The Moment I saw you cry von -Red-Karasu ================================================================================ Kapitel 1: Step one: Not as we ------------------------------ Noch ein kleiner Comment: Das längste Kapitel das ich je irgendwo geschrieben hab..."Not as we" ist übrigens ein ganz und gar wunderbares Lied von Alanis Morisette...Und gewidmet ist die gesamte Story meinem Schatz Jules *kiss* Los geht's... ~~~   Step One: Not as we   Es ist vielleicht keine fröhliche Geschichte, die ich hier erzählen will, auch wenn sie für uns nie wirklich traurig war. Ich kann nur sagen, dass dieser Mensch mir mehr bedeutet als alles andere in meinem Leben. Ich wollte nie mehr, als ihn glücklich zu machen. Ob mir das gelungen ist, oder noch gelingen wird – ich weiß es nicht. Das kann vermutlich nur er beantworten. Alles was ich weiß, ist, dass es an einem warmen Tag im Spätsommer begonnen hat. - Tsukasa     „Wie jetzt, du kannst nicht mitkommen?“ Enttäuscht sah Tsukasa seine Freundin an, die seinen Blick nur entschuldigend und ein bisschen verärgert erwiderte. „Es tut mir doch auch Leid, aber mein Vater meint, dass ich zu jung bin, um allein mit einem Jungen in ein Onsen zu fahren...“, erklärte sie dann frustriert. „Bist du sehr böse deswegen?“ Seufzend sah er auf Midori hinunter und zuckte leicht mit den Schultern. „Nein, natürlich nicht. Schon okay...es ist halt schade undich versteh deinen Vater nicht wirklich. Ich mein, er kennt mich und meine Mutter ist doch sowieso mit dabei...“ Sie gingen langsam über den Schulhof in Richtung einer Bank, auf der sie nach der Schule oft saßen. Sie setzten sich und Midori lehnte sich an ihn, sodass Tsukasa seinen Arm um ihre schmale Taille legen konnte. „Mh...er meinte, es ginge auch nicht um dich, sondern einfach darum, dass ich zu jung sei, sp ganz prinzipiell quasi.“ Sie sah mit großen Augen zu ihm auf. „Wenn du wieder da bist unternehmen wir etwas zusammen, okay?“ Tsukasa nickte mit einem kleinen Lächeln. „Natürlich. Wir müssen die verlorene Zeit ja wieder aufholen...“   ~~~ „Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“ Seine Mutter sah ihn erstaunt an, als Tsukasa am frühen Abend die Wohnung betrat und lustlos seine Schultasche auf den Boden fallen ließ, bevor er sich an den Küchentisch setzte und schlecht gelaunt aus dem Fenster sah. „Midori darf morgen nicht mitkommen, ihr Vater ist dagegen.“ Seine Mutter nickte verständnisvoll und strich ihrem Ältesten leicht durch die Haare. Dann ging sie zum Kühlschrank, holte eine Kanne gekühlten schwarzen Tees hervor und goss ihm ein Glas ein. „Wieso fragen wir nicht Hizumi, ob er Zeit hat?“, wollte sie dann wissen. „Eh? Wieso das denn?“ Seine Mutter konnte nicht umhin leise zu lachen. „Jetzt schau nicht so. Er ist immerhin dein Bruder – und seit er bei eurem Vater lebt, seht ihr euch doch auch kaum noch. Und besser als allein fahren ist es doch immerhin, oder?“, hakte sie dann nach. „Okay, okay...überredet“, maulte Tsukasa und stand auf, um in sein Zimmer zu gehen. „Ich werd ihn nachher mal anrufen.“ „Sehr schön. In etwa einer Stunde gibt es dann Abendessen, ja?“ Sich geschlagen gebend nickte Tsukasa und verließ die Küche endgültig. Super. Ja, genau so hatte er sich das vorgestellt. Statt mit seiner Freundin den Kurzurlaub im Onsen genießen zu können, hatte er nun also aller Wahrscheinlichkeit nach seinen drei Jahre jüngeren Bruder am Hals. Nicht, dass er Hizumi nicht mochte, das war keineswegs das Problem, aber er hatte sich das Ganze eben etwas anders vorgestellt. Aus diesem Grund rief er seinen Bruder auch nicht an, sondern beließ es bei einer kurzen SMS mit der Frage, ob dieser morgen mit ihnen wegfahren wolle.   ~~~ „Jetzt mach nicht so ein Gesicht...“ Seine Mutter sah ihn durch den Rückspiegel streng an, was er versuchte zu ignorieren, schließlich hatte er sich nicht umsonst auf den Rücksitz verzogen. Er wollte seine Ruhe haben. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass seine Mutter mitten auf der Straße voll auf die Bremse treten würde, sodass es ihn fast gegen die Rückenlehne des Beifahrersitzes schleuderte. „Tsukasa Kenji Oota.“ Er merkte am Ton ihrer Stimme, dass er sich wirklich zusammenreißen sollte. „Ja?“, kam die Antwort daher auch verhältnismäßig kleinlaut von ihm. „Du bist nicht der Einzige, der sich auf diesen Ausflug gefreut hat und ich habe nicht vor mir das Wochenende von meinem halbwüchsigen Sohn ruinieren zu lassen. Also entweder du reißt dich jetzt zusammen – und das auch deinem Bruder gegenüber – oder du steigst aus und läufst auf der Stelle nach Hause. Haben wir uns verstanden?“ Still hatte er die Strafpredigt über sich ergehen lassen und nickte nur. „Ich hab's verstanden. Fahr bitte weiter, Hizumi wartet sicher schon.“, fügte er dann noch hinzu. Von den Autofahrern, die wegen ihnen ebenfalls bremsen mussten und nun wie die Irren hupten, mal ganz zu schweigen. Tsukasa seufzte lautlos. Seine Mutter geriet wahrlich nicht oft in Rage, aber wenn es einmal so weit war, konnte man sich auf einiges gefasst machen und sollte es am besten nicht wagen ihr zu widersprechen. Den Rest ihrer kurzen Fahrt verbrachten sie dher schweigend, bis sie auf den Parkplatz des Apartmenthauses einbogen, in dem Hizumi zusammen mit seinem Vater wohnte.   „Hey! Da seid ihr ja!“ Sein jüngerer Bruder hatte die Beifahrertür schwungvoll aufgerissen und ließ sich ohne Umschweife auf den Sitz neben seiner Mutter fallen. Er drehte sich um und strahlte seinen Bruder an, der das Lächeln nur minimal erwidern konnte. „Danke für die Einladung!“ Dann wandte er sich an seine Mutter, die gerade wieder auf die Straße abbog und begann sich mit ihr über irgendwelche Belanglosigkeiten zu unterhalten, während Tsukasa zum Fenster hinaussah und darüber nachdachte, was er nach diesem Wochenende mit Midori unternehmen konnte.   ~~~ Einige Stunden später saß Tsukasa im Schneidersitz an den Rahmen der aufgeschobenen Trennwände des Zimmers gelehnt, das er sich mit seinem Bruder teilte und sah hinaus in den traditionellen Garten des Onsen. Seine Mutter und Hizumi waren noch in deren Zimmer und sahen sich zusammen irgendeine Fernsehserie an, auf die er selbst im Moment keine Lust hatte. Er freute sich hier zu sein, er mochte Orte wie diese und die Ruhe, die sie ausstrahlten. Aber mit jemandem zusammen hier zu sein, mit dem man eine Beziehung führte, war dann doch etwas anderes. Das Sahnehäubchen quasi.   „Hey...“ Er zuckte leicht zusammen und sah auf, als sein kleiner Bruder sich neben ihn setzte und die Beine von sich streckte. „Immer noch sauer?“ „Mh? Wie meinst du das?“ Hizumi lächelte ihn kurz an und sah dann ebenfalls in den Garten. „Du schienst von meiner Anwesenheit nicht besonders begeistert zu sein.“ Tsukasa wuschelte dem Jüngeren, das Lächeln erwidernd, leicht durch die Haare. „Mach dir keinen Kopf, hatte nichts mit dir zu tun. Ich freue mich, dass du hier bist. Wir sehen uns viel zu selten.“ Er ließ seinen Blick ein paar Augenblicke auf seinem Bruder ruhen. „Darf ich dich zeichnen?“ Als er den erstaunten Blick des 15-jährigen sah, musste er leise lachen. „Was denn?“ „Du hast das schon lange nicht mehr gefragt.“ „Ich weiß schon, aber du siehst toll aus in diesem Yukata.“ „...danke“ Hizumi sah ihn verlegen an und wurde ein bisschen rot. „Du...auch. Und klar, darfst du.“ „Okay, warte kurz...“   Wieder etwas besser gelaunt stand Tsukasa auf und ging zu seiner Tasche, um einen Skizzenblock und ein paar Stifte zu holen, bevor er sich wieder zu seinem Bruder setzte. „Bleib einfach so sitzen“, meinte er dann, suchte sich selbst eine bequeme Sitzhaltung und begann mit groben Strichen die Form des Jüngeren aufs Papier zu bannen. „Tsukasa?“ „Mh?“ „...du hast eine Freundin, oder?“ Er sah kurz erstaunt auf, nickte dann aber. „Wie ist sie so?“ „Nett. Ihr Name ist Midori, sie ist zwei Klassen unter mir.“ „Wie lang seid ihr zusammen?“ Tsukasa unterbrach seine Tätigkeit und sah seinen Bruder fragend an. „Wieso willst du das wissen?“ „Nur so...ich bin neugierig.“ „Nicht ganz drei Monate.“ Er griff neben sich und nahm sich einen Kohlestift, um einige Schattierungen in das Bild einzufügen. „Hast du schon mit ihr geschlafen?“ Der Ältere hielt abermals in seinen Bewegungen inne und brauchte ein paar Sekunden bis er die Frage beantworten konnte. „Nein. Sie will noch warten...“ Er richtete sich etwas auf, sah Hizumi an, der noch immer nahezu bewegungslos da saß. „Darf ich?“ Vorsichtig strich er über den Hals seines Bruders und streifte ihm den Stoff seines Yukata ein kleines Stück von der Schulter. Er musste ein Seufzen unterdrücken. Auch wenn er den Gedanken nicht wirklich wahrhaben wollte, sah Hizumi, so wie er nun da saß, von der Nacht umspielt, wie ein wahres Kunstwerk aus. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen zeichnete er weiter und meinte leise: „Du wirst immer schöner.“ „Wieso tust du das?“ „Mh?“ „Du machst mir dauernd Komplimente.“ Tsukasa lachte leise, ohne aufzusehen. „Ich sag nur die Wahrheit.“ Er hörte ein leises Rascheln, unterbrach seine Tätigkeit aber erst erneut, als ein Schatten über ihn fiel. Als er seinen Kopf hob, sah er direkt in Hizumis dunkelbraune Augen, die irgendwie aufgewühlt auf ihn heruntersahen. „Tu es nicht...“ Die Stimme des Jüngeren war leise, klang fast ein wenig brüchig. „Ich denke dann nur falsche Dinge.“ Er hatte sich vor seinen Bruder gekniet und beugte sich jetzt etwas zu ihm. „Was für Dinge?“ „Dass...du mich magst...wirklich magst.“ Bevor Tsukasa noch wirklich reagieren konnte, hatte Hizumi sich ihm noch weiter genähert und küsste ihn vorsichtig auf die Lippen. Doch schon einen Augenblick später hatte sein Bruder sich wieder von ihm gelöst und sah nun betreten auf den Boden. „T-tut...mir Leid, ich weiß auch nicht was das war...“ Der Ältere der Beiden nickte nur beschwichtigend, während er versuchte zumindest äußerlich ganz ruhig zu bleiben und nicht zu zeigen, wie durcheinander ihn diese beinahe flüchtige Berührung gebracht hatte. „Schon gut.“, meinte er lächelnd und zwang sich ruhig zu atmen. „Magst du dich wieder hinsetzen oder soll ich morgen weitermachen?“ „...nein, ist okay.“ Hizumi brachte sich wieder in die gleiche Haltung wie vorher und sah schweigend in den in Dunkelheit gehüllten Garten.   Das leichte Zittern seiner Hände unterdrückend nahm Tsukasa seinen Block wieder zur Hand und bemühte sich konzentriert weiterzuzeichnen, sodass die sich ausbreitende Stille nicht noch drückender wurde, als sie ohnehin schon war. Es war merkwürdig, aber noch immer hatte er das Gefühl die Lippen seines Bruders auf den seinen zu spüren und dieses Kribbeln wollte einfach nicht verschwinden. Er hatte gedacht – und gehofft – dass er diese Phase hinter sich hatte, doch er musste wohl leider zugeben, dass dieser kaum ein paar Sekunden dauernde Kuss ihn mehr aufgewühlt hatte, als es bei Midori oder einem anderen Mädchen je der Fall gewesen war. Und das sicherlich nicht, weil Hizumi sein Bruder war und er sich dadurch gestört fühlte.   Etwa zwanzig Minuten später legte er mit einem zufriedenen Seufzen den Block zur Seite und streckte sich ein wenig, was Hizumi Zeichen genug war sich ebenfalls wieder zu bewegen. Der 15-jährige ließ seinen Kopf leicht kreisen, was ein unangenehmes Knacken im Genick hervorrief und streckte dann die Hand nach dem Bild aus. „Darf ich?“, fragte er, als Tsukasa nicht sofort reagierte. „Sicher...“ Er reichte seinem Bruder den Block und stand dann auf um die restlichen Zeichenutensilien wieder in seinem Rucksack zu verstauen. „Magst du noch etwas trinken?“ „Klar, gern.“ Hizumi hatte hinter ihm das Zimmer betreten und schloss nun die Schiebetüren, die auf die Veranda führten. „Mann, ich bin total verspannt überall...“, seufzte er dann, als er zu seinem Bruder trat, ihm den Block zurückgab und dafür ein Glas kühles Wasser in Empfang nahm. Der Ältere legte sein Skizzenbuch zu seinen restlichen Sachen und sah dann aus seiner sitzenden Position zu ihm nach oben. „Soll ich dich massieren?“, wollte er wissen und strich sich lächelnd eine Strähne seines Ponys aus dem Gesicht. Tsukasa wusste nicht genau, wie er auf diesen Gedanken kam, aber anscheinend – so kam es ihm zumindest vor – vernebelte ihm der Anblick Hizumis in einem Yukata irgendwie das Gehirn. Aber was sprach eigentlich dagegen? „Würdest du das ehrlich machen?“ Der Jüngere war vor ihm in die Hocke gegangen und sah ihn nun mit einer fast kindlichen Begeisterung an. „Das wär echt super von dir“, fügte er noch strahlend hinzu, sodass der Ältere der Beiden, selbst wenn er gewollt hätte, nicht hätte widersprechen können. „Für meinen Lieblingsbruder doch immer“, meinte er also nur grinsend und streckte sich, um in seiner Tasche nach etwas zu kramen, was ihm das Massieren einfacher machen würde. Schließlich zog er eine Tube Sonnencreme hervor und wies seinen kleinen Bruder an sich auf eines der im Zimmer ausgebreiteten Futons zu legen. „Achja...und mach den Oberkörper frei“, fügte er mit einer Geste in Richtung der Tube hinzu. „Dann geht das besser...“   Beinahe gegen seinen Willen fasziniert sah er zu wie Hizumi sich ohne irgendwelche Widerworte aus seinem Yukata schälte und es sich dann bäuchlings auf dem Futon bequem machte. In einem versteckten Winkel seiner Gedanken wusste er, dass diese Faszination nicht künstlerischer Natur war und er nicht deshalb seine Blicke nicht vom Rücken seines Bruders nehmen konnte, weil dieser ihm im Moment wie das Perfekteste erschien, was er je gewesen hatte. Nein, viel mehr trieb irgendetwas in seinem Inneren ihn dazu, diesen Körper vor sich näher kennenlernen zu wollen. Näher als irgendjemand anderes das tat. Energisch schüttelte er den Kopf. Er musste aufhören so einen Schwachsinn zu denken. „Könnte etwas kalt sein...“, meinte er nur – und musste sich zu seiner Schande eingestehen, dass seine Stimme leicht heiser klang – als er etwas von der Creme auf Hizumis Rücken verteilte, auf dem sich auch gleich eine leichte Gänsehaut ausbreitete. Tsukasa schob die Ärmel seines eigenen Yukatas zurück und begann dann mit langsamen, festen Bewegungen mit der Massage.   „Du bist ja wirklich ziemlich verspannt.“, stellte er nach einiger Zeit des Schweigens fest. „Du hättest doch sagen können, wenn es zu unbequem war...“ Der Jüngere schüttelte nur leicht den Kopf. „...ist nicht so schlimm...“ Er ächzte leise, als Tsukasa eine besonders schmerzhafte Stelle bearbeitete. „Ich glaub eher, dass das vom Schwimmen kommt...“ Ein genüssliches Seufzen verließ seine Lippen, als er mehr und mehr von den wohltuenden Händen des anderen eingenommen wurde. Für ihn war es schön wieder einmal Zeit mit seinem Bruder zu verbringen. Seit ihre Eltern sich getrennt hatten, sahen sie sich nicht mehr wirklich oft und selbst wenn, waren ihre Gespräche meist nur oberflächlich und er vermisste den guten Freund, der Tsukasa ihm früher immer gewesen war. Er vermisste die Nähe und den vertrauten Umgang zwischen ihnen, die jetzt – zumindest zu einem Teil – wieder zu existieren schienen. Und viel zu schnell, für seinen Geschmack, ließen die warmen Hände wieder von ihm ab und er spürte, wie Tsukasa sich neben ihm auf auf die Tatamimatten setzte. Langsam richtete der Jüngere sich ebenfalls auf und zog sich den Yukata wieder vollständig an, ohne sich den Blicken seines Bruders bewusst zu sein, die noch immer irgendwie sehnsüchtig auf seinem Rücken weilten. Zufrieden drehte er sich um und setzte sich dem Anderen gegenüber ebenfalls im Schneidersitz hin. „Weißt du was den Abend jetzt noch absolut fantastisch machen würde?“, fragte er, bevor er einen Schluck aus seinem Wasserglas nahm. „Nein? Was denn?“ Tsukasa zwang sich sein Augenmerk von der wahnsinnig fesselnden Struktur des Bodenbelags zu abzuwenden und sein Gegenüber anzusehen. Wenn er sich nicht halbwegs normal aufführen konnte, würde das nur zu ziemlich unangenehmen Fragen führen. Zum Beispiel warum er sich krampfhaft davon abhalten musste auch noch den Rest von Hizumis Körper mit seinen Händen – oder noch besser: seinen Lippen – zu erkunden. Das war doch Irrsinn. „Ich würde jetzt wahnsinnig gern noch ins Wasser gehen!“ Die Begeisterung in der Stimme des Jüngeren ließ ihn ehrlich lächeln. „Kann man da so spät noch rein?“ Er hatte sich nicht allzu sehr mit den Öffnungszeiten der Bäder auseinandergesetzt, doch Hizumi nickte einfach. „Kommst du mit? Bitte? Ich bin auch ganz lieb?“, fragte der Jüngere dann und sah ihn mit großen Augen an. Wie sollte man sich da wehren? „Alleine macht es keinen Spaß...“ Gespielt seufzend nickte der Ältere. „Sonst gibst du ja doch keine Ruhe, Kleiner...dann lass uns mal gehen.“ So ganz wohl war ihm bei dieser Sache zwar nicht, aber er hatte seinem kleinen Bruder noch nie einen Wunsch abschlagen können. Vor allem nicht wenn der ihn mit diesem Hundeblick ansah, der jetzt allerdings von einem breiten Grinsen ersetzt worden war. „Super. Ich wusste doch, dass ich mich auf dich verlassen kann!“, tönte der Jüngere dann auch schon, packte seinen neu erkorenen Lieblingsbruder an der Hand und zog ihn hinter sich aus dem Zimmer in Richtung des Außenbeckens, das er heute schon den ganzen Tag hatte besuchen wollen. Schließlich kam man ja leider nicht allzu oft an einen Ort wie diesen.   „Haaaaaaaah~“ Mit einem genüsslichen Aufseufzen ließ der 15-jährige sich in das heiße Wasser gleiten. Ein Anblick, der nun wiederum Tsukasa ein gedankliches Seufzen abverlangte. Nur mit viel Willenskraft konnte er seine Blicke vom nunmehr unbekleideten Körper Hizumis abwenden und sich darauf konzentrieren, selbst in das Becken zu steigen ohne sich dabei Verletzungen zuzuziehen. Er fühlte die aufsteigende Hitze als das Wasser seinen Körper umspielte und legte den Kopf an den Beckenrand gestützt in den Nacken. Zusätzlich schloss er die Augen, um sich vollkommen entspannen zu können. Neben sich hörte er hin und wieder ein leises Plätschern, wenn Hizumi sich bewegte. Sein Bruder hatte noch nie lang still sitzen können. „Tsukasa?“ „Mh?“ „Danke für die Massage.“ „Ist doch kein Ding, mach ich gern für dich...“ Schmunzelnd zuckte der Ältere zur Bekräftigung seiner Aussage mit den Schultern, ohne jedoch die Augen zu öffnen. Deshalb fuhr er leicht zusammen, als er spürte wie zwei Arme sich vorsichtig um seinen Oberkörper schlangen. Er schlug die Augen auf und sah hinunter auf Hizumi, der jetzt vertraulich seinen Kopf an die Schulter seines Bruders legte. „Ich...hab dich wirklich vermisst“, sagte er dann so leise, dass Tsukasa es kaum verstehen konnte. „Es ist komisch ohne dich...“ Der Angesprochene versuchte erfolglos seinen Puls zu beruhigen und fühlte sich gerade doch etwas mit der Situation überfordert. „Du kannst mich gern mal besuchen kommen...“, kam seine Antwort deshalb etwas verspätet. „Unsere Mutter würde sich sicher auch freuen, wenn sie dich nicht nur alle zwei Monate oder so mal zu Gesicht bekommt.“ „Mhhh, mal sehen...ich will dich ja auch nicht stören oder so.“ „Wie meinst du das?“ Zögerlich legte er nun ebenfalls einen Arm um den Jüngeren und strich ihm sanft über die Seite. „Du störst doch nicht.“ „Weiß ja nicht. Wegen deiner Freundin und so.“ Tsukasa zog die Augenbrauen erstaunt nach oben. „Irgendwie klingt es, als ob du sie nicht magst...dabei kennst du sie doch gar nicht, oder?“ Hizumi schüttelte nur leicht den Kopf. „Stört mich nicht.“ Er seufzte leise. „Ich meinte nur, dass ihr ja sicher mal eure Ruhe haben wollt und du keinen Bock hast deinen kleinen Bruder zu Besuch zu haben, wenn sie auch da ist.“ Er sah auf und verzog demonstrativ das Gesicht. „Und ich hab keine Lust euch beim Rummachen zu erwischen.“ Der Ältere konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Gott, ich muss ja ein furchtbarer Bruder sein!“ Er zog Hizumi in eine Umarmung. „Und keine Angst, ich würde dich ihr immer vorziehen.“ Kaum hatten diese Worte seinen Mund verlassen fühlte er Hitze in seinen Wangen aufsteigen, die er beim besten Willen nicht auf die heiße Quelle schieben konnte. Er hoffte nur, dass der Kleine diese Aussage nicht irgendwie falsch aufgefasst hatte. Aber vermutlich war er hier der einzige, der das irgendwie zweideutig fand. Etwas zu schnell ließ er seinen Bruder wieder los und atmete tief durch. „Wir...sollten vielleicht wieder reingehen, ich glaub mir wird allmählich ein bisschen schwummrig...“, murmelte er dann und machte sich daran aus dem Becken zu steigen. Er wartete bis Hizumi sich anschickte ihm zu folgen und wollte schon wieder in Richtung der Umkleiden gehen, als er nach ein paar Schritten merkte, dass der Andere nicht neben ihm war. Stirnrunzelnd ging er die wenigen Schritte wieder zurück, beugte sich zu seinem Bruder hinunter und strich ihm leicht über den Oberarm. „Was ist los?“ Hizumi, der auf dem Beckenrand sitzend bis jetzt in den Nachthimmel gesehen hatte, wandte sich mit einem schwachen Lächeln seinem Bruder zu, bevor er in einem ernsten Tonfall zur Antwort ansetzte: „Ich denke, ich mag deine Freundin trotzdem nicht...“, erklärte er leise. Dann stand er ebenfalls auf und legte die Arme um den Nacken Tsukasas. „Ich mag es nicht, dass sie so viel von dir hat. Früher waren wir fast immer zusammen...manchmal hab ich das Gefühl es fehlt was bei mir, so ohne dich...“ Tsukasa hatte fasziniert in die dunklen Augen seines Gegenübers geblickt und nickte jetzt leicht, bevor er ihm über die Wange strich und seine Stirn an Hizumis lehnte. „Vielleicht kann es wieder mehr werden wie frühe, wenn wir uns beide Mühe geben?“ „Vielleicht...“ Mit einem Lächeln trat Tsukasa einen Schritt zurück, sodass der Jüngere die Umarmung lösen musste und streckte sich. „Na komm, lass uns reingehen, sonst erkälten wir uns noch.“   ~~~ „Ja, hallo?“ „Hey, Süße! Tut mir Leid, dass ich jetzt erst anrufe...“ Tsukasa saß wieder außerhalb ihres Zimmers auf der Holzveranda und zog entspannt an seiner Zigarette. Er hatte sich gerade noch daran erinnern können, dass er Midori versprochen hatte sich bei ihr zu melden. „Macht doch nichts. Ich war ja eh noch wach“, meinte eben diese gerade versöhnlich. „Und? Sag schon, wie ist das Onsen?“ „Mh, es ist echt schön hier...das Essen ist super...schade, dass du nicht mitkommen konntest...es würde dir sicher gefallen.“ Das Mädchen am anderen Ende der Leitung seufzte schwer. „Glaub mir, ich wäre auch lieber bei dir, als hier rumzuhocken und mich zu langweilen...“ „Ich weiß, ich weiß – aber morgen bin ich ja schon wieder da. Was hältst du davon, wenn wir am Montag nach der Schule zusammen irgendwas machen, mh?“ „Klar, gern!“ Tsukasa nahm grinsend einen weiteren Zug von seiner Kippe. „Gut, dann hol ich dich ab...ich geh jetzt mal lieber wieder rein, wird allmählich kalt hier. Bis später, ja?“ „Ja, gut. Dann schlaf gut. Ich liebe dich!“ Er verzog leicht das Gesicht. Irgendwie wollten ihm die Worte im Moment nicht so recht von den Lippen. „...ich dich auch“, brachte er so mit kurzer Verzögerung hervor und legte dann sofort auf, nur um anschließend tief durchzuatmen. Scheiße, was ging hier eigentlich ab? Er hatte immer gewusst, dass Midori nicht die Liebe seines Lebens war, aber das Mädchen war für seine 16 Jahre recht vernünftig, sie war intelligent und sah außerdem gut aus. Sie verstanden sich blendend und sie schien doch irgendwie ziemlich hin und weg von ihm zu sein. Warum kam es ihm dann auf einmal so komisch vor, ihr zu sagen, dass er sie liebte? Damit hatte er bisher auch keine Probleme gehabt. Es konnte schließlich nicht an seiner vollkommen idiotischen Faszination für seinen kleinen Bruder liegen, die ihn wieder heimgesucht hatte. Hoffte er zumindest.   Mit einem Seufzen drückte er seine Zigarette im mitgebrachten Aschenbecher aus und erhob sich dann, um das Zimmer wieder zu betreten, das er sich mit Hizumi teilte. Zu seinem Erstaunen war dieser noch wach und sah ihn forschend an. „Was ist?“, wollte Tsukasa wissen, dem dieser Blick irgendwie suspekt war. „Nichts.“ Der Tonfall des 15-jährigen sagte allerdings etwas ganz anderes und auch seine Körpersprache zeigte seine Unzufriedenheit, als er die Musikzeitschrift, in der er eben gelesen hatte, etwas zu grob weglegte, bevor er sich demonstrativ mit dem Rücken zu Tsukasa auf die Seite drehte und die Decke seines Futons bis zum Gesicht hochzog. Sein Bruder sah ihm dabei nur kopfschüttelnd zu und rückte anschließend sein eigenes Futon etwas näher an das des Anderen, bevor er sich ebenfalls hinlegte und dessen Rücken ansah. „Hizumi...was ist los?“, wollte er dann, den Kopf aufgestützt, wissen, erhielt aber keine Reaktion „Hey, Kleiner, ich red mit dir!“ Als er immer noch keine Antwort erhielt, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen und überquerte auf allen Vieren den verbleibenden Abstand zwischen seinem Bruder und sich. Dann beugte er sich über ihn und piekste ihm mit dem Zeigefinger in die Seite, was den Jüngeren zusammenzucken ließ, aber sonst ebenfalls nichts brachte. „Hizu-chan, du sagst mir jetzt was los ist, oder ich muss dich durchkitzeln...“ Auch diese Drohung verleitete Hizumi lediglich zu einem Kopfschütteln. Also kniete der Ältere sich neben ihn und begann ihn wirklich zu kitzeln bis er sich unfreiwillig lachend unter dem 'Attentäter' wand. „Los, sag es!“, forderte Tsukasa, ebenfalls lachend, noch einmal. Auf das erstickte „Niemals“ hin attackierte er die Stellen, von denen er wusste, dass sein Bruder dort besonders kitzlig war so lang, bis dieser schließlich um Gnade flehte. Schwer atmend und über den Jüngeren gebeugt verharrte Tsukasa und sah auf ihn hinunter. „Also...?“ Hizumi sah zur Seite und verzog seine Lippen zu einem Schmollmund, bevor er leise antwortete. „Du hast gesagt, dass du sie liebst...am Telefon vorhin.“ Etwas verwirrt kniete er sich doch wieder neben seinen Bruder und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. „Also erstens hab ich das nicht...ich habe gesagt „ich dich auch“...und zum anderen: Warum stört dich das?“ Er sah, wie sich der Jüngere auf die Unterlippe biss, bevor er ihn schließlich doch wieder ansah. „Keine Ahnung. Vielleicht bin ich eifersüchtig?“ Hizumi setzte sich ebenfalls auf, den Blick nicht von seinem Gegenüber lassend. „Ich weiß nicht. Es stört mich, dass sie etwas Besonderes für dich ist...oder so“, versuchte er dann zu erklären. „Du nun wieder...“ Tsukasa sah ihn liebevoll an. „Sie könnte nie so besonders sein, wie du es bist...“ Und das meinte er vollkommen erst. Auch wenn eine leise, vernünftige Stimme in seinem Inneren ihm sagte, dass das nichts war, was man seinem Bruder unbedingt sagen sollte. Genauso, wie man ihm nicht über die Wange streicheln und sich zu ihm beugen sollte, um ihn dann zu küssen. Doch genau das tat Tsukasa und riet der Stimme einfach die Klappe zu halten. Er wusste, dass es dumm war, was er tat. Aber er konnte nichts dagegen tun, dass sich Hizumis Lippen so wundervoll an seinen anfühlten und das Kribbeln in ihm mit jedem Augenblick stärker wurde. Nach einigen viel zu kurzen Sekunden löste er den Kuss und sah Hizumi an, der seinen Blick nur verwirrt erwiderte, auf seine Entschuldigung jedoch mit einem seltsam entschlossen erscheinenden Kopfschütteln reagierte. „Nein, i-ist...okay.“ Der Jüngere fixierte ihn. „Darf ich...noch mal?“ Tsukasa hatte das Gefühl, sein Herzschlag würde für einige Sekunden aussetzen, nur um dann mit mindestens dreifacher Geschwindigkeit in seinen Ohren zu dröhnen, als er nickte. Um zu verhindern, dass der Jüngere es sich doch noch einmal anders überlegen konnte, legte er ihm eine Hand in den Nacken und zog ihn sanft, aber bestimmt an sich, bis sich ihre Lippen wieder berührten. Und wieder fühlte er sich, als würde eine Vielzahl von kleinen Stromschlägen durch seinen Körper jagen, die sich noch verstärkten, wenn er seine Lippen vorsichtig gegen die seines Bruders bewegte, sie schließlich leicht öffnete, um mit der Zungenspitze gegen die des anderen zu stupsen. Er fühlte Hizumis Zögern und war schon kurz davor ihren Kuss zu unterbrechen, sich zurückzuziehen, als er spürte wie dieser ihm zaghaft entgegenkam. Ihre Zungen berührten sich vorsichtig, testend, ob das, was sie hier taten, tatsächlich real war. Doch schon nach relativ kurzer Zeit löste Tsukasa sich wieder von diesen so wundervollen Lippen und lehnte sich ein bisschen zurück. Sein Puls hatte mittlerweile bisher unbekannte Frequenzen erreicht, die sich aber sogar noch etwas steigerten, als er Hizumis aufgewühlt wirkendem Blick begegnete, der von einem leichten Rotschimmer auf seinen Wangen ergänzt wurde. „...wow...“, war in diesem Moment das Einzige, was er hervorbringen konnte. Er versuchte am besten wirklich nicht, sich das hier zu erklären. Der Jüngere nickte auf diese Äußerung nur leicht und biss sich leicht auf die Unterlippe, während es ihm vorkam, als würde sein Gesicht jetzt förmlich glühen. „...das war toll...“ Sie saßen sich, wie schon mehrfach an diesem Tag, einige Augenblicke lang schweigend gegenüber, bis Tsukasa sich kopfschüttelnd durch die Haare fuhr und ein trockenes Lachen ausstieß. „Wenn unsere Mutter das erfährt, bin ich so was von tot...“, murmelte er, sah dann den Anderen an. „Lass uns schlafen, okay?“ „Okay...“ Der irgendwie enttäuscht klingende Tonfall Hizumis war dem Älteren nicht entgangen und entlockte ihm ein liebevolles Lächeln. „Zieh deinen Futon zu mir ran, ja?“   Keine zwei Minuten später war dies erledigt und die Beiden lagen nebeneinander unter ihren Decken, Hizumi hatte den Kopf auf den Brustkorb seines Bruder gebettet, während dieser ihm immer wieder sanft über den Rücken strich. „Sag mal...eigentlich ist das doch – na ja – verboten so was zu machen...oder?“, wollte er dann wissen, versuchte trotz der jetzt im Zimmer herrschenden Dunkelheit das Gesicht Tsukasas zu erkennen. Widerwillig nickte der 18-jährige. „Kann man so sagen...deswegen solltest du das lieber für dich behalten...“ Er seufzte schwer. „Das hätte nicht passieren dürfen...ich bin der Ältere, ich sollte wirklich vernünftiger sein.“ Seine Hand wanderte, ohne dass es ihm wirklich bewusst gewesen wäre, in Hizumis Nacken und kraulte diesen dort liebevoll, sodass er dessen Kopfschütteln spürte. „Mir hat es doch auch gefallen...und keine Angst, ich sag auch niemandem was davon.“ Er hob den Kopf leicht und sah den Älteren an. „Also mach dir jetzt keine Vorwürfe.“ „Mh, trotzdem...“ Erneut entwich ein Seufzen den Lippen des Älteren. „Ich dachte einfach, das hätte ich hinter mir...“ „Was?“ Hizumi hatte sich ruckartig aufgerichtet und sah seinen Bruder mit aufgerissenen Augen an, der erst jetzt begriff, dass er das eben wirklich laut gesagt hatte. „Wie meinst du das?“ „Nichts, nichts, schon gut...“, versuchte er den Kleinen zu vertrösten, doch der zog nur unzufrieden die Augenbrauen zusammen. „Jetzt sag schon! Es betrifft mich schließlich, oder?“ Tsukasa bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Er wusste, dass er keine Ruhe finden würde, ehe der andere nicht wusste, was er wissen wollte. „Vor ein paar Jahren...als unsere Eltern noch zusammen waren...gab es eine Zeit, in der ich das auch...gern gemacht hätte...“, kapitulierte er schließlich, doch seine Hoffnung, der Jüngere würde es darauf beruhen lassen, wurde enttäuscht. „Wann?“, hakte Hizumi unerbittlich nach. „Du glaubst mir nicht, wenn ich sag, dass ich es nicht weiß, oder?“ „Nein“ „Hab ich mir gedacht.“ Tsukasa drehte sich wie schon zuvor auf die Seite und stützte seinen Kopf auf den angewinkelten Arm, um seinen Bruder, der sich ebenfalls wieder hingelegt hatte, ansehen zu können. „Vor...zwei Jahren, als wir zusammen auf dem Frühlingsfest waren...hat es angefangen.“ Natürlich wusste er es noch. Er hatte es vielleicht verdrängt, aber er würde diesen Anblick nie vergessen können. „Du sahst damals so – entschuldige das Wort – bezaubernd aus...“ „...du hast mich an dem Abend gezeichnet.“ Er nickte. „Ja, ich konnte nicht anders...das Bild hab ich immer noch.“ Tsukasa lächelte schwach. „Na ja, seit diesem Tag hab ich von dir geträumt...wollte dich küssen...und berühren...aber das ging natürlich nicht. Deswegen dachte ich, dass es aufhört, als du und Vater ausgezogen seid. Und es war dann auch besser. Ich hab irgendwann aufgehört daran zu denken...hab mich mit Mädchen getroffen.“ Er unterbrach sich selbst und stieß ein abwertendes Geräusch aus. „Und jetzt geht es mir doch wieder so wie damals...“ Hizumi nickte langsam, als Zeichen, dass er verstanden hatte. Dann rückte er sich noch ein Stück an den anderen und sah ihm in die Augen. „Vielleicht...kannst du das erst vergessen, wenn du es mal probiert hast?“, schlug er dann leise vor. „Was?“ „Na ja ich...“, Hizumi sah verlegen zu Boden und stockte leicht. „Ich hätte nichts dagegen, glaube ich...“ Tsukasa legte sanft seine Hand unter das Kinn seines Bruders und brachte ihn so dazu ihn anzusehen. „Dir ist klar, dass wir Brüder sind, ja?“ „Aber...wenn es niemand erfährt...“ „...du machst mich fertig, Kleiner.“ Hizumi wollte protestieren, doch bevor er dazu kam spürte er ein weiteres Mal die Lippen des Älteren auf den eigenen. Warum er das tat wusste er selbst nicht genau, aber er wusste, dass er mochte, was sein Bruder da mit ihm machte. Es gefiel ihm und das Kribbeln, das dessen Berührungen in ihm auslösten, war aufregend. Er glaubte einfach nicht daran, dass etwas, das sich so gut anfühlte, falsch sein konnte. Deswegen zögerte er auch nicht, sondern öffnete seine Lippen einen Spalt, als er die Zungenspitze des anderen darüberstreichen fühlte und vertiefte so ihren Kuss.   Tsukasa indessen konnte immer noch nicht fassen, dass das tatsächlich passierte. Ohne auch nur eine Sekunde über mögliche Konsequenzen nachzudenken, beugte er sich weiter über den schmalen Körper und drückte ihn so sanft auf den Futon. Immer wieder trafen sich ihre Zungen, spielten noch immer etwas vorsichtig miteinander, doch je länger ihr Kuss dauerte, desto weniger wollte er sich wieder von diesen wundervollen Lippen trennen. Als sie sich schließlich doch voneinander lösen mussten, um wieder zu Atem zu kommen, strich er dem Jüngeren leicht über die Wange. „Ich hoffe, dass du das nicht bereuen wirst“, meinte er leise. Ebenso hoffte er allerdings auch, nicht weiter zu gehen, als Hizumi es wollen würde. Schließlich hatte der Kuss schon beträchtliche Auswirkungen auf ihn gehabt, wenn er dem Gefühl in seinen Lenden trauen konnte. „...keine Angst...“, flüsterte dieser etwas verspätet und zog Tsukasa dann wieder zu sich, um dieses Mal von sich aus einen neuen Kuss zu initiieren. Sein Bruder ging sofort wieder darauf ein und gab gleichzeitig seinem Verlangen nach, mehr von diesem Körper unter sich zu spüren, indem er mit einer Hand unter das Shirt seines Bruders schlüpfte und mit zärtlichen Berührungen die Konturen von dessen Oberkörpers erkundete. Tsukasa wusste nicht genau, wie sie es geschafft hatten, doch einige Minuten und etliche Küsse später, hatten sie sich gegenseitig ihrer Oberteile entledigt und nun lag er zwischen den Beinen seines jüngeren Bruders, der ihn leicht fahrig im Nacken kraulte, während er selbst mit Lippen und Zunge den Körper vor sich weiter erforschte. Er hauchte sanfte Küsse auf die weiche Haut von Hizumis Halsbeuge, während sein Daumen neckend über eine von dessen Brustwarzen strich, dem Jungen so ein leises Seufzen entlockte.   ~~~ Als der 18-jährige am nächsten Morgen aufwachte, brauchte er einen Moment, um sich gänzlich darüber klar zu werden, was in der Nacht passiert war. Er konnte auch einige Stunden später nicht wirklich glauben, dass er tatsächlich mit Hizumi geschlafen hatte. Und – so kitschig das selbst in seinen Gedanken klang – es war das Beste, was er je erlebt hatte. Abwesend strich er über Hizumis Oberarm, was diesen dazu brachte sich im Schlaf noch etwas näher an seinen älteren Bruder zu kuscheln, der sich eben dazu gratulierte, dass er – davon ausgehend, dass er das Wochenende mit Midori verbringen würde, vorsorglich alles Nötige eingepackt hatte. Mit einem Murren wischte er diesen Gedanken dann jedoch beiseite. Er hatte keine Lust sich jetzt mit ihr zu beschäftigen, wenn er stattdessen wieder die weiche Haut des Jungen neben ihm streicheln und liebkosen konnte, der nun langsam die Augen aufschlug und ihm mit einem müden Lächeln einen guten Morgen wünschte. +++ Wenn es euch gefallen hat, würd ich mich über Kommentare freun ^^ bis zum nächsten Mal Kapitel 2: Step two: All for you -------------------------------- Erstmal möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich das Kapitel erst jetzt online stellen kann - fertig ist es nämlich schon Anfang Dezember gewesen. Ich hatte leider Probleme mit meinen Betas, weswegen ich das jetzt einfach so online stelle, obwohl nur etwa die Hälfte gebetat ist, den Rest hab ich selbst nochmal überarbeitet und hoffe, dass ich nicht zu viele Fehler übersehen hab. Wenn doch, sorry. Inhaltlich kann ich nicht viel sagen, ich mag es jetzt im Moment nicht wirklich, aber das ändert sich sovielso stündlich *lach* Danke auch noch an alle, die Kommentare geschrieben, bzw die Story in ihre Favoriten gepackt haben, freut mich wirklich. So, jetzt geht's los, immerhin ist es ein langes Kapitel (17 Seiten in Word ^^°) ~~~~~~~~~~~~~~~ Step two: All for you   Mit einem keuchenden Einatmen tauchte er aus dem Wasser auf und seine rechte Hand tastete instinktiv nach dem Beckenrand, bevor er sich mit der Linken das chlorhaltige Wasser aus dem Gesicht wischte. Den Kopf in den Nacken gelegt atmete er noch einmal tief durch. „Und ich dachte schon beinahe, dass du vor meiner Nase absäufst...“, hörte er dann eine bekannte Stimme irgendwo halb hinter sich. Blinzelnd drehte er sich in Richtung des Startblocks neben sich und entdeckte zu seiner Freude Tsukasa, der dort saß und ihn seinem Grinsen nach gerade beobachtet hatte. „...keine Angst...hab Übung...“ Hizumi drückte sich am Beckenrand nach oben und setzte sich mit einer geschickten Körperdrehung auf die Kante. „Was machst du hier?“, wollte er dann wissen, doch sein Bruder fuhr sich nur in einer unentschlossenen Geste durch die Haare. „Ich hole Midori von der Schule ab.“ Das überschäumende Glücksgefühl, das sich bis eben in dem 15-jährigen ausgebreitet hatte, erstarb abrupt, verwandelte sich in maßlose Enttäuschung. Aber was hatte er eigentlich erwartet? „Sie...geht auf meine Schule?“, fragte er deshalb nur leise und mit einiger Verspätung. Sein Bruder schüttelte kurz den Kopf. „Eure Nachbarschule. Und wo ich schon mal da bin, dachte ich mir, dass ich mal schau, was mein Lieblingsbruder so macht...“ Auch wenn er es nach außen hin nicht zeigte, Tsukasa war wahnsinnig unsicher. Er hatte keine wirkliche Ahnung, wie er sich dem Jüngeren gegenüber verhalten sollte, der nun berechtigterweise enttäuscht dreinsah.   Seit sie sich gestern bei ihrer Rückkehr voneinander verabschiedet hatten, hatte sich ein ungutes Gefühl in ihm breitgemacht. Das, was sie da getan hatten, war falsch gewesen. Egal wie richtig und gut es sich angefühlt und wie sehr er die Nähe Hizumis genossen hatte. Er war der Ältere, also trug er die Verantwortung für das Geschehene. Und im Nachhinein erschien es ihm besser, einfach so zu tun, als ob nie etwas passiert wäre – auch wenn im Moment alles in ihm danach schrie, Hizumi noch einmal zu küssen – und seine Beziehung mit Midori fortzusetzen. Anderenfalls würden sie nur unnötig vielen Menschen Ärger machen. Frustriert schob Tsukasa diese Gedanken beiseite und sah kurz auf sein Handy. „Mh, ich muss leider auch schon wieder los...sie wartet sonst.“ Ein Seufzen unterdrückend erhob er sich von dem Startblock, wollte gerade gehen, als er die Stimme seines Bruder hörte. „Tsukasa?“ Sich halb umdrehend, sah er Hizumi fragend an. „Ja?“ „Steht das Angebot eigentlich noch?“ Der Jüngere hatte sich wieder ins Wasser gleiten lassen, die Unterarme auf den Beckenrand gelegt und stützte nun sein Kinn darauf ab. „Welches Angebot?“ „Na, dass wir mal was zusammen unternehmen“, folgte die leicht enttäuscht klingende Antwort sofort. Hatte Tsukasa das etwa so schnell vergessen? „Ach so, das“, begleitet von einem entschuldigenden Lächeln. „Sicher, Kleiner. Sag mir einfach Bescheid, okay? Bis dann!“ Mit einer Geste, die ein Winken andeutete, drehte er sich um, ging in Richtung des Schultors davon. Hizumi indessen sah ihm wehmütig hinterher und versuchte das Ziehen in seinem Herzen zu ignorieren.   Es tat weh, dass dieses Wochenende seinem Bruder anscheinend doch nichts bedeutete, auch wenn es in ihrer gemeinsamen Nacht einen anderen Anschein gehabt hatte. Den Gedanken, dass der Ältere sich nur mit diesem Mädchen traf, um sie in die Wüste zu schicken, verwarf er gleich wieder. Er sollte sich keine dummen Hoffnungen machen, sondern sich einfach damit abfinden, dass er nur ein kleines Abenteuer gewesen war – so grausam dieser Gedanke auch sein mochte. Mit einem leichten Kopfschütteln stieß er sich vom Rand ab, drehte sich in der Bewegung und begann damit, ein paar weitere Bahnen zu kraulen. Schließlich war er nicht zum Nichtstun im Schwimmclub.   Tsukasa indessen hatte das Gefühl, dass sich sein Brustkorb mit jedem Meter, der er ging, ein wenig mehr zusammenschnürte. Auch wenn er nicht darauf reagiert hatte, war ihm nicht entgangen wie sehr seine Worte und sein Handeln den Jüngeren verletzt hatten. Seine Stimme, seine Körpersprache, alles an Hizumis Verhalten hatte ihm gezeigt, wie mies er selbst sich verhalten hatte. Unwillkürlich ballte seine Hand sich zur Faust, bis das Handy, das er noch immer in der Linken hielt, ein leise knirschendes Geräusch von sich gab. Wie konnte er seinem Bruder diesen ganzen Mist eigentlich zumuten? Und das nur, weil er sich nicht hatte beherrschen können. Verdammt, er hatte doch gewusst, dass das – von ein paar Küssen vielleicht abgesehen – Hizumis erste sexuelle Erfahrungen überhaupt gewesen waren. „Hey!“ Mit einem Ruck hob er den Kopf, versuchte das strahlende Lächeln Midoris zu erwidern. „Hey, hast du lange warten müssen?“ Das Mädchen, das sich nun ganz ungezwungen bei ihm unterhakte – und dabei die teilweise neidischen Blicke ihrer Mitschülerinnen mit diebischer Freude zur Kenntnis nahm – schüttelte nur leicht den Kopf. „Nein, keine Angst, ich bin auch gerade erst rausgekommen...“ „Dann ist ja gut.“ Möglichst unauffällig atmete Tsukasa durch. Er musste sich zusammenreißen. Das hier war seine feste Freundin, er mochte sie und sie würden jetzt einen schönen Nachmittag miteinander verbringen. Ende der Diskussion. „Also...“, setzte er mit einem hoffentlich überzeugenderen Lächeln ein weiteres Mal an. „Worauf hast du heute Lust? Ich lade dich ein.“ „Mh~“ Die Lippen zu einem leichten, zugegebenermaßen niedlichen Schmollmund verzogen überlegte die 16-jährige kurz. „Ah, ich weiß! Heute hat doch dieses neue Café eröffnet! Lass uns da hingehen, ja? Bitte?“, schlug sie dann begeistert vor, was Tsukasa tatsächlich leise lachen ließ, bevor er einwilligte. „Okay, dann lass uns dahin gehen. Ich sehe mein Geld schon schwinden...“, neckte er sie, kannte er doch ihre Schwäche für Süßigkeiten, im Besonderen Eisbecher, nur zu Genüge.   ~~~ „...na ja – jedenfalls hab ich keine Ahnung, wie ich diesen Test hinbekommen soll.“ Mit einem Seufzen schloss Midori ihre Erzählung ab und sah Hilfe suchend zu ihrem Freund. „Du bist doch gut in Mathe, oder?“ Tsukasa, nur langsam aus den Gedanken, in die er sich während ihrer Erzählung verloren hatte, auftauchend, zuckte mit den Schultern. „Gut genug, schätze ich. Soll ich dir beim Lernen helfen?“ „Das wäre super! Ich weiß sonst wirklich nicht, wie das gehen soll. Ich versteh da nur Bahnhof...“, beinahe lustlos stocherte sie in ihrem Eisbecher herum, dessen Überreste langsam aber sicher geschmolzen waren. „Na dann...Ihr schreibt nächsten Montag?“, wollte er noch einmal wissen, fuhr auf ein Nicken hin fort. „Wie wär's dann, wenn du einfach am Freitag nach der Schule mit zu mir kommst? Ich muss zwar noch zum Kunstklub, aber sonst sollte das gehen. Dann kann ich dir in Ruhe nochmal alles erklären und wenn du am Wochenende beim Lernen noch Fragen hast, kannst du mich anrufen.“ „Akzeptiert!“, stimmte sie lachend zu. „Ich wusste immer, dass es Vorteile hat, einen Freund zu haben, der älter ist.“ „Na das war ja klar!“ Langsam ließ Tsukasa sich von ihrer guten Laune anstecken und alberte mit ihr herum, auch wenn der Gedanke an seinen Bruder nie ganz aus seinem Hinterkopf verschwand.   Den restlichen Nachtmittag hatten sie einfach nur damit verbracht, durch die Gegend zu laufen und sich zu unterhalten, bis sie am frühen Abend schließlich vor dem Haus standen, in dem Midoris Familie wohnte. Das Mädchen schmiegte sich an ihn, während Tsukasa die Arme nur locker um sie gelegt hatte. „Ich sollte gehen...“, murmelte Midori nach einem Blick auf ihre Armbanduhr. „Du weißt ja, mein Vater kann's nicht haben, wenn ich zu spät zum Essen bin.“ „Schon okay“, beruhigte der Ältere sie. „Ich muss auch los...“ Er sah ihr in die Augen, strich ihr eine Strähne ihrer langen Haare aus dem Gesicht. „Also sehen wir uns Freitag?“ „Ja, ich freu mich.“ Sie streckte sich leicht nach oben und küsste ihn sanft auf die Lippen, freute sich, als ihr Freund diese Geste der Zuneigung ebenso zärtlich erwiderte, obwohl sie immer noch auf der Straße standen. Während sie jedoch die Wärme genoss, das sich in ihr ausbreitete, runzelte Tsukasa innerlich die Stirn. Irgendetwas fehlte ihm, irgendetwas machte diesen Kuss anders, ließ ihn sich unbedeutend anfühlen. Nach kurzer Zeit schob er sie vorsichtig von sich. „Bis später, ja?“ Sie nickte nur, bevor sie mit einem kurzen Winken im Inneren des Hauses verschwand.   Tsukasa drehte sich um, während er sich mit einer Hand durch die Haare fuhr und mit der anderen in der Hosentasche nach seinen Kippen suchte. Er brauchte Nikotin. Dringend. Und gerade als er den ersten Zug von seiner Zigarette nahm, traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag, so heftig dass er sich an dem blauen Dunst verschluckte. Keuchend blieb er stehen, versuchte normal zu atmen, nicht an seinem Hustenanfall zu ersticken. Die Antwort hatte sich erschreckend klar in seinen Gedanken geformt. Was ihm an diesem Abschiedskuss gefehlt hatte, war dieses überwältigende Prickeln gewesen, dieses Glücksgefühl, das er immer dann gespürt hatte, wenn seine Lippen Hizumis berührt hatten. Er war unsicher, wie er diese Erkenntnis einordnen sollte – abgesehen davon, dass er anscheinend jeglichen Bezug zur Realität verloren hatte.   Er bog von seinem normalen Heimweg ab, ging stattdessen zu einem Spielplatz, den Hizumi und er als Kinder oft besucht hatten. Wenn sie sonntags hergekommen waren, hatten auch ihre Eltern sie begleitet. Geradezu eine Bilderbuchfamilie. Mit einem Seufzen ließ er sich auf eine der Schaukeln fallen und starrte auf den sandigen Boden zwischen seinen Füßen. Bilderbuchfamilie. Schon klar. Das waren sie vielleicht nach außen hin gewesen, bis ihre Eltern beschlossen hatten, sich scheiden zu lassen. Er war damals 16 gewesen, Hizumi 13. Der Festivalbesuch, bei dem sich der Anblick seines Bruders so unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt hatte, war nur wenige Wochen her gewesen, als ihre Eltern es ihnen mitgeteilt hatten. Ihn selbst hatte es getroffen, natürlich. Sie waren schließlich seine Eltern und er fand es unfair, dass sie einfach so aufgaben, sich einfach trennten. Sie hatten sich schließlich zu lieben, oder nicht? Für Hizumi jedoch war es ein Alptraum gewesen. Unzählige Nächte war der Jüngere zu ihm gekommen, um irgendwann vom Weinen erschöpft in seinen Armen einzuschlafen. Auch wenn Hizumi für sein Alter schon damals recht vernünftig gewesen war, hatte er das einfach nicht verstehen können und wollen.   Die Lippen zu einem bitteren Lächeln verzogen legte Tsukasa den Kopf in den Nacken, starrte hinauf in den wolkenverhangenen Nachthimmel. Es hatte ihm damals das Herz gebrochen, seinen Bruder so leiden zu sehen. Unabhängig von seinen Gefühlen für den Jüngeren, die er schon damals vor sich selbst nicht vollkommen hatte leugnen können, hatte er es grausam gefunden, dass er ihm nicht helfen konnte. Er konnte nur da sein. Seine Eltern hatten Hizumi nicht trösten können, der Jüngere hatte die Beiden nicht einmal an sich herangelassen. Und nur sehr, sehr selten war es ihm selbst gelungen diesem so traurigen Jungen ein Lächeln zu entlocken, das auch seine Augen erreichte. Er wusste nicht genau warum, aber Tsukasa hatte das Gefühl seinem Bruder jetzt ähnlich große Schmerzen zuzufügen. Seine rechte Hand fuhr in seine Jackentasche, holte sein Handy hervor und er begann eine kurze Textmitteilung zu schreiben:   'Es tut mir so Leid, Kleiner. Das hab ich so nicht gewollt.'   Ohne noch genauer darüber nachzudenken verschickte er die Nachricht, steckte dann das Handy wieder weg. Mit einem leisen Seufzen ließ er den Kopf gegen eine der Ketten sinken, die die Schaukel hielten, und schloss die Augen. Die kalten Hände in den Taschen vergraben verharrte er einige Zeit regungslos, ganz darauf konzentriert, einfach nichts zu denken.   ~~~ „Tsukasa, wo warst du denn so lange?“ Seine Mutter sah ihn besorgt an, als er die Wohnung betreten hatte. „Hab mich mit Midori getroffen...“ „Ach so. Geht’s ihr gut?“ Er nickte nur. „Ja, alles okay. Warum hast du für drei gedeckt?“, wollte er dann mit einem Blick auf den Küchentisch wissen. „Oh, Hizumi ist hier...er wartet in deinem Zimmer.“ „Was?“ Auch wenn er versucht hatte es zu verhindern, klang er doch ziemlich schockiert. „Wieso das denn?“ „Frag ihn selbst.“ Seine Mutter gestikulierte in Richtung der Pfanne, in der sie gerade Omelett zubereitete. „Ich sag euch dann Bescheid, wenn das Essen fertig ist.“ „Okay...“, ein leises Seufzen entwich seinen Lippen, als Tsukasa die wenigen Meter bis zu seiner Zimmertür ging.   Im Zimmer war es beinahe dunkel, nur seine Nachttischlampe sorgte für ein bisschen Licht, in dem Hizumi konzentriert zu lesen schien. „Was machst du hier?“ Der Jüngere legte das Buch zur Seite, bevor er seinen Bruder mit einem Lächeln ansah. „Auf dich warten? Ich hab deine SMS bekommen“, erklärte er noch, wartete, bis der Ältere sich neben ihn gesetzt hatte. „Ich...verstehe das nicht ganz.“ Er sah seinen Bruder an, bat ihn stumm um eine Erklärung, darum, dass Tsukasa einfach sagen würde, dass alles gut werden würde. Diesem jedoch erschien es unter diesem beinahe flehenden Blick, als würde irgendetwas in ihm zerbrechen. Er konnte diesem Blick nicht lange standhalten, sah stattdessen auf das Cover des Buches, das neben ihnen lag. „Tsukasa, sag was...bitte.“ Der Ältere schüttelte nur den Kopf und zog seinen Bruder fest an sich. Nur ein letztes Mal wollte er sich wenigstens einbilden diese Wärme und Nähe zu spüren. Abwesend strich er über Hizumis Rücken, als dieser sich vertrauensvoll an ihn schmiegte. Er hasste sich selbst dafür, dass er dieses Vertrauen zerstören würde. Aber irgendwo in seinem Kopf hatte sich der Gedanke festgesetzt, dass es immer noch besser sei, das alles jetzt zu beenden, als zu riskieren, dass ihrer beider Leben ihnen dadurch zur Hölle gemacht werden konnte. Besser, als wenn sein kleiner Bruder wegen ihm noch mehr leiden musste. Bei diesem Gedanken zog er den zierlichen Körper noch ein wenig fester an sich; das Gesicht in Hizumis Halsbeuge vergraben, verharrte einen Moment so, bevor er den Anderen langsam von sich drückte. Da war immer noch dieses stumme Flehen in den dunklen Augen, jetzt gepaart mit der immer größer werdenden Gewissheit, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung sein konnte.   „Kleiner...“ Er zwang sich tief durchzuatmen, das verdächtige Glänzen in den Augen des Jüngeren zu ignorieren. „Das, was am Wochenende passiert ist...es war schön, aber es darf nie wieder passieren. Nie wieder.“ Seine Stimme war fester, als er es je hätte denken können, es klang geradezu so, als wäre er von dem überzeugt, was er gerade sagte. Er konnte den Schmerz in Hizumis Augen sehen, der ihn dazu brachte weiterzumachen. „Es war okay, wirklich. Aber mal ehrlich – Du kannst doch nicht von mir erwarten, dass ich dafür mein Leben wegschmeiße?“ War das wirklich er, der da sprach? Alles in ihm schrie danach, den Jüngeren wieder in seine Arme zu ziehen, ihn zu trösten und ihm zu versichern, dass alles nur ein makaberer Scherz gewesen war. Stattdessen zuckte er gespielt gelassen mit den Schultern. „Abgesehen davon, du weißt, dass ich mit Midori zusammen bin...und ich liebe sie.“ Er brachte die Worte kaum über die Lippen, wissend, dass dies gewissermaßen der Todesstoß war. Es kam ihm vor, als könnte er sehen, wie etwas in Hizumi zerbrach, der Unglauben aus dessen Blick verschwand. Die Augen seines Bruders wirkten seltsam leer, trotz des Schmerzes in ihnen, als die ersten Tränen über seine Wangen rollten.   Er wollte – konnte – nicht glauben, was Tsukasa da gerade gesagt hatte. Das konnte er einfach nicht ernst gemeint haben. Ein ersticktes Schluchzen verließ seine Lippen, er krallte seine Hände in das Oberteil seines Bruders, doch dieser wich nur ein Stück zurück. Sein Blick entbehrte jeglicher Emotion. „Du solltest gehen.“ Der Ältere wollte die Hände Hizumis vom Stoff seines Shirts trennen, doch sobald er sie berührt hatte, zuckte sein Bruder zurück. „Fass mich nicht an!“ Weiteres Schluchzen unterdrückend stand der 15-jährige so schnell es ihm möglich war auf und ging zur Zimmertür. Dort drehte er sich noch einmal kurz um und warf seinem Bruder einen erstaunlich hasserfüllten Blick zu. „Und komm mir nie wieder zu nahe!“ Einen Moment später fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und Tsukasa atmete hörbar aus. Es war vorbei. Und so wenig er es sich eingestehen wollte, dieser Gedanke tat verdammt weh.   Später am Abend betrat seine Mutter sein Zimmer. Mit wachsender Besorgnis betrachtete sie ihren Sprössling, der weiterhin nur an die Decke starrte. „Willst du noch was essen?“, fragte sie nach einer Weile sanft, beugte sich zu ihm herunter und strich ihm liebevoll ein paar Strähnen seines Ponys aus dem Gesicht. „...nein...hab keinen Appetit...tut mir Leid...“ Mit einem leichten Nicken ließ sie ihn wieder allein, schließlich war es nicht das erste Mal, dass ihre Söhne sich gestritten hatten, auch wenn es eher selten vorkam.   ~~~ „Argh...ich versteh das einfach nicht!“ Ihrem Freund einen leidenden Blick zuwerfend ließ Midori ihren Kopf auf das Heft vor sich sinken. „Ich bin für Mathematik einfach nicht gemacht, das hab ich schon immer gesagt. Wer denkt sich so etwas bitte aus?“ Sie schloss kurz die Augen, als Tsukasa ihr leicht über den Kopf streichelte. „Na komm, wir rechnen das nochmal zusammen durch, damit wir den Fehler finden und dann lassen wir's gut sein für heute und machen uns einen ruhigen Abend, mh?“, versuchte er das Mädchen zu motivieren, das ihn daraufhin anlächelte. „Okay!“ „Na geht doch...“ Er stand auf und stellte sich, über sie gebeugt, hinter ihren Stuhl. „Also, der Anfang ist vollkommen richtig...das hier auch...“ Er fuhr die Zeilen mit dem Finger nach, bis er den Fehler gefunden hatte. „Da.“ Er tippte auf die Stelle in ihrem Matheheft. „Das müsstest du erst noch zusammenfassen, dann kannst du den Wert auf beiden Seiten subtrahieren, damit er wegfällt...dann löst du die Wurzel auf, indem du die gesamte Gleichung ins Quadrat setzt und der Rest ist dann wieder ganz einfach.“ Aufmerksam sah er zu, wie seine Freundin die Anweisungen befolgte bis sie schließlich das richtige Ergebnis mit einem Aufseufzen doppelt unterstrich. „So!“ Midori schob das Heft weit von sich. „Und jetzt machen irgendwas, was nichts mit Schule zu tun hat...“ Mit einem Lächeln lehnte sie den Kopf nach hinten gegen Tsukasas Oberkörper, bevor ihre Augen sich schlossen und sie ein paar Augenblicke einfach seine Nähe genoss. Sie fand, dass sie sich wirklich glücklich schätzen konnte, so einen wundervollen Freund zu haben. „Ich hab 'Ponyo' auf DVD da, wenn du magst?“ Tsukasa richtete sich auf, sah das Mädchen fragend an, das erst kurz nachdachte und dann nickte. „Klar gern, den fand ich im Kino schon toll, hast du ihn neu gekauft?“ „Ja, vor ein paar Tagen erst.“ Er ging die wenigen Schritte zum Kühlschrank, um sich eine Flasche Orangensaft herauszuholen. „Ich konnte einfach nicht anders. Jetzt, wo es den Film endlich auf DVD gibt, hat ja lang genug gedauert.“ Er bat Midori noch zwei Gläser mitzunehmen, dann gingen sie zusammen in Tsukasas Zimmer. Flasche und Gläser fanden ihren Platz auf dem Nachttisch, als Tsukasa den Film in den Player legte und es sich dann zusammen mit Midori auf seinem Bett bequem machte, sodass sie sich an ihn lehnen konnte.   Seine Hand strich immer wieder liebevoll durch ihr langes Haar, hin und wieder spielte er gedankenverloren mit einer der Strähnen, während er fühlte, wie sie sich an ihn kuschelte. Der Film war schon einige Zeit zu Ende und so hatten sie die letzten Minuten mit leisen Gesprächen verbracht, die in eine angenehme Stille übergegangen waren. Ihr zierlicher, warmer Körper schmiegte sich an seinen; er konnte nicht leugnen, dass es sich gut anfühlte, natürlich tat es das. Er wusste auch nicht, ob ihm etwas fehlte, weil es anders war als mit Hizumi, oder ob es gut war, weil es sich genauso anfühlte wie bei den anderen Menschen, mit denen er bisher solche Momente geteilt hatte. Als Midori sich etwas aufrichtete, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Das Mädchen hatte sich auf den Bauch gedreht, die Hände auf seinen Brustkorb gelegt und stützte nun ihr Kinn darauf ab. „Was ist...?“, fragte Tsukasa nach ein paar Sekunden, in denen sie ihn einfach nur angeschaut hatte. „Nichts eigentlich.“ Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Ich mag es, dich so anzusehen.“ Sie streckte sich etwas, legte ihre rechte Hand an seine Wange. Ihre Blicke trafen sich kurz, dann küsste sie ihn zärtlich. Ihre Küsse waren immer ein klein wenig schüchtern, als hätte sie Angst, etwas falsch zu machen oder ihm nicht zu gefallen. Er ließ ihr etwas Zeit, stupste dann mit der Zungenspitze vorsichtig gegen ihre Lippen und vertiefte den Kuss, als sie ihr Einverständnis zeigte. Wie von allein wanderte eine seiner Hände in ihren Nacken, liebkoste sie dort, während die andere ihr leicht über den Rücken streichelte, das Mädchen schließlich etwas näher zu sich zog. Als Tsukasa jedoch spürte, wie sie sich zurückzog, sah er sie forschend an, nachdem sich ihrer beider Lippen voneinander gelöst hatten. „Was ist los?“, wollte er leise wissen, bemerkte zu seinem Erstaunen, dass die Wangen seiner Freundin ein leuchtendes Rot angenommen hatten, sie sich aber anscheinend nicht zu einer Antwort durchringen konnte. „Na komm, ich werd dir nicht den Kopf abreißen...“, fügte er mit einem beruhigenden Lächeln hinzu. „Ich...naja...“ Ein entnervtes Seufzen entfuhr ihr und sie lehnte ihre Stirn gegen seine Schulter. „Okay, es ist wirklich peinlich, das sagen zu müssen...“, murmelte sie dann mehr zu sich selbst. Er konnte spüren, wie sie noch einmal durchatmete. „Tsukasa?“ „Mh?“ Zögerlich hob sie den Kopf und sah ihn mit einem ziemlich unsicheren Gesichtsausdruck an. „Ich glaube, ich will mit dir schlafen.“ Ihre Stimme war leise, aber in ihrem Blick lag eine gewisse Entschlossenheit, was Tsukasa allerdings nur am Rande wahrnahm. Ihre Aussage hatte ihn für ein paar Sekunden wirklich aus dem Konzept gebracht. „...bist du dir da sicher?“ er strich ihr sanft über die Wange. „Ich meine-“ „Ja, ich bin sicher!“ Sie lehnte sich weiter über ihn und sah ihn ernst an, bevor er auch nur versuchen konnte, seine Gedanken in Worte zu fassen. „Ich meine, wir sind jetzt mehr als drei Monate zusammen und ich glaube wirklich, dass ich das mit dir teilen möchte.“ „Wow...“ Tsukasa konnte nicht anders als zu lächeln. „Na dann hoffe ich, dass du diese Entscheidung nicht bereuen wirst.“, meinte er noch und gab ihr einen kurzen Kuss. „Trotzdem lassen wir das etwas ruhiger angehen, okay?“ Er warf einen Blick auf seinen Wecker. „Du musst auch bald los, sonst macht dein Vater wieder Stress.“ „Mhhhh~...“ Midori kuschelte sich wieder an ihn, griff nach einer seiner Hände und verschränkte ihre Finger mit seinen. „Ich bin wirklich froh, dich zu haben...einen wundervolleren Freund gibt es gar nicht, glaub ich.“ Ihre Stimme klang so aufrichtig, dass es Tsukasa einen gewaltigen Stich versetzte. Abgesehen von der Tatsache, dass kein anderer Kerl sie mit seinem eigenen Bruder betrügen würde, versteht sich, kommentierte eine sarkastische Stimme in Tsukasas Kopf, die wohl sein Gewissen war. Er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht genervt aufzustöhnen. 'Besser' konnte seine Situation ja wohl nicht sein. Also lächelte er nur, als sie aufstand und erhob sich dann ebenfalls, um sie zur Tür zu bringen.   ~~~ Ein unwilliges Grummeln verließ Tsukasas Lippen, als er von einem schon nach wenigen Sekunden ziemlich nervtötenden Geräusch aus einem angenehmen Dämmerzustand gerissen wurde. „...dein Handy klingelt...“, informierte ihn Midori, die an ihn geschmiegt da lag und keinerlei Anstalten machte, sich zu bewegen. Mit einem Seufzen griff er nach dem Unruhestifter, um das Gespräch entgegenzunehmen. „Ja?“ „Tsukasa? Wo bist du? Wir müssen gleich zu deinem Vater!“ Die Stimme seiner Mutter klang gehetzt. „Scheiße, das hab ich total verplant.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, dachte kurz nach. „Hör mal, geh du einfach schon vor, ich komm so schnell wie möglich nach, ja?“ Die Antwort seiner Mutter bestand nur aus einem knappen „Okay“, dann hatte er nur noch ein Tuten in der Leitung. „Na prima...“ Er ließ die Hand sinken, in der er noch immer sein Handy hielt und stieß ein schicksalsergebenes Seufzen aus. „Sorry, Süße,...ich muss dich alleine lassen.“ Midori hob den Kopf und sah ihn mit einem leichten Schmollmund an. So hatte sie sich das eigentlich nicht vorgestellt. „Warum?“, wollte sie dann nur wissen. „Ich hab total vergessen, dass mein Vater heute Geburtstag hat...und da muss ich natürlich hin und wenn ich nicht erst Mitternacht da sein will, sollte ich mich beeilen.“ Liebevoll strich er ihr eine Strähne ihrer dunklen Haare aus dem Gesicht und sah sie entschuldigend an. „Das nächste Mal bleib ich die ganze Nacht, okay?“ „Na gut...weil du's bist.“ Deutlich unzufrieden legte sie sich neben ihn, sodass er aufstehen konnte, während sie sich weiter in ihre Bettdecke wickelte. Sie schloss einige Momente die Augen, lag einfach nur entspannt da, bis sie fühlte, wie Tsukasas Finger ihr wieder sanft über die Wange streichelten. Er hockte, jetzt angezogen, vor ihrem Bett und sah sie forschend an. „Alles okay?“, seine Stimme klang so warm und besorgt, dass ihr Körper sofort wieder von einem verliebten Kribbeln erfüllt wurde. „Ja, alles gut, keine Angst.“ Er küsste sie noch einmal kurz, murmelte ein „bis bald“ gegen ihre Lippen und erhob sich dann, um zu gehen. Nein, sie bereute es definitiv nicht, dass sie ihm heute ihr erstes Mal geschenkt hatte. Er war vorsichtig gewesen und das Erlebnis war zu einer schönen, einzigartigen Erinnerung für sie geworden, was nicht alle ihre Freundinnen von sich behaupten konnten. Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen drehte Midori sich auf die andere Seite, bettete ihren Kopf auf die Stelle des Kissens, auf der Tsukasa bis eben gerade noch gelegen hatte, und verfiel kurz darauf wieder in einen angenehmen Halbschlaf.   Tsukasa indessen hatte den schnellsten Weg zurück zur der Wohnung genommen, in der er und seine Mutter wohnten. Warum genau wusste er nicht, aber so, wie er war, konnte er vor allem seinem Bruder nicht unter die Augen kommen. Irgendwas sagte ihm, dass Hizumi sofort wissen würde, was passiert war. Kaum war die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss gefallen, hatte er seine Schuhe auch schon in die nächste Ecke getreten und war auf dem Weg ins Bad. Seine Klamotten ließ er einfach auf den Boden fallen, trat in die Duschkabine, drehte in der gleichen Bewegung noch das Wasser auf – und zog sich im nächsten Moment fluchend so weit wie möglich von dem eiskalten Strahl zurück. Den Kopf in den Nacken legend atmete er tief durch. Wenn er sich jetzt noch mehr Stress machte, würde er nur versehentlich ausrutschen und sich irgendetwas brechen. Und das musste man nun nicht unbedingt riskieren. Mit der Hand testete er noch einmal die Temperatur, bevor er wieder unter den Wasserstrahl trat. Die Wärme wirkte angenehm entspannend, tat ihm gut. Denn jetzt, wo er wieder wusste, dass heute der Geburtstag seines Vaters war, war ihm auch klar geworden, dass er Hizumi wiedersehen würde. Das erste Mal seit mehr als eineinhalb Monaten. Und, verdammt, er hatte Angst dem Jüngeren gegenüber zu treten. Sein Bruder musste ihn regelrecht verabscheuen, aber er war ja selbst Schuld daran. Hätte er sich beherrschen können, wäre es nie soweit gekommen. Vermutlich hatte er seinen Bruder mit diesem Quasi-Überfall auch noch für den Rest seines Lebens traumatisiert. Dieser und ähnliche Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er sich mit dem Fahrrad auf den Weg zu seinem Vater machte. Er war froh, die Straßen ziemlich leer vorzufinden, da er sonst sicherlich zu allem Überfluss noch einen Unfall gebaut hätte, weil er sich einfach nicht konzentrieren konnte.   „Tsukasa! Da bist du ja endlich!“ Sein Vater stand vor ihm in der Tür und sah ihn, im Gegensatz zu seinem strengen Tonfall, mit einem Lächeln an. „Ja, tut mir wirklich Leid, ich hab das irgendwie nicht auf die Reihe bekommen heute“, murmelte der 18-jährige seine Entschuldigung. „Na ja, ich werde damit leben müssen, oder?“ Das Lächeln im Gesicht seines Vaters wurde etwas breiter. „Jetzt komm erst einmal rein, deine Mutter bricht schon alle fünf Minuten in Schimpftiraden über 'ihren unmöglichen Sohn' aus.“ Nun ebenfalls grinsend betrat Tsukasa das Apartment, entledigte sich seiner Schuhe und folgte seinem Vater dann ins Wohnzimmer, wo seine Mutter auf dem Sofa saß und ihm zur Begrüßung nur einen scharfen Blick zuwarf. „Ja, Mama, ich weiß.“ Er hob abwehrend die Hände. „Ich bin furchtbar missraten und so hast du mich nicht erzogen...können wir jetzt essen? Ich bin wahnsinnig hungrig.“ Seine Mutter stand nur kopfschüttelnd auf und folgte ihnen in die Küche, wo der Tisch bereits gedeckt war. „Aber eines sag ich dir, irgendwann wirkt dein Hundeblick bei mir auch nicht mehr!“, drohte sie ihrem Sohn scherzhaft, als sie sich hinsetzten, während ihr Ex-Mann das Essen endlich servieren konnte. Etwas verwirrt sah Tsukasa sich um. „Wo ist Hizumi?“ Auch wenn es nur ein kurzer Moment war, bemerkte er, wie seine Eltern einen besorgten Blick austauschten. „Hallo? Redet mit mir!“ Mit einem ein bisschen ratlos wirkenden Seufzen setzte sein Vater sich, nachdem er die letzte Schüssel auf dem Tisch platziert hatte. „Er wollte nicht hierbleiben, meinte, er hätte noch etwas zu tun...er ist etwas merkwürdig in letzter Zeit.“ „Oh.“ Schuldbewusst biss er sich auf die Lippen. „Na ja, das wird schon wieder werden, da bin ich mir sicher“, versetzte seine Mutter mit einem betont optimistischen Tonfall, um gleich darauf gekonnt das Thema zu wechseln. Worüber seine Eltern sprachen, bekam Tsukasa nicht wirklich mit, er war zu sehr damit beschäftigt, das in ihm aufsteigende Unwohlsein zu verdrängen.   Er sah erst wieder auf, als sein Vater einen Becher Sake vor ihm abstellte und einen dicken Briefumschlag gleich daneben legte. „Was ist das?“ „Mach es auf. Ich hab euch nicht nur eingeladen, weil ich Geburtstag habe, sondern auch, weil ich dich mit etwas überraschen wollte.“ Der 18-jährige warf ihm noch einen verwirrten Blick zu, der amüsiert erwidert wurde, bevor er sich daran machte den Umschlag zu öffnen. Als er den Brief las konnte er förmlich fühlen, wie seine Augen immer größer und sein Gesichtsausdruck immer ungläubiger wurden. Er musste schlucken, sein Mund fühlte sich auf einmal furchtbar trocken kann. Dann hob er den Blick und sah in die erwartungsvollen Gesichter seiner Eltern. „Ist das...euer Ernst?“, wollte er dann wissen, sah immer wieder zwischen den Beiden hin und her. Langsam ließ er das Blatt Papier auf den Tisch sinken, als sein Vater nickte. „Ja, eigentlich ist schon alles organisiert. Du musst nur noch zusagen...also, was denkst du?“ „Ich...weiß nicht...das ist...wow.“ Immer noch unfähig einen wirklich zusammenhängenden Satz zu formulieren, sah er auf den Brief vor sich. Amerika. Er hatte hier tatsächlich ein Stipendium für eine amerikanische Kunsthochschule in der Hand. Wie zur Hölle hatte sein Vater das gemacht? Genau das war auch die Frage, die er als nächstes stellte, doch der Angesprochene zuckte nur mit den Schultern. „Du weißt doch, dass ich Geschäftspartner dort habe. Also hab ich mit einem Bekannten, der als Dozent an dem College tätig ist, gesprochen und ihm später einfach das letzte Zeugnis von dir geschickt, zusammen mit ein paar Fotos von deinen Arbeiten zur letzten Schulausstellung. Und als Antwort kam dann das hier.“ Tsukasa nickte nur. „Danke, wirklich...“ Allmählich schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen, als er begann zu verstehen, was für eine Chance er hier bekam. „Das ist wirklich irre!“ Er stand auf und umarmte seinen Vater, der ihm nur kurz auf den Rücken klopfte.   Seine Freude wurde jedoch abrupt unterbrochen, als er die Wohnungstür leise ins Schloss fallen hörte und nur wenige Augenblicke später Hizumi in der Küche stand. „Ihr seid ja noch da“, murmelte der zur Begrüßung, ging zu seiner Mutter und umarmte sie ebenfalls kurz. Tsukasa ignorierte er jedoch völlig. „Schatz, möchtest du noch etwas essen?“, fragte seine Mutter mit einem fürsorglichen Lächeln, doch der Junge schüttelte nur den Kopf. „Ich bin müde...ich geh in mein Zimmer, okay?“ Ohne eine Antwort abzuwarten war der Junge auch schon wieder verschwunden. Und sofort fühlte Tsukasa den bohrenden Blick seiner Mutter auf sich ruhen. „Du solltest mit ihm reden.“ „Ich? Wieso?“ „Halt mich nicht für dumm, Tsukasa. Irgendwas ist zwischen euch passiert und seitdem ist er so merkwürdig drauf. Also bring das gefälligst wieder in Ordnung!“, forderte sie ihn streng auf. Innerlich seufzend musste er ihr Recht geben. Sein Bruder sah furchtbar aus und er selbst war Schuld daran. Nur gut, dass seine Mutter den eigentlichen Grund für das alles nicht kannte. „Schon gut...“, murmelte er ergeben, folgte dann dem Jüngeren zu dessen Zimmer.   Er atmete noch einmal tief durch. Es kostete ihn einige Überwindung zu klopfen und schließlich die Tür ein Stück weit zu öffnen. „Was ist?“ Hizumis Stimme war leise und klang irgendwie unglaublich müde. „Ich wollte mit dir reden.“ Sein Bruder hob ruckartig den Kopf, als er die Tür hinter sich schloss und sich dagegenlehnte. „...und wenn ich nicht mit dir reden will?“ Mit angezogenen Knien saß der Jüngere auf seinem Bett und sah ihn mit einem undefinierbaren Ausdruck in den Augen an. Tsukasa hätte nicht gedacht, dass es ihm bei diesem Anblick so den Brustkorb zusammenschnüren würde. „Könnte ich auch verstehen“, erwiderte er dann leise. „Ich wollte mich entschuldigen...ich denke, ich hab ein wenig übertrieben neulich und-“ „Ein bisschen übertrieben? Geht’s dir sonst noch gut?“ Er zuckte zusammen, als sein Bruder ihn dermaßen heftig unterbrach. „Deutlicher hättest du mir kaum sagen können, dass ich nicht mehr als ein wertloser Fick war, verdammt! Und ich hab's kapiert, ja? Also verpiss dich endlich!“ „Hizumi, bitte...“ Tsukasa war selbst davon überrascht, dass seine Stimme beinahe flehend klang. Er überbrückte die Distanz zwischen ihnen und kniete sich vor das Bett. „Ich wollte das alles nicht sagen...aber verdammt, ich wusste doch auch nicht, was ich machen sollte.“ Er seufzte, als sein Bruder demonstrativ den Kopf zur Seite drehte und sich stur weigerte ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Was er so gesehen auch nicht anders verdient hatte. „Du bist mir nicht egal, Kleiner. Alles andere als das...auch wenn du mir das im Moment nicht glauben wirst.“ Ein weiteres Seufzen verließ seine Lippen, als er nach den passenden Worten suchte. „Aber ich konnte doch nicht zulassen, dass du, dadurch, wie auch immer das weitergegangen wäre, noch viel mehr verletzt worden wärst.“ Tsukasa lehnte sich etwas über das Bett und legte seine Hand an das Kinn seines Bruders, damit der ihn endlich ansah. Unwillig gehorchte Hizumi dieser Geste, erwiderte den bittenden Blick seines Bruders allerdings vollkommen regungslos. „...es hat so viel mehr wehgetan...“, murmelte er dann, drehte sich wieder weg. Er streckte sich auf dem Bauch liegend auf seinem Bett aus, um stumm an die Wand vor sich zu starren. Mit einem leisen Seufzen wandte Tsukasa sich ebenfalls um, setzte sich hin und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Möbelstück. Sie schwiegen eine Zeit lang, keiner von Beiden wusste, was er noch sagen sollte, bis Tsukasa sich dazu durchringen konnte, weiterzusprechen. „Ich werde weggehen. Paps hat mir ein Stipendium an einer Kunsthochschule in den USA besorgt“, erzählte er gedankenverloren. „In ein paar Wochen bin ich schon nicht mehr hier. Dann ist sowieso alles egal.“ Hinter sich hörte ein Rascheln, so als hätte Hizumi sich bewegt. „Ist vermutlich besser so, dann muss ich dir nicht mehr wehtun, und weder Midori noch irgendjemanden sonst belügen...“ „Du bist immer noch mit ihr zusammen?“, fragte er Jüngere nach einem Moment des Zögerns. „Ja, aber es ist...anders.“ Ein wehmütiges Lächeln schlich sich auf Tsukasas Gesichtszüge, dass sich jedoch ungesehen in der Dunkelheit des Zimmers verlor. „Was ist anders?“ Hizumi hatte sich mittlerweile auf den Rücken gedreht und betrachtete die Muster, die das von draußen hereinfallende Licht an die Zimmerdecke malte. „Alles. Ich hab sie gern...aber es fehlt einfach was. Das merke ich immer deutlicher...“ Die Stimme des Älteren war leise, so als würde er mehr mit sich selbst sprechen. „Wenn ich sie küsse...es fehlt dieses Kribbeln, dass ich fühle, wenn ich in deiner Nähe bin.“ Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Die nächsten Worte fielen ihm nicht leicht, aber wenn er irgendetwas gutmachen wollte, musste er das irgendwie herausbringen. „Was ich gesagt hab war eine Lüge...diese Nacht mit dir war das Schönste, das ich je erlebt habe.“ Stille. Dann ein unterdrücktes Schluchzen. Der Ältere drehte sich um und konnte im spärlichen Licht, das von draußen ins Zimmer fiel, sehen, dass seinem Bruder Tränen über die Wangen liefen. „Tut mir Leid...ich wollte nicht, dass du schon wieder weinst.“ Seine eigene Stimme glich eher einem erstickten Flüstern, aber Hizumi schüttelte nur den Kopf, dann griff er nach Tsukasas Oberteil und zog leicht daran. „Komm her...bitte...“ Der nickte, rappelte sich auf und legte sich dann neben den Jüngeren ins Bett, der sich sofort an ihn schmiegte. Mit einem Arm zog Tsukasa ihn noch ein wenig an sich, strich ihm dann immer wieder beruhigend durch die Haare. Diese ganze Situation machte ihm Angst. Auch wenn er immer gewusst hatte, dass seine Gefühle für Hizumi weit über das brüderliche Maß hinaus gingen, war diese vollkommene Zufriedenheit, die ihn in diesem Moment erfüllte, dieser Gedanke des 'Vollständig-seins', beängstigend. Er spürte wie der Körper in seinen Armen sich nach und nach ein bisschen entspannte, sein Bruder wieder ruhiger wurde. Aus einem anderen Teil der Wohnung drang Lachen zu ihnen. „Sie verstehen sich wirklich wieder gut, oder?“, murmelte Hizumi gegen den Stoff seines Shirts. „Ja, seit sie sich getrennt haben ist es besser geworden, hab ich das Gefühl.“ Ein ironischer Gedanke, aber er entsprach der Wahrheit. „Wenn du nach Amerika gehst, was mache ich dann?“ Der Ältere konnte nur leicht mit den Schultern zucken. „Ich weiß nicht...aber noch hab ich ja auch noch nicht entschieden, dass ich gehe.“ „Du solltest aber.“ Der 15-jährige hob den Kopf und sah seinen Bruder eindringlich an. „Auch wenn es mir lieber wäre, du würdest bleiben – so eine Chance bekommt man nur einmal im Leben!“ Tsukasa strich ihm sanft über die Wange, zog ihn zu sich und hauchte einen sanften Kuss auf seine Nasenspitze. „Und wenn ich dich nicht allein lassen will?“, fragte er dann leise. Ein zögerliches Lächeln breitete sich auf Hizumis Gesicht aus. „Dann müssten wir uns wohl irgendwas anderes überlegen.“ Tsukasa lehnte ebenfalls lächelnd seine Stirn gegen die des Anderen. „Ich will dir nicht nochmal irgendwie so wehtun.“ „Keine Angst, ich passe schon auf uns auf.“ Auch wenn ein kleiner Teil Hizumis seinem Bruder nicht so leicht verzeihen konnte, die Situation kam ihm wie ein Traum vor. Ein Traum, in dem er sich, da er die Nähe des Älteren endlich wieder spüren konnte, unendlich glücklich und lebendig fühlte. Und wenn das hier ein Traum sein sollte, dann konnte er doch machen, was er wollte oder? Dann war doch nichts falsch an dem, was er sich wünschte. Er drehte sich wieder auf den Rücken, zog Tsukasa mit sich und bedachte den Älteren aber mit einem ernsthaften Blick. „Ich hab viel nachgedacht in der letzten Zeit. Ich hab mich gefragt, was ich machen würde, wenn du diese Sachen nicht gesagt hättest. Als du zu mir in die Schule gekommen bist...ich war so glücklich dich zu sehen. Ich dachte, dass etwas anders wäre nach diesem Wochenende. Und ich hab mich gefragt, ob ich...so was noch mal wollen würde.“ In seine Gedanken versunken spielte er mit einer längeren Strähne von Tsukasas Haar und sah ihn offen an. „Als du dann gesagt hast, dass du dich mit Midori triffst – das hat ziemlich wehgetan und hab gedacht, dass ich vielleicht nur eine kleine Abwechslung gewesen bin und war schrecklich eifersüchtig auf sie, weil sie dich immer haben konnte. Weil du zu ihr gegangen bist und nicht zu mir.“ Für einen Moment verlor sich Hizumis Stimme im Nichts, bevor er seinen Gedanken wieder aufnahm. „Und da hab ich begriffen, dass ich das alles sehr gern noch mal gehabt hätte, dass ich an ihrer Stelle sein wollte...“ Tsukasa musste heftig schlucken und schloss für einen Moment die Augen. Er hätte sich ohrfeigen können. Was war er eigentlich für ein Arsch? Wie hatte er dem wichtigsten Menschen in seinem Leben so wehtun können? Für einen Moment biss er sich auf die Unterlippe, wartete bis er sicher war, dass seine Stimme nicht zittern würde. „Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn du in Zukunft an ihrer Stelle wärst...“ „Wirklich?“ „Ja.“ Tsukasa erlaubte sich ein leichtes Lächeln. „Aber für den Moment wär ich schon zufrieden, wenn ich dich küssen dürfte...“ Als er das Strahlen sah, das sich im Gesicht seines Bruders ausbreitete, hatte er das Gefühl sein Herzschlag würde für ein paar Sekunden einfach aussetzen. Er konnte nicht glauben, dass er diese Chance tatsächlich bekommen sollte. „Darfst du“, bekam er nun etwas verspätet die Bestätigung, die er gleich nutzte, um den letzten Abstand zwischen sich und dem Jüngeren zu überbrücken. Der Kuss war sanft und vorsichtig, als hätte er noch immer Angst, dass er seinem Bruder damit wehtun könnte. Und trotzdem war plötzlich einfach alles richtig, obwohl ihre Lippen sich nur ganz leicht berührten. Egal ob sie Brüder waren, es fühlte sich richtig an und dieses Prickeln, dass er bei Midori so vermisst hatte, ergriff wieder Besitz von ihm. Das war es, was ihm gefehlt hatte. Er ließ sich Zeit, bis er den Kuss vertiefte, vorsichtig mit der Zungenspitze gegen Hizumis Lippen stupste und dieser im bereitwillig entgegenkam. Er verlagerte sein Gewicht etwas, sodass er nur halb auf dem Jüngeren lag und immer wieder leicht dessen Seite entlangstreichen konnte, bis seine Hand schließlich vorsichtig den Weg unter den Stoff des Oberteils fanden. Sanft liebkoste er die weiche Haut, die er so vermisst hatte. Er spürte, wie sich unter seinen Fingern eine leichte Gänsehaut bildete und als sie ihren Kuss für ein paar kurze Augenblicke lösten, um durchzuatmen, sah er nur Glück und unendliche Zuneigung in den Augen seines Bruders. Hizumi vergrub seine Hände in den Haaren des Älteren und zog ihn wortlos wieder zu sich. Er mochte jung sein, aber er erkannte einen besonderen Augenblick, wenn er ihn erlebte – und diesen hier wollte er vollkommen auskosten. Schon nach kurzer Zeit waren beide so in das zärtliche Spiel ihrer Küsse versunken, dass sie nicht bemerkten, wie die Tür geöffnet wurde.   „Tsukasa, kommst du? Wir wollen geh-“, geschockt hielt seine Mutter inne. „Was zum Teufel treibt ihr da?“ Ihr Stimme klang schrill und ungläubig. Sie konnte nicht fassen, was sie hier sah. Tsukasa, der schon bei ihren ersten Worten heftig zusammengezuckt war, setzte sich auf und sah die vollkommen aufgelöste Frau erschrocken an, bevor er sich dazu zwang ruhig zu bleiben. „Du hast doch gesagt, ich sollte das wieder in Ordnung bringen und das hab ich getan.“ Selbst in seinen eigenen Ohren klang er viel zu sachlich und ruhig. „Indem du deinen Bruder küsst?“, schrie sie ihn an, was nun auch seinen Vater auf den Plan rief, der nur vollkommen fassungslos zwischen den restlichen drei Familienmitgliedern hin und her sah. „Was ist hier los?“, wollte er dann wissen. „Unsere Söhne haben vollkommen den Verstand verloren, das ist los!“, keifte seine Ex-Frau ihn an, schritt dann schnell durch das Zimmer und packte Tsukasa reichlich unsanft am Oberarm. Es war immer wieder erstaunlich für ihn, dass diese zierliche Person so viel Kraft aufbringen konnte. Er schenkte seinem Bruder noch ein weiches Lächeln, ließ sich dann aber ohne Gegenwehr aus der Wohnung ziehen.   ~~~ „Okay...lass mich das nochmal zusammenfassen, ja?“ Ein von einem Kopfschütteln begleitetes Grinsen folgte. „Du hast mit deinem Bruder geschlafen, ihn dann abserviert, warst in der Zeit mit deiner Freundin zusammen und hast sie entjungfert, bevor du und Hizumi euch wieder vertragen habt, was aber nichts bringt, weil eure Eltern euch erwischt haben und jetzt wirst du nach Amerika zwangsverschifft?“ Der junge Mann nahm auf Tsukasas ergebenes Nicken hin einen großzügigen Schluck aus der Bierflasche in seiner Hand. „Mann, da kommt mir mein Leben echt ziemlich langweilig vor...“ Er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Sein bester Freund hatte ja schon immer ein Talent dafür besessen, sich in die unmöglichsten Situationen zu bringen, aber das hier übertraf ja wohl alles. „Und was willst du jetzt machen?“, wollte er dann wissen. „Na was wohl.“ Missmutig nahm Tsukasa einen Zug von seiner Kippe. „Ich steig in etwa 10 Stunden in dieses beschissene Flugzeug – vorausgesetzt ich lebe dann noch, wenn meine Mutter mitbekommen hat, dass ich abgehauen bin...“ Mit einem frustrierten Stöhnen ließ er seinen Kopf in den Nacken fallen. „Das weiß sie nicht?“ Er schüttelte nur den Kopf. „Ich bin einfach weg, ich brauchte noch ein bisschen normale Gesellschaft...“ „Na ob ich da der Richtige bin“, grinsend kratzte Zero sich am Kinn. „Aber mal ernsthaft, was machst du jetzt? Was ist mit deinem Abschluss?“ „Mach in an ner japanischen Schule irgendwo in den USA...keine Ahnung...“ Das alles war ihm mittlerweile einfach nur noch furchtbar egal. Er schnippte den Rest seiner Zigarette aus dem Fenster, sah dann seinen Kumpel eindringlich an. „Und du findest mich jetzt nicht irgendwie gestört oder so?“ Zero zuckte nur mit den Schultern. „Sollte ich?“, stellte sein Kumpel die Gegenfrage, wurde dann aber ernster. „Hör mal, mir ist das ziemlich egal, mit wem du schläfst oder zusammen bist, wenn du glaubst, dass es das Richtige für dich ist...schwanger werden kann er auch nicht, also was soll's schon, du hast es dir nicht ausgesucht, oder? Du hast mich ja auch nicht verurteilt, als ich was mit meinem Nachhilfelehrer angefangen hab...“, fügte er dann noch hinzu und entlockte damit endlich auch seinem Gegenüber ein schwaches Grinsen. „Wobei du mit dem auch nicht verwandt bist.“ „Ach ist doch auch egal. Lass uns anstoßen auf auf uns...und den Verfall verstaubter Moralvorstellungen!“ Mit einem dumpfen Klirren trafen sich die Bierflaschen und als er einen Schluck nahm, fühlte Tsukasa sich seltsam erleichtert.   ~~~ Die Hände tief in seine Jackentaschen vergraben trottete er, den Blick fest auf den Boden gerichtet, neben seiner Mutter her in Richtung des Gates, von dem aus sein Flug gehen würde. Er hasste diese Stille zwischen ihnen, aber seit diesem Abend vor knappen zwei Wochen hatte sie nicht mehr als das Allernötigste mit ihm geredet. Da sie auch dafür gesorgt hatte, dass ihr Sohn schon wesentlich eher als geplant nach Amerika fliegen würde, hieß das wohl, dass sie seinen Anblick einfach nicht mehr ertragen konnte. Und irgendwo konnte er das sogar verstehen. Mit Midori hatte er Schluss gemacht, als sie sich das nächste Mal gesehen hatten. Sie hatte es nicht verstanden und dachte nun vermutlich, dass er trotz allem ein gefühlloser Arsch war. Auch wenn er versucht hatte seine Entscheidung mit dem Umzug in die USA zu begründen, hatte sie sich nur wortlos umgedreht und war weinend gegangen. Aber das war er ja mittlerweile quasi gewöhnt.   Zu Hizumi war ihm jeglicher Kontakt verboten worden – natürlich – und seine einzige Hoffnung ihn noch einmal zu sehen bestand darin, dass er vielleicht mit seinem Vater zum Flughafen kommen würde. Schon allein, um in der Öffentlichkeit den Eindruck einer normalen Familie zu machen – wen auch immer das interessieren sollte. Und als hätte sie auf sein gedankliches Stichwort gewartet, blieb seine Mutter in diesem Augenblick stehen, um ihren Ex-Mann in einem vollkommen alltäglichen Tonfall zu begrüßen. Die Beiden begannen sich über irgendwelche belanglosen Weltgeschehnisse zu unterhalten, behielten ihre Sprösslinge dabei aber immer in den Augen. Als ob sie jetzt irgendwas machen könnten, dachte Tsukasa verbittert, hob dann aber langsam den Kopf. Wenigstens sehen wollte er seinen Bruder noch einmal. Mit einem fast unsichtbaren Lächeln erwiderte der Jüngere seinen Blick und er musste feststellen, dass sie Beide wohl gleich blass, müde und erschöpft aussahen.   Die nächsten zwanzig Minuten schaffte er es nicht seinen Blick von Hizumi zu lösen. Er wollte, musste, sich dieses Gesicht einfach für immer einprägen, denn er war sich sicher, dass es so bald – sprich in den nächsten Jahren – wohl keine Möglichkeit für ihn geben würde, den anderen wiederzusehen. Als sein Flug dann endlich aufgerufen wurde, war Tsukasa beinahe erleichtert. Selbst seine Eltern standen nur schweigend da und wussten sichtlich nicht was sie sagen oder tun sollten. „Na dann“, Tsukasa schulterte seinen Rucksack und sah mit einem aufgesetzt-fröhlichen Lächeln seine Familie an. „Ich werd dann mal gehen. Vielleicht schreibt ihr mir ja mal ne Karte oder so...“ Damit drehte er sich um und ging ohne noch einmal zurückzusehen in Richtung Sicherheitskontrollen. Er wollte sich wenigstens noch bis er im Flugzeug saß soweit zurückhalten, dass er nicht in Tränen ausbrach.   Er war schon beinahe an der Reihe, als er hinter sich laute Stimmen hörte und sich, eher um sich abzulenken, als aus Interesse umdrehte. Keine zwei Sekunden später allerdings fiel ihm Hizumi auch schon um den Hals, während ihre Eltern in einigen Metern Entfernung standen und ihm befahlen sofort zurückzukommen. Der Junge hob den Kopf und Tsukasa sah die nassen Spuren, die Tränen auf sein Gesicht gezeichnet hatten. „Ich will nicht, dass du gehst...“; schluchzte der 15-jährige jetzt. Tsukasa konnte nur schwach lächeln und strich ihm mit dem Daumen eine neue Träne aus dem Gesicht. „Ich will auch nicht gehen...aber ich hab leider keine Wahl.“ Und auch auf die Gefahr hin, dass seine Mutter ihm an Ort und Stelle das Genick brechen würde, beugte er sich ein Stück nach vorn und küsste seinen Bruder sanft auf die Lippen. Wieso mussten Abschiede immer so wahnsinnig wehtun? „...ich liebe dich, Kleiner, vergiss mich nicht, ja?“ Die Worte waren nur ein ersticktes Flüstern. Er wusste nicht, woher sie in diesem Moment kamen, aber er war sich sicher, dass sie die Wahrheit waren. Noch einen letzten Kuss hauchte er dem Jüngeren auf die Stirn, dann drehte er sich endgültig um und ging durch die Sicherheitsschleuse. Nur noch ein paar Schritte, dann war er im Flugzeug, dann konnte er auch zusammenbrechen, es war ihm egal. Dann spielte nichts mehr wirklich eine Rolle.   Den nächsten klaren Gedanken fasste er erst, als eine Stewardess ihn freundlich darum bat, sein Handy auszuschalten, falls er das noch nicht getan haben sollte. Er nickte schweigend, zog das kleine Telefon aus seinem Rucksack und stellte verwundert fest, dass er eine Nachricht bekommen hatte. Er glaubte, sein Herz würde stehenbleiben, als er sie las.   'Ich könnte dich nie vergessen. Und ich werde dafür sorgen, dass wir uns wiedersehen. Versprochen.'   ~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ja, Tsukasa handelt irgendwie dämlich und ja, es ist schrecklich kitschig und pathetisch, was solls ^^° Btw: 'Ponyo' (bzw. Ponyo on the cliff by the sea) ist ein Ghibli-Film, der dieses Jahr heraus kam und der furchtbar niedlich ist. Über Kommentare freu ich mich trotzdem. P.s: So, nochmal überarbeitet und hoffentlich die meisten Fehler ausgemerzt *sigh* Kapitel 3: Step three: Here with me ----------------------------------- Mit einem erschöpften Seufzen ließ Tsukasa die Tür hinter sich zufallen und trat seine Schuhe in die nächste Ecke. Er war froh, endlich zu Hause zu sein. „Da bist du ja endlich.“ Sein Mitbewohner lehnte an der Küchenzeile und rührte hin und wieder in einer Teekanne herum, während er an seiner Zigarette zog. Ein tiefes Seufzen war die erste Antwort, die er bekam. „Davis hat mal wieder überzogen...ich frag mich ehrlich, ob der es in diesem Semester nochmal schafft pünktlich aufzuhören, wenn diese beschissenen Seminare schon abends stattfinden müssen“, murrte er und ließ seine Tasche auf einen der Küchenstühle fallen. „Ist irgendwas gewesen?“ Mit schlurfenden Schritten ging er zum Kühlschrank, um sich irgendetwas Essbares zu besorgen. Wenn er sich nicht irrte, hatte er noch ein Stück kalte Pizza vom Vorabend dort gelagert. „Du hast Besuch“, tönte es von der anderen Zimmerseite und Tsukasa fuhr hoch, verfehlte dabei nur um einige Millimeter den Rand des Kühlschranks. „Von wem?“ Er war verwirrt. Seit über drei Jahren lebte er nun schon in Amerika und hatte keine Idee, wer ihn einfach so besuchen kommen sollte. Seine Freunde hier hätten ihm Bescheid gegeben und an irgendwen aus seiner Heimat brauchte er eigentlich gar nicht erst zu denken. „Keine Ahnung.“ Daniel, der junge Mann ihm gegenüber, goss sich etwas Tee in eine Tasse und sah ihn schulterzuckend an. „Ich hab nicht wirklich viel von dem verstanden, was er gesagt hat. Was genau macht ihr eigentlich in Japan im Englischunterricht?“ Tsukasa spürte, wie er blass wurde. Japaner? „Na ja, wie auch immer – ich hab ihn zum Warten in dein Zimmer geschickt, er sollte also noch da sein...und er war ziemlich niedlich.“ Der Blonde zog grinsend die Augenbrauen hoch, verzog sich dann aber in Richtung seines eigenen Zimmers. „Also, wenn er Single ist, sag Bescheid. Dann hat April Konkurrenz!“ „Danke, Dan...“, murmelte Tsukasa noch und seufzte noch einmal. Als ob dieser Tag nicht schon anstrengend genug gewesen wäre. Er nahm sich ebenfalls eine Tasse Tee und trank einen Schluck, bevor er wieder nach seiner Tasche griff und zu seinem Zimmer ging.   Zu seiner Überraschung lag dieses im Dunkeln da und nur das von draußen hereinfallende Licht der Straßenbeleuchtung machte es ihm möglich, wenigstens halbwegs zu erkennen, wo er hintrat. Seine Tasche ließ er gleich neben der Tür fallen, balancierte dann den Tee zu seinem Schreibtisch, bevor er sich umsah. Sein Gast schien es sich auf seinem Bett gemütlich gemacht zu haben und schlief. Um genauer zu sein schlief er auf Tsukasas altem Skizzenbuch. Was sollte das denn? Jetzt erst recht genervt schaltete der 21-jährige seine Schreibtischlampe an und konnte einen Schwall halblauter Flüche in seiner Muttersprache nicht zurückhalten, als er erkannte, wer genau da lag. Das durfte nicht sein. Nein, das konnte ganz definitiv nicht sein. Doch egal wie sehr er versuchte, es sich einzureden, auch wenn die Gesichtszüge des nun langsam Erwachenden sich verändert hatten, es war unbestreitbar Hizumi, der ihn gerade verschlafen anblinzelte. „...du bist zu Hause“, stellte dieser gerade überflüssigerweise fest. „Was-“ Tsukasa unterbrach sich selbst. Er wusste nicht, was er sagen sollte, zwang sich tief durchzuatmen. „Wie kommst du hierher?“ Sein Bruder hatte sich mittlerweile aufgerichtet und sah ihn ein wenig zerknirscht an. „Ja, ich freu mich auch, dich wiederzusehen.“ Er streckte sich kurz. „Dein Mitbewohner hat mich reingelassen.“ „Ich meinte eher hier...also hier in Portland. Was zur Hölle machst du in Amerika?“ Tsukasa war sich im Klaren darüber, dass seine Wortwahl vielleicht nicht die freundlichste war, aber er hatte gerade genug damit zu tun, hier nicht vor Überraschung die Fassung zu verlieren, um sich auch noch darüber Gedanken zu machen. Der Jüngere zuckte nur leicht mit den Schultern. „Flugzeug? Es war übrigens echt ein hartes Stück Arbeit, hierher zu finden. Irgendwie ziemlich verwirrend diese Stadt.“ „Gewöhnungssache...“ Er schüttelte den Kopf, versuchte sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren. „Wissen unsere Eltern, dass du hier bist?“ Ein entschuldigendes Grinsen legte sich auf Hizumis Züge, das ihm genauso vorkam wie früher, auch wenn das Gesicht seines Bruders sonst erwachsener wirkte. „Nicht wirklich. Die denken ich bin mit ein paar Leuten aus meinem Abschlussjahrgang nach England geflogen.“ Kraftlos ließ Tsukasa sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Das musste er jetzt erst einmal verarbeiten. „Und was willst du jetzt machen?“, hakte er dann dennoch nach. „Na, hier bleiben erst mal, die vermissen mich die nächsten vier Wochen nicht. Und danach...mal schauen...“ Noch immer unfähig wirklich zu begreifen, was hier eigentlich gerade geschah, starrte Tsukasa in seine Tasse, die neben ihm auf dem Tisch stand. Einen Moment lang kam ihm der reichlich absurde Gedanke, ob es vielleicht möglich wäre sich darinz u ertränken. Aber da wäre es schon wahrscheinlicher, dass Dan wieder irgendwelche 'speziellen' Pflanzen in den Tee gemischt hatte. Er atmete ein weiteres Mal tief durch, fuhr sich mit der Hand durch die brünett gebleichten Haare.   „Okay, Folgendes: Du legst das Skizzenbuch wieder dahin, wo es hingehört, dann schlafen wir und morgen – sollte sich das alles nicht doch als ein schräger Traum herausstellen – reden wir weiter, ja?“ Er fühlte sich im Moment wirklich nicht in der Verfassung dazu noch großartig zu diskutieren, schließlich war er den ganzen Tag beinahe ohne Pause unterwegs gewesen. Sein jüngerer Bruder nickte artig und Tsukasa zog sich, ohne weiter nachdenken zu wollen, um. Er hätte eigentlich ahnen müssen, dass sein Leben in den letzten Wochen viel zu glatt verlaufen war, als das nicht irgendwelche Schwierigkeiten geradezu auftauchen mussten.   ~~~ Noch halb in den Wirren seiner Träume gefangen kuschelte er sich an die Wärmequelle neben sich. Wie lang war es her, dass eine zweite Person in seinem Bett geschlafen hatte? Selbst die wenigen Male, die er die Nacht mit jemandem verbracht hatte, war er allein aufgewacht. Unwillig den Kopf schüttelnd verdrängte er diesen Gedanken, während seine Hand liebkosend über die warme Haut des Körpers neben ihm strich und seine Fingerspitzen fein definierte Bauchmuskeln ertasteten. Mit einem unterdrückten Gähnen schlug Tsukasa die Augen auf und besah sich die schlafende Gestalt, die neben ihm lag. Es dauerte ein paar Schrecksekunden, bis er sich eingestehen musste, dass die Erlebnisse des letzten Abends anscheinend tatsächlich stattgefunden hatten. Sofort zog er seine Hände zurück und biss sich unsicher auf die Unterlippe. Er wusste nicht wirklich, was er davon halten sollte, dass Hizumi wieder in seinem Leben aufgetaucht war. Nicht, dass er den Kleinen jemals hatte vergessen können, aber er hatte sich irgendwann damit abgefunden, ihn nie wieder in den Armen zu halten. Und dennoch lag er jetzt hier neben ihm. Ein müdes, aber nichts desto trotz glückliches Lächeln auf den Lippen, strich er dem Jüngeren eine Strähne seiner dunklen Haare aus dem Gesicht, richtete sich dann vorsichtig auf. Mit angezogenen Beinen setzte er sich, mit dem Rücken zur Wand, auf das Bett und betrachtete die noch immer schlafende Gestalt vor sich. Ein Gefühl von Wehmut machte sich breit, denn er war sich sicher, dass er den Jüngeren nicht mehr so kannte wie früher. Dies war sogar ziemlich wahrscheinlich, immerhin hatte er an den letzten drei Jahren seines Lebens keinerlei Anteil haben können. Dennoch ließ sich nicht bestreiten, dass sein Bruder zu einem mehr als nur gutaussehenden jungen Mann herangewachsen war. Sein Blick lag auf der geraden Nase, wanderte dann weiter über die im Schlaf zu einem seichten Lächeln verzogenen Lippen, hin zu der jetzt deutlich ausgeprägteren Linie der Kieferknochen. Aber die Haut des Jüngeren sah immer noch genauso weich aus, wie sie damals gewesen war. Ein Seufzen unterdrückend streckte Tsukasa seine Hand aus, um beinahe ehrfürchtig über Hizumis Wange zu streicheln, der daraufhin leicht das Gesicht verzog und schließlich die Augen aufschlug. „Guten Morgen...“ Der Jüngere antwortete nur mit einem leichten Nicken, schmiegte sich geradezu in die sanfte Berührung.   „Bist du mir böse, dass ich hier bin?“, wollte der 18-jährige nach einer Weile wissen. „...nein...bin ich nicht.“ Tsukasa ließ sich wieder in die Waagerechte sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf „Ich war nur erschrocken und verwirrt. Ich hätte nie erwartet, dich überhaupt nochmal wieder zu sehen.“ „Dann ist ja gut.“ Diese Antwort genügte dem Schwarzhaarigen anscheinend, denn er kuschelte sich mit einem leisen Seufzen etwas an seinen Bruder und schloss die Augen wieder. „Was hast du eigentlich die letzten drei Jahre hier gemacht?“, wollte er dann wissen. „Studiert hauptsächlich. Das College ist wirklich super, die Leute können uns wahnsinnig viel beibringen. Es macht Spaß...“ Seine Stimme verlor sich für einen Moment in Stille. Er hatte einfach versucht, das Beste aus seinem letztlich erzwungenen Aufenthalt hier zu machen. „Wie geht es unserem Eltern so?“ „Gut, denke ich. Paps hat wieder geheiratet – Yukari, seine Frau, ist wirklich nett, wir kommen ganz gut klar.“ Sein Vater hatte also eine Neue. Auch mal schön, das zu erfahren. Aber was ärgerte er sich eigentlich? Es war schließlich ziemlich offensichtlich, dass seine Eltern nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten und vollkommen verübeln konnte er es ihnen nicht. „Ich glaub, unsere Mutter bereut, dass sie dich damals so behandelt hat...“, meinte sein kleiner Bruder in diesem Moment, als hätte er seine Gedanken gelesen. „Wie kommst du darauf?“ Er spürte, wie der Jüngere kurz mit den Schultern zuckte. „Sie war ziemlich niedergeschlagen, nachdem du weg warst. Klar hat sie dich für alles verantwortlich gemacht – ich durfte mir mehr als einmal anhören, dass ich ja keine Schuld hätte, weil du mich zu 'diesen Sachen verführt' hast...bis ich ihr irgendwann die Wahrheit erzählt hab.“ Hizumi drehte sich auf die Seite und stützte sich so ab, dass er dem Älteren in die Augen sehen konnte. „Ich hab ihr gesagt, dass das mindestens genauso von mir ausging und dass ich nun mal mehr für dich empfinde, als für einen Bruder normal ist.“ Ein schwaches Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Erst wollte sie mich für verrückt erklären, aber irgendwann hat sie verstanden, dass sie, wenn sie nicht zumindest versucht es zu akzeptieren, auch noch ihren zweiten Sohn verlieren wird...“ Er hielt kurz inne, nur um urplötzlich das Thema zu wechseln. „Sag mal, was hältst du von Frühstück?“ „...Sicher.“   „Na, auch schon wa- oh...“ Daniels Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, als er die beiden Japaner aus Tsukasas Zimmer kommen sah. „Gut geschlafen?“ „Grins nicht so dämlich.“, kommentierte dieser auf Englisch, wandte sich dann in seiner Muttersprache an seinen Bruder. „Meinen Mitbewohner hast du ja gestern schon kennengelernt.“ Er grinste leicht. „Pass lieber ein bisschen auf, du scheinst ihm zu gefallen.“ „Na, Hilfe...“ Hizumi konnte ein kurzes Lachen nicht unterdrücken. „Sag ihm, er ist nicht so mein Typ...“ „Warum lacht der Kurze?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Dan seinen Mitbewohner an. „Er meint, er steht nicht auf Typen wie dich. Hast du Kaffee gemacht?“ „Auf der Anrichte...“ Der Blonde seufze innerlich. Er wusste ja nicht, ob der Neuankömmling länger in ihrer Wohnung bleiben würde, aber wenn, dann würde das unweigerlich zu Sprachproblemen führen. Tsukasa hatte ihm zwar in den letzten drei Jahren das ein oder andere Wort Japanisch beigebracht, aber für eine wirkliche Konversation reichte das noch lange nicht. Und von den Englischkenntnissen ihres Gastes – oder eher dem Fehlen ebendieser – hatte er sich ja schon am Vorabend überzeugen können.   ~~~ „Und, wie gefällt es dir bis jetzt?“ Tsukasa blinzelte gegen ein paar Sonnenstrahlen, die durch die Baumkronen über ihnen fielen. Die letzten Stunden hatte er damit verbracht, Hizumi ein bisschen die Stadt zu zeigen und jetzt befanden sie sich in einem kleinen Park, der definitiv zu seinen Lieblingsplätzen in Portland gehörte. Sein Bruder, der ein paar Schritte von ihm entfernt stand und in das Grün über ihnen geschaut hatte, sah ihn mit einem Grinsen an. „Es ist kalt!“ Tsukasa konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, verfluchte sich aber in Gedanken dafür, dass er seine Kamera nicht mitgenommen hatte – das Bild, das der Jüngere im Moment bot, war einfach unglaublich schön. Hizumis Augen schienen regelrecht zu strahlen. Das Lächeln seines Bruders war schon immer ansteckend gewesen und jetzt ließ es sein Gesicht irgendwie kindlicher wirken, mehr so, wie Tsukasa ihn in Erinnerung hatte. Er musste sich wirklich zusammenreißen, um die Distanz zwischen ihnen nicht zu überbrücken, seinen Bruder in die Arme zu schließen und noch einmal diese wundervollen Lippen auf den eigenen zu spüren. Man hätte wahrlich meinen können, drei Jahre wären lang genug gewesen, um sich von der Sinnlosigkeit solcher Wünsche zu überzeugen. Aber anscheinend war ein Teil von ihm wirklich noch starrsinniger, als er selbst es für möglich gehalten hatte. „Hab ich was ihm Gesicht?“, riss ihn Hizumis Stimme aus seinen Gedanken und er musste feststellen, dass er den Jüngeren wohl die ganze Zeit über angestarrt hatte. Etwas verspätet schüttelte er den Kopf. „Nein, sorry, war nur gerade in Gedanken irgendwie. Na komm...“ Tsukasa trat neben ihn und wuschelte ihm sacht durch die Haare. „Ich lad dich auf ’nen Kaffee bei uns in der Uni-Cafeteria ein. Ist gleich hier in der Nähe.“   „Sag mal, sind die Sachen, die hier so ausgestellt sind, alle von den Studenten gemacht?“ Sie saßen, wie versprochen, in der Cafeteria von Tsukasas Universität und Hizumi sah sich neugierig um, versuchte einen genaueren Blick auf ein paar der Bilder und Skulpturen, die sich hier, wie auch auf dem gesamten College-Gelände befanden, zu erhaschen. „Die meisten. Ein paar auch von den Leuten, die hier die Kurse geben, aber der Großteil ist von Schülern. Wir machen immer mal Ausstellungen und so was...das College ist relativ bekannt hier.“ Tsukasa dachte kurz nach. „Ist auch bald wieder eine.“ Die dunklen Augen seines Bruders richteten sich wieder auf ihn. „Sind da auch Sachen von dir dabei?“ „Ja, eigentlich von allen aus meinem Jahrgang“, der Ältere zuckte mit den Schultern. „Ich weiß noch nicht genau, was sie verwenden wollen, aber das werden sie uns wohl noch sagen. Wenn du willst können wir ja zusammen hingehen. Das heißt, wenn du dann überhaupt noch hier bist.“ Hizumi lehnte sich, die Augenbrauen zusammenziehend, in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. „Ich hab nicht vor, wieder nach Hause zu fliegen.“ Er sah seinen Bruder mit einem Blick an, der die Bestimmtheit seiner Stimme nur noch unterstrich. „Hizumi.“ „Nichts, 'Hizumi'“, unterbrach er den Älteren. „Ich bin hierher gekommen, weil ich dich wiedersehen wollte und weil ich bei dir sein will. Ich sehe es gar nicht ein, jetzt einfach wieder abzuhauen! Und du brauchst mich gar nicht so ansehen! Ich bin alt genug, um das selbst entscheiden zu können...abgesehen davon, hab ich eh kein Geld mehr für den Rückflug.“ Der Anflug eines Lächelns umspielte seine Mundwinkel, bevor er tief durchatmete und Tsukasa dann so ernst wie möglich ansah. Dass dieser allerdings leise zu lachen begann, trug nicht gerade zu seiner Selbstsicherheit bei. Was, wenn der Ältere ihn gar nicht hier haben wollte? Wenn er keinen Bock hatte seinen kleinen Bruder am Rockzipfel hängen zu haben? Oder wenn er längst mit irgendeiner Tussi glücklich war und demnächst heiratete? „Du bist echt noch sturer als früher“, unterbrach sein Gegenüber seine Gedanken immer noch schmunzelnd. „Ich bin nur gespannt, wie du das unseren Eltern erklären willst. Mum wird dich umbringen wollen“, meinte er nur kopfschüttelnd. „Soll sie's halt versuchen...“ Bevor Tsukasa noch irgendwas erwidern konnte, hörte er, wie von der anderen Seite der Cafeteria jemand seinen Namen rief, und drehte sich um.   „Hey, Dan“, begrüßte er den Blonden, der nur einige Augenblicke später bei ihnen ankam und sich ohne Umschweife auf den Stuhl neben seinem Mitbewohner fallen ließ. „Was gibt's?“ „Kaden lässt fragen, ob du heute Abend mit ins Silver House kommst? Er meinte, du wärst schon viel zu lange nicht mehr dabei gewesen und irgendwie muss ich ihm Recht geben. Also?“ Tsukasa seufzte. Es stimmte, dass er in den letzten Wochen nicht an den gemeinsamen Abenden in der Stammkneipe seiner Kommilitonen teilgenommen hatte, er hatte einfach zu viel zu tun gehabt. „Eigentlich gern, aber“, er machte eine vage Geste in Richtung Hizumi, der ihn nur fragend ansah, da er von der Unterhaltung einmal mehr nichts verstand. Dieser blonde Kerl hatte aber auch einen furchtbaren Dialekt. „Nimm ihn doch mit. Ich glaub kaum, dass es jemanden stört.“ „Ja, aber er ist erst achtzehn...“ Daniel zuckte nur mit den Schultern. „Dann pass' einfach auf, dass er nichts trinkt.“ Er erhob sich mit einem Grinsen. „Wir sehen uns heute Abend, ich bin vorher noch bei April, okay?“ „Okay. Und viel Spaß!“, rief Tsukasa dem Davongehenden noch hinterher. Er brauchte nicht viel Vorstellungskraft, um zu wissen, wie sein Kumpel den freien Nachmittag mit seiner Freundin gestalten würde.   „Tsukasa?“, Hizumi sah ihn noch immer fragend an. „Mh? Oh, entschuldige. Dan hat nur gefragt, ob ich heute Abend mit in unsere Stammkneipe komme. Ist eigentlich immer ganz schön da, also falls du Lust hast. Wenn nicht, sag ich ihm einfach ab.“ Er konnte nicht sagen, dass er unbedingt darauf brannte in die Bar zu gehen und er glaubte auch nicht, dass sein Bruder darauf aus war, den Abend mit einem Haufen Leute zu verbringen, die er nicht verstand. Zu seiner Überraschung jedoch, schüttelte sein Gegenüber den Kopf. „Ich komm gern mit, ehrlich.“   ~~~ „Hier?“ Ein bisschen zweifelnd betrachtete Hizumi das Gebäude vor ihnen. „Ja, das ist es.“ Tsukasa grinste seinen Begleiter offen an. „Das ist eine der beliebtesten Bars hier und die haben so ziemlich die besten Barkeeper der Stadt. Das wird dir zwar nichts nützen, aber naja.“ Er zuckte leicht mit den Schultern und griff dann ohne nachzudenken nach der Hand des Jüngeren, zog ihn mehr oder weniger mit sich in Richtung Eingang. Jetzt wo sie hier waren, freute er sich wirklich. Abende im Silver House waren immer gut. Die Kneipe war nicht übermäßig groß, gemütlich und das Personal immer ausgesprochen gut gelaunt. Und obwohl sie sich im alten Hafenviertel befand, kamen verhältnismäßig wenige Touristen hierher. Als sie die Bar betraten, schlug Tsukasa die vertraute Geräuschkulisse entgegen. Einige einheimische Fischer saßen am Tresen, anscheinend in eine Unterhaltung über die heutigen Fangergebnisse vertieft. Eine Gruppe Studenten, unter denen er auch Daniel, April und Kaden entdecken konnte, hatten wie immer in einer Ecke mehrere Tische für sich beschlagnahmt und unterhielten sich lautstark über alle möglichen – oder auch unmöglichen – Themen.   Ein Blick auf Hizumi ließ ihn schmunzeln. Der Jüngere schien noch vollkommen damit beschäftigt zu sein, die Atmosphäre in sich aufzunehmen und seine Augen wanderten an dem Wandgemälde entlang, das die komplette Längsseite des Gastraums einnahm und eine Straßenszene mit verschiedenen Gebäuden in der unmittelbaren Umgebung des Hafens zeigte. Mit einem sanften Druck seiner Hand lenkte er die Aufmerksamkeit seines Bruders auf sich. „Kommst du?“ „...ja, klar.“ Hizumi musste zugeben, dass ihn das hier irgendwie beeindruckte. Von außen sah das Silver House wirklich unscheinbar aus, aber hier sorgte die gesamte Einrichtung für eine Atmosphäre, in der man sich sofort wohlfühlte. Auch wenn er kein Wort von den Unterhaltungen, die um ihn herum stattfanden, verstand. Mittlerweile waren sie bei den Studenten angekommen, die seinen Bruder alle recht gut zu kennen schienen, da sie ihn lautstark begrüßten. Tsukasa schien hier wirklich viele Freunde zu haben. Aber eigentlich war das ja schon früher so gewesen. Wenn er an ihre Kindheit zurückdachte, hatte sein Bruder schon immer überall Anschluss gefunden, auch wenn er ihm später erzählt hatte, dass ihm das gar nicht so wichtig war. Mit einem kleinen Lächeln beobachtete er den Älteren, wie er die Begrüßungen erwiderte. Wie sollte man ihn auch nicht mögen? Hizumi wurde ein bisschen unsicher, als ihm auffiel, dass die Blicke der meisten in der Runde gerade auf ihm ruhten und er nicht wirklich wusste, wie er reagieren sollte. Sprechen wollte er eigentlich vermeiden, er hatte keine große Lust darauf, sich einen abzubrechen, um dann doch nur ein mitleidiges Grinsen zu ernten – auch wenn dieses bei seiner mangelnden Sprachfertigkeit sicher gerechtfertigt war. „Das ist Hizumi, ein Freund aus Japan, der mich besucht“, hörte er dann Tsukasa sagen, dessen Englisch auch in seinem Gehirn einen gewissen Sinn ergab, vielleicht des japanischen Akzents wegen, den man immer noch etwas hören konnte. Der Ältere reagierte jedoch nicht im Mindesten auf die irritierten Blicke, die sein Bruder ihm zuwarf, sondern lächelte ihn einfach an. „Das können wir später klären, okay?“, fügte er dann auf Japanisch hinzu. „Was willst du trinken?“ „Okay. Cola bitte.“ Auch wenn ihm im Moment ein Glas Sake oder wenigstens Bier lieber gewesen wäre, aber das konnte er hier wohl vergessen.   „Ahm...kennst du Tsukasa schon lang?“, fragte plötzlich eine weibliche Stimme neben ihm – und das wohl gemerkt in seiner Muttersprache. Als er aufsah, blickte in das lächelnde Gesicht einer hübschen Brünetten. „Hi erst mal. Ich bin April. Ich hoffe mein Japanisch ist noch halbwegs verständlich.“, fuhr sie dann fort, worauf Hizumi nur nicken konnte. Das war also die Freundin von Tsukasas blondem Mitbewohner. „Ist es. Und ich kenne ihn schon seit ich denken kann, er ist ja ein bisschen älter als ich.“ Ehe er sich versah befand er sich in einer angenehmen Unterhaltung mit der jungen Frau, die ihm erzählte, dass sie ihr letztes High-School-Jahr in Osaka verbracht hatte, was natürlich erklärte, warum sie seine Sprache so gut beherrschte.   Tsukasa hingegen, der den Jüngeren von seinem Platz an der Bar aus beobachte, konnte bei diesem Anblick das Glücksgefühl nicht unterdrücken, das sich in ihm ausbreitete. Es war einfach schön zu sehen, dass seine Freunde – und April zählte er eindeutig zu diesen – sich Mühe gaben, dem Neuankömmling einen angenehmen Abend zu bereiten. Mit einem Lächeln nahm er seine bestellten Getränke entgegen und konzentrierte sich auf die Gläser, während er sich auf den Rückweg zum Tisch machte, um nichts zu verschütten. Als er schließlich wieder aufsah, zog er die Augenbrauen zusammen und ein paar gemurmelte Schimpfwörter entfuhren ihm. April hatte sich für einen Moment ihrem Freund zugewandt, was allem Anschein nach einer der anderen Studenten – im Moment konnte Tsukasa sich nicht an seinen Namen erinnern – dafür genutzt hatte, seinen Bruder anzusprechen, der davon allerdings auch nicht wirklich begeistert zu sein schien.   Um genau zu sein verstand Hizumi eigentlich nichts von dem, was dieser Typ da zu ihm sagte. Er konnte ihn nur verwirrt ansehen und nach einem Weg suchen, ihm verständlich zu machen, dass er keine Ahnung hatte, welche spannende Geschichte ihm da gerade erzählt wurde. Er bekam nicht mit, wie Tsukasa die Gläser auf dem Tisch abstellte, weswegen er erst einmal zusammenzuckte, als sich ohne Vorwarnung zwei Arme um ihn schlangen und sich ein im ersten Moment fremder Körper von hinten an ihn schmiegte. Dann jedoch hörte er die Stimme seines Bruders, der sich nun auch noch mit den Kinn auf seiner Schulter abstützte. Und was er sagte, war nur zu deutlich. „Fuck off. He's mine.“ Der Puls des 18-jährigen schoss nach oben und er war sich sehr sicher, dass seine Wangen glühten wie ein Sonnenuntergang. Er hatte nicht gewusst, dass es so anziehend klingen konnte, wenn jemand fluchte. Und wie um seine Aussage zu verdeutlichen, gab Tsukasa ihm jetzt auch noch einen sanften Kuss auf die Wange – und sein Bruder mochte sagen, was er wollte, da war etwas im Blick des Älteren, das er auch früher schon gesehen hatte. Mit diesem Gedanken schmiegte er sich ein wenig in die besitzergreifende Umarmung und schloss für ein paar Augenblicke die Augen. Für ihn fühlte es sich immer noch einfach richtig an. Es hatte für ihn weder in den vergangenen drei Jahren noch im Rest seines Lebens etwas gegeben, dass sich mit dem Gefühl vergleichen ließe, wenn Tsukasa ihn umarmte, oder er ihm einfach nur nahe sein konnte. Und genau aus diesem Grund fühlte er sich jetzt nur noch bestärkt in seinem Beschluss, seinen Bruder wieder für sich zu gewinnen.   ~~~ Als sie einige Stunden später die Bar verließen, tobte ein innerer Kampf in Tsukasa. Hatte er anfangs vielleicht nur seinen Bruder beschützen wollen, musste er sich doch eingestehen, dass er es genossen hatte, dessen Körper wieder so nah an seinem zu spüren. Den ganzen Abend über hatten sie so dicht beieinander gestanden, dass sie sich immer wieder berührten. Und irgendwie waren diese Berührungen anders gewesen, hatten ein anderes Gefühl in ihm ausgelöst, als am Morgen, als Hizumi an seiner Seite im Bett gelegen hatte. Nach seiner Aussage dachten die meisten Anwesenden wohl ohnehin, dass sie mehr als 'nur Freunde' seien, was er genutzt hatte, um Hizumi noch etwas länger im Arm halten zu können. Und dennoch fühlte er diese an Verzweiflung grenzende Traurigkeit in sich, die ihm deutlich machte, dass jedwede über Brüderlichkeit hinausgehende Beziehung keine Chance hätte. Selbst, wenn er nicht leugnen konnte, dass sich seine Gefühle für den Jüngeren nicht geändert hatten, sondern im Gegenteil jetzt noch stärker zu werden schienen. Mit einem leisen, frustrierten Seufzen zündete er sich eine Zigarette an, während sie schweigend die Hafenpromenade entlangliefen, begleitet vom stetigen An- und Abschwellen des Meeresrauschens. Aus den Augenwinkeln betrachtete er Hizumi, der sich hin und wieder ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht strich, mit denen der Wind spielte. „Ich glaube, du solltest wieder nach Hause fliegen.“ Tsukasa wunderte sich, wie rau seine Stimme selbst in seinen eigenen Ohren klang. Es dauerte einen Moment, bis sein Bruder reagierte, ihn erst mit Entsetzen und dann einer trotzigen Entschlossenheit in den Augen ansah. „Ich hab gesagt, dass ich hier bleiben will und außerdem kein Geld hab!“ „Dann geb ich dir das Geld, das bekomme ich sicher irgendwie zusammen.“ Es kostete ihn einiges an Beherrschung, diese Worte so einfach zu sagen, aber was sollte er tun? Er konnte doch nicht riskieren, dass sie den gleichen Albtraum noch einmal erleben mussten. Auch wenn sein jetziges Verhalten dem vor drei Jahren erschreckend glich.   Mit Hizumis Reaktion hatte er allerdings nicht gerechnet. Der Jüngere hielt ihn fest, zwang ihn dazu stehenzubleiben und vergrub seine Hände geradezu im Stoff von Tsukasas Jacke. Als der ihn ansah, konnte er Tränen in den dunklen Augen seines Bruders schimmern sehen. „Verdammt, verstehst du es einfach nicht? Ich will hier sein! Ich bin hergekommen, weil ich bei dir sein wollte! Brauchst du das erst schriftlich, bevor du's kapierst?“ Der 18-jährige atmete bemüht ruhig durch, konnte aber das Zittern in seiner Stimme nicht vollkommen verhindern. „Ich kann doch nichts dafür...dass ich dich immer noch liebe.“ Geradezu flehend sah er seinen älteren Bruder an, der sich unfähig fühlte, auf irgendeine Weise zu reagieren. Was sollte er darauf auch sagen? 'Ich dich auch, komm wir fahren nach Vegas und heiraten?' Nein, so einfach war das alles nicht. Das wusste er, und Hizumi sollte es eigentlich ebenso wissen. Er ließ seine halb abgebrannte Zigarette fallen, legte sanft eine Hand an die Wange des Jüngeren Mit dem Daumen strich er eine einzelne Träne weg, die eine feuchte Spur auf der weichen Haut hinterlassen hatte. Er spürte, wie sein Herz sich zusammenzog. Anscheinend konnte er machen, was er wollte, er verletzte den Menschen, der ihm am wichtigsten war, doch immer wieder. „Sag so was nicht...“, bat er den Jüngeren etwas hilflos. „Ich ertrag es nicht, wenn du so traurig schaust.“ Die eben noch so starke Stimme der Vernunft in seinem Kopf ignorierend, zog er seinen Bruder an sich und schloss beide Arme fest um seinen Körper. „Ich will doch eigentlich nur, dass du glücklich bist.“ Er spürte, wie Hizumi leicht nickte, sich enger an ihn drückte. „Ich kann aber nur mit dir glücklich sein“, antwortete er ihm dann so leise, dass Tsukasa es kaum verstand, hob dann den Kopf. „Wenn...wenn du wirklich willst, dass ich gehe, dann mach ich das...aber wenn ich noch irgendeine Chance hab, sag es mir bitte.“ „Kleiner...“ Er lockerte seinen Griff um den Jüngeren, sodass er ihn ansehen konnte. „Du weißt doch, dass das nicht geht.“ „Aber hier weiß niemand, dass wir Brüder sind, oder?“, unterbrach der Jüngere ihn. „Hier weiß niemand, was passiert ist. Also sei bitte einfach ehrlich. Denk einfach für ein paar Sekunden nicht an mögliche Konsequenzen.“ Bevor Tsukasa es verhindern konnte, schlich sich ein leichtes Lächeln auf seine Gesichtszüge. „Das ist so typisch für dich.“ Er lehnte sich etwas nach vorn, sodass seine Stirn die seines Bruders berührte, zögerte aber noch einen kurzen Augenblick, bevor er weiter sprach. „...ich hab dir vor drei Jahren gesagt, dass ich dich liebe und daran hat sich auch nichts geändert, das ginge gar nicht...“ Unbewusst spielten seine Finger mit ein paar Strähnen von Hizumis Haaren, die diesem weich ins Gesicht fielen. „...ich hab doch nie gelernt, jemand anderen zu lieben, als dich.“ Als er diese Worte aussprach, wurde ihm erneut schmerzlich bewusst, dass sie der Wahrheit entsprachen.   Denn trotz allem, was dagegen sprach, konnte er sich nicht vorstellen, jemals für einen anderen Menschen so zu empfinden, wie für seinen Bruder. Und wie um das Gesagte zu besiegeln senkte er den Kopf ein wenig und gab dem Jüngeren einen zärtlichen Kuss. Eine vorsichtige, beinahe flüchtige Berührung ihrer Lippen, die jedoch sehr viel mehr bedeutete. Schließlich trat er einen kleinen Schritt zurück und sah Hizumi an, der seinen Blick etwas unsicher, aber mit einem glücklichen Leuchten in den Augen erwiderte. „Du schmeckst nach Rauch“, neckte er den Älteren schließlich, der jetzt ebenfalls nicht anders konnte als zu lächeln. „Tut mit Leid“, demonstrativ hielt Tsukasa dem Kleineren seine Hand hin. „Wollen wir nach Hause gehen?“   ~~~ Er erwachte, als er etwas Nasskaltes fühlte, das seine Wange kitzelte. Ohne die Augen zu öffnen, verzog er das Gesicht und wollte es, ein unwilliges Geräusch auf den Lippen, wegwischen, als er ein leises Lachen hörte. „Jetzt steh schon auf, es ist beinahe Mittag.“ Er schüttelte leicht den Kopf. „...wenn ich so geweckt werde, erst recht nicht.“ Verschlafen blinzelnd schlug Tsukasa die Augen auf, erwiderte das Lächeln Hizumis, der über ihn gebeugt auf dem Bett saß. Als ein weiterer Tropfen aus dessen vom Duschen noch nassen Haaren auf seinen Hals fiel, wusste er auch, was ihn da geweckt hatte. „Da musst du schon liebevoller mit mir umgehen“, fügte er dann scheinheilig hinzu. „Na, wenn das so ist...“ Der Jüngere beugte sich weiter zu ihm herunter und küsste ihn liebevoll auf den Mund. „Guten Morgen, Schatz.“ Ein Grinsen. „Los aufstehen.“ „Der Anfang war schon mal nicht übel.“ Tsukasa schob seine Hand in den Nacken des Jüngeren und zog ihn für einen weiteren Kuss zu sich, bevor er seinen Bruder wieder zu sich unter die Bettdecke schlüpfen ließ, um ein bisschen zu kuscheln. Nasse Haare hin oder her, so war das Wachwerden doch schon wesentlich angenehmer, vor allem wenn man einen freien Tag vor sich hatte. Überhaupt kamen ihm die letzten eineinhalb Wochen wie ein einziger Traum vor. Er war sich ziemlich sicher, dass er noch nie in seinem Leben so glücklich gewesen sein konnte. Er hatte, auch wenn er die Gedanken nicht dauerhaft verdrängen konnte, beschlossen, dass es besser war, so wie Hizumi zu denken: Sie hatten es sich nicht ausgesucht, sich ineinander zu verlieben und wenn hier schon niemand wusste, dass sie Brüder waren, konnten sie das auch nutzen, um ihre gemeinsame Zeit genießen.   Genau das hatte er auch vor, als ihn sein Handy mit penetrantem Geklingel aus seinen Gedanken riss. Seufzend griff er nach dem auf dem Nachttisch liegenden Gerät. „Wehe, das ist nicht wichtig...“, murrte er, eher er mit einem Druck auf die grüne Taste das Gespräch annahm. „Ja, wer stört?“ Er hielt verwirrt inne, als er erst einmal gar nichts hörte. „Hallo?“ „...Tsukasa?“ Seine, Hand, die bisher den Nacken seines Bruders liebkost hatte, hielt in der Bewegung inne und sein gesamter Körper verspannte sich. „Tsukasa, bist du das?“ Sein Herz begann zu schlagen, als hätte er gerade einen 200-Meter-Sprint absolviert, während er den fragenden Blick, den Hizumi ihm zuwarf, als er sich ruckartig aufrichtete, nur verwirrt erwidern konnte. „...Mum?“, brachte er dann endlich hervor, selbst darüber verwundert, wie rau seine Stimme klang. „Ja, ich bin es.“ Sie lachte nervös. „Wie geht es dir?“ Die Laune des 21-jährigen fiel augenblicklich in den Keller. „Wieso interessiert sich das auf einmal?“ „Tsukasa, hör zu, ich-“ „Nichts, 'Tsukasa, hör zu'...du hast dich die letzten drei Jahre doch auch einen Dreck um mich geschert, also was willst du?“ Für eine kurze Zeit herrschte Schweigen in der Leitung und er fragte sich einen Moment lang, ob er vielleicht zu schroff reagiert hatte. Aber er konnte nichts dagegen tun, dass er immer noch wütend wurde, wenn er daran dachte, wie sie ihn behandelt hatte. „Ich...“, sie räusperte sich kurz. „Ich wollte wissen, ob du vielleicht etwas von deinem Bruder gehört hast?“ „Wie kommst du darauf?“, reagierte er mit einem Schnauben. „Du hast doch dafür gesorgt, dass ich ihn nicht weiter verderben kann. Also woher soll ich wissen, wo er ist?“ „Es tut mir wirklich Leid was damals passiert ist.“ Irrte er sich, oder klang seine Mutter, als würde sie gleich anfangen zu weinen? „Es ist nur...Hizumi wollte mit ein paar Freunden nach London fahren und hat mir auch immer Mails geschrieben, aber gestern habe ich die Mutter eines seiner Freunde getroffen und sie fragte mich, ob es ihm denn besser ginge, weil er ja krank gewesen sei und deswegen nicht mitfliegen konnte...bitte, Tsukasa, ich mache mir Sorgen um ihn. Wenn du etwas weißt, sag es bitte!“ Er seufzte, um sich selbst zu beruhigen. Seine Mutter klang wirklich, als sei sie ziemlich fertig mit den Nerven. „Gut, gut...er ist hier, okay? Ich hab nichts damit zu tun, er stand einfach irgendwann vor meiner Tür.“ Jetzt war er sich sicher, dass er am anderen Ende der Leitung ein Schluchzen hören konnte. „Kann...ich mit ihm sprechen?“ „Moment...“ Abermals seufzend hielt Tsukasa seinem Bruder das kleine Telefon hin. „Hier, sie will mit dir reden“, meinte er leise. Dann beugte er sich nach vorn, um den Jüngeren erneut sanft auf die Lippen zu küssen, bevor er aufstand und das Zimmer verließ. Er brauchte jetzt dringend Nikotin und dann eine Dusche, um wieder klar im Kopf zu werden. In der Küche angekommen musste er allerdings feststellen, dass zumindest aus Ersterem nichts werden würde, da gewisse Mitbewohner sich mal wieder an seinen Zigaretten vergriffen hatten. Er atmete tief durch, um nicht einfach loszuschreien, fuhr sich stattdessen mit der Hand durch die Haare und schleppte sich weiter ins Badezimmer. Dabei hatte dieser Tag doch so gut angefangen.   Als er etwa zehn Minuten später wieder in sein Zimmer kam, lag Hizumi auf dem Rücken ausgestreckt auf dem Bett und starrte an die Decke. Tsukasa setzte sich vorsichtig auf den Bettrand, berührte die Schulter seines Bruders, um ihn dazu zu bringen, ihn anzusehen. „Was hat sie gesagt?“, wollte er nach ein paar Augenblicken leise wissen. „Sie...will herkommen.“ „Was?“ Mit einem Mal saß er kerzengerade da. Er spürte wie erneut Panik in ihm aufkam und versuchte dagegen anzukämpfen. „Wieso?“, brachte er dann gepresst hervor. „Sie hat eine Einladung von deinem College bekommen, wegen dieser Ausstellung. Und von denen hat sie wohl auch deine Nummer.“ Jetzt endlich sah Hizumi ihn an. In den dunklen Augen des Jüngeren konnte er die gleiche Angst sehen, die er selbst auch fühlte. „Was ist, wenn sie mich wieder mit zurück nehmen will?“ Tsukasa schloss fest die Augen. Darüber wollte er noch nicht einmal nachdenken. Das würde er schlicht und einfach nicht aushalten. „Das würde ich nicht zulassen“, meinte er dann, sah den Jüngeren wieder an. „Das letzte Mal konnte ich nichts tun, aber jetzt kann ich um dich kämpfen.“ Er hauchte einen zarten Kuss auf die Schulter Hizumis, spürte aber wie der den Kopf schüttelte. „Ich bin immer noch minderjährig.“ „Hey...“ Tsukasa legte eine Hand ans Kinn des Jüngeren und zwang ihn so sanft, ihn anzusehen „Wir bekommen das schon hin. Ich lass dich nicht einfach gehen...“ Mit diesen Worten legte er sich neben ihn aufs Bett, versuchte ihn möglichst optimistisch anzusehen. „Und jetzt lass uns nicht daran denken, okay? Es sind noch fast drei Wochen bis zur Ausstellung.“   Innerlich sah er das Ganze allerdings deutlich weniger positiv. Wenn seine Mutter hierher kam, konnte sie Hizumi zwingen, mit ihr zurück nach Japan zu gehen. Und da er nicht glaubte, dass sich ihre Meinung über die Beziehung ihrer Söhne in den letzten Jahren geändert hatte, war es sogar ziemlich wahrscheinlich, dass sie genau das tat. Und dazu kam noch, dass er niemandem wirklich sagen konnte, warum er nicht wollte, dass sie hierher kam. Dennoch beschloss er, im Moment nicht weiter darüber nachzudenken. Ändern konnte er es ja doch nicht. Viel lieber küsste er die weichen Lippen des Anderen, die ihn alles andere vergessen ließen. „Eigentlich hatte ich ja für heute etwas wesentlich Schöneres geplant.“   ~~~ „Fuck, ich sterbe gleich...“, sichtlich nervös zog Tsukasa an seiner gefühlt tausendsten Zigarette an diesem Tag und starrte auf den Boden zwischen seinen Füßen. Mitunter konnte so ein PVC-Belag ja unglaublich spannend sein. „Komm doch mal runter“, versuchte April, die neben ihm stand, ihn zu beruhigen. Ihre Hand legte sich sanft auf seine Schulter. „Sonst bist du doch vor einer Ausstellung auch nicht so drauf.“ „Mh...“, brummte er nur. „Sonst kommt auch meine Mutter nicht, mit der ich seit fast vier Jahren keinen Kontakt mehr hatte.“, erklärte er. „Wobei ich das sowieso nicht wirklich versteh, dass sie auf einmal auftaucht, da hätte ich eher noch mit meinem Vater gerechnet.“ Die Worte waren eher an ihn selbst gerichtet, aber für seine Freunde gut hörbar. „Sag mal“, begann Dan für seine Verhältnisse einfühlsam. „Was ist damals eigentlich passiert? Du hast nie wirklich über den Grund geredet, weswegen du hergekommen bist.“ „Ich hatte ein Stipendium fürs College?“, versuchte Tsukasa sich herauszureden, doch sein blondes Gegenüber schüttelte nur den Kopf. „Dann wärst du nicht schon eher hier gewesen – und das hab ich mitbekommen.“ „Okay, okay.“ Er fuhr sich übers Gesicht und ließ sich gegen die Küchenzeile sinken. „Das Stipendium war eh geplant, aber ein paar Wochen vorher...“, er hielt kurz inne und überlegte, wie er die Geschehnisse am unverfänglichsten formulieren konnte. „...meine Mutter hat mich und Hizumi erwischt, wie wir uns geküsst haben und fand das nicht wirklich toll, um's mal so zu sagen.“ „Trotzdem ne heftige Reaktion, wusste sie nicht, dass du eher auf Typen stehst?“, wollte April nun wieder wissen. „Nein, ich...hatte zu der Zeit ’ne feste Freundin. Es war alles etwas viel.“, bevor er noch mehr in Erklärungsnot geriet, betrat auch Hizumi die Küche und lächelte ihn an. Er streckte die Hand nach dem Jüngeren aus und zog ihn an sich. Irgendwie hatte sich doch alles ausgezahlt, was passiert war. „Diesmal werde ich auf uns aufpassen“, flüsterte er seinem Bruder ins Ohr, bevor er sich etwas aufrichtete und seine beiden Kommilitonen ansah. „Dann lasst uns mal gehen. Desto schneller haben wir den Tag hinter uns.“   „Wow, das Bild kenn ich ja noch gar nicht! Wann hast du das gemacht?“, begeistert sah Tsukasa abwechselnd ein Bild von sich und Hizumi, auf dem sie beide – Hizumi in den Armen des Älteren liegend – glücklich in die Kamera lachten, und April, die das Foto gemacht hatte, an. „Als wir bei uns das Barbeque gemacht haben. Das war einer dieser spontanen Schnappschüsse, aber irgendwie hat es mir so gut gefallen und es passt auch irgendwo zum Thema, oder?“ „Stimmt, das definitiv.“ Das Hauptthema der Ausstellung hieß 'Live Life...' und jeder der Studenten hatte sich einen Aspekt ausgesucht, mit dem man diese Aussage vervollständigen konnte. April hatte beschlossen, sich an 'Freiheit' zu versuchen und unter der Überschrift 'Live life freely!' alle nur erdenklichen Motive mit ihrer Kamera festgehalten. Und zur Freiheit gehörte eben auch die Freiheit zu lieben, wie sie erklärte. „Sag mal, kann ich davon später einen Abzug haben?“ „Na klar“, sie lächelte, sah sich dann kurz um. Die Ausstellung schien schon jetzt ein voller Erfolg zu sein „Vielleicht solltest du mal zu Hizumi gehen, er sieht ein bisschen verloren aus, wie er da rumsteht.“ Mit einem erneuten Dank verabschiedete der 21-jährige sich vorerst von seiner Freundin, um seinem Bruder Gesellschaft zu leisten. „Na, wie gefallen sie dir?“, wollte er wissen, kaum, dass er hinter den Jüngeren getreten war und umarmte ihn von hinten. „Ich wusste ja, dass du Talent hast, aber es schockiert mich, dass du so gut bist“, antwortete der grinsend, betrachtete noch immer die Illustrationen seines Bruders. „Sind die alle zu solchen Kurzgeschichten entstanden, wie das hier?“ Er zeigte auf eines der Bilder, neben dem auch die dazugehörige Geschichte ausgestellt war. „Nein, nicht alle, aber ein paar. Mein Thema war 'blessed'...also gesegnet sein, deswegen konnte ich nicht immer Geschichten einbinden...aber komm mal mit.“ Er griff nach Hizumis Hand und führte ihn zu einer weiteren Ausstellungsfläche mit seinen Zeichnungen. Ohne weitere Worte zeigte er auf eines der Bilder, um es dann selbst eine Weile zu betrachten. „Gefällt es dir?“, fragte er den Jüngeren nach kurzer Zeit flüsternd. „Das...sind wir, oder?“ Hizumi drehte sich zu ihm herum und sah ihn mit großen Augen an, als sein Bruder nickte.   Während der Arbeit an seinem Thema hatte er verschiedene Leute gefragt, was sie als besondere, 'gesegnete' Momente in ihrem Leben ansahen, um auch solche Dinge mit einbinden zu können. In einem Gespräch mit einem der Seminarleiter war er dann darauf hingewiesen worden, dass er auch die besonderen Momente in seinem eigenen Leben darstellen sollte, und so war die Kohlezeichnung entstanden, die sie nun weiterhin betrachteten. Als Vorlage hatte er das Bild genommen, dass er vor über drei Jahren im Onsen von Hizumi gezeichnet hatte. Es hatte lange gedauert, bis er es zu seiner Zufriedenheit hatte fertigstellen können, aber nun betrachtete er die beiden Jungen, die, mit Yukata bekleidet, einander in den Armen lagen, mit einem gewissen Stolz. „...ich finde es toll...“ Ein Blick in die strahlenden Augen seines Bruders, bestätigte ihm, was der Jüngere gesagt hatte. Hizumi schlang seine Arme um den Nacken des Brünetten und schmiegte sich an ihn. „...das damals war wirklich eine gesegnete Nacht“, flüsterte er Tsukasa dann ins Ohr, bevor er ihn liebevoll auf die Lippen küsste. Gerade als er den Jüngeren aus seiner Umarmung entlassen wollte, spürte er, wie dessen Körper sich verspannte. „Was ist?“ „Sie ist hier“, Hizumis Stimme klang gepresst und auch der Ältere spürte das Adrenalin, ausgelöst durch diese Worte, durch seinen Körper jagen. Er drehte sich um und sah seine Mutter, die – anscheinend auf der Suche nach ihren Sprösslingen – langsam durch die Ausstellungsräume ging. „Komm, wir gehen sie begrüßen, bringen wir's hinter uns“, sagte Tsukasa dann so fest, wie es ihm möglich war, griff nach der Hand des 18-jährigen, um mit ihm gemeinsam auf ihre Mutter zuzugehen, die sie mittlerweile ebenfalls bemerkt hatte. Ihr Lächeln erschien ihm ein bisschen wacklig und erlosch, als ihr Blick auf ihre miteinander verschränkten Hände fiel. Mit einem Abstand zu ihr, der ein wenig zu groß war, um vertraut zu wirken, blieben sie stehen. „Hi, Mum.“, begrüßte Tsukasa sie schließlich, was Hizumi leise wiederholte. Er schien nicht recht zu wissen, wie er sich verhalten sollte, hatte er doch weitaus weniger Probleme mit ihr gehabt als sein älterer Bruder. „Hattest du einen guten Flug?“ Die Frau zuckte nur leicht mit den Schultern. „War okay. Euer Vater wollte eigentlich auch kommen, aber er hatte kurzfristig einen wichtigen Termin in Los Angeles und konnte deswegen nicht. Ich soll euch aber von ihm grüßen.“ „Na wie wunderbar“, rutschte es ihrem älteren Sohn sarkastisch heraus. Er seufzte, fuhr sich mit der freien Hand kurz übers Gesicht und sah sie dann ernst an. „Also, was willst du wirklich hier? Dir die Ausstellung ansehen? Ich kann dich gern herumführen, wenn du es ertragen kannst, dich mit mir abzugeben.“ Er versuchte ruhig zu bleiben, aber seine zu lange unterdrückten Gefühle ließen sich nicht verleugnen. Zu der Wut, die er noch immer auf seine Mutter hatte, kam außerdem die seit ihrem Telefonat in ihm wachsende Angst, dass sie ihm Hizumi wegnehmen würde – schon wieder. „Ich würde es tatsächlich gern sehen“, antwortete diese jetzt, sah dann wieder auf die Hände ihrer Söhne. „Aber vielleicht sind andere Dinge erst einmal wichtiger.“ „Vielleicht sollten wir nach draußen gehen und uns dort unterhalten“, schlug Hizumi vor und warf seinem Bruder einen beruhigenden Blick zu, während seine Mutter nur mit einem knappen Nicken zustimmte.   Schweigend verließen sie das alte, im romanischen Stil gehaltene Gebäude und traten nach draußen, wo der strahlend blaue Himmel die Situation geradezu zu verhöhnen schien. Tsukasa sah seine Mutter aus den Augenwinkeln an und fragte sich eine Sekunde lang, wie die schlimmste Reaktion wohl ausfallen könnte. „Ihr wollt diesen Irrsinn also wirklich weiterführen?“, fragte diese zusammenhangslos, sah dabei aber ausschließlich ihren älteren Sohn an. „Sieht wohl so aus“, meinte der nur leichthin und weitaus gleichgültiger, als er wirklich war. „Hast du nicht schon genug Schaden angerichtet?“, gab sie sogleich in einem traurig-anklagendem Tonfall zurück. Er konnte sehen, dass das Verhalten ihrer Kinder sie verletzte, aber darauf konnte er keine Rücksicht mehr nehmen. „Ich glaube du hast das immer noch nicht verstanden“, unterbrach der Jüngste der Drei die aufkeimende Diskussion. „Er hat nie etwas kaputt gemacht...nicht absichtlich.“ Hizumi schenkte seinem Bruder ein liebevolles Lächeln. „Warum glaubst du, bin ich hierher geflogen und habe ihn gesucht? Ich habe Tsukasa vermisst.“ Der 18-jährige sah seiner Mutter fest in die Augen, während er sprach. Da musste sie jetzt leider durch. „Und ich meinte damit nicht nur als Bruder vermisst. Ich weiß, dass du das nicht verstehen kannst, aber ich liebe ihn – er ist derjenige mit dem ich zusammen sein will.“ Ihre Mutter kniff die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und atmete betont tief durch. „Mum, hör zu...wir wollen niemanden mit dem verletzen, was wir tun. Und wir wissen, dass es verboten ist – meinetwegen auch unnatürlich oder abartig – aber wir haben uns das auch nicht ausgesucht“, fügte Tsukasa hinzu und legte nun, statt seine Hand zu halten, einen Arm um den Jüngeren. Und selbst wenn er es sich hätte aussuchen können, hätte er sich immer für diesen Weg entschieden, führte er den Satz in Gedanken weiter. „Aber es ist trotzdem falsch“, beharrte die Mutter der Beiden auf ihrem Standpunkt. „Und deswegen wird Hizumi mit mir zurück nach Japan kommen. Ohne Widerworte!“ Tsukasas Herzschlag beschleunigte sich schmerzhaft. Genau das war die Situation, vor der er sich gefürchtet hatte. So gesehen hatte ihre Mutter jedes Recht, seinen Bruder mitzunehmen – er war schließlich noch minderjährig, sowohl nach japanischem Recht als auch nach amerikanischen. Dann spürte er an seiner Schulter, wie Hizumi den Kopf schüttelte.   „Werde ich nicht. Ich werde hier bleiben und studieren. Ich hab mich an der University of Southern Maine beworben und bin angenommen worden. Vorher muss ich zwar noch einen Englischkurs zur Qualifikation machen, aber das ist egal.“ Es war schwer zu sagen, ob nun Tsukasa oder ihre Mutter in ihrer Runde erstaunter aussahen. Von diesen Plänen des Jüngeren hatte auch der Brünette nicht die geringste Ahnung gehabt. „Was willst du da studieren?“, fragte seine Mutter überrascht. „Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Später werde ich mich da dann auf den psychologischen Aspekt spezialisieren“, erklärte der 18-jährige ruhig. „Diese Uni hat einen wirklich guten Ruf und studieren sollte ich doch sowieso. Wenn du mich zwingst mit dir zurück nach Japan zu gehen, werde ich so oder so wieder weglaufen, darauf kannst du dich verlassen.“ Er sah die Frau, die ihn geboren und erzogen hatte, ernst an. „Also erspare uns das bitte allen. Ich bin alt genug, um zu wissen, was ich will...und ich will hier sein.“ Ihre Mutter konnte nur leicht den Kopf schütteln. Auch wenn sie es sich noch nicht wirklich eingestehen wollte, sie wusste in ihrem Inneren, dass sie gegen die Entscheidung ihrer Söhne genauso wenig etwas tun konnte, wie gegen die Gefühle, die diese anscheinend füreinander hegten. Zu akzeptieren, dass die Beiden eine ganz und gar nicht brüderliche Beziehung führten, war jedoch eine ganz andere Sache. Natürlich wollte sie, dass ihre Kinder glücklich waren, schließlich war und blieb sie ihre Mutter. Diese beiden jungen Männer waren ein Teil von ihr. Es hatte ihr damals wehgetan, Tsukasa einfach wegzuschicken, aber sie hatte nicht gewusst, wie sie mit der Situation sonst hätte umgehen sollen und auch ihr Ex-Mann war vollkommen überfordert gewesen. In der ersten Zeit hatte Hizumi mit keinem seiner Elternteile auch nur ein Wort gewechselt, war ein paar Tage lang sogar bei einem Freund von sich gewesen, weil er sie nicht hatte sehen wollen. Die Situation war ihr noch unerträglicher erschienen als die ersten Monate nach der Trennung vom Vater der Beiden. Und auch später war es ihrem Jüngsten nie wirklich gut gegangen. Es war eine harte Entscheidung, die sie fällen musste und es brach ihr förmlich das Herz, dass sie nicht in der Lage war, anders zu reagieren. Sie wusste, dass ihr Lächeln aufgesetzt wirkte, als sie zu einer Antwort ansetzte. „Es tut mir Leid, aber dann kann ich nichts mehr für euch tun. Ich weiß wirklich nicht, wie das laufen soll, aber bitte, dann macht was ihr wollt. Aber erwartet bloß nicht, dass ich oder euer Vater euch in irgendeiner Weise unterstützen!“ Sie warf ihnen noch einen Blick zu, in dem sich irgendetwas zwischen Wut, Trauer und Verzweiflung widerspiegelte, drehte sich dann um und verließ sie ohne ein weiteres Wort.   ~~~ „Darf ich jetzt endlich schauen?“ „Nein, noch nicht.“ Hizumi konnte das Grinsen seines Bruders quasi in seiner Stimme hören. „Du bist wirklich mies.“ „Ich weiß, ich weiß, alles Teil meines Charms.“ Eine Hand wuschelte ihm liebevoll durch die Haare, während der 18-jährige noch immer versuchte, durch den dunklen Stoff vor seinen Augen etwas sehen zu können. „Aber wir sind ja schon da.“, beruhigte Tsukasa ihn und stellte den Motor seines Wagens ab. Auch wenn es ihm Spaß machen würde, seinen Schatz mit verbundenen Augen durch die Landschaft zu schicken, wäre es vielleicht doch ein wenig zu gefährlich. Das hier sollte schließlich ein schöner Ausflug werden und nach Möglichkeit nicht mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus enden. „Dann nimm mir das Ding endlich ab“, der Unmut des Jüngeren war kaum zu überhören, weswegen Tsukasa ihm noch einen versöhnlichen Kuss auf die Lippen gab, bevor er ihn von dem schwarzen Tuch befreite. „Nicht schmollen, ja?“ Hizumi versuchte nicht wirklich erfolgreich, ein Grinsen zu unterdrücken und streckte dem Älteren die Zunge heraus. „Du saßt ja nicht über drei Stunden mit verbundenen Augen in einem Auto und hast um dein Leben gefürchtet.“ „Na komm, so schlimm ist mein Fahrstil nun wirklich nicht – du bist noch nie bei Dan mitgefahren, da lernst du, was Todesangst ist, selbst wenn du etwas siehst“, erwiderte der Brünette lachend. „Aber jetzt schau dich erst mal um. Gefällt's dir?“ Erst jetzt nahm Hizumi die Landschaft um sich herum war und konnte nicht umhin, die sie umgebende Natur zu bewundern. Sie hatten am Waldrand gehalten, ein paar hundert Meter von ihnen entfernt lag ein See und auf der anderen Seite konnte er einen in der sonst flachen Landschaft herausragenden Berg ausmachen. „Wo sind wir hier?“, er stieg aus und streckte sich erst einmal. Tsukasa, der in der Zwischenzeit ihre Taschen aus dem Auto geholt hatte, griff nach seiner Hand und führte ihn zu einer Ansammlung von kleinen Hütten. „Das ist der Acadia National Park...“, erklärte er lächelnd. „Ich war vor einen Jahr schon mal hier, mit ein paar Leuten von Studium, und fand es einfach großartig. Und irgendwie wollte ich, dass du auch mal herkommst.“ Er kramte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche, den er sich am Eingang des Parks von einem Mitarbeiter hatte geben lassen, und schloss die Hütte, vor der sie standen auf. „Der Berg, da hinten ist der Cadillac Mountain...es heißt, dass das der Punkt ist, an dem die Sonnenstrahlen am Morgen zuerst auf amerikanischen Boden treffen.“ Achtlos ließ Tsukasa die Taschen in ihrer Unterkunft auf den Boden fallen, wandte sich dann wieder mit einem Lächeln an seinen Bruder. „Lass uns zum See runtergehen, ja?“   „Es ist wirklich schön hier...“ In Hizumis Stimme schwang eine tiefe Zufriedenheit mit, die den Älteren lächeln ließ. „Ich hatte gehofft, dass es dir gefällt.“ Sie lagen auf einer Decke nur etwa zwanzig Meter vom Seeufer entfernt und genossen die Stille um sich herum. Der Jüngere hatte wie so oft seinen Kopf auf Tsukasas Brustkorb gelegt und lauschte dessen Herzschlag, während er beinahe abwesend seine Hand mit der eigenen liebkoste. So müsste das Leben immer sein. Hier konnten sie einmal einfach vollkommen entspannt sie selbst sein, ohne dass irgendjemand in der Nähe war, der irgendetwas gegen ihre Beziehung haben könnte – sei es, weil sie verwandt waren oder auch nur, weil sie beide Männer waren. „In zehn Tagen fangen meine Vorlesungen an“, sagte er dann leise, genoss die Art, wie Tsukasa ihn im Nacken kraulte. „Wollten wir uns nicht entspannen?“, fragte sein Bruder jetzt belustigt. „das hier wird vermutlich für eine Weile der letzte längere Ausflug sein, den wir machen können. Dein Studium wird sicher stressig.“ „Ich freu mich darauf.“ Hizumi richtete sich ein bisschen auf, sah Tsukasa lächelnd an. „Ich bin so froh, dass es funktioniert, weil es heißt, dass ich bei dir bleiben kann.“ Eine unbestimmte Traurigkeit machte sich in ihm breit, wenn er daran dachte, wie zerbrechlich ihre Beziehung noch immer war – zumindest so lang, bis er endlich volljährig wäre. Der Ältere, der ihm ansah, was in ihm vorging, stupste ihm sanft mit dem Zeigefinger gegen die Nasenspitze. „Hör auf, dauernd darüber nachzudenken, das ist meine Aufgabe“, meinte er liebevoll, richtete sich ebenfalls auf und schlang beide Arme um seinen Bruder. „Oder soll ich dich ein bisschen ablenken? Du sollst die Zeit hier schließlich in positiver Erinnerung behalten...“, fuhr er neckend fort. „Mh, hast du da schon eine bestimmte Idee?“ „Oh ja...die hab ich.“ Während er sanfte Küsse auf den Hals des Jüngeren hauchte, drückte er ihn ebenso vorsichtig auf die Decke und ließ sich halb auf ihn sinken. „Weißt du, das Schöne an diesem Park ist, dass in dieser Zeit kaum Leute hier sind“, flüsterte er dann in Hizumis Ohr, was bei diesem eine leichte Gänsehaut auslöste. Gleichzeitig ließ er eine Hand unter das Oberteil des Jüngeren wandern und liebkoste einmal mehr die weiche Haut, die er darunter fand. „Das ist wirklich gut“, murmelte dieser, die Zärtlichkeiten offensichtlich genießend – ob es eine verspätete Antwort auf Tsukasas Aussage oder eine Reaktion auf sein Handeln waren, konnte dieser nicht genau sagen. Allerdings verschwendete er daran auch keinen Gedanken mehr, als sich die Hand des Jüngeren in seinem Nacken vergrub und ihn sich zu sich zog. Wenn sie sich küssten, hätte auch die Welt untergehen können – Tsukasa wäre es egal gewesen, so lange er sich nicht von diesen wundervollen Lippen würde trennen müssen. Er stützte sich mit dem freien Unterarm neben Hizumi auf der Decke ab, was der Jüngere nutzte, um ihm sein Shirt nach oben zu schieben. Als sie sich kurz voneinander lösten, um den störenden Stoff zu beseitigen, sah er seinem Bruder in die Augen und konnte die gleiche Liebe und Wärme darin erkennen, die er ebenfalls spürte.   Und solange sich daran nichts änderte, dessen war er sich sicher, war sein Bruder alles, was er brauchte, um glücklich sein zu können.   ~~~ Rückblickend weiß ich eigentlich gar nicht genau, was wir uns bei alledem gedacht haben. Anfangs vermutlich gar nichts. In dieser ersten Nacht damals sind wir einfach unseren Gefühlen gefolgt, ohne uns wirklich Gedanken darüber zu machen, was das eigentlich bedeutete. Ich war noch ein halbes Kind als es begann und wollte nichts anderes als glücklich zu sein. Wir haben durch das, was wir taten, vielleicht andere Menschen verletzt – am meisten jedoch uns selbst. Und dennoch kann ich nichts von alledem bereuen, denn selbst wenn es nie einfach war, kann ich mir nicht vorstellen, jemals einen Menschen so zu lieben wie ihn. Ich weiß, dass ihm das alles hin und wieder auch jetzt noch zu schaffen macht und immer wenn diese Momente kommen, werde ich mein Möglichstes tun, um ihm zu zeigen, dass sich die Opfer, die wir bringen mussten, um zusammen leben zu können, gelohnt haben. Wir sind nie nach Japan zurückgekehrt, haben unsere Freunde dort bis auf ein paar wenige nie wieder gesehen. Zu unserer Mutter hatten wir fast zwei Jahre keinen Kontakt, bis sie aus heiterem Himmel an meinem zwanzigsten Geburtstag bei uns anrief. Die Beziehung zu ihr ist nicht die Beste, aber immerhin reden wir wieder miteinander. Wir leben heute immer noch in Portland. Tsukasa illustriert für einen Verlag Bücher und ich arbeite in einer sozialen Einrichtung als Betreuer für straffällige Jugendliche. Wir haben uns unser eigenes Leben als Paar aufgebaut – das ist mehr als ich je zu hoffen gewagt hatte. Und es ist nur möglich, weil er an meiner Seite ist. Und dafür bin ich unendlich dankbar. - Hizumi   Hosted by Animexx e.V. 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