Dreaming Society von Gepo (Fortsetzung von Dead Society) ================================================================================ Kapitel 97: Reflektion ---------------------- Na, alle wieder bereit für ein wenig Psychokram? Es geht wieder abwärts... Viel Spaß beim Lesen! _________________________________________________________________________________ „Hey, Kleiner.“, Seto lächelte, machte einen Schritt auf ihn zu und setzte einen Kuss auf sein blondes Haar, „Na, hattet ihr Spaß?“, er lehnte sich ein wenig zurück, um in Katsuyas Gesicht zu sehen und wartete – mit jeder vergangenen Sekunde verging auch sein Lächeln mehr, „Katsuya, was ist los?“, seine Stirn legte sich in Falten und einen Moment später sah er zu Yami, „Was ist passiert?“ „Tja...“, dieser seufzte, verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Wand, „Meine Worte haben ihn ein wenig schockiert, denke ich. Ich habe Verführung erklärt.“ „Verführung?“, Seto blinzelte unter den zusammen gezogenen Augenbrauen, „Was daran ist schockierend?“ „Zu was man Menschen alles bringen kann...“, erwiderte der Rothaarige leise, „Vielleicht ist es besser, du nimmst ihn einfach mit... er braucht ein wenig Schlaf.“ „Wie du meinst.“, der Andere klang noch immer recht unüberzeugt, doch legte einen Arm um Katsuyas Schultern und zog ihn an seine Seite, „Dann lass uns nach Hause fahren. Sagst du Yami auf Wiedersehen?“ Schweigen. „Ich denke, er ist ein wenig dissoziiert.“, sein bester Freund drückte sich von der Wand ab, schlenderte herüber und setzte einen Kuss auf seine Wange, „Alles Gute, Katsuya. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“ „Bye...“, murmelte Seto nur und zog seinen Freund mit ein wenig Nachdruck aus der Wohnung. Sein Griff blieb fest, auch nachdem sie die Treppe erreicht und ein Stockwerk hinter sich gebracht hatten. Mit einem plötzlich Ruck jedoch schubste Seto ihn ein Stück vor, fing ihn jedoch sofort und drehte ihn zu sich, „Was hat er gemacht, Katsuya?“ „Wie...“, flüsterte der Blonde als Antwort, die Stirn in Falten und biss sich auf die Unterlippe, da der feste Griff an den Oberarmen schmerzte. „Die letzte Person, die ich so aus einer Wohnung geholt habe, war dort von vier Männern vergewaltigt worden. Also was hat Yami gemacht?“ „Er- nichts, er...“, Katsuya blinzelte und schluckte, „Sag mal, wie kannst du so etwas von Yami erwarten? Wir haben uns nur unterhalten.“ „Deine Stimme zittert.“, der Ältere ließ ein wenig locker und strich mit den Daumen über die malträtierten Oberarme, „Sie ist leise und zittert. Du zoomst ein und aus. Du bist sichtbar verstört. Ich werde nicht glauben, dass ein einfaches Gespräch das bewirkt.“, ein Moment des Schweigens, „Katsuya, bitte sprich mit mir.“ „Es war nichts.“, meinte der Blonde mit jedem Funken Überzeugung, den er aufbringen konnte, „Lass es einfach gut sein.“, er schlug eine Hand zur Seite, entriss sich der anderen und ging zum nächsten Treppenabsatz, „Wir haben nur geredet.“ „Katsuya, was immer er auch gesagt hat, ich hasse dich nicht und ich werfe dich auch nicht raus. Und wenn er mich beim Jugendamt anzeigt, schaffen wir es auch dadurch. Bitte sprich mit mir.“ „Seto...“, der Blonde seufzte, blieb stehen und drehte sich zu diesem, „Es war wirklich nichts. Hör auf zu fragen. Yami ist eine der letzten Personen auf dem Planeten, die jemand anderen gegen ihren Willen anfassen würde.“ „Kats-“ „Halt die Fresse!“, er machte kehrt und stürmte die Treppe hinab. Sie schwiegen. Auf der Fahrt, nach dem Aussteigen, im Haus. Katsuya schmiss die Konsole im Wohnzimmer an und vertiefte sich in Videospiele. Seto nahm mit einem Buch auf der Couch Platz und sah von Zeit zu Zeit zu seinem Freund herüber, der das jedoch geflissentlich ignorierte. Was dachte Seto eigentlich, wer er war? Yami so etwas zuzutrauen, das war... das war ja wohl krank. Also echt. Bisweilen hatte der Typ wirklich einen Vollschaden. War ja nett, dass er sich Sorgen machte, aber so übertreiben musste er nun wirklich nicht. Wie lange kannte er Yami jetzt? Zehn Jahre? Also echt, dass man es mit so wenig Vertrauen so lange aushalten konnte. Katsuya ließ den Controller sinken. Wenn Seto in all dieser Zeit nicht mehr Vertrauen zu Yami aufbringen konnte, wie würde es zwischen ihnen in zehn Jahren aussehen? Würde Seto ihm so etwas zutrauen? Würde er auch so über ihn reden? Würde er solche Dinge sagen und dennoch behaupten, er würde ihn lieben? Ihm vertrauen? „Ja?“, fragte der Brünette und Katsuya blinzelte verwirrt. Warum starrte er Seto an? „Ich... nichts.“, er wandte sich wieder um, „Hab‘ nur nachgedacht.“ „Worüber?“, fragte der Andere sanft. „Geht dich nichts an.“, mit einem Tastendruck beendete Katsuya das Spiel ohne zu speichern und stand auf, um in die Küche zu gehen, „Ich mache Abendessen.“ „Kann ich dir helfen?“, startete Seto einen zweiten Versuch. „Wenn du kochen gelernt hast.“ Langsam war es mal gut, oder? Warum war er so gemein? Das wollte er alles gar nicht sagen. Das hatte Seto nicht verdient. Warum also machte er es ihm so schwer? Er ließ sich in der Küche auf den Kacheln nieder und lehnte sich gegen den Schrank mit den Töpfen. Seto machte echt etwas mit mit ihm. Andauernd war er anders. Mal erwachsen, mal ein Kind, mal aggressiv, mal einfühlsam, mal kalt, mal sarkastisch und böse – er hatte mehr Gesichter als Seto mit seiner gespaltenen Persönlichkeit. Vielleicht war er nicht ganz so extrem, aber stabil war er ganz sicher nicht. Er hatte nicht einmal ein eigenes Verhalten. Ein Ich. Wer war er eigentlich? Ein Straßenpunk? Ein hoffnungsvoller Jugendlicher? Ein glücklicher Liebhaber? Ein schmutziger Verführer? Ein selbstmitleidiges Kind? Wozu war er da? Wer sollte er sein? Was erwartete man von ihm? Und wollte er diese Erwartungen erfüllen? Was für Vorstellungen hatte er vom Leben? Was für Wünsche? Er zog die Knie an seine Brust und legte seine Arme darum. War es in Ordnung hier zu sein? War das, was er tat, okay so? Sollte er nicht schnell ein eigenes Leben finden, um nicht so sehr von Seto abhängig zu sein? Sollte er nicht arbeiten gehen? Sollte er sich nicht um seinen Vater kümmern? Er zuckte leicht zusammen. Herr Jonouchi... lebte er noch? Oder war er verhungert, weil keiner einkaufte? Warum war die Wohnung leer gewesen, als er sein Eisenrohr geholt hatte? Oder war er bei Mutter gewesen? Mutter war nun auch allein. Shizuka würde nicht wieder zu ihr zurückkehren. Sie hatte keine Kinder mehr. Alle hatten sich von ihr los gesagt. Sollte er ihr nicht vergeben? Ihr eine Brücke anbieten? Sich wieder mit ihr versöhnen? War es nicht das, was man tat, wenn man heilte? Man betrachtete seine Kindheit mit einem Lächeln und sah ein, dass vieles – wenn auch nicht gut – doch eine Notwendigkeit war? Oder war das auch falsch? War das nur eine Lüge, die man erzählte, um gut zu sein? Um dazu zu gehören? Welcher Erwachsene sagte schon, dass er mit seinen Eltern nichts mehr zu tun hatte? Aber heilte Zeit nicht alle Wunden? Katsuya lehnte den Kopf hinten gegen den Schrank. Setos Küche... Seto hatte so erwachsen geklungen, als er gesagt hatte, dass er seinen Adoptivvater nicht mochte, aber anerkannte, dass es auch gute Seiten an ihm gab. Aber er hasste ihn noch immer. Die guten Seiten hinderten ihn nicht daran. War das nun erwachsen? Oder nicht? Seine Wunden waren eindeutig nicht geheilt. Die Zeit heilte nicht alle Wunden. Seto war schwer verwundet und würde es immer bleiben. Er heilte nicht. Vielleicht würde irgendwann aus drei Personen eine werden. Vielleicht würde er irgendwann wieder ohne Tabletten leben. Ohne Selbsthass. Würde es nicht nur durch den Alltag, sondern auch durch Krisen schaffen. Vielleicht... ja, vielleicht würde es eines Tages nicht mehr auffallen, wie krank er war. Und doch würde er es immer sein. Würde nie frei sein. Immer in Angst rückfällig zu werden – nicht nur vom Alkohol, auch von selbstverletzendem Verhalten, von Aggressionen und Asozialität. Immer ängstlich. Immer unsicher. Niemals wissend, ob man am nächsten Tag noch derselbe war. „Katsuya?“ Der Blonde zuckte zusammen, fuhr herum und sah Seto zwei Meter hinter ihm stehen. Mit einer Hand hielt er den Ellbogen des anderen Arms, der Kopf war zur Seite gelegt und der Ausdruck auf den schönen Zügen sprach von Sorge. „Du hast mich erschreckt.“, brachte Katsuya hervor, fuhr sich durchs Haar und wandte den Blick ab. „Das war unübersehbar.“, ein Moment des Schweigens, „Wie geht es dir?“ „Uh... gut. Ja, bestens.“, er drehte sich wieder dem Herd zu, „Ich brate gerade dein Steak an.“ Zumindest lag da ein Stück Fleisch auf einer dünnen Schicht Öl in der Pfanne. Und war er nicht in die Küche gegangen, um Abendessen zu machen? „Katsuya, der Herd ist nicht eingeschaltet.“, informierte Seto ihn leise, trat heran und legte vorsichtig von hinten die Arme um ihn, „Bitte sag mir, was mit dir los ist.“ „Ich... ich weiß auch nicht, ehrlich gesagt. Ich fühle mich ein wenig komisch.“, den Kopf schüttelnd schaltete Katsuya den Herd ein, „Ich denke, ich mache erstmal das Abendessen fertig. Würdest du ein wenig Gemüse schälen?“ „Sicher...“, der hinter ihm Stehende seufzte und setzte einen Kuss auf seine Schulter, „Macht es dir etwas aus, wenn ich die Jalousien herunter lasse?“ „Wie? Nein.“, der Jüngere blinzelte und sah aus dem Fenster, „Es ist aber schon ziemlich dunkel. Wie spät ist es?“ „Ein Uhr achtzehn.“, Seto drückte einen Knopf nahe der Tür, der alle Fenster des Raumes verdunkelte, „Du warst dissoziativ. Du hast zweieinhalb Stunden auf dem Boden gehockt und seitdem so wie gerade am Herd gestanden.“, ihre Blicke trafen sich wieder, „Es hat mir ein wenig Angst gemacht, um ehrlich zu sein. Dein ganzes Verhalten, seit du bei Yami warst. Bist du sicher, dass nichts passiert ist?“ „Dissos...“, Katsuya lehnte sich gegen die Theke, die Arme vor seiner Brust verschränkt, „So lange...“, er schüttelte den Kopf und hob den Blick wieder, „Was fragtest du bitte?“ „Was bei Yami passiert ist, das dich so aus der Fassung gebracht hat.“ „Yami... gute Frage.“, der Blonde zuckte unsicher mit den Schultern, „Er war so... ehrlich. Ich wusste, dass Prostitution etwas Schweres ist, aber dass es einen so mitnimmt und verändert... ich weiß nich‘... irgendwie hatte ich das nicht erwartet. Also, ich mein‘, eigentlich wusste ich es ja, aber...“, sein Blick sank zu Boden und defokussierte. „Ja?“, riss Setos scharfes Nachfragen ihn aus der Stille seines Kopfes. „Sorry. Ich habe mich... ich weiß nicht, was er sagte, hat mir irgendwie Angst gemacht. Als würde die Welt schwanken und ich wüsste nicht, wo ich mich festhalten soll... irgendwie.“, Katsuya fuhr sich durch das Haar und warf dem längst nicht bratendem Steak einen Blick zu, „Ich kann’s gar nicht beschreiben. Es hat mich echt aus dem Konzept geworfen.“ „Gut.“, der Ältere trat heran und legte einen Arm um seine Hüfte, „Es tut mir Leid, dass ich so unsensibel vorgegangen bin. Ich bleibe aber dabei mir um dich Sorgen zu machen. Wenn ich wieder vermute, dass dir etwas angetan wurde, werde ich Maßnahmen ergreifen, um das zu verhindern, ist das klar?“ „Hm...“, die braunen Augen sahen weiter zu Boden, wenn auch nun neben ihnen, „‘Kay...“ „Müde...“, murmelte Katsuya mit halb geschlossenen Lidern und torkelte gegen die Bettkante, bevor er sich hinein fallen ließ, „Schlaf...“ „Schlaf einfach. Ich ziehe dir noch die Sachen aus.“, meinte Seto und löste die Schuhe von seinen Füßen. Peripher nahm Katsuya wahr, wie er mit seiner Hose weitermachte und half nur damit, dass er die Arme von selbst ein wenig hob, als ihm das T-Shirt ausgezogen wurde. Fertig in einen Pyjama gekleidet rollte er sich zur Seite und bekam kaum noch mit, dass er zugedeckt wurde. Mit einer Hand strich Katsuya über seine Stirn und richtete seinen breitkrempigen Hut. Die Feldflasche, die Seto ihm reichte, legte er ohne jede Umschweife an seine Lippen und warf den Kopf in den Nacken. Gestärkt durch das kühle Wasser ergriff er erneut sein Buschmesser und schlug die Pflanzen vor ihnen aus dem Weg. Ein Fluchen, ein klatschendes Geräusch. Seine Begleiter erschlugen die Mücken, die sich auf ihre Haut setzten. Die matschig klatschenden Geräusche, die ihre Stiefel im Schlamm hinterließen, mischten sich mit dem Sirren und Summen um sie herum. Ein Zisch in der Luft, Knacken, erneut fuhr sein Buschmesser auf das Geäst nieder. Er musste sie heraus bringen. Es war seine Gruppe. Seine Verantwortung. Sie hatten nur ihn. Er war ihr Führer. Ein lautes Platschen ließ ihn herum fahren. Yami prustete, keuchte, tauchte in einer schwarzen Suppe auf und unter, während er versuchte sich mit Schwimmbewegungen oben zu halten. Mit einem Sprung war Katsuya heran. Er versuchte einen wild rotierenden Arm zu greifen, doch fasste nur eine Hand, die ihm im selben Moment wieder entglitt. Er setzte einen Schritt in den Morast, doch ein Arm um seine Taille zog ihn zurück. „Wir können ihn nicht retten.“, urteilte Seto hart, „Wir müssen ihn zurück lassen.“ „Nein!“, Katsuya schlug um sich, erwischte dessen Bauch und befreite sich so, „Yami!“ Dieser war nichts mehr als ein Kopf mit wild umher blickenden Augen und ein Arm, der sich hilfesuchend in seine Richtung streckte. „Zusammen können wir es schaffen, Seto.“, der Blonde wandte sich zu diesem, „Gib mir deine Hand!“ Sein Blick fiel auf Setos blaue Augen. Sein von der Feuchtigkeit eng anliegendes Haar. Die Tränen auf seinen Wange. Schwarze Flecken zogen über seinen Körper und vom Arm, der sich ihm entgegenstreckte fiel die verfaulende Hand. „Katsuya...“, hauchte er noch, bevor Setos Körper sich in Asche auflöste. Yamis Fingerspitzen wurden vom Sumpfwasser umspült und verschlungen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)