2178 von Starwings ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- Schwingen, die Schwingen des Todes, sind leise und schwarz wie die Nacht. Legst du einen Finger auf sie, sei dir deines Todes gewiss. Wohin blickst du mit sehendem Auge? Blickst du hinein in Finsternis und Tod? Siehst du wovor wir die Augen verschließen? Wenn ja, wovor willst dun uns dann warnen? Meinst du nicht, wir hätten deine Stimme längst vernommen? Meinst du nicht, wenn unsere Ohren hören könnten hätten wir nicht getan, was wir getan haben? Glaubst du, du kannst ändern was du siehst? Deine Qual besteht darin nicht tun zu können, wonach dein Herz sich sehnt. Fühlst du den Schmerz? Wir haben ihn einfach ignoriert, was kümmert uns der Schmerz anderer? Wir streben nur nach Wissen, aber nicht nach deinem Wissen. Was du weißt, haben vor dir schon viele andere gewusst. Ihre Warnungen, wie deine, konnten nicht verhindern was sowieso geschehen musste. Seltsam, nicht? Du kannst sehen, wie sie. Du kannst hören, wie sie. Du kannst sogar fühlen, genau wie sie. Und deshalb hört deine Existenzberechtigung hier auf. Wer braucht dich schon? Solche wie dich gibt es längst nicht mehr. Na? Was tust du jetzt? Och, solch unnütze Tränen. Und erwartest du etwa Mitleid oder gar Wärme. Du wurdest nicht geschaffen, um all das zu verkörpern, was wir auslöschen wollten. Komm, komm sieh heraus. Was siehst du? Richtig, richtig, du siehst Leid... aber wir,... wir sehen die Zukunft, wir sehen Fortschritt. Wir sehen all das, was du nicht sehen kannst. Wahrheit? Nein, dieses Wort ist seiner Bedeutung beraubt. Deine Lippen, komm schon, was willst du mir sagen? Ah, ich verstehe... richtig, richtig. Unmenschen sagst du? Ja vielleicht sollten wir doch von Wahrheit sprechen. Un-menschen. Denk noch mal darüber nach. Die einzigen auf den der Begriff passt, sind die, die wir geschaffen haben, also auf dich. Nein? Was meinst du mit nein? Also jetzt enttäuschst du mich. Wir sind doch keine Unmenschen. Wir sind die letzten wirklichen Menschen. Du lachst? Das ist das erste Mal soweit ich mich erinnern kann. Humor hattest du noch nie. Oh, sei vorsichtig nach wem du schnappst, kleines Biest. Du erinnerst dich doch noch hieran, oder. Jetzt sieh mich nicht so an. Es ist ja nicht meine Schuld, dass du ein missglücktes Experiment bist. Wir haben da so unsere Erfahrungen mit deinesgleichen. Sehr aufbrausend, aber hiermit seid ihr so schön brav. Richtig, richtig, ihr habt ja gar keine andere Wahl. Wenn ich dich so betrachte wird mir klar, dass ich dich schon viel früher hätte töten sollen. Dein Geist auf einem künstlichen Datenträger, könnte mir mindestens genauso gut widersprechen. Aber leider ist das wohl nicht möglich, du bist ihnen viel zu ähnlich. Viel zu unberechenbar. Ein Geist wie unserer ist viel logischer... hmm, besser. Wir sind die Intelligenz und ihr müsst euch uns beugen. Liebe? Pah, was für ein altmodisches Zeug. Die Kernfusion zweier Zellkerne braucht es schon lange nicht mehr. Wir nehmen ein bisschen hiervon und ein bisschen davon und schon beginnt neues Leben. Mein Vater... meine Mutter? Du fragst nach ihnen? Ja, ich muss zugeben, dass ich diesen Makel besessen habe. Das was du jedoch jetzt siehst, ist nicht aus ihren Genen erwachsen, sondern das habe ich mir alles selbst geschaffen. Ab und zu ein neues Herz oder eine neue Niere, natürlich nur das Beste. Na, na, ich bin doch keine Krankheit und auch kein Schmarotzer. Die "Leben", wie du sie nennst, die ich zerstöre, sind sowieso unwürdig. Genauso unperfekt wie du. Aber was machst du dir überhaupt so viele Gedanken, das war nicht vorgesehen. Na ja, das Glas aus dem du stammst, hat wohl doch zu lange im Regal gestanden, da konnte auch die N-DNS-H nicht mehr helfen. Ach, all die verschwendete Liebesmüh und die ganze Zeit. Aber was soll's, mir bleibt ja eh die Ewigkeit, nicht wahr? Hach, ist das nicht herrlich? Oh, nicht so ausfallend bitte. Ja, so ist besser. Der Schweiß auf deiner Stirn schmeichelt deinen glänzenden Augen. Du hast wirklich schöne Augen, wenn sie nur nicht so widerspenstig wären. Du sagst nichts mehr? Endlich aufgegeben, was? Verschließ nicht die Augen vor mir, das Gespräch ist noch nicht zu Ende. Ich würde dir auch nicht raten, dir den Gefallen zu tun jetzt einfach zu sterben, es gibt Wege und Mittel, mit denen wir dich am Leben erhalten können, wenn es sein muss bis in alle Ewigkeit. Doch bereit mit mir zu sprechen? Sehr schön. Weswegen ich eigentlich hergekommen bin... Langweile? Du beliebst zu scherzen. Nein, ein so wichtiger Mann wie ich hat keine Langeweile, all diese dummen Sklaven brauchen doch jemanden der sie anleitet. Wenn wir uns schon die Mühe machen, sie ohne eigenen Willen zu erschaffen, dann kannst du auch davon ausgehen, dass wir uns was dabei gedacht haben. Sie sind soviel unkomplizierter, meckern nie, führen alle Arbeiten aus und wenn mal jemand bei der Arbeit tot umkippt, wird er gleich von einem neuen "Shell" ersetzt. Sie sind übrigens Geschlechtslos, hab ich das erwähnt? Na ja, ich schweife ab. Meine Arbeit nimmt mich eben total ein. Aber es wird Zeit dir deine Flügel zu stutzen. Diese Panik in deinen Augen. Du willst diese Dinger wirklich behalten. Die engen dich doch nur ein. Ich weiß sowieso nicht, warum dieser Professor unbedingt einen "NMK" mit Flügeln haben wollte. Ha, jetzt bringst du mich zum lachen. Du meinst er glaubt wirklich an Engel? Bei dir doch vielmehr an Dämonen. Ich verbitte mir solche Vergleiche! Du elendes Miststück! Nein, ganz ruhig, nur nicht die Fassung verlieren. Man könnte fast meinen du weinst, wie dir so das Blut aus den Augen rinnt. Und jetzt halt still, es wird auch schön wehtun, das verspreche ich dir, solange bis du ohnmächtig wirst, oder verblutest. Hey was tust du da? Hör auf damit! Lass mich los! Wieso kannst du dich überhaupt bewegen? Hör auf! Nein!! Kapitel 2: Kapitel 1: Begegnung im Regen ---------------------------------------- "Hey, hey... wach auf Kleine, wir haben keine Zeit um ein Nickerchen zu halten..." Diese Stimme, woher kam diese Stimme. Sie schien so unendlich weit weg zu sein. Sie versuchte die Augen zu öffnen, doch es gelang ihr nicht. Sie nahm das Licht außerhalb ihres Bewusstseins wahr, aber mehr nicht. Viel zu erdrückend empfand sie das Gewicht des Schmerzes, der auf ihr lastete. Ein unendlicher Schmerz. "Hey, hörst du mich überhaupt?" Etwas stupste sie in die Seite. Wer war dieser Typ, dass er sie einfach anstupste. Ein zweites Mal. Was erwartete er denn, dass sie aufspringen würde... Oh, wenn sie könnte würde sie das tun und ihm erst einmal einbläuen, wie unhöflich es war fremde Leute einfach so anzustupsen. Mit einem Ruck hievte er sie hoch und beschwerte sich noch darüber, dass sie angeblich zu fett sei. Wenn ich den in die Finger bekomme, dreh ich ihm den Hals um... Sie spürte warmes Metall an ihren Schenkeln und es roch nach Öl und Gummi. Hatte er etwa vor sie auf einem Motorrad zu transportieren? Sie spürte wie er ihre Arme um seine Hüften legte. Er hatte eine Art Mantel an. Sehr raufaserig und unangenehm nass. Schwitzte er etwa? Nein, das war es nicht. Plötzlich nahm sie ein Rauschen war, es regnete. Warum hatte sie das nicht gemerkt? Erst jetzt spürte sie die Tropfen und den Regen auf ihrer Haut. Ihre Sachen waren klitschnass und sie fror. Ob ihre Flügel auch nass waren... Ihre Flügel... wo waren ihre Flügel hin?! Sie konnte die Schwingen auf ihrem Rücken nicht spüren, konnte sie nicht bewegen, da war nur dieser stumpfe Schmerz! Wo sind sie?! Wo sind meine Flügel?! Wer hat mir meine Flügel genommen?! Ihr Atem ging schnell, sie hatte das Gefühl zu ersticken. Voller Panik sog sie die Luft pfeifend ein. Dieses Mädchen war ihm unheimlich. Dieses schneeweiße Haar und dann der große Blutfleck auf der Rückseite des Kapuzenshirts. Sie trug keine Schuhe, nur einige schwarze Bänder, die um ihre Beine gebunden waren. Unter dem hellbeigen Rock trug sie eine schwarze kurze enge Hose. Das Shirt ging ihr weit über die Hände und war schneeweiß wie die Haare. Welche Augenfarbe sie hatte wusste er nicht, aber irgendwie erwartete er, dass ihre Iris rot war. Ihre Züge waren so makellos, fast perfekt. Er bemerkte wie ihr Atem schneller wurde. Etwas verunsichert räusperte er sich erst einmal und fuhr dann aus der Lichtung hinaus, wo er das Mädchen gefunden hatte. Er hasste diesen Regen. Auf den dreckigen Straßen rutschte man so schnell aus und das tat echt weh. Er schob sich mit dem Mittelfinger die schmale Brille wieder etwas höher und seufzte. Seine glatten braunen Haare waren zu einem Mittelscheitel gekämmt und er hatte sich hinten einen kleinen Zopf gemacht. Die allermeisten Strähnen hingen ihm zwar trotzdem ins Gesicht, aber er fand, dass es irgendwie cool aussah. Die Wälder zu seiner rechten und linken wurden immer spärlicher und verschwanden schon bald vollkommen. Pfeilschnell schossen die äußeren Ebenen vor der Stadt an ihm vorbei und der nasse Schlamm spritzte auf das polierte Metall der Maschine. Langsam wichen auch die letzten Bäume und Gras nahm den Boden in Besitz. Etwa einen Kilometer entfernt ragten dunkle Flecken in den Himmel. Erst als sich die beiden näherten, konnte man die Schatten als Stadt identifizieren. Sie passierten das karge Land rings um die Stadt und die zerstörte Mauer Überall waren Kreuze in den Steinigen Boden geschlagen worden... es waren Massengräber vor den Toren der Stadt. Am Straßenrand und den dunklen Gassen lagen einige Gerippe und halb verweste Leichen, die keiner gewagt hatte wegzutragen. Direkt hinter der Mauer folgten zuerst niedrige Gebäude, die allermeisten waren zerstört. Fensterläden hingen lose in den Angeln und hämmerten unaufhörlich im Wind gegen das Gemäuer. An vielen Stellen fehlten ganze Dächer oder auch die oberen Stockwerke. Scherben häuften sich auf dem aufgebrochenen Pflaster und Straßenlaternen standen wie stumme Zeugen am Wegesrand. Viele jedoch lagen umgeknickt auf dem Weg oder waren entzweit. Als das Motorrad aus den engen Gassen auftauchte stellte sich das ganze ausmaß der Zerstörung dar. Hochhäuser ragten wie Gerippe in den Himmel. Kein Stein schien mehr auf dem anderen zu sein, keine Pflanze traute sich aus dem Zwielicht der Seitengassen, Autowracks waren ausgebrannt oder in Einzelteilen verstreut. Die ehemalige Hauptverkehrsstraße lag über drei Meter über den unteren Ebenen der Stadt und führte ins höher gelegene Zentrum. Der Mann neigte seine Maschine in eine scharfe Linkskurve und brachte sich auf die Hauptstraße. Auch hier drängten sich die Trümmer aneinander und ganze Abschnitte des Weges waren in die Tiefe gestürzt, als die stützenden Pfeiler zerstört worden waren. Obwohl es erst fünf Uhr war, glich der Tag mehr einer Nacht. Pechschwarz waren die Wolken und sie schienen sich mit den Wassermassen kaum noch am Himmel halten zu können. In der Ferne zuckten Blitze und erleuchteten die Ruinen für einen Moment, als wäre der Tag zurückgekehrt. Das schwache Licht des Scheinwerfers flimmerte auf dem nassen Asphalt und der junge Mann hatte Mühe etwas zu sehen. Auf die Blitze folgte nun fast zeitgleich das Grollen... und doch war es, als würde sich zwischen den Wolken ein weiteres Geräusch verstecken. Erst nach einer ganzen Weile, kurz vor dem Zentrum, erkannte der Mann mit einem Mal, was das für ein Geräusch war: Ein Hubschrauberrotor. Hektisch riss er den Kopf in alle Richtungen, doch durch den Regenschleier konnte er nicht viel erkennen. Zudem flatterte sein viel zu langer Mantel ungeheuer stark im Wind und versperrte ihm zusätzlich die Sicht. Die Hände des Mädchens glitten von seinem Bauch und er musste kurz mit einer Hand steuern, damit sie nicht einfach vom Motorrad fiel. "Hast du das Ziel erfasst?" "Jep", kam die Antwort. Der Mann im Laderaum des Militärhubschraubers richtete seine Waffe auf die Brücke kurz vor dem Motorrad. Dabei pfiff er fröhlich ein Liedchen und strich sich die struppigen schwarzen Haare glatt. Vergnügt leckte er sich die Lippen, während sein Freund versuchte das Gefährt ruhig zu halten. "Jetzt beeil dich endlich", forderte der Pilot ungeduldig. "Jep", ertönte es wieder. "Weißt du wie schwer es ist, dieses Ding bei so einem Wind gerade zu halten?" "Jep" Der Pilot murmelte irgendwas während er seinem Kollegen giftige Blicke zuwarf. Seine Hände umklammerten den Schaltknüppel und wagten es zu keinem Moment den Griff auch nur ein wenig zu lockern. Die Scheibenwischer hetzten über die Windschutzscheibe und waren unermüdlich damit beschäftigt den Wassermassen Herr zu werden, doch vergeblich. Als der Blick des Piloten endlich wieder auf die Monitore vor ihm fiel, rollte er unzufrieden die Augen. "Ey, wir kriegen Besuch! Und jetzt sag nicht wieder..." Doch es war zu spät, sein Kollege schaute von seiner Waffe auf, grinste ihn nur amüsiert an und wiederholte seine Aussage. "Stufe sechs, reicht dir das, um dich zu beeilen?", gab der Mann am Steuerknüppel genervt zurück. "Was haben wir denn schönes?", fragte der Mann mit der Waffe vergnügt, während er die letzten Justierungen vornahm. Wieder erleuchtete eine elektrische Entladung den Himmel und fiel durch die schmalen Fenster im hinteren Teil der Maschine. Der Mann im Cockpit entdeckte in einiger Entfernung dunkle Schatten, die sich mit kräftigen Schlägen der Schwingen schnell näherten. "Ach nichts weiter, nur Fledermausbestien. Du weißt schon, die mit den riesigen Zähnen, die sie einem mal gerne durch den Brustkorb schlagen und durchaus auch durch die Windschutzscheibe", kam die Antwort fast hysterisch aus dem vorderen Teil der Maschine. Dabei wurde die Stimme des Piloten immer lauter. "Bin schon fertig", der Finger des Schützen drückte auf den Abzug und seine Schulter wurde nach hinten gedrückt, als ihn der Rückstoß der Waffe erfasste. Ein kleines Projektil sauste durch den Regen, bohrte sich in den Beton der Brücke und detonierte kurz darauf in einem ansehnlichen Feuerball. Der Hubschrauber indes drehte ab und verschwand wieder in den dunklen Gewitterwolken. "Oh, scheiße!", schrie der Mann auf dem Motorrad, während ihm Betonteile um die Ohren flogen. "Ihr verdammten Schweine! Und wie soll ich jetzt bitte schön weiter kommen?! Ihr habt sie ja wohl nicht mehr alle!" Er hatte alle Mühe sich auf dem Bike zu halten. Im Regen drohten die Reifen durchzudrehen und eine gescheite Bremsung war mittlerweile auch nicht mehr möglich. Vor ihm tat sich jetzt eine beachtliche Schlucht von mindestens zwanzig Metern auf. Mehr aus Verzweifelung, als aus Vernunft brachte er das Motorrad dazu sich quer zu stellen und knallte dann gegen einen großen Betonklotz. Die Arme des Fahrers schlangen sich in aller Eile um den Körper des Mädchens und so schlug der Mann mit der Seite auf den Beton auf, kurz vor der Schlucht. Unter Stöhnen und fluchen löste er die Umklammerung und stand schwankend auf. Seine rechte Hand rieb sich hektisch die Seite, um die Schmerzen los zu werden. Die Spezialfasern seines Mantels bewahrten ihn zwar vor Abschürfungen, aber wenn sein Körper nicht so überdurchschnittlich widerstandsfähig wäre, hätte er sich bestimmt einige Knochen gebrochen. So blieb es aber glücklicherweise bei einigen leichteren Prellungen. Schließlich lugte er hinunter in die Schlucht, in der die Trümmer weitere Häuser beschädigten und ganze Dächer mit sich rissen. Nachdem er seine Gedanken wieder ein wenig geordnet hatte sah er zu seinem qualmenden Bike. "Na toll, das wird dauern, bis ich das wieder fertig habe." Er sah sich um, irgendwie hatte er das Gefühl nicht allein zu sein, wenn man mal von dem Mädchen absah. "Oh, oh....", brachte er atemlos hervor, "Na, das fehlt mir ja gerade noch." Ein schriller Schrei schallte über die Hauptstraße. Der junge Mann zog sein Schwert aus dem Mantel und schloss die Augen. Die Klinge der Waffe war lang und schmal und wies an einigen Stellen bereits tiefe Kerben auf. Der Griff war ein perfektes Kreuz mit allerhand Verzierungen darauf und kleinen Haken an den Enden. Zudem hatte es eine Art Lanzenspitze entgegengesetzt zur eigentlichen Klinge. Zusätzlich griff er in seine linke Manteltasche und holte ein kleines Messer heraus, welches er in die Lücke im unteren Teil der Klinge einpasste. "Na kommt schon her ihr Biester!", schrie er in den Himmel. Blendend hell war der Blitz der kurz hinter den Kreaturen zu Boden ging und ihre Schatten gegen den Himmel warf. Ein Kreischen, dann stieß eine der schwarzen Kreaturen hinab. Sie hatte riesige Klauen und Eckzähne. Die ledernen, schwarzen Schwingen maßen mindestens drei Meter jeweils, wenn nicht mehr. Groteske Ohren und ein komplett behaarter Körper mit einem peitschenden Schwanz, machten dieses Ding durchaus Angst einflössend. Mit den Krallen voran stürzte sich das Monster auf den Mann, der notdürftig mit dem Schwert parierte. Zumindest sah es so aus. Er grinste und packte den Schwanz des Vogels. Die Bestie kreischte und versuchte sich frei zu strampeln. Seine Klauen schlugen gefährlich nahe an dem menschlichen Körper vorbei und wann immer sie das Schwert trafen stoben Funken von der Waffe. "Glaub bloß nicht du würdest mir entkommen." Der Schwertkämpfer ließ den Schwanz los und die Fledermaus drehte einige Runden in der Luft bevor sie erneut herabstieß, diesmal schlitterte sie jedoch an ihrem Ziel vorbei und blieb einige Meter weiter hinten regungslos liegen. "Das wurde aber auch Zeit, dass du auftauchst. Ich hab mir schon fast Sorgen gemacht", der Mann mit dem Schwert grinste über beide Ohren und begutachtete das Biest. Ein sauberer Schuss genau zwischen die Augen. Jep, Millimeterarbeit. Er wandte sich zu seinem Kollegen um: "Jetzt spiel dich hier nicht so auf. Kümmere dich lieber um die Freunde der Kleinen da." Sein Blick wanderte in den Himmel und entdeckte mindestens drei weitere Fledermäuse. Der Schütze saß etwa zwanzig Meter entfernt auf einem einsamen Stützpfeiler und zielte bereits auf die nächste. Man konnte ihn kaum erkennen, er war wie einer der zahllosen Schatten der Nacht. Sein ausgestreckter Arm zeigte in den Himmel und in seiner Hand hielt er eine silberne Automatikschusswaffe mit einem fünfzig Zentimeter langen Lauf. Das Schwert blitzte in der Dunkelheit auf und die Fledermaus, die sich dem Kämpfer genähert hatte, fiel in zwei Hälften zu Boden. "Schach Matt, meine Liebe", rief der Kämpfer vergnügt und wandte sich der Nächsten zu. Diese war jedoch flinker als angenommen. Er brachte seine Klinge in Verteidigungsstellung und wartete auf den Angriff des Monsters. Kurz darauf war es auch schon so weit. Ihre Krallen prallten gegen das Metall, dabei rutschte eine seitlich ab und hinterließ einen blutigen Kratzer auf der Wange des Mannes. "Schade, jetzt bist du tot", spottete dieser und hob die Klinge vor seinen Körper und drehte sie so herum, bis das Blatt nur noch ein schmaler Streifen vor seinen Augen war. Bereits einen Augenblick später vollführte er einen geschickten Hieb und schnitt den Kopf der Kreatur in zwei Hälften. Der Mann mit der Pistole stand noch immer auf dem Pfeiler und zielte auf die Fledermaus, die mit rasender Geschwindigkeit auf ihn zukam. Im letzten Moment drückte er ab, sodass das Biest nur einen halben Zentimeter unter ihm in den Betonpfeiler krachte. Dann widmete er sich dem nächsten Ziel. Doch auch diese hatte dem Meisterschützen nicht sehr viel entgegen zu setzen. Ein Schuss und sie klatschte auf ihren toten Kameraden. Der Mann drehte sich zur Brücke und stellte zufrieden fest, dass sein Partner ebenfalls fertig war. In einer fließenden Bewegung ließ er die Waffe im Mantel verschwinden und sprang auf ein nahe gelegenes Hochhaus und schließlich auf die Straße. "Wer ist das Mädchen da?", fragte der Mann mit der Pistole. "Tja, weißt du Rafael, das weiß ich auch nicht so genau... sagen wir mal, ich hab sie gefunden." Rafael schlug sich die Hand vors Gesicht: "Das ist nicht dein Ernst, oder Ryo?" "Eigentlich schon... Ähm... hast du was gegen sie?" "Das ist nicht der Punkt. Du kannst doch nicht einfach irgendwelche Leute aufgabeln...." "Irgendwelche ist gut. Ich will nur, dass alle Überlebenden in die Städte gebracht werden, dort können wir sie besser beschützen", empörte sich Ryo. Rafael wandte sich ab und ließ Ryo allein zurück. "Ja, schon gut! Ich kenn den Weg selber", rief ihm dieser etwas säuerlich hinterher. Dann wandte er sich zu dem Mädchen um, das immer noch am Boden lag. "So, und was machen wir jetzt mit dir?" Kapitel 3: Kapitel 2: Wach auf... --------------------------------- Ryo saß erschöpft auf einem Stuhl vor dem Bett des Mädchens. Er hatte nicht nur sie getragen, sondern auch sein Motorrad her geschoben. Da die Brücke zerstört worden war, hatte er den ganzen Weg zurück laufen müssen. Es war eine wahre Qual gewesen sich durch die unteren Ebenen zu tasten. Die meisten Gassen waren durch Trümmer versperrt gewesen oder zu unwegsam für die Maschine. Letztendlich war er erst drei Stunden nach Rafael im Hauptquartier angekommen. Anschließend hatte er mindestens eine Stunde versucht Lane davon zu überzeugen sein Bike zu reparieren, doch ohne Erfolg. Der kleine Herr hatte sich geweigert das Gefährt zum sechsten Mal zu reparieren. Stattdessen hatte er Ryo sehr eindrucksvoll klar gemacht, dass er gefälligst besser aufpassen sollte. Ryos rieb sich mit der Hand gedankenverloren die Stelle an der Lanes Schraubenschlüssel ihn erwischt hatte. Ja, das machte der kleine Mann wirklich gern. Der Schwertkämpfer hatte das Mädchen gründlich untersucht und bis auf zwei Wunden bei den Schulterblättern nichts gefunden. Es sah fast so aus, als hätte jemand mit roher Gewalt etwas herausgerissen, aber was? Nun überlegte er schon seit Stunden, aber fand und fand keine Antwort. Der Raum war von einem leisen Brummen erfüllt, welches aus der Ecke mit der provisorischen Heizung kam - wenn man das Dampfrohr für den Generator Heizung nennen konnte. Nun hingen die Sachen des Mädchens und Ryos Mantel. Unter dem Mantel trug er ein beiges Hemd mit einer schwarzen Krawatte und eine lange braune Bomberhose, die immer noch unangenehm an seiner Haut klebten. Seine schwarzen Stiefel hatte er ebenfalls an das Rohr gestellt. Anstelle von Socken waren lediglich Stoffstreifen um seine Füße gewickelt. Beim genaueren betrachten des Raumes fiel dem Mann immer wieder auf, wie bunt zusammengewürfelt hier alles war. Es passte wirklich kein Möbelstück zum anderen. Verschiedenfarbige Schranktüren, große und kleine Stühle an ein und demselben Tisch. Ja, man benutzte eben alles, was in den Trümmern zu finden war. Das Bett war ein besonders schönes Stück. Das schwarze, aus Metall gefertigte Bettgestell, war reichlich verziert und eine echte Rarität im ganzen Komplex. Die meisten, so auch Ryo und Rafael, schliefen auf dem Boden auf alten Matratzen. Das kleine Fenster ließ nur wenig Licht hinein und die kleine Glühbirne an der Decke sorgte kaum für genug Helligkeit. Trotzdem gehörte dieses Quartier zu den üppigsten und am besten klimatisierten Räumen des ganzen Komplexes. Deshalb verwendete man es auch oft für Kranke oder Alte, denen man nicht zumuten konnte in kalten Zimmern zu schlafen. Auch Kinder hielten sich hier sehr oft auf. Sobald es der Weißhaarigen besser ging, würde sie ausquartiert werden und in eines der Frauen Gemeinschaftszimmer ziehen. Doch im Moment sah es noch nicht so aus, als würde sie bald aufwachen. Ryo kramte in seiner braunen Stofftasche, die unten an den Stuhl gelehnt war und holte ein Buch heraus. Interessiert blätterte er in dem Wälzer und verzog einige Male angestrengt das Gesicht, als ob er etwas noch einmal überdenken würde. Nach drei Stunden schlug er das Buch zu, ließ die Arme seitlich auf dem Boden hängen und streckte den Kopf nach hinten. Das Buch fiel mit einem stumpfen "Bumm" auf den Boden. Nach einer Weile drückte die Stuhllehne unangenehm in seinen Rücken und er setzte sich wieder richtig hin. Doch auch das wurde schon bald unbequem und er fing an im Raum auf und ab zu gehen. Irgendwann holte er ein Tuch aus seiner Tasche und putzte seine Brille. "Hör mal Kleine, ich hab Hunger und du hast jetzt wirklich lange genug geschlafen. Also tu uns den Gefallen und mach die Augen auf. Außerdem wartet mein Bike auf eine intensive Behandlung." Keine Reaktion. Ryo seufzte. Wie lange sollte das denn noch dauern? Vor der Tür hatte sich Rafael an die Wand gelehnt und grinste vergnügt. Der Schwertkämpfer hatte genau gewusst, dass er gegen die Regel verstieß, als er das Mädchen einfach mitgenommen hatte. Jetzt würde er sich solange um die Kleine kümmern müssen, wie sie in dieser Einrichtung blieb, oder wieder auf den Beinen war. Außerdem würde sie nun unter ständiger Beobachtung durch ihren Retter stehen. Jedes neue Mitglied durchlief dieses Stadium, um sicher zu gehen, dass es sich nicht um einen Spion oder Feind handelte. Der Schütze stieß sich von der Wand ab und wandte sich zur Tür. Er würde die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Er klopfte an die Tür und trat ein. Ryo wandte den Kopf in seine Richtung und lächelte, bis er Rafaels Gesichtsausdruck sah. "Na, bist du gekommen, um dich über mich lustig zu machen?", fragte der Brillenträger. "Ja, so in etwa. Hör mal, Lane beschwert sich schon die ganze Zeit in seiner Werkstatt, dass du mal wieder dein Bike geschrottet hast." Der Scharfschütze trug noch immer seinen langen schwarzen Mantel. Doch nun konnte man auch sein Gesicht sehen. Er hatte eisblaue Augen und trug die blonden Haare zur hälfte vor dem Gesicht und die andere legte sich stromlinienförmig nach hinten an seinen Kopf. "Ach, der soll sich mal nicht so aufregen, so wird ihm wenigsten nicht langweilig", spottete Ryo. Rafael blickte zu dem Mädchen: "Was macht denn dein Dornröschen." "Es macht auf jeden Fall keine Anstalten aufzuwachen", gab der Braunhaarige genervt zurück. "Ich würde auch nicht aufwachen wollen, wenn ich dich sehen müsste", fügte Rafael vergnügt hinzu. "Ach halt einfach die...", der Mann am Bett war sauer, hielt aber inne, als er bemerkte, dass das Mädchen leicht schmunzelte. "Irgendwie glaub ich, die will mich verarschen", dabei schielte er zu seinem Kumpel. "Warum?", fragte dieser nur. "Jedes mal wenn ich was sage, hab ich das Gefühl, sie reagiert zwar auf mich, aber will trotzdem nicht aufwachen. Es könnte sein, dass ihr Bewusstsein nicht von der Funktionslosigkeit ihres Körpers betroffen ist. Würde mich mal interessieren, warum sie überhaupt in diesem Zustand ist." Verarschen?! Ja vielleicht, aber sie war auch nicht so sonderlich zufrieden mit ihrem Zustand. Wie scheiße war das denn bitte, wenn man von einem fremden Mann begrapscht wurde? Gut, er hatte ihr den Rücken verbunden, aber hätte er nicht warten können bis sie wieder richtig wach war? Und überhaupt, wie lange sollte sie hier noch herumliegen? Seit eineinhalb Tagen, konnte sie sich schon nicht bewegen und langsam erreichte ihre Stimmung den absoluten Tiefpunkt. Und außerdem... und außerdem hatte man ihr ihre wunderschönen Flügel geraubt. Doch sie erinnerte sich nicht daran, weder an den Schmerz, noch an den, der es getan hatte. Das Letzte woran sie sich erinnerte, war, dass sie in einem Labor angekettet in einem Zimmer gehangen hatte, völlig unfähig sich zu bewegen... Aber wie war sie entkommen? Wer hatte ihr geholfen? Und... wo war sie jetzt überhaupt? All diese Fragen drängten nach einer Antwort. Sie zwang sich die Augen zu öffnen, stemmte sich mit ihrem ganzen Willen gegen diese gottverdammte Starre. Endlich riss sie die Augen auf, das Licht flutete in ihr Bewusstsein. Erst nur verschwommen, dann immer klarer nahm sie ihre Umgebung wahr. Ihr Blick wanderte zur Seite und sie sah endlich den Mann, der sie gefunden... und begrapscht hatte. Kurz hinter ihm stand der Zweite. Neugierig musterte die Kleine die beiden und verschaffte sich einen kurzen Überblick. "Wo bin ich und was habt ihr mit mir vor?", fragte sie ernst und schaute die Männer mit funkelnden Augen an. Ryo riss abermals den Kopf herum. Die Augen des Mädchens waren tatsächlich rot, aber sie sah keinesfalls wie ein Albino aus. Ihre Iris war faszinierend, so rein, fast rubinrot. Der Brillenträger vergaß fast, dass die Kleine eine Frage gestellt hatte. "Ähm, verzeih", setzte er an, "Ich bin Ryo, das ist Rafael und wir sind hier im Söldner- und Flüchtlingslager von Ruincity, dem ehemaligen Aseloth... hab ich was vergessen... ähm... ach ja, wir haben nichts mit dir vor. Wenn du willst kannst du bleiben oder du haust wieder ab, wenn du gesund bist. Deine Entscheidung Kleines und jetzt entschuldige mich, ich hab mich um ein Motorrad zu kümmern." Er machte Anstalten zu gehen, doch Rafael hielt ihn zurück. "Du schleppst sie an und willst jetzt einfach wieder abhauen? Nimm dir ruhig noch ein wenig Zeit für sie", sagte Rafael mit süßer Stimme und ließ von seinem Freund ab. Er drehte sich um und auf seinem Gesicht machte sich ein breites Grinsen breit. Es war genau das eingetreten, was er erwartet hatte. Sein Freund versuchte sich mal wieder vor der Verantwortung zu drücken. "Aber...", setzte Ryo an. "Nichts aber, ich kann ja Lane sagen, dass er dein Schätzchen ausschlachten kann, wenn du nicht hier bleiben willst", konterte der Schütze geschickt. Ryo wusste genau, dass sein Partner in diesem Augenblick innerlich fast vor Schadenfreude platzte, aber er durfte ihm nicht die Gelegenheit geben, sie voll auszuschöpfen: "In Ordnung, dann werd ich mich mal ein bisschen mit unserem weißen Engel hier beschäftigen." Die Tür schlug zu und als der Blick des Mannes wieder auf das Bett fiel, starrten ihm von dort aus zwei verärgerte Augen entgegen. "Was denn, hab ich was Falsches gesagt?" "Ich bin nicht dein Engel, klar!" "Ja, klar, klarer geht's nicht. Wie möchte das Fräulein denn dann genannt werden? Seinen Namen hat es ja bisher nicht genannt", er drehte den Stuhl um und setzte sich breibeinig vor das Bett. Das Mädchen errötete leicht:" Mein Name ist, naja, ich weiß nicht, man hat mir keinen Namen gegeben. Ich hab nur eine Nummer..." "Nummern sind so unpersönlich. Hast du irgendwelche besonderen Merkmale, Lieblingsfarben... irgendwas womit man dich identifizieren könnte?" Sie schüttelte den Kopf: "Nein, nur diese Nummer..." "Na, dann sag die halt", Ryo fuhr sich mit der Hand durch die Haare und seufzte. "198918159", leierte die Weißhaarige herunter. Der Mann am Bett wiederholte die Geste. Nein, das konnte sich nun wirklich niemand merken. Er überlegte kurz:" Ich glaube, ich habe einen besseren für dich. Wie gefällt dir Shiroi?" "Shiroi? Ja, das gefällt mir eigentlich ganz gut", antwortete die Kleine vergnügt, als hätte man einem Kind gerade ein Bonbon gegeben. "Gut, hätten wir das geklärt. Ähm, ist sonst noch was... hast du vielleicht irgendwelche besonderen Fähigkeiten von denen wir wissen sollten?" Das Mädchen machte ein nachdenkliches Gesicht: "Nein, nicht das ich wüsste." "Selbst wenn, das lässt sich noch in Erfahrung bringen. Kannst du dich aufsetzen, hast du irgendwelche Beschwerden?", fragte Ryo höflich. Shiroi hatte Mühe sich aufzusetzen, aber sie verspürte keine Schmerzen. Der Söldner fragte sie noch einige andere Dinge, um sich über ihren Allgemeinzustand zu informieren. Es war schon lustig, wie er nun dauernd seine Brille mit dem Mittelfinger hochschob. Shiroi musste lächeln, der Mann schien wie ausgewechselt, gewissenhaft und zuvorkommend. "Hast du eine gespaltene Persönlichkeit?", fragte sie unvermittelt und lächelte noch immer. "Wie? Nein, nicht das ich wüsste. Wie kommst du darauf?", der Brillenträger machte den Anschein, als hätte man ihn gerade vor eine Mauer rennen lassen. Mit einer solchen Frage hatte er nicht gerechnet. "Och, so wie du immer geredet hast, hatte ich den Eindruck, du wärst ein ganz schöner Trottel." Wieder schob er die Brille hoch. "Ja, das krieg ich oft zu hören", lachte er, um die Verwunderung los zu werden, "aber das stört mich nicht. Und nur weil die anderen das denken, werde ich mich bestimmt nicht ändern. Du wirst es mir wahrscheinlich nicht glauben, aber meine besondere Fähigkeit liegt in meiner überdurchschnittlichen Intelligenz. Ich bin wesentlich schlauer als die meisten anderen, aber ich verhalte mich trotzdem wie ein Trottel. Seltsam, nicht?" "Ach, gar nicht. Lieber ein ehrlicher Trottel, als ein verrücktes Genie...", ihre Augen wanderten nach unten. In ihnen spiegelte sich plötzlich Schmerz und Trauer. Etwas irritiert stockte der Brillenträger erneut erst, fing sich jedoch auch dieses Mal schnell wieder: "Och, wenn ich mal wieder von Rafael eine Standpauke kriege, wäre ich doch lieber das verrückte Genie, die denken wenigstens nach bevor sie was sagen... und immer ehrlich sein, na ja, ich bin ja mittlerweile einiges gewohnt. Ich krieg hier von einigen deswegen was auf den Deckel." Shiroi musste daran denken, dass sie ihm am vergangenen Nachmittag am liebsten selber noch den Hals umgedreht hätte. "Ach was", lachte sie ihn aus. Es tat gut, es tat einfach nur gut so lachen zu können. Bald wurde aus dem Lachen ein Schluchzen und Tränen rannen ihr über das Gesicht. Seit ihrer Kindheit hatte sie nichts anderes gekannt, als ein dunkles Labor und jeden Tag das gehässige Grinsen der Professoren, die sie mit Drogen voll pumpten und an ihr herumexperimentierten. Wem auch immer sie ihre Freiheit verdankte, sie war ihm oder ihr, zutiefst dankbar. "Hey, was ist los? Was hast du denn? Aaahh, was mach ich denn jetzt. Rafael, RAFAEL!!! Wenn ich den in die Finger kriege, lässt mich einfach mit ihr allein... Von wegen dass hab ich mir selber eingebrockt. Er hat mich doch auf Patrouille geschickt..." Etwas im Gang entfernt war Rafael stehen geblieben und lachte aus vollem Hals. Er wusste nur zu gut, wie leicht man das Genie überfordern konnte. Komplizierte Formeln ja, aber wenn er puren Gefühlen ausgeliefert war, war er hilflos wie ein Kleinkind. Wenn er nur seinen Gesichtsausdruck sehen könnte. Dieser panische Ausdruck in den Augen, unbezahlbar. Wahrscheinlich war das Mädchen in Tränen ausgebrochen. Oh ja, die Waffen einer Frau waren furchtbar. Er wandte sich ab und lachte noch einige Minuten weiter, während er sich die Tränen aus den Augen rieb. Kapitel 4: Kapitel 3: Das Waffen Allerlei ----------------------------------------- "Hey Lane, hast du noch ne intakte Glühbirne?" "Wofür brauchst du ne Glühbirne?", fragte der Zwergenwüchsige. Seine grauen Augen musterten Ryo argwöhnisch. Lane hatte eine Glatze und trug eine ärmellose schwarze Lederjacke über einem weißen T-shirt, welches mit Öl voll gekleckert war. Die dunkle Jeans und die schwarzen Stiefel trugen den Rest zu dem unsympathischen Aussehen des kleinen Mannes bei. Seine Ohrringe blitzten gefährlich. "Ach, das Licht im Kühlschrank ist kaputt gegangen", antwortete Ryo beiläufig und schaute sich die Werkstatt an, um den Blicken des kleinen Mannes auszuweichen. "Ja, ja, genau, das Licht im Kühlschrank. Witzknicker, verarschen kann ich mich selber. Rück raus, was brauchst du schon wieder? ...ach ja, die neun Bolzen krieg ich ersetzt." Mist der Zwerg hatte es gemerkt. Ryo versuchte sich den ertappten Gesichtsausdruck zu verkneifen, aber das gelang ihm mehr schlecht als Recht. Als er einen Schritt nach vorne machte, knallte er gegen die niedrige Lampe der Werkstatt. Mit seinen 1,82m war er eindeutig zu groß. "Die hängt doch nicht etwa zu tief für dich?", kam die Antwort schadenfroh, von dem gerademal 1,10m großen Mann. Überall waren Ölflecken auf dem Boden und Ersatzteile türmten sich in den zahllosen Regalen. Zudem stand noch ein kaputtes Armeefahrzeug in der hinteren Ecke des Raumes - wobei keiner wusste, wie der Mechaniker das Ding hier rein bekommen hatte. Durch die Tür passte es jedenfalls nicht. Im Moment bastelte das Technikwunder an einer neuen Antriebswelle für den Generator, denn der drohte schon bald den Geist aufzugeben. "Au... ich brauch eigentlich nur einen neuen Motor", gab Ryo kleinlaut zu. "Du Spinner, jetzt hast du das schöne Stück endgültig geschrottet!" "Hey, das war ja wohl nicht meine Schuld. Was kann ich denn dafür, dass die die Brücke in die Luft gejagt haben? Außerdem bräuchte ich bestimmt keinen neuen Motor, wenn du mir einfach helfen würdest...", gab der Brillenträger genervt zurück. Das war zuviel des Guten. Der Schraubenschlüssel flog durch die Luft und knallte Ryo direkt vor die Stirn. "Sechs Mal! SECHS Mal, hab ich das Ding jetzt schon repariert. Meinst du nicht, irgendwann ist's gut gewesen! Jüngelchen, entweder, du fährst das Ding endlich mal länger als vier Wochen ohne es zu schrotten, oder ich werde es persönlich in seine Einzelteile zerlegen!" Ryo wusste wann es Zeit war abzuhauen und das war eindeutig jetzt. "Kann ich mit deiner Hilfe rechnen?", fragte er bevor er sich vor die Tür rettete. "RAUS!!!!", schallte es ihm hinterher und der Werkzeugkasten knallte vor ihm an die Wand. "Hey, du hättest mich treffen können", hakte er noch einmal hinterher. Und rannte so schnell ihn seine Beine trugen davon. Rafael war auf dem Schützenplatz, der den ehemaligen Parkplatz des Gebäudes darstellte. Mittlerweile erinnerte jedoch nur noch wenig daran. Die Autos waren verschwunden und an einigen Stellen war der Asphalt in arge Mitleidenschaft gezogen worden. Dort stand der Schütze nun und durchlöcherte die aufgestellten Betonziele. Eine Kugel nach der anderen schlug in ein und dasselbe Loch ein. Keines der Geschosse wich auch nur einen Millimeter vom Ziel ab. Herz, Kopf, Lunge... All diese Schwachstellen kannte der Meisterschütze und er nutzte sie bei jedem Schuss aufs Neue. Noch nie hatte eines seiner Projektile sein Ziel verfehlt. "Hey, Rafael, warum verschwendest du deine Kugeln an diesem Betonklotz?" "Ich übe, dass sollte dir als Antwort genügen." Ryo war hinzugekommen und schaute auf den hundert Meter entfernten Klotz. Er konnte nicht einmal die Einschussstelle erkennen. "Du, ich hab mir überlegt, dass Shiroi auch eine Waffe bekommen sollte." "Sie hat sich also entschieden hier zu bleiben", stellte Rafael nüchtern fest. Ryo nickte:" Was meinst du? Welche Waffe wäre am ehesten geeignet für sie?" "Gib ihr ne Scharfschützenwaffe, mit eingebautem Zielvisier und explosiven Geschossen. Am besten das fünfziger Magazin, das dürfte auch nicht zu schwer für sie sein", kam die Antwort, ohne das der Schütze Ryo auch nur aus den Augenwinkeln ansah. "Ja, das ist vielleicht am ratsamsten. Danke Alter", dabei klopfte er dem Schützen auf die Schulter, genau in dem Moment in dem Rafael schießen wollte. Das Geschoss schlug wieder im Beton ein. Diesmal jedoch einen Millimeter tiefer. Der Meisterschütze schaute Ryo mit funkelnden Augen hinterher. Na warte, dass wirst du noch zurück bekommen. Ryo nahm die Stufen zum östlichen Abschnitt und blickte durch die zerstörten Fenster nach draußen. In dem großen Treppenhaus zog es furchtbar, da fast die ganze Glasfront beschädigt war und der Wind durch jede Ritze pfiff. Der junge Mann blieb einen Augenblick stehen und ließ die Aussicht auf sich wirken, während sein Schlips emsig im Wind flatterte. Ein einziges Trümmerfeld nahm die weiten Ebenen der Stadt ein, doch das Leben hatte den Kampf wieder aufgenommen. Erste Pflanzen begannen auf dem Boden zu wachsen und in den Gärten des Lagers gab es bereits wieder Blüten. Vielleicht gab es ja in diesem Jahr zum ersten Mal wieder Früchte und Samen. Er schauderte leicht und machte sich dann weiter auf den Weg nach oben. In der zweiten Ebene angekommnen klopfte er an Shirois Tür an und führte sie dann hinab auf die erste Ebene. Neugierig schaute das 1,65m große Mädchen durch die offenen Türen und zog den Kopf eilig zurück, wann immer sie auf die Blicke anderer Menschen traf. Die meisten der Zimmer waren Gemeinschaftsschlafzimmer auf deren kalten Böden Matrazen oder auch nur einfache Decken lagen. Möbel gab es kaum, höchsten improvisierte Regale, die an den Wänden hingen und so zumindest ein wenig Stauraum boten. "Sag mal Ryo... Wie viele Menschen leben hier", fragte die Weißhaarige neugierig. "Viel zu viele... oder auch zu wenige, wenn man bedenkt, dass in dieser Stadt einst hunderttausende gelebt haben...", traurig wanderte sein Blick nach unten, er fuhr aber trotzdem fort, "Hier im Lager leben ungefähr 150 Menschen, davon sind knapp 40 ausgebildete Kämpfer, der Rest sind kleine Kinder, Mütter oder ältere Menschen." Ryo wandte den Kopf zu seiner Begleiterin und sah, wie interessiert sie die Zimmer der Frauen musterte. Was würde sie erst sagen, wenn sie die Sauställe in den Männerlagern entdeckte. Er grinste vergnügt, während Shiroi ihn nur verwirrt ansah. "... Schon gut, es ist nichts...", verteidigte sich das Genie, "In den sechs Zimmern auf dieser Ebene, schlafen etwa sechs bis acht Personen. Die restlichen sind über oder in den anderen Abschnitten untergebracht." "Wie kommt es, dass nur noch so wenige Menschen hier sind?", hakte die Kleine weiter nach. "Ach, weißt du, es ist ein hartes Leben hier draußen... und es haben nur wenige die letzten großen Kämpfe überlebt", als er die Tränen in den Augen der weihaarigen sah, ergänzte er noch, "Ich bin sicher, dass auch viele fliehen konnten, in andere Städte." Vor einer Tür mit der Aufschrift "Waffenkammer" blieben sie schließlich stehen. "Ey, Leute! Macht das Schild endlich ab. Ihr könnt dem Feind auch gleich einen Zettel ans Tor kleben: Waffenkammer die erste Ebene, vierte Tür links!", rief Ryo durch den Gang. Keine Reaktion... Der Brillenträger seufzte und krempelte sich den rechten Ärmel hoch. Shiroi schaute ihm etwas skeptisch zu, das Schild war immerhin festgeschraubt. Wie wollte er das abbekommen? Ein Knacken und Krachen später, war das Schild runter. Ryo warf es einfach zur Seite und öffnete die Tür. "Ach ja! Bevor ich's vergesse, schreibt noch drunter: Schlüssel braucht ihr nicht, wir haben offen gelassen", schallte es wieder durch den Gang, "Idioten..." Der Raum platzte fast aus allen nähten. Überall standen Waffen und das wenige Licht, das durch die vernagelten Fenster fiel, machte die Suche nicht gerade einfacher. "Das war doch irgendwo hier... Moment, hier nicht... da auch nicht... Vielleicht hier im Schrank... Oh, ganz schlechte Idee", fluchte er als ihm sämtliche Waffen entgegen kamen. "Wer hat Aufräumdienst diese Woche?", er musterte die Liste am Eingang, "Oh, ich, naja, egal. Morgen ist eh jemand anderes dran, also was soll's." "Wonach suchst du genau?", fragte Shiroi. "Nach einem Scharfschützengewehr..", antwortete Ryo. "Warum krieg ich nicht so ein schönes Schwert wie du?" "Was? Schwert? Nein, keine gute Idee. Du kannst ja gerne mal versuchen eins davon hochzuheben, die sind nicht gerade leicht." Das Mädchen blickte in die Ecke mit den Klingen und versuchte eines davon hoch zu heben. Doch egal wie sehr sie sich anstrengte, sie bekam das Ding nicht mehr als ein paar Zentimeter hoch. "Oh Mann, wie kriegst du das Schwert überhaupt hoch?", wollte sie wissen während sie das Schwert wieder zurück wuchtete. Bei Ryo sah das immer so leicht aus. "Oh, stimmt, das hab ich dir ja noch gar nicht erzählt. Ich verfüge auch über gesteigerte physische Kräfte, sprich, ich bin einfach etwas stärker als andere. Aber mit Axel oder Thomas könnte ich's nicht aufnehmen. Ich sag dir, das sind vielleicht Muskelberge, auch wenn sie nicht so aussehen...", ihm fiel eine kleine Pistole auf den Fuß, worauhin er anfing zu fluchen und das Mädchen nur leicht kichern konnte, "Ah, hier haben wir's ja. Die dürftest du tragen können." Er überreichte ihr ein Gewehr mit einer Länge von gut 110 Zentimeter. Shiroi musterte das große Gewehr. Es war nicht so schwer wie sie erwartete hatte, aber auch nicht gerade leicht. "Was soll ich mit einem so großen Gewehr?" "Da du für den Nahkampf aufgrund deiner Physiologie ungeeignet bist, brauchst du eine Fernkampfwaffe..." "Hätte so eine Pistole, wie bei Rafael nicht auch gereicht?", unterbrach sie ihn. "Wenn du über die sechsfache Sehstärke eines normalen Menschen verfügen würdest... vielleicht. In allen anderen Fällen wäre jeder Treffer reine Glückssache und das kann man sich in Gefechten nun wirklich nicht erlauben... Hier ist noch eine Tasche, damit kannst du das Gewehr über längere Strecken auf dem Rücken tragen." "Danke", damit nahm sie die Waffe ihn empfang, die erstaunlicherweise nicht so schwer war, wie sie erwartet hatte, "zeigst du mir auch wie man damit umgeht?" "Da fragst du besser Rafael, der kennt sich mit Schusswaffen besser aus. Ich könnte dir etwas über den Umgang mit Klingenwaffen beibringen... aber meine Stärken liegen doch ehr bei wissenschaftlichen Fragen", lehnte Ryo mit einem verschmitzten Lächeln ab. "So, ich denke damit bist du fürs erste gut ausgerüstet. Wir sollten dann zum Schützenplatz, unser Meisterschütze ist auch da und...", weiter kam er nicht. Vor ihm baute sich eine schlanke Frau auf. Die braunen Haare reichten ihr bis zu den Hüften und wurden nur von einem Haarband aus dem Gesicht gehalten. Ihre braunen Augen funkelten Ryo böse an. Die Arme hatte sie vor der nicht zu unterschätzenden Brust verschränkt. Sie trug ein langes schwarzes Shirt mit Kapuze und eine enge Jeans. An den Füßen trug sie Chucks. "Du gehst hier nicht raus, bevor du nicht aufgeräumt hast. Du kannst dich doch nicht immer vor deinen Pflichten drücken." "Ähm, hi Elia, freut mich dich zu sehen." "Versuch erst gar nicht dich bei mir einzuschmeicheln. Diesmal räum ich nicht für dich auf!", fuhr sie ihn lautstark an, dann wandte sie sich an Shiroi und ihre Stimme war wieder ruhig und angenehm: "Shiroi, richtig?" Das Mädchen nickte. "Ryo wird noch eine Weile brauchen, also bring ich dich zum Schützenplatz." "Aber... komm schon Elia, nur noch dieses eine Mal, ich versprech dir, nächstes Mal denk ich dran", versuchte es Ryo ein letztes Mal. "Halts Maul, irgendwann verlierst du auch mal deine Glaubwürdigkeit", schnauzte diese ihn harsch an. Shiroi schwieg, sie traute der Frau irgendwie nicht. Wie konnte man von einem auf den nächsten Augenblick so ruhig sein? Das passte irgendwie nicht. "Ich hoffe, ich hab dich nicht verschreckt. Du bist auf einmal so still. Nicht, dass du viel sagen würdest", dabei lächelte Elia sie an und streckte zufrieden ihre Arme nach vorne, während die Hände gefaltet waren. "Was sind deine besonderen Fähigkeiten?" Das Mädchen schaute verlegen auf den Boden: "Ich hab keine. Ich bin ein ganz normaler Mensch." "Tatsächlich, du besitzt keine einzige? Das ist außergewöhnlich, normalerweise besitzt jeder so was... oh, äh, ich wollte dich nicht kränken. Du musst wissen, nicht immer sind diese Fähigkeiten positiv. Wir hatten mal einen Jungen, der immer mit Ohrenschützern rumlaufen musste, weil er ein überdurchschnittliches Gehör hatte. Jedes Rufen und Reden, klang für ihn wie Schreien. Sehr unangenehm, soweit ich mich erinnere hat er fast zwei Jahre kaum geschlafen, bis er die Fähigkeit in den Griff gekriegt hat..." "Und du?", wollte Shiroi wissen. "Ich? Ich weiß nicht genau... Ryo meinte, ich hätte irgendwie einen Mix aus allem. Bei mir sticht keine der Fähigkeiten heraus, deshalb falle ich auch nicht wirklich auf. Ich kann alles ein bisschen besser als andere und alles schlechter, als diejenigen, die wir als Spezialisten bezeichnen... Ah, da sind wir ja schon." Rafael wandte sich um und entdeckte sowohl Shiroi, als auch Elia. "In Ordnung, ich habe verstanden", sagte er nur und die Frau verabschiedete sich. "Komm her, Shiroi." Das Mädchen tat wie ihr geheißen und stellte sich neben den Schützen. Sie nahm das Gewehr aus der Tasche und ließ es Rafael begutachten. "Ja, erstklassige Wahl, genau an dieses Modell hatte ich gedacht... Gut, fangen wir an..." Ein halbe Stunde erklärte er ihr, wie sie die Waffe am besten einsetzte, um eine gerade Schusslinie zustande zu bringen und nicht all zu sehr vom Rückstoß behindert wurde. Dann zeigte er ihr, wie sie das Magazin einsetzen musste und die Waffe sicherte und entsicherte, um zu verhindern dass sie ungewollt losging. "Diese Waffe ist dafür vorgesehen, vom Schützen im Liegen oder Knien benutzt zu werden. Du suchst dir im Kampf einen guten Aussichtspunkt und fixierst von dort aus, entweder die gegnerische Einheit oder Monster... etwas höher vorne, sonst gräbt sich die Kugel in den Boden." Shirois erster Schuss ging ziemlich daneben. Außerdem hatte sie bislang nur Übungsgeschosse im Magazin. Die echten Kugeln waren viel zu kostbar, um sie beim Training zu verschießen. "Lass beide Augen beim Zielen offen, dann triffst du besser", gab ihr Rafael den Tipp, bevor das Mädchen den zweiten Schuss ausführte. Dieser traf zumindest schon mal das Ziel, aber so wirklich zufrieden stellend waren die Schüsse erst nach einer Stunde. "Das Zielen und auf- und abbauen der Waffe werden schnell genug zur Routine. Wenn du jeden Tag übst, solltest du es in einigen Wochen zu einem recht guten Schützen bringen. Aber im Moment, solltest du noch auf gar keinen Fall an irgendwelchen Einsätzen teilnehmen. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss weiter und mich auf meine nächste Mission vorbereiten", verabschiedete er sich. Langsam zog sich der Himmel zu, während Shiroi ihre Waffe wieder auseinander baute und sorgfältig in der Tasche verstaute, wie Rafael es ihr gesagt hatte. Hinter dem Mädchen baute sich das Hauptquartier der Söldner auf. Ein noch recht intaktes dreistöckiges Gebäude, das inmitten der vielen Hochhäuser kaum auffiel und von der Luft aus, leicht für eine Ruine gehalten werden konnte. Im Innenhof befand sich ein kleiner Garten, mit allerlei Nutzpflanzen, der Lieblingsplatz des Mädchens. Pflanzen hatte sie bisher nur von dem Bild in ihrem ehemaligen Gefängnis gekannt. Sie wuchtete sich die Tasche auf den Rücken und wollte bereits ins Gebäude zurück, als sie ein merkwürdiges Geräusch hörte. Kapitel 5: Kapitel 4: Die Feuertaufe ------------------------------------ Kapitel 4: Die Feuertaufe "Alarm... Alarm... Alle Söldner und Kämpfer auf ihre Posten. Monsterangriff der Stufe acht und sieben!", schallte es über das gesamte Gelände. Shiroi stand wie angewurzelt auf dem Platz und starrte in den Himmel, als erwartete sie jede Sekunde, einen Angriff von oben. Von hinten packte sie Ryos Hand und zog sie in das Gebäude. "Du bleibst hier, hast du mich verstanden?" Sie nickte, auch wenn sie eigentlich helfen wollte. "Du bist noch nicht gut genug und das weißt du auch. Ich schlepp dich nicht noch mal alle achtundvierzig Stufen hoch", fügte er noch scherzhaft hinzu. Dann verschwand er in der Menge und zog sein Schwert aus dem Mantel, den er nun wieder trug. Zurück blieb Shiroi und wurde in der Menge vorwärts geschubst. Eine ältere Frau mit einem Kind auf dem Arm nahm sich schließlich ihrer an und erklärte ihr, dass nun alle kampfunfähigen Leute in die Schlafräume zurückkehren müssten. Dem Mädchen missfiel dieses Gedränge. Ab und zu hörte man ein Kind weinen und nachdem das zuschlagen der Türen verklungen war, drang nur noch das Knallen von Patronen oder auch Schmerzensschreie durch die angespannte Stille. Ryo nahm zwei Stufen auf einmal und brachte sich auf das Dach des Gebäudes. Von dort aus überblickte er die Gegend. Die ganze Umgebung schien wie ein einziger grauer Schleier. Graue Ruinen, so weit das Auge reichte und ein dunkler Himmel, der von Unheil kündete. Das Dach wies an zahlreichen Stellen notdürftig geflickte Löcher auf und von dem Drahtzaun, der einst als Begrenzung gedient hatte, war nicht mehr sonderlich viel übrig. Aus südöstlicher Richtung näherte sich ein Schwarm von Giftspuckern. Diese kleinen Biester durfte man auf keinen Fall unterschätzen. Ein Spritzer ihres Gifts in einer offenen Wunde und man wurde hilflos und starb kurze Zeit später. Außerdem hatten diese kleinen Biester die Angewohnheit ihre Opfer zu fressen. Dabei sahen sie aus wie ein weißer Plüschball mit Fledermausflügeln als Ohren, einem roten Schopf und einer Art Antenne auf dem Kopf... und diese Knopfaugen, passten erst recht nicht. "Wie viele sind es, Rafael?", rief Ryo seinem Kumpel zu, der auf dem Wasserspeicher stand. "Zwölf", er schoss, "Jetzt noch elf. Sie sind ungefähr noch zweihundert Meter entfernt. In zwanzig Sekunden sind sie hier." "In Ordnung", rief er. "Jackson, wie sieht's bei euch unten aus?", brüllte Ryo regelrecht ins Funkgerät, als er den Lärm aus dem Lautsprecher hörte. "... Was? Ähm ... Stirb Mistvieh!! Wir haben hier ein paar Schwarzhornstiere. Du weißt schon, diese fetten Viecher mit den Hörnern... Lane, jetzt geh von der Antriebswelle weg!", man hörte den Mechaniker wild fluchen - er weigerte sich von seiner Maschine wegzugehen. "Braucht ihr da unten Verstärkung?", fragte Ryo laut. "Nein, alles paletti, Thomas und Axel toben sich mal wieder richtig schön aus... Sorry muss auflegen, der Stier lässt einfach nicht locker... over und ende." Gut, die Situation war soweit unter Kontrolle. "Und ich dachte, die hätten sich das letzte Mal satt gegessen", rief der Schwertkämpfer Rafael zu, der wieder eines der Monster in den ewigen Schlaf geschickt hatte. Das letzte Mal hatten sie drei Männer an diese Mistviecher verloren und die gezüchteten Hühner. Das hatte sie schwer getroffen und es war mühsam den Bestand wieder zu regenerieren. Ryo langte in seine Tasche, holte das Messer heraus und setzte es wie zuvor in die Klinge ein. "Jetzt wollen wir mal sehen, ob das auch funktioniert. Show Time!", rief er voller Vorfreude. Die Plüschmonster flogen heran und stürzten sich auf alle Söldner, die sich auf dem Dach befanden. Rafael war ganz in seinem Element. Jeder Schuss traf und dabei achtete er peinlich darauf, dass keine der Giftblasen versehentlich zerplatzte. Als eines der Monster gefährlich nah an ihn herankam sprang er vom Wasserspeicher und rollte sich auf dem Boden ab. Das Monster krallte sich in den Wassertrog und beäugte Rafael argwöhnisch, dann stieß es hinab, den mit Zähnen gespickten Mund weit auf gerissen. Eine grünliche Flüssigkeit tropfte heraus und hinterließ ein kleines Loch im Beton. Der Schütze zog die rechte Augenbraue hoch und begann zu zielen. Na komm schon her du kleines Monster. Er schoss und traf das Monster kurz über der Giftblase, mitten ins Herz. Leblos fiel der kleine Körper zu Boden und Rafael schob ihn mit dem Fuß beiseite. Ein Schrei durchriss den Kampfeslärm und als der Meisterschütze die Quelle des Schreis ermittelte, war es bereits zu spät. Die Monster fielen über einen jungen Söldner mit einem Schwert her. Das Blut spritzte aus den zerfetzten Gliedern. Es war einfach grauenhaft. Ryo verzog angewidert das Gesicht. Er hatte begonnen sich mit dem Jungen anzufreunden - und nun so ein Ende, das würden diese Viecher bereuen. Er schob sich die Brille hoch und stürmte auf das Monsterknäuel zu. Zwei Schüsse kamen ihm zuvor, sodass nur noch drei für ihn übrig waren. Die restlichen fünf kreisten über ihren Köpfen in der Luft. Doch nicht mehr lange, da war sich Ryo sicher. Er hob das Schwert und hieb mitten in die Menge. Die Monster stoben auseinander und stürzten sich auf den Mann. Na na, nicht so eilig! Dann wollen wir doch mal sehen, was dieses kleine Schätzchen so alles kann. Er betätigte einen Schalter an dem Messer, daraufhin fing das Schwert an zu glühen. Eines der Monster konnte nicht mehr schnell genug zurückweichen und wurde gnadenlos in zwei Teile zerlegt. Na ja, nicht nur das, es ging regelrecht in Flammen auf. Zufrieden lächelte das Genie. Er hatte die Eigenschaften des Feuerherzens, einer Erfindung Lanes, erfolgreich auf das Messer und nun auch auf das Schwert übertragen. Er betrachtete die verkohlten Überreste. Irgendwie zitterte die Leiche... seltsam. Bevor er begriffen hatte was los war, explodierte die Giftblase und die Säure ergoss sich über seinen Mantel, zum Glück hatte er rechtzeitig die Arme vor das Gesicht bekommen. Er brüllte auf vor Schmerz, als sich die oberste Hautschicht zersetzte. Eiligst warf er den Mantel zu Seite und duckte sich unter der Säurespucke eines anderen Monsters hinweg. Er fummelte das Messer aus der Halterung und ließ es fallen. Die letzten beiden am Boden zerteilte er und brach dann unter Schmerzen zusammen. Seine Arme zitterten und es bildete sich ein eitriger Film auf der noch frischen Wunde. Schuss um Schuss prasselte auf den Schwarm ein. Rafael schaute immer wieder nervös zu Ryo. Das sah nicht gut aus, was hatte er jetzt schon wieder angestellt! Noch bevor das letzte Monster zu Boden fiel rannte der Schütze zu seinem verletzten Kumpel und half ihm hoch. "Ganz ruhig, das kriegen wir schon wieder hin", brachte Rafael nur hervor, als sein Blick auf die Wunde fiel. Dabei zeugte sein Gesicht, aber eindeutig von einer anderen Meinung. "Ich kann wohl doch noch nicht auf mich aufpassen, was?", kam die Reaktion vom Genie gequält. "Bei dem Unfug, den du immer anstellst, könnte man das meinen, ja durchaus." Ein anderer Mann, sehr dünn und hager mit aschblondem Haar, kam die Treppe hoch geeilt. "Ryo, Rafael, wir haben ein Problem!", rief er den beiden atemlos entgegen. "Schon gut, ich kümmere mich um die Stiere, bring du Ryo in...", setzte Rafael an. "Ja, wenn's nur das wäre... aber wir haben ein Monstersignal der Stufe vier im Gebäude. Und wir haben keine Ahnung was das für ein Viech ist!", unterbrach ihn der junge Mann. Rafael wuchtete ihm Ryo auf und verschwand dann die Treppe nach unten. Der junge Mann guckte nur verdutzt und schaute dann zu Ryo. "Hi", sagte der Schwertkämpfer und grinste dabei. Shiroi saß nervös in einem der Frauengemeinschaftszimmer und lauschte dem Lärm von draußen. Es war als herrsche das absolute Chaos da draußen. Sie ging zur Tür und spähte in den Flur. "Lass das lieber, sonst werden wir noch entdeckt", warnte sie ein junges Mädchen. Was sollte denn schon passieren? Shiroi schlich sich auf den Flur und lugte vorsichtig ins Treppenhaus. Etwas nervös umklammerte sie ihre Waffe. Schwach fiel das Sonnenlicht, durch die zerstörten Fenster in den Flur. Der Lärm wurde immer lauter. Sie schaute nach hinten, ihr war niemand gefolgt. Sie war also allein auf diesem Flur. Vorsichtig nahm sie eine Stufe nach der anderen. Auch im ersten Geschoss war niemand zu sehen... dennoch... sie hatte das Gefühl beobachtet zu werden. Ruckartig drehte sie sich um, doch da war niemand. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken runter. "Hallo?", rief sie in den leeren Gang, "Ist da jemand?" Keine Antwort. Ihre Hand schnellte zu der Tasche mit ihrer Waffe. Eilig baute sie das Gewehr zusammen und entsicherte es. Da war etwas, da war sie sich ganz sicher. Ihre Augen huschten von einer zur nächsten Ecke. Jedes Geräusch schallte in ihren Ohren unheimlich laut wieder. Ihre Muskeln waren gespannt, die Beine jederzeit bereit los zu laufen. Da war ein Schatten... oder doch nicht? Nein, sie hatte ihn gesehen, aus den Augenwinkeln wahrgenommen. Sie hatte ihn zweifelsohne gesehen, aber wo war er jetzt hin? Das schwache Licht der Sonne, warf kaum Schatten... aber dieser, dieser war so intensiv gewesen. Wie konnte das sein? Shirois Atem ging schneller, ihre Glieder zitterten, sie hatte Angst. Ein kurzer Augenblick, sie hatte ihn wieder gesehen. Hinter ihr! Ruckartig drehte sie sich um und starrte ins Leere. Was wird hier gespielt? Ich will nicht... Ich will nicht!! Ein seltsames Mauzen drang durch die Stille. Es schien von allen Seiten zu kommen. Hektisch umkreiste der Schatten das Mädchen. Noch hatte er keine richtige Form, doch seine Konturen wurden immer deutlicher. Aus dem Dunkel blitzten zwei gelbe Augen auf, mit schmalen Pupillen. Sie schienen jeden Zentimeter des Mädchens genaustens zu mustern. Die Waffe die sie hatte, war in diesem engen Korridor kaum zu gebrauchen und schon gar nicht auf diese Entfernung. Ryo hatte ihr doch gesagt, dass sie sich aus Nahkämpfen raushalten sollte, aber was wenn dies doch geschah? Langsam konnte man auch Schnurrhaare erkennen und spitze Ohren, seitlich am Kopf. Ein bizarres blassgelbes Muster bedeckte den Körper des Tieres. Es war als würde es leuchten. Schatten und Licht in einem bizarren Spiel ineinander verflochten. Der Körper war schlank und muskulös und war gut 1,20m lang (ohne Schwanz gemessen), bei einer Höhe von sechzig Zentimetern, wenn man von der Schulterhöhe ausging. Das Maul war gespickt mit messerscharfen Zähnen. Noch immer umkreiste sie dieses Geschöpf und leckte sich dabei die Fänge. Ihre Krallen spielten voller Vorfreude mit dem Bodenbelag und hinterließen tiefe Schrammen im harten Stein. Es war ein Geräusch, so angenehm, wie der Todesschrei eines Menschen. Ein Satz nach vorne und Shiroi wurde von dem Gewicht des Monsters zu Boden gedrückt. Mit aller Macht versuchte das Mädchen das katzenartige Wesen mit der Waffe von ihrem Körper fernzuhalten. Doch sie spürte wie ihre Muskeln unter der Anstrengung schmerzten und die Waffe drückte schmerzhaft auf ihre Brust. Der warme Atem des Tieres schlug ihr entgegen und sie konnte die Blutgier in den gelben Augen lesen. Wozu bin ich einem Leben in Gefangenschaft entflohen, wenn ich jetzt gefressen werde. Ich will noch nicht sterben! Sie versuchte ihre Beine zu bewegen, doch das Biest drückte ihr seine Krallen ins Fleisch. Sie schaute sich um, entdeckte aber nichts, dass sie aus ihrer misslichen Lage befreien könnte. Shiroi spürte wie die Muskeln der Katze vor Vorfreude zitterten. Sie spielte nur mit dem Mädchen. Immer schwerer wurde es zu atmen für das Mädchen. Der Druck auf ihrem Brustkorb war nun fast unerträglich. Rafael rannte durch die Gänge, auf der Suche nach dem Stufe vier Monster. Womöglich hatte sich ein Panzersalamander eingeschlichen, oder auch eine Schattenkatze. Im Erdgeschoss lagen die Kadaver von insgesamt fünf Schwarzhornstieren. Einige Männer waren verletzt, aber glücklicherweise blieb es auch dabei. Lane weigerte sich die Platzwunde an seiner Stirn behandeln zu lassen, sondern war bereits damit beschäftigt weiter an der Antriebswelle zu arbeiten und einige leichtere Fehlkalkulationen in der Planung zu beheben. Axel kam herbei und hob den kleinen Mann kurzerhand einfach hoch, worüber dieser sich furchtbar aufregte. Der muskulöse Mann trug ein schwarzes Tuch um den Kopf gebunden und war von kräftiger Statur. Mit seinen 2,10m überragte er alle anderen aus dem Lager. Er hatte ein freundliches Gesicht, welches von einigen blasseren Narben gezeichnet war. Dass er ein ehemaliger Soldat war, sah man besonders an seiner bläulich-grauen Tarnfarbenkleidung und den schweren Stiefeln. Rafael grüßte die beiden kurz und warnte sie vor dem Monster, das sich im Gebäude noch herumtrieb. Dann verließ er die große Lagerhalle - die unter anderem als Kantine diente und als Erweiterung zu Lanes Werkstatt - in Richtung Schützenplatz, von wo aus er am ehesten die Schlafsäle der Frauen erreichte. Im Erdgeschoss war noch alles ruhig, aber er hörte seltsame Geräusche aus dem ersten Stock. Als er die Treppen erklommen hatte, sah er Shiroi, wie sie von der Schattenkatze fast erdrückt wurde. Er hob seine Waffe und feuerte. Die Schattenkatze löste sofort ihre feste Form auf und verschmalz wieder mit den Schatten an der Wand. Die Kugel rauschte einfach nutzlos durch den schwarzen Nebel und ließ ihn auseinander wabern. Erleichtert atmete das Mädchen auf - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Jetzt hieß es erst einmal warten, bis das Biest sich traute wieder in seine verwundbare Form über zu wechseln. Rafael zog indes Shiroi auf die Beine und ermahnte sie, ganz dicht bei ihm zu bleiben. Sie konnten die gelben Augen sehen, jeden Schritt der Schattenkatze verfolgen, aber sie konnten nichts gegen das Biest unternehmen. Rafael schloss die Augen und konzentrierte sich. Ryo hatte irgendetwas gesagt... irgendetwas, wie man diese Dinger besiegte. Sie hatten sich über etwas gestritten,... richtig, Ryo hatte gesagt, dass Schatten und Licht nicht ohne einander nicht existieren könnten, schon allein wegen der Tatsache, dass ein Schatten entstand, wenn man etwas mit Licht anstrahlte. Rafael hatte daraufhin gemeint, was wäre denn, wenn es absolut dunkel wäre, herrschten dann nicht die Schatten? Nein, dann ist es einfach nur dunkel, aber dann gibt es keine Schatten, mein Freund. Richtig, das hatte er gesagt. Aber bis die Sonne unterging, war es noch eine Weile und selbst dann, wäre es nicht vollkommen dunkel. Der dusterste Ort im ganzen Trakt war Lanes Werkstatt. Oh, dass würde der kleine Mann niemals zulassen, da ließe er sich lieber auffressen. Doch sie hatten keine andere Wahl. "Shiroi, du musst mir jetzt vertrauen, wenn ich drei sage, rennst du mir nach, so schnell du kannst, ok?" Das Mädchen nickte. Sekunden verstrichen, bis der Abstand der Katze zur Treppe groß genug war. "Drei", rief Rafael und sprintete los. Shiroi warf die Waffe von sich und kam hintendrein. Doch als Rafael hinter sich schaute war das Monster verschwunden. "Was zum?", fragte er verdutzt, in Filmen funktionierte das doch immer. Krallen sprangen von der Wand im Treppenhaus und verfehlten den Schützen nur um Haaresbreite. Dieses Biest war lange nicht so dumm, wie er sich erhofft hatte. Jedes Mal wenn sie losrannten, stoppte es sie einfach wieder, sodass sie kaum vorankamen. Beim vierten Mal erwischte es schließlich Rafael, aber anstatt des splitternden Oberarms, in dessen Knochen sich das Biest hätte verbeißen müssen, gab es nur ein metallenes Knirschen. "Du glaubst doch nicht, dass ich meine Haut nur mit Stoff schütze. Ich trage selbstverständlich Armschienen, du dummes Katzenviech!", er zog seine Knie ruckartig nach oben, sodass das Monster strauchelte. Kurz darauf ertönte ein Schuss und die Katze jaulte auf. Das Geschoss hatte sie am Bein erwischt. Blitzschnell reagierte der Schütze und führte den Gnadenstoß aus. Der Körper der Katze sackte leblos zur Seite. Shiroi atmete erleichtert auf, während Rafael misstrauisch nach draußen spähte. Woher war der Schuss gekommen? Kapitel 6: Kapitel 5: Der Kranke und der Heiler ----------------------------------------------- Nach dem Kampf hatte man sich in der großen Eingangshalle versammelt. Die Kadaver der Stiere wurden beiseite in die Küche geschafft und die Frauen waren damit beschäftigt das Blut von der Schlacht wegzuwischen. Die großen Lampen, die von der Decke hingen, brannten bereits, auch wenn die Sonne noch nicht untergegangen war. Nach vorne hin fanden sich zwei große eiserne Tore, die ein ungewolltes eindringen fast unmöglich machten. An einem dieser Tore waren die Männer zusammen mit Lane damit beschäftigt das Schloss wieder in Stand zu setzen. Die Stiere hatte es mit ihrer brachialen Gewalt einfach aufgebrochen. Aus dem kleinen Korridor, der im östlichen Teil hinaus zum Schützenplatz führte, befanden sich Lanes Werkstatt und dich Küche, aus der ab und zu ein aufgeregtes Geschnatter drang. Für die Menschen in dem Lager, schien der Angriff fast Routine zu sein und Shiroi war einerseits beeindruckt, aber auch entsetzt darüber, wie die Leute mit der Situation umgingen. Doch für die Kleine was das alles entsetzlich und sie konnte nicht verstehen, wie einige Männer es schafften bereits wieder Scherze zu machen. "Hör endlich auf zu jammern, Thomas!", Axel zog ihm eine über die Rübe. Wegen der lächerlichen Fleischwunde am Oberschenkel, spielte der Kraftprotz jetzt schon seit einer halben Stunde den Wehleidigen. Dabei hatte er verhältnismäßig Glück gehabt. Ryo saß etwas entfernt, an einem der langen Tische und tauchte seine Arme in eine Kräuterlösung. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und das Lächeln war einer angestrengten, fast steinernen Maske gewichen. Shiroi saß ihm gegenüber und schaute entsetzt in die Lösung. Rote Blutfäden waberten durch das Wasser und die Verätzungen waren von einem dicken Eiterfilm überzogen. Rafael kam heran und wechselte bereits zum sechsten Mal das Wasser. "Wenn das so weiter geht, gehen uns bald die Kräuter aus. Gott Ryo, was hast du nur angestellt?" Der Brillenträger blieb ruhig, er war viel zu sehr damit beschäftigt nicht ständig schmerzerfüllt aufzustöhnen und die Wellen des Schmerzes niederzukämpfen, die sekündlich seine Arme empor pochten. "Er wird doch wieder gesund, oder?", fragte Shiroi besorgt. "Mach dir nicht zu viele Gedanken, wir sind eben Söldner, da passiert so was schon mal. Außerdem bin ich selbst Schuld, ich musste die Waffe ja unbedingt austesten. Ich bin hart im nehmen und ruck zuck wieder auf den Beinen", antwortete Ryo mit einem gequälten Lächeln. Rafael senkte den Blick. Er glaubte den Worten seines Kameraden nicht. Keiner der so eine Portion Giftspucke abbekommen hatte, lebte heute noch. Er wusste genau wie das ablaufen würde. Erst würde Ryo unerträgliche Schmerzen bekommen und dabei zusehen, wie ihm langsam die Arme abstarben. Danach, wenn er denn noch lebte, würde er die letzten Tage in einem einzigen Fieberwahn verbringen. Er hatte keine Chance. Shiroi konnte in Rafaels Blick lesen, was er dachte und so stand sie auf und verließ die große Halle in Richtung Innenhof. Elia schaute dem Mädchen nach und warf dem Schützen einen vorwurfsvollen Blick zu. Dieser erwiderte diesen kalt und wandte sich dann ab. Die Sonne kroch unter der Wolkendecke hervor und lange Schatten fielen von den Sträuchern und dem Gebäude. In der hintersten Ecke lag Shiroi auf dem Rücken und betrachtete die Wolken. Sie hatte in ihrer Kindheit nie Gelegenheit dazu gehabt. Alles in dieser Welt war ihr irgendwie fremd. Mit ihren fünfzehn Jahren hatte sie noch viel zu lernen. Ihr war zwar eine Menge genetischen Wissens eingepflanzt worden, doch zu diesem hatte sie nur einen sehr beschränkten Zugang, da der größte Teil der Informationen fehlerhaft und nicht abrufbar war. So hatte sie den Wissenstand ihrer Altersgenossen und hatte die Chance ein gleichwertiges Leben zu führen. Der Garten des Lagers war recht klein. Viele Arten von Fruchtragenden Sträuchern und kleineren Pflanzen drängten sich aneinander. In der linken hinteren Ecke stand ein kleines Gehege mit Hühnern, die sehr damit beschäftigt waren sich um das Futter zu streiten. Ein kleiner Weg führte vom Tor im Erdgeschoss einmal um den Garten herum. Als Begrenzungen dienten Steine aus den Trümmern. Eine Hälfte der Anlagen war mit Licht geflutet und die andere lag im Schatten. Das Mädchen hörte Schritte, die über das spärliche Gras tapsten. Als sie den Kopf zur Seite wandte, erkannte sie Elia, die sich neben sie setzte und ebenfalls in den Himmel starrte. Die Arme um die Knie geschlungen, lächelte diese gedankenverloren. Shiroi kam dieses Verhalten etwas seltsam vor. "Ich weiß, dass du Ryo sehr magst und Rafael tut das auch. Selbst wenn er sich manchmal so kalt aufführt. Ich..." "Er hat Recht, nicht? Ich meine, dass Ryo sterben könnte... seine Arme sehen wirklich schlimm aus...", unterbrach das Mädchen die Frau. Man konnte ihrer Stimme anhören, wie sehr sie das ganze mitnahm. "Gibt es denn im Lager keinen Arzt?" "Leider ist Ryo der einzige. Naja, er ist auch kein richtiger Arzt, aber er versteht am meisten von Medizin von uns allen. Er hat viele Bücher darüber gelesen und bisher konnten wir uns immer auf ihn verlassen... Wenn er nicht weiter weiß... dann..." "Aber es muss doch in der Nähe, oder in der nächsten Stadt einen geben... ich meine, wir können ihn doch nicht einfach so sterben lassen!", Tränen schimmerten in den Augen der Kleinen. Ihr weißes Haar glitzerte wie frischer Schnee in der Sonne. Elia schüttelte den Kopf. "Aber was sollen wir dann tun?", fragte Shiroi hilflos. Elias Blick wanderte zu Boden als sie antwortete: "Wir können nur hoffen, mehr nicht. Wir haben schon viele Männer an diese Viecher verloren, mehr als an viele andere Monsterarten. Die Tatsache, dass wir keinen Arzt haben, ist uns schmerzlich bewusst, aber wir haben bisher keinen finden können, auch in den Außenterritorien der Zone nicht." Als die beiden in die große Halle zurückkehrten, saß Ryo noch immer am Tisch. Sein Brustkorb bebte und er hatte die Augen zusammengekniffen. Rafael saß daneben und hatte das Gesicht aus Verzweifelung in den Händen vergraben. Es herrschte eine bedrückende Stille, die nur durch ein metallenes Hämmern zerrissen wurde, welches aus Lanes Werkstatt drang. Doch die Monotonie des Geräusches trug keinesfalls zu einer Verbesserung der Stimmung bei. Der Angriff war erst drei Stunden her und trotzdem war Ryo bereits jetzt in einem jämmerlichen Zustand. Noch hatte die Verletzung sich nicht ausgebreitet, doch es war nur eine Frage der Zeit, vielleicht die weniger Stunden. Shiroi fiel es schwer ihren Freund so zu sehen. Elia presste das Mädchen an sich. Fast im gleichen Augenblick, kippte Ryo zur Seite und fiel bewusstlos zu Boden. Rafael sprang auf und beugte sich über seinen Kameraden. Tränen standen ihm in den Augen. Auch Shirois Beine gaben nach. Schluchzend saß das Mädchen am Boden und schaute zu, wie Axel Ryo wegtrug. "Schon gut Kleine, komm her", flüsterte Elia ihr zu. Das Mädchen weinte aufgelöst und auch Elia rang um ihre Fassung. Rafael brüllte verzweifelt auf und hieb hilflos auf die Hallenwand ein, bis seine Knöchel aufgeplatzt waren und auch er zusammensank. "Bleib hier, ja meine Kleine?", bat Elia die Weißhaarige und strich sich gleichzeitig die Tränen aus dem Gesicht. Das Mädchen sah einfach nur weg und spürte, wie die Hände der Frau von ihren Schultern glitten. Traurig glitten ihre roten Augen über die Bank, an der gerade noch Ryo gesessen hatte. Die Arme vor der Brust verschränkend vergrub sie ihre Hände in den Ärmeln. Langsam ging sie hinaus auf den Schützenplatz und ließ wieder die spärliche Sonne auf ihre Haut scheinen. Als sie einen Riss in einer der Mauern fand, der groß genug war, um hindurch zu schlüpfen, reifte in ihr der Entschluss selber auf die Suche nach einem Arzt zu gehen. Genaustens sah sie sich um, um sicher zu gehen, dass sie niemand beobachtete. Die Hände zu Fäusten ballend und sich auf die Lippe beißend schritt sie schließlich zielsicher auf den Riss zu. Die Steine der Mauer waren an dieser Stelle herausgebröckelt und hatten in Kopfhöhe einen schmalen, sich nach oben verbreiternden, Riss hinterlassen. Die Weißhaarige stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte Halt in der Spalte zu finden. Einige Male rutschte sie jedoch ab und schürfte sich etwas Haut an der Handkante ab, aber sie gab nicht auf. Tatsächlich schaffte sie es auch, als sie sich geschickte mit einem Fuß von der Mauer abstieß und so genug Schwung hatte, sich hoch zu ziehen. Hinter der Mauer ging es in gleicher Höhe wieder herunter und so machte sich das Mädchen mit einem Sprung auf, auf ihre Suche. Shiroi rannte durch die verwüsteten Straßen und wich dabei umgeknickten Straßenlaternen und Autowracks aus. Überall klafften Löcher im Straßenbelag. Kein Fenster war mehr intakt, kein Gegenstand da, wo er sein sollte. Es herrschte ein erdrückendes und beklemmendes Chaos. Das Mädchen blickte in den Himmel und ließ den Regen ihr Gesicht herunter rinnen. Sie lächelte schwach und wandte sich dann ab. Ihr Weg führte sie direkt zum Stadtpark. Als sie aus den endlosen Gassen auftauchte und auf eine der Hauptstraßen trat, wehte ihr ein unheimlicher Wind entgegen. Das ganze Parkgelände war von einem dunklen Eisenzaun umgeben und mutete, mit den ineinander verflochtenen Stäben, äußerst seltsam an. Das große Eisentor mit den Spitzen und zwei großen Wölfen als Tiermuster, hing lose in den Angeln und quietschte, wann immer eine Windböe stark genug war es zu bewegen. Shiroi ging langsam darauf zu, während sie die toten Bäume im Park fixierte. Es war unheimlich. Ihre Schritte betraten weichen Boden. Totes Laub türmte sich am Boden und war durch den Regen fast schwarz und sehr rutschig geworden. Zwischen den Stämmen waren zahllose Gräber. Doch nirgendwo fand man Blumen oder Grabsteine. Lediglich windschiefe hölzerne Kreuze markierten die Stellen, an denen die Toten lagen. Es sah so aus, als hätte seit langem niemand mehr diesen Ort betreten. Die Schritte des Mädchens schienen ihr schwerfällig und viel zu laut für diesen Ort. War es auf einmal kälter geworden, oder bildete sie sich das ein? Vorsichtig ging sie weiter und horchte auf jedes Geräusch. Doch außer dem Heulen des Windes und dem rauschenden Regen, konnte sie nichts hören. Der Weg führte vorbei an einigen Bänken und einem See, den mittlerweile Schilfgras und einige Seerosen beherrschten. In den verlassenen Pavillons wucherte Efeu. Es waren alte Zeugen der Zivilisation die hier noch übrig geblieben waren. Shiroi suchte in einem der Pavillons Schutz vor dem Regen und grub sich in das matte grün der Blätter. Das Gesicht auf die Arme gestützt, die sie um ihre Knie geschlungen hatte. Alles war so grau und trist. So deprimierend und leblos. Sie wollte das hier nicht sehen. Sie spürte das Leid dieser Stadt, war sich der Katastrophe bewusst, die hier einst stattgefunden haben musste. Und doch, war es so präsent, dass man es fast greifen konnte. Ihre Gedanke schweiften ab und die Kälte, die sich langsam in ihre Glieder geschlichen hatte, lud sie ein, ein wenig auszuruhen... nur für einen kurzen Augenblick. Ich hol dich hier raus Kleine, versprochen... Ihr Weg endet hier Professor. Ich und meine Schwester wollen nicht länger als ihre Marionetten leben. Machen sie sich bereit. Meine Schwingen, sollen ihr Todesurteil sein. Hör auf Schwester... Ich kann nicht. Ich bin so weit gegangen, dass ich jetzt nicht einfach aufhören kann. Warte auf mich... Der Tag wird kommen, deshalb halte noch ein wenig aus. Und deine Flügel... Meine Flügel. Warum... warum? Deine Schwester ist tot... es tut mir leid, aber ich werde dich befreien. Komm mit mir. Tod?... Nein, sie hat es mir versprochen... Sie hat es mir doch versprochen. SCHWESTER!! Noch benommen und verwirrt, von ihrem Traum, öffnete Shiroi die Augen. Sie saß immer noch in dem Pavillon und fror fürchterlich am ganzen Körper. Ihre Finger hatten schon einen leicht bläulichen Ton. Sie hauchte sich in die Hände und rieb sie aneinander, doch das eisige Gefühl verschwand nicht. In ihren Augen spiegelte sich ihre innere Unruhe wider. Es war das erste Mal gewesen, dass sie einen solchen Traum gehabt hatte. Zitternd stand das Mädchen auf und folgte dem Weg weiter in den Park hinein. Die Bäume wurden wieder dichter und an einigen Stellen hatten Gras und ähnliche Pflanzen den Weg bereits verschluckt. Immer dunkler und schattiger wurde es und zudem auch immer kälter. Bald hatte sie das Gefühl, ihren Atem sehen zu können... aber wie konnte das sein? Es war später Frühling und die Nächte, die sie bisher erlebt hatte, kannten keinen Frost mehr. Der nächste Schritt bat keinen Halt mehr und so fiel das Mädchen längs nach vorne auf das gefrorene Laub. Mühsam rappelte sie sich wieder auf und starrte verwirrt auf den Boden. Sie strich sich mit der linken Hand die Strähnen aus dem Gesicht und untersuchte mit der anderen den Untergrund. Er schien fast zu beben... Shiroi schreckte in die Höhe, als sie ein seltsames Geräusch vernahm. Mit einigen Sätzen rettete sie sich ins Gebüsch und harrte dort eine Weile aus. Ihre Augen huschten über die Umgebung und blieben bei jedem seltsamen Schatten hängen. Doch es blieb ruhig, als hätte sich zuvor der Wind nur einen Scherz erlaubt. Die Bäume schienen groteske Skelette zu sein und nur noch die Tannen hatten hier ihr Kleid. Alle Laubbäume hatten ihre Blätter abgeworfen. Ist hier etwa Winter?, schoss es der Kleinen durch den Kopf. Jetzt fehlte eigentlich nur noch Schnee. Zitternd tasteten sich ihre Beine vorwärts. Noch immer regnete es unaufhörlich und das Licht hatte immer mehr Schwierigkeiten durch die dichten Nadelkronen zu dringen. In der Ferne konnte man ein seltsames Schnaufen und Scharren vernehmen. Kaum merklich wurde es immer kälter, bis vor Shirois Augen auf einmal Schneeflocken tanzten. Einige Meter weiter lag dichter Schnee auf dem Boden. Wie konnte das sein? Das Mädchen war zweifelsohne von der weißen Pracht fasziniert und zuckte beim ersten Mal zurück, als sie in den kalten Schnee fasste. Wie ein kleines Kind untersuchte sie genau das fremde Element am Boden und es zauberte ihr ein Lächeln aufs Gesicht. Aus dem Gebüsch tauchte ein kleines weißes Eichhörnchen auf und musterte neugierig die Umgebung. Seine dunklen Knopfaugen blickten Shiroi interessiert an. Dann fing es an im Kreis zu laufen und legte sich kurz darauf in die entstandene Kuhle im Schnee. Sein buschiger Schwanz diente dem kleinen Hörnchen dabei als Decke. Das Mädchen machte einige Schritte auf das kleine Tier zu und ging dann in die Hocke. Vorsichtig streckte sie die linke Hand aus und versuchte das kleine Hörnchen zu streicheln. Als ihre Finger fast das seidige Fell berührten, erzitterte die Erde und die Kleine fiel auf den Hintern. Genauso geschockt wie das Mädchen, schreckte das kleine Tier auf und verschwand in einer der Kiefern. Verschwommen tanzten in der Ferne Schatten und wurden dann immer deutlicher im dichten Schneetreiben. Als Shiroi erkannte, was sich ihr da näherte, war es schon fast zu spät um auszuweichen. Sie machte einen Satz zur Seite und vertrat sich beim aufkommen unglücklich den rechten Knöchel. Doch der Schmerz hatte gar keine Chance in ihr Gehirn zu dringen. Weiße, riesige Tiere eilten an ihr vorbei. Ihr ganzer Körper war mit einem langen weißen Fell bedeckt und das Schnaufen der Tiere erfüllte die Luft mit einem weißen Nebel. Der lange Schwanz fegte den Schnee vom Laub und gab die Erde wieder frei. Die dunklen Hörner schienen wie Äste aus ihrem Kopf zu wuchern und die Hufe brachen die Eisschicht auf. Zwischen den großen Tieren sah man immer wieder weiße Hörnchen. Diese wichen mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit den donnernden Hufen aus. Nach einigen Minuten war die Herde vorbeigerauscht und hatte einen aufgewühlten Boden und einige abgebrochene Äste hinterlassen. Das Mädchen wollte aufstehen, doch der Schmerz in ihrem Knöchel ließ sie wieder auf den Boden sinken. Was sollte sie denn jetzt machen? Sie biss die Zähne zusammen und zog sich am Baum neben ihr hoch. Auf dem niedrigsten Ast hockte auch das Hörnchen von vorhin und musterte Shiroi noch immer sehr fasziniert. Wieder streckte das Mädchen die Hand aus. "Halt! Fass das Monster nicht an!", hallte es im Wald wieder und die Weißhaarige blickte sich erschrocken um. Nicht weit von ihr stand eine blonde Frau in einem langen schwarzen Mantel, ähnlich denen von Ryo und Rafael. Nur das dieser noch einen Pelzsaum um Kapuze und Ärmel hatte. Ihre Haare fielen ihr in Wellen über die Schultern und endeten in der Mitte der Schulterblätter. Diagonal über die rechte Schulter trug die fremde eine braune Ledertasche. Ihre grünen Augen fixierten die Kleine durch die schmale, schwarze Brille hindurch. Ihre feinen, schmalen Züge verrieten dem Mädchen, dass ihre Gegenüber Anfang zwanzig war, höchsten aber fünfundzwanzig. "Wenn du das Eishörnchen anfasst, frieren dir augenblicklich die Finger ab und das ist nicht sehr angenehm", fuhr die Frau fort. Die Kleine zog die Finger weg und konnte nicht recht glauben, dass dieses putzige Tierchen ein Monster war. Das Hörnchen schien beleidigt und verschwand wieder in den Nadeln der Kiefer. "Wer... wer sind sie?", fragte Shiroi und in ihrer Stimme schwang offenes Misstrauen mit. Sie löste den Griff um den Stamm und stellte sich gerade hin. Dabei achtete sie peinlich darauf, ihren Fuß nicht falsch zu belasten. Ungeduldig wartete die Kleine auf eine Antwort. "Wie unhöflich nach einem Namen zu fragen, ohne sich selber vor zu stellen... Aber was erwarte ich auch von einem kleinen Experiment. Deine Schöpfer haben wohl vergessen dir Manieren bei zu bringen", entgegnete die Frau kühl und ließ das Mädchen nicht aus den Augen. Shiroi war sichtlich geschockt, über die kalte Reaktion der Frau. Was hatte ihre Herkunft denn damit zu tun? "Ich...", setzte sie an, wurde aber prompt unterbrochen. "Nein, sag nichts. Lass mich raten. Du wurdest geschickt, um mich wieder zurück zu holen, oder? Aber ich sag dir eins, ich hab keine Lust mehr auf den Saftladen da. Als Ärztin hab ich so meinen Stolz und werde mich sicherlich nicht dazu missbrauchen lassen, euch bei euren Schandtaten zu unterstützen. Das könnt ihr Knicken." Shirois Augen blitzten bei dem Wort Ärztin freudig: "Ihr seid eine Ärztin?!" "Ähm... ja, aber das müsstest du doch wissen. Sag mir, welche Baureihe bist du? Eine der früheren N-DNS-Reihen, oder eine spätere?", fragte die Frau leicht genervt. "Ich, naja, ich weiß nicht", die Kleine schüttelte den Kopf, "Ihr müsst ganz schnell mit mir kommen. Ein Freund von mir braucht sofort Hilfe oder er stirbt." Die Kleine wollte auf die Frau zulaufen knickte aber erneut weg und landete im kalten Schnee. Ihre Hand zuckte augenblicklich zu ihrem Knöchel. Die Frau unterdrückte den Impuls ihrer Gegenüber zu helfen. Zwar kamen ihr allmählich Zweifel, ob die Kleine wirklich zu dem Labor gehörte, aus dem sie abgehauen war... dennoch, es könnte auch ein raffiniertes Programm sein, dass dem Mädchen einprogrammiert worden war. Ihr Blick wanderte nach unten und ihre Augen verengten sich: "Was ist deine Nummer?" "Was?" "Deine Nummer." Shiroi schaute der Frau trotzig in die Augen: "Man hat mir einen Namen gegeben, den ich doch bevorzuge. Ich bin Shiroi." "Das ist mir egal. Aber nun gut, da du dich jetzt vorgestellt hast, sollst du auch meinen Namen erfahren. Ich bin Alissa", die Frau zögerte bevor sie weiter sprach, "Du bist also auf der Suche nach einer Ärztin, weil dein "Freund" Hilfe braucht. Das hab ich doch richtig verstanden? Nehmen wir mal an, rein hypothetisch, du würdest die Wahrheit sagen, hat dieser "Freund" auch einen Namen?", dabei hob sie jedes Mal bei dem Wort "Freund" die Arme und krümmte gleichzeitig Zeige- und Mittelfinger beider Hände. "Natürlich hat er einen Namen. Er heißt Ryo und ist Söldner", machte das Mädchen ihrem Ärger Luft, "Wenn du mir nicht glauben willst, dann komm doch mit. Ich kann dir das Hauptquartier... zeigen...." Die letzten Worte verklangen bevor sie richtig ausgesprochen worden waren. Oh, nein!, Rafael und die anderen Söldner hatten ihr doch eingeschärft niemals darüber zu reden. "Das glaub ich ja jetzt nicht. Warum stoppst du? Reicht deine Programmierung nicht so weit", sie lachte keck und fixierte ihre Gegenüber wieder mit einem eiskalten Blick, "Wenn ich dich konstruiert hätte, hätte ich darauf geachtet, dass du zumindest auch nur den Hauch einer Ahnung von der Welt hier draußen hast. Ich meine, dass ist ja wohl lächerlich. Es ist fast, als hätte ein Kleinkind die Berechnungen durchgeführt. Vielleicht ist es besser, wenn ich dich einfach hier lasse, mit deinem Fuß kannst du mir eh nicht folgen." Die Ärztin wandte sich zum Gehen und rauschte einfach an Shiroi vorbei. Diese jedoch bekam den Saum des Mantels zu packen und hielt die Frau zurück. "Ich brauche wirklich ihre Hilfe... Ich weiß nicht, wen ich sonst darum bitten soll... und... und wenn sie sich nicht beeilen... dann...", die Weißhaarige brach in Tränen aus, was Alissa mehr als überraschte. Normalerweise zeigten Experimente keine Gefühle. Dafür hatten sie extra das Gefühlszentrum im Gehirn lahm gelegt. Emotionen trübten das Urteilsvermögen und verminderten die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit. "Du musst schon eine alte Baureihe sein, wenn du Gefühle zeigen kannst, oder bist du vielleicht nur Ablenkung und ich werde gerade umzingelt? Es ist lustig, dass du überhaupt noch nicht gelöscht worden bist. Ich meine, so was wie dich, können die Wissenschaftler ja nun wirklich nicht gebrauchen", redete sie auf die Kleine ein. "Ich bin ein Mensch wie sie und alle anderen auch...", Shiroi stoppte irritiert, als die Ärztin einen wahren Lachanfall bekam. "Du?... Ein Mensch?...", sie platzte wieder los und sprach erst weiter, als sie sich wieder gefangen hatte, "Ja, sicher doch. Du hast ja keine Ahnung. Ihr stammt aus Reagenzgläsern, werdet auseinander genommen, wenn ihr nicht überlebt und dann werden eure Gene neu konfiguriert, um die Fehler des ersten oder auch zehnten... oder auch hundertsten Durchlaufes zu korrigieren. Du bist nur ein Produkt der Forschung, mehr nicht." Das Mädchen stemmte sich hoch und blickte der Frau ernst ins Gesicht: "Ich bin kein fehlgeschlagenes Experiment, verstanden! Ich hab in meiner Kindheit genug ertragen müssen und da muss ich mir nicht so was von ihnen gefallen lassen... obwohl, dass ist mir auch egal, wenn Ryo wirklich sterben sollte." "Nun mal halblang... Ist ja schon gut...", sie hob beschwichtigend die Hände, "Du sagtest etwas von einem Hauptquartier, richtig?" Die Kleine nickte. "Also, was würde für mich raus springen, wenn ich mitkäme und deinem "Freund" helfe?", falsch lächelnd spielte sich mit einer Haarssträhne und wickelte sie um ihren Finger. Die Kleine zuckte mit den Schultern. "Ohne Bezahlung ist eher schlecht. Ich meine irgendwas könnt ihr mir doch sicherlich bieten, oder?", hakte sie weiter nach und brachte das Mädchen absichtlich in Bedrängnis. "Was? Ich... äh... ich... Sie könnten bei uns bleiben, dann sind sie auf jeden Fall in Sicherheit vor Angriffen... und... und... Unterkunft hätten sie dann auch", brachte Shrioi stockend hervor. "So eine Art Asyl, oder wie versteh ich das?" "Ja, äh... so was in der Art. Auf jeden Fall sind sie sicher..." "In Ordnung kleine Lady... Damit werde ich mich dann vorerst zufrieden geben...", finster grinste sie, wandte sich dabei aber von ihrer Gegenüber ab. Wie naiv konnte man sein. "Sie... sie kommen mit... oooh, danke, vielen, vielen dank", freute sich die Weißhaarige und wäre Alissa wohl um den Hals gefallen, wenn ihr Knöchel nicht geschmerzt hätte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)