Dreaming Society von Gepo (Fortsetzung von Dead Society) ================================================================================ Kapitel 32: Vater ----------------- Ich habe morgen ein Testat, übermorgen und am Freitag - deswegen gibt es bis dahin keine Antworten auf Kommentare. Ich habe sie aber alle gelesen, mich sehr gefreut und möchte mich hier schon mal bedanken! Viel Spaß mit dem neuen Kapitel ^.^ _________________________________________________________________________________ „Wo soll ich unterschreiben?“ Die Stimme war tief, brummend, schwer von einer Mischung aus Erschöpfung, Resignation und... Trauer? Katsuya schluckte, während seine Augen sich mit Tränen füllten, die Bernsteine auf seinen Vater gerichtet, der gesprochen hatte. Dessen ganze Gestalt war in sich zusammen gesunken, die Lider geschlossen, den Kopf abgewandt. Er wirkte einfach... alt. Alt und müde. Die Ausdruckslosigkeit schlaffer Muskeln auf Katsuyas Gesicht wandelte sich langsam, mit jeder Sekunde weiteren Schweigens, in ein Lächeln, bis seine Mundwinkel sich schließlich soweit auseinander gezogen hatten, dass es schon fast schmerzte. Unter beiden Augen zog eine Tränenspur nach unten und seine Worte klangen heiser, als wäre er kaum noch in der Lage zu sprechen: „Danke... Papa.“ Der Mann ihm gegenüber schnaubte nur leise, während seine Mundwinkel ein Kleinstel nach oben zuckten – auch wenn sich Katsuya das möglicherweise nur einbildete. Sein Blick blieb auf ihn gerichtet, während sich der Richter von Julie einen kleinen Stapel Papier übergeben ließ und Herrn Jonouchi diesen zusammen mit einem Kugelschreiber reichte. Der Blonde richtete seinen Blick noch einen Moment länger auf ihn, während er begann die Massen an Papier zu lesen, die ihm gereicht worden waren, bis er sich zu Frau Kamiya wandte und fragte: „Wirst du auch unterschreiben... Mutter?“ Ihre dunkelbraunen, fast schwarzen Augen fixierten ihn, bohrten sich in ihn und verlangten stumm, dass er besser nicht zu weit ging. Ihre Augen drohten, während sie etwas lockerer als zuvor in ihrem Stuhl saß, die Beine überschlagen, den Kopf auf ihren rechten Arm gestützt, die Linke quer über ihren Oberschenkeln liegend. „Nein.“, erwiderte sie schlicht, während die Muskeln um ihre Augen sich lockerten, „Selbst wenn ich wollte, ich könnte nicht. Deine Schwester scheint ja entschieden zu haben es nicht mehr bei mir auszuhalten. Sie und ein Neugeborenes bedürfen eines Mindestunterhaltes, selbst mit Unterstützung des Jugendamtes – ich habe nicht genug Geld, um dich auch noch zu bezahlen.“ „An Geld soll es nicht scheitern.“, erwiderte Seto sofort, bevor der Eisdolch durch Katsuyas Brust sein Herz auch nur erreichen konnte, „Nicht wahr, Herr Richter?“ „Natürlich nicht.“, der lächelte freundlich, „Die Klausel wird gestrichen und nach Darlegung ihrer Vermögens- und Einkommenserklärungen des letzten Jahres wird die Pflichtsumme neu berechnet.“ „Ich nehme an, das gilt für mich ebenso?“, Herr Jonouchi sah nicht von den Papieren auf, die er noch immer durcharbeitete. „Sicherlich.“, bestätigte der Richter sofort. Es war anscheinend die einzige Frage, die sein Vater hatte, denn ohne weitere Verzögerung unterschrieb er an vier Stellen in den Dokumenten, während seiner Mutter ebenfalls die Papiere gereicht wurden. Die Tür des Richters fiel hinter ihnen ins Schloss, was Katsuya tief durchatmen ließ. Frei. Er war frei. Er durfte bei Seto leben. Er musste nie wieder zu seinem Vater, wenn er es nicht wollte. Er musste auch nicht zu seiner Mutter oder in eine Pflegefamilie. Er durfte... ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er noch einmal tief atmete. Er durfte das Leben führen, was er schon immer gewollt hatte. Nie wieder Gosse. Nie wieder pilzbefallene Wände. Nie wieder Müll auf den Straßen. Stattdessen durchgehend warmes Wasser, wenn er duschen wollte. Ein voller Kühlschrank, wenn er Hunger hatte. Kiloweise Papier, um darauf zu zeichnen. Nie wieder Angst nach Hause zu kommen... Er ließ im Sonnenlicht, das durch die großen deckenhohen Fenster in die Gänge des Gerichts fiel, seine Haut und seine Seele baden. Er hatte es geschafft. Er hatte sich aus dem Dreck hervorgekämpft. Er hatte sich selbst aus dem Sumpf gezogen, der ihn so lange immer weiter verschlungen hatte. Er hatte gesiegt. Er hatte den Kampf um sein Leben gewonnen. Er durfte leben. „Danke...“, flüsterte Katsuya voller Emotionen, die schon wieder seine Augen mit Tränen zu überschwemmen drohten. „Hm?“, murmelte Seto, der neben ihm stand, leise und wandte ihm das Gesicht zu. „Danke.“, er sah zu dem Größeren hinauf, „Für alles. Ohne dich hätte ich das nicht geschafft.“ „Oh...“, dessen Kopf wich kaum merklich zurück, während er überrascht blinzelte, „Hm. Kein Problem.“, ein schiefes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, „Immer wieder gern.“, die blauen Augen wandten sich zum Fenster, „Auch wenn es mir mit solchen Verhandlungen vorerst reicht.“ „Pf.“, Katsuya sah ebenfalls in die Richtung, „Kann ich verstehen. Mir reicht’s auch.“ „Wollen wir nach Hause?“, die Stimme klang so warm, so liebevoll, so voller süßer Versprechen... „Nach Hause...“, wiederholte er leise, „Ist das wahr? Ist das jetzt echt mein Zuhause?“ „Eingetragen und anerkannt.“, bestätigte Seto lächelnd. „Und... du bist?“, der Blonde legte den Kopf schief, während er zu ihm aufsah. „Dein Vormund.“, eine Hand strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht, „Die Sache mit der Pflegschaft haben der Richter und ich in einer Eilaktion abgeblasen, weil wir es für wichtig hielten, dass du wirklich in keinster...“, Seto betonte das Wort, „...Weise von deinen Eltern abhängig bist.“ „Heißt... du hast alle Rechte, die meine Eltern früher hatten?“, fragte Katsuya genauer nach. „Alle Eltern gesetzlich zugestandenen Rechte, ja.“ Ein Grinsen schlich sich auf die Züge des Jüngeren. „Heißt, du darfst mich von der Polizei jagen lassen, wenn ich ausbüchse?“ Setos Mimik hatte zum ersten Mal, das Katsuya in Erinnerung hatte, einen sofort erkennbaren Ausdruck: Will ich mir das wirklich antun? Es verbreiterte sein Grinsen erheblich – aber auch nur, weil er sich ziemlich sicher war, dass Seto das nicht ernst meinte. Er konnte es gar nicht ernst meinen. Er hatte – im Gegensatz zu seinen Eltern – die Wahl ihn aufzunehmen selbst getroffen. Er hatte selbst entschieden, dass er Katsuya bei sich haben wollte. Er hatte bei vollem Verstand beschlossen, dass er ab jetzt für ihn sorgen wollte. Mit einem schon fast kindlich hohen Lachen warf er sich an die Brust des Älteren, schlang besitzergreifend seine Arme um ihn und bevor Seto auch nur reagieren konnte, hatte er ihn auch schon wieder los gelassen, flitzte auf Yami zu und warf sich dem um den Hals. „Yo, Kats, Vorsicht mit den alten Männern...“, brachte der Rothaarige nur unter Lachen hervor, doch sein bester Freund hatte auch ihn schon wieder stehen gelassen und kuschelte sich von der Seite an Shizuka. Die lachte nur hell, während Katsuya weiter raste, wie ein Kind die Arme ausbreitete, als wolle er Flieger spielen und eine Runde um seinen Vater drehte, der mitten im Gang stand – mit gebührendem Abstand. Weiter ging es den Flur wieder hinab, in dem sich Seto allerdings in den Weg stellte und ihm seinen linken Arm um den Bauch schlang, um ihn zu stoppen. Na gut, er war wahrscheinlich ein bisschen zu schwer, damit Seto ihm beim Herumschwingen in die Luft warf, aber er kam trotzdem um hundertachtzig Grad gewendet zum Stehen – wenn auch Seto es gewesen war, der durch den Schwung herum gerissen wurde. Aber sie standen beide, hatte doch fabelhaft funktioniert. Mit einem Grinsen begegnete er dem spaßhaft verärgerten dunkelblauen Blick. „Und zweiter Arm ausgerenkt...“, grummelte der Brünette, während er sich wieder aufrichtete. „Du hast es geschafft einem Zweimeterkerl einen Arm auszurenken?“, fragte Herr Jonouchi mit leicht gerunzelter Stirn nach. „Ähm...“, selbst jetzt bekam Katsuya das Grinsen nicht vom Gesicht, „Unfall?“, er warf trotzdem einen kurzen Blick zu Setos Schulter – weh tun wollte er ihm ja nicht. „Zu viel Energie.“, urteilte sein neuer Vormund nur und ließ betreffenden Arm kurz kreisen. Schien, als wäre der in Ordnung. „Als Vierjähriger hatte er wenigstens noch die richtige Körpergröße für sein Verhalten.“ Seto musterte seinen Kleinen mit einem Blick, bevor er sich mit Amüsement auf den Zügen Herrn Jonouchi zuwandte und fragte: „Meinen sie, den kann man schrumpfen?“ „Sie können ihn ja mal in den Trockner stecken. Vielleicht hilft’s.“, der Mann von Anfang Vierzig zuckte mit den Schultern wie ein Teenager. „Ihr seid blöd.“, murrte Katsuya nur kindisch, den Körper dabei allerdings halb hinter Seto versteckt. „Sarkasmus ist das Talent der chronisch Unzufriedenen.“, Seto warf ihm von oben herab ein schon fast sadistisches Grinsen zu, während er mit seinen Händen eine Visitenkarte aus seinem Portemonnaie zog und sich wieder Herrn Jonouchi zuwandte, „Hier, für sie.“ „Was ist das?“, fragte Katsuya einfach mal nach und versuchte einen Blick auf die Karte zu erhaschen, die sein Vater – konnte man eigentlich Ex-Vater sagen? – aber schon entgegen genommen hatte und nach einem kurzen Blick und einem Nicken in seine hintere Hosentasche verschwinden ließ. „Nichts für neugierige Schnüffelnasen.“, gegen genau jene tippte Seto mit seinem Zeigefinger, was den Kleineren auf Abstand brachte, „Was hältst du davon dich verabschieden zu gehen, damit wir fahren können?“ „Okay.“, er drehte sich zur nächststehenden Person, was sein Lächeln verebben ließ, „Hm... Vater...“ Jener schluckte, atmete hörbar aus und streckte Katsuya nach einem Moment des Zögerns seine rechte Hand entgegen. Hände schütteln? Hm... ja, das war wahrscheinlich... das Angemessenste. Für diese Situation war praktisch gar nichts passend. Es gab keine Verhaltensregeln. An was sich orientieren? An was denken? Wenn er ehrlich war, wollte Katsuya nicht einmal in die Nähe dieser Hand kommen. Andererseits hatte er neunzehn Jahre mit diesem Mann zusammen gelebt. Da konnte man nicht einfach Auf-nimmer-Wiedersehen sagen und sich wegdrehen. Das Ganze war schon echt... verzwickt. Er schluckte wie sein Vater kurz zuvor, trat vor, hob den Blick zu dessen grüngrauen Augen, ließ ihn zurück zu dessen Hand schnellen, wieder zu den Augen, bevor er die eigene Hand vorsichtig um die des anderen legte. „Pass auf dich auf, ja?“, seine Stimme war leise und ein wenig zittrig, doch sein Gesicht zeigte keinen Ausdruck, durch den man den Ton hätte deuten können. „Ja... du auch...“, Katsuyas wieder auf den Händen liegender Blick wechselte ein weiteres Mal den Fokus zu den Augen des Größeren, „Nimm bisweilen mal was außer Alkohol zu dir, damit du nicht verhungerst.“ „Tja... ich versuch‘ dran zu denken.“, ihre Hände lösten sich voneinander, als hätten sie die Kraft verloren einander noch weiter zu halten, „Versau‘ diese Chance nicht durch irgend’ne Dummheit.“ „Ich versuch’s.“, wiederholte Katsuya seine Worte und versuchte auch das schiefe Lächeln nachzumachen. „Ich denke... das war’s dann...“, Herr Jonouchis Hände ballten sich zu Fäusten, lockerten sich wieder, schwangen nach vorn und hinten, bevor er sich stoppte, indem er die Arme vor der Brust verschränkte. „Ja... scheint so...“, der Jüngere steckte seine in die Hosentaschen seiner Jeans, „Tja... du kannst dich ja mal melden...“, er wandte den Blick ab, „Wenn du vom Alkohol weg kommst.“ „Hm.“, sein Vater nickte dem Richter und Herrn Sarowski zu, die zusammen standen, drehte sich ganz weg und machte sich auf den Weg zu den Treppen. Tja... das war es also... Katsuya sah dem Mann hinterher. Blonde Haare, eine dunkle Lederjacke, diese verdammten Handschuhe, eine ausgewaschene Jeans und alte Lederschuhe. Er hätte ja gedacht, er würde Erleichterung spüren, wenn er ihn zum letzten Mal sah. Oder vielleicht einfach gar nichts, weil die Gefühle zu überwältigend wären. Vielleicht sogar Wut, weil er das Gebäude nicht in Handschellen verließ. Vielleicht eine Mischung aus Verzweiflung und Trauer, weil er wusste, dass der Typ sich eh nur mit einer Flasche irgendeines Gesöffs vor den Fernseher schmeißen würde, als wäre nichts gewesen. Aber es war nichts von alledem. Das, was in Katsuya war, war das drängende, beklemmende Gefühl, dass das hier falsch war. Dass das nicht das war, was er wollte. Dass er... in irgendeiner Form gescheitert war. Und nicht darin seinen Vater ins Gefängnis zu bringen. Sondern darin sein Leben in Ordnung zu bringen. Darin seinen Vater zu heilen. Ja... das war es, was er immer gewollt hatte... alles in Ordnung zu bringen. Das war es, was er in Wirklichkeit immer gewollt hatte. Seinen Vater zu heilen, damit es jemanden gab, der sich um ihn kümmern konnte. Jemanden dazu zu bringen für ihn da zu sein... Er wandte den Blick von der Treppe ab, wo sein Vater verschwunden war und richtete ihn auf Seto. Warum hatte er sich nicht jemanden suchen können, den er nicht erst heilen musste? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)