2178 von Starwings ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 2: Wach auf... --------------------------------- Ryo saß erschöpft auf einem Stuhl vor dem Bett des Mädchens. Er hatte nicht nur sie getragen, sondern auch sein Motorrad her geschoben. Da die Brücke zerstört worden war, hatte er den ganzen Weg zurück laufen müssen. Es war eine wahre Qual gewesen sich durch die unteren Ebenen zu tasten. Die meisten Gassen waren durch Trümmer versperrt gewesen oder zu unwegsam für die Maschine. Letztendlich war er erst drei Stunden nach Rafael im Hauptquartier angekommen. Anschließend hatte er mindestens eine Stunde versucht Lane davon zu überzeugen sein Bike zu reparieren, doch ohne Erfolg. Der kleine Herr hatte sich geweigert das Gefährt zum sechsten Mal zu reparieren. Stattdessen hatte er Ryo sehr eindrucksvoll klar gemacht, dass er gefälligst besser aufpassen sollte. Ryos rieb sich mit der Hand gedankenverloren die Stelle an der Lanes Schraubenschlüssel ihn erwischt hatte. Ja, das machte der kleine Mann wirklich gern. Der Schwertkämpfer hatte das Mädchen gründlich untersucht und bis auf zwei Wunden bei den Schulterblättern nichts gefunden. Es sah fast so aus, als hätte jemand mit roher Gewalt etwas herausgerissen, aber was? Nun überlegte er schon seit Stunden, aber fand und fand keine Antwort. Der Raum war von einem leisen Brummen erfüllt, welches aus der Ecke mit der provisorischen Heizung kam - wenn man das Dampfrohr für den Generator Heizung nennen konnte. Nun hingen die Sachen des Mädchens und Ryos Mantel. Unter dem Mantel trug er ein beiges Hemd mit einer schwarzen Krawatte und eine lange braune Bomberhose, die immer noch unangenehm an seiner Haut klebten. Seine schwarzen Stiefel hatte er ebenfalls an das Rohr gestellt. Anstelle von Socken waren lediglich Stoffstreifen um seine Füße gewickelt. Beim genaueren betrachten des Raumes fiel dem Mann immer wieder auf, wie bunt zusammengewürfelt hier alles war. Es passte wirklich kein Möbelstück zum anderen. Verschiedenfarbige Schranktüren, große und kleine Stühle an ein und demselben Tisch. Ja, man benutzte eben alles, was in den Trümmern zu finden war. Das Bett war ein besonders schönes Stück. Das schwarze, aus Metall gefertigte Bettgestell, war reichlich verziert und eine echte Rarität im ganzen Komplex. Die meisten, so auch Ryo und Rafael, schliefen auf dem Boden auf alten Matratzen. Das kleine Fenster ließ nur wenig Licht hinein und die kleine Glühbirne an der Decke sorgte kaum für genug Helligkeit. Trotzdem gehörte dieses Quartier zu den üppigsten und am besten klimatisierten Räumen des ganzen Komplexes. Deshalb verwendete man es auch oft für Kranke oder Alte, denen man nicht zumuten konnte in kalten Zimmern zu schlafen. Auch Kinder hielten sich hier sehr oft auf. Sobald es der Weißhaarigen besser ging, würde sie ausquartiert werden und in eines der Frauen Gemeinschaftszimmer ziehen. Doch im Moment sah es noch nicht so aus, als würde sie bald aufwachen. Ryo kramte in seiner braunen Stofftasche, die unten an den Stuhl gelehnt war und holte ein Buch heraus. Interessiert blätterte er in dem Wälzer und verzog einige Male angestrengt das Gesicht, als ob er etwas noch einmal überdenken würde. Nach drei Stunden schlug er das Buch zu, ließ die Arme seitlich auf dem Boden hängen und streckte den Kopf nach hinten. Das Buch fiel mit einem stumpfen "Bumm" auf den Boden. Nach einer Weile drückte die Stuhllehne unangenehm in seinen Rücken und er setzte sich wieder richtig hin. Doch auch das wurde schon bald unbequem und er fing an im Raum auf und ab zu gehen. Irgendwann holte er ein Tuch aus seiner Tasche und putzte seine Brille. "Hör mal Kleine, ich hab Hunger und du hast jetzt wirklich lange genug geschlafen. Also tu uns den Gefallen und mach die Augen auf. Außerdem wartet mein Bike auf eine intensive Behandlung." Keine Reaktion. Ryo seufzte. Wie lange sollte das denn noch dauern? Vor der Tür hatte sich Rafael an die Wand gelehnt und grinste vergnügt. Der Schwertkämpfer hatte genau gewusst, dass er gegen die Regel verstieß, als er das Mädchen einfach mitgenommen hatte. Jetzt würde er sich solange um die Kleine kümmern müssen, wie sie in dieser Einrichtung blieb, oder wieder auf den Beinen war. Außerdem würde sie nun unter ständiger Beobachtung durch ihren Retter stehen. Jedes neue Mitglied durchlief dieses Stadium, um sicher zu gehen, dass es sich nicht um einen Spion oder Feind handelte. Der Schütze stieß sich von der Wand ab und wandte sich zur Tür. Er würde die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Er klopfte an die Tür und trat ein. Ryo wandte den Kopf in seine Richtung und lächelte, bis er Rafaels Gesichtsausdruck sah. "Na, bist du gekommen, um dich über mich lustig zu machen?", fragte der Brillenträger. "Ja, so in etwa. Hör mal, Lane beschwert sich schon die ganze Zeit in seiner Werkstatt, dass du mal wieder dein Bike geschrottet hast." Der Scharfschütze trug noch immer seinen langen schwarzen Mantel. Doch nun konnte man auch sein Gesicht sehen. Er hatte eisblaue Augen und trug die blonden Haare zur hälfte vor dem Gesicht und die andere legte sich stromlinienförmig nach hinten an seinen Kopf. "Ach, der soll sich mal nicht so aufregen, so wird ihm wenigsten nicht langweilig", spottete Ryo. Rafael blickte zu dem Mädchen: "Was macht denn dein Dornröschen." "Es macht auf jeden Fall keine Anstalten aufzuwachen", gab der Braunhaarige genervt zurück. "Ich würde auch nicht aufwachen wollen, wenn ich dich sehen müsste", fügte Rafael vergnügt hinzu. "Ach halt einfach die...", der Mann am Bett war sauer, hielt aber inne, als er bemerkte, dass das Mädchen leicht schmunzelte. "Irgendwie glaub ich, die will mich verarschen", dabei schielte er zu seinem Kumpel. "Warum?", fragte dieser nur. "Jedes mal wenn ich was sage, hab ich das Gefühl, sie reagiert zwar auf mich, aber will trotzdem nicht aufwachen. Es könnte sein, dass ihr Bewusstsein nicht von der Funktionslosigkeit ihres Körpers betroffen ist. Würde mich mal interessieren, warum sie überhaupt in diesem Zustand ist." Verarschen?! Ja vielleicht, aber sie war auch nicht so sonderlich zufrieden mit ihrem Zustand. Wie scheiße war das denn bitte, wenn man von einem fremden Mann begrapscht wurde? Gut, er hatte ihr den Rücken verbunden, aber hätte er nicht warten können bis sie wieder richtig wach war? Und überhaupt, wie lange sollte sie hier noch herumliegen? Seit eineinhalb Tagen, konnte sie sich schon nicht bewegen und langsam erreichte ihre Stimmung den absoluten Tiefpunkt. Und außerdem... und außerdem hatte man ihr ihre wunderschönen Flügel geraubt. Doch sie erinnerte sich nicht daran, weder an den Schmerz, noch an den, der es getan hatte. Das Letzte woran sie sich erinnerte, war, dass sie in einem Labor angekettet in einem Zimmer gehangen hatte, völlig unfähig sich zu bewegen... Aber wie war sie entkommen? Wer hatte ihr geholfen? Und... wo war sie jetzt überhaupt? All diese Fragen drängten nach einer Antwort. Sie zwang sich die Augen zu öffnen, stemmte sich mit ihrem ganzen Willen gegen diese gottverdammte Starre. Endlich riss sie die Augen auf, das Licht flutete in ihr Bewusstsein. Erst nur verschwommen, dann immer klarer nahm sie ihre Umgebung wahr. Ihr Blick wanderte zur Seite und sie sah endlich den Mann, der sie gefunden... und begrapscht hatte. Kurz hinter ihm stand der Zweite. Neugierig musterte die Kleine die beiden und verschaffte sich einen kurzen Überblick. "Wo bin ich und was habt ihr mit mir vor?", fragte sie ernst und schaute die Männer mit funkelnden Augen an. Ryo riss abermals den Kopf herum. Die Augen des Mädchens waren tatsächlich rot, aber sie sah keinesfalls wie ein Albino aus. Ihre Iris war faszinierend, so rein, fast rubinrot. Der Brillenträger vergaß fast, dass die Kleine eine Frage gestellt hatte. "Ähm, verzeih", setzte er an, "Ich bin Ryo, das ist Rafael und wir sind hier im Söldner- und Flüchtlingslager von Ruincity, dem ehemaligen Aseloth... hab ich was vergessen... ähm... ach ja, wir haben nichts mit dir vor. Wenn du willst kannst du bleiben oder du haust wieder ab, wenn du gesund bist. Deine Entscheidung Kleines und jetzt entschuldige mich, ich hab mich um ein Motorrad zu kümmern." Er machte Anstalten zu gehen, doch Rafael hielt ihn zurück. "Du schleppst sie an und willst jetzt einfach wieder abhauen? Nimm dir ruhig noch ein wenig Zeit für sie", sagte Rafael mit süßer Stimme und ließ von seinem Freund ab. Er drehte sich um und auf seinem Gesicht machte sich ein breites Grinsen breit. Es war genau das eingetreten, was er erwartet hatte. Sein Freund versuchte sich mal wieder vor der Verantwortung zu drücken. "Aber...", setzte Ryo an. "Nichts aber, ich kann ja Lane sagen, dass er dein Schätzchen ausschlachten kann, wenn du nicht hier bleiben willst", konterte der Schütze geschickt. Ryo wusste genau, dass sein Partner in diesem Augenblick innerlich fast vor Schadenfreude platzte, aber er durfte ihm nicht die Gelegenheit geben, sie voll auszuschöpfen: "In Ordnung, dann werd ich mich mal ein bisschen mit unserem weißen Engel hier beschäftigen." Die Tür schlug zu und als der Blick des Mannes wieder auf das Bett fiel, starrten ihm von dort aus zwei verärgerte Augen entgegen. "Was denn, hab ich was Falsches gesagt?" "Ich bin nicht dein Engel, klar!" "Ja, klar, klarer geht's nicht. Wie möchte das Fräulein denn dann genannt werden? Seinen Namen hat es ja bisher nicht genannt", er drehte den Stuhl um und setzte sich breibeinig vor das Bett. Das Mädchen errötete leicht:" Mein Name ist, naja, ich weiß nicht, man hat mir keinen Namen gegeben. Ich hab nur eine Nummer..." "Nummern sind so unpersönlich. Hast du irgendwelche besonderen Merkmale, Lieblingsfarben... irgendwas womit man dich identifizieren könnte?" Sie schüttelte den Kopf: "Nein, nur diese Nummer..." "Na, dann sag die halt", Ryo fuhr sich mit der Hand durch die Haare und seufzte. "198918159", leierte die Weißhaarige herunter. Der Mann am Bett wiederholte die Geste. Nein, das konnte sich nun wirklich niemand merken. Er überlegte kurz:" Ich glaube, ich habe einen besseren für dich. Wie gefällt dir Shiroi?" "Shiroi? Ja, das gefällt mir eigentlich ganz gut", antwortete die Kleine vergnügt, als hätte man einem Kind gerade ein Bonbon gegeben. "Gut, hätten wir das geklärt. Ähm, ist sonst noch was... hast du vielleicht irgendwelche besonderen Fähigkeiten von denen wir wissen sollten?" Das Mädchen machte ein nachdenkliches Gesicht: "Nein, nicht das ich wüsste." "Selbst wenn, das lässt sich noch in Erfahrung bringen. Kannst du dich aufsetzen, hast du irgendwelche Beschwerden?", fragte Ryo höflich. Shiroi hatte Mühe sich aufzusetzen, aber sie verspürte keine Schmerzen. Der Söldner fragte sie noch einige andere Dinge, um sich über ihren Allgemeinzustand zu informieren. Es war schon lustig, wie er nun dauernd seine Brille mit dem Mittelfinger hochschob. Shiroi musste lächeln, der Mann schien wie ausgewechselt, gewissenhaft und zuvorkommend. "Hast du eine gespaltene Persönlichkeit?", fragte sie unvermittelt und lächelte noch immer. "Wie? Nein, nicht das ich wüsste. Wie kommst du darauf?", der Brillenträger machte den Anschein, als hätte man ihn gerade vor eine Mauer rennen lassen. Mit einer solchen Frage hatte er nicht gerechnet. "Och, so wie du immer geredet hast, hatte ich den Eindruck, du wärst ein ganz schöner Trottel." Wieder schob er die Brille hoch. "Ja, das krieg ich oft zu hören", lachte er, um die Verwunderung los zu werden, "aber das stört mich nicht. Und nur weil die anderen das denken, werde ich mich bestimmt nicht ändern. Du wirst es mir wahrscheinlich nicht glauben, aber meine besondere Fähigkeit liegt in meiner überdurchschnittlichen Intelligenz. Ich bin wesentlich schlauer als die meisten anderen, aber ich verhalte mich trotzdem wie ein Trottel. Seltsam, nicht?" "Ach, gar nicht. Lieber ein ehrlicher Trottel, als ein verrücktes Genie...", ihre Augen wanderten nach unten. In ihnen spiegelte sich plötzlich Schmerz und Trauer. Etwas irritiert stockte der Brillenträger erneut erst, fing sich jedoch auch dieses Mal schnell wieder: "Och, wenn ich mal wieder von Rafael eine Standpauke kriege, wäre ich doch lieber das verrückte Genie, die denken wenigstens nach bevor sie was sagen... und immer ehrlich sein, na ja, ich bin ja mittlerweile einiges gewohnt. Ich krieg hier von einigen deswegen was auf den Deckel." Shiroi musste daran denken, dass sie ihm am vergangenen Nachmittag am liebsten selber noch den Hals umgedreht hätte. "Ach was", lachte sie ihn aus. Es tat gut, es tat einfach nur gut so lachen zu können. Bald wurde aus dem Lachen ein Schluchzen und Tränen rannen ihr über das Gesicht. Seit ihrer Kindheit hatte sie nichts anderes gekannt, als ein dunkles Labor und jeden Tag das gehässige Grinsen der Professoren, die sie mit Drogen voll pumpten und an ihr herumexperimentierten. Wem auch immer sie ihre Freiheit verdankte, sie war ihm oder ihr, zutiefst dankbar. "Hey, was ist los? Was hast du denn? Aaahh, was mach ich denn jetzt. Rafael, RAFAEL!!! Wenn ich den in die Finger kriege, lässt mich einfach mit ihr allein... Von wegen dass hab ich mir selber eingebrockt. Er hat mich doch auf Patrouille geschickt..." Etwas im Gang entfernt war Rafael stehen geblieben und lachte aus vollem Hals. Er wusste nur zu gut, wie leicht man das Genie überfordern konnte. Komplizierte Formeln ja, aber wenn er puren Gefühlen ausgeliefert war, war er hilflos wie ein Kleinkind. Wenn er nur seinen Gesichtsausdruck sehen könnte. Dieser panische Ausdruck in den Augen, unbezahlbar. Wahrscheinlich war das Mädchen in Tränen ausgebrochen. Oh ja, die Waffen einer Frau waren furchtbar. Er wandte sich ab und lachte noch einige Minuten weiter, während er sich die Tränen aus den Augen rieb. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)