Meine Königin von Sitamun ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Auf nahezu unbeschreibliche Weise schmerzt es selbst jetzt noch in meiner Brust, in jedem Augenblick, in dem ich mich bloß daran erinnern kann, wie es sich anfühlte, ihre Haut auf der meinen zu fühlen und sei es nur, weil ihre Hand bei all unseren Wanderungen nur kurz die meine streifte. Und da ich nichts anderes kann als mich zu erinnern, weil sie nicht da ist, verschwindet der Schmerz nie. Eine ständige Fessel, die mich an mein Leben als Sterblicher erinnert, doch schlimmer als die, die ich dort erleben musste. An einen Zeitraum, in dem ich mein Herz verlor. Lenneth sagte einmal, niemand könne über ein anderes Herz herrschen, doch seit dem Beginn all der scheinbaren Ewigkeiten, die ich ohne sie durchleben musste, glaube ich immer mehr, dass die Walküre im Unrecht lag. Ich bin mir sicher, während ihres ewigen Lebens wird sie stets dieser Überzeugung sein und ich gedenke nicht, ihr meinen Willen aufzuzwingen. Mag sie glauben und wissen, was sie will, aber ich glaube anderes. Man kann über das Herz eines anderen herrschen, doch nicht mit Gewalt. So bleibt immer ein Rest rebellischer Gedanken, die sich die Trennung von dem Herrschenden wünschen. Nein, dies ist kein bewusster Vorgang. Ich setzte ihr, meiner geliebten Alicia, die Krone auf und merkte es erst, als ich sie nicht mehr in meinen Händen hielt. Seit dem ist jene Krone auch bei ihr verblieben. Nur ihr gehört mein Herz. Doch mit all der Zeit, die verstreicht, vertraue ich meinen Erinnerungen immer und immer weniger. Sie verblassen nicht – als könnte ein Gott je vergessen. Aber sie ist nicht bei mir um mir all das, an das ich mich erinnere, zu bestätigen, mir zu sagen, dass ich mir die Gefühle, die ich bei ihr zu erkennen glaubte, nicht nur einbilde. Welch Folter es doch sein kann, niemals zu vergessen! Selbst wenn ich versuche, sie aus meinen Gedanken zu vertreiben, ende ich letzten Endes doch wieder nur bei ihr. Meistens denke ich dann an Midgard, dem Reich der Sterblichen, in dem ich nur noch dafür sorgen muss, dass die Ordnung bestehen bleibt. Ich bin nicht sein Herrscher, will keine Verehrung von den Menschen. Doch auch sie ist ein Mensch, dem Kreis der Wiedergeburt unterlegen. Auch sie ist unter ihnen. Nicht bei mir. Es hat keinen Zweck, Sie bleibt die Königin, die ich nie von ihrem Thron herabsteigen lassen kann und werde. Vor ihr verweile ich gerne auf Knien. Für den Moment gebe ich es auf, sie aus meinen Gedanken zu vertreiben, für einen minimalen Augenblick den Schmerz in meiner Brust zu vergessen, und lass die Königin ihres Amtes walten. Und während sie mein Herz weiterhin in ihren liebevollen Händen hält, ein Ort, an dem ich es sicher verwahrt weiß, versuche ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das zu richten, was um mich herum geschieht. Es ist wirklich unzählbar viel. Doch einem Gott macht das Unendliche nichts mehr aus. Fast … In dieser Weise von mir zu denken jagt mir immer noch leichte Schauer des Ekels den Rücken herunter – das war die Art, in der Odin selbst von sich dachte in seinem arroganten Wesen – und ich hasse es, mich selbst mit ihm zu vergleichen. Auch wenn es wahr ist. Unendlich ist für mich kein Begriff mehr. Und zu diesem unzählbar vielem, das um mich herum passiert, gehört Midgard, in dem meine Liebe und Königin lebt, und Asgard, der Ort, von welchem wir Götter einst walteten. Wir sind noch immer hier, aber wir wollen nicht mehr herrschen, nie mehr Krieg mit dem Menschen anfangen, weil sie uns Göttern nicht mehr gehorchen. Welch sinnlose Richtungen das Denken Odins doch eingeschlagen hatte … Genau hier, in Asgard, in diesem riesigen Thronsaal, den Odin immer benutzte, bin ich nun, doch meine Anwesenheit hier ist es eher eine Seltenheit. Ich bin nicht gerne in diesem Saal, jedoch immer dann, wenn ich in meinen Erinnerungen ertrinken will. Ob nun bewusst oder unbewusst. Und genau hier kommt sie nun auf mich zu, schreitet den langen Weg bis hin zum Thron und mit jedem Schritt klappert ihre Uniform leise. Mein Blick liegt auf ihr, seit sie den Saal betrat. Warum ausgerechnet sie? Vor den wenigen Stufen, die zu dem erhöhten Thron führen, bleibt sie stehen. Unnötigerweise verneigt sie sich kurz und schaut mich danach mit einem verständnisvollen Lächeln an. Mehr als es eh schon in Brust sticht, schmerzt es nun noch mehr. Es gibt niemanden, der mich mehr an meine Königin erinnern könnte, als sie. „Silmeria …“ Ich kann ihren Namen nicht sagen, ohne dass meine Stimme mit all dem Schmerz geschwängert ist, der mich seit der Trennung von meiner Geliebten erfüllt. Die Walküre weiß es und sie hört ihn jedes Mal aufs Neue. Ihre Augen sind immer voll Mitleid, doch nie auch nur ein einziger Funken Reue. Ich weiß auch, dass es notwendig war, dass es getan werden musste, doch … Alicia war nicht die einzige Option. Hätte der Herr der Untoten sich für diese Tat geopfert, wäre das Ergebnis doch dasselbe gewesen. Auch er wäre in den Kreislauf der Wiedergeburt zurückgekehrt, und Alicia, meine geliebte, wäre an meiner Seite geblieben. Sie wäre hier in dieser Welt der Götter nicht gealtert und hätte sie die Sehnsucht nach Midgard getrieben, hätte ich ihr meinen Ring … nein, ihren Glücksbringer gegeben, und ihr Altern wäre auch dort verhindert gewesen. Ich hätte meine Liebe nie sterben lassen. „Man spürt dein Trauern in ganz Asgard, Rufus.“ „Und?“ Das weiß ich, doch ich kann es nie verhindern. „Du und deine Einherjar sind so ziemlich die einzigen, die es stören könnte. Lenneth und Hrist sind nicht hier.“ Nein. Sie sind wiedergeboren in dem Körper eines Menschen, dort tief vergraben unter der Persönlichkeit dieses Menschen und werden dort verbleiben, bis er stirbt und ist die festgesetzte Zeit bis dahin noch nicht rum, werden sie in einem anderen Menschen wiedergeboren. In Walhalla ist nie mehr als eine Walküre. Und jetzt ist die eine hier vor mir. „Mein Gebieter –“ „Nenn mich nicht so!“ Ein wenig mehr dieser negativen Emotionen als beabsichtigt. Ich hasse Odin und ich hasse es, wie er genannt zu werden! „Aber es ist eine der wenigen Methoden, die ich gebrauchen kann, um dich ein wenig abzulenken. Wenn ich dich so nenne, dann – wenigstens für eine Sekunde – fühlst du nicht mehr so viel Schmerz.“ Auch jetzt ist in ihren Augen kein Funken Reue zu erkennen, weiterhin nur Verständnis und Mitleid. Doch sie hat Recht. Im Moment ist der Schmerz schwächer, kaum noch zu spüren und nur der Zorn in meinem Herzen für die Ungehörigkeit, die sich Silmeria erlaubte. Zu der Zeit, in der ich in Midgard lebte, war sie in Alicia wiedergeboren, hatte gegen die Regeln verstoßen und sich ihr zu zeigen gegeben. In meinem Zorn hatte ich mich aus meiner entspannten Haltung ein wenig erhoben, sitze nun gerade auf dem Thron, die Hände auf den Armlehnen zu Fäusten geballt, doch kaum verstehe ich, was Silmeria beabsichtigte, sinke ich wieder zurück gegen die Lehne. Und jetzt scheint der Schmerz schlimmer als zuvor und mal wieder ertrinke ich in ihm. „Silmeria, was willst du?“ Mein Blick ist von ihr abgewandt, die Augen geschlossen, meine Hand liegt auf ihnen. Ich höre ihr Seufzen. Mehr als Mitleid hat sie im Moment nicht für mich übrig. „Dich an etwas erinnern.“ „An was denn? An sie? Danke, das hast du schon getan.“ „Nein. Daran, dass du nicht einfach nur leidest. Du gehst nicht einfach nur in deinem Schmerz unter.“ „Was meinst du?“ „Du ertrinkst in Selbstmitleid.“ Ich antworte nicht, doch sie will auch keine Antwort haben. Kaum haben ihre Worte ihren Mund verlassen, dreht sie sich um und das leise Klimpern ihrer Rüstung erklingt, wie üblich, wie bei jedem Schritt, den sie macht. Noch bevor sie die Tür erreicht, erlischt jegliches Geräusch. „Ich weiß …“ Doch nur weil ich es weiß, heißt es nicht, dass es irgendetwas ändert … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)