Küchengeflüster von Benjy ================================================================================ Kapitel 22: Eine kunterbunte Mischung zum Frühstück --------------------------------------------------- Die Küche war erfüllt vom Duft gekochten Kaffees und dem Liebesgeflüster zweier Personen, die eng umschlugen am großen Holztisch in der Mitte des Raumes lehnten. Kagerou spielte verliebt mit den kurzen Nackenhaaren seines Geliebten, der vor wenigen Augenblicken frisch geduscht in der Küche zum Frühstück erschienen war, und an dessen Lippen er nun berauscht klebte. Sein inneres Lächeln verschaffte sich unkontrolliert einen Weg nach außen, und störte Kia bei dessen Versuch, erneut die Zunge in seinem Mund verschwinden zu lassen. „Hey! Was soll das? Warum grinst du denn jetzt so? So kann ich dich nicht gescheit küssen…“ Motzend griff der ältere Mann bestimmend mit einer Hand nach dem Kinn des jüngeren, um diesen die Möglichkeit zu nehmen, sich lachend wegzudrehen. „Und jetzt auch noch über mich lachen!“ „Nnnn… Na-… Kia! Wa- warte!“, rief Kagerou atemlos, der kaum Luft holen konnte, da ihm der Mund seines Liebsten erneut gehörig zusetzte. „Jetzt wart’ doch mal bitte!“ Kia energisch von sich schiebend, befreite er sich aus der süßen Umarmung, und trat außer Reichweite der nach ihm schnappenden Arme. Lachend wandte Kagerou ihnen den Rücken zu, um an der Anrichte nach dem Tee zu sehen. Dieser zog nun schon drei Minuten länger als nötig. Shino, der sich für heute Morgen extra Tee von ihm gewünscht hatte, würde sich über seine Unachtsamkeit weniger freuen. Kagerou hoffte, dass sein ältester Mitbewohner darüber hinwegsah. „Wegen dem ollen Tee unterbrichst du unsere traute Zweisamkeit?!“ Theatralisch ließ sich Kia auf den nächstbesten Stuhl plumpsen. Ein freches Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Und ich dachte schon, du wolltest unsere schon beendete morgendliche Aktivität hier fortführen!“ „Eigentlich war es nicht der Tee, der mich gezwungen hat, unseren Kuss zu beenden. Der ist mir nämlich erst wieder in den Sinn gekommen, als mein Blick auf Shinos Teetasse auf dem Tisch fiel.“ „So? Und was hat dich nun so zum Lachen gebracht?“, maulte Kia noch immer beleidigt, der nach einem Apfel in der Obstschale griff. „Und jetzt sag nicht, mein kleines Missgeschick von heute Morgen.“, warf er mit vollem Mund hinterher. „Natürlich nicht! Wobei ich zugeben muss, dass das durchaus auch der Fall hätte sein können.“ Grinsend entsorgte Kagerou die Teebeutel. „Was dann?“ Überrascht sah er zu Kia rüber, dessen Stimme einen nachdenklichen Ton angenommen hatte. Er liebte diesen Klang. Leider kam er viel zu selten in den Genuss, ihn zu hören. Sein Geliebter benahm sich in seiner Gegenwart generell extrem ausgelassen. Manchmal beneidete er Kias Arbeitskollegen an der Uni, die dessen ernste Seite viel häufiger zu Gesicht bekamen. Nichtsdestotrotz wusste Kagerou zu schätzen, dass gerade diese ungezwungene Seite Kias einzig und allein ihm entgegengebracht wurde. Er konnte also damit leben, den ernsten Kia nur hin und wieder zu sehen. „Ich musste daran denken, wie glücklich ich bin. Das hat mich eigentlich zum Lächeln gebracht. Aber die Ausführung wurde durch deine forschen Lippen und deine Zunge behindert. So ist aus dem ursprünglichen Lächeln ein amüsiertes Lachen geworden.“ Den aufrichtigen Worten folgend, trat Kagerou mit dem dampfenden Teekessel zurück an den Tisch, und wurde dort von Kias betörtem Lächeln begrüßt. Dieser verfolgte aufmerksam jede seiner Bewegungen. „Wie du siehst, nichts Verwerfliches.“ „In der Tat. Für diese Worte könnte ich dich auf der Stelle flachlegen.“ Hellbraune Augen blitzten vergnügt auf, und ließen Kagerous Herz schneller schlagen. „Wow. Ich mach dir eine aufrichtige Liebeserklärung, und alles, woran du denken kannst, ist, wie du mich hier flachlegen kannst. Das enttäuscht mich jetzt schon ein wenig…“ Seufzend wollte Kagerou gerade Platz nehmen, als ihn das Geräusch der Klingel innehalten ließ. Er wandte seinen Blick zur Küchentür und fragte sich, wer zu so zeitiger Stunde hier auftauchen könnte. Für die Post war es definitiv noch zu früh. Während er noch darüber nachdachte, stand Kia auf und ging, scheinbar eine Antwort auf seine Gedanken suchend, zur Tür. „Setz dich ruhig hin. Ich sehe mal nach. Wenn ich wiederkomme, bekommst du eine leidenschaftliche Antwort auf deine Leibes- äh, Liebeserklärung.“ Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen trat Kia durch die Tür nach draußen. Kagerou starrte verblüfft auf die geschlossene Küchentür. „Eine leidenschaftliches Antwort also? Warum beunruhigt mich das jetzt mehr, als dass es mich freut…“ Er setzte sich wie befohlen an den Tisch, und sah zum breiten Küchenfenster hinaus. Es schien ein schöner Tag zu werden, denn der wolkenlose Morgenhimmel gab der Sonne freie Hand. Diese nutzte ihre Vormachtsstellung aus, indem sie ihre wärmenden Strahlen gönnerhaft überall verteilte, und so die Luft in die Küche angenehm erwärmte. Mit einen entzückten Seufzen schloss Kagerou die Augen und warte. „Entschuldige bitte die frühe Störung, aber ich muss unbedingt zu Kouya. Er ist doch da, oder?“ Kia streckte Hiroki dreist die Zunge raus, die dieser aber am anderen Ende der Sprechanlage nicht sehen konnte. Er fuhr sich unzufrieden, weil gestört in seiner Zweisamkeit mit Kagerou, mit einer Hand durch die kurzen Haare. „Ein junger Mann, der auf diesen Namen hört, wohnt hier tatsächlich. Wenn mich ni-“ „Kia, lass die Scherze. Lässt du mich nun rein, oder nicht?“, rief Hiroki verärgert, der Kia damit ins Wort fiel. „Ja ja, schon gut. Fang bloß nicht an zu heulen! Ich lass dich rein.“ Kia ließ den aufgebrachten Besucher nicht mehr zu Wort kommen, und drückte den Türöffner. Hiroki funkelte den beinah gleichgroßen Mann im Türrahmen wütend an. Die Entscheidung, heute Morgen noch vor der Arbeit nach Kouya sehen zu wollen, war ihm merklich schwer gefallen. Aber hätte er gewusst, dass er hier als erstes einem sarkastischen Kia über den Weg laufen würde, wäre ihm seine Entscheidung leichter gefallen. Dieser ein Jahr ältere Mann und Mitbewohner seines kleinen Bruders verhielt sich so abschreckend wie eh und je, so dass Hiroki wirklich Mühe hatte, sich zu beherrschen. „Danke.“, presste er lieblos über die Lippen. „Kein Ding. Weißt ja, wo sein Zimmer ist.“ „Ich denke schon.“ „Ah, und noch etwas. Vergiss nicht, die Schuhe auszuziehen.“ „Wa- was sollte das denn?!“, rief Hiroki empört und lauter als beabsichtigt. Er musste mit ansehen, wie Kia ihm elegant und ignorierend den Rücken zuwandte und in der Küche verschwand. Der Besucher schluckte die bissige Bemerkung die ihm auf der Zunge lag runter, und zog sich alleingelassen im Eingang die Schuhe aus. Sein Blick wanderte dabei links den Flur hinab, und blieb an Shinos Zimmertür hängen. Für einen Moment verspürte er das große Bedürfnis, Kouyas Angelegenheit einfach aus seinem Kopf zu stoßen, und stattdessen dem älteren Mann einen Überraschungsbesuch abzustatten. „Unmöglich…“ Kaum hörbar flüsternd und leicht enttäuscht, stellte er seine Schuhe ordentlich in die Reihe. Der Blick fiel dabei auf ein Paar Turnschuhe, das ihm bekannt vorkam, aber nicht seinem Bruder gehörte. „Yuus…“ Nachdenklich schritt Hiroki also rechts den Flur entlang zur ersten Tür neben der Küche, und blieb stehen. Sich innerlich zur Besonnenheit mahnend, hob er die Hand, nur um überrascht im nächsten Moment in der Bewegung innezuhalten. Zwei vergnügte Stimmen drangen gedämpft durch die Tür an sein Ohr. „Yuu! Du sollst das lassen!“ „Wieso? Du magst das doch.“ „Überhaupt nicht… Wie kommst du auf so-“ Hiroki hörte seinen Bruder vergnügt aufquietschen. Wenn sich Kouya heute Morgen in so offensichtlich guter Stimmung befand, kann an seinem geplanten Gespräch mit diesem nicht viel schief laufen. „Lediglich Yuu muss noch das Feld räumen…“ Ermutigt setzte erneut zum Klopfen an, aber Kouyas nächster Satz traf ihn absolut unvorbereitet. Er erstarrte. „Nimm deine Hand aus meiner Hose, und hör auf an meinem Ohr zu knabbern! Ich will endlich aufstehen…“ Seine Gedanken begannen zu rasen. Es fiel ihm schwer, dem Gehörten eine andere Assoziation zu verpassen, als die reinen Worte vermuten ließen. Hiroki presste unschlüssig die Lippen aufeinander. Ist Yuu diese geheimnisvolle Person, in die sein Bruder verliebt war? Das konnte nicht sein. Seit wann? Spielte keine Rolle. Wenn er ernsthaft über die beiden nachdachte, fiel ihm auf, dass sie, seit Kouya aus dem Ausland zurück war, auffallend viel Zeit miteinander verbrachten. Was auch erst einmal nicht weiter schlimm war, wie Hiroki zugab, denn schließlich waren sie alle seit klein auf befreundet. Aber dass DAS hier der Grund für diese Zweisamkeit war, hinterließ dann doch einen bitteren Geschmack. Hiroki blendete das Geplänkel der offenbar schwer Verliebten so gut es ging aus, und fuhr sich hilflos mit beiden Händen durch die kurzen Haare. Sein geplantes Gespräch konnte er jetzt vergessen. Kouyas Arbeit in der Videothek war bei weitem nicht so aufwühlend, wie es dessen Beziehung zu seinem besten Freund war. Er entschied sich für einen vorläufigen Rückzug, um sich mit der unerwarteten Entdeckung erst einmal anfreunden zu können. Geschlagen wandte sich Hiroki um, und ging zurück zur Eingangstür. Weit kam er aber nicht. Von der anderen Seite des Korridors starrten ihm verblüfft zwei dunkle Augen entgegen, die er nur allzu gut kannte. Er spürte sein Herz schneller schlagen. „Shino…“ Der Angesprochene humpelte auf Krücken lächelnd in Hirokis Richtung. An der Küchentür blieb Shino stehen und wartete darauf, dass sich der fassungslose Mann wieder in Bewegung setzte. „Warum so überrascht? Schon vergessen, dass ich auch hier wohne?“ „Na- natürlich nicht! Aber ich war mit den Gedanken wo anders…“, erwiderte Hiroki, als er vor dem Wartenden zum Stehen kam. „Kouya besucht?“ „Äh…ja, aber er scheint noch zu schlafen. Werde es später übers Handy probieren.“ Hiroki hoffte, dass es nur bei Shinos fragendem Blick blieb. Er hatte wirklich keine Lust, jetzt darüber zu reden. Schon gar nicht wollte er mit Shino über diese Angelegenheit sprechen. Wäre auch äußerst seltsam, sich über den männlichen Geliebten des Bruders aufzuregen, wenn die eigene Situation höchst fragwürdig war. „Ich werde mich dann mal wieder auf den Weg machen.“ „Bekomme ich keinen Begrüßungskuss?“, fragte Shino leise, der Hirokis Ankündigung völlig ignorierte. „Was?“ Kaum zu Ende gesprochen, trat Hiroki panisch einen Schritt zurück. Er befürchtete, dass sein jüngerer Bruder just in dem Moment das Zimmer verlassen würde, wenn er hier vorn naiv an Shinos süßen Lippen hing. Dem vorzubeugen, ist Distanz keine schlechte Idee, wie es ihm wahnwitzig durch den Kopf schoss. „Nur einer… Und dann kommst du noch kurz mit in die Küche, und trinkst einen Kaffee. Ja? Kia und Kagerou freuen sich bestimmt auch, dich zu sehen.“ „Klar, das glaube ich dir aufs Wort. Vor allem Kia, der mich eben vor der Tür stehen lassen wollte.“ „Ach was, nun komm schon. Oder soll ich Kouya von unserem Geheimnis erzählen?!“, flüsterte Shino, der mit seinem breiten Grinsen der Drohung die Schärfe nahm. „Das… Verdammt, Shino! Mir ist gerade nicht zum Spaßen zu Mute…“ „Warum?“ „Nicht so wichtig. Ein Kuss und ein Kaffee?! Das war die Abmachung, oder?“ Hiroki trat nervös auf den kleineren Mann zu. Sein Herz schlug schneller, als er seine Hände sanft um Shinos warme Wangen legte, und diesem einen flüchtigen Kuss auf die einladenden Lippen hauchte. „Ein bisschen mehr darf es ruhig sein!“ Protestierend zielte Shino mit einer Krücke nach Hirokis Schienbein. „Sind wir hier etwa bei ‚Wünsch dir was!’?“ Amüsiert und geschickt der Gehhilfe ausweichend, steuerte er erneut auf Shinos Lippen zu. Diesmal verweilte er länger auf ihnen. Als besonderen Nachschlag öffnete Hiroki sogar kurz seinen Mund, so dass sich ihre Zungen für einen Moment treffen konnten. Die Gedanken um Kouya rückten dabei für ein paar Sekunden in weite Ferne. „Das sollte jetzt aber genügen.“ „Nicht, wenn ich meine untere Körperhälfte fragen würde.“, raunte Shino entzückt, der sich suchend mit der Zunge über den Mund fuhr, um so die letzten Reste von Hirokis süßen Lippen zu erhaschen. „Aber wir sollten wirklich besser in die Küche gehen…“ Kia starrte missmutig über den Tisch rüber zu Hiroki, der sich gerade von Shino eine Tasse von Kagerous gekochtem Kaffee einschenken ließ. Er verzog den Mund. Als wenn es nicht schon genug wäre, dass der Bruder ihres jüngsten Mitbewohners so plötzlich am frühen Morgen hier in der WG auftauchen musste, setzte Hiroki dem sogar noch eins auf, indem sich dieser ungeniert zum Frühstück einladen ließ. Kia schnalzte missbilligend mit der Zunge, und ließ seine Augen zu Kagerou wandern. Sein Geliebter beobachtete die beiden Hinzugekommenen mit einem fragenden Gesichtsausdruck, dem etwas überraschend Ernstes anhaftete. Machte sich sein Liebster etwa Sorgen um das Liebesleben von Shino? Er hoffte nicht. Und wenn doch, was konnte Kagerou schon groß dagegen machen, dass sich ihr Freund eine tickende Zeitbombe ins Bett geholt hatte – sofern sie schon da angekommen waren. Aber Kia musste zugeben, dass die Geheimniskrämerei der Satō-Brüder äußerst amüsant war. Außerdem musste er sich nun keine Gedanken mehr über Hirokis anfängliche Bewunderung Kagerou gegenüber machen. Einen Verehrer mehr, den er von seiner Liste streichen konnte. Was ihn aber nicht davon abhielt, diesen weiterhin zu ärgern. „Wolltest du nicht zu Kouya?“, fragte er spöttisch und musste mit ansehen, wie Hiroki bei seinen Worten plötzlich den frisch eingeschenkten Kaffee verschüttete – Kagerous liebevoll gekochten Kaffee, über dessen liebevoll gedeckten Frühstückstisch, wie es Kia idiotisch durch den Kopf schoss. „Woah, alles okay, Hiroki?! Warte, ich hole einen Lappen.“ Mit diesen Worten sprang zu Kias Verärgerung nun auch noch Kagerou auf, der sich den Lappen von der Spüle schnappte, und zurück zum Tisch kam. „Verbrüht hast du dich aber nicht, oder?“ Die mitfühlenden Worte seinen Liebsten sorgten dafür, dass Kia Hiroki dafür am liebsten den Rest des Kaffees über dessen andere Hand geschüttet hätte. „Äh… Nein, alles in Ordnung. Tut mir leid wegen dem Kaffee.“, murmelte Hiroki verschämt. „Ach was, ist ja noch welcher da! Außerdem kann ich neuen kochen.“ Kagerou winkte besänftigend ab. Während er den Tisch säuberte, sah er fragend zu Shino, aber dieser zuckte lediglich als Antwort kaum merklich mit den Schultern. Wieder Platz genommen, wanderte sein Blick zu Kia, der Hiroki unverhohlen anfunkelte. Kagerou rollte innerlich mit den Augen. Sein Liebster hatte seit dessen Ankunft schlechte Laune, die dieser zum Leidwesen aller nicht nur für sich behielt. Kagerou ging davon aus, dass die zynische Attacke gegen den frühen Besucher am heutigen Morgen nicht die letzte gewesen war. Er seufzte lautlos, und schob den Unleidlichen aus seinen Gedanken. Stattdessen sah er neugierig zu Kias auserkorenem Opfer, das dabei war, die halbvolle Tasse selbst wieder bis zum Rand mit neuem Kaffee aufzufüllen. Das leichte Zittern der Hände entging Kagerou nicht und er fragte sich, was den älteren Mann so aus der Ruhe brachte. An Shinos Gegenwart konnte es nicht liegen, denn deren Umgang schien entspannt und vertraulich. Und er glaubte auch nicht, dass es an Kia lag, der für Hirokis Unruhe sorgte. Da blieb als letzte Möglichkeit nur ihr jüngster Mitbewohner, der bis jetzt noch nicht in der Küche zum Frühstück erschien war. Kagerou fiel es schwer einzuschätzen, ob Kouyas Anwesenheit Hiroki beruhigen oder dessen erkennbare Unruhe verschlimmern würde. Was er aber mit Bestimmtheit sagen konnte, war, dass sein Freund definitiv Spaß bei diesem Aufeinandertreffen hätte. Und dieses Wissen ließ ihn wünschen, dass Kouya erst hier auftauchte, wenn Hiroki die WG längst wieder verlassen hatte. Kagerou warf zwischen all den Gedanken einen strafenden Blick auf Kia, der ihm mit spottsüchtiger Miene entgegen sah. Sein Geliebter war unverbesserlich. Mit diesem Verhalten bestätigte dieser einmal mehr, wie gut er ihn bereits kannte. Kagerou musste lächeln, und verursachte damit für einen Moment Verunsicherung, die sich deutlich auf dem Gesicht seines Geliebten zeigte. Er zwinkerte diesem neckisch zu, bevor er sich an Shino wandte. Ein Blick auf den älteren Mann reichte aus, um zu sagen, dass dieser es offensichtlich genoss, Hiroki zu so früher Stunde sehen zu können. Kagerou beobachtete, wie Shino betört jeder Bewegung des jungen Mannes mit den Augen folgte. Es war schier unmöglich zu denken, dass zwischen den beiden nichts laufen würde. Dennoch umgab sich ihr ältester Mitbewohner mit Schweigen, das ohne Zweifel als Rücksichtnahme auf Hiroki gedeutet werde konnte. Kagerou griff neugierig nach seiner Tasse. „Wie geht es deinem Fuß?“ Shino sah auf. „Erstaunlich gut, wenn ich bedenke, dass er gestern die ein oder andere schmerzhafte Erschütterung erleben musste.“ Er lächelte Kagerou an. „Es wird besser. Aber ich bin es inzwischen ziemlich leid, die Krücken benutzen zu müssen.“ Während die duftenden Teeschwaden aus der Teetasse in seiner Hand stetig emporstiegen, und ihn dabei sanft in der Nase kitzelten, drangen aus dem Flur zwei vergnügte Stimmen an sein Ohr, die sich der Küche näherten. Shino blickte von Kagerou neugierig zur Tür. Aber nicht nur er, denn Kagerou, Kia und Hiroki, der ein wenig blass um die Nase geworden war, hatten sich ebenfalls erwartungsvoll der Küchentür zugewandt. Diese öffnete sich einen Moment später, und gab den Blick auf zwei vergnügte Menschen frei, deren sorgenlose Mienen sofort verschwanden, als sie den Besucher am Tisch entdeckten. Kouya nahm rasch Abstand von Yuu. Der wiederum, grüßte befangen in die Runde. „Euch auch einen Guten Morgen! Ich habe gar nicht mitbekommen, dass Yuu hier übernachtet hat.“ Kia begrüßte beide mit übertriebener Verwunderung. „War das Gästebett bequem?“ Kouya lief rot an, während Yuu hingegen alle Farbe verlor. Gleiches konnte Kia beim Seitenblick auf Hiroki beobachten, der sich inzwischen erhoben hatte. Sein umtriebenes Lächeln wurde breiter. „Ich werde dann mal gehen.“ Hiroki sprach genau die Worte aus, die Kia erwartet hatte. „Was! Schon? Du hast dir doch gerade erst wieder die Tasse aufgefüllt! Die solltest du wenigstens austrinken. Wäre doch schade um Kagerous Mühe beim Kochen!“ Kia starrte Hiroki förmlich zurück auf dessen Stuhl, und geizte nicht damit, allen sein unheilvolles Grinsen zu zeigen. Dieses verwandelte sich einen Augenblick später in ein schmerzhaftes, denn Kagerou trat ihm gehörig vors Schienbein. „Nun setzt euch erst einmal. Und du auch, Hiroki. Was wollt ihr trinken?“ Während Kagerou erneut aufstand, um frischen Tee und Kaffee zuzubereiten, suchten sich Yuu und Kouya mit unsicheren Mienen Plätze am großen Küchentisch. Hiroki hingegen schien noch einen Moment zu zögern, bevor er wieder Platz nahm und es tunlichst vermied, in Richtung seines Bruders zu schauen. Er konnte Shinos fragenden Blick auf sich spüren, war aber nicht in der Lage, dem älteren Mann jetzt noch unbedarft in die Augen zu sehen. Nicht, solange sich Kouya in der Nähe aufhielt. Ein kurzer Blick auf Yuu, der sich neben ihn gesetzt hatte, erinnerte ihn an die mitgehörte Unterhaltung. Dieser Gedanke sorgte dafür, dass für einen flüchtigen Augenblick unbändige Wut in ihm aufstieg. Diese zog ihre Kraft zum einen aus der Tatsache, dass es sein bester Freund nicht fertiggebracht hatte, ihm von der Sache mit Kouya zu erzählen. Zugleich gewann der Zorn auch aus dem Gefühl der Unzulänglichkeit heraus an Kraft, welches er verspürte, wenn er an die eigene Situation mit Shino dachte. Eigentlich war diese verfahrene Situation beinah wieder amüsant. Dennoch sorgte sie aber dafür, dass sich Hiroki äußerst unnatürlich benahm, und Kouya nicht lange brauchen würde, dies zu bemerken. Der ältere Bruder musste also unter allen Umständen innerlich zur Ruhe kommen, um wenigstens eine halbwegs typische Unterhaltung mit Kouya führen zu können. Die, wie er insgeheim hoffte, nicht sofort stattfinden würde. Aber das jüngste Mitglied der Familie Sato sah das anders. Kouyas unverblümte Frage nach einer gefühlten Ewigkeit, ließ Hiroki schuldbewusst zusammenzucken. „Was machst du hier, Hi-chan?“ Der junge Mann, der sich neben Kagerous Platz am entgegengesetzten Ende des Tisches gesetzt hatte, starrte mürrisch zum älteren Bruder rüber, der es noch immer vermied, ihn anzusehen. „Willst du da weitermachen, wo du gestern aufgehört hast?“ „Wo hat er denn gestern aufgehört?“, hörte Kouya Kia interessiert dazwischen rufen. Er blickte verunsichert zu dem aufmerksamen Mitbewohner, der ihm neugierig in die grüngrauen Augen sah. „Ah, ist jetzt nicht weiter von Belang.“ Die ausweichende Antwort kam Kouya nur leise über die Lippen, den das Gefühl beschlich, dass sich sein Bruder äußerst seltsam benahm. Aber nicht nur dieser, auch Kia schien in höchst irritierender Laune zu sein. „Ich wollte nur nachsehen, ob du es inzwischen wieder aus Yuus Bad herausgeschafft hast.“ Der Ton der späten Antwort Hirokis, stand dem der Frage um nichts nach. „Da- also, das-“, stammelte Kouya verlegen, und starrte Hiroki mit einer Mischung aus Ärger und Unglauben an. Mit solch einer Reaktion hatte er nicht gerechnet. „Wie du siehst, habe ich es geschafft. Du ja anscheinend auch!“ Aufgebracht funkelte er zum anderen Ende des Tisches. Natürlich konnte niemand wissen, dass er mit seinem letzten Satz Hirokis Aufenthalt im Hinterzimmer der Videothek meinte. Auch der Betreffender selbst nicht, denn dieser blickte ihn nur verständnislos an. Lediglich Shino zog für den Bruchteil einer Sekunde überraschend die Augenbrauen nach oben, was Kouya aber nicht bemerkte. „Ich werde Shino nach wie vor helfen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“ „Ach darum geht´s… Hi-chan hat also noch immer ein Problem damit, dass der kleine Bruder in der beliebten Szene-Videothek aushilft!“, warf Kia süffisant dazwischen. „Ich weiß zwar nicht, wovon du redest, Ya-chan, aber ich bin eigentlich hierher gekommen, um mit dir in Ruhe zu reden.“ „Danach sieht es für mich aber nicht aus.“ „Und woran machst du das jetzt fest? An der einen unangebrachten Bemerkung? Oder generell an der Tatsache, dass ich das Bedürfnis hatte, die Sache so schnell wie möglich klären zu wollen? Vor allem nach der Sache bei Yuu gestern...“ Kouya musterte Hiroki genauer. Sein Bruder hatte sich ihm jetzt vollends zugewandt, und die anfängliche Unsicherheit, die er bei diesem noch gespürt hatte, war verschwunden. Dessen Gesicht strahlte nun die vertraute Ruhe aus, die sich auch in den dunkelgrauen Augen widerspiegelte. Kouya seufzte und ließ sich nicht nur von Hirokis wiedererlangter Besonnenheit anstecken. Er selbst wollte diese Angelegenheit nicht auf diese hässliche Art zu Ende bringen, schon gar nicht vor den Augen der anderen. „Entschuldige, auch wegen gestern, aber mein Entschluss steht fest. Ich hoffe einfach, dass du das respektieren kannst.“ Während er sprach, warf er einen kurzen Blick auf Yuu. Dieser lächelte ihm ermutigend zu. Gern hätte er sich jetzt Luft verschafft, und Hiroki endlich von der Sache mit Yuu erzählt, um vielleicht im Gegenzug etwas von dessen Angelegenheit mit Shino zu erfahren. Aber ihm war klar, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür war. Der Grund, warum sein Bruder, und wohl weniger Shino, schwiegen, ähnelte wohl sehr dem seinen. Wobei außer Frage stand, dass der älteste Mitbewohner und Yuu mit aufgedeckten Karten weitaus weniger Schwierigkeiten hätten, als sie beide. Eigentlich war es auch ziemlich dumm, nicht darüber zu sprechen. Kouya kam sich ziemlich unreif vor. Eine Beziehung führen zu wollen, war ja schön und gut. Aber nicht in der Lage zu sein, auch selbstbewusst mit dieser umgehen zu können, disqualifizierte ihn im Grunde schon wieder. „Mach, was du für richtig hältst.“ Diese völlig unerwarteten Worte überraschten Kouya. Sein Bruder leerte die Tasse und sah versöhnlich zu ihm rüber. „Wie laaaaaaaaaaaangweilig… Ich dachte, uns würde eine viel längere und spannendere Auseinandersetzung bevorstehen.“ „Tut mir fast schon leid, dich enttäuschen zu müssen, Kia. Aber vielleicht kannst DU ja weiter für Unterhaltung sorgen. Darin bist du doch eh unschlagbar.“, entgegnete Hiroki arrogant, der keine Lust hatte, sein friedfertiges Verhalten auch auf Kia auszuweiten. Sein Blick fiel auf Kagerou, der ihm erst ein breites Grinsen schenkte, bevor dieser in schallendes Gelächter ausbrach. Kagerou wischte sich eine Träne weg, und war weit davon entfernt, sich wieder zu beruhigen. Kia funkelte ihn beleidigt an. Das Lachen wurde lauter, und erfüllte auf ansteckende Weise die sonnendurchflutete Küche. Kouya, Yuu und Shino stimmten unterschiedlich stark mit ein. Lediglich Hiroki beließ es bei einem selbstzufriedenen Grinsen. „Schön, dass ihr euch alle einig seid, was meine Qualitäten als Entertainer betrifft. Ich fühle mich auf´s Tiefste geehrt, und lasse euch natürlich an meinem Ruhm teilhaben, sofern ihr nicht vorher vor Lachen umkommt!“ „Ach komm schon, Kia! Kein Grund SO beleidigt zu sein!“ Kagerou stupste Kouya neben sich unauffällig an, um diesen auf Kias missglückten Versuch eine verächtliche Miene aufzusetzen, aufmerksam zu machen. Ihr Lachen vereinte sich erneut, und verschluckte so für einen Moment das Geräusch der Klingel. „Oh? Noch mehr Besuch?“ Lachend erhob sich Kagerou. „Soll ich nicht lieber gehen? Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass du in deinem Zustand in der Lage bist, einen zusammenhängenden Satz hervorzubringen. Obwohl, für ein HALLO und WER IST DA dürfte es gerade noch reichen…“ „Danke, aber es geht schon, Kia!“, rief Kagerou grinsend. Sein Geliebter genoss es in der Tat, den Alleinunterhalter zu spielen. „Eß lieber noch ein Schokobrötchen. Ist gut für die Nerven!“ Mit diesen Worten steuerte Kagerou dem zweiten Klingeln entgegen, das leiser wurde, als sich die Tür zum Flur wieder schloss. Ruhe breitete sich aus, und Shino hieß diese freundlich willkommen. Über den Rand seiner runden Brille wanderte nicht nur sein Blick zu Hiroki – auch seine Gedanken waren angefüllt mit Bildern jener Person. Sein Liebhaber saß inzwischen viel entspannter neben ihm. Es schien, als hätte dieser das Selbstvertrauen wiedergefunden, was zu Beginn unauffindbar gewesen war. Er lächelte, als der Mann ihn für einen Moment ansah. Hirokis Wangen zeigten eine kaum wahrnehmbare Röte, die sich bis zu dessen Ohren erstreckte. Ob dies ein Zeichen der Zuneigung in seine Richtung war, fiel Shino schwer einzuschätzen. Immerhin hatte sich Hiroki vor wenigen Minuten noch in einer hitzigen Debatte mit Kouya und dem Spaßvogel Kia befunden. Aber das leidenschaftliche Funkeln in den dunkelgrauen Augen war eindeutig, und ließ sein Herz höher schlagen. Er riss sich los, und sah nach vorn zu Kouya, der sich gerade mit Kia rumärgern musste. Dieser war der Meinung, dem jüngeren Mitbewohner die zweite Hälfte des tatsächlich geschmierten Schokobrötchens anbieten zu müssen, damit auch Kouya seinen Nerven süße Nahrung verschaffte. Ein Blick auf Yuu zeigte ihm, dass dieser von Kias Aktion weniger erfreut war. Lächelnd griff Shino nach seiner Teetasse und genoss seine Position des Allwissenden. Während er einen Schluck des bitteren Grünen Tees nahm, öffnete sich die Küchentür. Shino blickte neugierig auf, und sah Kagerou mit einem seltsamen Gesichtsausdruck eintreten. Der zweitjüngste ihrer WG war aber nicht allein. Ihm folgte eine weitere Person, deren attraktives Lächeln für Entsetzen sorgte. „Besser kann es doch jetzt eigentlich nicht mehr werden…“, murmelte Shino vergnügt, der Takashi grüßend zunickte. *~*~*~*~*~* Fertig, aber auch irgendwie nicht wirklich… Hallo Ihr Lieben! Ihr habt Euch gerade durch das vorerst letzte Kapitel von ‚Küchengeflüster’ gequält. Vielen Dank! Tja, es hat in der Küche mit Kia und Kagerou begonnen, und es endet dort erst einmal wieder. Einziger Unterschied: die beiden sind um einige Erfahrungen und einen Mitbewohner reicher und jetzt eben nicht allein. Küche wegen Überfüllung geschlossen! – könnte nun durchaus als Warnhinweis an der Haustür der WG stehen. Ich schreibe absichtlich etwas von vorerst, weil diese Geschichte noch nicht abgeschlossen ist. Was Ihr Euch vielleicht auch schon selber gedacht habt, denn schließlich scheint da noch einiges zu fehlen. Richtig! Es kann ja nicht sein, dass wir mehr wissen, als die Protagonisten selbst: Hiroki weiß von Kouya. Kouya weiß über Hiroki Bescheid. Aber beide wissen nicht, dass es der andere vom anderen auch schon längst weiß. Das muss sich natürlich ändern. Ach ja, Takashi und der ehemalige Schulfreund von Hiroki dürfen bei dem ganzen Wirrwarr auch nicht fehlen. All die offenen Enden werden also in ‚Küchengeflüster II’ miteinander verknotet, so dass es allen Beteiligten (Leser_innen, Protagonisten und Autorin selbst) zum Schluss ein verliebtes Lächeln auf die Lippen zaubern wird…hoffentlich. Bevor ich aber mit dem zweiten Teil der Geschichte anfangen werde, muss ich erst einmal dafür sorgen, dass sich weitere Leser_innen nicht ebenfalls durch die Kapitel quälen müssen. Für Euch, die es bis hierher geschafft haben, gibt es einen Kniefall von mir und das Versprechen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Ich werde also alle Kapitel überarbeiten, und dies als Übung für die noch ausstehende Geschichte nutzen. Und hoffe, dass ich Euch in Zukunft nicht mehr mit abschreckenden Dialogen à la …, sagte er, …, entgegnete Shino …, meinte Yuu quälen werde. Ich gelobe Besserung! In diesem Sinne nochmals vielen lieben Dank fürs Lesen, Kommentieren und Favorisieren… Zwitscherling Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)