Dreaming Society von Gepo (Fortsetzung von Dead Society) ================================================================================ Kapitel 99: Glück ----------------- Ich bin genervt. Da arbeitet man Tag und Nacht, schuftet, freut sich auf seine Freizeit und... deine Freunde rufen an und sagen fünfzehn Minuten nach der verabredeten Zeit ab. Das ist echt ein scheiß Verhalten. Bitte seid so gut und tut das eurem Freundeskreis nicht an. Viel Spaß beim Lesen! _________________________________________________________________________________ Katsuya seufzte, ließ sich nach hinten auf die Couch sinken und streckte die Arme aus. Die müden Lider hoben sich, sodass seine Augen Yami verfolgen konnten, der auf Höhe seines Beckens Platz nahm und sanft zu ihm hinab lächelte. „Hey, Yami... wie wird man glücklich?“ „Glücklich?“, der Ältere zuckte blinzelnd und mit darauf geweiteten Lidern zurück, legte die Stirn ein Stück in Falten und den Kopf schief, „Wie kommst du plötzlich da drauf?“ „Na ja, ich meine... eigentlich geht es mir doch gut, oder? Ich habe ein sicheres Haus, genug zu essen, Freunde, Seto... ich weiß nicht, fehlt mir irgendetwas?“, die blonden Augenbrauen zogen sich zusammen, „Ich weiß, das alles macht nicht einfach so glücklich, aber sollte es mir nicht besser statt schlechter gehen? Also... ich meine... ich weiß auch nicht. Ich habe das Gefühl, mir geht es irgendwie immer miserabler. Ich bin so aggressiv und...“, er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, „Ich habe heute Isis und Ryou angeblafft und Seto hat irgendwann auch nur noch geschwiegen. Das ist... ich meine, ich benehme mich wie Bakura, verstehst du?“ „Sicher.“, Yami rutschte etwas höher und begann mit einer Hand beruhigend über seine Haut zu fahren, „Du lässt die Wut, die in dir ist, an anderen aus. Das hat Seto früher auch getan, unterbrochen von kurzen Episoden, wo er sie wieder gegen sich selbst wandte. Das war ein Wechselspiel von extrem risikohaften Verhalten und Gewalt gegen Mitmenschen. Das nimmt mit der Zeit ab.“ „Aber...“, Katsuya versuchte sich aufzurichten, doch wurde von der Hand auf seiner Brust sanft zurück gehalten, „Ich meine, ich kann nicht einfach Jahre warten. Ich verletze Menschen und das akut. Also, jetzt und hier. Was kann ich tun?“ „Dir einen Ausgleich suchen. Seto geht kickboxen. Ich bin sehr froh, dass er da jetzt auch wieder hin kommt.“, der Ältere sah aus dem Fenster, „Ich meine, was macht man in deinem Alter? Fußball, Tennis, Schwimmen... fällt dir etwas ein, was dir gefallen würde? Ihr habt doch sicher viele Clubs an der Schule. Magst du nicht einem beitreten?“ „Hm... jo, das krieg‘ ich hin. Und damit gehen die Aggressionen weg?“ „Es werden auf jeden Fall weniger.“, Yami lächelte zu ihm hinab, „Und ich empfehle immer noch, dass du wieder anfängst zu zeichnen.“ „Sport und Zeichnen?“, der Blonde wandte sein Gesicht der ihn liebkosenden Hand zu. „Ja, das wäre schon mal ein guter Anfang.“, bestätigte der Andere, „Viele Krankheiten und Probleme lassen sich durch einfache Änderungen im Tagesablauf verändern. Man muss sich nur dran halten können. Aber ich bin sicher, du schaffst es jede Woche zu einer Clubzeit zu gehen, oder?“ „Sicher.“, Katsuya schloss die Augen, „Davon gehen die Aggressionen dann weg-“ „Sie werden weniger.“ „Womit kriege ich sie dann ganz weg?“, er merkte, wie er Trotz in seine Stimme legte ohne es zu wollen. „Mit Zeit. Manchmal gar nicht. Setos Aggressionen sind normalerweise kaum vorhanden und brechen nur unter Stress wieder aus.“, Yami lachte plötzlich los, „So- haha... so wie... aah... so wie Herpes. Kennst du, oder?“ „Klar kenne ich Herpes.“, Katsuya spitzte beleidigt die Lippen, „Das sind diese weißen Bläschen in den Mundwinkeln, die bei manchen Menschen andauernd wiederkommen, oder?“ „Genau. Die brechen auch vor allem bei Stress wieder aus.“ Na toll. Seine Aggressionen verhielten sich so wie kleine Schaumblasen... „Wenn die Aggressionen weg sind – nein, wenn sie weniger sind – bin ich dann glücklich?“ „Was beharrst du so auf dem Glück?“, Yami schüttelte belustigt lächelnd den Kopf, „Erinnerst du dich daran, wie ich dich vor anderthalb Jahren mal gefragt habe, was für dich Glück ist?“ „Huh?“, die blonden Augenbrauen zogen sich zusammen, „Ähm... nicht wirklich...“ „Macht nichts. Ich glaube, du warst damals auch ziemlich high.“, der Ältere streifte seine Hausschuhe ab und legte sich neben Katsuya mit dem Kopf auf dessen Schulter, „Auf jeden Fall hast du geantwortet, dass eine warme Mahlzeit dich glücklich macht. Die hast du jetzt, aber du bist nicht glücklich. Weißt du, warum?“ „Weil ich damals fast nie welche hatte.“, erwiderte dieser ohne groß darüber nachzudenken, „Jetzt habe ich die. Zur Genüge.“ „Exakt. Glücklich macht es uns unter anderem Dinge zu kriegen, an die wir sonst nicht so einfach kommen. Das bedeutet unter anderem auch, dass Glück etwas Vergängliches ist. Es gibt niemanden, der immer glücklich ist.“, Yami kuschelte sich näher, wobei Katsuya automatisch einen Arm um ihn legte, um ihn zu halten, „Das heißt auch, je weniger man hat, desto einfacher ist es glücklich zu sein. Weil man leichter Dinge bekommt, die man sonst nicht hat. Das hat natürlich auch Grenzen, wenn man wie du früher kein sicheres Heim und praktisch nichts zu essen hatte, löst ein einfaches Essen natürlich keine überschäumenden Glücksgefühle aus.“ „Hm... verstehe...“, mit dem Arm, den er um Yami gelegt hatte, begann er mit einer dessen blonden Ponysträhnen zu spielen, „Es ist normal unglücklich zu sein und man wird nur zeitweise glücklich?“ „Nein, man ist normalerweise weder glücklich noch unglücklich und tendiert nur durch verschiedene Ereignisse zeitweise zum einen, zeitweise zum anderen.“, die Hand, die ihn vorher gestreichelt hatte, machte ein paar unterstützende Gesten in der Luft, „Wie ein Schiff auf dem Meer. Manchmal ist es ruhig, manchmal gibt es Wellen mit Hoch und Tiefs. Bei psychisch Angeschlagenen wie Seto und dir zur Zeit ist nur meistens Sturm.“ „Dann sollten wir aufpassen, dass wir nicht kentern.“, warf Katsuya spaßhaft ein. „Das wünsche ich von ganzem Herzen.“, erwiderte der Andere mehr als ernst. Der Jüngere zog den Kopf ein. Idiot. Er sollte denken, bevor er redete. Kentern hieße wahrscheinlich Tod. Natürlich wollte keiner, dass einer von ihnen starb... oder sich umbrachte. Erst recht Yami nicht. Und der hatte wahrscheinlich eine berechtigte Angst um sie beide. „Willst du mehr über Glück wissen?“, fragte der Ältere in die entstandene Stille. „Jo.“, Katsuya zuckte mit den Schultern, „Warum nicht? Wenn es vergänglich ist, muss man ja wohl dauernd darum kämpfen, nicht? Da ist es gut die Regeln zu kennen.“ „Ah ja.“, Yami kicherte, „Kennst du den Satz Money can’t buy happiness but it can buy marshmallows which is sort of the same thing?“, der Blonde wandte nur den Kopf zur Seite und stempelte die Frage als rhetorisch ab, „Um glücklich zu sein, gibt es ein paar Grundvoraussetzungen. Unter anderem, dass du genug getrunken hast, damit dein Blut flüssig genug ist, um keine zähe Brühe zu sein. Das sind zwei bis drei Liter am Tag – mehr, wenn du Fieber hast oder in einem Gebiet lebst beziehungsweise eine Arbeit hast, wo man viel schwitzt. Ansonsten frisst dein Gehirn Glucose, das ist ein Zucker. So etwas wie Fett oder Eiweiß kann dein Gehirn nicht verstoffwechseln. Daher ist es wichtig Stärke und Zucker zu sich zu nehmen. Wenn man viele Stunden nichts gegessen hat, ist es kein Wunder, wenn man schlecht gelaunt ist.“ „Daher die Marshmallows?“, fragte Katsuya nach. „Exakt. Zucker ist nichts Verdammbares.“, Yamis Hand strich sein Shirt hinab und legte sich darunter auf die straffen Bauchmuskeln, „Und auf Stress muss man achten. Jeder hat so sein individuelles Stresslevel. Seto zum Beispiel wäre nur durch seine Arbeit niemals ausgelastet. Ryou wird durch die Schule praktisch schon überstrapaziert, weil soziale Situation ihn sehr anstrengen. Und wäre meine Arbeit meine Hauptbeschäftigung, würde ich völlig durchdrehen.“ „Genug trinken, genug essen und sich nicht überanstrengen, aber auch nicht unterfordern.“, fasste Katsuya für sich zusammen. „Ganz genau. Weiterhin ist es natürlich wichtig weitere Grundbedürfnisse zu erfüllen. Es ist leichter glücklich zu sein, wenn man nicht stets Angst um sein Leben, seinen Schlafplatz und seine nächste Mahlzeit hat.“, ja, natürlich, das war mehr als verständlich, „Und eine sehr wichtige Voraussetzung ist die Wahrnehmung des Selbst. Wenn du nicht weißt, was du fühlst und brauchst, wie kannst du dich dann glücklich machen? Also achte darauf, was du willst und dir wünscht, was dich zum lachen bringt und was dir das Gefühl gibt zufrieden zu sein.“ Katsuya schluckte. Sich selbst wahrnehmen. Das tat er. Er wusste als Straßenkind stets, was er haben wollte. Er hatte geflucht und geschrieen, hatte gekämpft, war gescheitert und hatte vieles aufgegeben, aber er war stets seinen teils unerreichbaren Träumen nachgejagt. Er hatte immer ein Ziel gehabt. Sein Ziel war es gewesen ein anderes Leben zu haben – das hatte er nun. Was sollte er jetzt mit sich anfangen? „Yami?“, der Angesprochene bezeugte mit einem Laut seine Aufmerksamkeit, „Hast... hattest du nicht große Probleme dich selbst wahrzunehmen? Ich weiß, du hast mir mal gesagt, dass du dich in deinem Beruf aus deinem Körper löst und oft zweifelst, ob du danach wirklich wieder zurück kehrst.“ „Ja...“, ein trauriger Schleier legte sich über die Augen des anderen, „Ja, das ist richtig. Ich glaube nicht, dass ich noch viel davon wahrnehme, was ich wirklich will... die Sache mit dir ist das beste Beispiel. Ich habe nicht einmal bemerkt, wie unglaublich ich dich liebe.“, Lider bedeckten die Amethyste, „Ich habe meine Eifersucht und meine Wut auf mich selbst nicht gespürt. Ich habe... ich habe praktisch die Verbindung mit meinem Körper verloren und kann sie nicht wieder finden.“ Katsuya seufzte leise, legte auch den zweiten Arm um Yami und zog diesen enger an sich. „Glück hat zwei große Komponenten.“, fuhr der Ältere fort, die Stimme leicht belegt, „Sich selbst glücklich zu machen und andere glücklich zu machen.“, er schluckte seine Tränen, „Menschen sind soziale Wesen. Sie sind so konstruiert, dass es sie mehr freut anderen zu helfen als selbst glücklich zu sein. Darum täuschen viele über ihr eigenes Unglück hinweg, indem sie sich für andere aufopfern.“ „So wie du?“, warf Katsuya schonungslos ein. Einen Moment lang kam keine Antwort, doch er spürte die Muskeln des Anderen sich zusammen ziehen. „Sicherlich auch so wie ich... aber ich glaube, ich achte dabei noch genug auf mich.“, erwiderte Yami mit leicht zitternder Stimme. „Ich will ehrlich sein. Ich glaube, du bist in deinem Beruf todunglücklich. Dass du das nicht spürst, ist für dessen Ausübung vielleicht besser, aber nicht für dich. Im Kontrast dazu bist du echt viel für andere da. Aber das ist meine persönliche Meinung.“ Schweigen. Stille. Zehn Sekunden. „Anderen zu helfen verlangt nichts außer dem Vertrauen anderer. Natürlich muss man dafür Menschen und soziale Grundregeln kennen. Man muss in Kontakt mit anderen treten.“, fuhr Yami ohne ein weiteres Wort zur vorherigen Thematik fort, „Um diese Kontakte dauerhaft zu halten und ihnen wirklich eine Hilfe zu sein, ist es aber von äußerster Notwendigkeit, ein guter Freund zu sein. Das ist man am leichtesten, indem man stabil ist. Und das ist man vor allem, wenn man mit sich selbst zufrieden ist. Natürlich heißt das, dass man immer noch nach Zielen strebt, aber um sich zu verbessern, nicht um sich mögen zu können.“ „Du magst dich nicht, aber du bist dennoch ein guter Freund.“, widersprach Katsuya ihm sanft. „Könnte davon kommen, dass ich nicht einmal merke, dass ich mich hasse.“, zischte dieser nur mit einer Verbitterung, die der Blonde noch nie bei ihm gehört hatte, „Aber vielleicht... nein, im Endeffekt muss man mit sich selbst zufrieden sein, bevor man anderen damit helfen kann. Wie will man Selbstliebe vermitteln, wenn man sich selbst nicht lieben kann?“ „So wie du gerade?“, lenkte der Blonde ein, „Als Therapeut muss man sicherlich stabil sein. Um wirklich fundiert Hilfe zu geben, ist es sicher wichtig, dass man das, was man erklärt, selbst erstmal verstanden hat. Aber als Freund kann man Menschen helfen auch ohne dabei glücklich zu sein.“ „Aber das ich keine richtige Hilfe.“, Yami sah auf, „Was tue ich denn schon außer dich mit mir runter zu reißen? Du fühlst dich schuldig und hilflos, weil es mir beschissen geht. Dass du mich nicht sitzen lässt, um glücklicher sein zu können, ist ein wahres Wunder... das ich nicht verstehe.“ „Bei allen Göttern, warum sind all meine Freunde solche Selbsthassfanatiker? Bin ich so ein Sadist?“, der Kleinere senkte schuldig den Kopf, „Ihr verfallt unter Stress alle in dieses Verhalten, oder? Seto ist selbstbewusst, stark und kümmert sich um andere und nur ein Körnchen zu viel und ich habe ein weinendes Kind im Arm, was danach zu einem Jugendlichen mutiert, der seinen Ekel vor sich selbst an seinem Körper auslässt. Und du erst! Ich kenne niemanden, der so mutig ist wie du. Du traust dich, du wagst, du riskierst, aber sobald deine Verlassensängste einsetzen, steigerst du dich in deinen Hass hinein. Ihr seid alle so... extrem!“ „Das macht die Angst...“, flüsterte Yami kaum hörbar, „Wenn man die richtigen Knöpfe drückt, werden aus Mücken Elefanten. Und je mehr Unsicherheit da ist... desto leichter wird das Drücken.“, seine Arme legten sich um Katsuyas Schulter und der zitternde Körper schmiegte sich enger an diesen, „Tut mir Leid, dass ich dich nun auch so belaste...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)