The Moment I saw you cry von -Red-Karasu ================================================================================ Kapitel 2: Step two: All for you -------------------------------- Erstmal möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich das Kapitel erst jetzt online stellen kann - fertig ist es nämlich schon Anfang Dezember gewesen. Ich hatte leider Probleme mit meinen Betas, weswegen ich das jetzt einfach so online stelle, obwohl nur etwa die Hälfte gebetat ist, den Rest hab ich selbst nochmal überarbeitet und hoffe, dass ich nicht zu viele Fehler übersehen hab. Wenn doch, sorry. Inhaltlich kann ich nicht viel sagen, ich mag es jetzt im Moment nicht wirklich, aber das ändert sich sovielso stündlich *lach* Danke auch noch an alle, die Kommentare geschrieben, bzw die Story in ihre Favoriten gepackt haben, freut mich wirklich. So, jetzt geht's los, immerhin ist es ein langes Kapitel (17 Seiten in Word ^^°) ~~~~~~~~~~~~~~~ Step two: All for you   Mit einem keuchenden Einatmen tauchte er aus dem Wasser auf und seine rechte Hand tastete instinktiv nach dem Beckenrand, bevor er sich mit der Linken das chlorhaltige Wasser aus dem Gesicht wischte. Den Kopf in den Nacken gelegt atmete er noch einmal tief durch. „Und ich dachte schon beinahe, dass du vor meiner Nase absäufst...“, hörte er dann eine bekannte Stimme irgendwo halb hinter sich. Blinzelnd drehte er sich in Richtung des Startblocks neben sich und entdeckte zu seiner Freude Tsukasa, der dort saß und ihn seinem Grinsen nach gerade beobachtet hatte. „...keine Angst...hab Übung...“ Hizumi drückte sich am Beckenrand nach oben und setzte sich mit einer geschickten Körperdrehung auf die Kante. „Was machst du hier?“, wollte er dann wissen, doch sein Bruder fuhr sich nur in einer unentschlossenen Geste durch die Haare. „Ich hole Midori von der Schule ab.“ Das überschäumende Glücksgefühl, das sich bis eben in dem 15-jährigen ausgebreitet hatte, erstarb abrupt, verwandelte sich in maßlose Enttäuschung. Aber was hatte er eigentlich erwartet? „Sie...geht auf meine Schule?“, fragte er deshalb nur leise und mit einiger Verspätung. Sein Bruder schüttelte kurz den Kopf. „Eure Nachbarschule. Und wo ich schon mal da bin, dachte ich mir, dass ich mal schau, was mein Lieblingsbruder so macht...“ Auch wenn er es nach außen hin nicht zeigte, Tsukasa war wahnsinnig unsicher. Er hatte keine wirkliche Ahnung, wie er sich dem Jüngeren gegenüber verhalten sollte, der nun berechtigterweise enttäuscht dreinsah.   Seit sie sich gestern bei ihrer Rückkehr voneinander verabschiedet hatten, hatte sich ein ungutes Gefühl in ihm breitgemacht. Das, was sie da getan hatten, war falsch gewesen. Egal wie richtig und gut es sich angefühlt und wie sehr er die Nähe Hizumis genossen hatte. Er war der Ältere, also trug er die Verantwortung für das Geschehene. Und im Nachhinein erschien es ihm besser, einfach so zu tun, als ob nie etwas passiert wäre – auch wenn im Moment alles in ihm danach schrie, Hizumi noch einmal zu küssen – und seine Beziehung mit Midori fortzusetzen. Anderenfalls würden sie nur unnötig vielen Menschen Ärger machen. Frustriert schob Tsukasa diese Gedanken beiseite und sah kurz auf sein Handy. „Mh, ich muss leider auch schon wieder los...sie wartet sonst.“ Ein Seufzen unterdrückend erhob er sich von dem Startblock, wollte gerade gehen, als er die Stimme seines Bruder hörte. „Tsukasa?“ Sich halb umdrehend, sah er Hizumi fragend an. „Ja?“ „Steht das Angebot eigentlich noch?“ Der Jüngere hatte sich wieder ins Wasser gleiten lassen, die Unterarme auf den Beckenrand gelegt und stützte nun sein Kinn darauf ab. „Welches Angebot?“ „Na, dass wir mal was zusammen unternehmen“, folgte die leicht enttäuscht klingende Antwort sofort. Hatte Tsukasa das etwa so schnell vergessen? „Ach so, das“, begleitet von einem entschuldigenden Lächeln. „Sicher, Kleiner. Sag mir einfach Bescheid, okay? Bis dann!“ Mit einer Geste, die ein Winken andeutete, drehte er sich um, ging in Richtung des Schultors davon. Hizumi indessen sah ihm wehmütig hinterher und versuchte das Ziehen in seinem Herzen zu ignorieren.   Es tat weh, dass dieses Wochenende seinem Bruder anscheinend doch nichts bedeutete, auch wenn es in ihrer gemeinsamen Nacht einen anderen Anschein gehabt hatte. Den Gedanken, dass der Ältere sich nur mit diesem Mädchen traf, um sie in die Wüste zu schicken, verwarf er gleich wieder. Er sollte sich keine dummen Hoffnungen machen, sondern sich einfach damit abfinden, dass er nur ein kleines Abenteuer gewesen war – so grausam dieser Gedanke auch sein mochte. Mit einem leichten Kopfschütteln stieß er sich vom Rand ab, drehte sich in der Bewegung und begann damit, ein paar weitere Bahnen zu kraulen. Schließlich war er nicht zum Nichtstun im Schwimmclub.   Tsukasa indessen hatte das Gefühl, dass sich sein Brustkorb mit jedem Meter, der er ging, ein wenig mehr zusammenschnürte. Auch wenn er nicht darauf reagiert hatte, war ihm nicht entgangen wie sehr seine Worte und sein Handeln den Jüngeren verletzt hatten. Seine Stimme, seine Körpersprache, alles an Hizumis Verhalten hatte ihm gezeigt, wie mies er selbst sich verhalten hatte. Unwillkürlich ballte seine Hand sich zur Faust, bis das Handy, das er noch immer in der Linken hielt, ein leise knirschendes Geräusch von sich gab. Wie konnte er seinem Bruder diesen ganzen Mist eigentlich zumuten? Und das nur, weil er sich nicht hatte beherrschen können. Verdammt, er hatte doch gewusst, dass das – von ein paar Küssen vielleicht abgesehen – Hizumis erste sexuelle Erfahrungen überhaupt gewesen waren. „Hey!“ Mit einem Ruck hob er den Kopf, versuchte das strahlende Lächeln Midoris zu erwidern. „Hey, hast du lange warten müssen?“ Das Mädchen, das sich nun ganz ungezwungen bei ihm unterhakte – und dabei die teilweise neidischen Blicke ihrer Mitschülerinnen mit diebischer Freude zur Kenntnis nahm – schüttelte nur leicht den Kopf. „Nein, keine Angst, ich bin auch gerade erst rausgekommen...“ „Dann ist ja gut.“ Möglichst unauffällig atmete Tsukasa durch. Er musste sich zusammenreißen. Das hier war seine feste Freundin, er mochte sie und sie würden jetzt einen schönen Nachmittag miteinander verbringen. Ende der Diskussion. „Also...“, setzte er mit einem hoffentlich überzeugenderen Lächeln ein weiteres Mal an. „Worauf hast du heute Lust? Ich lade dich ein.“ „Mh~“ Die Lippen zu einem leichten, zugegebenermaßen niedlichen Schmollmund verzogen überlegte die 16-jährige kurz. „Ah, ich weiß! Heute hat doch dieses neue Café eröffnet! Lass uns da hingehen, ja? Bitte?“, schlug sie dann begeistert vor, was Tsukasa tatsächlich leise lachen ließ, bevor er einwilligte. „Okay, dann lass uns dahin gehen. Ich sehe mein Geld schon schwinden...“, neckte er sie, kannte er doch ihre Schwäche für Süßigkeiten, im Besonderen Eisbecher, nur zu Genüge.   ~~~ „...na ja – jedenfalls hab ich keine Ahnung, wie ich diesen Test hinbekommen soll.“ Mit einem Seufzen schloss Midori ihre Erzählung ab und sah Hilfe suchend zu ihrem Freund. „Du bist doch gut in Mathe, oder?“ Tsukasa, nur langsam aus den Gedanken, in die er sich während ihrer Erzählung verloren hatte, auftauchend, zuckte mit den Schultern. „Gut genug, schätze ich. Soll ich dir beim Lernen helfen?“ „Das wäre super! Ich weiß sonst wirklich nicht, wie das gehen soll. Ich versteh da nur Bahnhof...“, beinahe lustlos stocherte sie in ihrem Eisbecher herum, dessen Überreste langsam aber sicher geschmolzen waren. „Na dann...Ihr schreibt nächsten Montag?“, wollte er noch einmal wissen, fuhr auf ein Nicken hin fort. „Wie wär's dann, wenn du einfach am Freitag nach der Schule mit zu mir kommst? Ich muss zwar noch zum Kunstklub, aber sonst sollte das gehen. Dann kann ich dir in Ruhe nochmal alles erklären und wenn du am Wochenende beim Lernen noch Fragen hast, kannst du mich anrufen.“ „Akzeptiert!“, stimmte sie lachend zu. „Ich wusste immer, dass es Vorteile hat, einen Freund zu haben, der älter ist.“ „Na das war ja klar!“ Langsam ließ Tsukasa sich von ihrer guten Laune anstecken und alberte mit ihr herum, auch wenn der Gedanke an seinen Bruder nie ganz aus seinem Hinterkopf verschwand.   Den restlichen Nachtmittag hatten sie einfach nur damit verbracht, durch die Gegend zu laufen und sich zu unterhalten, bis sie am frühen Abend schließlich vor dem Haus standen, in dem Midoris Familie wohnte. Das Mädchen schmiegte sich an ihn, während Tsukasa die Arme nur locker um sie gelegt hatte. „Ich sollte gehen...“, murmelte Midori nach einem Blick auf ihre Armbanduhr. „Du weißt ja, mein Vater kann's nicht haben, wenn ich zu spät zum Essen bin.“ „Schon okay“, beruhigte der Ältere sie. „Ich muss auch los...“ Er sah ihr in die Augen, strich ihr eine Strähne ihrer langen Haare aus dem Gesicht. „Also sehen wir uns Freitag?“ „Ja, ich freu mich.“ Sie streckte sich leicht nach oben und küsste ihn sanft auf die Lippen, freute sich, als ihr Freund diese Geste der Zuneigung ebenso zärtlich erwiderte, obwohl sie immer noch auf der Straße standen. Während sie jedoch die Wärme genoss, das sich in ihr ausbreitete, runzelte Tsukasa innerlich die Stirn. Irgendetwas fehlte ihm, irgendetwas machte diesen Kuss anders, ließ ihn sich unbedeutend anfühlen. Nach kurzer Zeit schob er sie vorsichtig von sich. „Bis später, ja?“ Sie nickte nur, bevor sie mit einem kurzen Winken im Inneren des Hauses verschwand.   Tsukasa drehte sich um, während er sich mit einer Hand durch die Haare fuhr und mit der anderen in der Hosentasche nach seinen Kippen suchte. Er brauchte Nikotin. Dringend. Und gerade als er den ersten Zug von seiner Zigarette nahm, traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag, so heftig dass er sich an dem blauen Dunst verschluckte. Keuchend blieb er stehen, versuchte normal zu atmen, nicht an seinem Hustenanfall zu ersticken. Die Antwort hatte sich erschreckend klar in seinen Gedanken geformt. Was ihm an diesem Abschiedskuss gefehlt hatte, war dieses überwältigende Prickeln gewesen, dieses Glücksgefühl, das er immer dann gespürt hatte, wenn seine Lippen Hizumis berührt hatten. Er war unsicher, wie er diese Erkenntnis einordnen sollte – abgesehen davon, dass er anscheinend jeglichen Bezug zur Realität verloren hatte.   Er bog von seinem normalen Heimweg ab, ging stattdessen zu einem Spielplatz, den Hizumi und er als Kinder oft besucht hatten. Wenn sie sonntags hergekommen waren, hatten auch ihre Eltern sie begleitet. Geradezu eine Bilderbuchfamilie. Mit einem Seufzen ließ er sich auf eine der Schaukeln fallen und starrte auf den sandigen Boden zwischen seinen Füßen. Bilderbuchfamilie. Schon klar. Das waren sie vielleicht nach außen hin gewesen, bis ihre Eltern beschlossen hatten, sich scheiden zu lassen. Er war damals 16 gewesen, Hizumi 13. Der Festivalbesuch, bei dem sich der Anblick seines Bruders so unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt hatte, war nur wenige Wochen her gewesen, als ihre Eltern es ihnen mitgeteilt hatten. Ihn selbst hatte es getroffen, natürlich. Sie waren schließlich seine Eltern und er fand es unfair, dass sie einfach so aufgaben, sich einfach trennten. Sie hatten sich schließlich zu lieben, oder nicht? Für Hizumi jedoch war es ein Alptraum gewesen. Unzählige Nächte war der Jüngere zu ihm gekommen, um irgendwann vom Weinen erschöpft in seinen Armen einzuschlafen. Auch wenn Hizumi für sein Alter schon damals recht vernünftig gewesen war, hatte er das einfach nicht verstehen können und wollen.   Die Lippen zu einem bitteren Lächeln verzogen legte Tsukasa den Kopf in den Nacken, starrte hinauf in den wolkenverhangenen Nachthimmel. Es hatte ihm damals das Herz gebrochen, seinen Bruder so leiden zu sehen. Unabhängig von seinen Gefühlen für den Jüngeren, die er schon damals vor sich selbst nicht vollkommen hatte leugnen können, hatte er es grausam gefunden, dass er ihm nicht helfen konnte. Er konnte nur da sein. Seine Eltern hatten Hizumi nicht trösten können, der Jüngere hatte die Beiden nicht einmal an sich herangelassen. Und nur sehr, sehr selten war es ihm selbst gelungen diesem so traurigen Jungen ein Lächeln zu entlocken, das auch seine Augen erreichte. Er wusste nicht genau warum, aber Tsukasa hatte das Gefühl seinem Bruder jetzt ähnlich große Schmerzen zuzufügen. Seine rechte Hand fuhr in seine Jackentasche, holte sein Handy hervor und er begann eine kurze Textmitteilung zu schreiben:   'Es tut mir so Leid, Kleiner. Das hab ich so nicht gewollt.'   Ohne noch genauer darüber nachzudenken verschickte er die Nachricht, steckte dann das Handy wieder weg. Mit einem leisen Seufzen ließ er den Kopf gegen eine der Ketten sinken, die die Schaukel hielten, und schloss die Augen. Die kalten Hände in den Taschen vergraben verharrte er einige Zeit regungslos, ganz darauf konzentriert, einfach nichts zu denken.   ~~~ „Tsukasa, wo warst du denn so lange?“ Seine Mutter sah ihn besorgt an, als er die Wohnung betreten hatte. „Hab mich mit Midori getroffen...“ „Ach so. Geht’s ihr gut?“ Er nickte nur. „Ja, alles okay. Warum hast du für drei gedeckt?“, wollte er dann mit einem Blick auf den Küchentisch wissen. „Oh, Hizumi ist hier...er wartet in deinem Zimmer.“ „Was?“ Auch wenn er versucht hatte es zu verhindern, klang er doch ziemlich schockiert. „Wieso das denn?“ „Frag ihn selbst.“ Seine Mutter gestikulierte in Richtung der Pfanne, in der sie gerade Omelett zubereitete. „Ich sag euch dann Bescheid, wenn das Essen fertig ist.“ „Okay...“, ein leises Seufzen entwich seinen Lippen, als Tsukasa die wenigen Meter bis zu seiner Zimmertür ging.   Im Zimmer war es beinahe dunkel, nur seine Nachttischlampe sorgte für ein bisschen Licht, in dem Hizumi konzentriert zu lesen schien. „Was machst du hier?“ Der Jüngere legte das Buch zur Seite, bevor er seinen Bruder mit einem Lächeln ansah. „Auf dich warten? Ich hab deine SMS bekommen“, erklärte er noch, wartete, bis der Ältere sich neben ihn gesetzt hatte. „Ich...verstehe das nicht ganz.“ Er sah seinen Bruder an, bat ihn stumm um eine Erklärung, darum, dass Tsukasa einfach sagen würde, dass alles gut werden würde. Diesem jedoch erschien es unter diesem beinahe flehenden Blick, als würde irgendetwas in ihm zerbrechen. Er konnte diesem Blick nicht lange standhalten, sah stattdessen auf das Cover des Buches, das neben ihnen lag. „Tsukasa, sag was...bitte.“ Der Ältere schüttelte nur den Kopf und zog seinen Bruder fest an sich. Nur ein letztes Mal wollte er sich wenigstens einbilden diese Wärme und Nähe zu spüren. Abwesend strich er über Hizumis Rücken, als dieser sich vertrauensvoll an ihn schmiegte. Er hasste sich selbst dafür, dass er dieses Vertrauen zerstören würde. Aber irgendwo in seinem Kopf hatte sich der Gedanke festgesetzt, dass es immer noch besser sei, das alles jetzt zu beenden, als zu riskieren, dass ihrer beider Leben ihnen dadurch zur Hölle gemacht werden konnte. Besser, als wenn sein kleiner Bruder wegen ihm noch mehr leiden musste. Bei diesem Gedanken zog er den zierlichen Körper noch ein wenig fester an sich; das Gesicht in Hizumis Halsbeuge vergraben, verharrte einen Moment so, bevor er den Anderen langsam von sich drückte. Da war immer noch dieses stumme Flehen in den dunklen Augen, jetzt gepaart mit der immer größer werdenden Gewissheit, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung sein konnte.   „Kleiner...“ Er zwang sich tief durchzuatmen, das verdächtige Glänzen in den Augen des Jüngeren zu ignorieren. „Das, was am Wochenende passiert ist...es war schön, aber es darf nie wieder passieren. Nie wieder.“ Seine Stimme war fester, als er es je hätte denken können, es klang geradezu so, als wäre er von dem überzeugt, was er gerade sagte. Er konnte den Schmerz in Hizumis Augen sehen, der ihn dazu brachte weiterzumachen. „Es war okay, wirklich. Aber mal ehrlich – Du kannst doch nicht von mir erwarten, dass ich dafür mein Leben wegschmeiße?“ War das wirklich er, der da sprach? Alles in ihm schrie danach, den Jüngeren wieder in seine Arme zu ziehen, ihn zu trösten und ihm zu versichern, dass alles nur ein makaberer Scherz gewesen war. Stattdessen zuckte er gespielt gelassen mit den Schultern. „Abgesehen davon, du weißt, dass ich mit Midori zusammen bin...und ich liebe sie.“ Er brachte die Worte kaum über die Lippen, wissend, dass dies gewissermaßen der Todesstoß war. Es kam ihm vor, als könnte er sehen, wie etwas in Hizumi zerbrach, der Unglauben aus dessen Blick verschwand. Die Augen seines Bruders wirkten seltsam leer, trotz des Schmerzes in ihnen, als die ersten Tränen über seine Wangen rollten.   Er wollte – konnte – nicht glauben, was Tsukasa da gerade gesagt hatte. Das konnte er einfach nicht ernst gemeint haben. Ein ersticktes Schluchzen verließ seine Lippen, er krallte seine Hände in das Oberteil seines Bruders, doch dieser wich nur ein Stück zurück. Sein Blick entbehrte jeglicher Emotion. „Du solltest gehen.“ Der Ältere wollte die Hände Hizumis vom Stoff seines Shirts trennen, doch sobald er sie berührt hatte, zuckte sein Bruder zurück. „Fass mich nicht an!“ Weiteres Schluchzen unterdrückend stand der 15-jährige so schnell es ihm möglich war auf und ging zur Zimmertür. Dort drehte er sich noch einmal kurz um und warf seinem Bruder einen erstaunlich hasserfüllten Blick zu. „Und komm mir nie wieder zu nahe!“ Einen Moment später fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und Tsukasa atmete hörbar aus. Es war vorbei. Und so wenig er es sich eingestehen wollte, dieser Gedanke tat verdammt weh.   Später am Abend betrat seine Mutter sein Zimmer. Mit wachsender Besorgnis betrachtete sie ihren Sprössling, der weiterhin nur an die Decke starrte. „Willst du noch was essen?“, fragte sie nach einer Weile sanft, beugte sich zu ihm herunter und strich ihm liebevoll ein paar Strähnen seines Ponys aus dem Gesicht. „...nein...hab keinen Appetit...tut mir Leid...“ Mit einem leichten Nicken ließ sie ihn wieder allein, schließlich war es nicht das erste Mal, dass ihre Söhne sich gestritten hatten, auch wenn es eher selten vorkam.   ~~~ „Argh...ich versteh das einfach nicht!“ Ihrem Freund einen leidenden Blick zuwerfend ließ Midori ihren Kopf auf das Heft vor sich sinken. „Ich bin für Mathematik einfach nicht gemacht, das hab ich schon immer gesagt. Wer denkt sich so etwas bitte aus?“ Sie schloss kurz die Augen, als Tsukasa ihr leicht über den Kopf streichelte. „Na komm, wir rechnen das nochmal zusammen durch, damit wir den Fehler finden und dann lassen wir's gut sein für heute und machen uns einen ruhigen Abend, mh?“, versuchte er das Mädchen zu motivieren, das ihn daraufhin anlächelte. „Okay!“ „Na geht doch...“ Er stand auf und stellte sich, über sie gebeugt, hinter ihren Stuhl. „Also, der Anfang ist vollkommen richtig...das hier auch...“ Er fuhr die Zeilen mit dem Finger nach, bis er den Fehler gefunden hatte. „Da.“ Er tippte auf die Stelle in ihrem Matheheft. „Das müsstest du erst noch zusammenfassen, dann kannst du den Wert auf beiden Seiten subtrahieren, damit er wegfällt...dann löst du die Wurzel auf, indem du die gesamte Gleichung ins Quadrat setzt und der Rest ist dann wieder ganz einfach.“ Aufmerksam sah er zu, wie seine Freundin die Anweisungen befolgte bis sie schließlich das richtige Ergebnis mit einem Aufseufzen doppelt unterstrich. „So!“ Midori schob das Heft weit von sich. „Und jetzt machen irgendwas, was nichts mit Schule zu tun hat...“ Mit einem Lächeln lehnte sie den Kopf nach hinten gegen Tsukasas Oberkörper, bevor ihre Augen sich schlossen und sie ein paar Augenblicke einfach seine Nähe genoss. Sie fand, dass sie sich wirklich glücklich schätzen konnte, so einen wundervollen Freund zu haben. „Ich hab 'Ponyo' auf DVD da, wenn du magst?“ Tsukasa richtete sich auf, sah das Mädchen fragend an, das erst kurz nachdachte und dann nickte. „Klar gern, den fand ich im Kino schon toll, hast du ihn neu gekauft?“ „Ja, vor ein paar Tagen erst.“ Er ging die wenigen Schritte zum Kühlschrank, um sich eine Flasche Orangensaft herauszuholen. „Ich konnte einfach nicht anders. Jetzt, wo es den Film endlich auf DVD gibt, hat ja lang genug gedauert.“ Er bat Midori noch zwei Gläser mitzunehmen, dann gingen sie zusammen in Tsukasas Zimmer. Flasche und Gläser fanden ihren Platz auf dem Nachttisch, als Tsukasa den Film in den Player legte und es sich dann zusammen mit Midori auf seinem Bett bequem machte, sodass sie sich an ihn lehnen konnte.   Seine Hand strich immer wieder liebevoll durch ihr langes Haar, hin und wieder spielte er gedankenverloren mit einer der Strähnen, während er fühlte, wie sie sich an ihn kuschelte. Der Film war schon einige Zeit zu Ende und so hatten sie die letzten Minuten mit leisen Gesprächen verbracht, die in eine angenehme Stille übergegangen waren. Ihr zierlicher, warmer Körper schmiegte sich an seinen; er konnte nicht leugnen, dass es sich gut anfühlte, natürlich tat es das. Er wusste auch nicht, ob ihm etwas fehlte, weil es anders war als mit Hizumi, oder ob es gut war, weil es sich genauso anfühlte wie bei den anderen Menschen, mit denen er bisher solche Momente geteilt hatte. Als Midori sich etwas aufrichtete, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Das Mädchen hatte sich auf den Bauch gedreht, die Hände auf seinen Brustkorb gelegt und stützte nun ihr Kinn darauf ab. „Was ist...?“, fragte Tsukasa nach ein paar Sekunden, in denen sie ihn einfach nur angeschaut hatte. „Nichts eigentlich.“ Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Ich mag es, dich so anzusehen.“ Sie streckte sich etwas, legte ihre rechte Hand an seine Wange. Ihre Blicke trafen sich kurz, dann küsste sie ihn zärtlich. Ihre Küsse waren immer ein klein wenig schüchtern, als hätte sie Angst, etwas falsch zu machen oder ihm nicht zu gefallen. Er ließ ihr etwas Zeit, stupste dann mit der Zungenspitze vorsichtig gegen ihre Lippen und vertiefte den Kuss, als sie ihr Einverständnis zeigte. Wie von allein wanderte eine seiner Hände in ihren Nacken, liebkoste sie dort, während die andere ihr leicht über den Rücken streichelte, das Mädchen schließlich etwas näher zu sich zog. Als Tsukasa jedoch spürte, wie sie sich zurückzog, sah er sie forschend an, nachdem sich ihrer beider Lippen voneinander gelöst hatten. „Was ist los?“, wollte er leise wissen, bemerkte zu seinem Erstaunen, dass die Wangen seiner Freundin ein leuchtendes Rot angenommen hatten, sie sich aber anscheinend nicht zu einer Antwort durchringen konnte. „Na komm, ich werd dir nicht den Kopf abreißen...“, fügte er mit einem beruhigenden Lächeln hinzu. „Ich...naja...“ Ein entnervtes Seufzen entfuhr ihr und sie lehnte ihre Stirn gegen seine Schulter. „Okay, es ist wirklich peinlich, das sagen zu müssen...“, murmelte sie dann mehr zu sich selbst. Er konnte spüren, wie sie noch einmal durchatmete. „Tsukasa?“ „Mh?“ Zögerlich hob sie den Kopf und sah ihn mit einem ziemlich unsicheren Gesichtsausdruck an. „Ich glaube, ich will mit dir schlafen.“ Ihre Stimme war leise, aber in ihrem Blick lag eine gewisse Entschlossenheit, was Tsukasa allerdings nur am Rande wahrnahm. Ihre Aussage hatte ihn für ein paar Sekunden wirklich aus dem Konzept gebracht. „...bist du dir da sicher?“ er strich ihr sanft über die Wange. „Ich meine-“ „Ja, ich bin sicher!“ Sie lehnte sich weiter über ihn und sah ihn ernst an, bevor er auch nur versuchen konnte, seine Gedanken in Worte zu fassen. „Ich meine, wir sind jetzt mehr als drei Monate zusammen und ich glaube wirklich, dass ich das mit dir teilen möchte.“ „Wow...“ Tsukasa konnte nicht anders als zu lächeln. „Na dann hoffe ich, dass du diese Entscheidung nicht bereuen wirst.“, meinte er noch und gab ihr einen kurzen Kuss. „Trotzdem lassen wir das etwas ruhiger angehen, okay?“ Er warf einen Blick auf seinen Wecker. „Du musst auch bald los, sonst macht dein Vater wieder Stress.“ „Mhhhh~...“ Midori kuschelte sich wieder an ihn, griff nach einer seiner Hände und verschränkte ihre Finger mit seinen. „Ich bin wirklich froh, dich zu haben...einen wundervolleren Freund gibt es gar nicht, glaub ich.“ Ihre Stimme klang so aufrichtig, dass es Tsukasa einen gewaltigen Stich versetzte. Abgesehen von der Tatsache, dass kein anderer Kerl sie mit seinem eigenen Bruder betrügen würde, versteht sich, kommentierte eine sarkastische Stimme in Tsukasas Kopf, die wohl sein Gewissen war. Er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht genervt aufzustöhnen. 'Besser' konnte seine Situation ja wohl nicht sein. Also lächelte er nur, als sie aufstand und erhob sich dann ebenfalls, um sie zur Tür zu bringen.   ~~~ Ein unwilliges Grummeln verließ Tsukasas Lippen, als er von einem schon nach wenigen Sekunden ziemlich nervtötenden Geräusch aus einem angenehmen Dämmerzustand gerissen wurde. „...dein Handy klingelt...“, informierte ihn Midori, die an ihn geschmiegt da lag und keinerlei Anstalten machte, sich zu bewegen. Mit einem Seufzen griff er nach dem Unruhestifter, um das Gespräch entgegenzunehmen. „Ja?“ „Tsukasa? Wo bist du? Wir müssen gleich zu deinem Vater!“ Die Stimme seiner Mutter klang gehetzt. „Scheiße, das hab ich total verplant.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, dachte kurz nach. „Hör mal, geh du einfach schon vor, ich komm so schnell wie möglich nach, ja?“ Die Antwort seiner Mutter bestand nur aus einem knappen „Okay“, dann hatte er nur noch ein Tuten in der Leitung. „Na prima...“ Er ließ die Hand sinken, in der er noch immer sein Handy hielt und stieß ein schicksalsergebenes Seufzen aus. „Sorry, Süße,...ich muss dich alleine lassen.“ Midori hob den Kopf und sah ihn mit einem leichten Schmollmund an. So hatte sie sich das eigentlich nicht vorgestellt. „Warum?“, wollte sie dann nur wissen. „Ich hab total vergessen, dass mein Vater heute Geburtstag hat...und da muss ich natürlich hin und wenn ich nicht erst Mitternacht da sein will, sollte ich mich beeilen.“ Liebevoll strich er ihr eine Strähne ihrer dunklen Haare aus dem Gesicht und sah sie entschuldigend an. „Das nächste Mal bleib ich die ganze Nacht, okay?“ „Na gut...weil du's bist.“ Deutlich unzufrieden legte sie sich neben ihn, sodass er aufstehen konnte, während sie sich weiter in ihre Bettdecke wickelte. Sie schloss einige Momente die Augen, lag einfach nur entspannt da, bis sie fühlte, wie Tsukasas Finger ihr wieder sanft über die Wange streichelten. Er hockte, jetzt angezogen, vor ihrem Bett und sah sie forschend an. „Alles okay?“, seine Stimme klang so warm und besorgt, dass ihr Körper sofort wieder von einem verliebten Kribbeln erfüllt wurde. „Ja, alles gut, keine Angst.“ Er küsste sie noch einmal kurz, murmelte ein „bis bald“ gegen ihre Lippen und erhob sich dann, um zu gehen. Nein, sie bereute es definitiv nicht, dass sie ihm heute ihr erstes Mal geschenkt hatte. Er war vorsichtig gewesen und das Erlebnis war zu einer schönen, einzigartigen Erinnerung für sie geworden, was nicht alle ihre Freundinnen von sich behaupten konnten. Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen drehte Midori sich auf die andere Seite, bettete ihren Kopf auf die Stelle des Kissens, auf der Tsukasa bis eben gerade noch gelegen hatte, und verfiel kurz darauf wieder in einen angenehmen Halbschlaf.   Tsukasa indessen hatte den schnellsten Weg zurück zur der Wohnung genommen, in der er und seine Mutter wohnten. Warum genau wusste er nicht, aber so, wie er war, konnte er vor allem seinem Bruder nicht unter die Augen kommen. Irgendwas sagte ihm, dass Hizumi sofort wissen würde, was passiert war. Kaum war die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss gefallen, hatte er seine Schuhe auch schon in die nächste Ecke getreten und war auf dem Weg ins Bad. Seine Klamotten ließ er einfach auf den Boden fallen, trat in die Duschkabine, drehte in der gleichen Bewegung noch das Wasser auf – und zog sich im nächsten Moment fluchend so weit wie möglich von dem eiskalten Strahl zurück. Den Kopf in den Nacken legend atmete er tief durch. Wenn er sich jetzt noch mehr Stress machte, würde er nur versehentlich ausrutschen und sich irgendetwas brechen. Und das musste man nun nicht unbedingt riskieren. Mit der Hand testete er noch einmal die Temperatur, bevor er wieder unter den Wasserstrahl trat. Die Wärme wirkte angenehm entspannend, tat ihm gut. Denn jetzt, wo er wieder wusste, dass heute der Geburtstag seines Vaters war, war ihm auch klar geworden, dass er Hizumi wiedersehen würde. Das erste Mal seit mehr als eineinhalb Monaten. Und, verdammt, er hatte Angst dem Jüngeren gegenüber zu treten. Sein Bruder musste ihn regelrecht verabscheuen, aber er war ja selbst Schuld daran. Hätte er sich beherrschen können, wäre es nie soweit gekommen. Vermutlich hatte er seinen Bruder mit diesem Quasi-Überfall auch noch für den Rest seines Lebens traumatisiert. Dieser und ähnliche Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er sich mit dem Fahrrad auf den Weg zu seinem Vater machte. Er war froh, die Straßen ziemlich leer vorzufinden, da er sonst sicherlich zu allem Überfluss noch einen Unfall gebaut hätte, weil er sich einfach nicht konzentrieren konnte.   „Tsukasa! Da bist du ja endlich!“ Sein Vater stand vor ihm in der Tür und sah ihn, im Gegensatz zu seinem strengen Tonfall, mit einem Lächeln an. „Ja, tut mir wirklich Leid, ich hab das irgendwie nicht auf die Reihe bekommen heute“, murmelte der 18-jährige seine Entschuldigung. „Na ja, ich werde damit leben müssen, oder?“ Das Lächeln im Gesicht seines Vaters wurde etwas breiter. „Jetzt komm erst einmal rein, deine Mutter bricht schon alle fünf Minuten in Schimpftiraden über 'ihren unmöglichen Sohn' aus.“ Nun ebenfalls grinsend betrat Tsukasa das Apartment, entledigte sich seiner Schuhe und folgte seinem Vater dann ins Wohnzimmer, wo seine Mutter auf dem Sofa saß und ihm zur Begrüßung nur einen scharfen Blick zuwarf. „Ja, Mama, ich weiß.“ Er hob abwehrend die Hände. „Ich bin furchtbar missraten und so hast du mich nicht erzogen...können wir jetzt essen? Ich bin wahnsinnig hungrig.“ Seine Mutter stand nur kopfschüttelnd auf und folgte ihnen in die Küche, wo der Tisch bereits gedeckt war. „Aber eines sag ich dir, irgendwann wirkt dein Hundeblick bei mir auch nicht mehr!“, drohte sie ihrem Sohn scherzhaft, als sie sich hinsetzten, während ihr Ex-Mann das Essen endlich servieren konnte. Etwas verwirrt sah Tsukasa sich um. „Wo ist Hizumi?“ Auch wenn es nur ein kurzer Moment war, bemerkte er, wie seine Eltern einen besorgten Blick austauschten. „Hallo? Redet mit mir!“ Mit einem ein bisschen ratlos wirkenden Seufzen setzte sein Vater sich, nachdem er die letzte Schüssel auf dem Tisch platziert hatte. „Er wollte nicht hierbleiben, meinte, er hätte noch etwas zu tun...er ist etwas merkwürdig in letzter Zeit.“ „Oh.“ Schuldbewusst biss er sich auf die Lippen. „Na ja, das wird schon wieder werden, da bin ich mir sicher“, versetzte seine Mutter mit einem betont optimistischen Tonfall, um gleich darauf gekonnt das Thema zu wechseln. Worüber seine Eltern sprachen, bekam Tsukasa nicht wirklich mit, er war zu sehr damit beschäftigt, das in ihm aufsteigende Unwohlsein zu verdrängen.   Er sah erst wieder auf, als sein Vater einen Becher Sake vor ihm abstellte und einen dicken Briefumschlag gleich daneben legte. „Was ist das?“ „Mach es auf. Ich hab euch nicht nur eingeladen, weil ich Geburtstag habe, sondern auch, weil ich dich mit etwas überraschen wollte.“ Der 18-jährige warf ihm noch einen verwirrten Blick zu, der amüsiert erwidert wurde, bevor er sich daran machte den Umschlag zu öffnen. Als er den Brief las konnte er förmlich fühlen, wie seine Augen immer größer und sein Gesichtsausdruck immer ungläubiger wurden. Er musste schlucken, sein Mund fühlte sich auf einmal furchtbar trocken kann. Dann hob er den Blick und sah in die erwartungsvollen Gesichter seiner Eltern. „Ist das...euer Ernst?“, wollte er dann wissen, sah immer wieder zwischen den Beiden hin und her. Langsam ließ er das Blatt Papier auf den Tisch sinken, als sein Vater nickte. „Ja, eigentlich ist schon alles organisiert. Du musst nur noch zusagen...also, was denkst du?“ „Ich...weiß nicht...das ist...wow.“ Immer noch unfähig einen wirklich zusammenhängenden Satz zu formulieren, sah er auf den Brief vor sich. Amerika. Er hatte hier tatsächlich ein Stipendium für eine amerikanische Kunsthochschule in der Hand. Wie zur Hölle hatte sein Vater das gemacht? Genau das war auch die Frage, die er als nächstes stellte, doch der Angesprochene zuckte nur mit den Schultern. „Du weißt doch, dass ich Geschäftspartner dort habe. Also hab ich mit einem Bekannten, der als Dozent an dem College tätig ist, gesprochen und ihm später einfach das letzte Zeugnis von dir geschickt, zusammen mit ein paar Fotos von deinen Arbeiten zur letzten Schulausstellung. Und als Antwort kam dann das hier.“ Tsukasa nickte nur. „Danke, wirklich...“ Allmählich schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen, als er begann zu verstehen, was für eine Chance er hier bekam. „Das ist wirklich irre!“ Er stand auf und umarmte seinen Vater, der ihm nur kurz auf den Rücken klopfte.   Seine Freude wurde jedoch abrupt unterbrochen, als er die Wohnungstür leise ins Schloss fallen hörte und nur wenige Augenblicke später Hizumi in der Küche stand. „Ihr seid ja noch da“, murmelte der zur Begrüßung, ging zu seiner Mutter und umarmte sie ebenfalls kurz. Tsukasa ignorierte er jedoch völlig. „Schatz, möchtest du noch etwas essen?“, fragte seine Mutter mit einem fürsorglichen Lächeln, doch der Junge schüttelte nur den Kopf. „Ich bin müde...ich geh in mein Zimmer, okay?“ Ohne eine Antwort abzuwarten war der Junge auch schon wieder verschwunden. Und sofort fühlte Tsukasa den bohrenden Blick seiner Mutter auf sich ruhen. „Du solltest mit ihm reden.“ „Ich? Wieso?“ „Halt mich nicht für dumm, Tsukasa. Irgendwas ist zwischen euch passiert und seitdem ist er so merkwürdig drauf. Also bring das gefälligst wieder in Ordnung!“, forderte sie ihn streng auf. Innerlich seufzend musste er ihr Recht geben. Sein Bruder sah furchtbar aus und er selbst war Schuld daran. Nur gut, dass seine Mutter den eigentlichen Grund für das alles nicht kannte. „Schon gut...“, murmelte er ergeben, folgte dann dem Jüngeren zu dessen Zimmer.   Er atmete noch einmal tief durch. Es kostete ihn einige Überwindung zu klopfen und schließlich die Tür ein Stück weit zu öffnen. „Was ist?“ Hizumis Stimme war leise und klang irgendwie unglaublich müde. „Ich wollte mit dir reden.“ Sein Bruder hob ruckartig den Kopf, als er die Tür hinter sich schloss und sich dagegenlehnte. „...und wenn ich nicht mit dir reden will?“ Mit angezogenen Knien saß der Jüngere auf seinem Bett und sah ihn mit einem undefinierbaren Ausdruck in den Augen an. Tsukasa hätte nicht gedacht, dass es ihm bei diesem Anblick so den Brustkorb zusammenschnüren würde. „Könnte ich auch verstehen“, erwiderte er dann leise. „Ich wollte mich entschuldigen...ich denke, ich hab ein wenig übertrieben neulich und-“ „Ein bisschen übertrieben? Geht’s dir sonst noch gut?“ Er zuckte zusammen, als sein Bruder ihn dermaßen heftig unterbrach. „Deutlicher hättest du mir kaum sagen können, dass ich nicht mehr als ein wertloser Fick war, verdammt! Und ich hab's kapiert, ja? Also verpiss dich endlich!“ „Hizumi, bitte...“ Tsukasa war selbst davon überrascht, dass seine Stimme beinahe flehend klang. Er überbrückte die Distanz zwischen ihnen und kniete sich vor das Bett. „Ich wollte das alles nicht sagen...aber verdammt, ich wusste doch auch nicht, was ich machen sollte.“ Er seufzte, als sein Bruder demonstrativ den Kopf zur Seite drehte und sich stur weigerte ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Was er so gesehen auch nicht anders verdient hatte. „Du bist mir nicht egal, Kleiner. Alles andere als das...auch wenn du mir das im Moment nicht glauben wirst.“ Ein weiteres Seufzen verließ seine Lippen, als er nach den passenden Worten suchte. „Aber ich konnte doch nicht zulassen, dass du, dadurch, wie auch immer das weitergegangen wäre, noch viel mehr verletzt worden wärst.“ Tsukasa lehnte sich etwas über das Bett und legte seine Hand an das Kinn seines Bruders, damit der ihn endlich ansah. Unwillig gehorchte Hizumi dieser Geste, erwiderte den bittenden Blick seines Bruders allerdings vollkommen regungslos. „...es hat so viel mehr wehgetan...“, murmelte er dann, drehte sich wieder weg. Er streckte sich auf dem Bauch liegend auf seinem Bett aus, um stumm an die Wand vor sich zu starren. Mit einem leisen Seufzen wandte Tsukasa sich ebenfalls um, setzte sich hin und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Möbelstück. Sie schwiegen eine Zeit lang, keiner von Beiden wusste, was er noch sagen sollte, bis Tsukasa sich dazu durchringen konnte, weiterzusprechen. „Ich werde weggehen. Paps hat mir ein Stipendium an einer Kunsthochschule in den USA besorgt“, erzählte er gedankenverloren. „In ein paar Wochen bin ich schon nicht mehr hier. Dann ist sowieso alles egal.“ Hinter sich hörte ein Rascheln, so als hätte Hizumi sich bewegt. „Ist vermutlich besser so, dann muss ich dir nicht mehr wehtun, und weder Midori noch irgendjemanden sonst belügen...“ „Du bist immer noch mit ihr zusammen?“, fragte er Jüngere nach einem Moment des Zögerns. „Ja, aber es ist...anders.“ Ein wehmütiges Lächeln schlich sich auf Tsukasas Gesichtszüge, dass sich jedoch ungesehen in der Dunkelheit des Zimmers verlor. „Was ist anders?“ Hizumi hatte sich mittlerweile auf den Rücken gedreht und betrachtete die Muster, die das von draußen hereinfallende Licht an die Zimmerdecke malte. „Alles. Ich hab sie gern...aber es fehlt einfach was. Das merke ich immer deutlicher...“ Die Stimme des Älteren war leise, so als würde er mehr mit sich selbst sprechen. „Wenn ich sie küsse...es fehlt dieses Kribbeln, dass ich fühle, wenn ich in deiner Nähe bin.“ Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Die nächsten Worte fielen ihm nicht leicht, aber wenn er irgendetwas gutmachen wollte, musste er das irgendwie herausbringen. „Was ich gesagt hab war eine Lüge...diese Nacht mit dir war das Schönste, das ich je erlebt habe.“ Stille. Dann ein unterdrücktes Schluchzen. Der Ältere drehte sich um und konnte im spärlichen Licht, das von draußen ins Zimmer fiel, sehen, dass seinem Bruder Tränen über die Wangen liefen. „Tut mir Leid...ich wollte nicht, dass du schon wieder weinst.“ Seine eigene Stimme glich eher einem erstickten Flüstern, aber Hizumi schüttelte nur den Kopf, dann griff er nach Tsukasas Oberteil und zog leicht daran. „Komm her...bitte...“ Der nickte, rappelte sich auf und legte sich dann neben den Jüngeren ins Bett, der sich sofort an ihn schmiegte. Mit einem Arm zog Tsukasa ihn noch ein wenig an sich, strich ihm dann immer wieder beruhigend durch die Haare. Diese ganze Situation machte ihm Angst. Auch wenn er immer gewusst hatte, dass seine Gefühle für Hizumi weit über das brüderliche Maß hinaus gingen, war diese vollkommene Zufriedenheit, die ihn in diesem Moment erfüllte, dieser Gedanke des 'Vollständig-seins', beängstigend. Er spürte wie der Körper in seinen Armen sich nach und nach ein bisschen entspannte, sein Bruder wieder ruhiger wurde. Aus einem anderen Teil der Wohnung drang Lachen zu ihnen. „Sie verstehen sich wirklich wieder gut, oder?“, murmelte Hizumi gegen den Stoff seines Shirts. „Ja, seit sie sich getrennt haben ist es besser geworden, hab ich das Gefühl.“ Ein ironischer Gedanke, aber er entsprach der Wahrheit. „Wenn du nach Amerika gehst, was mache ich dann?“ Der Ältere konnte nur leicht mit den Schultern zucken. „Ich weiß nicht...aber noch hab ich ja auch noch nicht entschieden, dass ich gehe.“ „Du solltest aber.“ Der 15-jährige hob den Kopf und sah seinen Bruder eindringlich an. „Auch wenn es mir lieber wäre, du würdest bleiben – so eine Chance bekommt man nur einmal im Leben!“ Tsukasa strich ihm sanft über die Wange, zog ihn zu sich und hauchte einen sanften Kuss auf seine Nasenspitze. „Und wenn ich dich nicht allein lassen will?“, fragte er dann leise. Ein zögerliches Lächeln breitete sich auf Hizumis Gesicht aus. „Dann müssten wir uns wohl irgendwas anderes überlegen.“ Tsukasa lehnte ebenfalls lächelnd seine Stirn gegen die des Anderen. „Ich will dir nicht nochmal irgendwie so wehtun.“ „Keine Angst, ich passe schon auf uns auf.“ Auch wenn ein kleiner Teil Hizumis seinem Bruder nicht so leicht verzeihen konnte, die Situation kam ihm wie ein Traum vor. Ein Traum, in dem er sich, da er die Nähe des Älteren endlich wieder spüren konnte, unendlich glücklich und lebendig fühlte. Und wenn das hier ein Traum sein sollte, dann konnte er doch machen, was er wollte oder? Dann war doch nichts falsch an dem, was er sich wünschte. Er drehte sich wieder auf den Rücken, zog Tsukasa mit sich und bedachte den Älteren aber mit einem ernsthaften Blick. „Ich hab viel nachgedacht in der letzten Zeit. Ich hab mich gefragt, was ich machen würde, wenn du diese Sachen nicht gesagt hättest. Als du zu mir in die Schule gekommen bist...ich war so glücklich dich zu sehen. Ich dachte, dass etwas anders wäre nach diesem Wochenende. Und ich hab mich gefragt, ob ich...so was noch mal wollen würde.“ In seine Gedanken versunken spielte er mit einer längeren Strähne von Tsukasas Haar und sah ihn offen an. „Als du dann gesagt hast, dass du dich mit Midori triffst – das hat ziemlich wehgetan und hab gedacht, dass ich vielleicht nur eine kleine Abwechslung gewesen bin und war schrecklich eifersüchtig auf sie, weil sie dich immer haben konnte. Weil du zu ihr gegangen bist und nicht zu mir.“ Für einen Moment verlor sich Hizumis Stimme im Nichts, bevor er seinen Gedanken wieder aufnahm. „Und da hab ich begriffen, dass ich das alles sehr gern noch mal gehabt hätte, dass ich an ihrer Stelle sein wollte...“ Tsukasa musste heftig schlucken und schloss für einen Moment die Augen. Er hätte sich ohrfeigen können. Was war er eigentlich für ein Arsch? Wie hatte er dem wichtigsten Menschen in seinem Leben so wehtun können? Für einen Moment biss er sich auf die Unterlippe, wartete bis er sicher war, dass seine Stimme nicht zittern würde. „Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn du in Zukunft an ihrer Stelle wärst...“ „Wirklich?“ „Ja.“ Tsukasa erlaubte sich ein leichtes Lächeln. „Aber für den Moment wär ich schon zufrieden, wenn ich dich küssen dürfte...“ Als er das Strahlen sah, das sich im Gesicht seines Bruders ausbreitete, hatte er das Gefühl sein Herzschlag würde für ein paar Sekunden einfach aussetzen. Er konnte nicht glauben, dass er diese Chance tatsächlich bekommen sollte. „Darfst du“, bekam er nun etwas verspätet die Bestätigung, die er gleich nutzte, um den letzten Abstand zwischen sich und dem Jüngeren zu überbrücken. Der Kuss war sanft und vorsichtig, als hätte er noch immer Angst, dass er seinem Bruder damit wehtun könnte. Und trotzdem war plötzlich einfach alles richtig, obwohl ihre Lippen sich nur ganz leicht berührten. Egal ob sie Brüder waren, es fühlte sich richtig an und dieses Prickeln, dass er bei Midori so vermisst hatte, ergriff wieder Besitz von ihm. Das war es, was ihm gefehlt hatte. Er ließ sich Zeit, bis er den Kuss vertiefte, vorsichtig mit der Zungenspitze gegen Hizumis Lippen stupste und dieser im bereitwillig entgegenkam. Er verlagerte sein Gewicht etwas, sodass er nur halb auf dem Jüngeren lag und immer wieder leicht dessen Seite entlangstreichen konnte, bis seine Hand schließlich vorsichtig den Weg unter den Stoff des Oberteils fanden. Sanft liebkoste er die weiche Haut, die er so vermisst hatte. Er spürte, wie sich unter seinen Fingern eine leichte Gänsehaut bildete und als sie ihren Kuss für ein paar kurze Augenblicke lösten, um durchzuatmen, sah er nur Glück und unendliche Zuneigung in den Augen seines Bruders. Hizumi vergrub seine Hände in den Haaren des Älteren und zog ihn wortlos wieder zu sich. Er mochte jung sein, aber er erkannte einen besonderen Augenblick, wenn er ihn erlebte – und diesen hier wollte er vollkommen auskosten. Schon nach kurzer Zeit waren beide so in das zärtliche Spiel ihrer Küsse versunken, dass sie nicht bemerkten, wie die Tür geöffnet wurde.   „Tsukasa, kommst du? Wir wollen geh-“, geschockt hielt seine Mutter inne. „Was zum Teufel treibt ihr da?“ Ihr Stimme klang schrill und ungläubig. Sie konnte nicht fassen, was sie hier sah. Tsukasa, der schon bei ihren ersten Worten heftig zusammengezuckt war, setzte sich auf und sah die vollkommen aufgelöste Frau erschrocken an, bevor er sich dazu zwang ruhig zu bleiben. „Du hast doch gesagt, ich sollte das wieder in Ordnung bringen und das hab ich getan.“ Selbst in seinen eigenen Ohren klang er viel zu sachlich und ruhig. „Indem du deinen Bruder küsst?“, schrie sie ihn an, was nun auch seinen Vater auf den Plan rief, der nur vollkommen fassungslos zwischen den restlichen drei Familienmitgliedern hin und her sah. „Was ist hier los?“, wollte er dann wissen. „Unsere Söhne haben vollkommen den Verstand verloren, das ist los!“, keifte seine Ex-Frau ihn an, schritt dann schnell durch das Zimmer und packte Tsukasa reichlich unsanft am Oberarm. Es war immer wieder erstaunlich für ihn, dass diese zierliche Person so viel Kraft aufbringen konnte. Er schenkte seinem Bruder noch ein weiches Lächeln, ließ sich dann aber ohne Gegenwehr aus der Wohnung ziehen.   ~~~ „Okay...lass mich das nochmal zusammenfassen, ja?“ Ein von einem Kopfschütteln begleitetes Grinsen folgte. „Du hast mit deinem Bruder geschlafen, ihn dann abserviert, warst in der Zeit mit deiner Freundin zusammen und hast sie entjungfert, bevor du und Hizumi euch wieder vertragen habt, was aber nichts bringt, weil eure Eltern euch erwischt haben und jetzt wirst du nach Amerika zwangsverschifft?“ Der junge Mann nahm auf Tsukasas ergebenes Nicken hin einen großzügigen Schluck aus der Bierflasche in seiner Hand. „Mann, da kommt mir mein Leben echt ziemlich langweilig vor...“ Er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Sein bester Freund hatte ja schon immer ein Talent dafür besessen, sich in die unmöglichsten Situationen zu bringen, aber das hier übertraf ja wohl alles. „Und was willst du jetzt machen?“, wollte er dann wissen. „Na was wohl.“ Missmutig nahm Tsukasa einen Zug von seiner Kippe. „Ich steig in etwa 10 Stunden in dieses beschissene Flugzeug – vorausgesetzt ich lebe dann noch, wenn meine Mutter mitbekommen hat, dass ich abgehauen bin...“ Mit einem frustrierten Stöhnen ließ er seinen Kopf in den Nacken fallen. „Das weiß sie nicht?“ Er schüttelte nur den Kopf. „Ich bin einfach weg, ich brauchte noch ein bisschen normale Gesellschaft...“ „Na ob ich da der Richtige bin“, grinsend kratzte Zero sich am Kinn. „Aber mal ernsthaft, was machst du jetzt? Was ist mit deinem Abschluss?“ „Mach in an ner japanischen Schule irgendwo in den USA...keine Ahnung...“ Das alles war ihm mittlerweile einfach nur noch furchtbar egal. Er schnippte den Rest seiner Zigarette aus dem Fenster, sah dann seinen Kumpel eindringlich an. „Und du findest mich jetzt nicht irgendwie gestört oder so?“ Zero zuckte nur mit den Schultern. „Sollte ich?“, stellte sein Kumpel die Gegenfrage, wurde dann aber ernster. „Hör mal, mir ist das ziemlich egal, mit wem du schläfst oder zusammen bist, wenn du glaubst, dass es das Richtige für dich ist...schwanger werden kann er auch nicht, also was soll's schon, du hast es dir nicht ausgesucht, oder? Du hast mich ja auch nicht verurteilt, als ich was mit meinem Nachhilfelehrer angefangen hab...“, fügte er dann noch hinzu und entlockte damit endlich auch seinem Gegenüber ein schwaches Grinsen. „Wobei du mit dem auch nicht verwandt bist.“ „Ach ist doch auch egal. Lass uns anstoßen auf auf uns...und den Verfall verstaubter Moralvorstellungen!“ Mit einem dumpfen Klirren trafen sich die Bierflaschen und als er einen Schluck nahm, fühlte Tsukasa sich seltsam erleichtert.   ~~~ Die Hände tief in seine Jackentaschen vergraben trottete er, den Blick fest auf den Boden gerichtet, neben seiner Mutter her in Richtung des Gates, von dem aus sein Flug gehen würde. Er hasste diese Stille zwischen ihnen, aber seit diesem Abend vor knappen zwei Wochen hatte sie nicht mehr als das Allernötigste mit ihm geredet. Da sie auch dafür gesorgt hatte, dass ihr Sohn schon wesentlich eher als geplant nach Amerika fliegen würde, hieß das wohl, dass sie seinen Anblick einfach nicht mehr ertragen konnte. Und irgendwo konnte er das sogar verstehen. Mit Midori hatte er Schluss gemacht, als sie sich das nächste Mal gesehen hatten. Sie hatte es nicht verstanden und dachte nun vermutlich, dass er trotz allem ein gefühlloser Arsch war. Auch wenn er versucht hatte seine Entscheidung mit dem Umzug in die USA zu begründen, hatte sie sich nur wortlos umgedreht und war weinend gegangen. Aber das war er ja mittlerweile quasi gewöhnt.   Zu Hizumi war ihm jeglicher Kontakt verboten worden – natürlich – und seine einzige Hoffnung ihn noch einmal zu sehen bestand darin, dass er vielleicht mit seinem Vater zum Flughafen kommen würde. Schon allein, um in der Öffentlichkeit den Eindruck einer normalen Familie zu machen – wen auch immer das interessieren sollte. Und als hätte sie auf sein gedankliches Stichwort gewartet, blieb seine Mutter in diesem Augenblick stehen, um ihren Ex-Mann in einem vollkommen alltäglichen Tonfall zu begrüßen. Die Beiden begannen sich über irgendwelche belanglosen Weltgeschehnisse zu unterhalten, behielten ihre Sprösslinge dabei aber immer in den Augen. Als ob sie jetzt irgendwas machen könnten, dachte Tsukasa verbittert, hob dann aber langsam den Kopf. Wenigstens sehen wollte er seinen Bruder noch einmal. Mit einem fast unsichtbaren Lächeln erwiderte der Jüngere seinen Blick und er musste feststellen, dass sie Beide wohl gleich blass, müde und erschöpft aussahen.   Die nächsten zwanzig Minuten schaffte er es nicht seinen Blick von Hizumi zu lösen. Er wollte, musste, sich dieses Gesicht einfach für immer einprägen, denn er war sich sicher, dass es so bald – sprich in den nächsten Jahren – wohl keine Möglichkeit für ihn geben würde, den anderen wiederzusehen. Als sein Flug dann endlich aufgerufen wurde, war Tsukasa beinahe erleichtert. Selbst seine Eltern standen nur schweigend da und wussten sichtlich nicht was sie sagen oder tun sollten. „Na dann“, Tsukasa schulterte seinen Rucksack und sah mit einem aufgesetzt-fröhlichen Lächeln seine Familie an. „Ich werd dann mal gehen. Vielleicht schreibt ihr mir ja mal ne Karte oder so...“ Damit drehte er sich um und ging ohne noch einmal zurückzusehen in Richtung Sicherheitskontrollen. Er wollte sich wenigstens noch bis er im Flugzeug saß soweit zurückhalten, dass er nicht in Tränen ausbrach.   Er war schon beinahe an der Reihe, als er hinter sich laute Stimmen hörte und sich, eher um sich abzulenken, als aus Interesse umdrehte. Keine zwei Sekunden später allerdings fiel ihm Hizumi auch schon um den Hals, während ihre Eltern in einigen Metern Entfernung standen und ihm befahlen sofort zurückzukommen. Der Junge hob den Kopf und Tsukasa sah die nassen Spuren, die Tränen auf sein Gesicht gezeichnet hatten. „Ich will nicht, dass du gehst...“; schluchzte der 15-jährige jetzt. Tsukasa konnte nur schwach lächeln und strich ihm mit dem Daumen eine neue Träne aus dem Gesicht. „Ich will auch nicht gehen...aber ich hab leider keine Wahl.“ Und auch auf die Gefahr hin, dass seine Mutter ihm an Ort und Stelle das Genick brechen würde, beugte er sich ein Stück nach vorn und küsste seinen Bruder sanft auf die Lippen. Wieso mussten Abschiede immer so wahnsinnig wehtun? „...ich liebe dich, Kleiner, vergiss mich nicht, ja?“ Die Worte waren nur ein ersticktes Flüstern. Er wusste nicht, woher sie in diesem Moment kamen, aber er war sich sicher, dass sie die Wahrheit waren. Noch einen letzten Kuss hauchte er dem Jüngeren auf die Stirn, dann drehte er sich endgültig um und ging durch die Sicherheitsschleuse. Nur noch ein paar Schritte, dann war er im Flugzeug, dann konnte er auch zusammenbrechen, es war ihm egal. Dann spielte nichts mehr wirklich eine Rolle.   Den nächsten klaren Gedanken fasste er erst, als eine Stewardess ihn freundlich darum bat, sein Handy auszuschalten, falls er das noch nicht getan haben sollte. Er nickte schweigend, zog das kleine Telefon aus seinem Rucksack und stellte verwundert fest, dass er eine Nachricht bekommen hatte. Er glaubte, sein Herz würde stehenbleiben, als er sie las.   'Ich könnte dich nie vergessen. Und ich werde dafür sorgen, dass wir uns wiedersehen. Versprochen.'   ~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ja, Tsukasa handelt irgendwie dämlich und ja, es ist schrecklich kitschig und pathetisch, was solls ^^° Btw: 'Ponyo' (bzw. Ponyo on the cliff by the sea) ist ein Ghibli-Film, der dieses Jahr heraus kam und der furchtbar niedlich ist. Über Kommentare freu ich mich trotzdem. P.s: So, nochmal überarbeitet und hoffentlich die meisten Fehler ausgemerzt *sigh* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)