Frei wie ein Vogel von Kilala- (Erste FF) ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Die Nacht brach herein und der Wald verfinsterte sich gänzlich. Auch wenn sie aus Angst, dass Konrad sie doch irgendwie einholen würde, am liebsten noch weiter gerannt wäre, musste sie eine Rast einlegen. Sie wusste nicht, wie lange sie schon gerannt war, sicher war nur, dass sie kaum noch Luft bekam und ihr Herz zu zerspringen drohte. Nach Luft ringend lehnte sie sich mit ihrem Rücken an einen Baum und ließ sich auf den Boden nieder. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie den Dolch, mit dem sie Konrad verletzt hatte und an dem immer noch sein inzwischen getrocknetes Blut klebte, mit ihrer Hand krampfhaft festhielt. Als sie ihre Hand schmerzend öffnete fiel der Dolch zu Boden und landete senkrecht im Waldboden. Schweigend saß sie eine ganze Weile da und wartete darauf, dass die Kälte ihren Körper zu lähmen begann. Schlafen konnte sie nicht, jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, hatte sie die Bilder des vergangenen Tages vor sich. Erst sah sie Ulrich leblos und blutend am Boden liegen, dann direkt neben ihm ihre Eltern. Das Blut der drei floss zusammen und ergab einen scheinbar niemals enden wollenden Blutstrom, der so stark war, dass sie von ihm mitgerissen wurde und zu ertrinken drohte. Jedes Mal erwachte sie schweißgebadet und nach Luft japsend. Es dauerte ein wenig, bis sie wieder normal atmen konnte und im Wald wieder Stille einkehrte. Zu mindestens schien es zuerst so, doch als sie genau hinhörte, konnte sie die unzähligen Geräusche des Waldes und seiner nachtaktiven Bewohner wahrnehmen. Verwundert musste sie feststellen, dass der Wald auch nachts voller Leben ist und beobachtete eine kleine Spitzmaus, die im Unterholz nach Insekten suchte. Lächelnd sah sie dem kleinen Wesen dabei zu und vergaß dabei alles um sich herum. Doch plötzlich, wie aus dem Nichts, flog eine Eule geräuschlos auf das Mäuschen herab und packte diese, noch bevor die Maus die Eule bemerkte. Die Maus war sofort tot und die Eule schleppte sie fort zu einem geeigneten Platz, an dem sie sie fressen konnte. Ella, die das ganze ohne Regungen mit angesehen hatte, schossen jetzt die Tränen in die Augen und sie fragte sich warum die Welt so grausam war. Konnten nicht alle Lebewesen friedlich miteinander auskommen, ohne sich gegenseitig zu töten? Das schien leider nicht der Fall zu sein, ihre eigene Situation bewies ihr das schmerzlich, sie zog ihre Beine nahe an sich heran und legte den Kopf auf ihre Knie. Die Eule hatte sie aus ihrer Abwesenheit zurück ins hier und jetzt geholt und sie dachte daran, was sie nun tun sollte. Verwandte hatte sie keine mehr und die Einzigen, die sie außer ihrer Familie kannte, waren die Leute aus dem Dorf. Allerdings konnte sie auf keinen Fall zurück, davon abgesehen, würde sie keiner aufnehmen können, oder vielmehr aufnehmen wollen. Ihr Blick wanderte verloren über den Waldboden und blieb am Dolch hängen. Sie sah ihn nun genauer an. Er war sicher teuer gewesen, denn die Klinge war sehr scharf und blank, Griff und Knauf waren vergoldet und reich mit Ornamenten und einem sehr auffälligem und prunkvollen Falkenkopf verziert. Sie wollte ihn zuerst tief in den Wald hineinschleudern, um ihn nie wieder sehen zu müssen, doch starrte sie seine blanke Klinge an und nahm ihn in beide Hände. Mit ruhiger Hand setzte sie ihn an ihre linke Brust, ohne viel Druck auszuüben, schnitt er mit Leichtigkeit ihre Haut ein und ein Tropfen warmes Blut lief heraus. Sie verstärkte den Druck noch etwas und ein Teil der Spitze drang ins Fleisch ein. Für einen Moment hielt sie inne und schloss die Augen. Wäre es nicht besser, gleich zu sterben, als elendig zu verhungern oder zu erfrieren? Ja!, schrie es in ihr und sie wollte den die Spitze der Klinge sofort ihr Herz durchbohren lassen, als sie das Geheul eines Wolfes vernahm. Erschrocken riss sie die Augen auf und versuchte etwas in der Dunkelheit erkennen zu können, doch sie sah nichts. Wieder ertönte das Geheul, erleichtert stellte sie fest, dass der Wolf, der sie so erschrocken hatte, noch weit weg zu sein schien. Der Wald wurde auf einmal heller und sie sah hinauf zum Himmel, wo der klare Vollmond, der die ganze Zeit von Wolken verdeckt gewesen war, in seiner ganzen Pracht schien. Unbewusst nahm sie die Klinge aus ihrer Brust, ein kleiner, schnell versiedender Blutstrom ergoss sich aus der Wunde und sie legte den Dolch wieder beiseite. Irgendetwas in ihr hinderte sie daran, sich selbst zu töten, dabei wusste sie nicht, ob es daran lag, dass sie Angst vor den Schmerzen oder dem Tod hatte, oder daran, dass Selbstmord eine Sünde war und sie deswegen ins ewige Fegefeuer fahren würde. Die Frage ließ ihr keine Ruhe, lange beschäftigte sie sich damit, warum sie noch an ihrem kümmerlichen Rest Leben hing und wie es nun weitergehen sollte. Kaum merklich, aber stetig, ging die Sonne auf und es wurde heller im Wald. Die Dunkelheit wich dem Licht und alles änderte seine Gestalt. Etwas schwach auf den Beinen erhob sie sich und streckte sich etwas. Fast alles an ihr tat ihr weh, sie fühlte sich steif und verspürte großen Hunger. Kein Wunder, sie hatte seit gestern Morgen nichts mehr gegessen. Unruhig wanderte ihr Blick durch ihre nähere Umgebung. Als sie den Platz musterte an dem sie die Nacht verbracht hatte, fiel ihr der Dolch, der auf dem Boden lag, auf und sie nahm ihn wieder an sich. Man konnte ja nie wissen, ob er ihr nicht noch einmal nützlich sein würde. Ohne viel darüber nachzudenken, steckte sie ihn in einen ihrer Ärmel, so war er vor fremden Blicken geschützt und der Überraschungsmoment, wenn sie den Dolch hervorholen würde müssen, hoffentlich auf ihrer Seite. Sie atmete noch einmal tief durch, sie war immer noch wie betäubt, doch hier sitzen bleiben und auf ihr Ende warten wollte sie auf keinen Fall, müde und erschöpft setzte sie einen Fuß vor den anderen. Als die Sonne hoch oben am Himmel stand, erreichte Ella eine Straße, die mitten durch den Wald führte. Ohne groß darüber nachzudenken folgte sie der Straße und gelangte schon nach 2 Stunden Fußmarsch an eine kleine Kirche, die sich etwas abseits der Straße befand. Neben ihr standen noch ein kleiner Stall aus Holz und ein etwas größeres Haus. „Eine Kirche!“, sagte sie mit zittriger Stimme. Die Kirche sah sehr schäbig aus und einige Raben hatten es sich auf ihrem Dach gemütlich gemacht, dennoch lief sie zielstrebig auf das kleine Gotteshaus zu und öffnete die Tür. Drinnen war es dunkel, es roch nach vermodertem Holz und das Kreuz, dass am Ende des Raumes an der Wand hing, war ebenso schlicht und veraltet, wie der Rest. Trotzdem fiel sie vor dem Kreuz auf die Knie, faltete die Hände und betete für das Seelenheil ihrer Familie. Sie verbrachte den ganzen Nachmittag kniend in der Kirche, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben. Sie hätte dort noch ewig verweilt, doch riss sie die knarrende Tür aus ihren Gedanken. Erschrocken drehte sie sich um, die Hand schon an ihrem Ärmel auf dem Dolch ruhend, als sie erkannte, dass es der Pater sein musste, entspannte sie sich ein wenig und schaute ihn schweigend an. „Mein Kind, was tust du hier?“, fragte der Pater sie, als er sie sah. Als er sie genauer musterte, dachte er, dass der Leibhaftige selbst hinter ihr hergewesen sein musste, da sie so gehetzt aussah. Noch auffälliger waren ihre Augen, sie spiegelten viel Leid und Schmerz wieder und suchten verzweifelt nach Trost und Hoffnung. Ohne, dass sie etwas dagegen hätte untenehmen können, schossen ihr die Tränen in die Augen und ergossen sich über ihre Wangen. Wenn sie hier, so nahe bei Gott und seiner Barmherzigkeit, keinen Trost und Hilfe finden würde, dann würde sie es nirgends wo finden! Der Pater sah ihre Tränen und kam langsam auf sie zu, blieb vor ihr stehen und legte seine Hand auf ihren Kopf. „Sei unbesorgt mein Kind…hier wird es dir besser ergehen.“, sagte er mit ruhiger Stimme. Lächelnd, sah er auf sie herab. „Ich bin Pater Paulus…Bitte folge mir, ich werde dir etwas zu Essen und Schutz gewähren.“ Er half ihr beim Aufstehen, gemeinsam verließen sie die kleine Kirche und gingen in das größere Nebengebäude. Drinnen war es durch das brennende Feuer wohlig warm und der Eintopf, der überm Feuer köchelte, verströmte einen so verführerisch leckeren Geruch, dass Ella das Wasser im Munde zusammen lief. „Setze dich mein Kind.“, sagte der Pater, während er auf einen kleinen Hocker in der Nähe des Feuers zeigte. Ella zögerte nicht und setzte sich, die Wärme tat ihr gut und sie merkte, wie ihre steifen Glieder wieder geschmeidig wurden. Im nächsten Moment kam Pater Paulus mit einer Holzschüssel, die mit dem herrlich duftenden Eintopf, gefüllt war, auf sie zu und übergab ihr die Schüssel. „Hier! Das wird dir gut tun.“, sagte er wieder lächelnd. Sie nahm die Schüssel dankend entgegen und zwang sich, den Inhalt nicht allzu gierig zu essen. Noch bevor sie etwas sagen konnte, nahm ihr Pater Paulus die Schüssel ab und füllte sie erneut. Ella sah ihn gerührt an. „Ihr seid so gut zu mir… Ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken soll.“, sagte sie wieder den Tränen nahe. „Mein Kind, es ist doch selbstverständlich, dass ich dir helfe. Und dein Dank ist mir genug.“ Er überreichte ihr die volle Schüssel und ging wieder zum Feuerplatz zurück. Dort nahm er den großen Kessel vom Feuer, hängte einen kleineren Kessel auf und fügte ein paar Kräuter hinzu. „Ich werde dir noch einen Kräutertrunk brauen, er wird dir wieder neue Kraft verleihen.“, sagte er zuversichtlich und ein hämisches Grinsen umspielte seine Lippen. Ella, die inzwischen aufgegessen hatte, sah ihm dabei neugierig zu. „Sag, was ist dir eigentlich widerfahren?“ Sie seufzte kummervoll und versuchte die Fassung zu bewahren. „Wir konnten die Abgaben an den Grafen nicht aufbringen…“, sie machte eine kleine Pause und schaute auf ihre Hände, die sie auf ihrem Schoß gefaltet hatte. „Meine Eltern und mein Bruder wurden getötet… ich konnte knapp entkommen.“, nun sah sie ihn ängstlich an. „Ihr werdet mich jetzt doch nicht fortjagen, oder?“, fragte sie verzweifelt. Pater Paulus füllte einen Becher mit dem Gebräu und drehte sich zu ihr um. „Natürlich nicht…“, wieder sprach er mit ruhiger Stimme und übergab ihr den Becher. „Trink das… Es wird deinem Körper gut tun.“ Ohne zu zögern nahm sie den Becher entgegen, pustete vorsichtig hinein und nahm einen großen Schluck. Paulus beobachtete sie aus seinem Augenwinkel. „Trink schön aus, mein Kind…“ Ella ließ die Hälfte im Becher, denn der Trunk war so bitter, dass sie sich zusammenreißen musste, damit sie die übel schmeckende Flüssigkeit nicht sofort wieder ausspuckte. „Hast du alles ausgetrunken?“, fragte Pater Paulus neugierig. Ella nickte nur und sah beschämt in ihren Schoß, jetzt hatte sie sogar schon einen Mann Gottes angelogen. Sie nahm sich fest vor dafür Buße zu tun, indem sie mindestens 20 das Vater Unser sprechen würde. Pater Paulus ging zu einer Truhe, holte sich noch einen Hocker und setzte sich Ella gegenüber. „Lass mich deine Wunden sehen, ich werde sie versorgen.“, während er das sagte stierte er auf die Stelle auf ihrem Kleid, wo ein kleiner Blutfleck zu sehen war. „Das braucht Ihr nicht, es ist nichts ernstes.“, antwortete sie leicht verlegen. Pater Paulus ließ sich jedoch nicht von seinem Vorhaben abbringen, legte seine rechte Hand auf ihre linke Brust und drückte diese stöhnend. „Du bist sehr üppig, das muss man dir lassen.“ Erschrocken wich Ella zurück, schlug seine Hand weg und sprang auf. Als sie aufrecht stand, wankte sie ein wenig und musste die Hand an die Stirn legen. Ihr war komisch zu mute, alles drehte sich auf ein Mal und ihr wurde unnatürlich heiß. „Wa…was geschieht mit mir…?“, fragte sie fassungslos. Paulus grinste überheblich und erhob sich langsam. „Ihr dummen, dummen Mädchen…“, lachte er. „So schrecklich naiv, ihr seid selber Schuld, wenn man sich Eurer bedient und euch dann einfach entsorgt.“ Seine Worte trafen sie wie ein Blitz. Konnte das möglich sein? Wollte er sich an ihr vergehen? „A…aber ihr seid doch ein Mann Gottes!“, schrie sie ihm verzweifelt entgegen. Pater Paulus nachte nur höhnisch. „Ja eben! Ein Mann! Und ein Mann kann der lieben Fleischeslust halt nicht für lange entsagen.“ Er machte einen schritt auf sie zu. „Ihr dummen Weiber macht es mir aber auch nur zu leicht… Es bedarf nur ein klein Wenig des betäubenden Gebräus und man kann mit euch anstellen, was das Herz begehrt. Euch dann noch den Rest zu geben und im Wald zu verscharren ist kein Kunststück.“ Die Welt schien völlig aus den Rudern zu geraten. Das Elend, begonnen mit den Missernsten, breitete sich immer weiter aus und schien das ganze Land samt ihrer Bewohner zu verderben. Ihr konnte nun noch nicht ein Mal mehr die Kirche Trost und Schutz gewähren, im Gegenteil, sie trug ihren Teil zu Ellas Untergang bei. Plötzlich riss sie etwas aus ihrer Abwesenheit, es war Pater Paulus, der sie am Arm gepackt hatte. „Und nun zier dich nicht…“ „Nein… es… es reicht…“, murmelte sie leise vor sich hin. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie in dieser grausamen Welt ganz auf sich allein gestellt war und dass sie niemanden mehr trauen konnte. Es lag nun an ihr, ihr Schicksal zu ändern, denn sie wollte sich dem Schicksal und ganz besonders Pater Paulus nicht kampflos hingeben. Ruckartig riss sie sich los und geriet kurz ins Wanken, als sie ihr Gleichgewicht einigermaßen wieder gefunden hatte, zog sie den Dolch hervor und ließ die blitzende Klinge durch sein Gesicht fahren. Pater Paulus schrie sofort vor Schmerz auf, ging in die Knie und hielt sein Gesicht mit den Händen verdeckt. „Mein Gesicht, du elendes Miststück…“, brüllte er. Ohne zu zögern stürmte sie zur Tür und hinaus, die Schmerzensschreie und Flüche hörte sie gar nicht mehr. Sie konnte nun an nichts anderes mehr denken, als an Flucht und der einzige Ort, der ihr einfiel war der Wald. Das Gebräu entfaltete seine volle Wirkung und Ella stolperte, als sie gerade im Dickicht verschwunden war. Ihr ganzer Körper wurde taub und ihre Glieder gehorchten ihr nicht mehr. Wenn sie so jemand finden würde, wäre sie völlig hilflos. Die Tränen liefen ihr in den Augen zusammen, mühsam konnte sie sich an einem Baum hochziehen und stand nun auf zitternden Beinen. Nun wurde auch ihr Augenlicht schwächer und sie bekam einen Tunnelblick. Doch trotzdem schleppte sie sich irgendwie, Schritt für Schritt, weiter bis sie an einen Abhang kam. Sie sah ihn zwar, wollte auch wieder einen Schritt zurück machen, doch mit einem Mal wurde ihr Kopf ganz leer, ihre Beine gaben nach und sie stürzte den Abhang hinunter. Sie spürte nichts mehr, nur ein Gefühl der Leichtigkeit, so als ob sie fliegen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)