A dream beyond words von Chimi-mimi (Assoziatives Schreiben) ================================================================================ Kapitel 1: Assoziation 01 - Closed door, open door -------------------------------------------------- Es gab weder Klingel noch Türklopfer, so klopfte Shikamaru zögernd an der Tür. Er fühlte sich unwohl dabei und sicherte sich noch einmal ab, dass ihm niemand gefolgt war. Dann lauschte er, konnte aber keine Schritte vernehmen, also pochte er noch einmal mit seinen Knöcheln gegen die Tür. Er fragte sich, was Tsunade von dem Hausbewohner wohl wollte und betrachtete nachdenklich die versiegelte Schriftrolle in seiner Hand. Warum hatte sie wohl so betont, dass niemand von seinem Auftrag erfahren durfte? Oberste Geheimhaltung, absolutes Stillschweigen. Das war wohl wirklich eine besondere Mission. Wie nervig. Warum musste ausgerechnet er das machen? Shikamaru klopfte ein weiteres Mal laut an der Tür. Ihm reichte es, vor allem, weil er jetzt auch noch im Regen stand. „Hallo?“, rief er zu einem der hohen, verschmutzten Glasfenster hinauf und fragte sich erneut, warum er noch nie etwas von diesem Haus gehört hatte. Dabei fiel es definitiv auf. Selbst in der Halbdämmerung, bei den grauen Regenwolken und dem Efeu, der es verdeckte, konnte man die Pracht des Baues erkennen. Shikamarus Meinung nach glich das Haus eher einer verwunschenen Burg mitten im Wald. Die mächtigen Steinmauern, die hohen, fein ausgearbeiteten Fensterbögen, das verwitterte Holztor, das Tsunade als Tür bezeichnet hatte… “Shizune, lass uns bitte allein.“, bat die Hokage ungewohnt ernst und sah ihre Assistentin bittend an. Kurze Zeit später waren sie alleine in dem großen Büro. „Shikamaru, ich habe einen besonderen Auftrag für dich. Er ist ungewöhnlich und unterliegt der Geheimhaltung.“ Der Shinobi nickte nur schweigend, wartete lieber die weiteren Ausführungen ab. „Es geht um diese Schriftrolle hier.“, Tsunade legte ihre Hand auf eine versiegelte Rolle, „Du sollst sie überbringen.“ „Wohin?“ „Im Wald nördlich von Konoha liegt ein verstecktes Haus. Hier ist eine Wegbeschreibung, präge sie dir bitte gut ein und zerstöre sie dann.“, Shikamaru betrachtete die Zeichnung genau, merkte sich den Weg und nutzte dann ein Jutsu, um das Papier aufzulösen. „Sehr gut. Jetzt nimmt die Schriftrolle an dich und mache dich auf den Weg.“, Tsunade sah ihn ernst an, „Sprich mit niemanden über deinen Auftrag, das Haus oder dem Bewohner. Erzähle ihnen, ich habe dir einen Tag freigegeben und dich gezwungen, auszuspannen, erzähle deinen Freunden irgendetwas, nur sag ihnen nicht die Wahrheit!“ Was gab es hier schon groß zu erzählen? Ein zugegeben schönes Haus mitten im Wald. Was sollte daran besonders sein? Vielleicht ja das Innere, aber Shikamaru glaubte nicht daran, das Haus heute noch zu betreten. Nach weiteren fünf nasskalten Minuten beschloss er heimzugehen und am nächsten Tag noch einmal zurückzukehren. Als er ein paar Schritte gelaufen war, knarrte plötzlich hinter ihm die Tür. Shikamaru drehte sich um und sah gerade noch, wie sie ohne menschliche Hilfe aufschwang. Unruhig sah er sich um und überprüfte die Umgebung, doch er konnte kein feindliches Chakra ausmachen, also musterte er unschlüssig die Tür. Sollte er reingehen? Das Ganze erinnerte Shikamaru an diese Gruselromane, die seine Mutter so gerne las. Eine Tür ohne Klopfer und Klingel, die sich auch noch von ganz allein aufschwang, ein altes verkommenes Haus mitten im Wald… Allerdings glaubte er weder an Geister noch an solche gruseligen Geschichten, daher betrat Shikamaru ohne große Sorge das Haus. „Hallo? Ist hier jemand?“, auch das klang wie aus einem Roman, aber das interessierte ihn nicht sonderlich. Er war viel faszinierter von der riesigen Eingangshalle, die über und über mit Staub bedeckt war. Man konnte den Marmor noch erahnen, sich die edlen Skulpturen unter den Spinnweben vorstellen, den ursprünglichen Charme der Halle fühlen. Fasziniert betrachtete Shikamaru die geschwungene Treppe, doch ein Geräusch von einer der vielen Türen schreckte ihn auf. „Wer ist da?“, fragte er barsch, bekam jedoch keine Antwort. Doch er wusste, dass jemand hier sein musste, denn auf dem staubigen Fußboden hatte er frische Fußabdrücke entdeckt, denen er nun folgte. Nachdem er den langen Flur durchquert hatte, gelang er an eine angelehnte Tür, von der aus ein schwacher Lichtschein zu erkennen war. Vorsichtig und möglichst leise drückte Shikamaru die Tür auf und war überrascht. Er stand in einer sauberen gemütlichen Küche und wurde von einem strahlenden alten Mann begrüßt. „Herzlich Willkommen! Hat Tsunade dich geschickt?“, der Alte schien sich richtig zu freuen, „Endlich mal wieder Besuch! Möchtest du Kaffee, Tee, Sake? Ein Stück Kuchen? Eine Waffel?“ Verneinend schüttelte Shikamaru den Kopf, er brauchte einen Moment um sich wieder zu fangen. Vielleicht hatten ihn die Romane seiner Mutter doch zu sehr beeinflusst… „Ich soll Ihnen diese Schriftrolle übergeben.“, er hielt dem alten Mann die Rolle hin. „Nanu? Was will Tsunade wohl?“, fragte dieser verwundert und las die Nachricht, „Schon wieder Geld? Dieses Kind. Immer das Gleiche.“ Kind? Die Hokage? Sie sah zwar jung aus, aber Naruto hatte schon Recht, wenn er sie Oma nannte. „Ah, sie hat es dir garantiert nicht gesagt, oder?“, neugierig beugte sich der alte Mann vor, „Ich glaube nicht.“ „Was gesagt?“, fragte Shikamaru unwillkürlich zurück. „Ha! Wusste ich es. Du musst wissen, Tsunade ist meine Tochter.“, lächelnd richtete der Alte einen Teller voller Kekse, „Du fragst dich sicherlich, warum ich hier draußen wohne. Ohne Kontakt nach Konoha, ganz alleine im Wald. Nun… Ich wollte es so. Das Dorf ist mir zu groß geworden, zu viele Menschen. Ich liebe die Einsamkeit, ich liebe es den Vögeln zuzuhören, dem Rauschen des Windes in den Blättern.“ Er unterbrach sich kurz und schaute verlegen zu Shikamaru auf. „Ach, ich plappere schon wieder. Ich bin zwar gerne allein, aber jeder Mensch braucht mal Menschen, um mit ihnen zu reden.“ Da war noch vieles, das Shikamaru nicht verstand, aber er wollte nicht unhöflich sein und schwieg lieber. „Ja, ja, seit Tsunade Hokage ist, hat sie kaum noch Zeit.“, suchend kramte der alte Mann in einer Schublade und zog schließlich einen vollen Beutel hervor, „Aber für das Grab ihrer Mutter sorgt sie gut. Ah, hier ist es ja. Du musst wissen, jedes Jahr schickt sie einen verschwiegenen Shinobi vorbei, der das Geld für die Blumen abholt und der mich ein bisschen unterhält. Sie ist eine gute Tochter.“ Sanft lächelnd überreichte er Shikamaru das Geld. „Sie hat meinen Wunsch alleine zu leben nur sehr schwer akzeptiert. Und auch, dass niemand von meinem Leben hier erfahren soll. Du verrätst doch nichts, oder?“, bittend sah der alte Mann ihn an. „Nein. Das setzt mein Auftrag voraus.“, antwortete Shikamaru schlicht. „Es tut mir Leid, ich muss jetzt gehen.“ „Vielen Dank! Wenn du möchtest, kannst du jederzeit wieder vorbeikommen.“ Der Alte drückte ihm noch eine Tüte mit Keksen in die Hand. „Die Tür hier geht nicht so schwer auf, ich brauche immer Minuten, bis ich die Vordertür offen habe“, er wies auf eine kleine schlichte Holztür, „Pass auf dich auf! Und lass dir die Kekse schmecken.“ Shikamaru war völlig verblüfft. Der alte Mann, der auf ihn wie ein Wirbelsturm gewirkt hatte, stand in der Tür und winkte ihm hinterher. Tsunades Vater lebte in Konohas Wäldern. Er musste lächeln und hob dann die Hand um zurückzuwinken. Das war wirklich eine interessante Mission gewesen. Kapitel 2: Assoziation 02 - Himmelsblumen ----------------------------------------- Sofie zuckte mit den Schultern und sah ihn aus ihren katzengrünen Augen ernst an. „Wir sind tot, also, was willst du noch ändern?“ „Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Warum macht es dir nichts aus? Ich will leben.“ „Dann hättest du nichts trinken sollen. Außerdem bin ich nicht Schuld daran, dass du auch hier bist. Hättest du nicht noch versucht auszuweichen, würdest du leben.“ Fassungslos schaute Alec sie an und fragte mit deutlichem Entsetzen in der Stimme: „Was denkst du dir eigentlich? Glaubst du, ich überfahre einfach so einen Menschen? Ich mag zwar tot sein, was nicht unbedingt von Vorteil ist, aber wenigstens habe ich kein schlechtes Gewissen.“ „Warum eigentlich nicht? Immerhin hast du mich trotzdem getötet.“, erwiderte Sofie ruhig und lehnte sich auf dem Sitz zurück. „Aber… ich… wenigstens… Ach verdammt, wir sind beide tot, was soll das denn noch? Mich würde viel eher interessieren, wo wir hier sind.“ „In einer Kutsche.“ „Darauf wäre ich jetzt aber nicht gekommen, du bist wirklich genial“, genervt verdrehte Alec die Augen, „Wohin fahren wir?“ „Fahren wir überhaupt?“ Jetzt war der Schwarzhaarige irritiert. „Wir sind tot, wir sind in einer Kutsche, wir müssen irgendwohin fahren.“ Er zerrte an einem der Vorhänge, die die Fenster verdeckten, doch er konnte nicht nach draußen schauen. Enttäuscht drehte er sich zu Sofie, die ihm einen weiteren scharfen Blick zuwarf. „Wie hast du dir den Tod vorgestellt?“, fragte er sie leise. Eine Weile sah sie ihn einfach nur schweigend an, doch dann gab sie ihr Schweigen auf: „Was für eine Frage. Normalerweise stellt man sich mit 22 Jahren noch nicht seinen Tod vor.“ „Du schon.“, antwortete Alec mit fester Stimme, „So gelassen, wie du das Ganze siehst…“ „Ja, du hast Recht. Ich habe es mir schon öfters vorgestellt, wie ich sterbe und was hinterher sein wird.“ „Und?“ „Schlaftabletten. Ein sanfter schmerzfreier Tod, einfach nur einschlafen.“ „Hast du… hast du gelitten?“ „Erstaunlicherweise nein. Ich glaube, ich war sofort tot… Und du?“ „Es war ein seltsames Gefühl, ich war wach, habe alles klar wahrgenommen, aber ich hatte keine Schmerzen. Mein Körper fühlte sich taub an und dann, mit einem Mal, war alles kurz schwarz und dann war ich hier.“ „Ja, ich habe die Lichter von deinem Auto gesehen, dann war alles dunkel und ich bin hier gewesen, allein.“ „Ich frage mich nur, wo all die hübschen Engel sind, die Blumenwiese und Gott. Das klingt vielleicht albern, aber ich habe mir den Tod irgendwie immer schön vorgestellt, hell, wolkig. Jedenfalls war mein Himmel nie eine Kutsche.“, Alec lächelte leicht bei seinen alten Wunschträumen. „Eine Blumenwiese? Der Tod ist das Ende. Danach sollte nichts mehr kommen. Keine Erinnerungen, keine Gedanken, keine Kutschen, keine Wiesen, nichts.“ „Aber nichts davon erklärt, warum wir in dieser dämlichen Kutsche sitzen. Aus den Fenstern sieht man nichts, die Türen kann man nicht öffnen und aufs Klo muss ich auch.“ Sofie sah ihn aus großen Augen an und musste dann lachen: „Du musst auf Toilette? Ich dachte, wenn man tot ist, erledigt sich das von selbst.“ „Anscheinend nicht.“ „Schon gut, ehrlich gesagt habe ich dafür Hunger. Das ist doch irgendwie verrückt. Ich habe mir so oft den Tod gewünscht, einen absoluten Schlussstrich und jetzt bin ich tot, aber hungrig.“ „Warum wolltest du sterben?“, wieder stellte Alec eine schlichte und doch schwere Frage. „In meinem Leben ist zu vieles schief gelaufen. Das Übliche, nur eine weitere der vielen jungen Frauen, die mit sich selbst nicht mehr klar kommen.“ „Glaubst du, die da unten werden uns vermissen?“ „Unten? Sie könnten doch auch oben sein…“ „Also gut, glaubst du unsere Hinterbliebenen werden uns vermissen?“ „Sicherlich gibt es irgendwo irgendjemanden, dem wir fehlen.“ „Das glaube ich auch. Seltsam, über so etwas nachzudenken.“ „Du stellst vielleicht Fragen, ich glaube, du hast dir mehr Gedanken über den Tod gemacht, als ich…“ „Hm…“, antwortete Alec ausweichend, „Ich habe nur noch eine Frage.“ „Ja?“ „Warum bist du nicht noch ausgewichen? Du hast mein Auto doch schon viel früher gesehen. Wolltest du sterben?“ Sofie musste schlucken und antwortete nur sehr leise: „Eigentlich wollte ich ausweichen, aber meine Beine waren wie erstarrt, ich konnte mich nicht bewegen. Es war wohl meine Chance…“ „Okay.“ „Wie ‚Okay’?“ „Einfach nur okay, ich kann es verstehen, ich wollte es nur wissen. Zur Beruhigung für mein Gewissen.“ „Aber…“, Sofie wollte gerade zu einer Frage ansetzen, als die Kutsche sich langsam in Bewegung setzte, „Wir fahren!“ „Ja, zu Blumenwiesen und Engeln“, sagte Alec lächelnd. „Woher willst du das denn jetzt schon wieder wissen?“ „Jeder macht den Tod zu dem, was er will. Und ich will, dass wir zwei auf den Wolken rumtanzen und dort die Himmelsblumen pflücken. So einfach ist das.“ Kapitel 3: Assoziation 03 - Little Girl --------------------------------------- “Ehrlich gesagt möchte ich auch bezweifeln, dass er mich jemals anders wahrgenommen hätte, egal, wie ich mich betragen hätte.“, leise las sie sich den gleichen Satz immer und immer wieder vor. Der Autor des Buches sprach ihr aus der Seele. Es war so wahr, als ob es ihre eigenen Gedanken wäre. Gut, ihre Sprache war sicher einfach, aber der Inhalt war der Gleiche. Finn würde sie immer nur als das kleine Mädchen, seine kleine Schwester sehen, nicht als die junge Frau, die sie in der Zwischenzeit geworden war. Noch dazu war er nicht einmal ihr leiblicher Bruder. „Stella!“, rief das Objekt ihrer Gedanken gerade von unten herauf, „Essen ist fertig!“ „Komme schon…“, gemütlich schwang sie ihre Beine vom Bett runter und streckte sich erst einmal ausgiebig. „Beeil dich!“ „Jaja…“, Stella verließ ihr Zimmer gähnend und ging dann zu ihrem Stiefbruder runter in die Küche. Neugierig schaute sie ihm über die Schulter: „Was gibt’s denn heute Leckeres?“ „Tisch decken!“, gab Finn ihr zu verstehen, während er Nudeln abgoss, „Nudeln mit Schinken-Käse-Sauce und Salat.“ Schnell hatte Stella den Tisch gedeckt und den Salat angerichtet. Jetzt wartete sie nur noch auf Finn. Der stellte die Töpfe auf den Tisch und lächelte sie strahlend an. „Guten Appetit.“ Bei seinem Anblick wurde ihr ganzer Mund trocken. Er war so verdammt sexy, dieser Blick über die Brille, das mittellange schwarze Haar, dieser Mund, sein ganzer Körper. Wieder kam Stella der Satz aus ihrem Buch in den Sinn. Sie hatte alles versucht, sich jedes Mal aufgestylt, sie hatte mit ihm geflirtet, ihm eindeutige Signale gegeben, aber er hatte es jedes Mal ignoriert. „Übrigens, heute ist mal wieder eine E-Mail von Kaya und Dad gekommen.“, riss Finn sie aus ihren Gedanken. „Und, wo sind sie gerade?“ „Irgendwo in Peru, anscheinend haben sie einen großartigen Platz für Ausgrabungen gefunden. Aber du kennst ja ihre verwirrten E-Mails.“ „Ja, das stimmt…“ Stellas Mutter war Archäologin und John, Finns Vater, war ihr Ausgrabungsleiter. Die Beiden waren mehr als die Hälfte des Jahres in der Welt unterwegs und schickten ihren Kindern ab und zu mehr als nur seltsame E-Mails. Früher war Stella oft mitgereist, aber nachdem Finn ihr großer Stiefbruder wurde, blieben die beiden immer allein daheim. Das war ihr sogar lieber und sie dachte oft mit Unbehagen an die Reisen zurück. Insekten, kalter Boden, keine sanitären Anlagen, nein, sie war wirklich froh, nicht mehr auf die Ausgrabungen zu müssen. Noch dazu hatte sie jetzt Finn. Den supersüßen Finn. Verzweifelt lehnte Stella sich zurück und schaute die Decke an. Sie hatte zwar Finn, aber für ihn war sie wirklich nur eine kleine Schwester. „Alles in Ordnung?“, fragte ihr Problem schließlich nach. Nichts war in Ordnung, sie war unglücklich verliebt, wusste nicht mehr, was sie noch tun sollte und konnte sich niemandem anvertrauen. „Doch, alles okay…“, antwortete Stella leise, was sollte sie auch sonst sagen. Die Wahrheit ganz sicher nicht. „Hast du etwa Ärger in der Schule? Streit mit deinen Freunden? Liebeskummer?“, Finn gab nicht auf und fragte mit besorgter Miene nach. Fassungslos schaute Stella ihn an. Er merkte es wirklich nicht. Warum musste sie sich ausgerechnet in einen solchen Vollidiot verlieben? Jetzt benahm er sich auch noch wie ein besorgter Vater. „Liebeskummer…“, murmelte sie schließlich leise, in der Hoffnung, Finn würde eifersüchtig werden. „Hat dir jemand einen Korb gegeben?“ „Nein. Ich habe mich in jemanden verliebt, aber egal, was ich mache, er bemerkt es nicht. Er sieht mich immer nur als kleines Mädchen.“ „Als kleines Mädchen?“ „Ja, er hat noch nicht bemerkt, dass ich erwachsen geworden bin. Ich will nur ihn, niemand anderen.“, ernst schaute Stella auf ihren nachdenklichen Bruder. „Hast du es ihm schon direkt gesagt? Manche Männer merken so etwas einfach nicht…“ „Ich habe Angst, dass er mich verachtet, wenn er es erfährt, dass er nicht mehr mit mir redet.“ „Ach Stella, wenn er das macht, dann ist er es so oder so nicht wert. Sag es ihm, wenn er dich mag und sei es nur als Freundin, dann wird er nicht so reagieren.“ Schweigend saß sie auf ihrem Stuhl und sah ihren Bruder genau an. „Ist es einer aus deiner Klasse?“, fragte dieser in die Stille hinein. Stella stand langsam und ruhig auf, ging zur Tür und drehte sich dann um: „Du bist es, du Idiot.“ Dann ließ sie den überraschten und geschockten Finn allein. Schritt für Schritt ging sie die Treppe hoch und schloss sich in ihr Zimmer ein. Einen Moment blieb sie an der Tür angelehnt stehen, die Tränen kamen ihr hoch. Langsam rutschte sie runter und saß heftig schluchzend auf dem Boden. Was hatte sie nur getan? Warum? Warum… „Stella!“, Finn hämmerte laut an ihre Zimmertür, „Komm raus, Stella, wir müssen reden.“ Sie wollte jetzt nicht reden. Was brachte es schon? Sie würde für ihn immer die kleine Schwester, das kleine Mädchen bleiben. Kapitel 4: Assoziation 04 - White --------------------------------- Ohne Sprache gab es kein Denken, erinnerte sie sich, irgendwo gelesen zu haben, und versuchte, in ihrem Gehirn nur weißes Rauschen zuzulassen. Sie wollte vergessen, einfach nur vergessen und endlich in ein unendliche Tiefe des Unwissens eintauchen. Die ungeliebten Erinnerungen sollten einfach nur noch verschwinden, doch sie konnte nicht aufhören zu sprechen, nicht aufhören zu denken. Es verschwand einfach nicht, das Blut, die Leichen, sie kamen immer wieder und immer wieder. Lana schrie auf vor seelischem Schmerz, schmiss den Stuhl um, auf dem sie saß und kauerte sich in eine Wohnungsecke. Panisch riss sie die Augen auf, zwang sich nicht zu blinzeln, doch sie sah es immer noch vor sich. Ihre tote Mutter, ihrer irren Vater. Er ging mit dem Messer auf sie zu. Mit dem blutüberströmten Messer, mit dem er immer wieder auf ihre Mutter eingestochen hatte. Lana drückte sich noch tiefer in die Ecke, sie wimmerte, sie schrie angstvoll. Zwar wusste sie, dass es nicht real war, keine Bedrohung mehr war, doch auch mit den Jahren verloren diese Bilder nicht an Farbe und Wirkung. Jetzt stand er vor ihr, er holte aus, das Messer blitzte im Licht der alten Lampe auf. Sie sah in Zeitlupe, wie die Klinge auf sie zukam. Schützend hob Lana beide Arme hoch, die Tränen liefen ihr über die Wangen. „Lana!“, hörte sie eine Stimme durch den Nebel ihrer Erinnerung rufen und spürte, wie sie an den Schultern hin und her gerüttelt wurde, „Lana, komm zurück! Bitte!“ Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. Verschwommen sah sie langes blondes Haar und katzengrüne Augen. Heiser flüsterte sie: „Mia… Er war da, hier, das Messer, ich…“ Weinend ließ sie sich nach vorne fallen. Warum konnte sie nur nicht aufhören daran zu denken? Wann würde sie endlich frei sein? Lana spürte die sanfte Hand ihrer Freundin, die ihr beruhigend über den Rücken strich. Sie war so dankbar, dass sie Mia gefunden hatte. Ohne sie hätte sie schon längst aufgegeben und wäre ihre Mutter gefolgt. Schon lange. „Egal, was ich versuche, er ist immer da. Ich werde niemals meine Ruhe vor ihm haben, niemals meinen Frieden finden. Ich kann nicht mehr…“, völlig erschöpft legte Lana ihren Kopf auf Mias Schoß. Diese streichelte geistesabwesend über ihr Haar: „Denkst du wirklich daran? Bitte…“ „Ich habe aufgegeben, schon vor langer Zeit. Es gibt nicht mehr viel, das mich noch hier zurückhält.“ „Was ist mit mir? Hast du mich auch aufgegeben?“, fragte Mia leise, kaum hörbar. „Du bist es, das mich noch am Leben hält. Aber ich kann einfach nicht mehr, Mia, ich bin so erschöpft. Müde, am Ende. Ich möchte nur noch weg von hier, ewig schlafen.“, träumerisch lächelte Lana, mit ihren Gedanken in einer friedlicheren Welt. „Du darfst mich nicht allein lassen. Ich brauche dich doch.“ „Bitte, lass mich gehen.“ Sanft küsste Mia ihr Haar. Dann lehnte sie sich zurück und sah aus dem Fenster. „Wenn ich dich gehen lasse, was wird aus mir?“ „Ich weiß es nicht, ehrlich. Du bleibst hier. Findest jemand Neuen…“ „Ich will aber nur dich, Lana, niemanden sonst.“ „Es tut mir Leid, ich liebe dich, aber ich kann nicht mehr so weiterleben.“ „Dann komme ich mit dir.“ „Was?“, erschrocken richtete Lana sich auf. „Ja, du bist mir das Wichtigste, ohne dich mag ich nicht mehr. Nimm mich mit, lass uns zusammen glücklich sein.“ Sprachlos sah Lana Mia an, die aufgesprungen war und etwas suchte. Nur kurze Zeit später kam sie zurück, viele Tabletten in der Hand. „Ich habe es schon lange geahnt, also habe ich vorgesorgt.“, mit einem sanften Lächeln sah sie Lana an. Diese nickte nur schweigend und erwiderte das Lächeln müde. „Bist du dir sicher?“ „Ich will immer an deiner Seite sein.“, zärtlich strich Mia über ihr Haar. Lana ergriff die Hand ihrer Geliebten. „Bald werden alle meine Gedanken zu einem weißen Rauschen. Bald bin ich erlöst.“ „Ja… bald…“ Kapitel 5: Assoziation 05 - Angriff der ... ------------------------------------------- “Oh mein Gott!“, stieß sie atemlos hervor. „Sie kommen zu Hunderten.“ Gelangweilt drehte Pan sich um und sah Maya fragend an: „Wer denn?“ „Ameisen!“, mit wildem Blick stand sie vor ihm „Und?“, gelassen nahm er einen Schluck lauwarmen Kaffee. „Du weißt, ich HASSE diese Viecher! Sie müssen raus hier. Und du wirst mir dabei helfen!“, beide Arme in die Hüfte gestemmt, funkelte Maya ihn aus ihren giftgrünen Augen an. Pan wusste, wenn er jetzt nicht nachgab, würde sie ihn den ganzen Tag verfolgen und wütende Standpauken halten. Also stellte er mit einem Seufzer die schon leicht angeschlagene Tasse zur Seite und stand dann langsam auf. Ameisen, diese lächerlichen kleine Tiere machten dieser kleinen Kriegsgöttin Angst. Er musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen, als er sich mit dem Insektenspray auf Jagd begab. Erst eine Stunde später erlaubte Maya ihm, die Dose beiseite zulegen und seinen, in der Zwischenzeit eiskalt gewordenen, Kaffee leer zu trinken. „Danke…“, erleichtert setzte seine Verlobte sich zu ihm auf die Eckbank und kuschelte sich an ihn. Liebevoll drückte Pan ihr einen Kuss auf die zerstrubbelten roten Locken und zog sie in den Arm. Seine Tasse stand unbeachtet auf dem Küchentisch. „Ich frage mich nur, warum du so große Angst vor diesen kleinen Tierchen hast“, murmelte in ihre Lockenpracht hinein. „Das weißt du doch! Du hast den Film mit mir zusammengesehen.“ Lachend lehnte er sich zurück und drehte Mayas rosa gewordenes Gesicht zu sich: „Es war doch nur ein Film.“ Über und über rot lehnte sie sich mit dem Gesicht an Pans Brust. „Es gibt keine Killerameisen. Die waren nur animiert.“, immer noch hörte man das Lachen in seiner Stimme mitklingen. „Ich weiß ja… Aber die wirkten so real.“ „Schon gut. Aber musst du nicht bald los?“, lenkte Pan das Gespräch um. Maya warf einen Blick auf die Uhr und war im Nullkommanichts auf den Beinen. „Schon so spät? Ich werde noch zu spät kommen!“, nervös hastete sie durch die ganze Küche und suchte ihre Sachen zusammen. „Nimm mein Auto und lass dein Rad stehen, ich habe heute doch frei.“, Pan lächelte sie beruhigend an und zeigte auf das Schlüsselbrett. Als Dank dafür bekam einen sanften Kuss auf die Wange. „Davon hätte ich gerne mehr!“ „Erst heute Abend, mein Schatz.“, Maya grinste breit und nahm den Schlüssel an sich. „Was ist deine erste Stunde?“ „Biologie. Heute werden wir…“, als sie ihre Unterlagen überprüfte, wurde sie blass, „… Ameisen durchnehmen.“ Während Pan lauthals lachte, verließ Maya zähneknirschend die Wohnung. Kapitel 6: Assoziation 06 - Wein und wilde Rosen ------------------------------------------------ “Aber etwas anderes zog meine Aufmerksamkeit an, ein Geruch neben den schweren Düften des Weines und des schwelenden Holzes. Wenn ich meine Augen schloss, fühlte ich mich an eine bunte Blumenwiese erinnert, wilde Rosen, wilde Orchideen. Dann öffnete ich meine Augen und sah direkt in elfenbeinfarbene Gesicht meiner Begleiterin. „Ist bei Euch alles in Ordnung?“, fragte sie mit ihrer glockenhellen Stimme. Ich brachte kein Wort hervor, so nickte ich nur und wandte mich von mir ab. Immer weiter führte ich die üppige Blondine hinter mir in die Tiefen des Weinkellers hinab. Doch unsere Aufmerksamkeit galt nicht den vielen, unschätzbar wertvollen Weinen, die hier seit Jahrzehnten lagerten, nein, wir suchten etwas anders. Doch ihr Duft, ihre Stimme, ihre reine Anwesenheit irritierte mich. Vor vielen Jahren hatte ich das Gelübde abgelegt und war noch nie in Versuchung geraten, doch heute wankte mein Entschluss. Diese ozeanblauen Augen, die meinen Weg aufmerksam verfolgten, das blauschwarze Haar, das glänzend bei jedem Schritt auf und ab wippte, die kirschroten Lippen, eine Verführung für sich allein. Diese Frau war die reine Sünde und merkte es nicht einmal. Schwitzend lief ich voran, immer in dem unangenehmen Bewusstsein, dass sie hinter mir ihre Hüften schwenkte. „Denkt Ihr, wir haben unser Ziel bald erreicht?“, drang diese honigsüße Stimme des Teufels zu mir vor. Heiser versuchte ich Antwort zu geben, doch ich brachte nicht viel mehr als ein Krächzen hervor: „Ja, Herrin, bald. Nur noch diese Treppe.“ Wieder schweigend bahnten wir uns den Weg über die steile, feuchte Wendeltreppe. Doch plötzlich hörte ich einen schrillen Aufschrei, ich drehte mich um und konnte die die Lady hinter mir gerade noch auffangen. Ihr schönes Gesicht war direkt vor meinem, diese unglaublich blauen Augen waren vor Schreck weit aufgerissen, ihr Mund lud den meinen ein, ihn zu küssen. Wie erstarrt standen wir, uns beiden war bewusst, was geschehen würde. Langsam, ganz langsam näherten sich meine Lippen den ihren. Ich sah ihr tief in die Augen und spürte, wie sie sich mir entgegenstreckte. Vergessen war das Gelübde, vergessen war ihr Ehemann, hier, in den kalten, dicken Mauern des Kellers, zählten nur noch wir. Und wir wollten vergessen…“ „EDUARD!“, ein lauter Schrei schreckte den Mann hinter dem Schreibtisch auf. „Was ist?“, rief er, nachdem er sich wieder sortiert hatte, laut zurück. „Essen ist fertig“, in der Tür stand eine kleine zierliche Frau und sah ihn ärgerlich an, „Ich habe dich schon dreimal gerufen…“ „Es tut mir Leid, mein Schatz, aber die Arbeit…“, kleinlaut sah er auf seine Frau runter. „Jaja…“, mit hochgezogener Augenbraue sah sie ihn an, „Arbeitest du wenigstens an deinem Roman weiter?“ Verlegen schweigend sah Eduard weg. „Natürlich nicht, schon wieder eine dieser Porno-Sex-Geschichten. War ja klar.“, kopfschüttelnd drehte sie sich um und verließ das Zimmer. „Irgendwie muss ich doch Geld verdienen, Jacky!“, rief er ihr wütend hinterher. Doch seine Frau zeigte keine Reaktion, also speicherte Eduard seinen Entwurf und folgte ihr dann in die Küche zum Essen. Kapitel 7: Assoziation 10 - Tigerklaue -------------------------------------- Er gab sich ernsthaft Mühe und schien nicht zu begreifen, was für einen lächerlichen Anblick er bot. Aber Finn hatte gelernt, es immer und immer weiter zu probieren, bis er es endlich konnte. Das hatte er sich von seinem Lehrmeister Kyan abgeschaut, dem besten Tänzer des Zirkus. Schon seit Wochen übte er an diesem einen Tanz, dem Tanz, den man den Schwersten von allen nannte. Finn hüpfte von einem Bein auf das andere, schwang die Arme durch die Luft und sprang ein weiteres Mal in die Luft, nur um auf allen vieren auf dem Boden zu landen. Er ignorierte das Lachen der Kinder, die ihn zu ihrem eigenen Spaß immer und immer wieder beobachteten. Immerhin war er auch mal ein Kind gewesen und konnte ihre Langeweile gut verstehen. Aber jetzt war er schon stolze zwölf Jahre alt und zählte zu denen, die im Zirkus mitarbeiten mussten und auftreten durften. In den letzten Wochen hatte Finn schon viele Auftritte mit Kyan hinter sich gebracht, aber er wollte seinen eigenen Auftritt, er ganz alleine in der Mitte des großen Zeltes. Und er wollte nicht eine dieser Standardnummern, die jedes sechsjährige Kind vorführen konnte, nein, er wollte mehr. Darum hatte er sich diesen Tanz ausgesucht, die Tigerklaue, einen Tanz, den nicht einmal sein Meister beherrschte. Vor kurzem hatte er mit Kyan einen anderen Zirkus besucht, er hatte dort Kyans alte Lehrmeisterin kennen gelernt, Fay. Es war ein riesiger Spaß gewesen all die anderen Artisten kennen zu lernen und mit den Lehrlingen zu tanzen. Und dann durfte er auch noch eine Vorführung besuchen, in der ersten Reihe. Das war etwas ganz Besonderes gewesen. Er hatte die Anspannung der Artisten gespürt und auch den Spaß, den sie ihrem Publikum bereiteten. Aber der Höhepunkt der Aufführung, das war Fay. Sie tanzte die Tigerklaue. Finn hatte nie zuvor etwas von diesem Tanz gehört, aber er zog ihn sofort in seinen Bann und dann wusste er tief in seinem Inneren, dass er diesen Tanz beherrschen musste. Das war sein Tanz, das war ihm vom ersten Moment an klar. Plötzlich riss eine helle Stimme ihn aus seinen Erinnerungen: „Finn, so wird das nie etwas.“ „Es tut mir Leid, Meisterin Fay!“, entschuldigend sah er hoch. „Schon gut, willst du eine Pause machen?“ „Nein!“, heftig schüttelte Finn den Kopf, „Ich will doch die Tigerklaue lernen und ich möchte genauso gut werden wie du…“ Fay lachte leise auf: „Das weiß ich doch. Sonst wäre ich nicht hierher gekommen, um mit dir zu üben, mein Kleiner. Aber weißt du was, hol etwas zu trinken, dann erzähle ich dir etwas, okay?“ Eifrig nickte Finn, rannte dann zu seinem Wohnwagen und besorgte etwas zu trinken.# „Hier, Meisterin!“ „Danke. Setz dich und hör mir gut zu. Die Tigerklaue ist ein besonderer Tanz, du musst mitfühlen. Schließe deine Augen, Kleiner. Jetzt stell dir einen großen, hohen Wald vor. Die vielen grünen Bäume, die Kletterpflanzen, die kleineren dichten Büsche. Hör zu, wie der Wind mit den Blättern spielt. Höre die vielen kleinen Tiere, die quieken, rascheln, summen. Plötzlich ist es still. Du hörst nur noch ein leichtes Knacken, dann erkennst du, dass es Schritte sind. Irgendetwas nähert sich dir, majestätisch, erhaben und die Tiere fürchten es. Kannst du dir vorstellen, was es ist?“ Finn riss die Augen auf und sah seine Meisterin ehrfürchtig an: „Ein Tiger?“ „Nein, der Mensch. Vor ihm haben die Tiere Angst, er macht Geräusche beim Laufen, er zerstört den Wald.“ „Aber was hat das mit Tigerklaue zu tun?“, fragte Finn verwirrt, er verstand es nicht. „Ich zeige dir noch einmal einen Teil des Tanzes, okay? Aber du schließt die Augen und hörst genau hin.“ Wie sie ihm gesagt hatte, schloss er die Augen und lauschte. Er hörte viele Geräusche, Tiere, Menschen, den Wind, aber er hörte keine Tanzschritte. Neugierig spähte Finn unter einem Augenlid hervor, Fay tanzte wirklich, nur hörte man sie nicht. „Mach die Augen wieder auf und sag mir, was du gehört hast.“ „Alles Mögliche, aber dich habe ich nicht gehört.“ „Sehr gut. Ein Tiger ist zwar ein König unter den Tieren, aber verbreitet keine solche Furcht wie der Mensch. Er lebt mit ihnen zusammen, ist aber unhörbar.“ Fay seufzte leicht: „Es ist schwer, es zu erklären, du musst es fühlen. Du musst den Tiger verstehen, darfst ihn aber nicht bezwingen. Du und er, ihr müsst eine Einheit werden. Ich glaube, irgendwann schaffst du es, aber jetzt bist du noch zu jung.“ Finn sprang mit einem Ruck auf: „Ich werde immer und immer üben, ich werde mit dem Tiger in mir reden! Ich möchte genauso gut werden wie du!“ Dann drehte er sich ab und begann von vorne mit seiner Übung. Fay schloss die Augen und lächelte: „Du wirst besser, mein kleiner Tiger.“ Kapitel 8: Assoziation 12 - Die Katze ------------------------------------- Er packte sie mit beiden Händen um die Kehle und schüttelte sie wie einen tollwütigen Hund. Dabei war sie eine Katze. „Was tust du denn da?“, mit einem Aufschrei warf sich Azure auf ihren durchgedrehten Freund mit dem irren Blick und versuchte ihm die verstummte, getigerte Katze aus den Händen zu reißen. Doch Cyan schüttelte die kleine schwarzhaarige Frau einfach so weg. Entrüstet richtete sie sich auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Cyan Rafael Chiero!“, leise, kaum hörbar flüsterte sie diese Worte, aber es wirkte. Unsicher drehte der Angesprochene sich um, die kleine Katze zwischen seinen zwei großen Pranken miaute kläglich. „Setz das arme Ding SOFORT auf den Boden“, nur bei einem Wort wurde Azure lauter. Es war ein komisches Bild, wie die kleine rundliche Frau den großen, unbeholfenen und schon fast kläglich wirkenden Hünen vor ihr musterte. Immer noch die Fäuste in die Hüften gestemmt, zog sie eine ihrer fein gezupften Augenbrauen hoch und vertiefte damit ihren strafenden Blick. Seufzend schüttelte sie den Kopf: „Was hast du dir dabei nur gedacht, hm?“ Mit einer eher kindlichen Stimme, die überhaupt nicht zu seinem Aussehen passte, antwortete Cyan nach einem längeren Zögern: „Ich wollte dir doch helfen…“ Bei dieser Antwort änderte sich Azures vorher noch verhärteter Gesichtsausdruck innerhalb weniger Augenblicke und ein sanftes Lächeln zierte nun ihren Mund. Sie trat einen Schritt vor und legte ihre Hand beruhigend auf Cyans Arm, denn viel höher kam sie bei ihm nicht. „Schon gut“, meinte sie schließlich mit einem weiteren Seufzer, „Ich weiß ja, dass du es gut gemeint hast. Nur deine Methoden gefällt mir nicht so…“ „’Tschuldigung“, liebevoll legte der menschliche Riese seine Pranke auf ihre kleine Hand und lächelte sie verliebt an, „Aber wie willst du es denn dann machen?“ Azure erwiderte das Lächeln kurz, sah aber dann nachdenklich auf die getigerte Katze, die sich ihr Fell putzte und zwischendurch immer wieder empört miaute. „Ich hab’s!“, rief sie dann laut aus, so dass sowohl Cyan als auch die Katze erschrocken zusammenfuhren. Nachdem er sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte, folgte der Hüne ihr neugierig in die kleine Küche: „Was hast du jetzt vor?“ Doch Azure warf ihm nur zwinkernd einen Handkuss zu, vertiefte sich dann aber ganz in die Arbeit. Wie ein Wirbelwind fegte sie durch die Küche, holte hier einen Kräuterzweig und besorgte sich dort ein paar duftende Blätter. Nach einer viertel Stunde drehte sie sich mit einem hochroten Kopf und einem Breiten Lächeln um und präsentierte Cyan stolz einen Futternapf. Dieser betrachtete den Inhalt darin eher misstrauisch und fragte dann vorsichtig nach: „Und für wen ist das?“ „Na für die Katze, du Dummerle…“, kopfschüttelnd verdrehte Azure die Augen und schritt schließlich mit ihrer kostbaren Fracht zurück in das Wohnzimmer, „Hier, Jenna, für dich!“ Mit lockender Stimme rief sie die kleine Tigerin zu sich und präsentierte ihr das Futter. Diese inspizierte den Futternapf vorsichtig und nahm sich erst nach einer Weile den ersten Bissen. Doch der schien ihr so gut zu schmecken, dass sie den Rest in Windeseile aufgefressen hatte. „Sag mal, Azure, was willst du denn damit bezwecken, dass du dieses gefräßige Vieh noch weiter fütterst?“, stellte Cyan die Frage, die ihm schon in der Küche auf dem Herzen gelegen hatte. Siegessicher schmunzelte die kleine Frau ihn an: „Na was wohl?“ Ihr Strahlen wurde noch breiter, als die kleine Tiger-Katze an ihr vorbei rannte: „So kriege ich endlich meinen Ring wieder.“ „Was?“, man sah richtig, wie es bei Cyan arbeitet, bevor er endlich verstand, „Oh… Das Katzenklo…“ „Ja, du hast es erkannt, mein Schatz“, suchend kramte sie in einer der Schubladen, bis sie endlich ein paar Handschuhe hervorholte, „Na dann, ich hole mir jetzt meinen Verlobungsring zurück!“ Entschlossen hob Azure die Hand und folgte der Katze. „Na gut…“, seufzte Cyan und setzte sich mit der Fernbedienung in der Hand auf die Couch, „Viel Spaß, Süße…“ Kapitel 9: Sonderaktion - Lost World ------------------------------------ Mit geübtem Blick überprüfte Tomas die Wüste die vor ihm lag und nickte dann zufrieden. So wie es schien, waren sie allein und somit in Sicherheit. Er wusste, er sollte zurück in das Hauptquartier, aber er konnte es noch nicht, er musterte noch einmal die unendliche Weite die vor ihm lag und konnte den Seufzer nicht unterdrücken. Heute waren es auf den Tag genau zehn Jahre her. Vorsichtig zog Tomas ein vergilbtes Papier aus der Tasche, dem man ansah, wie oft er es in den letzten Jahren schon angesehen hatte. Als er das Bild betrachtete, stiegen ihm Tränen in die Augen. So sah es früher aus, Wasser, Bäume, Berge, einfach wunderschön, kein Vergleich zu heute. „Vater!“, erschrocken zuckte der Gerufene zusammen und drehte sich um. „Luna, musst du dich so anschleichen?“ Verlegen grinste das zierliche Mädchen ihn an: „Tut mir Leid, aber wir haben uns alle Sorgen gemacht, wo du bleibst.“ Mit einem lauten Plumps ließ sie sich neben ihn fallen. Neugierig schielte sie auf das Bild in Tomas’ Hand. „Was hast du da, Vater?“ Er hatte schon mit dieser Frage gerechnet, immerhin hatte er Luna aufgezogen und kannte ihre ungeheuer große Neugierde. „Das hier?“, lächelnd sah er zu ihr runter, „Das ist ein Bild von der Welt, wie sie früher war. Vor langer Zeit.“ „Früher?“, verwirrt schaute sie ihn an, „Heißt das, die Wüste sah mal anders aus?“ Nachdenklich hob Tomas seinen Blick und sah in den wolkigen Himmel auf. „Ja, vor zehn Jahren sah die Welt so aus…“ Mit großen Augen betrachtete Luna das Bild und knabberte an ihrer Unterlippe, wie immer, wenn sie etwas nicht ganz verstand. „Was ist das?“, mit einem Finger zeigte sie auf den Wald. „Bäume, Wald…“, Tomas musste schlucken, das Mädchen und auch die anderen Waisen, die er nach diesem großen Unglück aufgezogen hatten, mussten auf so viele verzichten, alles, was sie kannten, waren die zerstörten Städte, die Wüste und den ständig grauen Himmel, „Früher gab es überall unterschiedliche Bäume. Linden, Ahorn, Tannen, Fichten, Eichen… Kirschbäume und so viele mehr.“ Eng schmiegte Luna sich an ihn und sah zu ihm hoch: „Erzähl mir mehr darüber. Was ist passiert? Wohin sind die Bäume verschwunden?“ „Vor zehn Jahren sah fast die ganze Erde so aus. Es gab Ozeane, die voll mit Wasser waren…“ „So wie auf dem Bild hier?“, fragend deutete das Mädchen auf den See. „Nein, noch viel mehr Wasser, das hier ist nur ein kleiner Teil davon“, Tomas lächelte leicht, „Aber es gab auch da schon die Wüste. Nur war sie viel kleiner als heute. Hier, wo wir jetzt sitzen, war früher dieser See von dem Bild und die Berge.“ „Aber wo ist das Ganze hin?“ „Es gab einen Krieg. Damals lebten Millionen, nein, Milliarden von Menschen auf der Erde und einige davon haben einen Krieg ausgelöst.“ Immer heftiger knabberte Luna an der Unterlippe: „Was ist ein Krieg?“ „Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Viele Menschen kämpfen gegeneinander.“ „Haben die etwas Superkräfte, dass sie die ganzen Bäume und die Berge und den See zerstören konnten?“, gespannt und aufgeregt sah sie ihn an und Tomas musste bei diesem Blick laut lachen. „Nein, Kleines, Superkräfte haben sie keine“, immer noch schmunzelnd strich er ihr über das weiche Haar, „Aber Super-Waffen. Waffen, die die ganze Erde zerstört haben.“ Schweigend betrachtete Luna das Bild. Dann gab sie es Tomas zurück und gab ihm einen Kuss auf die Wange: „Ich bin froh, dass wir dich haben. Bleib nicht zu lange hier oben, die anderen vermissen dich schon, Vater.“ Dann ging sie winkend davon. Tomas sah ihr hinterher und wandte dann den Blick wieder nach vorne. Nachdem er sicher war, dass sie weg war, sackte er ganz in sich zusammen und lachte bitter auf. Ja, ein Glück, dass die Kinder ihn hatten. Kopfschüttelnd sah er auf den Boden. Kein Glück, nichts… Er war schuld, er hatte die Zerstörung eingeleitet, er hatte an der Waffe gesessen, er hatte sie aktiviert, er, Leutnant Tomas D. Johnson. Alles war seine Schuld. Mit einem Wutschrei zerriss er das Bild. Was brachte diese Erinnerung? Er musste lernen, in der Gegenwart zu leben und er musste seinen Schützlingen endlich die Wahrheit sagen. Ihnen alles erzählen, alles… Langsam stand er auf und klopfte den Sand von seinen Hosen. Tief durchatmend ging er zu den Treppen ihres Quartiers. Es war an der Zeit für die Wahrheit, die ganze Wahrheit. Kapitel 10: Assoziation 14 - Wild Night --------------------------------------- Ihre weiche, fleischige Hand war warm, und ihre Augen ruhten wohlwollend auf ihm. „Keine Sorge, mein Süßer, ich kümmere mich schon um dich“, beruhigend sprach sie mit ihrer tiefen Stimme auf ihn ein, er konnte ihren Atem und ihre Lippen dicht an seinem Ohr fühlen. Er schloss die Augen, wollte sie nicht sehen, wollte ihrem stechenden Blick entkommen, doch statt beruhigender Schwärze sah er nur ihr breites Lächeln. Diese Frau war irre. Das war ihm schon bei ihrem gemeinsamen Abendessen bewusst geworden. Warum hatte er sich von Kay nur zu diesem Schwachsinn überreden lassen? Blinddate, schneller Sex, One-Night-Stand. Klasse. Einfach nur klasse. Anfangs, ja, da lief ja auch noch alles gut. “Entschuldigung, sind Sie Ty?“, lächelnd stand sie vor ihm. „Ja, und Sie sind dann wohl Brianna?“, eilig stand der junge Mann auf und erwiderte das Lächeln. Nicht schlecht, die Kleine, definitiv nicht schlecht. Kurven, er stand auf Kurven, tiefblaue Augen und dann diese Lippen. Hoffentlich ergab sich daraus noch mehr als dieses eine Date. Es schien so, als hätte Kay dieses eine Mal richtig gelegen. Von wegen, dieser Idiot lag falsch, falscher, am untersten Ende der Falschheits-Skala. Hinter dem süßen Lächeln verbarg sich ein richtiges Biest, ein Monster. Ty musste schlucken. So ungern er es sich eingestand, er hatte Angst. Vor dem Tod, vor Brianna und beim Anblick des Messers auch Angst davor, ein paar wichtige Körperteile zu verlieren. Sanft, es erschien ihm geradezu unwirklich, strich sie mit der Klinge seinen Oberkörper entlang. „So einen Süßen, wie dich, habe ich schon lange nicht mehr…“, sie unterbrach sich kurz und legte eine Hand an seine Wange, „… Das verrat ich dir noch nicht.“ So hell wie eine Glocke ertönte ihr Lachen und trieb ihm die Tränen in die Augen. Irre, diese Frau war einfach nur Irre. Gerne hätte er ihr das in Gesicht geschrien, doch der Knebel hinderte ihn daran. Geknebelt, gefesselt, hilflos. “Danke für das Essen.“ Zitternd standen die Beiden vor dem Restaurant und sahen sich an. „Gerne“, mit einem breiten Lächeln antwortete Ty und sagte die Wahrheit. Es war ein angenehmer Abend gewesen, entspannt, mit viel Spaß und Lachen. Er mochte die junge Frau wirklich. „Ähm… Ty…, kommst du mit mir? Auf… auf einen Kaffee?“, verlegen blickte Brianna bei diesen Worten auf den Boden. Ja, das war er, der Jackpot. Mühevoll ein triumphierendes Grinsen unterdrückend nickte er, scheinbar genauso nervös wie sie. Dann gingen sie Hand in Hand langsam zu ihrer Wohnung um die Ecke. Wenn er darüber nachdachte, war das hier eher die Hölle und keine normale Wohnung. Er zerrte noch einmal versuchsweise an den Handschellen, hatte die Hoffnung aber eigentlich schon aufgegeben. „Süßer“, wieder hauchte sie ihm leise in das Ohr, „Süßer, ich hab noch eine Überraschung für dich.“ Was jetzt noch? Wollte sie jetzt etwas endgültig… Oh Gott… Ruhig saß er auf dem Stuhl und sah ihr dabei zu, wie sie nervös mit dem Kaffee rumhantierte und ihn schließlich in zwei Tassen goss. Mit zittrigen Händen transportiere Brianna das heiße Getränk vorsichtig zum Tisch und stellte Ty eine Tasse hin. „Oh, willst du Milch?“ „Nein, danke“, kopfschüttelnd lehnte er ab. „Ich schon, schwarzer Kaffee schmeckt mir nicht“, während sie ihm das erklärte, durchsuchte sie schon den Kühlschrank, „Ah, hier…“ Die Milch schon fast triumphierend in der Hand schwenkend, drehte sie sich um, machte einen Schritt auf ihn zu, flog über ihre eigene Handtasche und goss Ty dann die Milch über seine Hose. „Oh nein, es tut mir so Leid!“, panisch, nervös sprang sie durch die Küche und versuchte mit Küchenrolle das Unglück zu beseitigen. „Schon okay…“, die Hose würde er ja so oder so hoffentlich bald loswerden, „Lass mich das machen.“ Wie ein Häufchen Elend sah sie ihm dabei zu, wie er die Hose trocken rieb. „Das macht wirklich nichts, gar kein Problem“, versuchte er sie zu beruhigen und legte das nasse Küchenpapier zur Seite, um einen Schluck Kaffee zu nehmen. „Es tut mir wirklich Leid.“ Lächelnd sah er sie an, musste eine Gähnen unterdrücken: „Es… es gibt Schlimmeres.“ Irgendwie sah er plötzlich alles so verschwommen, warum denn nur? „Schlaf gut, Süßer…“ Schlafmittel, eine Irre, Fesseln. Okay, darauf stand er absolut nicht. Ganz und gar nicht. „Süßer, da bin ich wieder!“ Er würde nicht auf sie reagieren, nein, er würde die Augen geschlossen halten. „Ich hab dir etwas mitgebracht, das wird dir gefallen…“ Erschrocken zuckte er zusammen, als sie seinen Knebel löste und öffnete erstaunt die Augen. „May!“, heiser und erstaunt rief er diesen Namen aus. War das wirklich seine Ex-Freundin? Nein, das konnte nicht sein, sollte das etwa heißen, dass… „Hallo Ty, lange nicht mehr gesehen. Darf ich vorstellen? Das hier…“, mit einer ausholenden Geste deutete May auf Brianna, „Das hier ist meine beste Freundin, Tara.“ „Was geht hier vor?“, wütend versuchte er sich aufzusetzen, doch die Fesseln hinderten ihn daran. „Ich hatte noch eine Rechnung mit dir offen. Bitte lächeln!“, schnell zog May eine Kamera hervor und machte ein Foto, „Perfekt. Das hier wirst du schon ziemlich bald an sämtlichen schwarzen Brettern der Uni bewundern können.“ Entsetzt sah Ty sie ihr hinterher, als sie mit einem gekonnten Hüftschwung das Zimmer verließ, nur um dann hilfesuchend zu Brianna, nein, zu Tara zu schauen. „Weißt du, Süßer, wenn sie nicht meine beste Freundin wäre und du nicht so ein mieses Arsch wärst…“, zuckersüß lächelte sie ihn an und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, „Ich war so frei, deinen Freund, Kay, anzurufen. Er wird dich hier sicher bald befreien. Bis bald, Süßer!“ Leise lachend und ihm zuwinkend verließ sie das Zimmer und ließ ihn, immer noch hilflos gefesselt zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)