Dreaming Society von Gepo (Fortsetzung von Dead Society) ================================================================================ Kapitel 8: Verantwortung ------------------------ Leben gestaltet sich echt schwierig, wenn man von Eltern abhängig ist v.v Wem es schon aufgefallen ist, ich habe wenig Zeit und noch weniger Nerven. Aber zumindest meine Vierstundenfahrten zur Wohnungssuche (hin UND zurück) sind ausreichend zum Verfassen sehr vieler Kapitel - und ich hoffe auch guter. Denn - wie lange ersehnt - wir verlassen den Teil der Fachwörter auf kompensierten Raum und gehen über zur Geschichte! Auf ins Vergnügen ^.^ Viel Spaß beim Lesen ^.- _________________________________________________________________________________ „Katsuya... Katsuya...“ „Nghm...“, er wandte sich unter der Hand, die über seine nackte Brust strich. „Aufwachen, Schlafmütze.“, jemand pustete ihm ganz, ganz gemein ins Ohr, was ihn sofort die Lider aufschlagen ließ, „Guten Tag zu diesem wunderschönen Montagmorgen.“ „Lass mich in Ruh‘...“, der Jüngere verzog das Gesicht und drehte sich von Seto weg. „Was? Du zeigst mir die kalte Schulter?“, ein Kuss wurde zwischen seine Schulterblätter gesetzt, während eine Hand über seine Seite zu seinem Bauch fuhr, „Soll ich sie etwas anheizen?“ „Hattest du heute schon Kaffee oder was?“, nuschelte der Blonde gegen das Kissen, in das er sich vergrub. „Ich bin schon seit zwei Stunden wach, klar hatte ich welchen. Übrigens redest du im Schlaf.“, Zähne schlugen sanft in seine Schulter, „Und du siehst verdammt gut aus, wenn du dich halb schlafend nackt im Bett windest.“ Nackt? Halt – wo waren seine Klamotten? Okay, er trug Unterwäsche, aber... „Wo sind meine Sachen?“, er drehte sich ein Stück zu dem Größeren und packte dessen Hand, die ungeniert über seine Brust fuhr. „In deinem Zimmer. Zumindest habe ich sie da gestern hingebracht, nachdem du einfach eingeschlafen bist.“, der Mund küsste sich nach vorne über seine Schulter zu dem Platz, wo vorher die Hand gelegen hatte. „Ist das ein Vorwurf?“, fragte Katsuya amüsiert. Klar war es einer, Seto hatte seit mindestens vierundzwanzig Stunden keinen Sex mehr gehabt – Katastrophe für ihn. Wie der bloß zwei Wochen ohne ausgekommen war, war ein Rätsel. Statt einer Antwort durchbrach die Lippen eine Zunge, die rau über Katsuyas linke Brustwarze fuhr. Die Hand entwand sich sich seinem Griff, fiel über die andere Brustseite her, was dem Jüngeren dann doch ein Keuchen entlockte. Warum musste Seto bloß so gut darin sein? Und seit letzten Donnerstag noch besser – und er persönlich noch schärfer auf diesen Typen? Ihre Wir-machen-es-mal-liebevoll-Aktion war nach einer Dreiviertelstunde auch nur ein animalisches Übereinander-herfallen gewesen. Ihre Hormone spielten wohl bei ihnen beiden ziemlich verrückt derzeit. „Seto...“, murrte Katsuya, „Wir müssen uns fertig machen.“ „Es ist sechs Uhr, genug Zeit also.“, wehe, er ging mit der Hand noch tiefer, wehe ihm... „Ich hatte diese Woche noch gar keinen Sex...“ „Die Woche hat auch erst vor sechs Stunden begonnen!“ „Haarspalterei...“, wehe ihm, wehe ihm, wehe ihm- Katsuyas Hand fuhr an den Bund seiner Retro, um diese darin zu hindern nach unten gezogen zu werden. „Katsuya...“ „Nein.“, er rollte sich gekonnt zur Seite, landete auf seinen Füßen und brachte Sicherheitsabstand zwischen sich und das Bett, von dem aus sein Freund ihm hinterher sah. Ein nackter, muskulöser Oberkörper, der halb von der Decke verdeckt war, verwuscheltes, volles, braunes Haar und ein Schlafzimmerblick mit graublauen Augen. Katsuya atmete tief ein. Dreimal verflucht sei dieser Typ für seine Schönheit! Und für diesen Blick, der einen schwach werden ließ. „Besprechen... wir das in der Dusche...“, entschied er. Dieses verfluchte Grinsen. Und wieder einmal war er schwach geworden. Wieder einmal hatte er sich verführen lassen. Welch eine verfluchte Woche! Welch ein verfluchter Typ! Beleidigt biss Katsuya in seinen Toast mit Marmelade. Nicht, dass es ihm nicht gefallen würde. Nicht, dass er nicht wusste, dass er Seto wichtiger war als nur dafür. Aber trotzdem... Seto wusste viel zu gut ihn rumzukriegen. Und er war einfach nur verrückt nach diesem Kerl. Wo sollte das noch hinführen? Er hing vollkommen an Setos gutem Willen. Er machte sich abhängig von einem potenziell höchst existenzbedrohenden Typen. Und er war sich dessen vollkommen bewusst. Grummelnd sah er über seinem Toast eben genannten Individuum dabei zu, wie er Zeitung lesend seinen Kaffee trank. Wie er in aller seiner Herrlichkeit da saß, ein Bein über das andere gelegt, ihm die Sohle eines schwarzen Lederschuhs zugewandt. Ein rotes Hemd, ein schwarzer Anzug, das Jackett über die Lehne des Stuhls gehangen – und ihm kam nur der Gedanke, wie es wäre dieses Hemd aufzuknöpfen und mit der Nasenspitze über die Marmorhaut zu fahren. Der Typ sah mit seinen achtundzwanzig Jahren verdammt erwachsen aus. Ob er mit Mitte vierzig auch noch so da sitzen würde? Ob er dann auch immer noch so gut aussehen würde? Oder sogar besser? Wenn sein Alter und Aussehen seiner Reife und seinem Verhalten entsprachen, wäre er nicht noch schöner? Katsuya seufzte halb sehnsüchtig, halb genervt von seinen Gedanken – sie waren eine Woche zusammen und er machte sich Gedanken, wie der Mann in fünfzehn Jahren aussehen würde. Er hatte sich auf Wichtigeres zu konzentrieren. Zum Beispiel auf die Japanischarbeit über schriftliche Argumentation heute. Ob er wohl Vorteile bekam, weil er mit dem Lehrer schlief? Na gut, das konnte er sich beantworten, die bekam er nicht. Genauso wie er keine schulischen Probleme bekam, wenn sie sich stritten. So waren die Regeln festgelegt. Und so wurde sich dran gehalten. Ohne Regeln würde es bei ihnen wahrscheinlich schnell den Bach runter gehen. Und er wollte, dass diese Beziehung hielt. Er wollte wissen, ob Seto in fünfzehn Jahren noch genau so da sitzen würde. Er wollte wissen, ob er noch genau so ein sarkastischer Bastard sein würde, wie er es heute war. Er wollte wissen, ob er noch genau wie heute bisweilen ein kleines, schutzsuchendes Kind sein konnte. Er wollte bei ihm bleiben. „Morgen!“ Oh nein, nicht noch so ein Frühaufsteher, der jeden Tag mit einem glücklichen, vorfreudigen Lächeln begann. Wie konnte man Montag morgens so... so... so wach sein? „Morgen, Ryou...“, erwiderte der Blonde, fuhr sich über die Augen und ließ sich auf seinen Stuhl fallen, „Was bist du denn schon so wach?“ „Wir schreiben doch jetzt die Klassenarbeit. Das macht mich echt nervös.“ „Ach ja...“, hatte er schon wieder verdrängt, „Die Klassenarbeit... du wirst sie doch eh als bester hinkriegen. Warum nervös? Ich für meinen Teil kriege verdammt Ärger, wenn ich sie verhaue.“ „Hey, ich schreibe auch nicht einfach so gute Noten. Ich muss auch lernen und üben und alles.“, der weißhaarige Fünfzehnjährige zog eine Schnute, „Und ich kriege auch Ärger, wenn ich sie verhaue. Mein Bruder achtet schließlich auf meine Schulbildung.“ Okay, wenn eine schlechte Note Ärger mit Bakura bedeutete, dann wäre er auch extrem nervös. Da wählte er sogar lieber Ärger mit Seto – Bakura war weit aggressiver und bedrohlicher. Dagegen war Seto nur ein domestizierter, kleiner Drache. Was natürlich nicht das Bild spiegelte, das er hier vor der Klasse gab. Ein kühler, unnahbarer, mächtiger Erwachsener. Eine Schönheit im Anzug mit einem eleganten Gang und einer herrischen, schon fast abwertenden, aber gleichzeitig anspornenden Stimme. Für Katsuya vereinigte der Mann alles in sich, was er brauchte. Wenn er nur nicht so verdammt abhängig von ihm wäre. Der Blonde seufzte, während er das Blatt der Klassenarbeit durch las. Zuerst die Aufgaben lesen, um zu schauen, ob die Aufgabenstellung an sich klar war. Dann eine Liste erstellen, was alles erledigt werden musste und in welcher Reihenfolge er das tun würde. Erst danach auf den Text und das Thema schauen – so hatte Seto ihm das beigebracht. Ihn erwartete eine Blockargumentation als erste Aufgabe und ein kreativer Schreibauftrag – ein Zeitungsartikel war zu verfassen – als zweite. Hörte sich nach einer fairen Aufgabenstellung an, die für ihn vollkommen klar war. Er hatte erst einmal den Text zu lesen und die allgemeinen Daten zu sammeln. Eine Pro/Contra-Tabelle war zu erstellen, eine eigene Position zu beziehen, die Argumente mussten geordnet werden. Erst, wenn er das alles erledigt hatte, sollte er mit dem Schreiben beginnen. Zuerst musste er sich nur auf die erste Aufgabe konzentrieren, die mindestens sechzig Prozent der Note ausmachen würde, da die zweite nur eine Zusatzaufgabe war. Ran an den Text. Katsuya legte das Ende des Bleistiftes, mit dem er die bisherigen Punkte auf einen Schmierzettel gekrakelt hatte, zwischen die Zähne, um ihn bei Bedarf zum Unterstreichen zu nutzen. Es war ein sehr kurzer Zeitungsartikel, das konnte man durch das Layout auf den ersten Blick erkennen. Eine Kurznachricht aus dem Teil der politisch eher unwichtigen Seitenartikel von ungefähr fünf Sätzen – eine Nachricht, die andere Zeitungen auf die Titelseite bringen würde, wenn sie skandalös genug war. Er begann zu lesen. Tokio. In einem Mehrfamilienhaus wurden bei einer Durchsuchung am Sonntag fünf Kinderleichen auf dem Dachboden des Hauses entdeckt. Die Körper seien durch zahlreiche Schnitte bis auf Gesicht und Hände entstellt, besonders die Unterleiber der fünf Mädchen im Alter von ca. drei bis zehn Jahren wiesen schwere äußere und innere Verletzungen auf, teilte die Polizei mit. Die Suche nach dem/n möglichen Täter/n blieb bisher ergebnislos. Sollte eine staatliche Institution auch ohne konkrete Hinweise auf Missbrauch Familien in regelmäßigen Abständen kontrollieren, um solche Vorkommnisse weiter einzudämmen? Katsuya dehnte seine Finger, bevor er die linke Hand um sein schmerzendes Handgelenk legte. So viel hatte er noch nie in seinem Leben geschrieben. In zwei Stunden hatte er über zwölf Seiten verfasst, der Zeitungsartikel war demnach in den letzten fünfzehn Minuten nur eine Seite lang geworden – klang aber trotzdem nicht schlecht. Seine Blockargumentation an sich füllte gerade mal fünf Seiten, aber er hatte einfach mehr schreiben müssen, mögliche Fälle und Ideen ausführen müssen. Selbst wenn das seine Note schmälerte, es hatte verdammt gut getan das alles nieder zu schreiben. Herr Lehrer Kaiba, wie er ihn in der Schule zu nennen hatte, nahm das Heft von seinem Platz auf und legte es hinter den Stapel der bereits eingesammelten Hefte auf seinem Arm. Wollte er seine Arbeit als letzte lesen? Oder als erste? Warum? War er so interessiert an dem, was er geschrieben hatte? Anscheinend war er irgendwie etwas Besonderes... vielleicht war es ihm im Anbetracht der Verhandlung am Donnerstag wichtig. Vielleicht erwartete er auch einfach nur die meisten Formfehler bei ihm und hatte wenig Lust auf die Korrektur. Er würde es wahrscheinlich heute Abend wissen, so wie er seinen Freund kannte. Wahrscheinlich war er sogar interessiert daran, was seine Schüler zu dem Thema geschrieben hatten. Obwohl er bei der Auswertung objektiv sein und jede Meinung akzeptieren musste – was Katsuya an seiner Stelle wahrscheinlich nicht könnte. Das Thema ließ ihn kaum kalt. Und es war eine verdammt gute Frage. Mal ehrlich, wie viele der Missbrauchsfälle wurden wirklich bekannt? Die Kinder meldeten sich kaum, hatten im Zweifelsfall vom Jugendamt noch nie etwas gehört – und glaubten meistens nicht, dass sie missbraucht wurden, weil es für sie alltäglich war. Man hatte ihnen eingeprägt, dass sie eh zu nichts anderem wert waren, dass sie nicht das Recht auf etwas Besseres hatten, dass man ihnen nicht glauben würde oder dass ihnen etwas sehr, sehr Schlimmes passieren würde, sollten sie jemals etwas verraten – und Kinder, die sie nun mal waren, nahmen sie es auf, glaubten es und vergruben es in ihrem Unterbewusstsein, von wo es stets wirkte und sie davon abhielt sich selbst zu helfen. In ihnen wohnte die Angst. Angst etwas zu sagen. Angst vor Strafe. Angst vor Ablehnung. Und Angst, dass die Antwort lautete, dass das kein Missbrauch war – dass sie nur undankbar, nur größenwahnsinnig, nur dreist waren etwas Besseres zu wünschen. Etwas Besseres, das sie nicht verdient hatten, schlechte Kinder wie sie waren. Denn wäre das der Fall, so stürbe sogar die Hoffnung jemand würde kommen und sie retten. In ihm wohnte genau das alles. Und tief in ihm brodelten noch immer die Worte, die Kaiba ihm vor Wochen an den Kopf geschmissen hatte. Ein Insekt, das zertreten gehört. Ein undankbarer Bengel, der heulte und schrie, weil man sich nicht seinem Willen beugte. Er wusste, er hatte diese Worte nur gesagt, weil er ihn verletzen wollte. Weil er selbst glauben wollte, dass Katsuya verachtenswert war. Weil er damals nichts von dem Missbrauch wusste, dem Katsuya ausgesetzt gewesen war. Weil er labil und verzweifelt gewesen war. Aber dennoch brannte es unter seinen Lidern, wenn er daran dachte. All das hätte vielleicht nie sein müssen, wenn man ihn früher aus seiner so genannten Familie geholt hätte. Oder wenn man Seto von seinem Adoptivvater befreit hätte. Er spürte Ryous Hand auf seiner Schulter, seinen bohrenden, fragenden, besorgten Blick. Der Kleine wusste nicht einmal einen Bruchteil dessen, was sein Vater mit Katsuya angestellt hatte. Er wusste nichts von der Verhandlung in drei Tagen, bei der entschieden wurde, ob er zu diesem Mann zurück musste. Und dennoch sah er instinktiv, dass etwas nicht stimmte. Solch ein sensibles, verletztes Kind. Er war der, den man von ihnen allen am nötigsten hätte früher befreien müssen. Um so erstaunlicher, dass sein Bruder, der den Schwerstmisshandlungen neunzehn Jahre ausgesetzt gewesen war, es getan hatte. Die älteren Misshandelten retteten die Jüngeren. Warum brauchte es sie? Warum musste man gerade sie damit belasten, wenn es Institutionen gab, die eigentlich dafür zuständig waren? Warum hatte niemand die Polizei informiert? Warum sahen Menschen über die Blutergüsse, die Wunden, die abnormen Verhaltensweisen einfach hinweg? Warum hielt man immer jemand anderen für zuständig? Warum waren die Menschen so verdammt feige, damit sie keine Verantwortung übernehmen mussten? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)