Sweeney Todd One-Shots von SweeneyLestrange ================================================================================ Kapitel 2: Erinnerung --------------------- Dicke schwere Gewitterwolken bedeckten den Himmel Londons. Obwohl es erst vier Uhr geschlagen hatte, war es dunkel, als wäre schon die Nacht eingebrochen. Zum Leidwesen Mrs Lovetts, die in ihrem Pastetengeschäft gerade dabei war, den Teig für ihre begehrten Fleischpasteten zu backen. Hätten ihre Kunden gewusst, was genau sich in diesen befand, würde das Geschäft wohl noch schlechter laufen als zuvor – bevor Mr Todd sein Barbier Salon direkt über dem Pastetengeschäft eröffnet hatte. Seufzend sah Mrs Lovett auf und starrte aus einem der Fenster ihres Geschäfts auf die dunkle Fleet Street. Es hatte zu regnen begonnen, weshalb sich kaum eine Menschenseele hinaus ins eintretende Unwetter wagte. Der Regen wurde immer stärker, bis Mrs Lovett das trommelnde Plätschern der Regentropfen auf das Kopfsteinpflaster prasseln hörte. Bei dem Wetter würde sich an diesem Tag wohl kaum einer mehr in ihren Laden oder den von Sweeney Todd verirren. So konnte sie das Geschäft für heute gleich schließen. Das dachte die Pastetenbäckerin zumindest. Um so erstaunter war sie, als sie durch das Fenster eine Gestalt, eingehüllt in einen Regenmantel und den Hut tief ins Gesicht gezogen, an ihrem Laden vorbeigehen und zielstrebig auf die Holztreppe zum Barbier Salon zu laufen sah. Während Sweeneys neues Opfer aus ihrem Blickfeld verschwand, schweiften ihre Gedanken wieder ab, zur darauf folgenden Arbeit, die wieder einmal an der Bäckerin hängen bleiben würde Nicht lange und Mrs Lovett würde wie schon so oft hinauf in den Barbiersalon gehen, wo sie dann damit beschäftigt sein würde, all das Blut vom Holzboden zu schrubben, da es ja doch viel zu selten vorkam, dass Mr Todd darauf achtete, so wenig Spuren wie möglich von seinen Gräueltaten zu hinterlassen. Für ihn zählte nur, den Kunden die Kehle durchzuschneiden und so seine Rachegelüste zu besänftigen. Um den Rest musste sich Mrs Lovett wohl oder übel kümmern. Nicht, dass es ihr all zu viel ausmachte. Schließlich hatte sie so einen Grund sich in Mr Todds Nähe aufzuhalten, wenn sie mit dem Beiseitigen des Blutbades beschäftigt war. Jedoch ein ums andere Mal die beschwerlichen Stufen in den Keller hinab zu steigen und sich dort um die Leiche zu kümmern, das war etwas anderes. Ob sie das alles auch tun würde, wenn nicht das Geschäft dadurch so gut laufen und sich nicht die Gelegenheit dazu bieten würde, die Leichen um ihre Geldbörse, welche sie ja nicht mehr brauchten, zu erleichtern, war fraglich, zumal der eigentliche Grund für ihr Tun Mr T. selbst war… Ihm zu Liebe plagte sie sich ein ums andere Mal mit dem Putzen der Holzdielen, dem beschwerlichen Auf – und Absteigen der Kellertreppe und weit unangenehmeren Dingen ab. Doch allein der Gedanke an Sweeney Todd ließ sie all das ohne einmal missmutig aufzumurren tun. Jedes Mal dabei fragte sich Mrs Lovett jedoch, ob vielleicht auch Mr T. mehr in ihr sah, als irgendjemanden, der ihm von Nutzen war. Und jedes Mal spürte sie ein kleinen Stich in ihrem Herzen, da sie tief in ihrem Innern die düstere Gewissheit hatte, dass all dies nur Wunschdenken und sie wirklich bloß ein nützliches Werkzeug auf seinem Weg der Rache war, das man jederzeit ersetzen konnte. Ob dem nun so war oder nicht, würde sie wohl nie erfahren. Dafür hielt Sweeney viel zu sehr an der Vergangenheit – an Lucy – fest. Bei dem Gedanken an Lucy fragte sich Mrs Lovett, ob sie ihm die vollständige Wahrheit hätte erzählen sollen. Nur dann, und das war gewiss, wäre sie für ihn vielleicht sogar für immer vergessen. Allein bei der flüchtigen Vorstellung wurde sie von Furcht und Entsetzen gepackt, denn diese Tatsache war gar nicht mal so abwegig, wie sie wünschte, dass sie es wäre. Andererseits redete Mrs Lovett sich für ihre Aussage, Lucy habe sich vergiftet, ein, dass dies auch besser für Mr T. sei. Was wäre es nur für ein Schock für ihn, wenn er sähe, wie sich seine geliebte Lucy ebenso wie er selbst in den letzten Jahren verändert hatte? Wahrscheinlich würde sein Verlangen nach Rache endgültig die Oberhand gewinnen, sodass sich der Barbier durch ein unbedachtes Tun eigenhändig ins Verderben stürzen würde, ohne die wohlverdiente Rache bekommen zu haben. Also war alles gut so, wie es war. Dennoch stieg die Angst in Mrs Lovett vor Mr Todds Reaktion auf, falls er je die Wahrheit erfahren sollte. Was würde er dann mit ihr machen? Wie würde er sich ihr gegenüber verhalten? Und ihre Ängste waren berechtigt, hatte sie doch die heruntergekommene Lucy erst letztens in den Gassen Londons herumstreunen sehen. Ach du machst dir zu viele Gedanken, sagte sich Mrs Lovett seufzend. Wenn sie gut aufpassen würde, würde sie schon dafür sorgen, dass Mr Todd diesem dummen Ding nicht über den Weg lief. Ein Geräusch, was sie nur allzu gut kannte, riss sie aus ihren Gedanken. In der Stille konnte sie den dumpfen Laut vom Aufklappen der Falltür hören. Nun gab es wieder Nachschub mit dem Fleisch für ihre Pasteten und einen Londoner auf den Straßen der Stadt weniger. Mrs Lovett ließ sich noch ein wenig Zeit, bis sie schließlich die Treppe innerhalb ihrer Wohnung zu der des Barbiers hochging, um nach dem Rechten zu sehen und ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen. Die Leiche im Keller konnte warten. Vorsichtig öffnete Mrs Lovett die Tür und betrat das Zimmer. Da stand er! Im flackernden Kerzenschein, der es kaum vermochte das düstere Licht zu vertreiben, sah sie die aufrechte Gestalt Mr Todds. In der rechten Hand hielt er seinen blutbeschmierten Freund, als würde er ihm Halt geben. In seiner anderen Hand befand sich das Bild, was Lucy mit der kleinen Johanna zeigte und auf dem der Blick seiner kohleschwarzen Augen geheftet war. Etwas wie Sehnsucht sprach aus diesem Blick, in dem sonst immer nur blanker Hass und pure Mordlust loderten. Schmerzlich wurde Mrs Lovett bewusst, dass er wie so oft versuchte, die Vergangenheit herbei zu zwingen, gänzlich in ihr verloren war, ohne der Realität überhaupt Beachtung zu schenken. Warum nur konnte er ihr nicht wenigstens ein bisschen mehr Aufmerksamkeit schenken? Warum galt diese immer nur einzig und allein seiner dummen Frau Lucy, die bloß noch eine verrückte Bettlerin war und vielleicht gar keinen Gedanken mehr an ihre Vergangenheit verlor. Am liebsten hätte Mrs Lovett laut aufgeseufzt. Doch wagte sie es nicht die Stille mit einem unbedachten Laut zu durchbrechen, da es klüger war, Mr Todd in seinen düsteren depressiven Momenten nicht zu stören. Ansonsten konnte es passieren, dass sie um ihr Leben zu fürchten hatte. Es war sowieso besser, würde sie so leise, wie sie gekommen war, wieder gehen und später wiederkommen. Denn Arbeit gab es durchaus für sie, was ihr die dunklen Blutlachen zeigten. Und dennoch, wider aller Vernunft konnte sie sich nicht von dem atemberaubenden Anblick Sweeney Todds losreißen. So in seine Erscheinung versunken, wünschte sich Mrs Lovett nichts sehnlicher, als den Schmerz von ihm lindern zu können. Sie wollte ihm so gerne helfen, beiseite stehen und von ihm wahrgenommen werden, als die ihn liebende Person, die sie wirklich war und nicht jemand, der ihm von Nutzen sein konnte. Während ihr all diese Gedanken durch den Kopf gingen, merkte sie nicht mehr, wie sie unwillkürlich einen Schritt auf den Barbier zu machte. Es wäre auch nicht weiter schlimm gewesen, hätte er sie nicht wahrgenommen, doch eins der Dielenbretter knarrte. Ein Geräusch, welches in der Stille ohrenbetäubend widerhallte. Ruckartig drehte sich Mr Todd um und starrte mitten in Mrs Lovetts Gesicht. Es verschlug ihr den Atem, als sein Blick den ihren traf. Für einen kurzen Augenblick waren die Kälte und der Hass aus seinem Antlitz verschwunden. Stattdessen sah sie Gefühle, von denen sie nie geglaubt hatte, sie je bei ihm sehen zu können. Es war nur ein flüchtiger Augenblick, doch schien es Mrs Lovett, als stünde die Zeit still. Sie wünschte sich im Stillen, der Moment möge ewig währen. So schnell, wie er jedoch gekommen war, war er auch wieder vorbei. Sweeneys Gesicht verdüsterte sich augenblicklich, als er sah, wer das Zimmer betreten hatte. Eine bedrohliche Stille trat ein. Mrs Lovett erkannte an seinem schlagartigen Stimmungsumschwung, dass es mehr als gefährlich war, zu bleiben. Es würde tödlich ausgehen. So sehr die Vernunft aber in ihr auch schrie, sie solle kehrt machen, sich retten, konnte die Bäckerin sich nicht mehr lösen. Wie hypnotisiert starrte sie in die dunklen Augen Mr Todds, in denen sich nicht ein Hauch der Gefühle widerspiegelte, die sie für ihn empfand. Und trotzdem stand sie wie erstarrt da, zu keiner Bewegung fähig. Tausend Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum. Immer wieder kam die Frage in ihr auf, was er in diesem Augenblick für sie empfand. Und immer wieder verdrängte sie sie mit größter Willensanstrengung. Sie hatte Angst vor der Antwort, die vielleicht eine bittere Wahrheit mit sich bringen würde. Langsam schritt Mr Todd auf die Frau zu. „Was haben Sie hier zu suchen?“ Statt zu antworten, fiel Mrs Lovetts Blick auf das Bild, welches der Barbier immer noch fest in der linken Hand hielt. Ihr kam plötzlicher Gedanke und ehe sie recht drüber nachdenken konnte, entfuhr ihr: „Sie können sich nicht mehr an sie erinnern?“ Sweeney hielt jäh inne, als er dies hörte und Mrs Lovett glaubte, einen Anflug von Schmerz in seinem Blick zu erkennen, wodurch sich ihre laut geäußerte Vermutung bestätigte. Hoffnung stieg in ihr auf, Hoffnung vielleicht doch noch vorm Tode verschont zu werden und so die Möglichkeit zu haben, in Mr Todds Inneres vordringen zu können. Doch das sollte ihr auf weiteres verwehrt bleiben. Als sie sich wieder auf den Barbier konzentrierte in banger Erwartung, was nun passieren würde, sah sie, dass er sich nicht mehr rührte. Mit verkniffener Miene und den Blick angestrengt auf etwas in weiter Ferne gerichtet, stand er regungslos da, wie zu Stein erstarrt. Von diesem Moment an wusste Mrs Lovett, dass kaum mehr Gefahr für sie bestand. Dafür hatte sie dieses Verhalten nun schon mehrere Male miterlebt. Trotzdem wollte sie ganz sicher gehen, machte einen weiteren Schritt auf Mr Todd zu und fragte vorsichtig: „Mr T.?“ Keine Antwort. „Wollen Sie für heute vielleicht Ihr Geschäft schließen, Mr T.?“ Immer noch keine Antwort. Die Bäckerin wusste, dass es keinen Zweck hatte. Genauso gut hätte sie mit der Wand reden können. Sie unterdrückte den Impuls durch heftiges Gestikulieren direkt vor Mr Todds Gesichtsfeld auf sich aufmerksam zu machen. Einzig und allein die Tatsache, Richter Turpin stünde vor seinem Barbiersalon, würde ihn schlagartig aus seinen trübseligen Gedanken reißen. Doch da dem nicht so war, wagte Mrs Lovett es auch nicht, dergleichen zu behaupten, denn ansonsten hätte sie damit höchstwahrscheinlich ihr eigenes Todesurteil unterzeichnet. Mit einem resignierenden Seufzer griff sie nach Mr Todds linkem Arm. „Nun stellen Sie sich nicht so an und kommen Sie!“ Alles Versuchen war jedoch vergebens und so legte sich Mrs Lovett einfach seinen Arm um den Hals, um ihn so hinunter in die Küche zu führen. Tatsächlich taumelte Sweeney benommen mit ihr, doch stützte er sich dabei viel zu sehr auf der Frau ab, sodass diese schon nach zwei beschwerlichen Schritten ihren Rücken sowie ihre Knie zu spüren bekam, die von all der anstrengenden Arbeit mehr als genug belastet wurden. Kurzerhand beschloss Mrs Lovett, die Holztreppe zu nehmen und von außen in ihr Geschäft zu gehen, trotz des schrecklichen Unwetters. Vielleicht würde der kalte Regen den Barbier wieder zurück in die Realität holen – und selbst wenn nicht, wenigstens würde er das Blut ansatzweise von ihm waschen. Während die Tür des Barbiersalons hinter den beiden ins Schloss fiel und sie in den eiskalten Regen traten, machte Mrs Lovett das ganze Stück zu ihrer Ladentür über ihrem Ärger Luft: „Nun reißen Sie sich gefälligst zusammen, Sie nutzloser Klotz! Wenigstens etwas helfen könnten Sie mir, Mr T., wo ich doch die ganze Arbeit für Sie mache!“ Ob Mr Todd ihren Worten lauschte, war fraglich, dessen war sie sich durchaus bewusst, weshalb sie einfach weiter redete, bis sie sich wieder im trockenen Inneren ihres Geschäfts befanden. Ohne weiter zu überlegen, setzte Mrs Lovett den Barbier an einen der Tische und verschwand dann in ihrer Wohnung. Das Feuer, welches schwach im Kamin vor sich hin knisterte, vermochte es nicht, die Kälte aus ihren Gliedern zu vertreiben oder das nasse Haar, das ihr im Nacken klebte, zu trocknen. Stattdessen nahm sie sich etwas, womit sie sich abtrocknen konnte und griff nach kurzem Zögern nach einem zweiten Handtuch, welches sie schnell Mr Todd gab, der immer noch so dasaß wie sie ihn zurückgelassen hatte. Anschließend ging die Bäckerin erneut in ihr Zimmer, um ihr nasses Kleid gegen ein trockenes auszutauschen. Da ihr nicht viel Auswahl blieb, verschwendete sie kaum Zeit mit der Wahl ihres Kleides. Als ihr Blick aber über die armselige Garderobe wanderte, malte sie sich verträumt aus, wie sie in wunderschönen Kleidern gekleidet, Seite an Seite mit Mr T. durch die Straßen Londons spazieren ging, denn falls sie weiterhin so gut mit ihren Pasteten verdiente, würde sie sich bald die prächtigsten und schönsten Kleider kaufen könne, auch wenn diese nicht so wichtig waren wie die Tatsache, zusammen mit Mr T. spazieren zu gehen. So mit ihren Träumereien beschäftigt betrat Mrs Lovett wieder die Küche. Ihr Ärger auf Mr Todd war wieder verflogen, lange konnte sie ihm einfach nicht böse sein, wenn sie dies überhaupt war. Tatsächlich machte er sogar Gebrauch von ihrem Handtuch, jedoch anderes als sie es sich gedacht hatte. Statt es für sich selbst zu benutzen, war er dabei sein Rasiermesser zu trocknen und säuberte somit auch die Spuren seiner blutigen Tat. Der Blick und die Aufmerksamkeit, mit der er sein Werkzeug dabei bedachte, versetzten der Bäckerin einen leichten Stich. Was würde sie dafür geben, würde er sie bloß einmal so ansehen! Sweeney ließ sich nichts anmerken, ob er ihre Anwesenheit bemerkt hatte, sondern widmete sich weiterhin seinem teuren Freund, dem Rasiermesser. Das Bild, welches Lucy mit der kleinen Johanna zeigte, hatte er bereits abgetrocknet und wie etwas von großem Wert vor sich aufgestellt. „Erzählen Sie mir von ihr“, sagte Mr Todd auf einmal mit ausdrucksloser Stimme, den Blick weiterhin auf sein Rasiermesser gerichtet. Überrascht sah Mrs Lovett zu ihm hin, erfreut darüber, dass er sie mehr oder weniger um etwas gebeten hatte. Es wäre ihr jedoch lieber gewesen, hätte sie nicht ausgerechnet über Lucy reden sollen. Und was gab es über sie auch schon zu sagen? Etwa, dass sie ein dummes kleines Ding war, was es vorzog sich lieber zu vergiften, als auf die Rückkehr seines geliebten Mannes zu warten und sich um die eigene Tochter zu kümmern? Die Bäckerin wusste, dass der Barbier etwas anderes zu hören erwartete und tat ihm, wenn auch ein klein wenig widerwillig, den Gefallen, wobei sie sich in Erinnerung rief, dass sie es auch wirklich nur Mr T. zuliebe tat und nicht, weil sie vielleicht irgendetwas auf dessen schwache Frau hielt! „Lucy“, begann Mrs Lovett, „war eine wunderschöne Frau. Sie erfüllte das Leben ihrer beiden Liebsten mit Freude und war bemüht, alles für sie zu tun…“ Während sie erzählte, rief sie sich all die Momente in Erinnerung, in denen sie sehnsüchtig Benjamin hinterher gesehen hatte, wie er glücklich zusammen mit seiner Frau gewesen war, in denen sie sich so oft gewünscht hatte, er würde ihr selbst die ersehnte Aufmerksamkeit schenken. Die Gedanken erfüllten sie mit Trauer und es fiel ihr sichtlich schwerer, das Bild, was Mr Todd von seiner Frau hatte, aufrecht zu erhalten, zumal diese auch ihre Schattenseiten hatte… Langsam näherte sich Mrs Lovett von der Ablage aus dem Barbier. Das einzig Schöne an der ganzen Sache war, dass er ihr zuhörte, jedes einzelne Wort in sich aufnahm. „Ich weiß noch“, fuhr die Bäckerin fort, als sie schließlich genau vor dem Tisch stand, „wie verzweifelt sie war, Ihre Frau. Sie konnte es nicht mehr ertragen, fern von Ihnen zu leben.“ Mit diesen Worten setzte sie sich Mr Todd gegenüber und versuchte seinen Blick zu erhaschen, der jedoch auf die Tischplatte gerichtet war, wie in weiter Ferne. „Ich hatte versucht, sie aufzuhalten, als ich sah, dass sie sich Arsen gekauft hatte und ihr Vorhaben erkannte…“, erzählte Mrs Lovett weiter, beendete den Satz jedoch nicht mehr. Der Rest hing unausgesprochen in der Luft und Stille kehrte ein. Lange Zeit saßen beide einfach nur da, schweigend. Während die Bäckerin Sweeney Todd gedankenverloren ansah, verspürte sie den immer größer werdenden Drang, irgendetwas Tröstliches zu sagen, ihm zu zeigen, dass sie für ihn da war. Und schließlich gab die dem Drängen nach. Ein wenig zögerlich beugte sie sich vor und griff nach Mr Todds Hand. „Es tut mir so Leid für Sie“; flüsterte sie. „Doch es ist vorbei, Sie müssen das Geschehene vergessen und Neuem eine Chance geben.“ Bei diesen Worten guckte sie ihn eindringlich, auf eine Reaktion hoffend, an. Statt zu antworten, sah der Barbier mit einem unergründlichen Blick auf. Eine ganze Weile lang saßen sie beide da und schauten den anderen wortlos an, bis Mrs Lovett den Bann brach. Die Arbeit rief, denn es galt immer noch den Barbier Salon vom überflüssigen Blutbad zu putzen ebenso wie eine Leiche im Keller auf sie wartete. Bevor sie aber ihrer Arbeit nachging, kam ihr ein anderer Gedanke und sie brachte Mr Todd eine ungeöffnete Flasche Gin, die sie ihm zusammen mit einem Glas vor die Nase stellte. „Da bitte! Das müsste Sie ein wenig aufheitern können, Mr T.“, erklärte Mrs Lovett mit einem Lächeln, in der Hoffnung, dass das Getränk auch bei ihm seiner Wirkung zeigte und ihn mal für kurze Zeit aus seinem scheinbar ewigwährenden Trübsal riss. Erst danach machte sie sich an ihre anstrengende und teils äußerst unangenehme Arbeit, die viel Zeit für sich beanspruchen würde. Irgendwann war Mrs Lovett endlich fertig. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, doch fühlte sie sich so erschöpft, dass sie es bezweifelte, noch viel mehr an diesem Abend tun zu können. Eigentlich wollte sie bloß eben Mr Todd sehen und dann schon ins Bett gehen. Als sie jedoch die Küche betrat, die nur noch vom schwachen Schein der letzten Glut erleuchtet wurde, blieb sie verwundert stehen, weil sie ein seltsames Geräusch zu hören glaubte. Da sie es aber nicht identifizieren konnte, ging sie langsam zu Mr Todd. Irgendwie schien ihr seine Haltung merkwürdig. Vorsichtig trat Mrs Lovett noch näher an ihn heran. Es war sehr schwer, in dem schwachen Lichtschein etwas zu erkennen, doch was sie dann sah, brachte sie zum Schmunzeln. Mr Todd saß leicht vornübergebeugt da, die Augen geschlossen und der Kopf war ihm auf die Brust gesunken. Er schlief! Nun hatte die Bäckerin auch erkannt, dass die seltsamen Laute, die gelegentlich die Stille durchdrangen, nichts anderes waren als leise Schnarchlaute, die Mr T. hin und wieder im Schlaf von sich gab. Nachdem ihr Blick auf die leere Ginflasche gefallen war, wurde ihr klar, was ihn so plötzlich in einen tiefen Schlaf versetzt hatte. Selbst seine rechte Hand ruhte noch auf der Tischplatte neben dem Glas mit dem letzten Rest Gin! „Hach Mr T., Sie sind ja noch schlimmer als Toby“, seufzte Mrs Lovett kopfschüttelnd mit einem belustigten Funkeln in den Augen und wollte nach der leeren Ginflasche greifen. Doch plötzlich regte sich Mr Todd. „Lucy“, stöhnte er auf einmal, griff nach ihrem Handgelenk und sank zurück, wobei er die völlig erschrockene Bäckerin mit sich zog. Diese hatte keine andere Wahl: Wenn sie ihn nicht wecken wollte, musste sie sich zu ihm setzen, was ihr nicht im Geringsten etwas ausmachte. Trotzdem war sie im ersten Moment viel zu überrascht, um irgendetwas anderes zu tun, als den Barbier mit großen Augen anzustarren. Seine Hand hielt ihr Handgelenk dabei immer noch fest umklammert und ließ keine andere Bewegung mehr zu. Schließlich hatte Mrs Lovett ihre Überraschung überwunden. Schnell erkannte sie, dass sie vielleicht sogar die ganze Nacht neben dem schlafenden Mr Todd sitzen bleiben musste, falls dieser nicht seinen eisernen Griff etwas lockerte oder ganz losließ. Stören tat sie diese Tatsache aber überhaupt nicht. Im Gegenteil: Endlich bot sich ihr die Gelegenheit in der Nähe des Mannes bleiben zu können, den sie liebte. Und während sie so dasaß, von einem unglaublichen Glücksgefühl durchströmt, konnte sie gar nicht anders, als sich Mr Todd zu nähern, welcher sich nun im Schlaf gegen die Lehne der Bank gelehnt und den Kopf immer noch auf die Brust gesenkt hatte. Das spärliche Licht der einbrechenden Nacht, welches durchs große Ladenfenster fiel, verlieh seiner blassen Haut ein unheimliches Leuchten und fasziniert Mrs Lovett nur noch mehr. Ihr Gesicht war mittlerweile bloß einen Fingerbreit von dem seinen entfernt und sie konnte die Ginfahne, die von ihm ausging, deutlich riechen. Jetzt oder nie!, schoss es ihr durch den Kopf. Das war die Gelegenheit! Und ehe sie es sich versah, hatte sie ihm blitzschnell einen Kuss auf die Wange gehaucht, mit den Worten: „Gute Nacht, Mr T.!“ Dann entfernte sie sich wieder etwas von ihm und war dennoch viel zu nah an ihm dran. Tatsächlich gab Mr Todd irgendwelche unverständlichen Laute von sich, doch das, was Mrs Lovett herausgehört hatte, sagte ihr, dass er wohl von Lucy träumte. Warum nur von Lucy? Dies trübte die Stimmung der Bäckerin ein wenig, bis sie sich wieder ihre glückliche Situation bewusst wurde und sie erneut in Mr Ts Anblick und die mit ihm verbundenen Träumereien versank. Langsam spürte Mrs Lovett, wie auch die Müdigkeit von ihr Besitz ergriff, in ihre Glieder kroch und die Augen schwer werden ließ. Benommen spielte die Bäckerin mit dem Gedanken, ob sie gegen die Müdigkeit ankämpfen sollte, um in ihr Bett zu gehen. Doch verwarf sie diesen wieder, da sie Mr Todds Griff nach wie vor fest um ihr Handgelenk spürte und gab sich schließlich der wohligen Wärme hin, die sie erfüllte. Irgendetwas kitzelte Mrs Lovett an der Wange, während sie unter sich das ruhige Heben und Senken der Atmung eines Schlafenden spürte. Dann war ja alles gut, dachte sie und wollte wieder weiterschlafen, als sie in ihren Gedanken innehielt. Etwas konnte nicht stimmen, da war sie sich sicher! Vorsichtig und etwas widerwillig öffnete Mrs Lovett ihr Auge einen Spalt breit. Es war rabenschwarzes Haar, was sie da an der Wange kitzelte. Und nicht nur das! Ihr Gesicht lag auf einer braunen mit Blut besudelten Weste. Einen kurzen Moment dauerte es, bis diese Informationen in ihr Bewusstsein gesickert waren, dann riss sie beide Augen überrascht auf und hob leicht den Kopf. Mrs Lovett konnte es nicht glauben, sie war doch tatsächlich, an Mr Todds Schulter gelehnt, eingeschlafen! Sogar ihr Handgelenk hielt er noch umklammert. Bei dieser Erkenntnis glitt ein breites Lächeln über ihr Gesicht: Ein Traum war in Erfüllung gegangen! So lange wie möglich wollte sie diesen Augenblick auskosten, der jedoch nicht mehr lange währte. Ein lautes Niesen durchbrach die Stille, das Mrs Lovett erschrocken zurückschrecken ließ. Etwas überrascht sah sie zu Mr Todd, der schlaftrunken blinzelte und dann in ihre Richtung schaute. Die Bäckerin ärgerte sich insgeheim, dass sie nicht aufgepasst hatte, als sie den Kopf gehoben hatte. So war es ihr Haar gewesen, was den Barbier gekitzelt hatte – und zwar verhängnisvollerweise an der Nase. „G-guten Morgen, Mr Todd“, stammelte Mrs Lovett. Erst langsam dämmerte diesem, was das alles zu bedeuten hatte, dafür war er noch viel zu verschlafen. Als er jedoch erkannt hatte, was vorgefallen war, verdüsterte sich sein Blick und eine altbekannte Wut wollte von ihm Besitz ergreifen. Bevor das aber geschehen konnte, machte Mrs Lovett ihn, die sich ihrer unangenehmen Situation bewusst wurde, auf etwas Entscheidendes aufmerksam: „Ihre Hand, Mr T.“ „Was ist damit?“, wollte er grimmig wissen und folgte ihrem Blick. „Mir blieb nichts anderes übrig“, erklärte sie entschuldigend und beobachtete ihn aufmerksam. Schnell hatte Mr Todd ihr Handgelenk wieder freigegeben und es schien, als würden die unterschiedlichsten Gefühle in ihm ringen, bis er sich schließlich erhob, das Bild und das Rasiermesser in der Hand. „Och Mr T., wollen Sie etwa schon gehen?“, fragte Mrs Lovett und erhob sich ebenfalls. Sie brauchte keine Antwort, die sie sowieso nicht erhalten würde, um zu wissen, dass der Barbier genau das vorhatte. In dem Versuch ihn noch etwas länger in der Küche zu behalten, sagte sie: „Wollen Sie nicht wenigstens mit mir frühstücken? Ihre Sachen können Sie vorher ja trotzdem wegbringen.“ Mr Todd warf ihr jedoch bloß einen kurzen Blick zu und ging dann zur Ladentür, wobei er sich verstohlen an den Kopf fasste. Mrs Lovett, der diese Geste nicht entgangen war, fügte mit einem Lächeln hinzu: „Sie wissen doch, dass Ihnen ein wenig Gesellschaft gut tun würde und außerdem kenne ich ein paar wunderbare Mittel gegen Kopfschmerzen. So können Sie schließlich nicht Ihrer Arbeit nachgehen!“ Mr Todd gab einen resignierenden Seufzer von sich. „Wie Sie wollen, meine Gute, ich werde mit Ihnen zusammen frühstücken.“ Mit diesen Worten ging er hinaus, während sich Mrs Lovett fröhlich dran machte, das schönste Frühstück, das ihre Küche hergab, zu zubereiten. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ So endlich ist der OS feritg. Ich weiß nicht, wie lange die Idee mir nun schon durch den Kopf gespukt ist, jedenfalls bin ich froh, sie jetzt endlich mal aufgeschrieben zu haben^^ Inhaltlich gefällt der mir auf jeden Fall besser als der erste, aber irgendwie habe ich festgestellt, dass ich so meine Probleme damit habe, aus Mrs Lovetts Sicht zu schreiben-__- Na ja wem irgendwelche Fehler oder komische Dinge im OS aufallen, kann sie mir gerne sagen^^ lg -Hakura Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)