Somewhere von -Amalthea- ================================================================================ Kapitel 3: Flackern ------------------- Am nächsten Tag verließen Go und Taki den Zug in einem Kleinstädtchen, ein halb verschlafenes Nest an der Westküste. Sie sollten in einem Hotel übernachten, das nur zwanzig Minuten vom Bahnhof entfernt war, also beschlossen sie, nach der langen Fahrt zu Fuß zu gehen. Taki sah Go die ganze Zeit nicht an. „Warum dieser Ort?“ fragte Taki nach einigen schweigsamen Minuten. „Die meisten Mitglieder dieser Bande schienen sich hier niedergelassen zu haben. Oder hierher verdrückt,“ spöttelte Go. „Eine sehr einfache, aber wirksame Methode, um die Ermittlungen in und um Tokyo im Sand verlaufen zu lassen.“ „Weißt du näheres?“ „Eine kleine Gruppe von gewissenlosen Idioten, die dachten, sie könnten den großen Reibach machen, indem sie die verhasste Firma unter Druck setzen. Fast Dilettanten. Wahrscheinlich hätten sie nichts auf die Reihe gebracht, wenn ihnen nicht ein begnadeter Bastler wie Itsuki begegnet wäre, der zufällig das gleiche Ziel hatte. Ihr einziger geschickter Zug war der, ihren Sitz hierher zu verlagern und ihre Aktionen in Tokyo von hier aus zu koordinieren. Hatozaki und seine Leute haben Monate gebraucht, um die Spuren hierher zurück zu verfolgen.“ Go wusste, dass er seinem Partner zuviel zumutete. Aber er fühlte auch, dass er dieses Schweigen nicht mehr lange ertragen würde. Schließlich erreichten sie ein Hotel in Strandnähe. Wenn sie zum Urlaub hergekommen wären, wäre der Ort schön dafür geeignet gewesen, aber so war daran nicht zu denken. Nun gut, davon abgesehen, dass es fast Winter war und das Wasser zum Baden zu kalt. Außer ihnen waren nur wenige Gäste da. Nach dem Einchecken zog sich Taki sofort zurück. Go stand noch eine Minute lang auf dem Flur und sah auf die Tür, hinter der sich sein Partner zurückgezogen hatte. Allmählich fragte er sich, ob er wirklich in die normale Welt zurückgekehrt war. Oder ob er sich geirrt hatte und nicht er fort gewesen war, sondern Taki. Sein Geliebter, sein kühler aber sonst fürsorglicher Partner, den er jetzt kaum wiedererkannte. Der Tag verlief schweigend und ohne Vorkommnisse; von Hatozaki war noch keinerlei nähere Information erfolgt. Go versuchte einmal, Taki fast zum Reden zu zwingen, aber der wandte sich ab. Allmählich wurde Go wütend; aber er wusste aus Erfahrung, dass er mit Gewalt bei seinem Partner nichts erreichte. Den Rest des Tages schlichen sie umeinander herum und versuchten, die Nähe des anderen zu vermeiden. Am Abend saß Taki im Aufenthaltsraum des Hotels. An der einen Seite war der Kamin, an der anderen eine kleine Bar, die jetzt aber nicht bedient wurde, an den anderen große Fenstertüren, von denen man das Meer sah. Draußen nieselte es, der Himmel war grau und es wurde um diese Uhrzeit schon recht kalt, darum hatten die Angestellten ein kleines Feuer angeschürt. Er saß mit übereinander geschlagenen Beinen in einem der Sessel, ein halbvolles Glas Rotwein auf dem Tischchen neben sich, und starrte, in Gedanken verloren, in die knisternden Flammen. Langsam schlug sein Herz wieder in einem normaleren Rhythmus. Am schlimmsten waren für ihn in den vergangenen Monaten die Schuldgefühle gewesen. Es war so vieles unausgesprochen geblieben, und ihm war nicht bewusst gewesen, ob es bei dieser einen Nacht bleiben oder ob sie mehr bedeuten würde. Immer wieder hatte er sich gefragt, warum er so lange gezögert hatte, seinem Partner eine Chance zu geben. Er kannte die Antwort: er war einfach noch nicht so weit gewesen. Erst als er Go für tot halten musste, quälte er sich immer wieder mit dem Gedanken, dass es seine Schuld gewesen war, wenn ihnen so wenige gemeinsame Augenblicke geblieben waren. Taki hörte ein Geräusch und sah sich um. Go. Natürlich. So leicht gab er nicht auf. Taki seufzte innerlich. Er konnte nicht ewig davonlaufen, auch wenn er es am liebsten getan hätte. Go war kein Mensch, der es einem leicht machte, vor sich selbst zu fliehen. Der Dunkelhaarige war vor ihm in die Hocke gegangen, stützte sich mit einem Knie am Boden ab. Sein Blick war sanfter als sonst. Er wollte zu Taki durchdringen, und dazu würde er alles an Einfühlungsvermögen aufbringen, das ihm nur möglich war. Nach einem Augenblick legte er seine rechte Hand legte leicht auf die von Taki, die auf dessen Oberschenkel war. Die Geste brachte Taki dazu, sein Gegenüber anzusehen. Nein, mehr Nähe konnte er nicht zulassen. Nach einer kurzen Weile löste er seine Hand unter Go’s hervor. „Taki... Kann ich mit dir reden?“ Keine Antwort, nur Taki’s Fingerspitzen legten sich, sehr leicht, wieder über Go’s. „Ich war nicht mehr beim Nataki-Gebäude, als es hochging.“ Eine Weile war es still. Schließlich zwang sich Taki, dem Blick seines Partners nicht mehr auszuweichen und die Frage zu stellen, die unvermeidlich war. „Was... ist passiert?“ „Dieser Mistkerl von Itsuki hat mich durchschaut. Er hat mich zur Seite gestoßen und als die Bombe gleich darauf detonierte, hat er mir in dem Durcheinander etwas auf den Kopf geschlagen. Dann hat er mich verschleppt, er wollte wissen, wie viel ich herausgefunden hatte. Ich war dann ein paar Tage... zu Gast... bei Yamada und einigen seiner Komplizen.“ Taki hörte die altbekannte Spöttelei in Go’s Stimme. „Wie...?“ „Ich war durch den Schlag auf den Kopf nur halb bei Bewusstsein, bekam nichts mehr mit. War allein und dämmerte vor mich hin. Bis der Hausmeister des Gebäudes auftauchte. Er wusste nicht, wer diese Typen waren, sie hatten ihn erpresst, um die Wohnung eine Zeitlang nutzen zu können. Danach wollte er einfach wieder normal vermieten. Aber anstatt einer Leiche fand er mich... Er hat jemanden alarmiert, sie haben mich ins Krankenhaus geschafft und dort bin ich in ein Koma gefallen. Anständiger Kerl, hat mich danach noch ein paar Mal im Krankenhaus besucht und mir erzählt, was er wusste.“ „Das kann nicht alles sein.“ Taki atmete durch, zwang sich, den anderen anzusehen, auch wenn er immer noch das Gefühl hatte, einen Geist vor sich zu haben. „Warum hast du dich nicht gemeldet? Diese ganzen Monate...“ Das ganze war wieder seine Schuld gewesen. Er hatte sich von seinen Gedanken ablenken lassen, hatte einen Augenblick nicht aufgepasst. Er hatte nicht mitbekommen, wie sein Partner verschleppt wurde, weil er... in Gedanken woanders gewesen war. Taki stand auf, ging zu einer der Fenstertüren, drehte Go dabei den Rücken zu. „Was verschweigst du?“ „Taki...“ Go schnaubte, stand auf und starrte nun selbst in die Flammen. Da war noch etwas, aber daran wollte er sich nicht erinnern. Was machte es für einen Sinn, jetzt noch alles auszugraben? „Es war nicht deine Schuld. Wir haben nur observiert, mehr sollten wir nicht. Wer sollte ahnen, dass in diesem verfluchten Moment alles in die Luft fliegt?“ „Gott...“ Taki atmete erschöpft aus. Schon einmal war Go schwer verwundet worden, weil er sich nicht genau an ihren Plan gehalten und statt dessen vor sich hin geträumt hatte. Und dieses hier war viel schlimmer. „Also gut. Sie haben mich einfach liegen gelassen, als sie abgehauen sind... sagten, dass ich ohnehin bald verrecken würde, weil sie meine Kopfverletzung nicht verbunden hatten. Sie haben auf alle Arten versucht, etwas aus mir herauszubekommen. Aber ich war wohl zäher, als sie dachten.“ Eine kurze Erklärung, aber Taki konnte zwischen den Worten hören. Er wusste, dass das bedeutete, dass der Dunkelhaarige stunden-, vielleicht sogar tagelang gefoltert worden war. Dem Blonden lief ein Schaudern durch den ganzen Körper. „Lass es gut sein, Taki. Es ist vorbei.“ Go’s Stimme war fast zornig. Dann beruhigte er sich wieder etwas, legte eine Hand an den Kaminsims und sprach weiter, diesmal etwas leiser. „Als ich im Krankenhaus war, waren meine Kleider halb zerfetzt, auch mein Gesicht hatte was abbekommen. Den Ohrring müssen sie mir sofort abgenommen haben, um mich zu verarzten. Er war verkohlt und als ich danach gefragt habe, wusste niemand, wo er hingekommen war. Der Sender war wohl längst nicht mehr funktionsfähig.“ Das war klar genug. Offiziell waren sie beide Diebe, hatten Strafregister und ihre Personalausweise waren nicht sauber, weswegen sie diese auch nie bei sich hatten. Wenn sich einmal einer von ihnen schwerer verletzte, wurde er von einem Bekannten von Tsunega behandelt, der Arzt war und Privatzimmer hatte, aber wie er das arrangierte oder bezahlte, hatten sie nie genauer erfahren. Die Explosion des Nataki-Gebäudes war für alle ein Schock gewesen. Niemand hatte daran gedacht, in den folgenden Tagen die „offiziellen“ Krankenhäuser nach Verwundeten abzusuchen oder Go’s Lage anhand des Ohrrings zu orten. Es hatte auch niemand daran gedacht, dass Go die nähere Umgebung des Gebäudes verlassen haben könnte. „Ich bin erst nach über vier Monaten wieder zu mir gekommen. Unser Gesundheitswesen ist wirklich großzügig, dass es so einen no name so lange am Leben gehalten hat.“ Ein Anflug der alten Frechheit in Go’s Augen. „Ich war völlig verwirrt, wusste meinen eigenen Namen nicht mehr. Erst nach vier Wochen war mein Hirn halbwegs wieder hergestellt.“ Go’s Stimme wurde heiser. „Du warst der erste, der mir wieder einfiel. Aus der Presse wusste ich, dass der Fall noch immer heiß diskutiert wird und die Öffentlichkeit Angst hat vor weiteren Anschlägen. Mir wurde schnell klar, dass ich dich gefährde, wenn ich dich kontaktiere. Ich habe zum Glück Hatozaki erreicht. Er hat gesagt, dass ich in Deckung bleiben soll und er sofort zu mir kommt.“ „Und dann hat er diese Zugfahrt arrangiert.“ Taki’s Stimme war fast ausdruckslos. „Ja. Es tut mir leid, dass ich dich so erschreckt habe... Ich war ein paar Wagen weiter, sollte warten und dich erst in der Nacht sehen, wenn alle schlafen würden. Aber ich hab’s nicht mehr ausgehalten.“ Go hielt es auch jetzt nicht mehr aus. Er ging die wenigen Schritte, die ihn von Taki trennten, schlang von hinten die Arme um ihn und zog ihn an sich. Taki zuckte zusammen und wendete das Gesicht ab. Es war lange her, dass ihm jemand körperlich nahe gekommen war. „Taki...“ Go’s Stimme klang verletzt. „Du hast dich verändert. Ich dachte... du wärst froh, dass... ich wieder da bin.“ „Natürlich freut mich das.“ „Warum bist du dann...“ Go konnte an Taki nicht herankommen, das spürte er deutlich. Unvermittelt drückte er ihm ein paar Küsse auf den Nacken. Leicht, dann heftiger. „Ich habe mich nicht geändert. Und... das... hat sich auch nicht geändert.“ Taki nahm Go’s Hände von seiner Taille, hielt sie einen Moment länger als notwendig. Drehte sich um, sah ihn aber nicht direkt an. „Ich...“ fing er an. Abrupt schwieg er aber wieder. „Wir sehen uns morgen,“ sagte er leise. Fast geräuschlos verließ er den Raum und zog sich in sein Zimmer zurück. Hinterließ seinen Freund, der das Gefühl einer plötzlichen Leere in seiner Brust hatte. Über dem Meer ging langsam die Sonne unter. Taki stand lange am Fenster in seinem Zimmer, sah aufs Wasser, beobachtete, wie es sich rotgolden färbte, wie er es so oft in letzter Zeit getan hatte. Lange Zeit rührte er sich nicht. Es wurde dunkel. Langsam konnte er in Gedanken zurück - daran, bevor der Schmerz über ihn hereingebrochen war. Monatelang hatte er sich in sich selbst zurückgezogen, sich selbst betäubt, hatte die Erinnerung nicht ertragen können. ~~~~~ ...Du bist über mir liegen geblieben, und trotz deines Gewichts habe ich nichts dazu gesagt. Eine Weile lagen wir einfach da und warteten darauf, dass sich unser Herzschlag wieder beruhigte. Du hast deinen Körper schließlich so verlagert, dass du halb neben mir lagst, ein Knie noch zwischen meinen Beinen, so dass auch ich mich halb auf die Seite legen konnte. Dein Gesicht lag an meinem Hals, ich konnte deinen warmen Atem auf der Haut spüren. Ich war müde und fiel schließlich in einen Halbschlaf, in dem ich ein Gefühl hatte, als würden wir beide langsam ineinander zerfließen. Irgendwann bist du aufgestanden. Ich dachte zuerst, du würdest nicht bei mir bleiben wollen; aber du warst nur kurz ins Bad gegangen, um etwas zu holen, womit du uns etwas saubermachen konntest. Wir hatten noch die Spuren an unseren Körpern, die nun mal unvermeidlich sind, wenn zwei Männer miteinander schlafen. Wir haben beide geschwiegen, uns nur angelächelt. Fast verschwörerisch. Ich brachte es nicht heraus, dir zu sagen, dass ich glücklich war, aber ich glaube, du hast es gesehen. Danach hast du das obere Laken über mich gezogen, es war Sommer und wir schliefen nicht unter Decken. Ich spürte noch deinen Blick auf mir, während mir langsam die Augen zufielen. Ich weiß erst jetzt, warum ich mich so wohl fühlte. Ich vertraute dir. Was zwischen uns passiert war, hatte nur die Geborgenheit vertieft, die schon so lange da war. Und gleich darauf habe ich dich wieder enttäuscht. Noch einmal war auf mich kein Verlass. Immer wieder musst du wegen mir leiden. Ich kann nicht mehr... Wenn ich dich schon nicht glücklich machen kann, will ich wenigstens nicht, dass du wegen mir leidest. ~~~~~ Taki legte sich eine Hand an die Stirn, wischte über die Augen. Dann kamen ihm die Tränen. Das erste echte Gefühl nach so langer Zeit. Es fühlte sich an, als würde eine Kruste in ihm aufbrechen. Er sank in die Knie, Tränen liefen ihm übers Gesicht, nach einer Weile fing er an, hart zu schluchzen. Erschöpft fiel er schließlich auf das Bett und sank in einen tiefen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)