A dream beyond words von Chimi-mimi (Assoziatives Schreiben) ================================================================================ Kapitel 7: Assoziation 10 - Tigerklaue -------------------------------------- Er gab sich ernsthaft Mühe und schien nicht zu begreifen, was für einen lächerlichen Anblick er bot. Aber Finn hatte gelernt, es immer und immer weiter zu probieren, bis er es endlich konnte. Das hatte er sich von seinem Lehrmeister Kyan abgeschaut, dem besten Tänzer des Zirkus. Schon seit Wochen übte er an diesem einen Tanz, dem Tanz, den man den Schwersten von allen nannte. Finn hüpfte von einem Bein auf das andere, schwang die Arme durch die Luft und sprang ein weiteres Mal in die Luft, nur um auf allen vieren auf dem Boden zu landen. Er ignorierte das Lachen der Kinder, die ihn zu ihrem eigenen Spaß immer und immer wieder beobachteten. Immerhin war er auch mal ein Kind gewesen und konnte ihre Langeweile gut verstehen. Aber jetzt war er schon stolze zwölf Jahre alt und zählte zu denen, die im Zirkus mitarbeiten mussten und auftreten durften. In den letzten Wochen hatte Finn schon viele Auftritte mit Kyan hinter sich gebracht, aber er wollte seinen eigenen Auftritt, er ganz alleine in der Mitte des großen Zeltes. Und er wollte nicht eine dieser Standardnummern, die jedes sechsjährige Kind vorführen konnte, nein, er wollte mehr. Darum hatte er sich diesen Tanz ausgesucht, die Tigerklaue, einen Tanz, den nicht einmal sein Meister beherrschte. Vor kurzem hatte er mit Kyan einen anderen Zirkus besucht, er hatte dort Kyans alte Lehrmeisterin kennen gelernt, Fay. Es war ein riesiger Spaß gewesen all die anderen Artisten kennen zu lernen und mit den Lehrlingen zu tanzen. Und dann durfte er auch noch eine Vorführung besuchen, in der ersten Reihe. Das war etwas ganz Besonderes gewesen. Er hatte die Anspannung der Artisten gespürt und auch den Spaß, den sie ihrem Publikum bereiteten. Aber der Höhepunkt der Aufführung, das war Fay. Sie tanzte die Tigerklaue. Finn hatte nie zuvor etwas von diesem Tanz gehört, aber er zog ihn sofort in seinen Bann und dann wusste er tief in seinem Inneren, dass er diesen Tanz beherrschen musste. Das war sein Tanz, das war ihm vom ersten Moment an klar. Plötzlich riss eine helle Stimme ihn aus seinen Erinnerungen: „Finn, so wird das nie etwas.“ „Es tut mir Leid, Meisterin Fay!“, entschuldigend sah er hoch. „Schon gut, willst du eine Pause machen?“ „Nein!“, heftig schüttelte Finn den Kopf, „Ich will doch die Tigerklaue lernen und ich möchte genauso gut werden wie du…“ Fay lachte leise auf: „Das weiß ich doch. Sonst wäre ich nicht hierher gekommen, um mit dir zu üben, mein Kleiner. Aber weißt du was, hol etwas zu trinken, dann erzähle ich dir etwas, okay?“ Eifrig nickte Finn, rannte dann zu seinem Wohnwagen und besorgte etwas zu trinken.# „Hier, Meisterin!“ „Danke. Setz dich und hör mir gut zu. Die Tigerklaue ist ein besonderer Tanz, du musst mitfühlen. Schließe deine Augen, Kleiner. Jetzt stell dir einen großen, hohen Wald vor. Die vielen grünen Bäume, die Kletterpflanzen, die kleineren dichten Büsche. Hör zu, wie der Wind mit den Blättern spielt. Höre die vielen kleinen Tiere, die quieken, rascheln, summen. Plötzlich ist es still. Du hörst nur noch ein leichtes Knacken, dann erkennst du, dass es Schritte sind. Irgendetwas nähert sich dir, majestätisch, erhaben und die Tiere fürchten es. Kannst du dir vorstellen, was es ist?“ Finn riss die Augen auf und sah seine Meisterin ehrfürchtig an: „Ein Tiger?“ „Nein, der Mensch. Vor ihm haben die Tiere Angst, er macht Geräusche beim Laufen, er zerstört den Wald.“ „Aber was hat das mit Tigerklaue zu tun?“, fragte Finn verwirrt, er verstand es nicht. „Ich zeige dir noch einmal einen Teil des Tanzes, okay? Aber du schließt die Augen und hörst genau hin.“ Wie sie ihm gesagt hatte, schloss er die Augen und lauschte. Er hörte viele Geräusche, Tiere, Menschen, den Wind, aber er hörte keine Tanzschritte. Neugierig spähte Finn unter einem Augenlid hervor, Fay tanzte wirklich, nur hörte man sie nicht. „Mach die Augen wieder auf und sag mir, was du gehört hast.“ „Alles Mögliche, aber dich habe ich nicht gehört.“ „Sehr gut. Ein Tiger ist zwar ein König unter den Tieren, aber verbreitet keine solche Furcht wie der Mensch. Er lebt mit ihnen zusammen, ist aber unhörbar.“ Fay seufzte leicht: „Es ist schwer, es zu erklären, du musst es fühlen. Du musst den Tiger verstehen, darfst ihn aber nicht bezwingen. Du und er, ihr müsst eine Einheit werden. Ich glaube, irgendwann schaffst du es, aber jetzt bist du noch zu jung.“ Finn sprang mit einem Ruck auf: „Ich werde immer und immer üben, ich werde mit dem Tiger in mir reden! Ich möchte genauso gut werden wie du!“ Dann drehte er sich ab und begann von vorne mit seiner Übung. Fay schloss die Augen und lächelte: „Du wirst besser, mein kleiner Tiger.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)