Phantomkräfte von Tea_Kaiba (Es geht ein Geist um in... Tokyo) ================================================================================ Kapitel 4: Denk an mich ----------------------- Es war dunkel, als er die Augen öffnete, nein, nicht dunkel. Lichtlos. Schwarz wie in einem Grab. Er seufzte erleichtert auf. Licht, selbst der entfernteste Schimmer, hätte ihn misstrauisch gemacht, aufmerksam, aber er hatte schon lange keine Angst mehr vor der Dunkelheit. Er kannte diese Dunkelheit, er konnte damit umgehen. Sie war sein Zuhause, seine Nahrung, seine Seele. Oh, die Nacht! Manchmal, wenn es so dunkel war wie jetzt, konnte er so tun, als hätte er überhaupt keinen Körper, als hätte er aufgehört, zu existieren, hätte sich aufgelöst, sei nichts mehr als Geist und Sehnsucht und Musik, die den endlosen Raum durchschwebten. Narr! Gnadenlos wie ein blendend weißer Blitz durchzuckte der Schmerz sein Gehirn, hüllte ihn für eine endlose Sekunde ein in Pein und Folter. Wach auf! Erinnere dich daran, wer du bist, was du hier tust! Erinnere dich an sie, erinnere dich an Anzu! Anzu. Sie würde sicherlich nie im Dunkeln schlafen. Ihr Körper würde eingehüllt sein vom Mondlicht, das durch ihr Fenster fiel, liebkost von einem silbernen Schein. Sie hätte sicherlich ein Nachtlicht neben der Tür, nur für den Fall, dass ihr Sohn irgendwann Nachts nach ihr suchen sollte... Sie war so anders, so verschieden von ihm. Anzu. Anzu... „Schau sie dir an, die Schlampe. Sie macht mich krank.“ Yu verzog angeekelt das Gesicht, und drehte Anzu und Meg, die eben plaudernd den Raum betreten hatten, demonstrativ den Rücken zu. „Als hätten wir sie nicht längst durchschaut. Was für ein Theater! All die Rosen und geheimnisvollen Nachrichten und Pralinen... Nicht sehr schwer für sie, sich all das schicken zu lassen, oder? Immerhin hat sie das Vermögen ihres Mannes zur freien Verfügung.“ Ihre Freundin Midori ging in die Hocke und schnürte sich die Schuhe. „Ich weiß nicht... Vielleicht ist sie es ja gar nicht selber. Vielleicht ist es ja ihr Mann? Ich meine, wer will schon, dass er mitten in der Probe von einem Regen aus Rosenblüten übergossen wird... das muss ihr doch peinlich sein.“ Anzu hatte sich inzwischen ausgezogen und war in der Dusche verschwunden. Yu sah ihr ungehalten nach. „Vielleicht. Aber glaubst du nicht, dass ihr Mann eigentlich Besseres zu tun hat? Außerdem hat Kaiba nun auch nicht gerade den Ruf, sich als romantischer Charmeur zu betätigen. Schon gar nicht gegenüber seiner eigenen Frau. Warum sollte er auch? Er hat sie schließlich schon.“ Ein gehässiges Grinsen verzog ihre Mundwinkel. „Es ist natürlich auch möglich, dass unser Fräulein Fehlerlos einen Liebhaber hat... oder zumindest einen Verehrer. Das würde jedenfalls die Nachrichten erklären. Ich meine, komm schon. Welcher Ehemann braucht seiner Frau einzureden, sie soll „sich ihren dunklen Leidenschaften hingeben“?“ Die junge Frau schmunzelte bei ihrer Anspielung auf eine der Karten, die Anzu in ihrem Spind gefunden hatte, sogar noch nachdem man das Schloss ausgetauscht hatte und dazu übergegangen war, die Kabine abzuschließen, sobald alle Tänzerinnen sie verlassen hatten. Es lag zwar nicht in Anzus Absicht, solche Dinge zu verbreiten, aber in einer Gruppe wie dieser war es nicht leicht, ein Geheimnis für sich zu behalten. „Sie sieht blass aus“, stellte ein anderes Mädchen mitleidlos fest. „Nicht gerade wie das Paradebeispiel der glücklichen Ehefrau. Eher wie jemand mit Schlafproblemen. Vielleicht hält ihr schlechtes Gewissen sie wach?“ – „Zurecht, wenn ihr mich fragt! Ich wette, sie betrügt ihren Mann...“, warf Yu eilig ein. Meg warf ihr einen tadelnden Blick zu, als sie vorbeiging. „Hört auf mit euren grundlosen Anschuldigungen, ihr drei. Ihr wisst doch, wie hart Anzu für ihren Soloauftritt trainiert, natürlich ist sie manchmal erschöpft.“ Mit Nachdruck warf sie die Tür zu den Duschen hinter sich ins Schloss. Midori verdrehte die Augen. „Ihr Solopart. Uh.... wie lange dauert er noch mal? Zehn Sekunden?“ Die Mädchen sammelten ihre Besitztümer ein und machten sich auf den Weg zur Tür. „Anzu? Anzu!“ Meg entwirrte ihren dicken, goldblonden Zopf und schüttelte ihr Haar aus, während sie ihre Freundin besorgt musterte. Die Brünette stand statuenhaft still unter dem warmen Wasser der Brause, beide Arme um ihren Oberkörper geschlungen, als wollte sie sich vor etwas schützen. Sie sah müde aus, erschöpft sogar, und schien Meg nicht zu hören. „Anzu!“ Madame Girys Tochter ergriff ihr Handgelenk und schaffte es endlich, auch ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Du nimmst das Ganze zu ernst. Ich weiß, du willst alles perfekt machen, aber es nützt doch niemandem, wenn du bei der Vorstellung vor Erschöpfung zusammenbrichst, weil du zu wenig Schlaf bekommen hast. Außerdem ist das hier nicht gerade eins der großen Musicals. Natürlich wollen wir auch das nicht in den Sand setzen, aber...“ Anzu seufzte und ließ sich zu Boden sinken. „Du hast ja Recht. Es ist nur so... die Arbeit ist im Moment so viel einfacher, verglichen mit dem, was Zuhause auf mich wartet. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie es mir im Moment daheim geht! Ich fühle mich, als würde ich meinen Mann betrügen, dabei tue ich doch gar nichts!“ Die jüngere Tänzerin streckte ihre Hand aus, aber Anzu zuckte zurück, bevor sie sie auf ihre Schulter legen konnte. „Nein! Sag mir nicht, es wäre nicht meine Schuld oder dass ich nichts dagegen hätte tun können... Es IST meine Schuld! Ich hätte von Anfang an verhindern sollen, dass dieser Verrückte mir nachstellt. Wenn ich nur wüsste, was! Ich kann doch nicht zur Polizei gehen und sagen, ich fürchte mich, weil mir jemand Pralinen schickt. Es ist schließlich nicht so, als würde ich seltsame Anrufe bekommen oder immer wieder dunkle Schatten sehen, wenn ich über die Schulter schaue.“ Meg öffnete den Mund, um etwas Tröstliches zu sagen, aber bevor sie die richtigen Worte fand, hörte sie ihre Mutter draußen nach ihr rufen. „Ich komme!“, rief sie und wandte sich dann noch einmal an Anzu. „Hm... versuch bitte, dir nicht allzu viele Sorgen zu machen. Und entspann dich ein bisschen. Wenn du denkst, dein sogenannter heimlicher Verehrer könnte gefährlich sein, sag ihnen trotzdem bescheid. Das ist ihr Job, sie werden dich auf jeden Fall anhören. Aber was auch immer du tust, versuch um Himmels Willen zu schlafen, und rede mit deinem Mann. Du betrügst ihn schließlich nicht wirklich, aber wenn du dich so benimmst... Versuch es einfach, ja? So kannst du nicht weitermachen.“ Sie strich tröstend über Anzus nassen Scheitel. „Ich muss gehen. Wir sehen uns am Montag, ja?“ Sie war so schön... so unglaublich schön. Er konnte sich gar nicht genug gratulieren zu dem Entschluss, endlich doch diese Spiegel zu installieren – nicht die wunderbaren, altmodischen Spiegel, durch die er sie gerne betrachtet hätte, aber immerhin, Spiegel. Wenigstens konnte er sie jetzt überhaupt sehen. Dieser moderne Firlefanz stand ihr überhaupt nicht, dachte er missbilligend. Dieser Körper... Ihn übermannte ein leichtes Schwindelgefühl. Wie eine orientalische Perle aus dem Herzen eines unbekannten Harems, samtweiche Kurven die jeden römischen Kaiser verführt hätten, die jedem trojanischen Helden weiche Knie beschert hätten vor Verlangen. Warum nur trug sie dann Hosen, die sie aussehen ließen wie die Parodie eines Protagonisten aus einem schlechten Western? Wie vulgär dieser blaue Baumwollstoff aussah, ganz gleich, wie eng er sich um ihre Hüften schmiegte. Ein fließendes, langes Kleid wäre so viel schmeichelhafter gewesen für ihre Figur. Doch das spielte jetzt keine Rolle, bald, bald würde er die Gelegenheit haben, sie zu all dem zu überreden, was ihnen beiden gefallen würde... Nur noch ein wenig Geduld. Endlich griff Anzu nach ihrem Handtuch, wickelte sich darin ein und kehrte zu ihrem Spind zurück. Keine Blumen, Karten oder Pralinen heute Nacht. Zum Glück. Wenn sie ein weiteres, verräterisches Indiz vor Seto hätte verstecken müssen – sie hätte nicht gewusst, was sie tun sollte. Natürlich war das alles mehr als unschuldig, sie hatte schließlich nicht darum gebeten, mit Geschenken überhäuft zu werden, aber dennoch... bildete sie sich vielleicht nur ein, dass Seto in letzter Zeit begann, sich eifersüchtig zu zeigen? Außerdem wollte sie ihm nicht noch mehr Sorgen machen. Er hatte bereits genug Sorgen für sie beide. „Ah, Mademoiselle...“ Sie zuckte zusammen und bedeckte ihre nackte Brust mit ihrem T-Shirt. Ängstlich sah sie sich um, eingeschüchtert von dem Gedanken, dass jemand – eine unbekannte, männliche Stimme! – sich allein mit ihr in diesem Raum befand, vielleicht allein im gesamten Korridor, wenn die übrigen Darsteller bereits gegangen waren. Aber die junge Frau konnte niemanden entdecken, was sie allerdings keineswegs beruhigend fand. Warum versteckte er sich vor ihr? Oder war sie etwa schon dabei, verrückt zu werden? Hatte er sie gerade „Mademoiselle“ genannt? Nein, das war nicht möglich. Ihr Pralinen zu schicken, war eine Sache. Aber er würde doch nicht wagen – „Oh, machen Sie sich keine Mühe damit, mich ausfindig zu machen, Mademoiselle, ich werde mich zur rechten Zeit offenbaren.“ Sie musste ihre ganze Kraft aufbringen, um den Rhythmus ihres ängstlich schlagenden Herzens zu ignorieren und sich daran zu erinnern, wie man sprach. „Wer sind Sie? Hören Sie auf, sich zu verstecken, und zeigen Sie sich, wenn Sie mir etwas zu sagen haben!“, verlangte sie mit fester Stimme, obwohl ihr ganz und gar nicht heldenhaft zu Mute war. Körperlose Stimmen – sie hatte immer geglaubt, ihre Begegnungen mit übersinnlichen Phänomenen hätten ein Ende gefunden, als sie sich von Atemu verabschiedet hatten. Hatte sie davon nicht genug gehabt für mindestens zwei Leben? Allerdings klang das Gelächter, das jetzt in ihren Ohren klang, beunruhigend menschlich. „Ich bin untröstlich, Mademoiselle, aber das wird leider noch eine Weile warten müssen. Aber fürchten Sie sich nicht, es liegt nicht im Entferntesten in meiner Absicht, Ihnen ein Leid geschehen zu lassen. Erlauben Sie mir für den Augenblick, mich als Ihren Engel der Musik vorzustellen... Jemanden, der Ihr Talent erkannt hat und Ihnen Wegbegleiter sein möchte auf dem Weg zu Prominenz und Perfektion.“ Der Engel der Musik? Natürlich! O.G.! Der Operngeist! Sie hatte doch gleich gewusst, dass die Signatur ihr bekannt vorkam. Am liebsten hätte Anzu laut aufgelacht vor Erleichterung, dass alles auf einmal einen Sinn zu ergeben schien. Das Phantom der Oper. Warum war sie nicht früher darauf gekommen? Das ganze Theater schien voll zu sein an Anspielungen auf dieses Musical. Der große Kronleuchter im Saal, Madame Giry, Meg... Vermutlich war das hier eine Art Willkommenszeremonie, ein Spiel, das sie mit jedem Neuankömmling trieben. Ein grausames Spiel, das musste sie zugeben, schließlich hatte Meg gewusst, wie ernst sie ihren „heimlichen Vereher“ nahm. Aber solche Traditionen hatten nunmal die lästige Angewohnheit, unangenehm zu sein. Sie konnte vermutlich froh sein, dass diese Zeremonie nicht von ihr verlangte, Wasser aus einer Toilette zu schlürfen oder eine andere ekelerregende Aufgabe zu erfüllen. Auf der anderen Seite war das hier natürlich ein Theater und ihre Mittänzerinnen waren nicht Jonouchi und Honda. „Mein Engel? Mein persönlicher Fremdenführer auf dem Weg zum Ruhm?“, fragte sie und versuchte noch nicht einmal, den herausfordernd-spielerischen Ton ihrer Stimme zu verbergen. „Nun dann, mein Engel, sprich zu mir, ich höre.“ Dieses Mal schien die Stimme einen Moment zu zögern, bevor sie antwortete. „Es freut mich, dass Sie ihre Furcht abgelegt zu haben scheinen. Das wird unsere Bekanntschaft für beide Seiten sehr viel einfacher und bereichernder gestalten. Aber gegnug nun von diesen Ausführungen. Ich verstehe natürlich, dass Sie es vorziehen würden, mich in Fleisch und Blut vor sich zu haben. Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, Ihr Lehrer zu sein, würde ich Sie mit dem größten Vergnügen in der Kunst des Singens unterweisen. Sagen wir, morgen um zwei Uhr nachmittags? Übungsraum vier wird dann frei sein.“ Anzu öffnete den Mund, um zu antworten, aber es schien keinen Grund mehr dazu zu geben. Sie war plötzlich überzeugt, dass wer immer ihr auch diese Illusion vorgegaukelt hatte, verschwunden war. Woher willst du das wissen?, fragte sie sich mit leichtem Schaudern. Und woher willst du wissen dass es wirklich nur ein Scherz ist? Es könnte genausogut irgendein perverser Stalker sein, der sich hier immer noch versteckt und dich beobachtet. Sie schüttelte den Kopf über ihre eigenen Zweifel. Unsinn. Du erwartest schon wieder hinter jeder Ecke ein Mysterium. Morgen wirst du Yugi anrufen und ihn fragen, ob der Pharao zurück ist. Sie schmunzelte. Ich frage mich, was Seto zu solchen Gedanken sagen würde. Auf einmal erinnerte sie sich, was sie gerade hatte tun wollen, zog sich ihr T-Shirt über und knöpfte ihre Jeans zu. Es hatte keinen Zweck, sich den Kopf zu zerbrechen. Morgen um zwei würde sie es wissen – so oder so. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ So, das ist die Übersetzung der Kapitel, so weit ich sie in Englisch bereits umgesetzt habe. ^^ Aber wenn ich Glück habe und meine Muse noch eine Weile in Kusslaune ist, wird auch das sechste Kapitel bald fertig. Ich hoffe, ihr bleibt mir so lange treu! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)