Nowhere to hide ~ Nowhere to live von absinthe (Edward und Bella treffen sich durch Zufall und sind sofort voneinander fasziniert. Ein unerwartetes Ereignis lässt sie sich wieder treffen, doch anders als erwartet. Ihre beiden Elternteile wollen heiraten...) ================================================================================ Kapitel 6: how to fit in when nobody recognizes you? ---------------------------------------------------- I'm fucking sorry! Ich weiß, dass es hier seit einer halben Ewigkeit kein neues Chapter mehr gegeben hat! Und das tut mir wahnsinnig leid. Wenn die FF irgendwann beendet ist, dürft ihr mich also auch gerne lynchen oder was ihr sonst noch so gerne mit mir machen wollt, einverstanden? ;) Jedenfalls hab ich mir dieses Jahr aber vorgenommen, meine Updates nicht mehr so lange dauern zu lassen. Ich werd mich also ein bisschen am Riemen reißen. So, genug geschaffelt. Vielen Dank übrigens noch für all die tollen Kommentare und eure Favo-Einträge =) Und jetzt viel Spass! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Ehrlich gesagt ist mir das ziemlich peinlich…“ „Aha.“ „Das… ist wirklich schwerer zu formulieren, als gedacht. Ich meine…, du bist ja nicht er persönlich.“ „Es wäre schön, wenn du dich ein bisschen beeilen könntest. Die nächste Stunde fängt gleich an.“ „Das versuch‘ ich ja! Aber nicht wie ein verrückter Teenager zu klingen… Das ist nicht so einfach“, druckste sie weiterhin herum und ignorierte meine Aufforderung komplett. „Wovon redest du eigentlich?“, fragte ich fast schon genervt nach. Mein Geduldsfaden riss allmählich. „Ist das denn nicht offensichtlich? Ich meine, er sieht toll aus, ist hervorragend in der Schule, wirkt mysteriös und hat eine Aura um sich, die jedes weibliche Herz zum Schmelzen bringt. Und du bist ihm am nächsten.“ Ich starrte sie nur perplex an. Darauf wusste ich einfach nichts zu erwidern. „Du bist doch die Schwester von Edward Cullen. Ich wollte fragen, ob du mir nicht dabei helfen könntest, ihn ein bisschen … näher kennen zu lernen… Es sei denn, du willst selbst etwas von ihm.“ Den letzten Teil hängte sie eher mit einem Schmunzeln dran. Ich lachte bitter auf. „Nein, wir sind ja immerhin bald Geschwister.“ „Eben. Das würde auch ein bisschen komisch aussehen“, gluckste sie ebenfalls, als hätte sie meine allmählich genervte Stimmung über dieses Gespräch nicht bemerkt. … Die Erinnerung an eben dieses Gespräch, das sich in meinem Kopf wie eine kaputte Schallplatte ohne Pause wiederholte, war die reinste Tortur für meinen Verstand. Es war unfassbar, dass mich dieses fremde Mädchen überhaupt so etwas gefragt hatte. Ich kannte sie nicht und sie ebenso wenig mich. Und nur weil ich jetzt Edwards offizielle Schwester war, meinte sie, ich hätte einen guten Draht zu ihm und könnte bei ihm ein gutes Wort für sie einlegen? Wie lächerlich. Diese Bitte schrie förmlich danach, abgelehnt zu werden. Als ich sie danach gefragt hatte, warum sie denn nicht jemanden aus Edwards Clique fragen würde, meinte sie nur, dass sie Angst vor ihnen hätte. Alice sei ihr zu gespenstisch, Rosalie eine Eiskönigin und bei Tanya wüsste sie selbst nicht, ob diese nun etwas von ihm wollte oder doch einfach nur eine gute Freundin von ihm war. Ich wirkte ihrer Meinung nach als Einzige normal, weshalb sie sich auch getraut hatte, mich anzusprechen. Normal… Sollte das jetzt ein Kompliment sein? Frustriert schloss ich meine Augen, als ich gerade auf dem Weg in die Cafeteria war. Es war erst einige Tage her, seit Edward und ich diese kleine Abmachung getroffen hatten, uns wie ganz normale Geschwister zu verhalten. Und bisher klappte das auch ganz gut, wie ich feststellte. Obwohl ich eigentlich gar nicht wirklich wusste, wie sich echte Geschwister verhielten. Ich war mein Leben lang Einzelkind gewesen. Auch wenn es wahrscheinlich nicht beabsichtigt war, so hielt ich mich jetzt doch öfter in Edwards Nähe auf. Vor allem während der Mittagspause – seit mich der Hüne am Montag mehr oder weniger zu ihrem Stammtisch geschleift hatte. Während ich an diesem schicksalhaften Tag noch versucht hatte, möglichst viel Abstand zu Edward und mir aufzubauen, um es uns ein wenig leichter zu machen, hatte mir dieser braun gelockte Emmett plötzlich mein Tablett unter der Nase weggeschnappt. Mit der Absicht, mir mein gestohlenes Essen wiederzubeschaffen, war ich ihm natürlich gefolgt, aber ehe ich ihn richtig dazu auffordern konnte, es mir wiederzugeben, hatte ich auch schon vor ihrem Tisch gestanden. Rosalie hatte nicht besonders erfreut darüber reagiert, das war deutlich in jedem ihrer Kommentare zu hören gewesen. Emmett hatte auf eine amüsante Weise versucht, Partei für mich zu ergreifen, während Edward nicht wirklich gezeigt hatte, was er davon hielt, mich an seinem Pausentisch zu wissen. Ich indes hatte einfach nur höflich versuchen wollen, das Angebot abzulehnen, doch als Rosalie nicht mit ihren Sticheleien aufhören wollte, hatte ich nicht anders gekonnt, als mich aus Trotz doch an den Tisch zu setzen – zu ihrem Leidwesen natürlich. Allerdings schien sie auch die Einzige zu sein, der das so gar nicht gefiel. Shorty hatte am Ende nur darüber geschmunzelt. Und auch Edward, was mich im ersten Moment ziemlich verwirrt hatte. Und nun war die Woche schon fast wieder vorbei. Ich schnappte mir ein Tablett und studierte das Buffet, während mein Kopf nicht von dem gerade geführten Gespräch loskam, bei dem ich ganz offensichtlich als Kupplerin fungieren sollte. Diese Vorstellung war so… grotesk. Nur weil ich seine Schwester wurde! Leise vor mich hin fluchend lud ich mir ein paar Speisen auf und ging zu unserem Tisch. Erst als ich mich gesetzt hatte, fiel mir auf, dass noch nicht alle anwesend waren, dabei war ich sonst immer die Letzte, die sich dazugesellte. Mit einem knappen „Hallo“ begrüßte ich die drei Anwesenden. Emmett und Alice grüßten mich freudig zurück, während Jasper es eher verhalten tat. Ich wusste nicht wirklich, ob das an mir lag. Er wirkte immer so zurückhaltend und beobachtete nur. Unheimlich, ehrlich. Ich setzte mich auf einen Platz und fing an, meinen Salat zu durchwühlen, in dem sich zu meinem Leidwesen jedes Mal Oliven befanden. Ich mochte diese giftgrünen, runden Dinger überhaupt nicht. „Bella?“, sprach mich die kleine Schwarzhaarige zögerlich an. Fragend sah ich auf. „Ich glaube, du sitzt auf Tanyas Platz.“ Meine Augenbrauen zogen sich noch weiter nach oben, bis ich ihre Worte richtig verstand. „Oh!“ Seitdem ich an diesem Tisch saß, hatte ich festgestellt, dass alle ihren ganz persönlichen Stuhl hatten, auf den sie sich jeden Tag aufs Neue niederließen. So saßen Shorty und Jasper nebeneinander, Rosalie und Emmett und auch Edward und Tanya. Ich gab es nicht gerne zu, aber ich sah dieses Bild der beiden nur ungern. Trotzdem konnte ich nichts dagegen machen und musste es so hinnehmen, wie es war. Deshalb erhob ich mich träge und wollte gerade mein Tablett nehmen, als sich eine Hand auf meine Schulter legte. „Du kannst ruhig hier sitzen bleiben.“ Ich drehte mich halb nach hinten, nur um Edward dort stehen zu sehen, ein höfliches Lächeln auf den Lippen. „Es ist nicht so, dass uns die Plätze zugewiesen worden sind.“ In diesem Augenblick nahm ich die beiden Mädchen hinter ihm wahr. Rose schien mich zu ignorieren und setzte sich still neben Emmett. Tanya hingegen wirkte nicht gerade begeistert von der Idee, ließ sich aber nicht allzu viel anmerken und lächelte mich kurz an, ehe sie woanders Platz nahm. Ich sackte ebenfalls zurück auf meinen Stuhl. Wie war das mit der stummen Platzregelung? Edward derweil hatte von mir abgelassen und saß jetzt neben mir. Die ersten paar Minuten aßen wir schweigend vor uns hin, man konnte nur das Besteck hören, wie es auf den Tellern kratzte, oder wie jemand etwas zerkleinerte. Das Schweigen wog etwas schwer in der Luft und ich wusste instinktiv, dass es mit Tanyas gestohlenem Platz zu tun hatte. Kurz flackerte der Gedanke auf, es irgendwie wieder gut zu machen, doch dann fragte ich mich, was genau ich eigentlich falsch gemacht hatte. Sie konnte nicht allen Ernstes sauer auf mich sein, nur weil ich mich auf ihren Stuhl gesetzt hatte. Das war lächerlich. Ich sah kurz von meinem Essen auf, um in der Cafeteria etwas zu suchen, das mich von meinen Gedanken ablenkte, als ich zwei vertraute Gesichter entdeckte. Augenblicklich bekam ich ein schlechtes Gewissen, als ich James und Victoria dabei beobachtete, wie sie ihre Tabletts wegbrachten. Ich hatte die ganze Woche über nicht mehr mit ihnen geredet, weil Edward mir eindringlich geraten hatte, mich von ihnen fernzuhalten. Natürlich fühlte ich mich dadurch verunsichert, immerhin kannte ich die beiden nicht, Edward logischerweise umso besser. Dass er mir aber nicht verraten wollte, warum ich das tun sollte, machte es nicht gerade leichter, ihnen aus dem Weg zu gehen. Und dann waren da ja noch die verurteilenden und enttäuschten Blicke der beiden, jedes Mal, wenn ich ihnen begegnete. So wie jetzt gerade auch. Sie hatten sich zu unserem Tisch gedreht und schauten mich vorwurfsvoll an. Sie waren zu weit weg, als dass sie etwas hätten sagen können und trotzdem wusste ich, was sie dachten. Dann, nach ein paar unendlich langen Minuten drehten sie sich um und verschwanden. „Edward?“ „Hm?“ „Du hast mir immer noch nicht gesagt, warum ich James und Victoria nicht trauen darf“, erklärte ich, während ich meinen Salat zerstocherte. Plötzlich wurde es mucksmäuschenstill am Tisch. Nicht, dass es das vorher nicht auch schon gewesen wäre, jetzt aber konnte ich es viel deutlicher spüren; als hätten alle Anwesenden die Luft angehalten. Die Besteckgeräusche waren ebenfalls verstummt und verwundert sah ich auf. Alle starrten mich an, als hätte ich gerade die gesamte Schuleinrichtung mit Graffiti eingesprüht. Auch wenn hier wirklich ein bisschen mehr Farbe nicht schaden würde. Ich registrierte, wie sie untereinander Blicke tauschten; nervös, vielleicht auch ein bisschen neugierig, aber ganz sicher irgendwie wissend. Über eine Sache, die man mir scheinbar bisher nicht verraten wollte. Niemand von ihnen sagte etwas und Edward war der Erste, der sich wieder seinem Essen widmete, die Anderen folgten ihm langsam. Ich hatte scheinbar ein Talent dafür, ins Fettnäpfchen zu treten. „Und, Bella?“, sprach mich auf einmal Tanya überfreundlich an. „Hast du dich schon für einen Kurs entschieden?“ Stirnrunzelnd sah ich auf. „Was für einen Kurs?“ „Hat dir die Dame an der Anmeldung nicht gesagt, dass du dich noch in einen Extrakurs einschreiben musst?“ Dieses Mal war es Edward, der mir geantwortet hatte. Ich ließ mir das Anmeldegespräch noch einmal schnell durch den Kopf gehen und schüttelte dann unsicher den Kopf. Dass ich irgendetwas nicht mitbekommen hatte und dadurch eventuell etwas falsch machen würde, machte mich wahnsinnig nervös, da es mich ungewollt etwas zu sehr in den Mittelpunkt rückte. Es war mir eigentlich lieber, vom Rand aus zu beobachten und nicht direkt am Geschehen teilzunehmen. Ich war immer schon Einzelgänger gewesen. In L.A. hatte ich flüchtige Freunde gehabt, mit denen ich nur wenig zu tun hatte, sodass bei meiner Abreise nach New York auch niemand da gewesen war, um mich zu verabschieden. Und auch hier hatte sich das nicht besonders geändert. Dadurch, dass ich jetzt bei Edward und seinen Freunden saß, mochte ich nach außen hin vielleicht dazugehören, doch innerlich fühlte ich mich wie das neue Ausstellungsmodell eines Museums für Artefakte. Ich konnte mich noch nie besonders gut integrieren und eigentlich war es mir unangenehm, von so vielen Leuten umringt zu sein und permanent ihre Blicke auf mir zu spüren, wusste ich doch, dass nicht alle freundlich gesonnen waren. Es war einfacher, sich in ein Loch zu verkriechen, das so viel mehr Sicherheit bot, als hinauszugehen und sich der Herausforderung zu stellen. Nur aufgrund des Gefühls, bei einem Fluchtversuch vom braun gelockten Riesen wieder zurück geholt zu werden, blieb ich bei ihnen sitzen – und vielleicht Edward zuliebe. Erst vor zwei Tagen hatte er zu mir gemeint, wir müssten uns in der Öffentlichkeit, und das schloss die Schule mit ein, von unserer besten Seite zeigen, da auch wir beide nun seinen Vater repräsentierten und mit unserem Verhalten die Wähler beeinflussen konnten. „Bella?“ Ich erschrak, als Edwards Hand vor meinem Gesicht auftauchte. „Was?“ „Der Extrakurs.“ „Ach so, ja. Entschuldigung. Ich war in Gedanken versunken“, erklärte ich mich. „Ich werde mich Montag am Empfang noch mal danach erkundigen.“ Mit einem schüchternen Lächeln tat ich die Sache ab und widmete mich meinem Essen. „Wir können dir helfen, wenn du willst.“ Shortys quirlige Stimme und den Enthusiasmus darin erkannte ich, auch ohne aufsehen zu müssen. Dennoch tat ich es. Ihr Grinsen strahlte mir entgegen und am liebsten hätte ich es irgendwie abgestellt, auch wenn ich mir fast sicher war, dass sie es nur nett meinte. „Du musst uns nur verraten, wo deine Stärken liegen, dann können wir dir einen passenden Kurs heraussuchen.“ Meine Stärken? Ich runzelte die Stirn, als sie mich danach fragte. Hatte ich so was überhaupt? In L.A. mussten wir keinen dämlichen Extrakurs belegen. Dort was es nur wichtig, dass wir überhaupt zur Schule kamen und den Unterricht verfolgten. „Vielleicht hat sie ja gar keine“, kommentierte Rosalie mein Schweigen mit ihrem stechenden Sarkasmus und sah mich noch nicht einmal dabei an. Meine Antwort blieb aus. Wie sollte ich auch das kontern, was ich eben noch selbst gedacht hatte? „Das glaube ich nicht“, meinte Alice spitzbübisch. „Weißt du, Bella? Wir haben eine ziemlich große Auswahl und ich denke, dass sich da auch was für dich finden wird.“ Sie zwinkerte mir zu, als würde sie genau wissen, dass ihre Vermutung der Wahrheit entsprach. „Wir werden sehen“, war alles, was ich darauf sagen konnte, und hoffte, dass das Thema damit erst mal erledigt war. Komplikationen waren nicht mein Ding, auch wenn ich versuchte, diesbezüglich etwas hartnäckiger zu werden. Aber im Moment wollte ich einfach nur mein Mittagessen und danach meine letzte Stunde hinter mich bringen. Die Kurze schien das jedenfalls nicht so zu sehen. „Schau mal, wir haben da zum Beispiel die ganzen Sportkurse. Tennis, Soccer, Football, Baseball, Schwimmen, Basketball, Leichtathletik, Tanzen… Schach… Oder Musik! Da gibt’s auch ein paar verschiedene. Orchester oder Solisten. Die Letzten beziehen sich nur auf Instrumente, deshalb gibt es noch mal Extrakurse für Einzelgesang und Chor. Edward ist übrigens im Solistenkurs.“ Ihr letzter Kommentar ließ mich auf- und zu Edward blicken. „Wirklich?“ Er nickte als Bestätigung, doch so wirklich wollte er das Thema offenbar nicht vertiefen. Als wäre es ihm peinlich. Innerlich grinste ich, versuchte aber, mir mein Amüsement nicht anmerken zu lassen. „Was spielst du?“ „Klavier“, antwortete er schlicht, ohne aufzublicken. „Jup, und er ist wirklich fantastisch, auch wenn er es nicht zugeben will“, stichelte Tanya auf einmal mit einem breiten Grinsen. Plötzlich war mir so gar nicht mehr danach zumute, mehr über sein Spiel zu erfahren. „Und wie sieht die restliche Auswahl aus?“ „Oh, da hätten wir dann noch die Wissenschaften. Physik, Mathe, Chemie, und all so was.“ Alice wedelte mit ihrer zierlichen Hand in der Luft, ganz so, als würde sie diese Themen nicht im Geringsten interessieren. Mir ging es da genauso wie ihr und ich konnte es nicht verhindern, mein Gesicht leicht zu verziehen, als sie die verschiedenen Richtungen aufgezählt hatte. „Was sonst noch?“ „Na ja, da wäre dann noch Kunst, Literatur, Fotographie, Schülerzeitung, Hausarbeit, Philosophie, Cheerlea-“ „Literatur?“, unterbrach ich sie etwas zu energisch. Alice stoppte in ihrem Wortschwall und musterte mich neugierig. „Ja, ist das was für dich?“ Sofort sackte ich wieder etwas zusammen, als ich meinen kleinen ‚Ausbruch‘ bemerkte, und antwortete nicht ganz so energisch. „Ähm, ja, vielleicht… durchaus.“ „Dann solltest du dich am besten beeilen. Der Kurs ist meistens ziemlich schnell voll und es ist nicht so, dass das neue Schuljahr gerade erst angefangen hat.“ Diesmal war es Jasper, der etwas sagte. Ich nickte nur und lächelte schwach. Ich hatte schon keine Ahnung, wie ich mich verhalten sollte, wenn er still blieb, und jetzt redete er auch noch mit mir! „Okay, ich werde Montag gleich am Empfang nachfragen“, wiederholte ich letztendlich noch einmal, um das Thema endlich ruhen zu lassen. Als es zum Ende der Mittagspause läutete, erhoben sich die meisten allmählich, andere blieben noch sitzen. Außer Edward, Tanya und meiner Wenigkeit machte sich der Rest zügig auf den Weg zum Unterricht. Gemächlich brachten wir unsere Tabletts zur Ausgabe. Edward schnappte sich noch einen Apfel vom Buffet, bevor wir drei den Saal verließen. Während wir auf dem Flur entlangliefen, unterhielten sich Tanya und Edward über etwas, dass sie wahnsinnig amüsierte. Da ich nur mit halbem Ohr zugehört hatte, nahm ich an, dass es sich um einen Lehrer handelte, doch dann stellte sich heraus, dass es um einen Politiker ging. Ich selbst kannte ihn nicht, vielmehr schockte mich aber das Thema selbst. Politik. Das war so ein trockener Gesprächsstoff und die beiden schienen daran gefallen zu finden. Wenngleich ich es aber auf der einen Seite uninteressant fand, so bekam ich doch mittlerweile ein unwohles Gefühl, bei solchen Sachen nicht mitreden zu können, obwohl ich es eventuell eigentlich müsste. Als zukünftige Tochter eines Kandidaten für das Präsidentenamt. Diese Sache trug jedoch nur einen Teil zu meinem Befinden bei. Die andere war, dass ich mich neben den beiden wie ein ungewolltes Mitbringsel fühlte. Eine Art Accessoire, das so gar nicht zum Rest passen wollte. Dass sie optisch auch größer waren als ich und noch dazu einen Schritt vor mir liefen, unterstrich diesen Effekt undankbarerweise. Dieses Gefühl hatte ich eigentlich schon die ganze Woche, heute war es nur noch etwas deutlicher. Mir entging dabei auch nicht, dass Tanyas Schulter permanent Edwards streifte oder dass sie sich hin und wieder für ein paar Sekunden bei ihm unterhakte, während sie ihn angrinste. Als ich wegen ihrem offensichtlichen Aufdrängen einen kleinen Anflug von Zorn verspürte, verdrehte ich im nächsten Moment schon wieder die Augen über mein absurdes Verhalten. Abgesehen davon, dass ich vielleicht viel zu viel in ihre Gesten hineininterpretierte, ging es mich im Grunde ja nicht mal was an, was genau Tanyas Absichten wirklich waren – ein Paar waren die beiden jedenfalls nicht, soviel hatte ich in den letzten Tagen herausgefunden, auch ohne dass Edward es mir direkt sagen musste. Ihr Verhalten war nicht das eines Pärchens, sonst hätte ich sie schon längst mindestens einmal irgendwo rumknutschen sehen. Aber das war nicht der Fall. Nichtsdestotrotz war da etwas zwischen ihnen, so wie Angela es mir damals erzählt hatte. Von Weitem konnte man einfach nicht beurteilen, ob zwischen ihnen etwas lief oder nicht. Und jetzt als Nahestehende spürte man diese seltsame Vertrautheit, wenn sie unter sich waren. Ich musste tief einatmen bei dem Gedanken, dass Edward und Tanya mehr teilten, als ich es jemals mit ihm tun würde. Die Verhältnisse waren einfach nicht die gleichen – Stiefgeschwister hin oder her. „Also, bis morgen“, hörte ich Tanya sagen und wäre beinahe in Edward gerannt, als beide auf einmal stehenblieben. Lächelnd umarmte sie ihn und drückte ihm auch noch einen Kuss auf die Wange. Herrgott, die sind in der Woche noch nicht mal vierundzwanzig Stunden voneinander getrennt. Muss man sich Tag ein Tag aus so verhalten, als hätte man sich Jahre nicht gesehen? „Und viel Spaß heute Abend“, wünschte sie noch, wobei sie mich nur flüchtig ansah, ehe sie in einen anderen Flur einbog. „Hat sie schon Schluss?“, wunderte ich mich und sah ihr stirnrunzelnd nach. „Jap. Beziehungsweise fällt ihre Stunde heute aus.“ Ich nickte nur. Plötzlich fiel mir ihr Satz wieder ein. Viel Spaß heute Abend. „Oh, verdammt!“, japste ich auf und schlug meine Hand vor den Mund. Ich hatte ganz vergessen, dass unsere neu zusammengebastelte Familie heute Abend ausgehen würde. In die Oper, genauer gesagt. Die Oper. Eine Veranstaltung, die sich nur die höhere Gesellschaftsklasse leisten konnte. Unglücklicherweise gehörte ich bald dazu und deshalb musste auch ich so was über mich ergehen lassen. Unter normalen Umständen – selbst wenn ich das Geld dazu hätte -, würde ich solche Aufführungen niemals besuchen. Ich konnte noch nie verstehen, wie jemand an so einem musikalischen Geschrei Gefallen finden konnte. Mir taten jetzt schon die Ohren weh, wenn ich daran dachte. „Bella? Alles okay?“, schmunzelte Edward verwirrt. Mit großen Augen drehte ich meinen Kopf zu ihm und schüttelte diesen, während meine Hand immer noch auf meinem Mund verweilte. Als mir das bewusst wurde, nahm ich sie abrupt herunter. „Die Oper. Das hab ich total vergessen.“ Wen wunderte es. „Und jetzt, da ich es wieder weiß, fällt mir auch ein, dass ich ja eigentlich gestern schon hätte zum Juwelier sollen, um was für Mom abzuholen.“ Edward hob kurz die Augenbrauen. „Na, dann fahren wir gleich nach der Schule dort vorbei. Ich muss sowieso noch was anderes abholen.“ Fragend sah ich ihn an, doch er zuckte bloß mit den Schultern. „Nur eine kleine Besorgung für meinen Dad.“ Wir machten uns auf den Weg zu unseren jeweiligen Unterrichtsräumen. Während ich die letzte Stunde am Freitag mit Mr. Lancaster verbringen durfte, hatte Edward seinen Solisten-Extrakurs. Die ganze Zeit konnte ich mich nicht richtig auf die Stunde konzentrieren, weil der Opernbesuch und die Wahl meines Extrakurses vorherrschend die Themen waren, die sich in meinem Kopf drehten. Und ich konnte es nicht abstellen. Viel zu aufgewühlt war ich, und hätte mich jemand von der Seite angetippt, wäre ich vermutlich aus meinem Stuhl gefallen, weil ich so tief in Gedanken war. Deshalb schaffte ich es natürlich auch wieder, mich vor der Klasse zu blamieren, als mich Mr. Lancaster aufrief und ich ihn bitten musste, seine Frage noch einmal zu wiederholen. Ich hatte Glück, dass ich überhaupt den gesamten Lernstoff in mein Notebook eintragen konnte, denn wirklich geübt war ich im schnellen Schreiben mit der Tastatur auch noch nicht. Meine Stimmung hob sich wieder, als der Lehrer ankündigte, die Stunde heute schon zehn Minuten früher zu beenden. Mit einem erleichterten Seufzen lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und schloss für ein paar Sekunden die Augen. Ich musste zugeben, dass es in dieser Schule etwas strenger zuging als an meiner alten. Nicht, dass es zu hart war, es dauerte nur ein bisschen, bis man sich daran gewöhnt hatte. Außer vielleicht an die gestiegene Masse an Hausarbeiten. Aber damit konnte man sich ja auch unmöglich jemals anfreunden. Da ich eh auf Edward warten musste, beschloss ich, den Flur aufzusuchen, in dem sich der Musikraum befand. Vorteilhafterweise war ich gut darin, mir gewisse Dinge schnell einzuprägen und dazu gehörte auch der Gebäudeplan der Schule. Ich musste also nicht lange suchen, bis ich das richtige Zimmer gefunden hatte. Als die entsprechende Tür bereits in Sichtweise war, hatte ich eigentlich vor, einfach an der Wand zu lehnen und zu warten. (Casper’s Lullaby – One Last Wish http://www.youtube.com/watch?v=zIxAuHNuM7A ) Doch je näher ich kam, desto deutlicher vernahm ich eine leise Melodie, die allem Anschein nach aus genau diesem Raum kam. Automatisch verlangsamte ich meine Schritte und schlich mehr oder weniger auf Zehenspitzen, bis ich meine Hände geräuschlos auf die Tür und mein Ohr an das braune, kühle Holz legen konnte. Gleich darauf schloss ich meine Augen, um den Klang noch mehr zu verinnerlichen. Es war eine wundervolle Melodie, von der ich sogar der Meinung war, etwas Ähnliches irgendwo schon einmal gehört zu haben. Leider konnte ich mich nicht mehr erinnern, wo genau das gewesen sein mochte. Die Verbindung der Noten drang bis ins Blut und ließ mich – selbst, wenn es durch die dicke Tür nur gedämpft zu hören war – immer wieder von Neuem erschaudern. Die Klänge waren so klar und so fein, wirkten auf der einen Seite federleicht und bargen auf der anderen eine ungeahnte Schwere und Traurigkeit. Als würden sie permanent und unbewusst von einem melancholischen Schatten begleitet. Je länger ich lauschte, desto deutlicher zeichnete sich ein Bild in meinem Kopf, von langen, schlanken Fingern, wie sie jede einzelne Taste drückten, mal langsamer, mal schneller, mal einzeln und mal in Kombination mit der anderen Hand. Grazil und anmutig schwebten sie in meiner Vorstellung über die weiß-schwarze Klaviertastatur. Ich konnte mich nicht entsinnen, wann ich das letzte Mal etwas so Bezauberndes gehört oder besser gesagt, ob ich überhaupt jemals in meinem bisherigen Leben etwas Vergleichbares vernommen hatte. Ich hätte mich in das Spiel verlieren können, war sogar schon kurz davor. Doch dann hörte ich jemanden etwas lauter meinen Namen sagen und sofort drehte ich mich nach hinten. Ich war überrascht, als ich James vor mir stehen sah, und dass er mich gerade beim „Lauschen“ erwischt hatte, verpasste meinem hellen Teint eine peinliche Farbtiefe. „Ähm, hi“, krächzte ich, um mich anschließend zu räuspern, und versuchte, seinem Blick mehr oder weniger auszuweichen. Unruhig kaute ich auf meiner Unterlippe, während ich meine Hände in meine hinteren Hosentaschen steckte. Erst musterte er mich stumm, dann fragte er langsam: „Wie geht’s?“ Ich war froh, dass er mich nicht auf meine Lauschattacke ansprach, weshalb sich mein Gesicht auch ein wenig aufhellte. „Gut…“, nickte ich. „Mir geht’s gut. Und dir?“ Er antwortete mir nicht auf meine Frage, brachte dafür aber ein anderes, unangenehmes Thema zur Sprache. „Wir haben uns die letzten Tage kaum gesehen, nicht mal richtig Hallo gesagt. Ist alles in Ordnung?“ Ich war überrascht, da ich eigentlich dachte, er wüsste, warum ich mich nicht mehr mit ihm oder Victoria traf. Seine Frage klang so unschuldig, im Gegensatz zu dem Blick, den er mir heute in der Cafeteria zugeworfen hatte. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. „Ähm, ja, ist es.“ Das Klingeln der Schulglocke unterbrach uns. Ich erschrak bei dem Klang ein wenig, so angespannt und vertieft war ich in unseren knappen Smalltalk gewesen. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass Edward jeden Moment aus dem Klassenzimmer kommen konnte, und wenn er mich mit James hier sah… Ich mochte mir nicht ausmalen, was er dann wieder sagen würde. Und Edwards Temperament war nicht gerade das, was man ausgeglichen nannte. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Schüler aus ihren Räumen kamen. James bemerkte mein ruheloses Verhalten. „Bist du in Eile oder warum schaust du dich immerzu um?“ „Nein“, schüttelte ich den Kopf und sah ihn kurz an, dann zur Tür. „Ich warte nur auf Edward.“ Mit dem Daumen zeigte ich über meine Schulter auf den Musikraum. „Ach so. Verstehe.“ Ich hörte den Wechsel in seiner Stimme, obwohl er so leise gesprochen hatte, und auch der abgekühlte Unterton war mir nicht entgangen. „Was verstehst du?“, hakte ich nach. „Dass du nicht mit mir gesehen werden willst. Dass du ihm hörig bist. Dass er dir einen Floh ins Ohr gesetzt hat und dass du jetzt auf das hörst, was er sagt.“ Er war gereizt. Zwar nicht sehr offensichtlich, aber ich spürte es trotzdem. „Wie kommst du auf so was?“, fragte ich versucht gespielt, war aber erfolglos. Man hörte mir trotzdem an, dass ich seinen Vorwurf nicht ganz abstreiten konnte. Einen Moment sah er mich schockiert an, dann lachte er bitter. „Ach, komm schon. Das liegt doch auf der Hand. Seit unserem Besuch bei dir gehst du uns aus dem Weg. Und dann sitzt du neuerdings bei ihnen in der Mittagspause.“ „Das war nicht mein-“, versuchte ich, doch mit einer Handbewegung schnitt er mir das Wort ab. „Es ist mir egal, was er dir alles erzählt hat“, machte er weiter und wurde bei jedem Wort grantiger. „Aber ich finde es verdammt noch mal ignorant von dir, dass du nur auf die Meinung Dritter hörst und nicht mal nachfragst, was wirklich abgelaufen ist. Hauptsache, du schleimst dich bei Ed Cullen ein.“ Schon bei den letzten Worten war er ein paar Schritte rückwärtsgegangen, nun blickte er mich feindselig an und drehte mir dann ganz den Rücken zu und ging davon. Ich hatte keine Chance, mich irgendwie zu erklären. Noch dazu war ich jetzt verwirrter als vorher. Anfangs dachte ich, dass es eine persönliche Fehde zwischen ihm und Edward war, doch er bezeichnete ihn als „Dritten“, was bedeutete, dass Edward einfach nur für jemand anderen Partei ergriff. Meine Gedanken wurden unterbrochen, als ich Edwards Stimme hinter mir hörte. „War das etwa James gerade?“ Ich zögerte mit meiner Antwort, als ich seine angespannte Miene sah. „…Ja?“ „Was wollte er?“ „Nur Hallo sagen.“ Den Rest verschwieg ich vorerst. Ich fand den Zeitpunkt unpassend, dieses Thema ausgerechnet jetzt zu vertiefen. Irgendwann würde ich ihn noch darauf ansprechen, da war ich mir sicher. Und Edward schuldete mir einfach eine Erklärung. Einen Moment lang musterte er mich misstrauisch, dann sah er in die Flurrichtung, in der James verschwunden war, nur um anschließend verbissen den Blick abzuwenden und einfach loszugehen. War er jetzt sauer? Nur, weil ich mich kurz mit James unterhalten hatte? „Edward? Alles okay?” Hastig lief ich ihm hinterher und hatte dabei zu tun, mit seinem schnellen Gang mitzuhalten. „Bestens“, brummte er. Ja, natürlich. „Wenn du mir irgendwas zu sagen hast, dann tu’s einfach, okay?“, konterte ich leicht gereizt. Abrupt blieb er stehen und funkelte mich an. Er öffnete bereits seinen Mund, schloss ihn dann aber wieder und presste stattdessen seine Lippen aufeinander, während er tief einatmete. Gleich darauf setzte er seinen Weg fort, jetzt allerdings nicht mehr ganz so schnell. „Was musst du denn vom Juwelier abholen?“, meinte er nach ein paar Minuten – ganz offensichtlich, um vom Thema abzulenken. Mir lag bereits auf der Zunge, dass er mir gefälligst nicht ausweichen sollte, doch dann seufzte ich innerlich und ließ die Sache fallen. „Ein Armband von meiner Mom“, antwortete ich schlicht, als wir zu den Parkplätzen gingen. Ich machte mir nicht die Mühe, ihn dabei auch noch anzusehen. Ganz im Gegenteil, ich sah eher desinteressiert nach vorne und versuchte, den schwarzen Volvo zu erspähen. Ehrlich gesagt war das aber auch nur teilweise der Grund, warum ich nach seinem Auto Ausschau hielt. Der andere war, dass ich einfach einen festen Punkt benötigte, auf den ich mich konzentrieren konnte – um nicht wie jeden Tag feststellen zu müssen, dass die neugierigen Blicke der anderen Schüler immer noch nicht abgenommen hatten. Ich war jetzt bereits zwei Wochen an dieser Privatschule und mittlerweile wusste jeder, wo er mich hinstecken musste. Und trotzdem nahm die Neugier und das Interesse an der neuen Schwester Edward Cullens nicht ab. Allmählich war ich es leid, permanent angestarrt zu werden. Gut, vielleicht war ich auch paranoid und ich bildete mir nur ein, dass mir Auto Fünf bis Einundzwanzig hin und wieder verstohlene oder gar offensichtliche Blicke zuwarfen. Das änderte aber nichts an dem Gefühl, das ich jedes Mal dabei empfand. Den Blick, den mir aber Rosalie Hale in diesem Moment von ihrem BMW aus entgegenwarf, konnte ich mir unmöglich nur einbilden. Die Frau hasste mich. Ich wusste nicht, warum, aber sie tat es. Ein Klick ertönte, als Edward seinen Wagen per Fernbedienung öffnete und ich beeilte mich regelrecht, ins Innere zu gelangen. „Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Edward, nachdem er ebenfalls eingestiegen war und sich an seinem Gurt zu schaffen machte. „Ja. Es ist nur diese Schule beziehungsweise ihre Schüler. Ich kann mich hier einfach nicht richtig… einfinden“, seufzte ich und wischte gedankenverloren den nicht vorhandenen Staub von meinen Schenkeln. Mit einem „Hm“ quittierte er meine Antwort, ehe er den Motor startete und langsam vom Parkplatz fuhr. „Daran wirst du dich gewöhnen müssen, besonders, wenn die Wahlen ihren Endspurt einlegen“, ergänzte er schlussendlich noch. Waren das nicht tolle Aussichten? „Zu welchem Juwelier musst du eigentlich?“ „Oh, warte. Ich hab die Adresse hier irgendwo.“ Schnell hob ich meine Tasche zwischen meinen Beinen empor und kramte im Inneren nach meinem Notizblock. Als ich ihn gefunden hatte und schon leichte Panik bekam, der Zettel mit der Adresse könnte aus irgendwelchen Gründen abhanden gekommen sein, atmete ich erleichtert auf, als ich ihn gleich auf der ersten Seite am oberen Rand festgeheftet entdeckte. „Graces and Graves Jewelry“, las ich laut vor. Ich wollte bereits die Straße und die Hausnummer nennen, da winkte Edward ab und meinte, er wüsste, wo das sei. Ich sah ihn kurz überrascht an, dann nickte ich und verstaute den Block wieder in meinem Rucksack. Die restliche Fahrt schwiegen wir, nur das Radio spielte. Ich nutzte die Zeit und sah mir die Gegend, in die wir jetzt fuhren, genauer an. Und je weiter wir hineinfuhren, desto mulmiger wurde mir. Ich hatte noch nicht besonders viel Zeit gehabt, mich in meiner neuen Wohngegend umzusehen, geschweige denn, irgendwelche Besorgungen zu machen. Somit hatte ich auch noch keine wirkliche Vorstellung von diesem Teil New Yorks. Und doch hätte ich es mir eigentlich denken können. Als zukünftige Politikertochter. Das Einkaufsviertel der Reichen unterschied sich außerordentlich von dem der Normalsterblichen. Überall glänzte es – im übertragenen Sinne. Obwohl es einem wirklich wie poliert vorkam, wenn man andere Verhältnisse gewöhnt war. Hier gab es funkelnde Limousinen, schimmernde Einkaufsfenster, teuer angezogene Leute, die elegant über die Bürgersteige schritten denn normal gingen. Schon von Weitem schrien dem Passanten Namen wie Gucci, Lacoste, Dolce und Gabbana, Prada, Chanel, Dior, Armani und dergleichen entgegen. Und je größer meine Augen wurden, desto tiefer sank ich in meinen Sitz, weil ich mich plötzlich so nichtig und klein fühlte. Jeder Andere hätte bestimmt vor Freude gequietscht, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, einmal die Straßen dieser Einkaufspassage entlanggehen zu können, selbst ohne die Absicht, sich hier etwas zu kaufen – ganz abgesehen davon, dass man erst einmal das nötige Kleingeld dafür haben musste. Ich hingegen hatte Angst, mich hier auf Dauer nicht zurechtfinden zu können und einfach unterzugehen. Ich fühlte mich eingeengt und praktisch allein vom Escheinungsbild erschlagen – auch wenn ich meinen Blick nicht wirklich abwenden konnte. Und so wanderte dieser von Geschäft zu Geschäft, bis ich schon in der Ferne unseren Juwelier erspähen konnte. Wenige Augenblicke später machte Edward Anstalten, genau davor zu parken. Die Schaufenster zu beiden Seiten der doppelten Eingangstür ersetzten komplett die Außenwände und hinter jedem war Schmuckstück über Schmuckstück auf schwarzem Samt aufgebahrt und glitzerte um die Wette. Auf den Fenstern selbst schimmerte in großen, eleganten, silbernen Lettern der Name Graces and Graves Jewelry. „Du kannst ruhig schon reingehen. Ich erledige gleich die Besorgung für meinen Vater. Das Geschäft ist nicht weit entfernt“, meinte Edward, während er seinen Gurt löste. Etwas erschrocken sah ich ihn an, denn ich hatte eigentlich gehofft, mit ihm zusammen den Laden zu betreten. Die hiesigen Gepflogenheiten waren bestimmt andere als ich sie kannte. Aber dann änderte ich meine Meinung. Schnell wandte ich meinen Blick wieder ab, um ein „Okay“ zu murmeln, während er aus dem Auto stieg. Mochte sein, dass ich mich in dieser Gegend ein wenig unwohl fühlte, doch das schwache Mädchen wollte ich vor Edward Cullen nun auch nicht ständig mimen. Ich stieg ebenfalls aus und Edward verschloss den Volvo. „Also, bis gleich“, verabschiedete er sich und lächelte sogar leicht, ehe er dem Bürgersteig gen Norden folgte. Da stand ich nun. Vor einem riesigen, teuren Geschäft für Schmuck und wusste nicht, ob ich es wirklich betreten sollte. Ich verweilte einige Minuten davor, unschlüssig, ob ich nicht doch lieber auf Edward warten sollte, allem Anschein nach kannte er sich hier ja auch aus – was eigentlich auch nicht verwunderlich war, immerhin war er zwischen all diesen Dingen aufgewachsen. Langsam trat ich an die Schaufenster heran und besah mir die verschiedenen Schmuckstücke etwas genauer. Den ersten Schock bekam ich, als ich mir die luxuriösen und in unterschiedlichen Ausführungen dargebotenen Modelle ansah, deren Vielfalt und Kreativität anderweitigen Künsten in Nichts nachstanden. Den zweiten erlitt ich, als ich die Preise las, die in Miniaturschrift unter jeder Kostbarkeit klebten. Wenn ich es richtig erkannte, dann lag der kleinste Betrag gerade mal im vierstelligen Bereich – und wurde womöglich noch als billig abgestempelt. Und so sehr mich all das auch abschreckte, so sehr faszinierte mich diese mehr oder weniger kleine Ansammlung an funkelnden Steinen und Edelmetall. Welches kleine Mädchen träumte nicht davon, einmal in einem großen Schloss zu wohnen, seinen Prinzen an seiner Seite zu haben und die schönsten Kleider und den schönsten Schmuck tragen zu dürfen? In den meisten Fällen blieb so was jedoch Wunschdenken und selbst ich in meiner neuen Position konnte mir nicht vorstellen, jemals so einen Platz als Prinzessin innezuhaben. Mochte der neue Mann meiner Mutter noch so viel Geld besitzen. Ich war einfach nicht der Typ dafür. Ich würde mich absolut nicht wohl fühlen. Das wusste ich, ohne dass ich es ausprobieren musste. Nach ein paar langen Minuten des Staunens entschloss ich mich dann doch endlich, das Geschäft zu betreten. Wider Erwarten blieb es still, als ich eintrat. Kein Glöckchen über der Tür, das mich ankündigte. Vorsichtig schummelte ich mich ins Innere und schloss die Tür wieder hinter mir. Jetzt, wo die Geräusche der Straße verstummt waren, hörte ich die harmonische Melodie, die leise vor sich hin plätscherte und den Kunden sofort in eine angenehme Atmosphäre bettete. Eigentlich. Ich hingegen sah es gleich als ein Zeichen der Reichen, mit welchem sie ihren höheren Status symbolisierten. Als ich mich jetzt auch hier umsah, war ich nicht minder beeindruckt. Ganz im Gegenteil, das Innere war noch viel außergewöhnlicher. Ein wahnsinnig langer Raum erstreckte sich vor mir, der von vorne bis hinten mit Glasvitrinen in Brusthöhe ausgestellt war. Alle zusammen erinnerten mich an ein kleines Labyrinth. Auch an den Wänden hingen vereinzelt schmale Glaskästen, in denen sich der Schmuck nur so tummelte. Ein Meer an leuchtenden Diamanten und anderen Edelsteinen strahlte mir entgegen und ich bemerkte fast gar nicht, wie mir der Mund aufklappte. Die Wände waren in einem warmen Ocker getäfelt, an der Decke und am Boden befanden sich dunkelbraune Leisten. Hier und dort hingen große, schwere Bilderrahmen mit diversen abstrakten Abbildungen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie erstens von sehr berühmten Malern stammten und zweitens vermutlich auch noch echt waren. Am anderen Ende des Raums gab es mehrere Türen, die – wie ich vermutete – in die Büros oder auch in andere Lagerräume, höchstwahrscheinlich auch zu den Tresoren führten. Einen Moment von meiner eigenen Faszination gefangen, wanderte mein Blick zu den beiden Angestellten, die sich hinter einer der Vitrinen befanden. Und ihr Blick wies mich sofort zurück in meine Schranken. Ich fühlte mich eingeschüchtert, denn auch ohne Worte sagten sie mir ganz deutlich, dass ich nicht willkommen war. Und dennoch konnte ich nicht einfach wieder gehen. Während ich mich ihnen langsam näherte, entging mir nicht, dass sie mich von oben bis unten skeptisch musterten, auch wenn sie scheinbar versucht waren, es sich nicht anmerken zu lassen. Alles an ihnen schrie förmlich nach Dollarzeichen: Die hellen Kostüme, die frisch frisierten Frisuren, von denen die Rothaarige ihre offen trug, während die Schwarzhaarige sie straff im Nacken zusammengesteckt hatte. Und natürlich der mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit echte Schmuck an Hals, Ohrläppchen und Finger. Fehlen nur noch die riesigen, trickfilmartigen Dollarzeichen in ihren Augen. „Willkommen bei Graces und Graves Jewelry. Was können wir für Sie tun?“ Ich hörte genau heraus, dass es der Rothaarigen schwerfiel, mir überhaupt so höflich entgegenzukommen, trotzdem war sie sich scheinbar sicher, mich wieder mit leeren Händen nach Hause schicken zu können. Sie versuchte diese Tatsache gar nicht erst aus ihrer Stimme zu verbannen. Ich fühlte mich augenblicklich wie Julia Roberts in Pretty Woman, als diese versucht hatte, neue Kleider zu kaufen und nur wegen ihrem Erscheinungsbild von vornherein abgelehnt wurde. Oder schlimmer noch; vielleicht hielten sie mich für einen drogensüchtigen Junkie, der sich unglücklicherweise diesen Laden ausgesucht hatte, um sich das nötige Kleingeld für seinen nächsten Schuss zu besorgen. Ich könnte wetten, ihr Finger liegt schon auf dem versteckten Alarmknopf. Herrgott… Wenngleich mich ihr abwertendes Verhalten auch verschreckte, so wollte ich doch wenigstens vor ihnen keine Furcht zeigen. Also ging ich weiter und legte meine Arme auf die Vitrine – wie gut, dass ich mich in einem öffentlichen Gebäude befand, sodass mich ihre ausgefahrenen Krallen nicht in Stücke reißen konnten. Dafür schaffte es ihr Blick fast allemal, so, wie sie meine Arme begutachteten. Ich sollte mir dringend Rosalies Todesblick angewöhnen. „Ich soll was für meine Mom abholen. Ein Armband“, antwortete ich endlich und versucht unbeeindruckt von ihrem feindseligen Verhalten, während meine Fingerspitzen auf dem Glas tippten und mein Blick über die Schmuckstücke darunter wanderte. Die Schwarzhaarige beobachtete mich akribisch und die Rothaarige schaute auf den Monitor neben sich. „Und auf welchen Namen soll die Bestellung erfolgt sein?“ „Evenson.“ Sie tippte den Namen flink in ihren Computer und schaute dann etwas genauer auf ihren Desktop, ich nahm an, um irgendwelche Listen durchzugehen. Ein paar lange Sekunden eisiger Stille lagen zwischen uns. Dann endlich sah mich die Mitarbeiterin an und ich meinte, ein minimales, triumphales Lächeln auf ihrem Mund entdeckt zu haben. „Es tut mir leid, auf diesem Namen befindet sich kein Auftrag. Auch auf keinen Ähnlichen.“ Meine Stirn legte sich in Falten. Hatte ich eventuell den falschen Laden erwischt? Eigentlich war ich mir sicher, ich hatte die Notiz mehrmals gelesen. Um sicher zu gehen, wollte ich den Zettel noch einmal herausholen, doch da fiel mir auf, dass meine Tasche noch in Edwards Auto lag. Frustriert sackten meine Schultern nach unten. „Hören Sie, meine Mom hat mich extra damit beauftragt, ihr Armband hier abzuholen. Esme Evenson. Vielleicht haben Sie den Namen auch einfach nur übersehen“, vermutete ich. „Können Sie nicht noch einmal nachsehen?“ Ihr ohnehin schon düsterer Gesichtsausdruck wurde noch dunkler und ich wusste, dass ihr meine Hartnäckigkeit auf die Nerven ging, aber ich wollte nicht nachgeben, schließlich war ich im Recht. „Ich bin die Liste mehrmals durchgegangen“, entgegnete sie mir fast schon patzig, als hätte ich sie in ihrer Kompetenz beleidigt. „Wir haben keine Evenson notiert. Vielleicht haben Sie sich im Geschäft geirrt.“ Ich war mir fast sicher, dass ihre Kollegin ein „Oder in der Straße“ leise hinzufügte. Mir klappte der Mund auf, doch ich versuchte trotzdem, meine Ruhe zu bewahren. „Und was ist, wenn Sie mal Cu-“ Weiter kam ich nicht, denn die Schwarzhaarige schnitt mir das Wort ab. „Versuchen Sie es am besten in einem der anderen Geschäfte. Wir können Ihnen nicht weiterhelfen, tut mir leid.“ Fassungslos starrte ich sie an und mir fiel nichts mehr ein, was ich ihr darauf hätte antworten können. Ehrlich gesagt war es mir auch bereits zu viel, überhaupt noch etwas darauf erwidern zu wollen. Kopfschüttelnd drehte ich mich um und lief Richtung Ausgang. Gerade als ich den Türgriff berühren wollte, wurde sie von außen aufgemacht. Ruckartig wich ich nach hinten. Es war Edward, der hineingekommen war und mich nun fragend ansah. „Bist du fertig?“ Sofort verfinsterte sich mein Blick. „Nein. Ich wurde gerade höflich rausgeschmissen“, murmelte ich ärgerlich. „Wa-?“ „Mr. Cullen!“, begrüßte ihn die Angestellte euphorisch und mir stockte der Atem, als ich heraushörte, dass Edward kein unbekannter Kunde war. Gut, irgendwie hätte ich es mir auch denken können. Er lebte von klein auf an in dieser Welt, natürlich hatten die Cullens da ihre Stammgeschäfte. Auch, wenn ich nicht nachvollziehen konnte, warum ausgerechnet dieses hier. Er sah auf, als er seinen Namen hörte und begrüßte die beiden Frauen höflich. „Ihr Vater war lange nicht mehr hier. Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie so freundlich, dass ich beinahe brechen musste. Überrascht sah er sie an. „Ähm, mir eigentlich gar nicht. Bella hier wollte etwas abholen.“ Er deutete auf mich und selbstzufrieden wandte ich mich wieder der Angestellten zu. Jetzt war es an ihr, verwirrt dreinzuschauen. „Die junge Dame gehört zu Ihnen?“ „Ja. Sie ist die Tochter der Verlobten meines Vaters.“ Noch umständlicher hätte man es auch nicht erklären können. Die Augen der Schwarzhaarigen wurden immer größer, bis es schließlich Klick machte und ihre Haltung mir gegenüber plötzlich sehr viel… entgegenkommender wurde. „Verstehe. Aber dennoch. Leider können wir Ihnen nicht weiterhelfen. Auf den Namen Evenson haben wir nichts verbucht.“ „Aber unter Cullen“, meldete sich plötzlich die Rothaarige hinterm Tresen. Ihre Hände hingen über der Tastatur und ihr Blick war auf den Monitor gerichtet. Während ihre Kollegin zurück zu ihr ging, machte sich die Rothaarige auf den Weg in die hinteren Räume. Edward gab mir ein Lächeln, das eindeutig ‚Geht doch‘ ausdrückte. „Wenn sie mich hätte ausreden lassen, wäre ich noch dazu gekommen, ihr deinen Nachnamen zu sagen“, flüsterte ich grummelnd. „Mach dir keinen Kopf“, versuchte er mich aufzumuntern und strich mir mit seiner Hand kurz über die Haare. Ich sah ihn deswegen ein wenig verwundert an, doch er benahm sich, als wäre es die normalste und unbedeutendste Geste der Welt gewesen und wandte sich dann an die gerade wiederkehrende Angestellte. Mit einem irritierten Seufzen drehte ich mich ebenfalls zu ihr und verdrängte die Szene aus meinen Gedanken. Die Rothaarige trug eine kleine, längliche, schwarze Schatulle in ihrer Hand, welche sie nun auf die Glasvitrine vor sich legte und vorsichtig öffnete. Edward und ich traten näher heran und besahen uns das Schmuckstück, welches auf schwarzem Samt gebettet war. Die Verkäuferin erklärte uns, was genau meine Mom in Auftrag gegeben hatte. Anfangs hatte ich noch gedacht, dass sie sich ein neues Armband gekauft hatte und dass nur noch die Länge oder Ähnliches geändert werden müsste. Doch es war kein neues, sondern eines, das vorher schon in Moms Besitz gewesen sein musste und das sie nur mehr oder weniger ‚überholen‘ ließ. Polieren, Glieder ausbessern und einstellen… Es war ein wunderschönes Armband und nach dem Aussehen zu urteilen, hätte ich sogar darauf geschlossen, dass es bereits seit vielen Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten oder Jahrhunderten existierte. Die einzelnen Glieder waren altmodisch verschnörkelt und an jedem hing, einem Bettelarmband gleich, ein tropfenförmiger Kristall. Eigentlich konnte ich mir nicht wirklich vorstellen, dass es sich hierbei um echte Diamanten handeln könnte, doch diese Ungewissheit nahm mir die Dame vor uns ab, als sie genau das bestätigte. Ich musste unweigerlich schlucken. Das silberne Armband selbst war auf Hochglanz poliert und schimmerte hell im Licht des Geschäfts, als wäre das Metall erst gestern geformt worden. Ich hatte nicht besonders viel Ahnung von solchen Dingen und ich war froh, dass Edward die Begutachtung mit einem zufriedenen Nicken beendete. Die Verkäuferin schloss die Schatulle wieder, packte sie in einen kleinen, edlen Faltbeutel und übergab ihn mir dann. Die andere Dame tippte derweil etwas in ihren Computer, um uns letztendlich den Preis zu nennen. Meine Augen wurden groß, als ich den mehrstelligen Betrag hörte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich sogar Bedenken, das Limit meiner Kreditkarte würde nicht ausreichen, strich diesen Gedanken aber schnell wieder. Wenn dem so wäre, hätte Mom mich nicht hierher geschickt. Und ja, ich besaß neuerdings eine Geldkarte – auf Carlisles Bitten hin. So wäre ich unabhängiger und Edward besäße schließlich auch eine. Wie versteinert hatte ich damals stundenlang auf meinen Namen auf dem blauen Plastik gestarrt – natürlich bereits in „Cullen“ umgeändert. Das war die reiche Variante, seinen Kindern Taschengeld zu geben, auch wenn ich es bevorzugt hätte, es wie früher jeden Monat von meiner Mutter in die Hand gedrückt zu bekommen. Ich musste mich wohl oder übel den neuen Traditionen anpassen. Ich wollte ihr meine Karte geben, als ich feststellen musste, dass diese wie alles andere ebenfalls noch im Auto lag. Argwöhnisch betrachtete mich die Schwarzhaarige, während ich ziemlich hilflos dastand. Edward schmunzelte, als er meine Vergesslichkeit bemerkte, und holte seine eigene Kreditkarte heraus. Nachdem die Frau diese eingescannt hatte, stellte sie Edward ein kleines, graues Elektronikgerät hin, auf das er seine Unterschrift setzte. Ich war heilfroh, als wir den Laden endlich wieder verlassen konnten und atmete erst mal tief durch, als wir auf dem Bürgersteig standen. Edward schien das Ganze ziemlich zu erheitern, aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie er mich amüsiert beobachtete. Als ich seinen Blick erwidern wollte, sah er schnell nach vorne und machte sich dann daran, in sein Auto zu steigen. Toll, dass wenigstens einer seinen Spaß dabei hatte. „Ich weiß gar nicht, was du hast. So schlimm war’s doch gar nicht“, meinte er irgendwann während der Autofahrt, bei der ich mich immer noch leise über diese Leute ärgerte. „Bitte?“, entgegnete ich fassungslos. „Weißt du eigentlich, wie es ist, wenn dich solche Leute ansehen, als kämest du frisch aus dem Ghetto?“ Ich machte eine kurze Pause und fügte dann mehr für mich selbst hinzu: „Mit ihren teuren Klamotten stehen sie da und betrachten dich, als wärst du eine hochansteckende Krankheit. Und wenn sie die Dollarzeichen sehen, verhalten sie sich wie Roboter, denen ein neues Programm eingebaut wurde.“ „Egal, wie sehr du dich darüber jetzt aufregst. Du darfst nicht vergessen, dass du bald selbst offiziell Teil dieser Gesellschaftsklasse bist.“ „Ich hab nicht darum gebeten“, patzte ich zurück, verärgert darüber, wieder an die Hochzeit zwischen unseren Eltern erinnert zu werden. Auch wenn wir versuchten, uns mit der Situation zu arrangieren, so vermieden wir beide es, das Ganze in irgendeiner Weise direkt zu erwähnen. „Ich auch nicht“, murmelte er. Entgeistert blickte ich ihn an. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich mich nicht eventuell verhört hatte, so lautlos hatte er diesen einen, kleinen Satz vor sich gegeben. Verbissen starrte er auf das rote Licht der Ampel und schien sich überhaupt nicht bewusst zu sein, was er eben gesagt hatte. „Vielen Dank auch!“ Erst jetzt sah er zu mir und bei meinem Gesichtsausdruck schien er auch endlich zu verstehen. „Oh, Bella. So war das nicht gemeint“, wollte er sich herauszureden. Ich wollte aber nichts davon hören. Wütend verschränkte ich die Arme vor der Brust und starrte aus dem Seitenfenster. „Bella… Bitte. Du weißt, was ich damit sagen wollte“, versuchte er es erneut, doch ich blieb stur. Natürlich wusste ich, woran er eigentlich gedacht hatte. Das änderte aber nichts daran, dass es sich im ersten Moment einen ganz anderen Klang hatte. Und das verletzte einfach. „Bella-“ Ein Hupen hinter uns unterbrach ihn. Die Ampel hatte schon vor ein paar Sekunden auf Grün geschalten. „Dann eben nicht“, brummte er, während er hastig einen Gang einlegte und losfuhr. Als wir endlich zu Hause angekommen waren, schnappte ich mir meine Tasche und den kleinen Beutel und stieg zügig aus, um ins Haus zu kommen. Doch bereits in der Eingangshalle wurde ich von meinem Vorhaben abgebracht, sofort die Treppen hinauf und in mein Zimmer zu laufen, als ich ein merkwürdiges Geräusch vernahm. Wenn ich raten sollte, hätte ich gemeint, dass gerade jemand aufgelacht hätte. Es war ein hoher Klang, aber leider zu kurz, um ihn richtig zu analysieren. Mit langsamen Schritten ging ich an der Treppe vorbei, bis ich vor dem Eingang des großen Saals stand. Wieder hörte ich etwas, doch dieses Mal war es noch kürzer und nicht ganz so laut. Es kam aus dem Gang links von mir. Fast schon schleichend folgte ich ihm – und kam mir gleichzeitig völlig bescheuert vor. Das Geräusch konnte sonst was für Ursachen haben, genug Personal war tagsüber sowieso anwesend. Wahrscheinlich würden die meisten Menschen einfach rufen, um herauszufinden, wer die Geräusche verursachte. Stattdessen lief ich so leise den Gang entlang, als könnte ich wer weiß wen ertappen. Letztendlich hatte ich dann aber ohnehin herausgefunden, aus welchem Raum die Stimmen stammten: Dem Wohnzimmer. Vorsichtig blinzelte ich um die Ecke – und staunte nicht schlecht, obwohl ich auf der anderen Seite eigentlich auch mit derlei Dingen hätte rechnen müssen. Das Wohnzimmer war groß und geräumig, allerdings standen hier so viele Möbel, dass es gar nicht so riesig wirkte, sondern vielmehr gemütlich. Auf der rechten Seite befand sich ein breiter Kamin mit einem hohen Schaft, in der Mitte des Raums waren die Sitzgelegenheiten auf hellem Teppich aufgebaut und umrahmten an drei Seiten einen flachen, rotbraunen Holztisch. An den Wänden standen, mit Ausnahme der verglasten Hinterwand, jede Menge hohe, ebenfalls rotbraune und vor allem altmodisch aussehende Schränke, die jede Menge Bücher beherbergten und einer Bibliothek ernsthaft Konkurrenz machten. Hinter Glasschränken befanden sich diverse Kunstgegenstände, kleine Antiquitäten und Ähnliches. Der Boden war aus hellem Parkett, hier und dort gab es kleine Läufer, ebenso stand eine längliche, hüfthohe Kommode hinter dem Sofa. Und genau auf diesem saßen … oder lagen, je nachdem, wie man es deutete, Carlisle und … meine Mom. Sie hatten ganz offensichtlich Spaß und das Ganze glich stark einer kleinen, liebevollen Rauferei. Selbst in Gedanken fiel es mir schwer, das Bild vor mir zu beschreiben. Es war einfach zu grotesk. Nicht nur, dass es einfach seltsam wirkte, die eigene Mutter so verliebt herumtollen zu sehen, es machte mir auch ernsthaft zu schaffen. Es tat weh, mit ansehen zu müssen, dass sie genau das ausleben konnte, was ich mir so sehr wünschte, aber nicht haben konnte. Es war irrational, ausgerechnet deswegen auf sie wütend zu sein, und trotzdem ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich mir wünschte, sie hätte jemand anderes kennengelernt. Ich spürte, wie meine Fingernägel ins Fleisch schnitten, als ich meine Hand fest zu einer Faust ballte. Tief holte ich Luft, dann wandte ich mich zum Gehen – und erschrak beinahe zu Tode, als ich Edward hinter mir entdeckte. „Herrgott! Erschreck mich doch nicht so!“, fauchte ich ihn an, drückte ihm den kleinen Beutel mit dem Armband gegen die Brust und schritt anschließend an ihm vorbei, um endlich in mein Zimmer zu gelangen. Auf dem Weg dorthin wurde ich aber von dem Hausmädchen Cassandra aufgehalten, die mir mitteilte, dass das Essen fast fertig sei und dass wir alle in einer halben Stunde in den Speisesaal kommen könnten. Mit einem Seufzen nahm ich die Info zur Kenntnis, ehe ich es letztendlich doch noch schaffte, meine eigenen vier Wände zu erreichen, wo ich mich einfach nur erschöpft und deprimiert aufs Bett fallen ließ. Das Essen selbst verlief weitestgehend ruhig. Carlisle und meine Mom waren diejenigen, die Smalltalk - oder ab und zu auch Liebesgeplänkel – hielten. Edward warf hin und wieder einen Kommentar ein, während ich still meine Speise zu mir nahm. Erst als mich Esme bezüglich der Oper ansprach, beteiligte ich mich am Gespräch, wenn auch nur mit wenigen Worten. Hauptsächlich ging es darum, ob ich denn auch die passenden Sachen zum Anziehen hätte. Ich musste zugeben, dass ich mir darüber noch nicht wirklich Gedanken gemacht hatte. Deshalb schlug sie vor, mir später ein wenig dabei zu helfen. Ein paar Mal erwischte ich Edward dabei, wie er mich aus den Augenwinkeln beobachtete, so wie auch ich es tat. Und wenn sich unsere Blicke trafen, wichen wir ihnen gleichzeitig aus. Unter anderen Umständen könnte man an dieser Stelle vielleicht ein Lächeln erwarten, doch nicht bei uns. Ich konnte natürlich nur für mich sprechen, aber ich fühlte mich jedes Mal ein wenig unwohl, wenn ich seinen Blick auf mir spürte. Dabei wusste ich diesen ja noch nicht mal richtig einzuschätzen. Es konnte unsere Situation allgemein gemeint sein oder aber auch unsere kleine Auseinandersetzung im Auto. Was immer es war, die Spannung zwischen uns nahm jedenfalls nicht ab. Ich hatte es zwar nicht mehr für möglich gehalten, aber meine Laune sollte sich diesen Tag sogar wieder verbessern. Während ich gerade dabei war, in meinem Wandschrank verzweifelt nach einem passenden Outfit für einen Opernball zu suchen, erschien meine Mutter in meinem Zimmer. Sie trug eine ziemlich große Papiertüte in der Hand, die sie auf meinem Bett ablegte. „Hey…“ „Hey, Mom“, erwiderte ich und musterte argwöhnisch meine Kleidersammlung. „Na, wie sieht’s aus? Findet sich was Hübsches?“, fragte sie neugierig und blickte in meinen Schrank, woraufhin ich nur frustriert seufzte. „Falls ihr noch mehr von diesen Abenden plant, muss ich wohl dringend meine Garderobe aufstocken.“ Ich nahm ein schon etwas älteres Kleid von der Kleiderstange und musterte es streng. Es war bereits aus der Mode und wenn ich mich recht erinnerte, hatte ich es das letzte Mal… Ehrlich gesagt konnte ich mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich es das letzte Mal getragen hatte. Aussortieren müsste ich also auch noch einiges… Warum eigentlich nicht gleich alles in die Altkleidersammlung stopfen?! Esme lachte. „Ja, sieht wohl ganz danach aus.“ „Ich glaube, heute werde ich wohl noch mit Rock und Bluse hingehen müssen“, jammerte ich. Wirklich gefallen tat mir die Idee nicht. „Oder Hose und T-Shirt“, scherzte sie und betrachtete jetzt ebenfalls ein paar meiner Sachen. „Oh ja. Während die reiche Gesellschaft sich fein macht, tauche ich mit ein paar verwaschenen Jeans dort auf. Ich werde das Highlight des Abends.“ „Mit Sicherheit“, schmunzelte Mom und nahm ein weiteres Stück Stoff von der Stange, um es sich anzusehen. „Wie läuft es eigentlich mit Edward? Kommt ihr mittlerweile besser miteinander aus?“ Besser miteinander aus … Kommt drauf an, auf was genau du das bezieht. Immerhin haben wir die Missverständnisse aus der Welt geschafft und eine Entscheidung getroffen. „Man könnte sagen, wir sind dabei, unsere Balance zu finden“, antwortete ich so wahrheitsgemäß wie möglich, ohne zu viel zu verraten. „Wirklich? Das freut mich!“ Glücklich strahlte sie mich an und ich nickte lächelnd, wenngleich ich mich aber anstrengen musste, dieses Lächeln so positiv wie möglich wirken zu lassen. „Er hilft mir, mit all den neuen Dingen klarzukommen und seine Freunde sind auch wirklich nett zu mir.“ Na ja, bis auf Rosalie. Und Tanya war mir auch nicht immer sympathisch, vor allem, wenn sie sich Edward immer so aufdrängte. „Oh, Bella. Du weißt gar nicht, wie froh ich bin, dass das mit euch beiden doch noch klappt.“ Oh mein Gott, darf ich kurz laut auflachen? „Ich hatte schon Angst, ihr beiden würdet niemals mit der Situation zurecht kommen“, fuhr sie fort, ohne den blassesten Schimmer, wie Recht sie damit noch vor kurzem gehabt hatte. Ich musste es mir verkneifen, darauf zu reagieren. Zufrieden und entspannt atmete sie laut aus, bevor ein längeres Schweigen eintrat und wir meine weiteren Bekleidungsmöglichkeiten begutachteten. Nach ein paar Minuten drehte sie sich zu mir um und sah mich direkt an. „Weißt du, Bella. Carlisle und ich haben uns schon gedacht, dass du vielleicht Schwierigkeiten damit haben könntest, etwas Passendes zu finden. Zu einer Oper gehört immerhin ein gewisser Standard. Deshalb dachten wir, wir besorgen dir etwas… Geeignetes.“ Sie machte eine kurze Pause und schaute mich abwartend an, dann fügte sie rasch hinzu. „Aber natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast.“ Zugegebenermaßen war ich etwas überrumpelt, letztendlich auf eine gewisse Art aber auch erleichtert, immerhin konnte ich damit meine vergebliche Suche beenden. Ich war sogar ein klein wenig neugierig auf das, was Mom für mich gekauft hatte. „Ähm, okay. Es ist ja nicht so, dass ich wirklich eine Wahl hätte“, sagte ich schnell, als ich bemerkte, dass sie immer noch auf eine Antwort wartete. Wie konnte ich denn ein Geschenk ablehnen, dass sie extra für diesen Abend besorgt hatten? Sie lächelte und ging auf mein Bett zu, wo sie die große Tüte in die Hand nahm und einen flachen, länglichen Karton herausholte. Ich folgte ihr, wenn auch etwas nervös. „Ich hoffe, es gefällt dir.“ Sie übergab mir den Karton und wartete dann, bis ich ihn öffnete. Zögerlich legte ich ihn wieder auf dem Bett ab und hob dann den Deckel an. Meine Augen weiteten sich, als ich bereits die ersten Anzeichen des offensichtlichen Kleides erkennen konnte. Der karamellfarbene Stoff schimmerte unter dem dünnen, weißen Packpapier hervor, welches ich nun zur Seite schob, um das Kleid vorsichtig herauszunehmen. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, es fühlte sich wunderbar weich und elegant an. Als ich es vor mir hielt, um es besser betrachten zu können, kam Esme an meine Seite und sah es sich ebenfalls an. Es war trägerlos und ich konnte erkennen, dass in den oberen Teil eine Korsage eingearbeitet war. Nach unten hin fiel es in weichen Wellen. Ich konnte jetzt schon sagen, dass es mit Sicherheit meine Füße verstecken würde und womöglich musste ich später darauf achten, nicht zu stolpern. „Und, was hältst du davon?“, fragte sie freudig. Ich benötigte einige Sekunden, ehe ich antwortete. „Ähm … Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es ist wirklich unglaublich schön und sehr elegant.“ „Ja, ich hatte ein bisschen Angst, du könntest es nicht mögen, weil es doch sehr heraussticht.“ Ich nickte. „Kann man wohl sagen. Auf jeden Fall nichts, das man jeden Tag tragen kann.“ „Allerdings. In Zukunft wird es öfter vorkommen, dass wir zu größeren Veranstaltungen gehen müssen, was bedeutet, dass Abendgarderobe unerlässlich sein wird. Deshalb dachte ich, dass ich mit diesem Kleid mal den Anfang mache.“ Sie lächelte, während ihre Finger sanft über den Stoff strichen. Bei ihren Worten wurde mir schon wieder unbehaglich. Wenn ich mir vorstellte, bald öfter auf irgendwelchen steifen Anlässen erscheinen zu müssen … Ich hoffte nur, dann möglichst viele Ausreden parat zu haben, um dem zu entgehen. „Okay, Mom. Ich denke, ich werde mich jetzt fertig machen. Und das solltest du auch. Sonst kommen wir noch zu spät“, meinte ich, legte das Kleid weg und wollte sie schon mehr oder weniger aus dem Zimmer schieben. Ich wollte die restliche Zeit noch allein verbringen, während ich mich umzog – so sehr ich ihre Hilfe auch zu schätzen wusste. Immerhin würden wir den restlichen Abend alle aufeinander hocken. Heute konnte ich mich nicht die ganze Zeit in meinem Zimmer verbarrikadieren, um irgendwelchen ungewollten Zusammentreffen mit dem Rest der neuen Familie zu vermeiden. Auch wenn ich mich mit Edward geeinigt hatte, war es immer noch schwierig, mich hier einzugewöhnen. Wie es meiner Mutter so leicht fallen konnte, war mir ein Rätsel. „Ja, du hast Recht.“ Sie war bereits am Gehen, als sie sich noch mal umdrehte. „Kommst du denn auch klar? Soll ich dir nicht noch die Haare machen? Oder das Make-up.“ „Mom“, stöhnte ich. „Ich schaff das. Wirklich, ich bin keine zwölf mehr.“ Sie lächelte mich resigniert an. „Ja, du hast Recht. Dann bis später.“ „Ja, bis gleich.“ Endlich verließ sie mein Zimmer und überließ mich wieder mir selbst. Ich warf einen letzten Blick auf das Kleid, dann sammelte ich meine Utensilien zusammen, um schnell unter die Dusche zu springen. Eine geschlagene Stunde später war ich so gut wie fertig. Frisch geduscht, Make-up aufgetragen, die Haare hinten locker zusammengesteckt, wobei einzelne Strähnen ins Gesicht fielen, und das Kleid angezogen. Anfänglich hatte ich mir ein bisschen Sorgen gemacht, dass Mom nicht die richtige Größe besorgt hatte, doch es saß alles perfekt. Bei trägerlosen Sachen war ich aber dennoch immer etwas skeptisch, ich hatte Angst, mir würde das Kleid aus Versehen herunterrutschen. Wissen konnte man so was nie. Aber es passte wirklich gut. Die eingearbeitete Korsage umhüllte meinen Körper wie angegossen, auch war nicht zu viel Dekolleté entblößt. Was ich vorhin noch nicht gesehen hatte, mir jetzt aber deutlich auffiel, war, dass der Rockteil zwar schmal nach unten fiel, hinten aber dennoch weit ausgestellt war und wie eine Schärpe länger wurde. Allein schon diese Länge machte mir Sorgen und ich beschloss, Schuhe mit einem flachen Absatz zu tragen. In allem anderen hätte ich keine Chance. Als ich dann komplett fertig war, betrachtete ich mich noch einmal eingehend im Ganzkörperspiegel, den Esme mir erst vor kurzem gekauft hatte. In letzter Zeit häuften sich ihre Geschenke. Ob sie auf diese Weise versuchte, mir das neue Leben leichter zu machen, konnte ich nicht genau sagen. Trotzdem sollte ich ihr aber bei Gelegenheit eventuell mal deutlich machen, dass ich nicht so materiell veranlagt war. Es war mehr als ungewohnt, mich selbst in so etwas Apartem zu sehen. Ich hätte mich beinahe nicht wiedererkannt, so stark waren die Veränderungen. Ich musste mehrmals genau hinschauen, konnte mich aber selbst beim allerletzten Blick nicht daran gewöhnen. Meine Finger fuhren über das Kleid, das sich sehr glatt anfühlte. Ich nahm an, dass es sich entweder um Seide oder Satin handelte. Beides glänzte, doch den genauen Unterschied konnte ich nicht ausmachen. Letztendlich vermutete ich, dass es sich womöglich um die teurere Variante handelte. In diesem Haus schien ja nicht besonders aufs Geld geachtet zu werden. Damit mein Hals nicht so nackt wirkte, trug ich eine dieser Ketten, deren Band transparent war, sodass man auf den ersten Blick nur den Anhänger selbst sehen konnte. Es war nur ein Zirkoniastein, aber wenn man diesen nicht gerade unter die Lupe nahm, würde niemand den Unterschied zwischen dem Imitat und einem Diamanten bemerken – nicht, dass ich mir deswegen Sogen machte, aber bei diesen reichen Leuten wusste man ja nie. Aber auch wenn die Kette nichts Besonderes war, ich mochte sie. Am Ende atmete ich tief ein. Großartig verändern konnte ich ohnehin nichts mehr. Ich hätte ehrlich gesagt auch nicht gewusst, was, und so langsam meldete sich auch die Aufregung. Mir drehte sich der Magen um, ich konnte spüren, wie mein Herz wild gegen meinen Brustkorb schlug. Mittlerweile machte ich mir keine Gedanken mehr darüber, den Abend mit allen anderen zu verbringen, sondern vielmehr, mich nicht irgendwie zu blamieren – und damit die Cullens bloßzustellen. Was ebenfalls noch im Karton gelegen hatte, ich aber erst später entdeckte, war eine passende Stola in der gleichen Farbe. Nur der Stoff war anders, zwar immer noch edel, aber wesentlich flauschiger. Deshalb schimmerte er auch nicht so. Ich legte mir die Stola um meinen Rücken und verließ dann mit gemischten Gefühlen mein Zimmer. Meine Füße fühlten sich wie Blei an und jeder Schritt fiel mir schwer, je näher ich der Treppe kam. Und als ich letztendlich vor ihr stand, hielt ich erst einmal inne, bevor ich dann langsam einen Fuß vor den anderen setzte und die Stufen hinab stieg. Ich hatte gerade die Mitte erreicht, als ich jemanden in der Eingangshalle entdeckte, der ganz offensichtlich wartete. Edward. Einen Moment blieb ich reglos stehen und beobachtete ihn, wie er dort stand, die Hände in den Taschen, und mich nicht bemerkte. Ich musste gestehen, dass er wirklich gut aussah in dem schwarzen Anzug. Darunter trug er ein anthrazitfarbenes Hemd, allerdings ohne Schlips oder Fliege. Die oberen Knöpfe waren geöffnet, so wie ich es kannte, wenn er ab und zu im Alltag ein Hemd trug. Auch die Anzugjacke selbst hatte er offen gelassen und ich fand, dass sein Erscheinungsbild dadurch wirklich positiv aufgelockert wurde. Ich mochte es. Ich mochte es sogar sehr. In diesem Augenblick drehte er sich in meine Richtung und entdeckte mich eher zufällig auf der Treppe. „Bella…“, fing er an, blieb dann aber stumm. Stattdessen musterte er mich mit hochgezogenen Brauen. Ich sah, wie sein Blick an mir von oben nach unten wanderte; ganz langsam, als würde er jeden Millimeter genau betrachten. Eigentlich hätte ich noch sauer auf ihn sein müssen, wegen unserer kleinen Diskussion heute Nachmittag. Doch stattdessen war ich unsicher, ich würde seine Erwartungen nicht erfüllen können. Insgeheim – und obwohl ich so was nicht einmal denken durfte – wollte ich ihm gefallen. Ganz und gar. In diesem Moment war ich meiner Mom wirklich dankbar dafür, dass sie mir dieses Kleid gekauft hatte. Wenn ich mir vorstellte, jetzt in einer meiner eigenen Kleiderkombinationen vor ihm zu stehen, wäre ich vermutlich am liebsten im Erdboden versunken, weil ich meinen Aufzug zu peinlich gefunden hätte. Er konnte seinen Blick noch immer nicht abwenden, als er ans Ende der Treppe ging, und ein bisschen fühlte ich mich sogar wohl, ihn derart sprachlos zu machen. Das Lächeln auf seinen Lippen bestätigte mir nur, dass ich ihm wirklich gefiel. Es zauberte auch mir ein Lächeln ins Gesicht, welches sogar breiter wurde, als sich unsere Blicke trafen. Zum ersten Mal seit langer Zeit verspürte ich wieder eine Art schwereloses Glücksgefühl. Das Bild der Prinzessin in ihrem Schloss schien auf einmal gar nicht so realitätsfern. Während ich langsam meinen Weg die Treppen hinunter fortsetzte, fiel mir auf, dass ich mich heute Mittag auch geirrt haben könnte und dass es mir vielleicht doch nicht so schwer fallen würde, mich in diese neue Gesellschaft einzugliedern. Ich hatte gedacht, dass es unmöglich sei, weil es einfach nichts für mich war. Doch Edward jetzt so liebenswürdig mir gegenüber zu sehen, auch wenn es nur Blicke waren, ließ mich Hoffnung schöpfen, mich in dieser Familie wohler zu fühlen, als anfänglich vermutet. Ich bekam plötzlich das Gefühl, nicht mehr ganz auf mich allein gestellt zu sein. Und wenn ich darauf bauen konnte, dass er mir weiterhin so offenherzig entgegenkam, dann würde auch ich alles daran setzen, ihm die gleiche Stütze zu bieten. Immerhin waren wir in der gleichen Lage, wir würden uns also gegenseitig helfen können. Ich hatte fast das Ende der Treppe erreicht, als ich Stimmen aus dem hinteren Teil der Eingangshalle vernahm. Eine davon war die von Carlisle, eine andere die meiner Mutter. Und dann gab es noch eine dritte, die ich ebenfalls kannte, von der ich aber niemals erwartet hätte, sie ausgerechnet heute und vor allem hier zu hören. Als ich meinen Kopf nach hinten drehte und mein Blick mir meine Vermutung bestätigte, verpasste ich die letzte Stufe und fiel nach vorne. Ich dankte Gott in diesem Moment dafür, dass Edward zufällig direkt vor mir stand und mich deshalb auffangen konnte – wenngleich sich die Atmosphäre zwischen uns sofort merkwürdig anfühlte, als wir uns gegenseitig festhielten. „Vorsicht“ war alles, was er gesagt hatte, danach spürte ich nur noch seine Hände auf meinem Rücken und mir kam es so vor, als würde sich ihr Abdruck in meine Haut brennen. Ich selbst klammerte mich aber nicht gerade mit weniger Druck an ihm fest, ich wollte die Situation auskosten, zu verlockend waren der Geruch und die Wärme seines Körpers. Als der Moment ewig erschien, kamen allmählich meine Sinne wieder zurück und ich machte Anstalten, mich richtig hinzustellen und mich, wenn auch widerwillig, von ihm zu lösen. Er half mir, mein Gleichgewicht wiederzufinden und legte – und von dieser Geste war ich keinesfalls abgetan – seine Hand auf meinen Arm, um mir noch ein wenig Halt zu geben. „Was macht Tanya hier?“, fragte ich, während mein Blick wieder zu den Dreien wanderte, die am Eingang des großen Saals standen und sich angeregt unterhielten. „Mein Vater hat sie eingeladen. Er hätte sie schon lange nicht mehr gesehen, meinte er.“ Natürlich. Zwei Wochen liegen ja auch schon so lange zurück. Aber dann fiel mir ein, dass er an dem besagten Wochenende gar nicht in der Stadt gewesen war. Wenn ich Edwards Unterton richtig deutete, dann klang auch er nicht völlig glücklich über diese Entscheidung. Entweder störte es ihn also ebenso wie mich oder er hatte einfach nur in meiner Frage meine Abneigung gehört und fand meine Einstellung ihr gegenüber nicht angemessen. Was immer es war, eines war sicher. Dieser Abend würde nicht annähernd so schön verlaufen, wie ich es mir vor ein paar Minuten noch vorgestellt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)