Schreibübungen von ChasingCars ================================================================================ Ihr Lächeln ----------- Monats-Challenge Mai Malte kam aus dem Bad, ein Handtuch lässig um die Schultern gelegt. Auf der Suche nach seiner Freundin ging er durch die Räume und fand sie schließlich in der Küche. Sie trug Mantel und Stiefel und packte ihre schwarze Tasche, in der sie, wenn nötig, einen Elefanten verstauen konnte, wie Malte manchmal witzelte. Er hatte sich oft gewundert, wieso sie zur Arbeit so eine große Tasche mitnahm, dann hatte sie ihm erklärt, dass sie ihre Uniform darin verstaute. Sie lief nicht gern in ihr durch die Straßen, deshalb nahm sie sie mit und zog sich erst dort um. Als sie Maltes Schritte hinter sich hörte, wandte sie sich zu ihm um und lächelte. Dieses offene, herzliche Lächeln, das Malte so an ihr liebte. Oft lag ihr Gesicht in nachdenklichen Falten, als ob sie über eine lebenswichtige Frage nachdenken würde. Dann sah sie immer so grimmig aus, schon fast bedrückt. Doch wenn sie dieses Lächeln lächelte, fiel alles Besorgte von ihr ab und ihr Gesicht verwandelte sich in ein glückliches, kindliches. Malte hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, ihr dieses Lächeln so oft wie möglich aufs Gesicht zu zaubern. Das waren die schönsten Momente für ihn. Vor allen Dingen, wenn er wusste, dass er der Grund für ihr Lächeln war. Es erfüllte ihn voll und ganz. „Seit wann arbeitest du denn donnerstags?“, fragte Malte erstaunt. Normalerweise arbeitete sie nur am Wochenende in der Restaurantkette. „Seit heute“, erwiderte Lina schulternzuckend und zog den Reißverschluss ihrer Tasche zu. „Tut mir Leid, dass ich es dir nicht erzählt habe. Ich hab’s ganz vergessen.“ „Macht nichts.“ Malte kam auf sie zu und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Aber schade ist es schon. Ich dachte, wir könnten uns einen schönen Abend machen. Und wenn ich schön sage, meine ich schön.“ Lina grinste und schielte auf Maltes nackten, noch leicht nassen Oberkörper. „Den können wir auf morgen Nachmittag verschieben, wenn du dann immer noch dieses irre Sixpack hast.“ „Sixpack? Ich hätte höchstens eins im Kühlschrank!“ „Ach, Malte!“ Sie zerstrubbelte ihm liebevoll das nasse Haar. „Sieh doch ein, dass du der heißeste Typ bist, den man sich vorstellen kann!“ Er grinste verlegen. „Ah, der heißeste Typ also? Und was ist mit Brad Pitt oder Hugh Jackson, oder wie der heißt?“ „Hugh Jackman, Malte, Jackman!“, verbesserte sie ihn lachend. „Aber ich meine es ernst – Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein könnte dir nicht schaden.“ „Jaja, ich weiß“, winkte Malte ab. Lina kritisierte oft seine Selbstzweifel, obwohl sie manchmal selbst an ihm herumnörgelte. Er war eben nicht perfekt im Gegenteil zu ihr. Sie warf einen Blick auf die Küchenuhr. „Ich muss jetzt los, warte nicht auf mich, wenn du müde bist!“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Abschiedskuss. „Mach’s gut!“ „Bis später“, erwiderte Malte und schaute ihr ein bisschen wehmütig hinterher, als sie die kleine gemeinsame Wohnung verließ. Dann würde er sich eben allein einen schönen Abend machen. Einen guten Film schauen, ein wenig lesen und dann ins Bett gehen. Schon jetzt vermisste er Lina. Lina parkte ihren kleinen Wagen auf dem Bordstein vor dem Mietshaus, in dem sie mit ihrem Malte wohnte. Ein alter, fünfstöckiger Bau, dessen ockergelbe Außenfarbe abblätterte. In ihrem Taschenspiegel prüfte sie ihr Gesicht und wischte sich sorgfältig über den Mund. Malte durfte den roten Lippenstift nicht sehen. Er würde ihm sofort verdächtig vorkommen, denn so etwas trug sie normalerweise nicht. Auf den Kopf gefallen war ihr Freund wirklich nicht. Er schien jedes Detail an ihr regelrecht aufzusaugen und zu interpretieren. Und dabei meinte er das nicht böse, das wusste sie. Er hatte eben ein Blick für Kleinigkeiten. Sie hatte sich sogar eine graue Stoffhose und eine schwarze Bluse besorgt und sie ihm als Dienstuniform verkauft. Es war wirklich nicht leicht, ihn zu täuschen, doch Lina schaffte es tatsächlich jeden Tag von neuem. Obwohl sie es nicht mochte, ihm etwas verheimlichen zu müssen. Lange Nächte hatte sie sich hin und hergewälzt, hatte schließlich eingesehen, dass es keine andere Möglichkeit gab. Er würde sie verlassen, wenn er es wüsste. Und sie selbst würde ihm vor Scham nie wieder in die Augen blicken können. Sie hängte sich ihre Tasche um die Schulter, stieg aus und warf die Autotür hinter sich zu. Hoffentlich schläft er schon, dachte sie sich, als sie das schmuddelige, nach Unrat stinkende Treppenhaus bis zur obersten Etage emporstieg. Nach einem anstrengenden Abend wollte sie lieber für sich sein und sich nicht verstellen müssen. Doch als sie die Haustür aufschloss und ihre Schuhe im Flur abstellte, brannte noch Licht in der Küche. Seufzend öffnete sie die Tür zum Schlafzimmer und wollte ihre Tasche abstellen, da erkannte sie in der Dunkelheit, dass es nicht mehr so aussah, wie sie es verlassen hatte. Verwundert knipste sie das Licht an. Und erstarrte schockiert. Das Schlafzimmer hatte sich in ein Schlachtfeld verwandelt – Der Inhalt der Schränke lag auf dem Boden verteilt, auch die Schränke selbst schienen Schaden genommen zu haben. Die Kommode war in ihre Einzelteile zerlegt worden, das Bett, das Gestell seltsam schief, stand quer im Raum, das Bettzeug lag halb zerrissen im Raum verteilt. Lina schluckte. Zerbrochene Bilderrahmen, zerknüllte Zettel. Ein Raum wie in Wut zerlegt. Einbrecher? Entführer? Orkan? Eine eingeschlagene Bombe? Der Kopf schwirrte ihr. Dann bekam sie plötzlich furchtbare Angst. Wer hatte das angerichtet? Was war hier passiert? Und ging es Malte gut? Sie stolperte aus dem Zimmer in die Küche, die nackte Furcht in den Augen. „MALTE!“, schrie sie außer sich. „WAS IST HIER…?“ Sie stoppte. In der Küche stand ihr Malte. Wie ein Geist. So unwirklich. Das schummrige Licht der Küchenlampe warf dunkle Schatten auf sein Gesicht, das er etwas gesenkt hielt. Mit der Hand stützte er sich am Tisch. Er stand dort wie festgefroren, bewegte sich keinen Millimeter. „Malte… Was…“, hauchte sie atemlos. „Was ist passiert?“ Sie schaute sich unsicher um. Die Küche sah noch genauso aus wie vor einigen Stunden, als Lina sie verlassen hatte. Eine Gänsehaut schlich ihr den Rücken hinauf. „Malte, sag doch was!“ Er wurde ihr unheimlich, wie er so regungslos dastand. Dann sprach er endlich. Ganz ruhig, als müsse er sich beherrschen, nicht loszubrüllen. Seine Stimme zitterte. So hatte Lina ihn noch nie erlebt. „Woher… Sag mir woher… hast du dieses ganze Geld?“ Mit einer steifen Bewegung hob er eine blaue Sporttasche vom Stuhl neben sich und ließ sie auf dem Tisch fallen. Heraus fielen ein paar Geldbündel. Die Tasche war randvoll mit ihnen gefüllt. Linas Herz pochte schneller. „Wie… wie…“ Sie brachte den Satz nicht zu Ende. Spürte, wie sich der kalte Schweiß auf ihrer Stirn sammelte. Fühlte sich wie betäubt. „Ich hab sie gefunden. Hinter dem Schrank.“ Lina hatte das Gefühl, sie bekäme keine Luft mehr. Ein riesiger Kloß blockierte ihren Hals. „Ich kann das…“ „Ja, ich hoffe doch sehr, dass du das erklären kannst.“ Seine Stimme riss ein Loch in ihr Herz. Eiskalt. Bittersüß. „Es ist…“ Sie musste mehrmals schlucken, um überhaupt ein verständliches Wort herauszubringen. „Es ist für ein Studium. Für die Zukunft.“ „Für die Zukunft?“ Jetzt hob er den Kopf und sah sie direkt an. Sein Blick war unergründlich. Seine Stimme wurde mit jeder Silbe lauter. „Wessen Zukunft?“ „Unsere Zukunft…“ Sie schaute zu Boden. „Und deshalb versteckst du das Geld vor mir?“, fuhr er Lina an. „Weil es für uns ist? Erklär mir das!“ „Ich wollte es dir erst zeigen, wenn genug beisammen ist.“ „Genug wofür?“ „Für ein besseres Leben!“ Jetzt wurde auch ihre Stimme allmählich lauter und gewann an Stärke. „Oder glaubst du, wir könnten unser Leben lang in dieser Bruchbude hocken? Wir müssen jeden verdammten Cent umdrehen. Wir haben nichts, einfach gar nichts! Kapierst du das nicht?“ Er machte einen bedrohlichen Schritt nach vorn. „Wir haben uns!“ „Aber nur von uns kann ich mir kein Kleid kaufen und nicht in ein edles Restaurant gehen!“ „Also geht es doch bloß um dich!“ „Gönnst du es mir nicht, dass ich mal was erreiche? Ich will mich nicht mit diesem Drecksloch zufrieden geben! Wir können doch so viel mehr haben!“ Die Wutesröte stieg in Linas Gesicht. Zuerst dachte sie, Malte würde innehalten und über ihre Worte nachdenken, doch dann schrie er wieder los: „Drecksloch? Das bedeutet unser Leben also für dich? Gut zu wissen!“ Er schlug mit der flachen Hand mitten in den Stapel von Geldbündeln. „Und jetzt sag mir endlich, woher du das alles hast! Bestimmt nicht von deinem Job im Restaurant!“ Ihr entfuhr ein hohes Lachen. „Ich arbeite in keinem Restaurant und habe es noch nie getan!“ „…Was?“ Malte stierte sie an, als wolle er mit seinem Blick ein Messer in ihre Brust rammen. Sie nickte überschwänglich. „Und wenn du es genau wissen willst – Ich habe das Geld im Puff verdient! Ja, IM PUFF! AUF DEM STRICH!“ Sie schrie es ihm regelrecht ins Gesicht. „Ich bin ’ne Prostituierte, Malte, eine Nutte! Und hier…“ Mit einem Griff in ihre Tasche, die sie noch um die Schulter baumeln hatte, holte sie ein weiteres Bündel Scheine hervor. „Das habe ich heute verdient! Als Kellnerin würde ich nicht einmal die Hälfte verdienen!“ Ihre Stimme schwoll zu einer hohen, kreischenden Woge an, die auf ihn zukam und an ihm brach. „Ich mach’s nicht gern, aber ich tu es! Für uns und auch für mich! Weil ich’s nicht mehr aushalte in diesem beschissenen Leben! Liebe ist nicht alles, Malte!“ Für einen Moment sackte er in sich zusammen. Ihre Worte ließen ein Wirrwarr von Gefühlen in ihm aufkochen – Zorn. Verwirrung. Enttäuschung. Trauer. Hass. Und er konnte sich nicht entscheiden, welchem er nachgeben sollte. Plötzlich sprang er auf. Tränen rannen über sein Gesicht. „WARUM?“, brüllte er. „VERDAMMTE SCHEISSE!“ Er stürzte so schnell auf sie zu, dass sie gar nicht reagieren konnte. Packte sie an den Handgelenken und drückte sie gegen die Wand. „DU HAST ALLES KAPUTT GEMACHT!“ „Nein… nein…“, wimmerte sie. Er machte ihr Angst, oh ja, große Angst! „Verzeih mir… verzeih mir!“ „VERZEIHEN?“ Er holte aus und schlug mit der Faust auf sie ein – Ins Gesicht. Auf den Oberkörper. In den Bauch. Überall, wo er sie treffen konnte. „Hör auf, hör auf!“, presste sie hervor. Die Schmerzen drückten sie zu Boden, doch Malte ließ sie nicht los. „DU DRECKIGE SCHLAMPE!“ Er würde nicht aufhören. Sie wollte sterben. Der Alptraum sollte zu Ende sein. Sofort! Sie hielt es nicht länger aus. „Hast du – diese Fremden – auch so – angelächelt?“ Er holte aus. Wieder und wieder. „Hast du – ihnen – dein Lächeln – geschenkt?“ Er ließ ihre Hände los und griff sie an den Schultern, schüttelte sie. „ES IST MEIN LÄCHELN! GANZ ALLEIN MEINS! ES GEHÖRT MIR!“ Sein Gesicht war eine verzerrte Fratze. Angst. Schmerzen. Panik. Ihre Hand berührte etwas Langes, Festes. Ein Küchenmesser. Sie griff danach, auch wenn sie keine Kraft mehr besaß. Es fühlte sich gut an in ihrer Hand. Gab etwas Sicherheit. Eine Chance, dass es aufhörte. Seine Hand traf ihren Magen. Die Rippen. Sie spürte es genau. Er würde sie umbringen, wenn sie ihn nicht aufhielt. Ohne zu zögern hielt sie das Messer vor sich. Er bemerkte es gar nicht. War wie im Rausch. Genau wie sie. Und wie im Rausch nahm sie ihre letzte Kraft zusammen, streckte es seinem Körper entgegen. Berührte mit der Spitze seine Brust. Erst da nahm er es war. Schaute erschrocken. Und sie stach zu. Immer und immer wieder. Malte… Ihr Malte… Ihm gehörte ihr Lächeln. Es hatte ihm gehört. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)