Nowhere to hide ~ Nowhere to live von absinthe (Edward und Bella treffen sich durch Zufall und sind sofort voneinander fasziniert. Ein unerwartetes Ereignis lässt sie sich wieder treffen, doch anders als erwartet. Ihre beiden Elternteile wollen heiraten...) ================================================================================ Kapitel 3: ignorance is the worst thing someone loved can do to you ------------------------------------------------------------------- Schneckenbesteck (sonst könnte wahrscheinlich keiner was mit meiner Beschreibung anfangen ;)): http://foodbilder.huettenhilfe.de/wp-content/uploads/2008/07/schneckenbesteck-080518.jpg ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Während der gesamten Fahrt wechselten wir kein einziges Wort miteinander. Manchmal schielte ich unauffällig zu ihm herüber und jedes Mal war ich von neuem überrascht, wie starr er dasaß. Als wäre er komplett eingefroren. Bei dieser Kälte hier im Auto wunderte mich das allerdings nicht. Nur hin und wieder ballte er die Fäuste, dann streckte er seine Finger wieder. Unsere Blicke trafen sich nie. Seiner war nach draußen gerichtet, genauso wie es meiner die meiste Zeit war. Die Häuser um uns herum wurden langsam niedriger und zwischen einigen konnte ich die Oberfläche des Wassers sich spiegeln sehen. Wir mussten uns in der Nähe des Hafens befinden. Als wir schließlich bei dem Restaurant ankamen, konnte er es scheinbar gar nicht erwarten, endlich das Auto zu verlassen, nachdem der Chauffeur die Tür geöffnet hatte. Verdammt noch mal, was hatte dieser Kerl für ein Problem? Natürlich war es eine unangenehme Situation, aber deswegen gleich so ein Verhalten an den Tag zu legen, war doch absurd! Wir mussten uns doch einfach nur daran gewöhnen und dann würde alles von ganz allein besser werden. Hoffte ich jedenfalls… Der Eingang bestand aus einer großen Doppeltür aus dunklem Holz und Glas, und davor hatte er eine grüne, halbrunde Überdachung aus Stoff, wie es in alten Filmen immer zu sehen war. An beiden Seiten standen große, runde Blumentöpfe. Wie ich es mir schon gedacht hatte, ein sehr feines Restaurant. Ich fühlte mich fast fehl am Platz mit meinem Outfit, das einfach nicht zu dieser gehobenen Atmosphäre passen wollte, und Edward sah mit seiner dunklen Jeans und seinem schwarzen Hemd auch nicht viel besser aus. Er wartete übrigens überraschender Weise vor der Tür auf mich, auch wenn er strickt meinem Blick auswich. Etwas unbeholfen lief ich auf ihn zu. Als ich nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt war, ging er hinein, als wolle er den Abstand zwischen uns beibehalten, den wir im Auto aufgebaut hatten. Ich kam nicht drum herum, mich schlecht zu fühlen, obwohl es keinen einzigen Grund dafür gab. Wir traten in eine kleine Vorhalle, auf deren gegenüberliegenden Seite sich ebenfalls eine Doppeltür befand, nur dass diese komplett aus Glas war. Dahinter konnte ich den eigentlichen Speiseraum erkennen. Neben diesem Eingang gab es einen Pult, hinter dem ein großer, schlanker Mann mit grauen Haaren stand und uns bereits fragend anschaute. Seine Ausstrahlung konnte man leicht als arrogant bezeichnen, war aber wahrscheinlich eher nur distanzierte Freundlichkeit, die er jedem Gast entgegenbrachte. Als er dann jedoch Edward erblickte, hellte sich seine Miene auf, als würde er ihn kennen. Und das schien tatsächlich der Fall. “Ah, guten Abend, Mr. Cullen”, begrüßte er ihn. “Hallo, François. Mein Vater hatte für heute Abend einen Tisch für vier reserviert.” “Natürlich. Einen kleinen Augenblick.” Der Mann sah in ein Buch, das vor ihm lag und fuhr langsam eine Liste mit Namen hinunter, ehe er mit einem Lächeln wieder aufsah. “Da haben wir es. Wenn Sie mir bitte folgen würden.” Er kam hinter seinem Pult hervor und betrat das Restaurant. Wir folgten ihm langsam. Der Anblick hier war wirklich überwältigend. Überall standen große und kleine, runde Tische, von denen die meisten besetzt waren und deren Gäste sich angeregt unterhielten. Dazwischen war immer wieder das leise Geräusch von Besteck und im Hintergrund Klaviermusik zu hören. Aufgeheitert wurde alles durch ein paar Pflanzenbänke in hüfthohen Trennwänden, die verteilt einzelne Bereiche abschotteten, oder kleine Bäume in Töpfen, die hier und dort aufgestellt waren. Die Wand der hinteren Hälfte des Raumes bestand vollkommen aus Glas. Man konnte nach draußen sehen und erkennen, dass das Lokal direkt am Wasser errichtet worden war. Es gab auch eine Terrasse, auf der ebenfalls Tische standen und genau dorthin wurden wir geführt. Der Boden draußen war aus schmalen, gerillten Holzdielen zusammengesetzt. Es gab hier ebenfalls ein paar aufgestellte, hohe Pflanzen. In regelmäßigen Abständen waren zwischen den Tischen schlanke, säulenähnliche Lichtquellen aufgestellt, deren äußere Umrahmung wie Papier wirkte. Die ganze Terrasse wurde von einem niedrigen Geländer aus Eisenstangen umrundet, deren glatte Oberfläche im fahlen Mondlicht silbern schimmerte. Wir wurden zu einem runden Tisch direkt am Wasser geführt. Meine Mom und ihr Verlobter waren seltsamerweise noch nicht da. Dabei waren wird doch die, die sich beeilen mussten. Es gab genau vier Stühle. Der Angestellte schob einen von ihnen zurück und bedeutete mir mit einem höflichen Blick, mich zu setzen. Ich tat, wie mir geheißen und gleich nachdem meine Kniekehlen die Kante des Polsters berührt hatten, schob er ihn auch schon wieder an den Tisch und zwang mich praktischerweise, mich ganz zu setzen. “Danke”, murmelte ich. Er nickte kurz, dann verschwand er. Edward nahm am weitesten entfernt von mir Platz und musterte angestrengt die Umgebung. Seit ich in die Limousine gezogen wurde, hatte er mich kein einziges mal angesehen. Auch wenn ich versuchte, diesen Umstand so gut es ging, zu ignorieren, kam ich doch nicht umhin, mich wegen diesem Verhalten genervt zu fühlen. Hoffentlich würden die beiden fehlenden Personen bald kommen, damit dieser Abend endlich ein Ende nahm. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und tat genau dasselbe wie er. Überall hinsehen, nur nicht zu ihm. Meine Hände verkrampften sich ungewollt, je länger die Anspannung zwischen uns wuchs und erst durch die Stimme des Kellners unterbrochen wurde. “Darf ich Ihnen vielleicht schon etwas zu trinken bringen?” “Wasser”, bestellten wir gleichzeitig und zum ersten Mal trafen sich unsere Blicke wieder. Edward presste seine Lippen aufeinander und wandte sich wieder ab. Ich musste schlucken. Soviel Feindseligkeit tat einfach weh. Die Bedienung sah ebenfalls etwas verwirrt aus und machte letztendlich schnell kehrt. Ich leistete der Stille neben mir wieder Gesellschaft und blieb mit meinen Augen dann am Tisch hängen. Erst jetzt nahm ich richtig wahr, was dort alles lag. Oh, wenn ich mich nicht zusammenriss, würde das definitiv ein schlimmer Abend werden. Das Blumengesteck und das künstliche, zylindergroße und -hohe, beigefarbene Windlicht, dass unserem Tisch etwas Helligkeit schenkte, sahen wirklich noch nett aus, aber der Rest unserer Gedecke da schon weniger. Ich hatte mit meiner Mutter schon oft außerhalb gegessen und auch Mehr-Gänge-Menüs, doch das, was sich mir hier bot, hatte ich noch nie gesehen. Jedenfalls teilweise nicht. Alles zusammen gezählt, schloss ich auf circa sieben Gänge und nur die Hälfte der Bestecke kannte ich. Neben den alltäglichen ‘Werkzeugen’ gab es noch ein Messer mit einem kleinen Loch in der Mitte, eine Zange, dann eine Zange, deren Kopf oval war, eine Art Nadel mit einer unglaublichen Länge von ungefähr fünfzehn Zentimetern und kleine Gabeln mit nur zwei Spitzen. Mir klappte leicht der Mund auf, während meine Finger kurz über das Metall jedes einzelnen Utensils strichen. “Einfach von außen nach innen vorarbeiten.” Erschrocken drehte ich mich nach hinten, um in das warmherzige Lächeln eines großen, blonden Mannes zu schauen. “Du musst Bella sein. Esmes Tochter, nicht wahr? Ich bin Carlisle”, stellte er sich vor. Hastig stand ich auf - und stieß mit meinem Bein leicht an die Tischkante, sodass die Gläser darauf, kurz aneinander stießen und ein klirrendes Geräusch von sich gaben. Edward sah einen Augenblick auf das schwankende Glas, jedoch konnte ich seinen Blick nicht richtig deuten. Der Mann, der uns an den Tisch gebracht hatte, war ebenfalls wieder da. “Ja, die bin ich”, antwortete ich Carlisle und hielt ihm meine Hand hin. “Hallo.” Er nahm sie entgegen und gab mir einen festen und doch sanften Händedruck. “Freut mich, dich endlich kennen zu lernen. Deine Mutter hat schon soviel von dir erzählt.” Hat sie das, ja? Wenigstens konnte ich feststellen, dass ihr Geschmack nicht nachgelassen hatte. Ihr Verlobter gehörte mit Sicherheit zu der gut aussehenderen Seite der Männer um die Vierzig. Aber es war ja sowieso das männliche Geschlecht, das erst mit dem Alter wirklich attraktiv und interessant wurde. “Bella!” Das war eindeutig meine Mom, die da hinter dem Rücken dieses blonden Schönlings hervor- und mit ausgebreiteten Armen auf mich zukam, um mich zu drücken. Sie hatte sich wirklich hübsch gemacht und sah so ganz anders aus in dem schwarzen Cocktailkleid. Ich erwiderte ihre Geste. “Hallo, Mom.” “Tut mir Leid, dass wir euch solange haben warten lassen, aber du weißt ja, wie das ist”, entschuldigte sie sich. “Schon in Ordnung. Wir waren ja selbst etwas knapp dran.” Als sie sich von mir lehnte, sah sie mich überrascht an, lächelte dann aber. Ich hatte wirklich nicht das Bedürfnis, ihr mitzuteilen, was alles passiert war. Nein, ganz bestimmt würde ich ihr das nicht erzählen. “Hallo, Edward”, wandte sie sich jetzt an ihn und ging auf ihn zu, um… ihn auch zu umarmen! Er sah nicht wirklich danach aus, als würde ihm das recht sein, doch sich wehren tat er auch nicht. “Hallo”, grüßte er trocken zurück. “Edward, würde es dir etwas ausmachen, neben Bella zu sitzen? Ich würde nämlich gerne neben Esme Platz nehmen.” Angesprochener sah seinen Vater mit großen Augen an, was ich selbst ebenfalls tat, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass ihm das passte. Er setzte wieder seine harte Steinmaske auf, grummelte etwas unverständliches und kam letztendlich doch an meine Seite. Carlisle sah ihn verwirrt an und ich fragte mich, ob er etwas von dem Gemurmel gehört hatte. Jedoch hakte er nicht weiter nach. Der Platzanweiser rückte auch Esmes Stuhl zurück, um sie an den Tisch zu setzen, ehe er wieder ging. Zur gleichen Zeit kam der Kellner mit unseren Getränken und stellte sie vor uns ab. “Bringen Sie uns doch bitte gleich eine große Flasche Wasser”, bestellte Carlisle, nachdem er auch endlich saß. “Sehr gerne.” Und schon war der Ober wieder verschwunden. “Wie ich sehe, hat das Abholen geklappt”, meinte Esme und lächelte Edward und mich an. Nachdem keiner von uns etwas erwiderte, antwortete ich mit einem Ja. Erwartungsvoll huschten ihre Augen zwischen uns beiden hin und her, dann nahm sie die Hand ihres Zukünftigen und umschloss sie mit ihren zarten Fingern. “Ich bin sicher, dass ihr euch blendend verstehen werdet, wenn ihr euch erst besser kennt.” Als hätte sie den Frost zwischen uns gespürt. “Das denke ich auch”, pflichtete Carlisle ihr bei und bedachte sie mit einem innigen Blick, der ein Stechen in meiner Brust verursachte. Wenn ich es nicht besser wüsste, wäre ich davon ausgegangen, dass sie das absichtlich machten. Aus den Augenwinkeln sah ich zu Edward hinüber. Er betrachtete das Pärchen vor uns mit schmalen Augen. Die Bedienung kam wieder und versorgte die restlichen beiden mit zwei Extragläsern und Wasser. Außerdem hatte sie eine Flasche Wein dabei, die sie Carlisle jetzt vorstellte, ehe diese auf eine komplizierte Weise geöffnet und ihm ein Probeschluck eingegossen wurde. Er schwenkte kurz das Glas, roch am Bouquet und probierte letztendlich. Kurz schmeckte er die Flüssigkeit in seinem Mund, bevor er sie herunterschluckte und nickte. Der Kellner nahm das als Aufforderung, zwei der vier Weingläser mit etwas mehr zu füllen. Zwar wurden wir ebenfalls gefragt, da er sich wohl nicht sicher war, ob wir schon alt genug waren, doch wir lehnten beide ab. Anschließend gab er jedem von uns eine Menükarte in die Hand, sodass wir uns ansehen konnten, was es gab. Nur leider verstand ich rein gar nichts von dem, was dort stand. Es war alles auf französisch und meine Grundkenntnisse reichten nicht aus, um aus einer Speisenfolge schlau zu werden. Ich ließ mir meine Unkenntnis aber nicht anmerken. Was immer es war, ich würde es schon hinunter bekommen. Carlisle gab die Karte mit einem Nicken wieder ab, ebenso wie wir. Als wir vier wieder allein waren, lehnte sich meine Mutter ein Stück nach vorne und stützte die Ellenbogen auf die Tischoberfläche. Ein Lächeln auf ihren Lippen. “Ich habe gute Nachrichten für euch. Der Ausbau eurer Zimmer ist so gut wie fertig. Es fehlen nur noch die Feinarbeiten. Ich denke, Ende nächster Woche könnt ihr einziehen.” Sie erwartete wohl, dass wir uns freuen würden, doch danach sahen wir nicht aus. Dass das Gegenteil der Fall war, zeigten wir aber genauso wenig. Wenn ich daran dachte, mit diesem… Eisklumpen in einem Haus zu wohnen… “Von mir aus müsst ihr euch damit nicht beeilen. Ich kann auch noch etwas länger in der Wohnung bleiben”, meinte ich. Esme schüttelte den Kopf. “Ich hab dich schon viel zu lange nicht mehr um mich gehabt. Am liebsten würde ich dich gleich heute schon mit nach Hause nehmen… Und Edward natürlich auch”, fügte sie noch mit einem Lächeln in seine Richtung hinzu. Wenn er etwas bei dieser Bemerkung empfand, dann zeigte er es nicht. Er hatte seine Arme auf die Tischkante gelegt und nur kurz zu ihr aufgesehen, ehe er wieder die Tischmitte betrachtete. “Fühlst du dich nicht wohl, Edward?” fragte sein Vater ihn. Scheinbar war ihm der Zustand seines Sohnes aufgefallen. Wieder sah er auf. “Nein, nein. Alles bestens. Nur etwas Schulstress, über den ich gerade nachdenke.” Ob das wirklich die Wahrheit war? So ganz kaufte ich ihm seine Erklärung nicht ab. Ich war mir fast sicher, dass es an mir lag. Carlisle nickte. “Und was genau? Vielleicht kann ich dir ja helfen.” Einer von Edwards Mundwinkeln zuckte leicht nach oben. “Wohl kaum.” “Versuch es doch mal.“ Sein Vater ließ nicht locker. “Es ist wirklich nicht so wichtig”, würgte er ihn ab. Carlisle musterte ihn kurz skeptisch, beließ es aber dabei. “Wie du meinst.” Eine Stille legte sich wieder über uns, dessen Spannung scheinbar nur Edward und ich wahrnahmen, während unsere Eltern damit beschäftigt waren, sich wieder gegenseitig anzuschmachten. Ich musste wegschauen. Schon bald kamen zwei Kellner zu uns und servierten den ersten Gang. Als ein etwas größerer Teller in die Mitte gestellt wurde und ich sah, was es war, wurden meine Augen immer größer. Es war mehr eine Schale mit gestoßenem Eis darin, um die eigentliche Beilage zu kühlen. Muscheln. Austern, um genau zu sein. Erstens hatte ich keine Ahnung, wie ich das essen sollte und zweitens wusste ich nicht, ob es mir schmecken würde, denn allein der Anblick drehte mir den Magen um. Ich hatte schon oft gesehen, dass man sie schlürfte und dass viele es als Delikatesse ansahen. Und weil ich mich meiner Mutter zuliebe nicht blamieren wollte, würde ich es wohl hinunterwürgen müssen. Angestrengt versuchte ich, meine Abneigung zu verbergen, doch Carlisle bemerkte meinen Blick trotzdem. “Es ist nicht so schlimm, wie du denkst. Sie sind wirklich sehr lecker. Im Grunde schmeckst du nicht mehr als Salzwasser.” Ich lächelte ihn zum Dank an, auch wenn seine Worte nicht wirklich bei dem Problem halfen. Er kicherte. “Pass auf. Ich zeige es dir.” Damit nahm er eine der halbierten Muscheln in die Hand, träufelte ein bisschen Zitrone hinauf und hielt es sich an die Lippen. Leicht neigte er seinen Kopf nach hinten und hielt zum Schutz eine Hand unter, als er es in seinen Mund schlürfte, wo er kurz kaute und es dann hinunterschluckte. Anschließend schmiss er den Rest in eine extra dafür vorgesehene Schüssel. “Siehst du? Es ist ganz einfach. Du musst es nur zweimal durchkauen und dann einfach schlucken. Versuch es mal.” Ich hörte ein leises Schnauben neben mir und sah, dass jemand mit bronzenen Haaren den Kopf schüttelte. “Edward, sei nicht so gemein. Ich weiß noch ganz genau, wie du dich das erste Mal dabei angestellt hast”, mahnte sein Vater ihn. Also dachte er, ich wäre nicht dazu in der Lage, ja? Ha! Er würde schon sehen, dass ich schneller lernen konnte, als so manch anderer. Mutig nahm ich eine der Austern und tat genau das, was mir eben noch gezeigt wurde. Ein bisschen Zitrone, eine Hand unter halten, damit das Eiswasser nicht auf die Kleidung tropfte und dann zum Mund führen. Kurz vorher hielt ich dann doch inne. Alle Augen waren auf mich gerichtet, und wenn ich mich nicht irrte, dann auch zwei, die mich normalerweise den ganzen Abend schon ignorierten. Ich überwand die letzte Unsicherheit, konnte aber nicht verhindern, dass mein Gesicht sich verzog, als ich die wackelige Masse an meinen Lippen spürte. Augen zu und durch… Ich schlürfte das Zeug in meinen Mund, kaute kurz drauf herum und schluckte anschließend so schnell wie möglich. Mein Gesicht verzog sich, allerdings nur im ersten Moment. Ich erwartete einen fürchterlichen Geschmack, doch dem war nicht so. Carlisle hatte Recht gehabt. Es schmeckte wirklich nur nach Meerwasser und Zitrone. Ich nahm die Serviette, um meine Hände darin abzuwischen. Noch immer starrten mich alle an. “Und?” fragte meine Mutter, als sie es nicht mehr aushielt. “Man kann es essen”, antwortete ich. Sie lächelte. Jedoch nicht in meine Richtung, sondern neben sich zu jemand ganz bestimmten. War ich etwa dazu verflucht, das den ganzen Abend aushalten zu müssen? Ich atmete tief ein und aus, und wandte mich wieder den Austern zu. Während wir aßen, verfielen wir in einen leichten Smalltalk, bei dem Edward mich weiterhin gekonnt mied. Ich hatte nach zwei weiteren Muscheln genug und ich brauchte den Freiraum in meinem Magen noch. Wer wusste schon, was ich noch alles essen musste. “Apropos Schule”, fing Carlisle plötzlich an. “Montag hast du ja deinen ersten Schultag in der neuen High School, Bella.” Musste er mich daran erinnern? Ich lächelte verhalten. “Jap.” “Es wäre doch schön, wenn Edward dich immer mitnehmen könnte. Du hast noch kein Auto und ich bin sicher, dass mein Sohn nichts dagegen hat, nicht wahr?” Sein Blick huschte zu dem eben genannten. “Ist das wirklich nötig? Sie kann doch auch mit dem Fahrrad hinfahren”, beklagte dieser sich. “Ihr seid bald Geschwister”, erinnerte er ihn - oder besser gesagt uns. Meine Kehle schnürte sich zu und mein Sitznachbar sog scharf die Luft ein. “Aber ich hab noch nie jemanden in mein Auto gelassen”, widersprach er kühl. “Dann wird es Zeit, dass du das änderst.” Mr. Cullens Stimme hatte auf einmal einen leicht autoritären Unterton und sofort sagte sein Sohn kein Wort mehr. Stattdessen grummelte er “Wenn es sein muss…” Meine Mutter sah leicht mitgenommen aus. Diese kleine Auseinandersetzung war nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. Sie hoffte, dass wir uns alle verstehen würden - ohne jegliche Konflikte. Ich widmete jetzt meine gesamte Aufmerksamkeit dem zweiten Gang, der serviert wurde. Mit diesem hatte ich Gott sei Dank keine Probleme. Mit einer Suppe konnte jeder umgehen. Dieses Mal verlief das Essen fast schweigend. Bedrückend schweigend. “Mein Gott, man könnte denken, ihr würdet euch in einer Beziehungskrise befinden. So wie ihr euch benehmt”, warf Carlisle ohne Vorwarnung in die Runde. Geschockt starrten Edward und ich ihn an, der gleich darauf seine Arme zur Abwehr hob. “Das war nur ein Scherz”, rechtfertigte er sich auf einmal. “So etwas würde ich euch doch niemals zutrauen, geschweige denn verlangen.” Offensichtlich hatte er unsere Reaktionen falsch verstanden, obwohl er nahe dran war mit seiner kleinen Anmerkung. Nur langsam entspannten wir uns wieder. Das Eis war dennoch nur halb gebrochen und das vor allem auf der Seite unserer Eltern, die sich immerzu leise etwas zuflüsterten und leise kicherten. Konnten sie damit denn nicht wenigstens solange warten, bis ich wieder Zuhause war? Das war ja unerträglich. Frisch verliebte konnten einen wirklich wahnsinnig machen. Noch dazu wenn man gerade selbst gerne so etwas erleben würde. Unsere Teller wurden abgeräumt und überraschenderweise drehten sich meine Mom und ihr Verlobter wieder uns zu. “Edward, ich würde dich gerne um einen weiteren Gefallen bitten.” Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er seinen Vater an. “Du kennst dich in der Schule aus. Sei bitte so nett und zeig ihr an ihrem ersten Tag alles. Die Klassenräume, das Gebäude… Erklär ihr alles nötige. Wir wollen doch, dass sie einen schnellen Einstieg findet.” Ich öffnete meinen Mund, schloss ihn aber rasch wieder. Ich erwartete, dass Edward darauf protestieren würde, doch nichts dergleichen geschah. Offenbar hatte sich die vorhin gespürte Autorität nicht nur zufällig untergemischt. Dabei wirkte Mr. Cullen doch recht freundlich. “Mach ich”, antwortete er. Ich hatte mich geirrt, als ich dachte, er wäre eingeschüchtert. Jetzt klang er eher gelangweilt, vielleicht sogar ein wenig beleidigt. Am liebsten hätte ich ihm gegen das Schienbein getreten. Er führte sich auf, als wäre er das einzige Opfer hier. Esme schmunzelte, als sie sein Verhalten betrachtete. Sie nahm die Hand ihres Verlobten und zog ihn zu sich herunter, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Ein kleines Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, als er sie ansah, dann gab er ihr einen Kuss. Mein Herz flatterte augenblicklich und ich sog tief die Luft ein, als ich das sah. Schnell drehte ich meinen Kopf in eine andere Richtung, nur um festzustellen, dass bereits der nächste Gang kam. Als mir mein Teller hingestellt wurde, musste ich schlucken. Das würde ich nie hinunter bekommen. Schnecken! Wer kam auf die Idee, Schnecken zu servieren? Das konnte ich unmöglich. “Stimmt was nicht, Liebes?” fragte mich meine Mom. “Alles bestens.” Die Lüge war offensichtlich, so sehr wie meine Stimme dabei gezittert hatte. Esme lachte. “Du wirst gar nicht merken, dass es Schnecken sind. Wenn Carlisle mich nicht auf sehr überzeugende Weise überredet hätte, sie zu probieren, wüsste ich heute noch nicht, dass das mittlerweile eins meiner Lieblingsgerichte ist.” Skeptisch betrachtete ich sie, ehe meine Augen wieder die toten Tierchen vor mir musterten. Alle fingen bereits an zu essen, nur ich nicht. Kurz linste ich hinüber, um zu sehen, wie sie es überhaupt bewerkstelligten. Jetzt wusste ich, wozu eine der beiden Zangen gut war. Die mit dem ovalen Kopf war perfekt dazu geeignet. Die Form des Gehäuses passte hervorragend hinein. Ich nahm eine der Schnecken damit auf und nahm die dazugehörige kleine Gabel in die Hand. Ich wusste nicht recht, wie ich das Fleisch dort hinaus bekommen sollte und stocherte mehr unbeholfen darin herum. Dummerweise drückte ich einmal zu fest hinein, sodass das Objekt aus dem Griff der Zange rutschte, auf den Tisch fiel und dann über die Kante auf den Boden zwischen Edward und mir rollte. “Ich glaub das einfach nicht”, hörte ich jemanden neben mir murmeln und warf ihm sofort einen scharfen Blick zu. Doch er achtete gar nicht darauf. Seine Augen waren schmal und eine seiner Brauen nach oben gezogen, als er nach unten auf das Etwas schaute. Ich beugte mich hinunter und hätte mich ihm nächsten Moment am liebsten selbst geohrfeigt, dass ich überhaupt vorhatte, dieses dämliche Teil aufzuheben, denn ein gewisser Jemand neben mir beugte sich zur gleichen Zeit hinunter. Ein dumpfes Dong, als wir zusammenstießen. Wir beide hielten uns mit schmerzverzerrten Gesichtern den Kopf und hockten halb unter dem Tisch. Ich sog zischend die Luft ein und rieb mir die pochende Stelle. Das würde garantiert einen Beule geben. Dieser Kerl hatte aber auch einen harten Schädel. Wenigstens erging es ihm nicht besser. “Kannst du nicht aufpassen?” fuhr ich ihn an. “Wer kann denn hier nicht richtig essen?” erwiderte er in der gleichen Tonlage, sah mich dabei aber nicht an, sondern schloss genervt die Augen. Carlisle kicherte und Esme konnte ihr Lachen kaum unterdrücken. Toll! Jetzt fühlte ich mich auch noch wie ein Zirkusentertainer. Konnte der Abend nicht einfach schon zu Ende sein? Ich wollte noch etwas entgegnen, doch da hatte er sich schon wieder auf seinen Stuhl gehievt. Mit einem knurrenden Seufzer folgte ich seinem Beispiel. Mir war der Appetit derweil vergangen. Nicht dass ich überhaupt welchen auf diese Speise gehabt hatte. Ich ließ diesen Gang aus und als endlich er abgeräumt wurde und aus meinem Blickfeld verschwand, konnte ich erleichtert ausatmen. “Nächstes Mal”, grinste meine Mom verschlagen. Als wenn ich noch einmal den Versuch starten würde, Schnecken zu essen. “Bestimmt nicht”, gab ich entschlossen zurück, worauf sie nur schmunzelte. Es dauerte nicht lange, da war auch schon der vierte Gang im Anmarsch. Zu meiner Überraschung war es ein Minze-Parfait. Also Eis. Etwas entspannendes. Etwas, das ich ruhigen Gewissens kosten konnte. “Wie läuft es eigentlich mit deiner Werbetour?” schlug Esme ein neues Thema an und betrachtete ihren Zukünftigen mit einem neugierigen Blick. “Bis jetzt wunderbar. Ich kann mich nicht beklagen. Außer vielleicht, dass ich nächste Woche einen sehr vollen Terminkalender habe und dich kaum sehen kann.” Wieder dieser sehnsüchtige Blick! “Was für eine Werbetour?” fragte ich, um die beiden aus ihrer Trance zu holen. “Carlisle hat sich vor einiger Zeit für das Amt des Präsidenten als Kandidat seiner Partei vorgestellt. Die Vorwahlen haben gerade angefangen, Bella”, erklärte Esme und betrachtete mich verwundert. “Das müsstest du doch eigentlich wissen.” Mir fielen fast die Augen heraus. Natürlich wusste ich das. Und ich hatte den Namen Cullen auch schon mal in Verbindung mit diesem Thema gehört. Bisher hatte ich mich allerdings nie sonderlich für Politik interessiert. Aber wer konnte denn ahnen, dass der Verlobte meiner Mutter - mein zukünftiger Stiefvater - dieser Cullen war? Der Politiker, der Präsident werden wollte? Wenn ich es mir jetzt recht überlegte, erinnerte ich mich ganz dunkel, dass sie mal erwähnt hatte, er sei Mitglied im Senat. “Oh, Bella, er hat soviel vor, wenn er es erst einmal geschafft hat. Zum Beispiel das Krankensystem verbessern und eine Pflichtkrankenversicherung einführen”, schwärmte sie auf einmal. “Falls ich gewinne”, korrigierte Carlisle sie. Ich hörte sie noch etwas reden, doch verstehen konnte ich sie nicht mehr, da ich plötzlich aufstöhnen musste, als höllische Schmerzen durch meinen Kopf schossen. Ich hatte das Eis zu schnell gegessen. Mein Handballen drückte auf meine Stirn, als würde das dieses Ziepen verschwinden lassen. “Alles in Ordnung, Schatz?” fragte meine Mutter besorgt. Ich nickte, auch wenn das Gefühl nur langsam wieder abklang. “Edward, du grinst ja.” Bei Carlisles Worten schoss mein Kopf automatisch zur Seite, doch alles, was ich sah, waren zwei Augen, die mich nur böse anfunkelten und schon in der nächsten Sekunde ihre Richtung änderten. Ich hielt das langsam nicht mehr aus. Wie konnte sein Verhalten in nur wenigen Stunden von total glücklich in vollkommen ablehnend, ja fast schon hassend wechseln? Wusste er denn nicht, wie weh sein Verhalten tat? Er sollte mir ja nicht gleich um den Hals fallen, nur etwas freundlicher mit mir umgehen. Ich rieb mir noch einmal die Stirn und wandte mich dann dem Rest meines Parfaits zu. An den Gesprächen, die jetzt wieder von neuem anfingen, beteiligte ich mich so gut wie gar nicht mehr. Ich wollte einfach nur weg von hier. Kurz nachdem unser Tisch wieder abgeräumt wurde, kam ein weiterer Kellner, um für den Hauptgang einen anderen Wein zu präsentieren und zu öffnen. Mit der gleichen Prozedur wie beim ersten Mal. Der fünfte Gang selbst ließ mich staunen und gleichzeitig machte ich mir Sorgen, wie ich das jetzt schon wieder schaffen sollte. In meiner alten Schule wurde einem nämlich nicht beigebracht, wie man Hummer aß. Etwas unschlüssig saß ich vor meinem roten Riesenkrebs. Seine kleinen schwarzen Augen sahen mich an und obwohl ich wusste, dass er schon längst tot war, hatte ich beinahe Mitleid mit ihm. Wieder mal wusste ich nicht, wie ich anfangen sollte. Alle anderen schon. Ich nahm mir einfach ein Messer und eine Gabel, die noch zwischen den anderen unbekannten Bestecken lagen und fing an, mich an den Scheren zu schaffen zu machen. Wie sollte dieses Tier schmecken? Angeblich nach Hühnchen. Mal sehen, ob das stimmte. “Ehm, Bella, für Hummer benutzt man diese Zan-” Noch bevor mein Vater in spe seinen Satz beendet hatte, rutschte die Klinge meines Messers ab und schleuderte die Riesenschere samt Saucenspritzer schräg in meine Richtung. Instinktiv schloss ich meine Augen und erwartete bereits den Treffer, doch nichts geschah. Langsam blickte ich wieder auf, konnte aber außer ein paar Flecken auf meiner weißen Hose nichts erkennen. “Oh mein Gott”, flüsterte meine Mom und starrte mit großen Augen an mir vorbei, ihr Verlobter war nicht besser. Langsam drehte ich meinen Kopf ebenfalls zur Seite und ahnte bereits schlimmes. Ich wurde nicht enttäuscht. Edward saß da, den Blick stur nach vorne gerichtet, seine Nasenflügel aufgebläht und ein zorniges Gesicht. Langsam sah ich an ihm hinunter. Seine Brust hob und senkte sich viel zu stark und viel zu schnell. Obwohl sein Hemd schwarz war, konnte ich Sauce darauf glitzern sehen und je tiefer mein Blick sank, umso mulmiger wurde mir. Dort… auf seinem Schoß lag eine leuchtendrote Hummerschere und beschmutzte seine Jeans. Ich hielt den Atem an. Das hatte ich wirklich nicht mit Absicht getan und es tat mir ernsthaft Leid. “Edward, ich…” setzte ich an, konnte aber nicht weiter sprechen. Wie von der Tarantel gestochen stand er auf, schmiss seine Serviette auf den Tisch und ging ins Restaurantinnere. Ich wandte mich wieder den anderen beiden zu. “Ich wollte das wirklich nicht”, stammelte ich betreten. “Ich weiß”, tröstete mich Esme. “Entschuldigt mich kurz”, sagte ich leise und stand ebenfalls auf, um hineinzugehen. Drinnen fragte ich einen der Bediensteten nach den WC-Räumen. Sie lagen in einem abgelegenen Gang neben dem Hauptraum. Das Licht war dort etwas dunkler. Außerdem wurde der Flur zusätzlich von einem großen Baum mit einer Menge Blättern abgeschirmt. Hastig lief ich auf die Damentoilette. Ich riss ein paar Papierhandtücher ab, die wirklich sehr weich waren, feuchtete sie an und versuchte so gut es ging, meine Hose zu reinigen. Nach etlichen Versuchen, die die Flecken eher ausbreiteten und alles nur noch schlimmer aussehen ließen, gab ich auf. Seufzend und mit geschlossenen Augen stützte ich mich auf dem Waschbeckenrand ab. Ich hatte ja gewusst, dass dieser Abend schrecklich werden würde. Aber so schlimm? Das konnte doch alles nicht wahr sein. Und Edward war auch noch sauer auf mich. Warum konnte er die Sache nicht einfach so hinnehmen, wie ich es tat? Konnte ich das denn überhaupt? Natürlich konnte ich das. Ich musste es. Eine andere Lösung gab es einfach nicht. Ich öffnete meine Augen wieder und betrachtete mich im Spiegel. Ich sah nicht gerade erfrischend aus, eher ziemlich fertig. Tief durchatmen, Bella. Ich tat, was ich mir selbst eben zugesprochen hatte und holte tief Luft. Noch einmal nickte ich meinem Spiegelbild zu, dann ging ich wieder hinaus. Ich schloss die Tür hinter mir, während neben mir gerade genau dasselbe getan wurde. Als ich in die Richtung sah, beschleunigte sich mein Herzschlag wie selbstverständlich. “Edward…” Der distanzierte Blick in seinen Augen lag kurz auf mir, bevor er schnurstracks an mir vorbeiging. “Edward, warte!” sagte ich etwas lauter und hielt ihn am Arm fest. Sofort riss er sich los, blieb aber mit dem Rücken zu mir stehen. “Was?” presste er zwischen seinen Zähnen hervor. “Bitte hör auf, mich so zu ignorieren”, flehte ich. Er gab keine Antwort. “Schrei mich an, wirf mir irgendetwas an den Kopf, wenn du dich danach besser fühlst, aber lass mich nicht so im Dunkeln stehen. Wenn du mich so hasst, dann sag mir wenigstens warum.” Meine Stimme wurde immer leiser. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute er mich plötzlich an. “Ist das etwa dein Ernst?” “Wa-” “Du willst wissen, warum ich mich so verhalte?” unterbrach er mich. Ich nickte still, hatte aber gleichzeitig Angst vor seiner Antwort. Seine Gesichtszüge verhärteten sich. “Ich hab euch schon längst durchschaut. Du und deine Mutter. Ihr wollt euch doch nur unser Geld unter den Nagel reißen!” Meine Stirn legte sich in Falten. “Was?” “Deine Mom war vorhin mehr als offensichtlich”, fuhr er fort. “So wie sie von dem Job meines Vaters geschwärmt hat. Und du bist auch nicht besser.” Ich konnte ihn einfach nur anstarren. Das war alles so surreal. Ich verstand die Welt nicht mehr. “Hab ich dir je einen Grund gegeben, der auf so was deuten lässt?” Sein Mund öffnete sich, als wollte er etwas darauf antworten, schloss ihn dann aber schnell wieder. “Siehst du? Es gibt keinen”, meinte ich und lächelte zögerlich. “Wie die Mutter, so die Tochter.” Seine Augen wurden wieder schmal. “Edward, hör auf damit. Das ist doch alles an den Haaren herbeigezogen. Meine Mom ist überhaupt nicht so. Sie hat sich einfach nur verliebt. Also wirf ihr so etwas nicht vor. Wenn du dich noch an unser erstes Gespräch erinnerst, dann fällt dir vielleicht auf, dass ich gesagt hatte, dass ich genauso wenig begeistert von dieser Heirat bin wie du.” “Wer sagt mir denn, dass das nicht gelogen war? Vielleicht wusstest du ja schon von Anfang an, wer ich wirklich bin.” Meine Augen weiteten sich und wurden langsam feucht. Konnte oder wollte er mir nicht zuhören? “Und wieso hab ich dann zugelassen, dass wir uns… küssen?” flüsterte ich. “Was weiß ich. Vielleicht wolltest du mich einfach nur verführen und deinen Spaß haben.” Fassungslos sah ich ihn an. Soviel Wut wie noch nie stieg in mir auf. “Das ist das lächerlichste, das ich jemals gehört habe”, schrie ich schon fast, ballte meine Hände zu Fäusten und ging einen Schritt auf ihn zu. Seine unerwartete Reaktion war so schnell, dass ich erst bemerkte, was er getan hatte, als er genau vor mir stand und seine Hände an beiden Seiten von mir an der Wand abstützte, an der ich jetzt lehnte. “Ach ja?” flüsterte er gereizt und durchbohrte mich förmlich mit seinem harten Blick. Der plötzlichen Nähe bewusst, fing mein Puls an zu rasen und meine Atmung fiel mir schwerer. Nichtsdestotrotz bildete sich ein Kloß in meinem Hals, den ich einfach nicht hinunterschlucken konnte. “Ich hab noch nicht sonderlich viele Erfahrungen in Beziehungen mit Jungs und du wirfst mir vor, ich würde dich verführen wollten?” fragte ich leise und mit brüchiger Stimme, während ich spüren konnte, wie mir die Tränen die Wangen hinunterliefen. Seine leicht aggressive Haltung machte mir ein wenig Angst. Er blickte mich immer noch finster an, als ich auf einmal eine kleine Regung in seinen Zügen wahrnahm und seine Miene von einer Sekunde auf die andere weich wurde, nur um gleich in der darauf folgenden bitter zu wirken. Er löste den Blickkontakt. “Selbst wenn das stimmen sollte, würde es nichts an der Situation ändern. Wir werden bald Stiefgeschwister sein und daran müssen wir uns gewöhnen”, stellte er klar. “Und was ist, wenn wir es ihnen erklären? Sie würden es bestimmt verstehen.” Mein eigener Vorschlag gab mir wieder Hoffnung, dass das mit uns doch noch klappen könnte, doch als ich Edwards Gesicht sah, wurde sie im Keim erstickt. “Hast du vorhin nicht zugehört? Wir sollen uns anstrengen, eine Vorzeigefamilie zu sein, damit das ein gutes Licht auf meinen Vater in der Öffentlichkeit wirft. Was glaubst du, wie alle darauf reagieren, wenn sie hören, dass die Kinder des Senators Dr. Cullen zusammen sind?” “Aber wir sind nicht blutsverwandt”, warf ich ein. “Denkst du, das interessiert hier auch nur eine einzige Person? Wir wissen das, aber der Rest der Bevölkerung verdrängt gerne Tatsachen, nur um etwas zu reden zu haben und sich das Maul zu zerreißen. Da wird nicht nachgefragt, sondern gleich von Inzest gesprochen.” Darauf wusste ich nichts mehr zu sagen. In meinem Inneren zog sich alles zusammen, obwohl ich ja eigentlich eh davon ausgegangen war, dass es nichts werden würde. Womöglich hatte ich doch noch nicht ganz aufgegeben gehabt und jetzt bildeten Edwards Worte den endgültigen Schlussstrich. “Tut mir Leid”, hauchte er, als sein Daumen meine Tränen wegwischte. Allein diese Berührung brachte wieder das Chaos über mich und ich wusste nicht, welche Reaktion zuerst angefangen hatte: Das Herzklopfen, das unregelmäßige Atmen oder das Kribbeln in meinem Bauch. Er sah mich wieder direkt an, doch dieses Mal war das Leuchten darin nicht feindselig. Zum ersten Mal konnte ich seine Augenfarbe richtig erkennen. Sie war grün. Ein sattes Grün, das ich, wenn ich mich recht erinnerte, noch bei niemandem so zu Gesicht bekommen hatte. Seine Pupillen huschten immer wieder hin und her und trugen eine seltsame Unschlüssigkeit in sich. Ich konnte seinen inneren Konflikt sehen. Der gleiche hatte mich befallen, wobei die Seite der Sehnsucht mit jeder Sekunde mehr Macht gewann. Seine Finger verweilten auf meiner Wange, während sein Gesicht jetzt so dicht war, dass ich mich nur minimal nach vorne hätte beugen müssen und unsere Nasenspitzen würden sich berühren. Sein warmer Atem kitzelte auf meiner Haut und ließ meine Knie weich werden, während ein Schauer über meinen Rücken lief. Nur noch ein paar Millimeter. Ich konnte seine Lippen praktisch schon auf meinen spüren. “Oh, Entschuldigung.” Nur ein Streifen unserer Münder, ehe er seinen Kopf bei der Stimme, die am Eingang des Flures ertönte, zurücklehnte und ihn dann vor mir hängen ließ, sodass ich jetzt auf seine bronzenen Haare sah. Die Dame, die uns eben unterbrochen hatte, war wieder verschwunden. Womöglich war ihr die Situation unangenehm gewesen. Edward hatte sich immer noch an der Wand abgestützt. Ich vernahm genau neben meinem Gesicht einen dumpfen Knall. Er hatte mit seiner Faust gegen die Wand geschlagen und dabei ein “Verdammt!” geflucht. Er stieß sich ab und lief mit schnellen Schritten, und ohne mich noch einmal anzusehen, zurück ins Restaurant. Einen kurzen Moment stand ich reglos da und nur langsam wanderte mein Blick zur Seite. Eigentlich wollte ich ihm hinterher sehen, doch dann fiel mir die Verfärbung an der Wand auf. Meine Augen weiteten sich, als ich erkannte, dass es Blut war. Er musste ziemlich wütend sein, wenn er soviel Kraft in nur einen Schlag gesteckt hatte. Und jetzt war er verletzt. Eilig rannte ich ihm hinterher, bis ich ihn schließlich kurz vor unserem Tisch erreichte. Noch im Laufen packte ich ihn am Arm. Wie vorhin schüttelte er meine Griff ab, als hätte er wieder diese Wand um sich aufgebaut. Mit einem Seufzer setzte ich mich auf meinen Platz. Die Zukunft würde kompliziert werden. Sehr kompliziert. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ So, ich bin gespannt, ob jemand Edwards Schlag richtig deutet...;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)