Amy Benson von Mello13 (Tu m`a dit) ================================================================================ Prolog: . . . ------------- Amy Benson – Tu m`a dit Vorwort: Jahahaha… wer wusste noch, wer Amy Benson ist? XD Prolog Fröhliches Gelächter war im Nebenzimmer zu hören. Es waren drei oder vier Kinderstimmen. Doch sie wusste, es mussten noch zwei weitere Kinder nebenan sein. Dennis und Tom. Waisen, genau wie sie. Sie stellte sich vor, wie sie sich gegenseitig anstarrten. Dennis, dessen Stimmung man ihm immer ansehen konnte, mit wutverzerrtem, eifersüchtigem Gesicht, schon etwas rot vor Ärger. Er hatte hellbraune Haare, eine Stupsnase und sah insgesamt eigentlich ganz nett aus – wenn er nicht damit beschäftigt war, seinen Rivalen mit seinen unangenehmen Blicken zu traktieren. Diesem schien das jedoch kein bisschen etwas auszumachen. Wohingegen die anderen Kinder im Waisenhaus immer einen großen Bogen um Dennis machten, wenn er so schaute, obwohl er wirklich nett war. Tom, mit kühler Miene, unbeteiligt schauend, doch mit einem gefährlichen Ausdruck in den Augen, welche im Licht manchmal rötlich blitzten, starrte ihm entgegen. Seine Haare waren dunkel, er konnte unheimlich wirken. Und er war ungewöhnlich blass. Unmenschlich. Ganz anders, als alle anderen. Einzigartig. Immer wenn sie in seiner Nähe war, schien die Luft um sie herum ein paar Grad kälter zu sein. Über ihren Rücken liefen in regelmäßigen Abständen einige Schauer, mal eiskalt, mal angenehm warm. Fast so, als könnte man sich nicht entscheiden. Als wäre man hin und her gerissen. Es war seltsam. Einfach nicht normal. Aber vielleicht lag es auch einfach an ihr selbst. Sie beschäftigte sich oft damit. Mit diesem undefinierbaren Gefühl. Mit Tom Riddle. Riddle, ja, das passte. Er war das personifizierte Rätsel. Ihn zu durchschauen war nahezu unmöglich. Niemand schien etwas über ihn zu wissen. Schon lange hatte keiner mehr versucht etwas aus ihm herauszubekommen. Auch wenn es keiner zugab, sie alle fürchteten sich vor ihm. Woher das kam, wussten die Meisten nicht einmal. Oder sie erzählten es einfach nie. Amy hatte Tom jedenfalls noch nie etwas Verbotenes tun sehen. Und sie bildete auch die einzige andere Ausnahme, was Tom anging. Sie fürchtete sich nicht vor ihm. Er verwirrte sie bloß. Von selbst erzählte er nie etwas von sich. Und sie traute sich nicht, Miss Cole zu fragen. Womöglich erzählte ihre Erzieherin Tom etwas von ihrer Fragerei. Nein, das durfte nicht passieren. Auch wenn es unwahrscheinlich war, dass Miss Cole gegenüber Tom etwas erwähnte. Das Verhältnis zwischen Tom und der Erzieherin war nämlich nicht das Beste. Obwohl Miss Cole oft versuchte es herunterzuspielen. Amy wusste es. Sie konnte es förmlich spüren. Und Tom wusste es bestimmt auch. Doch sie wollte das Risiko, dass er sauer auf sie wäre, einfach nicht eingehen. Sie musste es wohl oder übel selbst herausfinden. Was mit ihm los war. Warum er anders war als alle, die sie kannte. Woher er kam. Was mit seiner restlichen Familie war. Und vielleicht auch, ob er sie…ein klitzekleines bisschen nur…mochte? Rot wie eine überreife Tomate schüttelte sich hastig den Kopf, versuchte den Gedanken, der sich unaufhaltsam manifestiert hatte, wieder zurückzunehmen. Oder ihn wenigstens zu ignorieren. Denn wie kam sie auf solch einen Unsinn? Selbst wenn sie keine Angst hatte, es musste einfach einen Grund geben, warum die anderen sich vor ihm fürchteten. Und hatte Tom jemals auch nur eine einzige echte Gefühlsregung gezeigt? Na also. Sie würde sich nicht weiter damit beschäftigen. Mit dem Rätsel, das noch niemand gelöst hatte. Mit Tom Riddle. Sie erklärte es für eine zufällige Verknüpfung einiger Synapsen in ihrem Kopf. Völlig zufällig. Vollkommen unbedeutend. Jetzt konzentrierte sie sich wieder auf die Geräusche im Nebenzimmer. Zuerst hatte sie noch einen lauten Jubelschrei gehört, darauf wieder ausgelassenes Lachen. Doch danach waren die Geräusche verklungen. Sie drückte ihr linkes Ohr vorsichtig gegen die Wand – sie war zum Glück nicht sonderlich dick, sodass man sogar Gespräche genau hören konnte, wenn alles andere ruhig war – und lauschte. Für einen Moment war alles still. Doch dann ruckelten Stühle - sie wusste es, weil die Stuhlbeine laut über den hölzernen, alten Boden kratzten. Die Tür ging auf – das Quietschen machte ihr wie immer eine leichte Gänsehaut auf den Armen – dann wieder zu. Hatten alle das Zimmer verlassen? Oder waren noch welche darin? Womöglich sogar…Dennis und Tom?! Würde das gut gehen? Schon eine ganze Weile hatten sie Streit gehabt, und der war immer heftiger geworden. Sollten beide gleichzeitig in einem Raum sein, man konnte die Luft vor Spannung knistern hören. Doch bisher war nichts passiert. Sie hatten sich weder angeschrieen noch sich geprügelt. Lediglich ihre immer fieser, immer unsinniger und unkontrollierter werdenden, spitzen Bemerkungen wiesen darauf hin, dass etwas nicht in Ordnung war. Doch das konnte sich ändern. Wie sie Dennis kannte könnte er jeden Moment die Beherrschung verlieren. Zudem konnte sie Tom kein bisschen einschätzen. Obwohl er selbst immer sehr berechnend schien. Sie ging zur Tür, trat hindurch und versuchte möglichst gelassen zu wirken. Auch um sich selbst zu beruhigen. Warum war sie bloß so nervös? Was sollte schon Schlimmes geschehen? Im Gang war es still. Das war nicht weiter verwunderlich, um diese Zeit wurden normalerweise alle ins Bett geschickt. Die Tür zum Raum, in dem sie vermutlich noch zwei ihrer Kameraden befanden, war noch einen kleinen Spalt geöffnet, Licht schien keines mehr zu brennen. Nur noch wenige Schritte, dann konnte sie die Türklinke ergreifen. Sie würde die Tür vorsichtig aufziehen und den beiden sagen, dass Miss Cole sie geschickt hatte, um ihnen auszurichten, dass jetzt Schlafenszeit war. Ja, ein guter Plan. Eigentlich konnte sie mit sich zufrieden sein. Trotz des Wirrwarrs in ihrem Kopf, ihre Ausreden waren meistens ziemlich plausibel. Das Wenigste konnte sie aus dem Konzept bringen. Noch sieben Schritte. Noch fünf. Noch drei. Sie erhob die Hand um nach der Klinke zu greifen und die Tür ganz aufzuziehen. Wird fortgesetzt... Kapitel 1: Quand il y a l`obscurité… ------------------------------------ Disclaimer: Niemand gehört mir und niemand gibt mir Geld. ^^ Ihre Hand zitterte leicht, sie fühlte sich unsicher. Auch im Flur war das Licht schon gelöscht worden. Ihre Augen hatten sich schon einigermaßen an die Dunkelheit gewöhnt, dennoch war ihr das Waisenhaus unheimlich so mitten in der Nacht. Sie hatte einige Mühe damit, nicht noch schnell einen Blick über ihre Schulter zu werfen und musste sich ins Gedächtnis rufen, dass sie sich damit nur unnötig aufhalten würde. Trotz ihrer Angst konnte sie entschlossenen Schrittes das dunkle Zimmer betreten, auf alles gefasst und doch nicht vorbereitet. Niemand war im Raum. Sie war allein. In der Dunkelheit. Durch das Fenster fiel kein Licht, der Mond war von großen Wolken verhangen. Ganz allein. Eine gewisse Panik erfasste sie. Wieso war sie hier? Sie hatte doch gehört, wie ihre Kameraden das Zimmer verlassen hatten. Wieso hatte sie geglaubt, dass jemand zurückgeblieben wäre? Dass Dennis, einer ihrer besten Freunde, und Tom, der ihr in letzter Zeit immer so viel Kopfzerbrechen bereitete, hier geblieben waren? Sie hatte sich Sorgen gemacht, sie wollte Gewissheit haben, aber es war keiner mehr da. Auch ihre Eltern waren plötzlich nicht mehr da gewesen. Sie waren geschäftlich unterwegs gewesen, als es passierte. Soviel wusste sie noch. Im Winter, die Straßen waren glätter als geschliffener Marmor, hatte ihr Vater die Kontrolle über die alte Pferdekutsche verloren, ein Erbstück ihres Urgroßvaters. Sie hatte sich ihn immer als alten Kauz vorgestellt, der nie etwas wegwerfen konnte. Was genau passiert war hatte sie nie erfahren. Ihre Eltern waren vom Weg abgekommen, gegen einen Baum gestoßen. Irgendwie so was wurde ihr zumindest erzählt. Sie erinnerte sich nicht genau. Amy spürte, wie die Erinnerungen verblassten. Mit jedem Tag mehr. Andere Verwandte hatte sie nie kennen gelernt. Bis auf ihren Onkel Edwin . Nur leider war der Bruder ihrer Mutter vor einiger Zeit an einer Krankheit gestorben. Den Namen der Krankheit wusste sie nicht mehr. Es war etwas Lateinisches gewesen, doch sie erinnerte sich nicht. Sie hatten ihn oft besucht, er war immer sehr freundlich gewesen. Ihre Mutter war ihr immer viel glücklicher vorgekommen, wenn sich mal wieder die Gelegenheit bot, bei Onkel Edwin vorbeizuschauen. Auch sonst war sie gut gelaunt gewesen, aber das war etwas anderes. Ihre Augen hatten dann noch mehr geleuchtet, sie hatte förmlich gestrahlt. Was mit dem Rest ihrer Familie war, wusste Amy nicht. Allerdings vermutete sie, dass sie weit weg, in einem fernen Land lebten, oder gelebt hatten, denn ab und zu hatte sie herumliegende Briefe gesehen, die unweigerlich den Eindruck erweckt hatten, nicht von dieser Welt zu sein. Hin und wieder waren ihr unbekannte, verschnörkelte Zeichen darauf aufgefallen. Auch die Briefmarken hatten sie verwirrt. Jedes Mal hatten sie einen anderen Wert, auch wenn es der gleiche Absender war. Irgendetwas war komisch gewesen. Sie hatte sich dann überlegt, dass der Schreiber gerade womöglich auf Weltreise war. Eine andere Möglichkeit konnte es nicht geben. Und doch stellte sie diese Vermutung nicht zufrieden. Nicht zuletzt deshalb, weil ihre Eltern die Briefe sofort beiseite geräumt hatten, hatte sie einen entdeckt. Obwohl sie damals nur die Zahlen entziffern konnte. Außerdem hatten sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter eilig das Thema gewechselt, sobald Amy sie darauf ansprach. Es war nichts aus ihnen herauszubekommen gewesen. Bevor ihre Eltern gestorben waren, hatte sie sich fest vorgenommen, dem Geheimnis auf die Schliche zu kommen. Dieses Ziel war nun in weite Ferne gerückt. Unbeholfen stolperte sie noch ein paar Schritte weiter in den Raum hinein. Etwas schien sie wie magisch tiefer in die Dunkelheit zu ziehen. Der Mond war immer noch verdeckt. War es etwa eine Mondfinsternis? Sie hatte gar nichts davon gewusst. Niemand hatte ihr etwas gesagt. Ihr Hausschuh stieß an etwas Rechteckiges, Hartes, sodass sie fast gestolpert wäre. Aber nur fast. Den Aufschrei, der ihr immer noch in der Kehle steckte, hatte sie gerade noch unterdrücken können. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was los gewesen wäre, wäre Miss Cole aufgewacht und hätte festgestellt, dass noch nicht alle in ihren Betten waren. Das Erste, was sie spürte, war ein Kribbeln, das ihren Rücken hinauf kroch, bei ihrem Nacken verweilte und ihr eine leichte Gänsehaut bereitete. Kurz darauf bemerkte sie eine im Dunkeln leicht bleich schimmernde Hand, die ihren Ellbogen umschlossen hatte. Zu wem diese gehörte, war nicht gerade schwer zu erraten, auch wenn es sie regelrecht in tiefstes Erstaunen versetzte. Tom hatte verhindert, dass sie stolperte. Sie schluckte, wandte sich zu ihrem Retter um, der ihren Arm abrupt wieder losließ und setzte an, etwas zu sagen. Im Moment darauf versuchte sie zu begreifen, warum sie keinen Ton herausbrachte, während sie in Toms dunkle Augen sah. Es war wieder ein bisschen heller im Zimmer geworden, der Mond war wieder zu sehen und strahlte sein Licht in die Gesichter der beiden Kinder. Also doch keine Mondfinsternis. Amy versuchte den dicken Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken und setzte erneut an: „Ähm, danke. W-was machst du noch hier?“ „Dasselbe könnte ich dich fragen.“, es klang nicht unfreundlich, nicht so, wie wenn er mit den anderen Waisen sprach. Weniger arrogant. Oder bildete sie sich das ein? „Ich dachte, es wäre noch jemand hier und…wollte nachsehen.“, antwortete sie zögerlich auf die indirekte Frage. „Na gut. Jetzt solltest du aber ins Bett gehen.“, es war nicht ganz so formuliert, aber es klang wie ein Befehl. Ein Befehl, dem sie besser gehorchen sollte. Ihr Kopf sagte ihr, dass sie gehen sollte, aber ihre Beine dachten nicht daran, sich von hier wegzubewegen. Oder war es andersrum? Nachdem sie sich überlegt hatte, dass es zu nichts führen würde, würde sie jetzt zu ihm sagen, er müsse grade reden, stellte sie ihm lieber noch eine ihrer Fragen. Doch entgegen dem, was sie nun eigentlich vorgehabt haben sollte, rutschte ihr die Frage heraus, die schon in ihrem Kopf herumspukte, seit sie Tom in diesem Raum vorgefunden hatte. „Wo ist Dennis?“, sie klang lediglich verwirrt und dennoch konnte sie später nicht sagen, was dazu geführt hatte, aber augenblicklich setzte die ihr wohlbekannte Temperatursenkung ein. Sie fröstelte leicht, versuchte aber es sich nicht anmerken zu lassen. Ihre Augen bohrten sich in seine, suchten in ihnen nach der Antwort, die sie sich erhoffte. Ein ungutes Gefühl beschlich sie. „Im Bett natürlich.“, antwortete er ihr bestimmend. Seine Überzeugungskraft traf sie wie eine riesige Welle, krachte auf sie herab. In seinen Augen erkannte sie ein leicht rötliches Glitzern wieder. In letzter Zeit war es ihr häufiger aufgefallen. Sie mochte es nicht besonders, aber es schien schon irgendwie zu ihm zu gehören. Noch bei keinem anderen hatte sie ein solch rötliches Glitzern gesehen. Was steckte wohl dahinter? „Geh jetzt ins Bett. Bitte.“, fügte er hinzu. Wieso klang er bloß so…aufrichtig? Es konnte doch nicht sein, dass er sie einfach wegschicken konnte! Dass er mit ihr umging, wie er es wollte. Das konnte sie nicht mit sich machen lassen! Und so kämpfte ein verschwindend kleiner Teil ihres Innern gegen die Bitte an, suchte nach Gründen noch allein in diesem Raum zu bleiben. Allein mit Tom. Sie musste sich widersetzen. Langsam machte ihr Fuß einen kleinen Schritt nach hinten, der andere folgte. „Okay. G-gute Nacht.“, hörte sie ihre Stimme in dem Raum, in dem man eine Feder auf den Boden hätte fallen hören können. Die Stimme klang fast ein bisschen mechanisch. Amy erkannte, dass es für sie im Moment keine Möglichkeit gab, nicht auf ihr Gegenüber zu hören. Aber trotzdem war sie noch einmal stehen geblieben, um eine Antwort von Tom zu erhalten. Der hatte dies ebenfalls verstanden, hatte aber auch bemerkt, dass er gewonnen hatte. Seine eben noch düstere Miene mit der leicht gerunzelten Stirn hellte sich auf, er sah Amy mit wieder dunklen Augen ins Gesicht, seine Züge waren ebenmäßig. Im schwachen Mondlicht sah er fast noch besser aus als tagsüber, ein bittendes Lächeln legte sich auf seinen Mund. Amy gefiel es heute sehr gut. Es verzerrte seine Gesichtszüge etwas, hatte aber zweifellos etwas…Authentisches. War es das auch? „Ja, gute Nacht.“, er schaute ihr fest in die Augen. Sie schaute zurück. Und sie sah etwas in seinen Augen. Es fesselte sie an seinen starren Blick. Und diesmal war es nichts Rotes, dass in seinen Augen aufblitzte, denn sie blieben weiterhin dunkel. Es war, als wollten sie ihr noch eine geheime Botschaft mitteilen, bevor sie ging. Welche es war, wusste sie nicht. Noch nicht. Sie nickte zustimmend – auch hierfür kannte sie den Grund nicht – und verschwand mit gemächlichen aber zielstrebigen Schritten zur Tür hinaus, schloss sie hinter sich. Tom würde bestimmt nicht sofort hinterherkommen. Das wäre unsinnig, das wurde einfach nicht passen. Sie blieb stehen, hörte, wie ein Stuhl zurückgezogen wurde und sich jemand darauf fallen ließ. Unschlüssig tapste sie die Treppen hinauf zu dem kleinen Zimmer, das sie mit ihrer besten Freundin teilen musste, schlich auf ihr Bett zu, schlüpfte hinein und kuschelte sich in ihre recht dünne Bettdecke. Niemand hatte bemerkt, dass sie nicht schon die ganze Zeit in ihrem Bett gelegen hatte. Das war ein bisschen ungewöhnlich, wachte Miss Cole sonst doch bei dem leisesten Geräusch auf. Amy schob es darauf, dass eben auch mal jemand wie sie Glück haben musste. Außerdem gab es Wichtigeres, worüber sie sich Gedanken machen wollte, bevor sie einschlief. Was konnte sie tun, um Toms Überzeugungskraft standzuhalten? Zwei, nein drei verzweifelte Gesichter blickten ihr entgegen. Eine Frau, zwei Männer. Die Frau schrie ihr etwas zu, doch Amy konnte es nicht verstehen. Die beiden Männer gestikulierten wild, versuchten sie von etwas abzuhalten. Was wollten sie ihr sagen? Warum konnte sie sie nicht verstehen? Die Gesichter, sie waren ihr bekannt, obwohl sie sie schon lange nicht mehr gesehen hatte. Amy wollte einen Schritt nach vorne machen, ihnen näher sein, sie vielleicht besser hören können. Es ging nicht. So sehr sie sich auch mühte, sie kam ihnen nicht näher. Ein Gefühl von Verzweiflung packte sie. Was sie ihr sagen wollten, wovor sie sie warnen wollten, es schien ihnen sehr wichtig zu sein. Die Umgebung, auf die sie die ganze Zeit nicht geachtet hatte, verschwamm jetzt zu einem Gemisch aus verschiedenen dunklen Farben, bis sie gar nichts mehr erkennen konnte. Nur noch die drei Gesichter, deren Münder ihr etwas zuriefen, deren Augen ihr alles auf einmal mitteilen wollten, deren Botschaft sie nicht verstehen konnte. Mit den Armen und Füßen strampelnd und um sich schlagend wachte sie am nächsten Morgen einen halben Meter tiefer liegend neben ihrem Bett auf. Sie hatte diese Nacht etwas geträumt, doch im Moment, da sie aus ihrem Bett fiel, hatte sie es auch schon wieder vergessen. Müde öffnete sie die Augen, schielte zu ihrer Freundin Carolin hinüber, die noch seelenruhig in ihrem Bett lag. Die Wanduhr, die sie am Anfang nie schlafen gelassen hatte, weil sie so viel lauter tickte, als alle anderen Uhren, die sie kannte, zeigte 5:02 Uhr. Lange geschlafen hatte sie nicht. Mühsam erhob sie sich und machte sich auf den Weg die Küche hinunter. Ein paar Stufen knarrten immer ein wenig, aber sie kannte diese Stufen genau und übersprang sie einfach. In der Küche – einem hellen Raum mit alten aber gemütlichen Möbeln, einem kleinen, schmalen Kühlschrank und einem noch kleineren Herd – angekommen setzte sie sich auf einen der acht Stühle, schnappte sich vorher noch ein Glas und eine Flasche Milch aus dem Kühlschrank. Vereinzelt hörte sie das Zwitschern einiger Vögel. Die Zeit lief an ihr vorbei, so früh morgens war eigentlich nie jemand wach. Nachdenklich schaute sie in ihr leeres Glas. Die siebte Stufe knarrte, nach einer knappen Minute betrat jemand den Raum. Es war ein Junge. Frühstück gab es frühestens in einer Dreiviertelstunde. Was wollte er also hier? Sie musterte ihn von oben bis unten, lächelte leicht und begrüßte ihn mit einem „Guten Morgen.“ „Gut`n Morg`n.“, er wirkte plötzlich richtig aufgeregt, trat erst von einem Fuß auf den andern, bevor er schließlich ebenfalls ein Glas Milch schnappte und sich zu Amy an den Tisch setzte. Was war los mit ihm? Dennis war doch für gewöhnlich ein richtiger Morgenmuffel und kam immer als Letzter zum Frühstück. „Warum bist du denn schon auf?“, wollte sich Amy Klarheit verschaffen. „Ich…konnte nicht mehr schlafen. Na ja, dann dachte ich, geh einfach schon mal runter“, er drehte den Ärmel seines Schlafanzugs in seinen Händen und schielte lediglich aus den Augenwinkeln zu Amy herüber, während er sich mit seinem Ärmel beschäftigte. Nach einigen Augenblicken schien er sich jedoch zu besinnen, ließ seinen Schlafanzug in Ruhe und lächelte ihr versonnen ins Gesicht. „Weißt du was?“, fragte er fröhlich. „Nein, was denn?“, spielte Amy das Spiel mit. Sie hatte keine Ahnung, was Dennis ihr erzählen wollte, aber bisher hatte er es immer geschafft, sie aufzuheitern. Und irgendwie konnte sie das jetzt ganz gut gebrauchen. „Unser Sommerausflug wird eine Woche vorverlegt und Miss Cole wird uns heute sagen, wohin es geht!“, verkündete er ausgelassen. Auch Amy bekam schlagartig gute Laune. Der Sommerausflug fand nur einmal im Jahr statt und es war jedes Mal etwas Besonderes gewesen. „Oh, das ist toll. Woher weißt du das denn schon?“, grinste Amy ihren besten Freund an. Ihre Augen funkelten fröhlich während sie sich ausmalte, wohin es gehen könnte. „Na ja…“, fing Dennis gespielt wichtigtuerisch an, „Miss Cole hat…“ Während er sprach brach er plötzlich ab. Amy spürte, wie die Luft zu knistern begann, folgte dann dem Blick von Dennis zur Tür. Dunkles Haar hing ihm ein wenig ins Gesicht, rote Augen starrten wütend in den Raum, die Hände waren zu Fäusten geballt, die Augenbrauen waren zusammengezogen. Tom Riddle stand in der Tür zur Küche und war offensichtlich wütend. Eine bestimmte Nervosität machte sich in Amy breit. Das wiederholte sich in letzter Zeit oft. Wann würde die Bombe platzen? Dennis erhob sich, schob sein halbvolles Milchglas weiter in die Mitte des Tisches und drehte sich angespannt zu Tom hin. Dieser kam ein paar Schritte näher, entspannte seine Gesichtszüge langsam wieder, war aber nicht minder wütend. Und Amy hatte eine Ahnung, warum das so war. Aber sollte es wirklich so sein, wie sie es sich dachte? Sie konnte es nicht glauben. War sie der Grund für dieses Theater? Wenn ja, dann musste sie jetzt eingreifen. Aber was würde dann passieren? Würde sie überhaupt etwas ausrichten können? Oder wäre es von vornherein hoffnungslos? Lohnte es sich überhaupt, es zu probieren? Was hatte sie denn noch für Möglichkeiten? Inzwischen war auch Amy aufgestanden. Sie schaute erst zu Dennis, dann zu Tom, bei dem ihr Blick schließlich verweilte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)