But there's no escape...? von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- BUT THERE’S NO ESCAPE…? And I need to know Das kalte Metall an meiner Schläfe fühlt sich seltsam gut an. Beruhigend. Es gibt mir ein Gefühl der Macht. Ein gutes Gefühl…ich könnte mich daran gewöhnen. Ich habe die Kontrolle. Ich entscheide, sonst niemand. Ich müsste nur einmal den Finger bewegen und alles wäre zu Ende. Vorbei. Der Schmerz, die Sehnsucht, die Ungewissheit…alles wäre ausgelöscht. Für immer. Immer… Mein Finger, der um den Abzug gekrallt ist, fängt plötzlich an, zu zittern. Noch nicht, nicht jetzt. Die Zeit ist nah, aber sie ist noch nicht gekommen… I'm crossing the borderline „Hideto, bist du fertig?“, ruft eine bekannte Stimme aus dem Wohnzimmer. Bekannt, aber nicht vertraut. Es gibt nur eine vertraute Stimme für mich auf dieser Welt – und die höre ich viel zu selten. „Ich komme!“, rufe ich zurück. Ein perfekt aufgesetzter, fröhlicher Ton. Vorsichtig lege ich die Waffe zurück in das Geheimfach hinter dem Bücherregal und atme einmal tief ein und aus. „Jetzt komm, Schatz, wir sind spät dran!“, drängt die Stimme ungeduldig, als ich mein Arbeitszimmer verlasse und vor ihre Besitzerin trete. „Kein Stress, Meg, wir sind schließlich Prominente, da können wir es uns ja mal leisten, zu spät zu sein.“ „Du hast leicht reden, ich bin ja diejenige, die einen Haufen wichtiger Leute auf dem Empfang treffen muss, nicht du!“, schmollt sie leicht und geht zur Tür. Ich halte sie ihr auf, wie sie es erwartet. Alles so wie gewohnt. Wie mich diese Vorhersehbarkeit ankotzt… Man sollte meinen, das Leben eines berühmten Sängers sei spannend, aufregend…aber Pustekuchen. Immer wieder dieselben Abläufe: Pressetermin hier, Live-Auftritt dort, mehrere Stunden im Flugzeug unterwegs – und das beinahe jeden Tag. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich mich im Moment auf dem Höhepunkt meiner Karriere befinde. Vollkommen ausgebucht. Unglaubliches Interesse an meiner Person. Hyde hier, Hyde da, kreischende Fanmengen überall und so weiter. Versteht mich nicht falsch, ich liebe meine Fans, wirklich. Und ich mag es, ihnen eine Freude zu machen, ihnen etwas zu geben (und sei es nur ein Autogramm), aber manchmal will man auch mal seine Ruhe haben. Egal. Das zeige ich natürlich niemals vor anderen. Ich versuche stets freundlich und witzig zu sein, obwohl ich nicht weiß, ob es mir gut gelingt. Es gab eine Zeit, in der ich auch tatsächlich so drauf war. Also glücklich, meine ich. Es war um das Jahr 2003, da bin ich mir sicher. Eine Phase meines Lebens, in der ich mich richtig wohl gefühlt habe und die ich am liebsten für immer und ewig festgehalten hätte… Doch was können wir Menschen, diese so ohnmächtigen Geschöpfe, schon gegen den Lauf der Zeit tun? Ich darf nicht weiter denken. Ich zünde mir beim Fahren eine Zigarette an und halte an einer Ampel, während Megumi auf dem Beifahrersitz mein Gehör mit den 100 Variationen der „Wie sehe ich aus?“-Frage maltraitiert. „Du siehst toll aus, Schatz!“, versichere ich ihr unentwegt und hoffe vergeblich, dass sie dann Ruhe gibt. Das letzte Wort ist mir nur aus Gewohnheit rausgerutscht. Dabei empfinde ich nicht das Geringste, wenn ich das zu ihr sage. Für mich ist es nur eine leere, emotionslose Floskel, die eben zu einer Ehe dazugehört. Für Megumi aber scheint es immer noch mehr zu bedeuten, denn sie lächelt mich liebevoll an und ist glücklich darüber. Ich konzentriere mich auf den Verkehr. Es tut mir leid, sie so zu betrügen. Sie ist ein guter Mensch und ich bin so ein Verräter ihr gegenüber. Ich sollte mich schämen. Ihr vorzugaukeln, ich würde sie lieben…das ist doch wirklich das letzte. Aber was soll ich machen? Ich kann es eben nicht. Ich kann sie, so sehr ich mich auch zwinge, nicht mehr lieben. Doch andererseits weiß ich, dass sie es nicht ertragen würde, wenn ich sie verließe. Also bleibe ich schön brav in meiner Rolle als guter Ehemann. Without a sound Ich biege um die Ecke und stelle das Auto auf einem Privatparkplatz ab. Beim Aussteigen wirft Megumi noch einmal einen prüfenden Blick in den Spiegel und zupft ein paar Haarsträhnen zurecht. Wie sehr auf sein Äußeres bedacht kann man eigentlich sein?, frage ich mich. Ich selbst achte schon auch auf mein Aussehen, ja, das muss ich als Star auch, aber bei ihr ist es schon krankhaft! Ich habe nur ein einziges Mal einen Menschen getroffen, der genauso sehr darauf achtet, dass alles perfekt sitzt. Kamui Gakuto. Gemeinhin bist du auch bekannt als Gackt. Wow, super, Hyde, du hast es schon wieder geschafft, deine Gedanken bei ihm landen zu lassen. Irgendwie schaffe ich es immer, auf dich zurückzukommen, egal, woran ich denke. Vor ein paar Monaten hätte ich mich noch darüber aufgeregt und versucht, dagegen anzukämpfen, aber jetzt nehme ich es einfach hin, wie es ist. Es ist eben nicht zu ändern. Ich lasse zu, dass meine Gedanken abschweifen, dass das altbekannte Gefühl der Leere und Einsamkeit mich von neuem erfüllt (zum wievielten Mal an diesem Tag? – ich weiß es nicht) und ein langer, müder Seufzer verlässt meinen Mund. „Hast du Kopfschmerzen, Liebling?“, fragt Megumi besorgt, als ich mir die Schläfen massiere. Ich schließe das Auto ab und gehe kommentarlos zum vor uns stehenden Gebäude. Ich weiß, ich verhalte mich unfair ihr gegenüber, sie macht sich schließlich nur Sorgen um mich. Würde sie von dem Vorhaben, das ich schon länger plane, wissen, hätte sie auch allen Grund dazu. Ich nehme noch einen letzten Atemzug frischer Luft, um den Kopf frei zu kriegen, bevor ich mit Megumi zusammen die Halle durch den Hintereingang betrete. Wir kommen durch die Sicherheitsprüfung und befinden uns im Handumdrehen inmitten einer der größten Kunstveranstaltungen Japans, umgeben von hunderten anderen Prominenten. Ich weiß, dass du auch kommen wirst. So eine gute Gelegenheit ins Blitzlichtgewitter zu gelangen würdest du einfach nicht verpassen. Als ob dein Gesicht einem nicht sowieso schon vom Titelblatt jeder zweiten Musikzeitschrift entgegenstrahlt. Auch du bist gerade hoch im Rennen im japanischen Showbiz und überall gefragt. Es ist glaube ich unnötig zu erwähnen, wie unglaublich hilfreich das sein kann, wenn ich versuche, dich aus meiner Gedankenwelt zu vertreiben und dabei an jedem Straßenkiosk wieder dein Lächeln sehe. Dieses wundervolle Lächeln… Ich müsste schon mit geschlossenen Augen durch die Welt gehen, um von deiner ständigen Präsenz nichts mitzukriegen. Aber bald werde ich meine Augen für immer schließen. Heute Abend, das habe ich so entschieden. Ah…diese Macht…! Es ist die größte Macht die man haben kann. Ich entscheide über mein eigenes Leben. No one could ever know… Während Megumi schon längst verschwunden und höchstwahrscheinlich im Gespräch mit irgendwelchen Fotografen ist, schlendere ich etwas gelangweilt durch die Reihen der ausgestellten Bilder. Alles düstere Werke, modern und „revolutionär“, wie es die Künstler selbst sagen würden. Ich weiß es, weil ich früher auch mal Künstler werden wollte. Ich male auch heute noch manchmal, wenn ich Zeit habe. Meist kommen bei mir ähnlich dunkle und verzerrte Dinge heraus, jedenfalls ist es seit ungefähr zwei Jahren nur noch so. Aufmerksam geworden, bleibe ich vor einem besonders finster anmutenden Gemälde stehen und sehe es mir genauer an. Von schwarzer Farbe umgeben, zeigt es ein im Dornengestrüpp gefangenes Skelett, das von den dolchartigen Auswüchsen aufgespießt wurde. An den Spitzen der vertrockneten Pflanze klebt altes, aber immer noch deutlich sichtbares Blut. Man kann sich bildhaft vorstellen, wie sich die Dornen zu Lebzeiten dieses bemitleidenswerten Geschöpfs tief und schmerzhaft in sein Fleisch gebohrt haben mussten. Ich bilde mir ein, seine Schreie hören zu können. In der Hand hält das Skelett einen blutigen Klumpen, aus dem abgerissene Adern herauswachsen – sein Herz, wie ich annehme. Wie verzweifelt muss ein Mensch sein, um sich das eigene Herz mit bloßen Händen aus der Brust zu reißen? So verzweifelt wie ich? Was für eine Ironie: die Kunst, mit der ich früher alles Positive verbunden habe, spiegelt heute die Verdorbenheit meines Inneren so authentisch wie nichts anderes wider. The sadness… Der Titel des Bildes lautet: “Der letzte Wunsch”. Was wäre eigentlich mein letzter Wunsch? Darüber nachdenkend, bemerke ich gar nicht, wie sich jemand neben mich stellt und meinem auf das Kunstwerk gerichteten Blick folgt. „Was fasziniert dich so an diesem Bild, Haido-chan?“, schreckt mich eine Stimme auf. Es ist eine angenehme…eine vertraute Stimme. Deine Stimme. “Gackt! Schäm dich, mich so zu erschrecken!”, lache ich und versuche, meinen missmutigen Gesichtsausdruck schnell verschwinden zu lassen, was mir auch sofort gelingt, als ich hoch in deine Augen blicke. Du strahlst übers ganze Gesicht und lächelst mich an, wie eh und je. Doch es ist nicht wie dieses gefälschte Lächeln auf den Zeitschriften, nein, das hier ist ernst gemeint und ganz allein für mich bestimmt. Irgendwie zieht mich diese Erkenntnis ein Stück weit aus meiner Verzweiflung. Es wird nicht lange andauern, aber ich freue mich darüber. Jetzt weiß ich, was mein letzter Wunsch sein würde. Dein Lächeln noch einmal zu sehen. Dieses Lächeln, das nur mir allein gehört. „Wie geht’s dir?“, erkundigst du dich nun. „Gut“, lüge ich hemmungslos und gebe die Frage zurück. „Naja…ziemlich viel Stress in letzter Zeit… Aber das dürfte dir wohl nicht anders gehen, hab ich Recht?“ Ein süßes Zuzwinkern von dir und ich nicke einfach nur. „Tja…so ist es eben, wenn man ein Star wie du und ich ist! Man muss damit leben.“ ‚Oder sterben…’, denke ich dazu, lasse mir aber nichts anmerken und laufe mit dir zusammen weiter durch die Gänge. Wir reden über Alltägliches, wann wir unsere nächste Tour planen und solche Dinge. Als wir am Ende eines Gangs eine Terrasse sehen, fragst du mich, ob wir ein bisschen frische Luft schnappen sollen. Ich lächle und stimme zu, woraufhin wir uns geschickt durch einen Haufen Journalisten schlängeln, von denen uns die meisten mit Fotoblitzen überschütten. Egal, jetzt sind wir draußen. Während ich mir eine Zigarette anzünde, atmest du grinsend ein paar Züge ein und aus und streckst dabei deine Arme in alle Richtungen. „Du solltest mit dem Rauchen aufhören, Hai-chan!“, wirfst du mir vor und kommst näher zu mir. „Das verkürzt die Lebensdauer, weißt du das?“ ‚Oh, super, dann kann ich ja meinen Tod heute vielleicht auf die Zigaretten schieben!’ „Das sagt gerade der Richtige!“, erwidere ich etwas spöttisch. „Hey, ich habe vor, aufzuhören, okay? Selbst wenn du nicht glaubst, dass ich es schaffe!“ Dieser schmollende Hundeblick…! Wie ich ihn an dir liebe! Gibt es überhaupt irgendetwas, das ich nicht an dir liebe? Ich glaube nicht. Ja, es ist alles… Ich liebe dich, Kamui Gakuto… Ich fühle es, wenn ich dir in deine wundeschönen, blauen Augen sehe. Aber ich werde es niemals aussprechen können, das weiß ich. Viel zu viel würde ich damit kaputtmachen…meine Ehe und – am wichtigsten – unsere Freundschaft… Denn du empfindest nichts weiter als Freundschaft für mich. Woher ich das weiß? Ganz einfach… Ich merke es an deinem Verhalten, an der Art, wie du mich ansiehst. Rein freundschaftlich. Nun gut, vielleicht etwas liebevoller, als andere Freunde. Dann bin ich eben dein bester Freund. Aber an der Tatsachen, dass ich einer bin, lässt sich nichts ändern. Ich kann dich nicht zwingen, mich zu lieben… Selbst wenn du es tun würdest, wäre es aussichtslos für uns beide. Ich bin verheiratet und du viel zu beschäftigt für eine ernsthafte Beziehung. Auch wenn du bereit wärst, eine solche mit mir einzugehen, glaube ich nicht, dass ich es übers Herz bringen würde, Megumi derart zu verletzen. Ich liebe sie nicht, aber sie mich. Und ich könnte ihr nicht das Herz brechen, dafür bin ich zu schwach. Aber was denke ich denn da überhaupt? Meine Phantasie geht mit mir durch. Unsere Beziehung geht ja immer noch nicht über gute Freundschaft hinaus. „Hyde?“ Du legst mir eine Hand auf die Schulter und schaust mich eindringlich an. „Was ist los mit dir?“ Aus den Gedanken gerissen sehe ich dich benommen an und murmle: „Nichts…alles in Ordnung.“ „Das glaube ich dir nicht. Ich merk doch, das irgendwas mit dir nicht stimmt!“ Ich versuche mich deinem Griff zu entziehen und weiche deinem Blick aus, doch du hältst mich weiter fest. „Du siehst Gespenster!“, wehre ich ab. „Mag sein…du siehst nämlich gerade aus, wie eins”, lässt du nicht locker. „Haido…du weißt doch, dass du mir alles anvertrauen kannst, oder?“ „Ja, ich weiß.“ ‚Alles…nur eines nicht.’ Du bist so lieb zu mir, Gackt… Und wenn ich die ganzen Fragen und Zweifel in deinen besorgten Augen sehe, macht mich das verrückt. Ich kann es nicht ertragen, dass du glaubst, ich würde dir nicht vertrauen! Zwei ganze Minuten stehen wir uns so eng gegenüber und schauen einander unentwegt an. Hoffe ich vielleicht insgeheim, dass du in meinen Augen all das lesen kannst, was ich empfinde? ‚Ich liebe dich! Bitte, rette mich doch endlich aus diesem dunklen Loch, aus meiner Verzweiflung!’, schreit dir mein Blick, meine ganze Seele entgegen, aber kein Wort kommt über meine Lippen. „Sag mir, was dich so bedrückt, bitte, Hai-chan!“, forderst du mich noch mal auf. Einen Augenblick lang bin ich drauf und dran, es zu tun, dir alles zu gestehen, dir mein Herz auszuschütten und sogar von meinem Plan, mich umzubringen, zu erzählen…doch dann verlässt mich der Mut und ich sinke zitternd in mich zusammen, wie ein faulendes Wrack. Tell me how I should see the light „Ich…“, flüstere ich kaum hörbar und stütze mich auf deine starken Arme, die mich auffangen. Bevor ich mich doch noch irgendwie verplappern kann, erfinde ich schnell etwas. „Mir ist nur heute den ganzen Tag über schon nicht gut… Ich glaube, es war einfach zu viel Stress in den letzten Wochen…“ „Vorsichtig…“ Du führst mich zu einer nahen Wand, damit ich mich dort abstützen kann. „Kein Wunder, bei den vielen Terminen, dass dir alles etwas zu Kopf steigt… Da kann man ja depressiv werden!“ Plötzlich hältst du abrupt inne und siehst mich besorgt an. „Du machst doch hoffentlich keine Dummheiten, oder?“ Ich sehe erschrocken über diese Aussage auf, aber du sagst nichts weiter in der Richtung. Du scheinst meine Erklärung geschluckt zu haben, zum Glück. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder auf der Straße mir sofort ansehen würde, dass ich suizidgefährdet bin…? Zeit, vom Thema abzulenken. „Du bist heute aber auch seltsam!“, stelle ich auf einmal fest. Ja stimmt, du verhältst dich schon die ganze Zeit über anders als sonst. „Du bist so still…“ Normalerweise redest du wie ein Wasserfall ohne Pause, was ich auch an dir liebe. Du hast mich bei unseren Treffen immer zum Lachen gebracht. Naja, heute ist mir nicht gerade nach Lachen zumute, versteht sich. „Ach das…“, meinst du und kratzt dich verlegen am Hinterkopf. „…Ich weiß nich…bin schon seit einiger Zeit etwas verpeilt…“ Seltsam. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du wirkst wie ein verknallter Teenager… Halt, halt, halt. So kurz vor seinem Tod sollte man sich nicht zu viele Gedanken über so was machen. „Hyde, ich…wollte dir eigentlich etwas sagen…“, fängst du an. Du zögerst, ich sehe es dir an. „Hideto!“, hören wir auf einmal eine Stimme aus dem inneren des Gebäudes rufen. Kurz darauf taucht inmitten der Menge Megumis Gesicht auf und sie winkt mir zu. „Kommst du bald? Wir sollten gehen!“ Erstaunt schaue ich auf die Uhr – wie können drei Stunden so schnell vergehen? Es ist tatsächlich Zeit… „Geh schon mal vor, Meg, ich will mich noch kurz von Gackt verabschieden!“ Sie nickt und verschwindet wieder, während ich mich erneut dir zuwende. „Also? Was wolltest du mir sagen…?“ ‚Du solltest es lieber jetzt tun, weil du später keine Möglichkeit mehr dazu haben wirst…’ „Ähm…ich…” Ich runzle verwundert die Stirn. Was kann denn so schwer sein, dass du so mit dir kämpfen musst, um es zu sagen? „Warte.“ Du kramst aus deiner Tasche Zettel und Stift heraus und kritzelst etwas auf das Papier. Danach wird es gefaltet und landet in meinen Händen. Ich will es aufmachen, aber du hältst mich zurück: „Nein, nein! Lies es später, okay? Wenn du zu Hause bist.“ „Gackt…das ist zwar seltsam aber…okay“, nicke ich. „Also…“ Noch einmal kriege ich dieses warme Lächeln von dir geschenkt, dann umarmst du mich und sagst: „Wir sehen uns! Ruf mich an, ja? Bis bald…“ Einen fast unmerklichen Moment lang wird meine Umarmung fester und ich atme ein letztes Mal deinen Duft ein, bevor ich mich von dir löse und ein leises „Sayonara…“ hauche. Würde ich dir jetzt noch einmal in die Augen sehen, könnte ich die aufsteigenden Tränen nicht zurückhalten und dann würde alles nur noch komplizierter werden. Also drehe ich mich wortlos um und laufe weg, als würde ich mich beeilen, Megumi einzuholen. In Wirklichkeit renne ich aber vor dir davon, vor deinen schützenden Armen, vor deiner bloßen Anwesenheit, vor meinen Gefühlen, die mit voller Kraft nach dir schreien und sich verzweifelt in meiner Brust winden, wie ein eingesperrtes Tier. ‚Sayonara, meine unerfüllte Liebe…leb wohl.’ Etwas Warmes läuft über meine Wangen… …How it brings me down Eine Stunde später sind Megumi und ich wieder zu Hause. Es ist jetzt 23 Uhr und sie macht sich fertig zum Schlafen. „Schatz…kommst du bald ins Bett?“, fragt sie aus dem Badezimmer. „Geh heute ohne mich schlafen, Megumi… Ich muss noch arbeiten und es wird spät.“ „Okay, aber übernimm dich nicht mit deiner Arbeit, versprochen?“, lächelt sie, als sie ins Wohnzimmer kommt und mir einen Kuss auf die Wange drückt. „Versprochen.“ Ich verschwinde in mein Arbeitszimmer, während sie schlafen geht. Eigentlich hatte ich vor, einen Abschiedsbrief zu schreiben, aber als ich mich über ein Blatt beuge und nachdenke, fällt mit kein geeigneter Anfang ein. Und so was nennt sich unter anderem Songtextschreiber. Nicht mal ’nen lausigen Abschiedsbrief krieg ich auf die Reihe. Dabei hätte ich allen, die mir in gewisser Weise nahe stehen, viel zu sagen. Ich weiß, was ich euch allen damit antue… meiner Familie, meinen Freunden, meinen Fans…und schließlich auch dir, Gackt. Ihr werdet nicht verstehen, warum ich das getan habe und ihr werdet traurig sein, da bin ich mir sicher. Vielleicht sogar die Schuld bei euch suchen… Aber das will ich nicht! Keiner ist Schuld, außer mir selbst. Außer meiner Schwäche. Es ist für mich das Schwerste an dem Ganzen, euch alle enttäuschen zu müssen. Aber…ich kann nicht mehr so weiter machen. Jeder neue Tag ist die reinste Qual für mich. Es geht nicht, egal, wie ich es drehe und wende. Entweder ich werde für den Rest meines Lebens unglücklich und dazu noch ein elender Betrüger sein oder ich beende es hier und jetzt. Wäre ich stark, wäre ich nicht so ein Egoist, dann würde ich die erste Möglichkeit wählen. Weiterleben. Und allen eine heile Welt vorgaukeln, damit sich keiner Sorgen macht, während ich innerlich zerbreche. Aber das bin ich nicht. Ich bin schwach und egoistisch und denke nur daran, was für mich das Beste ist. Dafür hasse ich mich, aber ich kann es nicht ändern. In meinem Leben gibt es keine Liebe mehr, keine Freude, und deshalb wäre es das Beste für mich, damit abzuschließen. Es tut mir so leid… Megumi, du hast mich immer geliebt und gut behandelt…und ich? Ich konnte dir nicht mal die gleiche Liebe entgegenbringen. Stattdessen habe ich dich verraten… Tetsu, Ken und Yukihiro…meine Freunde…auch ihr werdet bitter enttäuscht sein von meiner Tat. Niemand hat mich so lange und treu auf meinem Lebensweg begleitet, wie ihr. Und schließlich…Gackt. Müsste ich beschreiben, was ich fühle, wenn ich an dich denke, bräuchte ich ein ganzes Buch dazu. Empfinde ich Glück, wenn du bei mir bist, so folgt darauf ein unerträglicher Schmerz, wenn mir bewusst wird, dass wir niemals zusammen sein werden. So schön auch das erste Gefühl ist, es macht das zweite nur noch zerstörerischer. Es ist hoffnungslos. Zu hoffen, du könntest meine Gefühle irgendwann erwidern, ist genauso sinnlos, wie weiterzuleben. I know I have no choice Alles, was ich wünsche, ist, dass ihr alle über mich hinwegkommen werdet. Am Ende schreibe ich eine einzige Zeile auf das Blatt vor mir. „Gomen nasai. Hyde“ Meine Hand zittert schon wieder…meine Güte, passiert mir das oft in letzter Zeit. Vielleicht machen sich die Auswirkungen des vielen Rauchens ja doch bemerkbar. Ich lege den Stift weg und balle sie zur Faust, die Fingernägel schmerzhaft in meine Haut krallend, bis blaue Flecken an den Druckstellen entstehen. ‚Ich darf es nicht länger hinauszögern!’ Hastig krame ich die schwarze, glänzende Pistole aus ihrem Versteck hervor, nehme den „Abschiedsbrief“, soweit man das als einen bezeichnen kann, mit und mache mich auf den Weg zur Wohnungstür. Ich werfe mir eine Jacke über und überprüfe aus Gewohnheit, ob mein Handy da ist – es steckt in der Tasche. Dass es die gleiche Jacke ist, die ich auch vorhin bei der Ausstellung getragen habe, fällt mir gar nicht auf. Ich lege den Zettel auf die Kommode im Flur, gehe ohne mich noch mal umzusehen nach draußen und drehe kurz darauf mit automatischer Bewegung den Schlüssel, um mein Motorrad zu starten. Ich weiß genau, wohin es mich bringen soll. Zwanzig Minuten später erstreckt sich vor mir ein breiter, tiefschwarzer Fluss. Nachts ist der Verkehr etwas entspannter und so habe ich nicht lange gebraucht, um bis zu dieser Brücke hier am Rande der Stadt zu kommen. Mit dem Rücken zur Straße und dem Fluss zugewandt, stehe ich darauf. Was jetzt…? Mein Blick fällt auf die Spiegelung des Mondes an der Wasseroberfläche. Vollmond… Es ist nicht weiter verwunderlich, dass mich das an dich erinnert. So seltsam es klingen mag, der Mond verbindet uns auch über die Dreharbeiten an Moon Child hinaus, das weiß ich. Er mag das Symbol des Filmes gewesen sein, aber mit der Zeit ist er auch für uns persönlich zum Symbol unserer Freundschaft geworden. Und für mich dann später zum Symbol meiner unstillbaren Sehnsucht nach dir. Nun denn, wenn das mein letzter Anblick sein soll… Wenn es schon nicht dein wunderschönes, strahlendes Lächeln sein kann, dann wenigstens etwas, das mich an dich denken lässt. I draw the gun Langsam hole ich die Waffe hervor – sie hat schon so lange auf diesen Moment gewartet – und setze sie ohne Zögern an meine Schläfe, die Augen immer noch aus die Replikation im Fluss gerichtet. And I take aim Doch meine Finger wollen sich irgendwie nicht bewegen. Ich spüre den hochsteigenden Strom von Gefühlen und Zweifeln in meinem Innern, aber ich unterdrücke ihn und zwinge mich zur Ruhe. Is it wise... Das ist es doch, was ich will, oder? Es endlich ein für allemal beenden. Jetzt. Hier. The world stands still Stück für Stück ziehen sich die Muskeln meines Zeigefingers zusammen und vergrößern den Druck auf den Auslöser. Nur noch wenige Sekunden trennen mich von der Erlösung… …Taking a life? Plötzlich durchbricht ein kalter, schneidender Windstoß die Stille und lässt mich taumeln. Fröstelnd stecke ich meine linke Hand in die Jackentasche und…da ist etwas. Ein Stück Papier, wie es scheint. Innehaltend, die Waffe jedoch weiter an meinen Kopf gepresst, hole ich es heraus und erkenne, was für ein Zettel das ist. Der, den du mir heute Abend auf der Ausstellung gegeben hast. Ich hatte ihn ganz vergessen… ‚Tja…was soll’s?’, denke ich und beginne, ihn mit einer Hand aufzufalten. Vielleicht hilft es mir ja, wenn ich vor dem Ende noch ein paar Zeilen von dir lese. Die andere Hand, mit der Pistole darin, fängt abermals zu zittern an. Als ich es endlich geschafft habe, das Blatt zu entfalten, schließe ich kurz die Augen und atme tief durch, bevor ich es anschaue. Doch so viel zu lesen gibt es da nicht. Es steht nur ein einziger Satz darauf und es ist eindeutig deine Schrift. Perplex starre ich auf den Zettel und begreife im ersten Moment gar nicht, was da geschrieben ist. Doch ganz langsam breitet sich die Erkenntnis in meinem Hirn aus. Like a dream Immer wieder lese ich fassungslos die Worte und mein Herz krampft sich zusammen. „Ich wollte dir sagen… Ai shiteiru, Haido. ~dein Gackt~ “ Unaufhaltsam beginnen Tränen meine Wangen hinabzulaufen. ‚Ai shiteiru…ai shiteiru…’ Es hallt dauernd im meinem Kopf wieder. Deshalb hast du dich so seltsam mir gegenüber verhalten…? Deshalb? Oh Gackt… Mein ganzer Körper hat inzwischen angefangen, zu beben und von heftigen Schluchzern durchgeschüttelt zu werden. So stehe ich da auf der Brücke, mit einer Waffe an meiner Schläfe, deinem Zettel in der Hand, zitternd und weinend vor…Erleichterung. Das, was ich mir immer gewünscht habe, scheint sich jetzt zu erfüllen… Du hast gesagt, du liebst mich. Du…liebst mich. Eine Welle von Glück überflutet mich und mir wird trotz des kühlen Windes warm. Deine Worte sind wie Medizin, die durch mich hindurchfließt und meine geschundene Seele heilt. Fühlt es sich so an, das wahre Glück? Ja, das muss es sein… Meine Knie geben unter mir nach und ich falle auf die Straße. Die Pistole gleitet mir aus der Hand und knallt ebenfalls mit einem metallischen Geräusch auf den Boden. Aber sie kümmert mich nicht mehr. Hemmungslos schluchzend knie ich auf dem kalten Asphalt und das – ich glaube es kaum – vor Freude. Es kommt mir vor, als würden mit den Tränen alle Schmerzen, alle Sorgen und meine ganze Verzweiflung aus mir herausströmen. Was mir vorher unmöglich erschien, steht auf einmal in einem völlig anderen Licht da. Es gibt Hoffnung! Ich habe keine Ahnung, woher ich so plötzlich diese Gewissheit nehme, aber sie ist da, in meinem Kopf und in meinem Herz. Es gibt Hoffnung für dich und mich…wenn unsere Liebe nur stark genug ist. Es gibt…eine Chance für mich, glücklich zu werden. Benommen von der Gefühlsflut ziehe ich mein Handy aus der Tasche und gehe auf ‚Neue Nachricht verfassen’. Während die Tränen langsam nachlassen und nur noch ihre Spuren auf meinen geröteten Wangen glitzern, stehe ich mit wackeligen Beinen auf und gehe ein paar Schritte rückwärts, vom Brückenrand weg. Mit zittrigen Fingern gebe ich deine Nummer ein und schreibe nur zwei Worte… Meine Gedanken und Gefühle sind einzig und allein bei dir und abwesend wie ich bin, merke ich nicht, wie ich auf die Straße zugehe und nehme nichts um mich herum wahr, außer dem Klicken der Tasten auf meinem Handy. „Aishiteiru…“ Von irgendwoher dringt ein gedämpftes Hupen an meine Ohren. Ich will gerade die ‚Senden’-Taste drücken, als ich aufsehe und von grellem Scheinwerferlicht geblendet werde…- Hear me pray Das Handy mit der ungesendeten Nachricht zerspringt am Asphaltboden. Auf das plötzliche Geräusch quietschender Autoreifen folgt ein dumpfer Aufprall. Dann ist alles dunkel. Dunkel…für immer. I stray… ---------- EPILOG Nass bis auf die Knochen und zitternd stand er an seinem Grab. Doch es waren nicht der strömende Regen oder die Kälte, die ihn so zittern ließen. Hatte er, Gackt, den Tod des Menschen, der ihm am meisten auf der Welt bedeutet hatte, auf dem Gewissen? Diese Frage wollte und wollte ihn nicht in Ruhe lassen… Sie war immer da in seinem Kopf, allgegenwärtig, bei Tag und in schlaflosen Nächten. ‚Hyde…mein Hai-chan…warum hast du das getan? Warum hast du dir das Leben genommen?’ Mechanisch wischte er mit dem Ärmel über seine Augen – vollkommen sinnlos…der Regen verwischte seine Tränen und ließ sein Gesicht abgestumpft und wie aus Stein wirken. Ihm gegenüber standen die Anderen. Megumi. Völlig aufgelöst und furchtbar dreinblickend. Auch sie fand seit dieser Nacht, in der Hideto Takarai für immer von ihnen gegangen war, keinen Schlaf mehr. Tetsu, Ken und Yukihiro. Erschüttert, traurig, verständnislos. Sie alle waren gleich unvorbereitet auf Hydes Tod gewesen. Keiner hatte etwas bemerkt. Keiner, außer Gackt… An jenem Abend war er sich sicher gewesen, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Dieses seltsame Verhalten und die Zerbrechlichkeit, mit der Haido ihm entgegengetreten war… Und dann…dieser Abschied… „Sayonara…“ Warum war es ihm nicht aufgefallen? So hätte sich Hyde normalerweise nie verabschiedet! Gott, er musste blind gewesen sein, um das nicht zu ahnen…! Gackt ballte die Hände zu Fäusten. ‚Warum verdammt noch mal?! Ist es mein Fehler gewesen? Hätte ich ihm nicht meine Gefühle gestehen sollen? Vielleicht hat er ja deshalb…’ Ein neuer Schwall von Tränen floss über die Wangen des Sängers. Doch tief in seinem Innern konnte er nicht glauben, dass Hyde sich nur deshalb umgebracht hatte. Er konnte überhaupt nicht glauben, dass er sich freiwillig das Leben genommen hatte. Aber alles deutete darauf hin. Die Waffe am Todesort. Der Abschiedsbrief. Die Aussage des Autofahrers. Hideto Takarai hat Selbstmord begangen. So steht es im Polizeibericht. So heißt es in den Nachrichten. So endet seine Geschichte. Bald werden sich alle mit dieser ‚Tatsache’ abfinden. Seine Frau, seine Freunde und schließlich wird auch Gackt diesem Glauben verfallen. Niemand wird jemals die Wahrheit erfahren. Niemand wird wissen, wie es wirklich gewesen ist. Was in Hyde vorging, kurz bevor er starb. Die letzten Worte, die er Sekunden vor seinem Tod schrieb. Und seine letzten Gedanken... „Gackt…du hast mir das Licht gezeigt. Danke…“ THE END Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)