den zu machen?“ Robert seufzte und verdrehte die Augen. „Kannst du mich bitte in Ruhe arbeiten lassen?“ Johnny schwieg. Nervte er Robert so sehr? Wenn er Robert lästig war, warum hatte dieser ihn dann mit hierher geschleppt, wo es gar keine andere Möglichkeit gab, als dass sie quasi aufeinander saßen und nicht darum herum kamen, dass der jeweils andere da war? In diesem Augenblick wünschte er sich fast, dass ihm all das hier wieder so egal wäre, wie es das vor einem Jahr noch gewesen war, als er so gut wie permanent unter Drogeneinfluss gestanden und er sich zwar normal gegeben hatte, aber alles einfach nur an ihm vorbei gegangen war. Doch das war es nun nicht mehr. Es war ihm nicht egal. Tatsächlich tat es ihm weh, dass er Robert allem Anschein nach nervte. Noch schlimmer war es, dass er selbst an dieser Situation Schuld war. Einen kurzen Augenblick lang überlegte Johnny, ob all das Robert nicht so lästig wäre, wenn er tatsächlich wieder Drogen nehmen würde, verdrängt diesen Gedanken jedoch wieder. „Gute Nacht“, murmelte Johnny lediglich und schloss seine Augen. Vielleicht hatte Robert wirklich einfach nur viel zu tun und hatte ihn einfach nicht in der Kälte stehen lassen wollen. Es verging einige Zeit, ohne dass irgendwelche Worte gewechselt wurden und die einzigen Geräusche waren das Rattern des Zuges und das leise Klicken der Tastatur von Roberts Laptop. „Es klang wohl genervter, als es eigentlich hatte klingen sollen“, stellte Robert fest und blickte zu Johnny, der sich verwundert umdrehte. Es war nicht unbedingt so, dass er ihn anstrahlte, aber zumindest schien er bemüht zu sein, nicht zu abweisend zu wirken. Und das war das erste Mal seit einem Jahr, dass dem so war. Es war sogar das erste Mal seit einem Jahr, dass überhaupt jemand, der ihn kannte, ihn nicht mit vorwurfsvollem Blick musterte. Als Antwort zuckte der junge Schotte nur mit den Schultern, da ihm einfach nicht einfiel, was er hätte erwidern können. Er war dankbar, dass Robert zumindest den Versuch unternahm, ihn als Menschen zu behandeln und nicht als ehemaligen besten Freund, der das Vertrauen, das man ihm entgegen gebracht hatte, schamlos ausgenutzt hatte. Der Däne erhob sich von seinem Stuhl und trat zu Johnny ans Bett. „Du sagst, du nimmst keine Drogen mehr.“ Johnny nickte ernst. „Tu’ ich auch nicht mehr. Ich habe auch nicht vor wieder damit anzufangen.“ „Dann bist du damit einverstanden, dass ich einen Bluttest machen lasse?“ „Ja... aber sei bitte nicht enttäuscht, wenn keine Drogen festgestellt werden.“ „Ganz im Gegenteil, das würde mich sehr freuen.“ Kurze Zeit herrschte Schweigen. „Und, wie läuft es an der Uni?“ Die Antwort war wiederum ein Schulterzucken: „Geht so.“ Robert ging zu seinem Laptop zurück und starrte nachdenklich auf den Bildschirm. „Wieso warst du in Berlin?“, fragte Johnny und erntete einen verwunderten Blick. „Ich arbeite dort seit einem halben Jahr.“ Ein halbes Jahr lang... und er hatte sich kein einziges Mal bei ihm gemeldet. „Ich muss von Zeit zu Zeit die Geschäfte meiner Firmenfilialen überwachen; und da bin ich eben in Berlin hängen geblieben. Ziemliches Chaos hat da geherrscht.“ „Und jetzt fährst du wieder zurück?“, erkundigte sich Johnny unsicher und dachte angestrengt darüber nach, wie er ohne Geld zurück nach Deutschland kommen konnte; doch der Däne lachte nur. „Nein, ich bin nur kurz in Kopenhagen wegen einem geschäftlichen Treffen. Ich fahre morgen Abend schon wieder zurück – natürlich nehme ich dich auch wieder mit nach Berlin“, erklärte er mit einem Grinsen. Johnny nickte nur und äußerte nicht seine Bedenken, die er hatte, wenn er zwei Tage Arbeit geschwänzt hatte und ohne Geld zurückkam. Mit einem leisen Seufzen legte er sich wieder hin und dachte noch eine Weile lang über alles Mögliche nach, während Robert wieder damit anfing an seinem Notebook zu arbeiten. Er musste wohl eingeschlafen sein und einen ziemlich festen Schlaf gehabt haben. Anders konnte Johnny es sich nicht erklären, dass er nichts von der Ankunft des Zuges, der Fahrt zum Hotel und verschiedenen anderen, darauf folgenden Ereignissen mitbekommen hatte. Wahrscheinlich hatte Robert Rücksicht auf ihn genommen, damit er in Ruhe schlafen konnte. Als er sich müde aufrichtete, stellte er fest, dass er inzwischen ein Hemd trug – allem Anschein nach hatte Robert ihn angezogen, bevor er ihn hierher gebracht hatte und ihm dann das Hemd angelassen. Der Schotte spürte einen Ziehen an seinem rechten Arm und als er den Hemdärmel hochkrempelte, stellte er fest, dass sich dort ein Pflaster befand. Von der Blutabnahme hatte er also auch nichts mitbekommen. Johnny hörte Wasserrauschen und schloss daraus, dass Robert sich duschte; was wahrscheinlich der Grund war, weshalb er nicht im Raum war. Es dauerte einige Zeit, ehe Robert aus dem Badezimmer kam. Er trug lediglich ein Handtuch um die Hüften und nickte Johnny zu, als er bemerkte, dass dieser wach war. „Guten Morgen, hast du gut geschlafen?“ Robert ging zu einem Kleiderschrank, über dessen Tür ein ordentlich gebügelter Anzug hing, schien jedoch auf seine Frage keine Antwort zu erwarten, stattdessen schnalzte er mit seiner Zunge. „Nette Kratzer, die du da auf deinem Rücken hast.“ Johnny lief schlagartig rot an. „Das sind keine Kratzer“, murmelte er, „Das sind... das willst du gar nicht wissen.“ „Ich kann’s mir denken“, meinte Robert und sein wissender Blick ließ Johnny zu dem Schluss kommen, dass er es wirklich wusste. Der Däne seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Ich muss dann weg“, er nahm die Kleidungsstücke an sich, „Wegen des Meetings. Du kannst dir was zum Essen bringen lassen, falls du Hunger bekommst.“ Johnny zuckte mit den Schultern und schwieg, was Robert jedoch nicht negativ auffasste. „Du kannst noch ein bisschen schlafen oder fernsehen, oder was dir sonst noch so einfällt“, er hielt kurz inne, während er sich anzog, „Es sei denn es hat irgendetwas mit deinem Nebenjob zu tun.“ Ein düsterer Blick traf Robert, doch der schien ihn geschickt zu ignorieren. „Wann kommst du wieder?“ „Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich erst gegen Abend. Wie gesagt, versuch dich irgendwie zu beschäftigen. Ich bemühe mich, das Meeting so kurz wie möglich zu halten, aber versprechen kann ich nichts.“ Als er fertig angezogen war, betrachtete Robert sich im Spiegel und Johnny musste feststellen, dass diesem Anzüge gar nicht mal so schlecht standen. Johnny schüttelte den Kopf. Die Tatsache, dass er eher selten weibliche Kunden hatte, sondern meistens männliche, schien seinen Verstand wirklich stark vernebelt zu haben. Er hob seinen Blick und merkte, dass Robert ihn fragend anschaute. „Schaut es so schrecklich aus?“ „Nein. Ich hab nur grad über etwas nachgedacht.“ Robert nickte und schnappte sich dann eine Aktentasche, die er sich auf dem Tisch zurecht gelegt hatte. Mit einem „Bis nachher“, ging er aus dem Zimmer. Die erste Zeit saß Johnny nur im Bett herum und überlegte sich, was er groß machen konnte. Er wollte den Fernseher nicht anschalten, da er zusätzliche Kosten für Robert vermeiden wollte. So begnügte er sich damit, darüber nachzudenken, was Sam und seine Leute wohl mit ihm anstellen würden, wenn er zurück nach Berlin kam, auf welche Art und Weise sie ihn bestrafen würden, falls sie ihn nicht vielleicht sogar töten würden. Solche Menschen waren unberechenbar. Der Ausflug endete sowohl für Robert, als auch für Johnny überraschend: So war der Drogentest – zu Roberts Erstaunen – tatsächlich negativ ausgefallen und er akzeptierte die Tatsache, dass Johnny noch Schulden hatte. Johnny wiederum war verblüfft, als Robert ihn fragte, wie viel Geld er den Dealern noch schuldete und ihm die volle Summe überließ. Der Schotte war sogar fast entsetzt und wollte anfangs mit den Worten „Ich habe dir nichts als Gegenleistung erbracht“ das Angebot ablehnen, doch dafür erntete er nur einen etwas entgeisterten Blick Roberts, der ihn darauf hinwies, dass er nicht vorhatte mit ihm zu schlafen, nur damit er das Geld annahm. Johnny war daraufhin knallrot angelaufen und hatte verlegen zu Boden gestarrt. Robert hatte ihm das Geld wirklich gegeben. Johnnys Meinung nach viel zu viel Geld für einen kleinen Gefallen, aber Robert hatte gesagt, dass wenn er nicht damit leben könne, dass er ihm aus der Szene half, er ihm das Geld bei Gelegenheit auch wieder zurückzahlen könne. Nun stand er hier, in warmen Klamotten, die Robert ihm geliehen hatte, mit Roberts Geld im Rucksack, den er ebenfalls von diesem bekommen hatte, mit der Hoffnung, endlich wieder ein normales Leben führen zu können. Und vielleicht sogar bald Roberts Vertrauen wiederzuerlangen. Er war an einem Punkt in seinem Leben angekommen, an dem er einfach glücklich sein musste, dass bald all die schlechten Zeiten hinter ihm lagen. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen machte Johnny sich auf den Weg das Gebäude zu verlassen; in die gleiche Richtung, in die Robert wenige Minuten zuvor verschwunden war. Als er aus dem Bahnhof ins Freie trat, bemerkte er, dass es allmählich hell wurde. Es waren kaum Leute unterwegs, zumindest sah er keine. Mit einem leisen Seufzen trat er die Treppen hinunter und fragte sich, ob Robert sich in nächster Zeit noch einmal bei ihm melden würde. Umso erschrockener und überraschter war er, als ihn plötzlich jemand von hinten packte und ihm die Arme auf dem Rücken verdrehte. Er keuchte verblüfft auf und versuchte sein Gleichgewicht zu halten, sodass er nicht die Treppen hinunterschlug. „Na, sieh mal einer an, wen haben wir denn da?“ Johnny erkannte deutlich die Stimme Maiks, einem der Handlanger Sams. „Doch nicht etwa den kleinen Johnny, der sein Geld für Freitag und Samstag nicht abgeliefert hat?“ „Ich denke, wir sollten ihm eine Lektion erteilen“, die zweite Stimme brauchte Johnny nicht zu erkennen, da der Mann in sein Blickfeld trat. Es war Steffen. „Es ist nicht lustig, sich das Geld zu krallen und abzuhauen...“ „Halt!“, murmelte Johnny und versuchte sich zu beruhigen. Es konnte ihm nichts passieren. Er konnte zahlen, er würde frei sein! „Ich... Ich hab’ das Geld bei mir.“ Maik packte ihn an den Haaren und zog seinen Kopf nach hinten. Johnny versuchte einen erschrockenen Schmerzenschrei zu unterdrücken und zog scharf die Luft ein. „So, so... Du hast also das Geld. Ich hoffe doch mal, dass es reicht um die Verspätung zu begleichen.“ „Na... Natürlich“, keuchte Johnny und versuchte den pochenden Schmerz an seinem Hinterkopf zu ignorieren, „Ich- Ich hab’ genug... dabei.“ Maik stieß ihn vorwärts, sodass Johnny ein paar Schritte die Treppe hinunterstolperte, wobei er selbst folgte. „Na, dann lass uns mal zu Sam gehen und deine Zahlungsfähigkeit überprüfen.“ Alles war gut, er würde bezahlen und dann hätte er keinerlei Verpflichtungen Sam gegenüber mehr! Zum Glück war die Treppe bald bewältigt und die Beiden brachten ihn zu einer schmalen Seitengasse, keine hundert Meter vom Bahnhof entfernt. Aus irgendeinem Grund wartete Sam dort bereits und blickte Johnny abwertend an, als er ihn erkannte. Maik ließ ihn los und schubste ihn vorwärts. Johnny hatte immer noch das Gefühl, dass jemand versuchte ihm die Haare auszureißen und der pochende Schmerz ließ auch nur sehr langsam nach. Bevor Sam ihm irgendwelche Vorwürfe machen könnte, platzte Johnny los: „Ich habe das Geld. Ich habe das ganze Geld, das ich dir schulde.“ Sam wirkte im ersten Moment überrascht, dass jemand in seiner Gegenwart ohne Aufforderung sprach, fing dann jedoch an zu grinsen, „Wo willst du denn die fast zehntausend Euro herbekommen haben? Hm?“ Johnny öffnete seinen Mund und zögerte dann kurz. „Der... der Kunde, den ich hatte, war sehr großzügig, weil ich ihm... einen ganzen Tag zur Verfügung gestanden habe.“ Dass er log war eindeutig. Aber Sam musste die Wahrheit nicht kennen. Er wollte Robert nicht in Gefahr bringen. „Na, dann zeig’ mal deine Beute her...“ Zögerlich reichte Johnny Sam den Rucksack, der anfing das Geld nachzuzählen. Als er sich überzeugt hatte, dass es vollständig war, grinste er: „Tatsächlich. Unser kleiner Freund hier hat es geschafft, das ganze Geld aufzutreiben...“ Nervös blickte sich der junge Schotte um. „Ich... ich hab alle Schulden bezahlt“, stellte er unruhig fest, als er bemerkte, dass keiner der drei irgendwelche Anstalten machte, ihn gehen zu lassen. Ganz im Gegenteil, Maik trat auf ihn zu und packte ihn grob. „Ihr habt gesagt, ich kann gehen, sobald ich das Geld zurückbezahlt habe!“, stotterte Johnny und starrte Sam an. „Nun, das war, bevor du eine so gute Einnahmequelle geworden bist“, er fuhr mit der Hand unter Johnnys Kinn, „Es wäre doch eine Schande, dich einfach so gehen zu lassen...“ „Es gibt für mich keinen Grund mehr für dich zu arbeiten!“ Es wäre auch zu einfach gewesen, wäre er einfach so davon gekommen! Warum konnte einfach nichts so ablaufen, wie er es wollte? Er wollte endlich hier weg! Er war dumm und naiv gewesen, als er geglaubt hatte, dass die Typen ihn einfach so in Ruhe lassen würden! „Vielleicht... ist dein Leben ein guter Grund?!“ Johnny presste seine Lippen aufeinander. „Ich werde nicht mehr für dich arbeiten!“, meinte er bestimmt und versuchte sein Zittern unter Kontrolle zu bekommen. Er wollte leben... aber nicht so! „Du scheinst die Situation nicht zu verstehen“, meinte Sam und lächelte, „Du hast gar keine andere Möglichkeit“, er machte eine knappe Handbewegung und Steffen setzte sich in Bewegung, „Auf der anderen Seite wäre es zu Schade dich zu töten. Es gibt andere Mittel, und Wege dich zu einer freiwilligen Rückkehr zu bringen...“ Erst jetzt bemerkte Johnny die Spritze in Steffens Hand und er starrte Sam entsetzt an. „Aus der Szene kommt keiner so einfach wieder ’raus... Sobald du wieder süchtig bist, wirst du zurückkommen und mich anflehen dich wieder einzustellen, damit du das Geld für die Drogen zusammenbekommst. Und kein Mensch wird sich wundern. Viele ehemalige Drogenabhängige hängen wenig später wieder an der Nadel. Du wirst ein hoffnungsloser Fall sein, wie jeder andere auch.“ Dem Schotten klappte entsetzt förmlich der Mund auf. Er hätte soweit mitdenken müssen. Aber selbst wenn er es vorhergesehen hätte, hätte es ihm nichts genützt. Bevor er das Geld nicht zurückgezahlt hätte, hätten sie ihn nicht in Ruhe gelassen! Schlagartig fragte Johnny sich, wie er überhaupt in dieses Schlamassel hineingeraten war. Als Maiks Griff fester wurde und Steffen ihm mit einem Stofffetzen den Oberarm abband, versuchte er nochmals sich zu befreien. Jedoch lediglich mit dem Erfolg, dass er das Gefühl bekam, dass Maik versuchte ihm den Arm zu brechen. Steffen hob die Spritze an und Johnny wich einen Schritt zurück und stieß gegen Maik. „Der Stoff ist erste Sahne, hab’ dich nicht so“, meinte Sam und Johnny starrte ihn panisch an. „Lasst mich in Ruhe! Verflucht noch mal, ich hab’ euch doch gegeben, was ihr wolltet!“ „Warum sich mit wenig begnügen, wenn man auch viel haben kann?“ Wehren half nichts. Wieder war er an einem Punkt in seinem schrecklichen Leben angekommen, an dem er nicht sein wollte. Er wollte einfach nur weg. Warum musste immer ihm so etwas passieren? Mit ängstlich zusammengekniffenen Augen spürte er den Einstich und ihm wurde schlecht, als er fühlte, wie die Flüssigkeit in seinen Körper eindrang. Genau in diesem Moment war es auch, dass in der Ferne Polizeisirenen erklangen und Sam, Steffen und Maik blickten sich entsetzt an. „Sag’ bloß, der Kerl hat die Polizei gerufen?!“ Ohne die Spritze zu entfernen rannte Steffen, ebenso wie Sam, davon. Als Maik ihn losließ, fiel Johnny zu Boden und starrte entsetzt auf die Nadel in seinem Arm. Er hatte Angst davor, dass die Wirkung einsetzte, dass er wieder süchtig wurde... ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)