Das Blut an meinem Schwert von Hiko-Seijuro ================================================================================ Kapitel 9: ----------- 9 Auch Hideto und Hotaru hatten die Nacht unter freiem Himmel verbracht. Am nächsten Morgen waren sie früh aufgebrochen, um bald die nächste Stadt zu erreichen. „Ich habe huuuuuunger…“, jammerte Hotaru. Genervt stapfte Hideto voran, „Glaubst du, ich habe keinen Hunger? Hör bloß auf, mir auf den Geist zu gehen…“, „Du bist so gemein!“, rief Hotaru, „Ich wünschte, ich wäre mit Yoshimaru gegangen…“ „Dann geh doch. Von mir aus brauchst du nicht zu bleiben.“, schnauzte Hideto. Hotaru zog ein beleidigtes Gesicht, antwortete aber nicht. Den ganzen Tag liefen sie schweigend hintereinander her, vorbei an wandernden Händlern und Pilgern. Doch plötzlich hörten sie lautes Pferdegetrappel hinter sich. Hideto drehte sich um, hob seinen Kopf und schirmte seine Augen mit einer Hand gegen die Sonne ab. Hotaru schaute vorsichtig an ihm vorbei. Aus der Ferne kam eine ganze berittene Eskorte auf sie zu. Zuerst ritten etwa zwanzig Samurai in glänzenden Rüstungen an ihnen vorüber. Sie trugen große, beeindruckende Helme und Masken, die wie Dämonen aussahen. An ihren Schärpen hingen reich verzierte Schwerter. Dann kamen einige Träger, die eine elegante Sänfte trugen, auf deren Seite die goldene Libelle prangerte. Ihr folgten eine Hundertschaft von Dienern, die das Gepäck trugen, dann noch einige Fußsoldaten mit Naginata und Bögen, ebenfalls in prachtvollen Rüstungen. „Oh, wow. Wie beeindruckend.“, staunte Hotaru. „Die Hatamoto des Fürsten.“, erklärte Hideto, „Mein Bruder ist bestimmt unter ihnen.“ „Dein Bruder?“, fragte Hotaru verwundert. „Ja. Er gehört zur Leibwache des Fürsten.“, fuhr er fort, „Er ist der Stolz unserer Familie.“ So sehr er es auch versuchte, Hideto konnte den traurigen Unterton nicht gänzlich aus seiner Stimme verbannen. Hotaru bemerkt dies, und sah Hideto mitleidig an. „Hör auf mich so anzusehen.“, motzte Hideto, „Ich kann kein Mitleid gebrauchen.“ „Bist du deswegen so… verschlossen?“, wollte Hotaru wissen. „Das geht dich gar nichts an. Und auch sonst niemanden. Das ist allein meine Sache.“, erwiderte Hideto garstig. Hotaru senkte traurig den Kopf. Die Prozession war nun vollständig an ihnen vorbeigezogen und hatte nur eine riesige braune Staubwolke hinterlassen. Erschöpft von der Wanderung ließ sich Hideto unter einen Baum am Wegesrand falle. Hotaru hockte sich neben ihn. „Diese Mörder haben in der Kaserne einen sehr guten Freund von mir getötet.“, erklärte Hideto mit belegter Stimme. Ihm war es eigentlich zuwider, darüber zu reden, doch auf irgendeine Weise fühlte er sich bei Hotaru so geborgen, dass er mit ihr über alles reden konnte, „Ich werde dir erzählen, was in der Nacht passiert ist…“ Verwundert, aber zugleich irgendwie gerührt, sah Hotaru ihn mit ihren großen Augen an. Yoshimaru machte sich bereit, nach vorne zu springen, sich dabei zu drehen und seinen Angreifer niederzustrecken. Seine Muskeln spannten sich, doch seine verbundenen Verletzungen schmerzten. „Denk nicht einmal daran.“, zischte die Stimme bedrohlich, „Du wärest tot, bevor du auch nur eine viertel Drehung machen könntest.“ Yoshimaru spürte die tödliche Energie, die der Fremde ausstrahlte, wie eine Aura, die ihm die Haut zu verbrennen schien. „Na los. Lass es fallen.“ Betrübt gehorchte Yoshimaru, denn er sah ein, dass er keine Chance hatte. Klingend landete sein Katana auf dem steinernen Boden. „Diese Diebe gehören mir. Wenn du mir in die Quere kommst, töte ich dich.“, flüsterte der Angreifer, doch seine Worte waren so klar und deutlich als hätte er sie Yoshimaru direkt ins Ohr gesagt. Yoshimaru hörte ein leises Rascheln hinter sich, als der Druck der Schwertspitze nachließ. Sofort drehte er sich um, doch der Fremde war verschwunden. Verwirrt sah sich Yoshimaru um, doch weit und breit war keine Menschenseele. Wachsam bleibend hob er sein Schwert auf. Doch die bedrohliche Aura war vollkommen verschwunden. Mit einem stählernen Klingen steckte er sein Katana zurück in die Scheide. Dieser Fremde war eindeutig ein Meister der Kampfkunst. Doch was meinte er damit, dass ihm diese Bande gehöre? War er ein Kopfgeldjäger? Egal wer dieser Kerl war, er durfte sich nicht einschüchtern lassen. Zur Not würde er sich auch diesem Gegner stellen, um sein Versprechen zu halten, die Kette zurück zu holen. Leise und vorsichtig näherte sich Yoshimaru der Schlucht, als er plötzlich ein kleines Feuer zwischen einigen größeren Steinen erblickte. Geschwind zog er sein Katana und schlich im Halbkreis um die Feuerstelle herum, während er versuchte, durch eine Lücke zwischen den Felsen zu erkennen, wie viele Leute hier lagerten. Doch es war niemand zu sehen oder zu hören. Yoshimaru huschte durch die Schatten und spähte zum Feuer hinüber, dass wild prasselte. Neben der Feuerstelle lagen zwei große Gestalten auf dem Boden, die sich nicht regten. Schliefen sie etwa? Wenn ja, wo was ihre Nachtwache? Mit gezogenem Schwert schlich Yoshimaru in das Lager hinein, bereit, mögliche Angreifer zu töten. Doch nichts regte sich. Als er näher an die beiden Gestalten herankam, erkannte er auch wieso: Dem einen, einem Mann mittleren Alters mit derbem Gesicht und kurzen Haaren, hatte jemand von einem Ohr zum anderen die Kehle durchgeschnitten. Dem anderen, einem hageren Kerl mit Glatze, ragte etwas aus dem Hals. Yoshimaru hockte sich neben die Leiche, um den Gegenstand zu identifizieren. Es war ein Shuriken. Ein Wurfstern, wie er oft von Ninja benutzt wurde. Woher auch immer Akio-Sensei dieses wissen hatte, glücklicherweise hatte er es an seinen einzigen Schüler weitergegeben. Auf einmal fiel Yoshimaru auf, dass er gar keinen Todesschrei gehört hatte, außerdem hatte keiner der Beiden auch nur einen Versuch unternommen, sein Schwert zu ziehen. Sie müssen äußerst schnell und präzise getötet worden sein. Yoshimaru erhob sich, sah sich kurz um und ging dann weiter in Richtung Schlucht. Was er dort wohl vorfinden würde? Diese so genannte Schlucht war nicht viel mehr als ein Felsspalt, in dem man mit Mühen zu dritt nebeneinander herlaufen konnte. Wie sollte sich hier eine ganze Bande von Räubern verstecken. Ein plötzliches Poltern hoch über seinem Kopf verriet Yoshimaru die Antwort: Die Banditen waren oben auf den Klippen. Mit aller Kraft die er mit seinem verbundenen Bein aufbringen konnte, sprang Yoshimaru nach vorn und rollte sich ab. Direkt hinter ihm gingen einige Steine von der Größe eines menschlichen Kopfes zu Boden, die ihn glatt zerquetscht hätten. Yoshimaru reckte seinen Kopf gen Himmel, konnte aber nur den dunkler werdenden Himmel zwischen den Felsvorsprüngen erkennen, als plötzlich wieder etwas von oben auf ihn zukam. Mit einem Satz rette er wieder knapp sein Leben. So konnte das nicht weitergehen. Seine Feinde hatten ihn jedes Vorteils beraubt: Sie wussten wo er war, sie waren auf einer Klippe, wo er sie nicht angreifen konnte, sie besaßen Wurfgeschosse, die ihn bei einem Treffer töten konnten. Yoshimaru dachte nach, wie er aus dieser Lage entkommen konnte, alles was ihm einfiel, was zum Anfang der Schlucht zu rennen oder zum Ende. Doch was war näher? Als er nachdachte, hallte ein qualvoller Todesschrei durch die engen Wände der Klippe. Yoshimaru sprang auf und rannte in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Hinter ihm fielen weitere Steine zu Boden, seine Stichwunde am Bein schmerzte bei jedem Schritt. Doch schon bald sah er ein Licht vor sich, den Schein eines Feuers. Noch ein kleines Lager der Diebe. Er bog um eine scharfe Ecke und fand sich in einem Kreisrunden Raum wieder. In der Mitte loderte ein kleines Feuer, auf dem Boden lagen die Leichen mehrerer Männer. Auf der anderen Seite des Lagers erblickt Yoshimaru einen Mann, der einen langen, schwarzen Mantel trug, ein dicker Zopf hing über seinen Rücken. Als Yoshimaru nach seinem Schwert griff, schnellte der Mann herum. Wieder spürte Yoshimaru die tödlich pulsierende Aura des Mannes. Sein Mantel hatte einen hohen Kragen, sodass Yoshimaru den Mund des Fremden nicht sehen konnte, die langen Haare verdeckten ein Auge und hingen links und rechts des Gesichtes bis auf das Schlüsselbein hinunter. Der pechschwarze Mantel hüllte seine gesamte Gestalt ein und ließ ihn wie einen Geist erscheinen. „Du schon wieder?“, drang die zischende Stimme des Mannes zu Yoshimaru hinüber. Dies also war der Mann, der ihn bedroht hatte. „Wieso tötest du diese Diebe?“, fragte Yoshimaru frei heraus, „Wer bist du?“ Der Fremde sah ihn aus seinem sichtbaren Auge heraus scharf an, als plötzlich wieder Geröll von oben herabfiel. Der Mann mit dem Mantel wich elegant aus und sah dann nach oben. „Du hast sie auf uns aufmerksam gemacht!“, zischte er. „Das hast du auch ganz alleine geschafft!“, rief Yoshimaru, der unter einem kleinen Vorsprung Schutz gefunden hatte. Plötzlich rannte der Fremde auf Yoshimaru zu, der sein Schwert zur Abwehr erhob, bereit für einen Kampf. Der Mann mit dem Mantel streckte seine linke Hand nach Yoshimaru aus und eine silberne Kette schoss aus seinem Ärmel. Diese wickelte sich um Yoshimarus Katana und riss es ihm gleich darauf aus der Hand. Rasch zog er sein Kurzschwert und hieb damit nach seinem Angreifer, der seine rechte Hand nach vorn schnellen ließ und das Schwert mühelos abfing. Yoshimaru erkannte, dass der Mann einen Katar trug, eine Faustwaffe, bestehend aus drei metallenen Klauen, die er nun wie eine Jitte benutzte. Er fing das Wakizashi ab, verkantete es zwischen den Krallen und entwand es Yoshimarus Händen mit einer geschickten Handbewegung. Das Kurzschwert landete neben dem Katana auf dem steinigen Grund. „Aus dem Weg!“, zischte der Mann wütend. Yoshimaru blieb nicht anderes übrig, als seine Arme zum Schutz seines Kopfes und Rumpfes zu heben, doch der Fremde griff nicht an. Stattdessen erhob er seinen Arm und schleuderte etwas nach oben, an dem ein langes Seil hing. Ein leises Klingen bedeutete, dass das Wurfgeschoss irgendwo gelandet war. Der Mann knöpfte mit einer schnellen Bewegung seinen Mantel auf, der daraufhin zu Boden fiel und ergriff das Seil. Yoshimaru erkannte, dass ein schwarzes Tuch die untere Gesichtshälfte des Mannes bedeckte. Geschwind und geschickt wie ein Affe erklomm er die zehn Meter bis oben zur Klippe in Sekunden. Yoshimaru kam nicht umhin, diesen Mann zu bewundern. Plötzlich hörte der Geröllfall auf und es herrschte Stille. Bis einige Todesschreie die Ruhe der hereinbrechenden Nacht durchschnitten. Kurz darauf fiel ein Mann direkt vor Yoshimarus Füße und blieb reglos liegen. Auch seine Kehle war durchschnitten. Yoshimaru machte einen Schritt in die Schlucht hinein und sah nach oben, dort stand der Mann, vor dem dunkelblau des Himmels kaum zu sehen. Nur Sekunden später war er das Seil eben so geschickt wie er es bestiegen hatte, wieder hinunter geklettert und hob seinen Mantel vom Boden auf. Sein brustlanges Haar verdeckte sein Gesicht vollständig. Er trug einen elegant verzierten Lederwams und lederne Schultern und Handschuhe, die bis auf die Handrücken reichten. Seine weite schwarze Hose endete in ebenso schwarzen Metallstiefeln. „Wer seid Ihr und was wollt Ihr hier?“, fragte Yoshimaru, der die Gelegenheit nutzte und seine Waffe aufhob. „Nur den Kopf dieses Mannes.“, zischte der Fremde, der ein gerades Kurzschwert zog und sich neben die Leiche hockte. Mit einem schnellen Schritt durchtrennte er den Rest des Halses und hielt den Kopf in der Hand. „Eigentlich sollte ich euch töten.“, flüsterte er bedrohlich. „Versuch es doch.“, sagte Yoshimaru herausfordernd. Der Fremde lachte leise, „Mut hast du ja, das muss man dir lassen.“, er erhob sich in einer fließenden Bewegung und ließ sein Schwert zurück in die Scheide schnellen, die er horizontal auf Bauchnabelhöhe auf dem Rücken trug. Dann hüllte er sich wieder in seinen Mantel. „Wieso jagt ein junger Samurai wie Ihr Diebe? Wegen des Kopfgeldes? Das muss ich leider für mich beanspruchen.“, erklärte der Fremde, „Vielleicht sollte ich euch wirklich töten. Nicht das ihr mir noch einmal in die Quere kommt.“ „Das Kopfgeld wäre nur ein nützlicher Nebenverdienst gewesen, ich suche nach einer Halskette, die diese Männer geklaut haben sollen.“, antwortete Yoshimaru ungerührt. „Ihr seht mir nicht wie ein Mann aus, der Frauenschmuck trägt.“, erwiderte der Fremde. „In der Tat nicht.“, entgegnete Yoshimaru kühl, „Ich habe einem sterbenden Bauern versprochen, die Kette zu seiner Tochter zurückzubringen. Sie soll bald heiraten.“ „Wie edel.“, höhnte der Fremde, „Aber so sei es. Ich lasse dich leben. Aber den Kopf beanspruche ich für mich. Schließlich habe ich euch die Arbeit erleichtert.“ „Einverstanden.“, sagte Yoshimaru und steckte seine Schwerter zurück in die Scheiden. Die gefährliche Aura des Mannes war gänzlich verschwunden. „Seid Ihr ein Kopfgeldjäger?“, fragte Yoshimaru, als er die Leichen nach der Kette durchsuchte. „So etwas in der Art.“, antwortete der Fremde, ohne zu Yoshimaru hinüber zu sehen. Auch er durchsuchte eine der Leichen. „Ihr töten für euren Unterhalt?“, fragte Yoshimaru weiter. „Ja, so ungefähr. Hier ist die Kette.“, der Mann stand auf und warf Yoshimaru etwas silbrig Glänzendes zu. Dieser fing die Kette und besah sie sich. Ein filigran gearbeitetes Stück, was bestimmt unglaublich teuer gewesen ist, vor allem für einen Bauern. „Wie ist Euer Name?“, wollte der Fremde wissen. „Ich bin Yoshimaru, und wie lautet er Eure?“ „Ich habe keinen Namen.“, antwortete der Mann, „Aber man nennt mich Goh, die Krähe.“ Daraufhin sprang er erneut an das Seil und verschmolz mit dem dunkelblauen Himmel über dem Lager. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)