Liquid Poison von -Yue ================================================================================ Prolog: -------- Ich fühle mich schwerelos. Um mich herum erstreckt sich pures Weiß. Ich weiß nicht wo ich bin oder wie lange ich mich hier schon befinde. Mein Zeitgefühl hat sich in Nichts aufgelöst. Aber Zeit scheint hier keine Rolle zu spielen. Ich weiß nicht einmal ob ich gehe oder schwebe. Hier gibt es keine Wände und auch keinen Boden. Und wenn es einen geben sollte, so kann ich ihn unter meinen Füßen nicht spüren. Es ist als würde ich durch Nebelschleier dahin gleiten. Sie umschlingen mich wie Seidentücher und berauben mich meiner Sinne. Meine Beine und meine Arme kann ich nicht erkennen. Keinen einzigen Körperteil von mir. Alles ist glänzend weiß wie das Innere einer Eskimohütte. Doch es gibt keinen Eingang und somit auch keinen Ausgang. Es ist ein grenzenloser Raum. Träge wie verdampfendes Quecksilber lösen sich Fragen nach dem Wie und Warum in Rauch auf. Nur hin und wieder spüre ich einen feinen Schmerz durch meinen formlosen Körper ziehen. Dann entstehen dreidimensionale Gebilde, die Bilderrahmen gleichen. Sie reihen sich zu beiden Seiten aneinander wie Bäume einer Allee. Wenn ich davor stehe ist es als blicke ich in einen Spiegel. Dann betrachte ich mein Gesicht. Die braunen Mandelaugen und den schmalen Nasenrücken bis hin zu meinen blassroten Lippen, von denen sich meine volle Unterlippe abhebt und mich so aussehen lässt als würde ich schmollen. Das war schon immer so gewesen. Mein hellbraunes Haar fällt strähnig in mein blasses Gesicht. Fast verschmilzt es mit dem Weiß um mich herum. Egal wie oft ich mich ansehe, mein Spiegelbild verändert sich nicht. Ich starre auf meine Nasenflügel. Ich versuche das sonst so eigentümliche Heben und Senken zu entdecken. Ich möchte sehen ob ich noch Atme. Als ich aufwachte spürte ich den weichen Stoff des Lakens unter meinen Fingerspitzen. Ein wenig rau vielleicht doch gerade so, dass es sich angenehm anfühlte. Meine Augen ließ ich geschlossen. Ich versuchte mich auf den Moment zwischen Schlaf und dem Aufwachen zu konzentrieren. Es ist der Moment, in dem Gedanken und Erinnerungen präsent werden. Ich wartete. Mein Kopf war wie leer gefegt. Ich erinnerte mich daran wie mir jemand einen Schlauch aus dem Hals entfernte. Ich wusste nicht ob ich es geträumt hatte und so schluckte ich probeweise. Schon im nächsten Moment holte mich die bittere Realität in Form eines Hustenreizes ein. Ruckartig setzte ich mich auf, hielt mir eine Hand vor den Mund und keuchte herzerweichend. Eine Hand legte sich auf meinen Rücken und begann mit leichtem Druck hinab und wieder hinauf zu streicheln. Der Reiz in meinem Hals trieb mir die Tränen in die Augen. Ich blinzelte sie weg um zu erkennen wer mich anfasste. Ein junger Mann mit auffällig blonden Haaren saß neben meinem Bett. Seine Haare waren im Nacken zusammengebunden. Nur einige Strähnen hingen ihm frech in das wohlgeformte Gesicht. Ich sah auf sein rundes Kinn als er mich ansprach. Seine Worte drangen an mein Ohr doch ich war nicht in der Lage sie zu verstehen. Ich konnte ihn hören, nur die Aneinanderreihung der Buchstaben geriet in meinem Kopf so sehr durcheinander, dass ich den Sinn nicht erfassen konnte. „Bitte, was sagten Sie?“, fragte ich und erschrak zugleich beim Klang meiner Stimme. Sie war so rau wie Schmirgelpapier. Ich glaubte sie schon ewig nicht mehr benutzt zu haben. Der Blick des Mannes wirkte überrascht und er schien kurz nachzudenken ehe er antwortete. „Ich fragte wie sie sich fühlen“, wiederholte er. Seine Stimme war hell, zumindest für die eines Mannes. Fast klang es so als würde er die Worte singen. Es gefiel mir, denn es beruhigte mich. Mein Herz hatte aufgehört in meiner Brust zu hämmern und schlug nun in einem gleichmäßigen Rhythmus. Erst da bemerkte ich das stetige Piepen, das den Raum erfüllte. „Was ist das?“, wollte ich wissen und sah auf den Monitor neben mir. Der junge Arzt folgte meinem Blick, das nahm ich aus dem Augenwinkel wahr. „Das ist ein EKG-Gerät“, antwortete er schließlich so melodisch wie zuvor, „Nur um sicher zu gehen, dass Ihr Herz so arbeitet wie es soll. Ich werde Sie gleich davon befreien.“ Ich mochte seine Art zu sprechen. Nicht, dass ich nicht wusste, was ein EKG-Gerät war, doch fachchinesische Erklärungen hätten mich in diesem Moment mehr als verwirrt. Kurz blickte ich auf die sich hebenden und senkenden Linien des Gerätes. Ich spürte noch immer eine seltsame Leere in meinem Kopf. Fragen die sich zuvor in Luft aufgelöst hatten, keimten erneut auf und ich überlegte wo ich anfangen sollte. Es war so als würde mein Gehirn seine Arbeit erst langsam wieder aufnehmen, so träge und zäh floss mein Gedankenstrom. Ich wusste, dass ich in einem Krankenhaus war. Schon der sterile Geruch ließ mich dessen sicher sein. Die Frage nach dem Warum drängte sich augenblicklich in den Vordergrund und ich gestand ihr höchste Priorität zu. Alles andere würde sich daraus ergeben. „Wieso bin ich hier?“, fragte ich den jungen Arzt also. Mit seinen schmalen Fingern strich er sich eine seiner losen Haarsträhnen hinter das Ohr. Er suchte nach den richtigen Worten und das machte mich nervös. Was war passiert? Wieso lag ich hier ohne Schmerzen aber mit einem Kopf, der einem trockenen Schwamm glich und jede noch so kleine Information aufsaugen wollte. „Wir sind fast im gleichen Alter“, sagte er schließlich, „Stört es Sie wenn ich Sie duze?“ Ich verneinte. In Japan war dies zwar sogar zwischen gleichaltrigen unüblich, aber wenn es ihm so leichter fiel mit mir zu sprechen, dann hatte ich nichts dagegen einzuwenden. Er sollte nur endlich mit der Sprache rausrücken! Er lächelte. Ein Eckzahn ragte ein wenig über seinen linken Schneidezahn. Viel mehr gab er bei seinem Lächeln nicht preis, doch es kam mir seltsam bekannt vor. Wie von selbst tastet meine Zunge die Stelle an meinen Zähnen ab. „Ich heiße Satsuki“, sagte er. „Ein schöner Name“, bemerkte ich, „Ich bin Jui, aber das weißt du vermutlich schon.“ Er nickte. Dabei fiel ihm die zuvor zurückgestrichene Haarsträhne ins Gesicht. Ich wartete darauf, dass er sie erneut weg strich, doch er tat nichts dergleichen. Ich wurde unruhig, zupfte an meiner Decke. „Du weißt also noch wer du bist?“, fragte er, meines Erachtens überflüssigerweise, nach. „Ja, ich weiß wer ich bin“, antwortete ich, meine nestelnden Finger unter Kontrolle haltend. Doch wenn ich ehrlich sein sollte war ich mir dessen gar nicht so sicher. Ich wusste meinen Namen und das war momentan das Einzige, dessen Gewissheit ich nicht in Frage stellte. „Ich kann mich aber nicht daran erinnern wie ich hier her gekommen bin.“ Ich wiederholte mich nicht gerne. Meine Stimme klang ungeduldig und gereizt. Doch Satsuki nickte ruhig und die lose Haarsträhne wippte dabei rhythmisch. Augenscheinlich fiel es ihm schwer mir meine Frage zu beantworten. Er räusperte sich. „Dein Mitbewohner hat dich Zuhause bewusstlos aufgefunden und dich sofort hier her gebracht.“ Er machte eine kurze Pause. „Das war vor fünf Tagen.“ Vor fünf Tagen? Ich lag also seit fünf Tagen hier? Hatte ich all die Zeit geschlafen? „Was ist mit mir? Was fehlt mir?!“, platze es nun aus mir heraus. Mein Inneres brannte und auch mit meiner äußeren Ruhe war es vorbei. Mein Blick bohrten sich förmlich in die Augen des jungen Arztes. Satsuki schluckte. Das sah ich an der Bewegung seines Adamsapfels. „Wir konnten nicht feststellen durch was du ins Koma gefallen bist. Es war im Blut nicht mehr nachweisbar. Dein Mitbewohner hat das Glas, das laut seiner Aussage neben dir gestanden hatte schon ausgewaschen bevor wir es auf Rückstände untersuchen lassen konnten. Alles sah danach aus als hättest du dich von dieser Welt verabschieden wollen.“ Zum Ende hin wurde Satsukis Stimme leiser. Fast schon klangen seine Worte poetisch in diesem jambischen Rhythmus. „Ich wollte mich umbringen?“ Ich erwartete keine Antwort auf diese Frage. Woher sollte Satsuki die Antwort auch kennen, wenn sie selbst mir verborgen blieb. Langsam sank ich zurück in die Kissen. Ein Cocktail aus Angst und Verzweiflung gemischt mit Adrenalin schoss durch meine Blutbahnen. Ich unterdrückte den Impuls zu weinen. Satsuki befreite mich schweigend von dem EKG-Gerät. Er wirkte betroffen. Meine Augen folgten seinen Bewegungen, die so fließend ineinander übergriffen, dass mir bewusst wurde, dass es für ihn reine Routine war. Ich hielt ihn sicher nur auf mit meiner Fragerei. Irgendetwas in mir ließ mich wütend werden und etwas anderes hielt diese Wut umfangen wie eine Zellmembran. Dieser Gesichtsausdruck kam mir bekannt vor. Ich war ihm nicht egal. Als Satsuki das Zimmer verlassen hatte, versuchte ich seinem Ratschlag, mich auszuruhen, folge zu leisten. Doch es gelang mir nur halb. Mein Körper ruhte, mein Kopf arbeitete. Ich schaffte es nicht ihn zur Ruhe zu zwingen. Unstetig grub ich nach verschütteten Erinnerungen. Ich sah mich als kleines Kind, sah die Gesichter meiner Eltern, wie sie mich anlächelten, während ich auf dem kleinen Spielplatz hinter den Hochhäusern schaukelte. Alles was mein inneres Auge erkennen konnte, war verschwommen, so als würde man unter Wasser die Augen öffnen. Ich wusste, diese Häuser standen in Kobe. Dort war ich aufgewachsen. Die Erinnerung an meine Kindheit erschien mir am deutlichsten. Was ich von meinem derzeitigen Leben wusste, war, dass ich an der Kyotoer Universität als Philosophiestudent eingeschrieben war. Details dessen blieben mir aber verwehrt. Außerdem konnte ich mich weder an die Struktur, noch an die Adresse meiner Wohnung erinnern. So musste sich ein Demenzkranker fühlen, wenn er mitten in der Stadt den Weg nach Hause nicht mehr fand. Ich seufzte tief. Außer den Schock darüber, dass ich mich angeblich umbringen wollte, fühlte ich nichts. So stark konnte mein Wunsch nach dem Jenseits also nicht gewesen sein. Oder war er so stark gewesen, dass mein Unterbewusstsein es erst recht verdrängte? Ich drehte mich im Kreis und verlor dabei den Boden unter den Füßen. Ich fiel tiefer und tiefer und merkte dabei nicht einmal, dass ich vor lauter Verzweiflung angefangen hatte zu weinen. Das sterile Weiß der Wände verschmolz zu einer ebenso leeren Fläche wie der Nebel in meinen Gedanken. Am frühen Abend brachte mir eine Schwester das Essen auf einem grauen, abgenutzten Tablett. Misosuppe und Risotto. Nicht unbedingt eine Mischung, die ich bevorzugte. Mein Magen rebellierte schon nach dem ich die Suppe zu schnell geleert hatte und so ließ ich den Rest unangetastet. Mein Blick glitt durch den Raum und blieb für eine Sekunde an der rot umrandeten Uhr hängen. Es war 18:09 Uhr. Ich überlegte, ob ich den Fernseher anschalten sollte. Irgendwie musste ich mir die Zeit vertreiben. Auf dem Tisch neben mir fand ich die Fernbedienung. Ich hielt in meiner greifenden Bewegung inne, als ich Stimmen vor meinem Zimmer hörte. Ich schob das Tablett zur Seite und wandte mich, den Magen reibend, zur Türe. Ohne eine Ankündigung flog diese schwungvoll auf. Ich fuhr erschrocken zusammen und spürte einen unangenehmen Stich in meiner Magengegend. Ein junger Mann mit schwarzem Stufenschnitt und auffälligem Kleidungsstil hastete zu meinem Bett. Bevor die Türe gänzlich ins Schloss fiel, konnte ich einen blonden Haarschopf erkennen. Hatte er mit Satsuki gesprochen? Ich kam nicht dazu mir weiter Gedanken darüber zu machen, schon wurde ich an die Brust des jungen Mannes gedrückt. „Jui, ich bin so froh!“, sagt er und seine Stimme klang vertraut in meinen Ohren. Auch sein Parfum war mir nicht unbekannt. Ich lächelte zum ersten Mal seit ich aufgewacht war. „Giru“, wisperte ich, froh den anderen zu sehen. Ich spürte seine Hände an meinen Schultern und zaghaft wurde ich zurück in Kissen gedrückt. Er musterte mich freudig. „Du weißt wer ich bin?“, strahlte er und wieder lächelte ich. „Im ersten Moment hatte ich einen Hänger“, gab ich zu. Ein sorgenvoller Ausdruck lag in seinen Augen als er sich einen Stuhl heranzog und sich neben das Bett setzte. „Satsuki, der blonde Student“, fügte er nach kurzem Zögern an, „Hat mir gesagt, dass du an Gedächtnisverlust leidest.“ „Ach, Satsuki-san ist noch Student?“, stellte ich neugierig eine Gegenfrage. Giru nickte langsam. Sein Blick ruhte noch immer auf mir. Es war nahe liegend, wenn ich genauer darüber nachdachte. Schließlich sagte Satsuki selbst, dass wir seine im selben Alter. „Er hat mir gleich das Du angeboten“, berichtete ich, „Er scheint wirklich nett zu sein.“ Girus Mine veränderte sich bei meinen Worten, doch ich konnte die Veränderung nicht deuten. „Hör mal“, sagte er schließlich um das Thema zu wechseln, „Weißt du schon wann du hier raus darfst? Man hört doch immer wieder, dass Menschen sich erinnern, wenn sie in ihre vertraute Umgebung kommen.“ Ich runzelte die Stirn. Danach hatte ich Satsuki nicht gefragt. Ich rechnete damit morgen mehr zu erfahren. Das sagte ich auch Giru. Er seufzte. „Ich hoffe du kommst hier bald raus. Das war ein ganz schöner Schock dich so in der Wohnung aufzufinden. Außerdem ist es ziemlich einsam ohne dich.“ „Das tut mir leid, Giru.“ Dabei fühlte ich mich tatsächlich schuldig. „Du kannst dich entschuldigen wenn du dich wieder erinnert hast“, winkte Giru ab, „Außerdem bist du seit einer Vorlesung über deutsche Philosophen Feuer und Flamme für Kant und laut diesem ist Selbstmord ein Verbrechen. Es fällt mir deshalb schwer, der Vermutung der Ärzte zu glauben. Wenn du dich erinnerst, klärt sich sicher alles auf.“ In seiner Stimme schwang Zuversicht und Überzeugung und es munterte mich auf. Sein Blick wanderte zu meinem Tablett. „Isst du das noch?“ Ich lachte leise auf und schüttelte den Kopf. Ich erinnerte mich. Giru hielt nicht viel davon sich seinen Kühlschrank zu füllen. Lieber versuchte er bei anderen etwas abzugreifen. Amüsiert sah ich ihm zu während er aß. Ich war froh ihn an meiner Seite zu wissen. Seine Worte hatten mir neuen Mut gemacht. In diesem Moment wagte ich nicht zu fragen, ob es nicht doch einen Auslöser gegeben hatte. Einen Auslöser, der mich in ein Krankenhaus gebracht hatte. Ich wollte diesen Augenblick nicht zerstören. Ich fühlte mich neben ihm in Sicherheit. Satsuki sah nach mir als Giru den Heimweg bereits angetreten war. Ich blickte ihn müde an als er an mein Bett trat. Die Erfahrungen der letzten Stunden, die Unterhaltung mit meinem Kommilitonen und die Suche nach meinen Erinnerungen hatten mich schläfrig gemacht. Satsuki trug keinen Kittel mehr. Seine Schicht sei beendet, erklärte er mir. Ich freute mich, dass er mich nach Dienstschluss besuchte. Ich konnte mir vorstellen, dass er mindestens so müde sein musste wie ich selbst. Ich wollte ihn nicht davon abhalten nach Hause zu kommen, also fiel ich mit der Tür ins Haus. „Wann werde ich entlassen!?“, möchte ich wissen. „Du scheinst schon voller Tatendrang zu stecken“, lächelte Satsuki. Ich blickte ihn erwartungsvoll an, beobachtete wie Satsuki sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht strich. Er sah in der Tat geschafft aus. „Wir behalten dich einige Tage zur Beobachtung hier. Wir haben hier im Haus einen guten Psychoanalytiker. Er würde sich gerne mit dir unterhalten, wenn du das magst.“ Ich zog die Brauen zusammen. „Ich dachte nachdem was geschehen ist, würdest du es vielleicht in einem Gespräch Revue passieren lassen wollen.“ „Ich bin mir nicht sicher, ob ich das will“, sagte ich ehrlich. Satsuki nicket. Er wirkte dabei nachdenklich und ruhig und das gab mir das Gefühl, dass er meine Entscheidung respektieren würde. Ich spürte, er würde nicht versuchen mich zu überreden. „Du kannst es dir ja überlegen“, meinte er und seine Stimme nahm erneut diesen eigentümlich, melodischen Klang an. Ich beobachtet ihn während er sich erhob. Er klopfte seine Kleidung ab und ich fragte mich, was ihn wohl dazu bewogen hatte Arzt zu werden. Ich würde es nur allzu gerne herausfinden. In meinen Fingerspitzen kribbelte es. „Gute Nacht, Jui-kun“, wünschte er mir und ich dachte an einen Singvogel, der in die Nacht entschwirrte. Ich schlief schlecht in dieser Nacht. Ich spürte selbst im Traum meinen Kopf, der sich anfühlte wie ein Nadelkissen. Im Hintergrund lief „Free as a Bird“ von den Beatles. Ich saß auf einer Holzschaukel und flog auf ihr hin und her. Bei jedem Quietschen der Kettenhalterung stach es in meinem Kopf. Ich hörte John Lennon singen. “Free as a bird, it’s the next best thing to be.” Ich fühlte wie mich jemand berührte. Mein Haar wehte mir ins Gesicht als ich mich umwand. Ich sehe Satsuki, der mich in weißem, wehendem Kittel anschubste. “Can we really live without each other? Where did we lose the touch that seemed to mean so much?” Ich konnte seine Augen nicht sehen. Sie waren von Haarsträhnen verdeckt. Ich blicke auf seine Lippen und erkenne den leicht schiefen Zahn. Er lächelte. Die Eisenketten, die ich soeben noch mit beiden Händen umfasst hatte, lösten sich in Nichts auf. Ich schrie als ich tiefer und tiefer fiel. Schweißgebadet schlug ich die Augen auf. Mein eigenes Schreien hatt mich aus dem Schlaf gerissen. Das Licht der Deckenlampe zwang mich, die Augen zusammenzukneifen. Bunte Punkte tanzten vor meinen halb geschlossenen Lidern. Ich hielt mir eine Hand vor die Augen und blinzelte. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“, fragte mich eine sanfte Männerstimme und ich versuchte ihn durch meine gespreizten Finger zu erkennen. Meine Augen gewöhnten sich erst nach und nach an die Helligkeit. Als sie aufhörten zu brennen ließ ich meine Hand sinken. Ein junger Pfleger stand an meinem Bettende und sah mich schüchtern an. Der Ausdruck seiner braunen Augen ließ mich augenblicklich an ein verschrecktes Reh denken. „Es geht mir gut“, antwortete ich nach einer Ewigkeit, wie es mir vorkam. Ich strich mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, bevor ich die Bettdecke zurückschlug. Der Krankenhausschlafanzug klebt förmlich an meiner Haut. „Ich habe vorhin erfahren, dass Sie aufgewacht sind“, sagte der Pfleger leise, „Soll ich Ihnen einen frischen Anzug bringen?“ Ich nickte noch etwas benommen und zog mir das Oberteil über den Kopf. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie er aus dem Schrank, der ebenso weiß war wie die Wände, einen frischen Schlafanzug holte. Er trat zu mir ans Bett und auf seinem Ansteckschild konnte ich seinen Namen lesen. „Du heißt Shun?“, fragte ich und lächelte als er mich zuerst irritiert musterte, bevor ihm wohl sein Schild in den Sinn kam. Dann erwiderte er das Lächeln und nickte. „Ich bin Jui. Tut mir leid, dass ich dir jetzt noch solche Umstände mache.“ „Das sind keine Umstände“, sagte er freundlich. Die Sanftheit in seiner Stimme ließ sie beinahe monoton wirken. Ich schälte mich aus meiner Hose und unweigerlich stellte sich mir die Frage, wer mich in den letzten Tagen, in denen ich geschlafen hatte, umgekleidet hatte. Ich hievte mich mit beiden Händen auf den Bettrand und spürte dabei deutlich, wie geschwächt mein Körper noch war. Shun half mir in die frische Hose. Das Hemd zog ich mir selbst an und knöpfte es mit zittrigen Fingern zu. Shun schüttelte lächelnd den Kopf als ich mich für seine Hilfe bedankte. „Das ist meine Arbeit“, erklärt er, „Kann ich noch etwas für dich tun, Jui-san?“ Ich freute mich darüber, dass er mich beim Vornamen nannte. „Nein“, antworte ich, „Hast du die ganze Nacht Schicht?“ Shun nickte erneut und rieb sich den Nacken. „Morgen Nachmittag bin ich auch wieder auf Station. Dann sehen wir uns sicherlich“, fügte er hinzu, „Ich hoffe du kannst jetzt besser schlafen.“ Wieder lächelte er. Scheinbar hielt dieses Krankenhaus einige interessante Persönlichkeiten für mich bereit. Er wünschte mir eine gute Nacht und löschte das Licht beim Hinausgehen. Ich sank zurück in die Kissen. Mit der Dunkelheit kehrte auch die Müdigkeit in meine Glieder zurück und ich hoffte darauf den Rest der Nacht traumlos zu überstehen. ----------------------------------- Ich hoffe das erste Kapitel gefällt euch! Lasst mich wissen ob ihr es mögt! ^o^ Ich fühle mich gerädert. Die ärztliche Visite hat mich früh geweckt. Ich sehe zu wie der Stift des Arztes unermüdlich auf einem Blatt auf seinem Klemmbrett tanzt. Nachdem ich endlich mehr zu sein scheine als ein Name auf einem Stück Papier sieht er mich an und erneut prasselt ein Fragenregen auf mich ein. Wieder wird mir bewusst wie wenige Erinnerungen ich an meine nahe Vergangenheit habe. Mein Kopf wird schwer und ich höre dem Arzt in seinem Redefluss nicht mehr richtig zu. Ich sehe Satsuki an. Als er bemerkt, dass mein Blick auf ihm ruht lächelt er. Ein wenig zerstreut wie ich finde, doch es macht die Situation um einiges erträglicher. „… eine psychiatrische Betreuung ablehnen, entlassen wir Sie auf eigene Gefahr hin wenn sich ihr Körper erholt hat.“ Bei den letzten Worten des Arztes höre ich auf. Ich bin mir sicher, dass ich keinen Psychiater sehen will. Ich werde mich erinnern wenn ich soweit bin. Da kann mir auch kein Seelendoktor helfen. Das sage ich dem Arzt. Er kratzt sich an seinem bereits ergrauten Haaransatz. Ich habe den Eindruck, dass ihm meine Entscheidung nicht behagt, doch sie war definitiv gefallen. Endlich nickt er und kritzelt einen Vermerk auf sein bereits zuvor benutztes Blatt. Erneut weist er mich auf meine Entlassung hin, die erfolgt wenn ich körperlich fit genug bin. Diesmal nicke ich. Prüfend wirft der Oberarzt einen erneuten Blick auf seine Notizen bevor er sich verabschiedet. Satsuki nickt mir zu. Ich schaffe ein leichtes Lächeln. Nachdem die Visite beendet ist, bringt eine zierliche Krankenschwester das Frühstück. Sie zieht das Tischchen neben mir aus und stellt das Tablett auf die freie Fläche. Einen guten Appetit, wünscht sie mir. Es gibt Reis, Misosuppe und eingelegtes Gemüse. Dazu frisch getoastetes Weißbrot. Wie schon am Vortag schaffe ich nicht viel. Zwar habe ich Appetit, doch es ist wie mit einem Reisekoffer, in dem man unbedingt noch etwas verstauen möchte, obwohl kein Platz mehr vorhanden ist. Also lasse ich den Reis und die zweite Scheibe Brot unangetastet. Nachdem die Krankenschwester sich vergewissert hat, dass ich das Übrige nicht mehr zu mir nehmen würde, erfahre ich, dass ich heute noch in ein anderes Zimmer verlegt werden soll. Nahezu alle Geräte um mich herum wurden ausgeschaltet. So wie ich das sehe wird das Zimmer für einen anderen Patienten benötigt. Shun kommt am frühen Nachmittag zu mir. Ich freue mich ihn zu sehen. Noch bevor er einen Ton sagen kann, begrüße ich ihn. Er lächelt so schüchtern wie in der Nacht zuvor. „Konntest du noch gut schlafen?“, fragt er mich. „Ja“, nicke ich, „Die Nacht war nur zu kurz. Jetzt habe ich tagelang geschlafen, da könnte man eigentlich meinen ich sollte ausgeruht sein.“ „Du bist innerlich sicher sehr aufgewühlt“, entgegnet er verständnisvoll, „Das kostet Kraft. Da ist es kein Wunder, dass dein Körper nach Ruhe verlangt.“ Perplex nicke ich. Ich habe diese Worte gewählt um meine Anspannung und meine Ängste auf eine Stufe hinabzusetzen auf der ich mit ihnen umgehen kann. Das geschieht bei mir mit spontaner Selbstironie. Doch Shun entkräftet die eigentliche Wirkung mit einem Schlag, indem er für das bestehende Problem einen Lösungsweg vorgibt, den er in verständnisvolle Worte packt, die mich mehr beruhigen als meine Notlösung der Ironie es je gekonnt hätte. Mag es die Situation sein oder sein Wesen aber ich glaube er ist der erste Mensch, der mir gegenüber so darauf reagiert. Ich erinnere mich an ein müdes, mitleidiges Lächeln aber es ist mir nicht möglich es zuzuordnen. Leise seufze ich. Shun schiebt den Rollstuhl an mein Bett und ich lasse mir von ihm hinein helfen. Trotz seines zerbrechlich wirkenden Äußeren ist sein Griff an meinem Arm fest und kontrolliert bugsiert er mich in das fahrende Gestell. Meine Beine sind zittrig und ich spüre ein Gefühl der Hilflosigkeit in mir aufkommen, das ich in dieser Form bis dahin nicht gekannt habe. Der Wunsch so schnell wie möglich in ein normales Leben zurückzukehren erreicht durch dieses Gefühl einen noch höheren Stellenwert. Ich werde durch den langen Krankenhausflur geschoben und stelle fest, dass mein Zimmer den Abschluss der Station gebildet hat. Wie schon zuvor schimmern die Wände in sterilem weiß. Zwischen den Türen sind Bilder an den Wandflächen angebracht, die die Atmosphäre mit ihren meist bunten Farben ein wenig auflockern. Nur die zwei vordersten Zimmer sind nicht durch eine Wand verborgen. Statt dem Weiß ziert eine Glasscheibe die Stelle, sodass ich einen Blick auf das Innere erhaschen kann. Die Räume sind größer als es mein Zimmer gewesen ist und beherbergen drei Betten und das doppelte an Geräten. „Dort sind Komapatienten zur Überwachung untergebracht“, erklärt mir Shun. Er muss meine neugierigen Blicke bemerkt haben. Etwas verlegen reibe ich mir den Nacken. Doch ich stelle keine weiteren Fragen und Shun belässt es bei der knappen Erklärung. Vor uns öffnet sich eine automatische Türe und ich werde an einer Sitzgelegenheit und dem angrenzenden Aufzug vorbei in den nächsten Flur geschoben. An einigen Türen leuchten die Lämpchen rot. Die schwarzen Schriftzeichen auf den Namensschildern huschen an mir vorbei wie Rußmännchen. Mir gefällt die Mischung aus roten Lichtern und schwarzen Rußmännchen nicht. Ich überlege ob ich jemals an dem Bett eines Komapatienten gesessen hatte. Soweit mein Erinnerungsvermögen zurückreicht, kann ich mich an keinen Fall erinnern. Doch jetzt spüre ich das Verlangen danach sehr deutlich. Wie fühlt es sich an, einen Menschen Tag für Tag in schlafendem Zustand zu sehen? Insgeheim hege ich wohl den Wunsch mich selbst dadurch klarer wahrzunehmen. Ich muss einen Schritt in Richtung Zukunft gehen und für den Moment einen Neuanfang wagen. Und so möchte ich damit beginnen. Es bietet mit die perfekte Konstante. Shun öffnet die vorletzte Zimmertüre. Ich lehne mich vor und presse meine Handfläche gegen das Holz, damit Shun mich leichter in den Raum schieben kann. Rechts in der Bucht neben mir ist ein Waschbecken angebracht. Gegenüber davon führt eine Tür zur Toilette. Ich seufze. Es ist ein Doppelzimmer. Beide Betten sind unangetastet und wie schon zuvor prangt mir ein steriles Weiß entgegen. „Möchtest du am Fenster liegen?“, fragt Shun als wir in der Mitte des Zimmers stehen. Ich sehe von dem einem Bett zum anderen und nicke schließlich. „Ist das andere Bett denn nicht belegt?“ Shun stellt den Rollstuhl samt meinem Gewicht neben dem Bett ab und lässt die Rädersicherung einrasten. „Nein. Du hast den Luxus dir deine Schlafstätte selbst aussuchen zu können.“ Er sieht mich lächelnd an und in seinen braunen Augen funkelt der Schalk. Diese Regung gefällt mir. Ich hatte darauf gewartet. Shun hatte versprochen, mich am Nachmittag in den Klinikgarten mitzunehmen, doch es regnet als er mein Zimmer betritt. „Das wird wohl nichts“, sage ich und wende die Räder des Rollstuhls um 180 Grad. „Sieht nicht so aus als würde es bald aufhören.“ „Wahrscheinlich nicht. Möchtest du in den Aufenthaltsraum?“ Ich denke einen Moment darüber nach. „Kann ich noch mal auf die andere Station?“, frage ich schließlich. „Was willst du denn dort?“ Shun blinzelt einige Male überrascht. Ich suche nach Worten, wie ich Shun eine gute Begründung liefern kann, doch als er merkt wie ich um eine Erklärung ringe, nimmt er den Griff meines Rollstuhls und fährt mich auf den Gang hinaus. „Danke“, sage ich. „Weil es regnet“, meint er. Wir legen denselben Weg, den wir heute Morgen schon einmal gegangen waren, zurück. Vorbei an einigen Schwestern bugsiert Shun mich sicher zu der automatischen Glastüre. „Bleib nicht zu lange. Morgen hast du Physiotherapie.“ Ich drehe den Kopf zu ihm und blicke ihn, die Stirn runzelnd, an. „Muskelaufbau. Anordnung des Oberarztes“, erklärt er, „Das ist ein wenig so wie Sport im Fitnessstudio.“ „Ich hasse Sport.“ Shun lacht. Seit heute Morgen erscheint er mir lockerer als in der Nacht zuvor. Das rechteckige Fenster, doppelt so groß wie das Panoramafenster eines Wohnmobiles, ist geriffelt mit kleinen Vierecken, die mir keine vollkommen klare Sicht lassen, aber genug um alles erkennen zu können. Meine Aufmerksamkeit gilt nicht den Geräten, die über und neben den Betten ihren Platz haben und nicht den Schlafenden in diesem Raum, sondern einer Person, die den Kopf in die Hände gestützt, neben einem der Betten ausharrt. Ich sitze ebenso regungslos in meinem Rollstuhl und sehe durch das Glas in den Raum, wie der Mann sein Gesicht in den Händen vergraben hat und in die Dunkelheit blickt. Ich bin mit dem Vorhaben hierher gekommen, den Raum zu betreten und die Hand eines der Komapatienten zu halten. Ich habe nicht damit gerechnet einen Angehörigen anzutreffen. Niemand verbietet mir trotz seiner Anwesenheit hineinzugehen. Sicherlich würde er nicht einmal groß Notiz von mir nehmen. Doch die Art wie er dort sitzt, in sich zusammen gesunken, lässt mich Zögern. Ich fühle mich wie ein Spion, ein Heuchler, der um seinen inneren Frieden wiederherzustellen, das Leid eines anderen ausnutzt. „Möchtest du rein?“ Erschrocken sehe ich auf. Ein junger Mann, kleiner als ich selbst und mit schulterlangem Haar, das ihm wellig bis auf die Schultern fällt, hat die Türe neben mir unbemerkt geöffnet. Er sieht mich auffordernd an, als ich ihm nicht antworte. Einen Rückzieher will ich nicht machen. Ich gebe mir einen Ruck und nicke. Er tritt in den Raum und hält mir die Türe auf. Dankbar lächele ich und rolle mich in den Dreibettraum. Mein Herz pocht aufgeregt, während ich mich orientierungslos umsehe. Ein wenig hektisch rolle ich mich zu dem Bett auf der anderen Seite und versuche meine zitternden Hände zu verbergen, indem ich sie in meinem Schoß vergrabe. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich traue mich nicht aufzusehen und blicke stumm auf den Menschen vor mir. Eine Frau im mittleren Alter liegt vor mir unter einer weißen Krankenhausdecke. Sie sieht friedlich aus und ich muss an das Märchen von Dornröschen denken. Hatte schon jemand versucht sie wach zu küssen? Meine Finger zucken leicht. Die Anwesenheit der beiden Männer macht mit nervös. Ob Giru meine Hand gehalten hatte, als ich so tief schlief? Ich presse die Lippen zu einem Strich zusammen. Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, doch es kann kein schlechtes Gefühl gewesen sein. Ich sammele mich. Zittrig lege ich meine Hand auf die der Frau. Sie fühlt sich gar nicht so kalt an wie ich es erwartet hatte. Ein Gefühl der Erleichterung überfällt mich. Ich habe den ersten Schritt getan. „Lass uns gehen“, höre ich den jungen Mann neben mir leise reden. Ich hebe den Kopf und beobachte die beiden aus den Augenwinkeln. Die Hand des Mannes, der mit mir das Zimmer betreten hatte, ruht auf der Schulter des anderen. Ich bemerke wie seine Finger sich anspannen, den Sitzenden dazu drängen aufzustehen. Dieser hatte den Kopf gehoben. Leichte Ringe zeichnen sich unter seinen Augen ab und seine Gesichtszüge wirken müde. Das Aufstehen schien ihn Kraft zu kosten. Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass die seelischen Wunden noch nicht ansatzweise vernarbt sind. Sein Freund sieht auf den Schlafenden, bevor er den müden Mann am Arm fasste. Sein Blick wirkt traurig und gequält, doch dann lächelt er mir zu. „Auf Wiedersehen“, sagt er. Seine Stimme hat einen tiefen, ruhigen Klang. Ich erröte ertappt, senke den Kopf und deute eine Verbeugung an. Sein Freund würdigt mich keines Blickes. Die Jalousien an der Zimmertüre scheppern leise als er die Türe schließt und beide aus meinem Blickfeld verschwinden. Ich halte die Hand der fremden Frau noch immer umfasst, doch mein Blick ruht auf dem jungen Mann in dem Bett gegenüber. Er muss in meinem Alter sein, überlege ich. Er hat ein hübsches Gesicht. Blasse Haut und volle Lippen. Wie lange er wohl schon schlief? Mit dem Daumen streichle ich über den Handrücken der Frau. Ich fragte mich, ob es ihnen wohl auch so ergehen würde wie mir, wenn sie aufwachen sollten. Ob ihre Erinnerung ebenso verblasst ist wie meine. Ich strich mir mit dem Handrücken über die Augen. Wie sehr wünsche ich mir, dass meine Eltern hier sein könnten. Nur damit ich etwas Halt finden und ein Gefühl der Zugehörigkeit spüren kann. Wieder sehe ich mich schaukelnd auf dem Spielplatz vor den Hochhäusern. Mutters sanfte Hände verliehen mir Flügel und ich schaukelte höher und höher. Ich lachte, warf den Kopf in den Nacken und sah in den wolkenblauen Himmel. Das Haar wehte mir ins Gesicht und der Luftzug trieb mir Tränen in die Augen. Meine Augen brennen und ich muss einige Male blinzeln bis ich wieder klar sehe. Überrascht weite ich die Augen und zweifele an meinem Aufmerksamkeitsvermögen als ich Satsuki erkenne, der vor mir in der Hocke sitzt. „Ich hab dich gesucht“, sagt er sanft und versucht mit den Augen meinen Blick einzufangen. Ich weiß nicht wie lange ich hier sitze und in Gedanken versunken war, doch draußen es dämmert bereits. „Was machst du hier?“ Ich fühle mich ausgeliefert wie ein kleines Kind, dass dabei erwischt wurde, aus Nachbars Garten Kirschen zu stibitzen. Ich glaube nicht, dass ich bei Satsuki ohne eine Erklärung davon komme, doch ich schaffe es nicht zu antworten. Stattdessen frage ich ihn, ob sie mich hören kann. Er blinzelt verwundert. „Ist es nicht ungewöhnlich, dass mir jemand, der schon einmal so tief geschlafen hat, solch eine Frage stellt?“ Er spricht leise, aber forschend. Ich bin froh, dass er sich so gewählt ausdrückt. Als ich nichts erwidere, spricht er weiter. „Hast du mich denn gehört als du schliefst?“ Ich sehe ihn hilflos an, suche nach einer Antwort. „Ich bin mir nicht sicher“, sage ich schließlich. „Ich mir auch nicht.“ Er lächelt leicht. „Aber das schließt die Möglichkeit mit ein, dass du mich in dem Moment gehört hast. Versuch es. Nakagawa-san freut sich sicherlich.“ Mein Blick schweift zu der Patientin. Erst jetzt merke ich, dass ich ihre Hand noch immer halte. Mittlerweile fühlt sich meine Handfläche schwitzig an. Ich räuspere mich. „Guten Abend Nakagawa-san“, beginne ich, „Ich hoffe Sie sind mir nicht böse, dass ich mich einfach ungefragt an ihr Bett gesetzt habe. Mein Name ist Jui Kitamura. Ich bin 23 Jahre alt und studiere Philosophie in Kyoto. Ich kann mich nicht erinnern, weshalb ich in dieses Krankenhaus kam. Bis vor kurzem habe ich noch so tief geschlafen wie Sie. Ich werde mein Bestes geben um mich zu erinnern und vielleicht kann ich Ihnen bald mehr über mich erzählen.“ Ich senke meine Lider. Hinter diesen Worten steckt eine klaffende, schwarze Lücke, die es zu füllen gilt. Die Schwärze macht mir Angst. Satsuki nimmt mich in den Arm. Ich weine. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)