Kaffee, schwarz. von Ashela92 (Petersilie, Salbei, Rosmarin und Thymian) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Durch das geöffnete Fenster schien das Licht einer Straßenlampe in das ansonsten stockdunkle Zimmer. Ein kühler Windhauch strich ihr übers Gesicht. Sie fröstelte, ignorierte es jedoch. Sie fragte sich, wann seine Tante Gerda wohl wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden würde. Sie war schon alt. So etwa um die achtzig Jahre. Und dann war sie letzte Woche die Treppe hinuntergestürzt und hatte sich die Hüfte gebrochen. Neben sich hörte sie, wie er laut pfeifend atmete. Draußen bellte ein Hund. Wahrscheinlich der, der neuen Nachbarn. Ein junges Pärchen, anscheinend sehr nette Leute. Sie überlegte, ob sie sie einmal zum Kaffee einladen sollte. Der Mann war Anwalt von Beruf. Es wäre sicherlich interessant, sich mit einem Anwalt zu unterhalten. Andererseits waren es Ausländer. Türken, glaubte sie. Für einen Moment ging das Pfeifen in Grunzen über. Er mochte Ausländer nicht sonderlich, das wusste sie. Ihr Blick fiel auf das rot leuchtende Ziffernblatt ihres Weckers. Drei Uhr und fünfundvierzig Minuten. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie heute Nacht überhaupt schon geschlafen hatte. Etwa um neun Uhr war sie ins Bett gegangen, das wusste sie noch. Um halb elf war er dann schließlich nachgekommen. Wie jeden Sonntag. Da war nämlich der "Tatort" zu Ende. Und jeden Sonntag ging er nach dem "Tatort" ins Bett. Und wenn sie schon geschlafen hatte, weckte er sie jedesmal auf. Natürlich nicht absichtlich, wie er beteuern würde, wenn man ihn darauf anspräche. Auf jeden Fall aber, war es immer dasselbe. Er trat ins Zimmer, schaltete das Licht ein und ging hinüber zum Kleiderschrank. Er hatte den blauen Pyjama angezogen, den sie ihm irgendwann einmal gekauft hatte und den er nicht mochte, weil er behauptete, die Farbe sei ihm zu melancholisch. Dieses Wort benutzte er andauernd. Aus irgendeinem Grund war sie nie dazu gekommen, seine Bedeutung nachzuschlagen. Sie selbst hatte die Farbe an den Nachthimmel erinnert. Und in diesem nachthimmelfarbenen Pyjama war er zu ihr ins Bett gekommen. Und er hatte nach Waschmittel und Schweiß gerochen. Als sie dann miteinander geschlafen hatten, hatte sie über die Vorhänge in der Küche nachgedacht. Irgendwie fand sie, dass das Grün des Stoffes sich mit dem Buchenholz der Theke biss. Sie bemerkte plötzlich, dass der Gedanke sie traurig machte und für einen Moment keimte die Frage in ihr auf, was an grünen Vorhängen so tragisch war. Sie verwarf den Gedanken. Ihr fiel auf, dass ihre Blase drückte, doch als sie sich aufsetzen wollte, bemerkte sie, wie müde sie tatsächlich war. Neben ihr drehte er sich im Schlaf und kurz darauf spürte sie seinen Atem an ihrem Hinterkopf. Sie rutschte ein Stück von ihm weg. Sie beschloss, den Toilettengang auf morgen früh zu verschieben und stattdessen bis dahin zu schlafen. Immerhin hatte sie morgen um zehn einen Mammographietermin - ach nein, der war ja auf Donnerstag verlegt worden. Sie schloss dennoch die Augen. Das pfeifende Atmen wurde leiser und leiser. Und dann war sie eingeschlafen. Viertel nach neun. Das Geräusch des Eierkochers ließ sie zusammenzucken. Wie jeden Morgen um viertel nach neun. Selbst nach so vielen Jahren noch. Sie erhob sich von ihrem Platz am Esstisch, um sich zur buchenen Küchenzeile zu begeben. Sie schaltete das pfeifende Gerät aus und ging dann zum Spülbecken, um das einzelne Ei, welches sich darin befunden hatte, mit kaltem Wasser abzuschrecken. Es war innen flüssig und außen hart. So aß er es am liebsten. Sie selbst mochte kein Ei. Die schwedische Prostituierte war es gewesen, hörte sie ihn hinter sich erzählen. Sie drehte sich zu ihm um und sah, wie er gerade ein Vollkornbrötchen mit Butter bestrich. Sie war es nämlich gewesen, die den Polizisten erschoss, weil der zuvor ihre Schwester vergewaltigt hatte. Das war der "Tatort". Das Ei legte sie auf seinen Teller, bevor sie sich wieder auf ihren Platz zurückbegab. Aus dem Radio ertönte gerade "Scarborough Fair". Das war so ein schönes Lied, fand sie. Von wem war es noch gleich? Den Beatles vielleicht. Oder etwa doch von den Rolling Stones...? Ohne nachzudenken, fragte sie ihn. Er antwortete, dass die Antwort technisch gesehen weder noch lautete, da das Lied eine Coverversion sei und dass sie ihn außerdem nicht unterbrechen solle. "Oh, Natürlich", antwortete sie. Dann rührte sie in ihrem Kaffee. Sie biss sich auf die Lippe. Schon wieder war der Bezug ihres Bügelbrettes verrutscht. Ihn zurecht zupfend lauschte sie dem Geschrei zweier Frauen, welches aus dem Fernseher ertönte, der gerade irgendeine Talkshow zeigte. Aus den Gesprächsfetzen und Beleidigungen, die die beiden sich gegenseitig an den Kopf warfen, reimte sie sich schließlich zusammen, dass es sich um Mutter und Tochter handelte, die sich um denselben Mann stritten. Der Bügelbrettbezug saß wieder, wenn sie sich auch sicher war, dass es sich nur um Minuten handeln würde, bis er ihr von neuem Probleme bereiten würde. Man musste immer alles positiv sehen, hatte ihre eigene Mutter immer gesagt. Immerhin wusste sie nun nämlich, was sie sich zum Geburtstag wünschen könnte. Sie nahm wieder ihren Platz hinter dem Brett ein, um weiter zu bügeln. Neben ihr stand ein Korb mit frisch gewaschenen Sachen und eines nach dem anderen nahm sie die Kleidungsstücke hinaus, glättete sie, legte sie zusammen und stapelte sie dann auf dem Sofa links neben ihr fein säuberlich auf. Allesamt ein wenig verblasst. Vielleicht sollte sie das Waschmittel wechseln. Ihr blauer Pullover, seine graue Hose, ihr rosafarbenes T-Shirt... So ging es immer weiter. Doch als sie bei seinem weißen Hemd angekommen war, stutzte sie. Lippenstift. An seinem Kragen. Lippenstift von einer Farbe, wie sie ihn nicht trug. So ein Zufall. Genau dasselbe war der Gräfin Elisabeth in der letzten Folge von "Liebe ohne Wiederkehr" auch passiert... Sie legte das Hemd zur Seite und unter ihren Faltenrock, von dem sie beschlossen hatte, ihn erst zum Schluss zu bügeln, da dieser am meisten Arbeit machte. Sie würde den Fleck später mit der Hand auswaschen müssen. Plötzlich bemerkte sie, dass ihre Unterlippe schmerzte und stellte fest, dass sie blutete. Sonderbar... Sie hörte, wie die Tür geräuschvoll ins Schloss fiel und begab sich in den Flur. "Du kommst spät." Er zog sich gerade die Schuhe aus und sah sie nicht an. Erst als er hochblickte, informierte er sie, dass es ihm leid täte und dass ihre Unterlippe blutete. Sie antwortete nicht und er kam herüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Seine Bartstoppeln kratzten an ihrem Gesicht und sie roch eine Mischung aus Schweiß und süßlichem Parfüm, als er ihr so nahe kam. "Du solltest vorsichtiger sein.", sagte er. "Du auch." Er sah sie an und sein halbherziger Versuch, verwirrt zu wirken, erschien ihr so lächerlich, dass es ihr beinahe ein trauriges Schmunzeln abgerungen hätte. Stattdessen trieb es ihr aber Tränen in die Augen und er stand da und aus irgendeinem Grund war sie sich sicher, dass er nicht an sie dachte in jenem Moment. Sie stand am Fenster und blickte über die Dächer ihrer Nachbarschaft. Draußen nieselte es. Kalt, grau, nass... Sie sah hinab und sah die Paprika vor sich liegen. Rot, gelb, grün. Wie eine Ampel waren die Farben aufgereiht. Sie lächelte, obwohl es ihr schwerfiel und auf eine seltsame Art falsch erschien. Dann fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter und sie hörte seine Stimme schräg hinter sich. Er sagte, dass es viertel nach vier sei. Dann ging er, um seine Jacke anzuziehen. Sie wusste, was er meinte. Sie räumte die Paprika weg und tat es ihm gleich. Draußen fröstelte es sie. Es war schwer vorstellbar, dass sie bereits Anfang Mai hatten, wenn man in den wolkenverhangenen Himmel blickte. Sie liefen an den Armen eingehakt, bis sie ihre Nachbarschaft verließen. Dann ließen sie, wie auf ein Zeichen hin, voneinander los. Sie gingen in ein kleines Café am Stadtrand. Wie jeden Nachmittag. Doch diesmal blieben sie länger, als gewöhnlich. Und diesmal redete sie auch nicht über ihre Freundinnen und er nicht über seine Projekte in der Firma. Sie redeten überhaupt nicht. Sie saßen einfach nur da. Und starrten in ihren Kaffe, als erhofften sie sich, etwas darin zu finden, wonach sie lange gesucht hatten. Schließlich hob sie ihre Tasse, um daraus zu trinken. Der Kaffee war eiskalt. Was hatte sie auch erwartet? Wie lange war es wohl her, dass sie ihn bestellt hatte? Es kam ihr vor, wie eine Ewigkeit. Sie stellte die Tasse wieder hin. Einen Moment lang starrte sie noch hinein. Nichts. Darin war nichts, außer kalter, tiefschwarzer Brühe. Langsam schob sie die Hand über die Tischplatte und streckte den Zeigefinger aus, sodass er das kühle Porzellan des Trinkgefäßes berührte. Sie schob weiter. Und dann fiel die Tasse um. Der Kaffee floss über den Tisch, tropfte auf den Boden, versickerte im Teppich. Und dann verließ sie das Café. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)