Küchengeflüster von Benjy ================================================================================ Kapitel 19: Leidenschaftliche Ernüchterung ------------------------------------------ Hiroki blickte fasziniert in den Badespiegel und beobachtete Shino, der sich die langen schwarzen Haare mit dem Föhn trocknete. Dieser saß dabei auf einem Stuhl, und hatte den verletzten Fuß, der wegen des vorangegangenen Duschens noch immer in einer bunten Plastiktüte steckte, hoch auf den Toilettensitz gelegt. Shino war mit einem grauen Bademantel bekleidet, den er ziemlich sorglos um die Hüfte zusammengebunden hatte, und dieser daher mehr offenbarte als verbarg – allein das hochgelegte Bein sorgte für einen spektakulären Einblick. Hiroki musste sich zurückhalten, um nicht ein weiteres Mal über Shino herzufallen. Er schloss seufzend seine Augen, und versuchte sich auf das Trockenrubbeln seiner nassen Haare zu konzentrieren, aber es war zwecklos. Seine Gedanken wanderten ungewollt zu den gemeinsam verbrachten Stunden zurück. Hiroki konnte noch immer nicht glauben, dass er tatsächlich mit Shino geschlafen hatte – und das nicht nur einmal. Denn vor mehr als einer halben Stunde waren er und Shino mit der Absicht dem Bett entstiegen, endlich die Spuren ihrer insgesamt dreimal wiederholten leidenschaftlichen Aktivität zu beseitigen, nur um dann festzustellen, dass sie dazu es erst einmal nicht kommen würden. Schuld daran war das Badezimmer, das auf seine sonderbare Weise erneut ihre Lust aufeinander entfachte, und sie so vorerst den alten Spuren neue hinzufügten, bevor letztendlich warmes Wasser und Seife ihre gegenseitig erhaltenen Liebeszeugnisse verschwinden ließen. Die Tatsache, dass Shino älter und erfahrener war als er, verursachte ihm ein mulmiges Gefühl. Hiroki brauchte nur an ihr erstes Mal zu denken, um sich Shinos Erfahrungsvorsprung vor Augen zu führen. Er wusste freilich nicht, wie es Shino empfunden hatte, aber er hätte an gewissen Stellen einfach im Boden versinken können – noch nie hatte er während des Liebesspiels so unglaublich viel geredet. Hiroki wusste zwar, dass sie nicht drum herumgekommen wären, denn schließlich hatte er vorher noch nie mit einem Menschen auf diese Weise geschlafen, und brauchte daher notgedrungen bestimmte Anweisungen. Dennoch ließ ihn der Gedanke daran beschämt aufstöhnen und er hoffte, dass Shino es ihm nachsah. Immerhin konnte Hiroki von sich behaupten, wenigstens im zweiten, dritten sowie vierten Akt gepunktet zu haben, denn er wusste, dass er alles andere als eine langsame Auffassungsgabe besaß. Aber die große, alles entscheidende Frage, die ihn jetzt mehr als nur aufwühlte, war, wie es nun weitergehen würde. Hiroki hatte einer zwanglosen Affäre mit Shino bereitwillig zugestimmt. Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass er diesem völlig ausgeliefert war. Shinos verschlossene Art ließ die ganze Angelegenheit noch fragwürdiger erscheinen. Zudem befürchtete Hiroki, dass diesem die heutige „untere Position“ nicht genügte. Er verdrängte daher vehement jeden Gedanken daran, dass Shino darauf spekulierte, irgendwann seinen Allerwertesten entjungfern zu können. „Meine Unterhose steht dir! Vielleicht etwas eng...“ Shinos belustigte Stimme ließ Hiroki überrascht aufhorchen. Er hatte in seinem gedankenverlorenen Zustand nicht bemerkt, dass Shino mit dem Föhnen fertig war, und ihm einen erwartungsvollen Blick durch den Spiegel zuwarf. Hiroki begegnete Shinos Blick und spürte, dass seine Wangen augenblicklich zu glühen begannen. Er sah, dass Shino amüsiert die Augenbrauen hochzog. „Deinem Gesicht nach zu urteilen, musst du ja eben äußerst unanständige Gedanken gehabt haben, oder sehe ich das falsch?“, neckte Shino, der sich wackelig vom Stuhl erhob, und nach den beiden Krücken griff, die neben ihm an der Wand lehnten. Er humpelte auf Hiroki zu, blieb dicht hinter diesem stehen, und ließ es sich nicht nehmen, ihn dabei die ganze Zeit mit Hilfe des Spiegel, sowie ausgerüstet mit einem lasziven Lächeln im Gesicht, zu beobachten. Shino konnte sehen, dass die Röte in Hirokis Gesicht zunahm. „Hast du nicht etwas vergessen?“, meinte Shino, der sich Hirokis linker Schulter mit seinen Lippen näherte, und dort geräuschvoll einen Kuss platzierte. „Heeee...lass das!“, rief Hiroki entrüstet, der sich durch Shinos Geste ziemlich veräppelt vorkam. „Und was meinst du mit ‚etwas vergessen’!?“, warf er verunsichert hinterher. Hiroki drehte sich Shino zu, und nahm dabei etwas Abstand zu diesem ein. Er sah, dass dieser noch immer jenes unerhörte Grinsen auf den Lippen hatte. Genervt davon wollte Hiroki etwas entgegnen, aber Shino kam ihm zuvor. „Mein T-Shirt, was sonst! Ich habe dir extra farblich passend zur Unterhose ein T-Shirt rausgesucht. Schau! Es liegt noch immer achtlos neben dir auf der Kommode, wie unhöflich...“, erklärte Shino süffisant. „Oh! Äh, WAAAAS?! Spinnst du, mich deswegen so aufzuziehen! Kann dir doch egal sein, wann ich mir das T-Shirt anziehe!“, brüllte Hiroki schwer die Fassung wieder erlangend. Er warf Shino einen bösen Blick zu. „Ja, ja... Kein Grund, gleich so laut zu werden.“, sprach Shino besänftigend, der Hiroki gutgelaunt zuzwinkerte. Er bemerkte, dass dessen angespannte Haltung nachließ und beschloss, dessen Gemüt ein weiteres Mal anzustacheln. „Hiroki, würdest du mir einen Gefallen tun?“, fragte Shino charmant, der den argwöhnischen Blick von Hirokis dunkelgrauen Augen genoss. „Könntest du meinen Bademantel richtig schließen?“ Hiroki riss unmerklich die Augen auf und überlegte angestrengt, wie er diesem aufgedrehten, über alle Maßen attraktiven Mann den Wind aus den Segeln nehmen könnte, aber er kam zu keiner wirklich durchführbaren Lösung. Stattdessen warf er seufzend das Handtuch neben sich auf die Kommode, und blickte verlierend in Shinos glänzende schwarze Augen. „Wieso bin ich nicht von selbst darauf gekommen...“, murmelte Hiroki ergeben. Er trat auf Shino zu, griff nach dessen Bademantel, wickelte diesen geschickt um den dargebotenen Körper, und fixierte ihn zum Schluss mit Hilfe des Gürtels. Während seiner Tätigkeit versuchte Hiroki nicht, Shino auch nur annährend ins Gesicht zu schauen. Er musste zugeben, dass das kein leichtes Unterfangen war, denn sein Gegenüber war nur wenige Zentimeter kleiner, und hielt zudem die ganze Zeit die Augen fest auf ihn gerichtet. Hiroki konnte förmlich Shinos musternden Blick fühlen. Er trat, nachdem er seine Arbeit beendet hatte, einen Schritt zurück, und überprüfte anschließend sein Werk. „Gar nicht mal schlecht, dafür, dass ich so etwas seit Jahren bei keiner anderen Person mehr gemacht habe! Wenn ich mich recht erinnere, dann war es Kouyas Kinderbademantel, den ich zuletzt zugebunden habe. Ah, das weckt Erinnerungen...“, schwärmte Hiroki, der sich plötzlich in Shinos Augen wiederfand. Dieser sah ihn fragenden an. „So?“ Hiroki starrte mit neu entfachtem Verlangen zurück. „So...“, sprach Hiroki leiser werdend, während er erneut nach vorne trat, sanft Shinos Gesicht mit beiden Händen umfasste, und einen Moment später seiner Lippen auf dessen legte. Shino öffnete berauscht seine Augen. Hirokis Küsse wurden mit jeder Sekunde leidenschaftlicher, und er hatte insgeheim nichts dagegen, dass dieser ihrem vierten einen fünften Akt hinzufügen würde, aber er wurde enttäuscht. Nach einem ausgiebigen, letzten tiefen Kuss zog sich Hiroki überraschend zurück, wie es Shino erschien, durchaus widerwillig, und sah ihn entschuldigend an. „Ich sollte das T-Shirt anziehen.“, presste Hiroki erregt zwischen seinen feucht glänzenden Lippen hervor. Shino hätte aufgrund der Situationskomik durchaus laut loslachen können. Da ihn Hirokis Anblick aber so sehr fesselte, tat er es nicht. Er ließ seinen Blick von dessen weichen Lippen, seitlich über die leicht geröteten Wangen hoch zu dessen Augen wandern, die ihm aufgewühlt entgegen sahen. Das handtuchtrockene, leicht gelockte Haar fiel ihm zersaust in die Stirn, an deren Spitzen sich noch immer das Wasser zu kleinen Tropfen sammelte. Shino lächelte entzückt. Neugierig überlegte er, ob Hiroki sich eigentlich seiner ungeheuren Anziehungskraft bewusst war, und wie vielen Menschen dieser bereits den Kopf damit verdreht hatte. Auch wenn Shino die Zahl seiner letzten Überlegung nicht kannte, konnte er zumindest einen weiteren Menschen dazuzählen – nämlich sich selbst. Das äußerst rasante Tempo ihrer fortschreitenden „Beziehung“ ließ Shino unruhig werden. Er war sich bewusst, dass er derjenige war, der eine zwanglose Affäre vorgeschlagen hatte – natürlich mit dem Wunsch, dass sie sich zu einer ernsthaften Sache entwickelte. Aber was war, wenn Hiroki wirklich nichts weiter als eine Affäre mit ihm im Sinn hatte, und dieser sie aus heiterem Himmel einfach beendete? Konnte er das aushalten? Shino hatte ursprünglich vorgehabt, sich vorerst auf nichts und niemanden einzulassen, da sich die Nachwirkungen seiner letzten Beziehung noch nicht gesetzt hatten. Aber durch Kouyas Einzug, und dann folglich Hirokis Bekanntschaft, war sein Vorhaben ins Wanken geraten. Es war schon erstaunlich, wie schnell seine Neugier wieder entfacht wurde, und sich sein Eroberungswillen in den Vordergrund drängte. Er beschloss, Hiroki zu gegebener Zeit mit seinen Gedanken zu konfrontieren und wünschte sich, dass dieser einer ernsthaften Beziehung nicht abgeneigt war. Shino wusste, dass dieses Vorhaben kein einfaches sein würde – vor allem für Hiroki. Der müsste sich nämlich früher oder später zumindest vor seinem Bruder outen. Dieser Gedanke zauberte ihm ein belustigtes Lächeln ins Gesicht. Er konnte sich die beiden Brüder dabei richtig gut vorstellen. Kouya, der auf der einen Seite froh wäre, endlich seine hochgefahrene Mauer Hiroki gegenüber wieder einreißen zu können. Lediglich mit dem kleinen Nebeneffekt versehen, dass er seinem Bruder gestehen müsste, dass sein Liebhaber gleichzeitig dessen bester Freund war. Und Hiroki, der offensichtlich ein Auge auf Kagerou geworfen hatte, aber gleichzeitig seinen Bruder vor dessen Freundes Homosexualität beschützen wollte, und zum Schluss selbst mit dem dritten Mitbewohner ins Bett hüpfte. Das verhieß eine Menge Spaß. „Ich sollte mich mal langsam losmachen. Deine Mitbewohner werden wohl bald eintrudeln. Ehrlich gesagt, ich finde den Gedanken nicht so prickelnd, dass sie mich hier so spät noch vorfin-“ Hiroki wurde durch Shinos schallendes Gelächter unterbrochen. Er sah irritiert zu Shino rüber, während dieser ihm eine entschuldigende Handgeste schenkte. „Tse.. Tu dir keinen Zwang an! Ich geh mich dann mal anziehen...“, erklärte Hiroki empört, der anschließend zur Badetür lief. Er öffnete sie, aber trat nicht sofort hinaus. Stattdessen kam er zurück, und griff elegant nach dem T-Shirt. „Das T-Shirt. Ganz wichtig, wie mir gesagt wurde.“ Shino prustete erneut los. Er sah, dass sich Hirokis Gesichtsfarbe unheilvoll verfärbte, und versuchte sich zusammenzureißen. Lachend fragte er diesen, ob er vorher noch etwas Warmes zum Trinken zubereiten sollte. „Nur, wenn der Kellner ein besseres Benehmen vorweisen kann als du!“, antwortete Hiroki bissig, der t-shirtüberstreifend das Bad verließ. Shino sah ihm verblüfft hinterher. „Ganz wie Sie wünschen...“, sprach Shino leise, der sich verliebt auf den Weg in die Küche machte. Kia sah verärgert in den Rückspiegel. Hinter ihm saß sein Geliebter, der sich angeregt mit ihrem neuen Mitbewohner unterhielt, und dabei stur jede seiner Fragen ignorierte. „Komm schon, Ka-chan! Du kannst doch nicht ernsthaft sauer auf mich sein, nur weil dieser dämliche Arsch von Ex-Freund der Meinung war, mich in meinem abgefüllten Zustand nach Ya-chans Telefonnummer auszuquetschen! Mich trifft keine Schuld! Wirklich! Du solltest mal eher danach fragen, warum ich mich so abgefüllt habe!“, flehte Kia übertrieben, der das Auto inzwischen durch Häuserschluchten steuerte. „Ich mein, ich bin doch der, der einfach sitzen gelassen wurde! Mir müsstest du dein Mitgefühl schenken...“, verteidigte sich Kia, der den Wagen an einer roten Ampel stoppte. „Kia... Könntest du einfach mal den Mund halten? Wir klären das später, also krieg dich wieder ein. Denk lieber mal darüber nach, wie du Kouya vor Kaitos Avancen schützen kannst. Obwohl, eigentlich ist das ja Yuus Auf-“ Kouya, der stillschweigend der Unterhaltung gelauscht hatte, sah für einen Moment nach vorn zu Yuu, der stumm aus dem Fenster blickte, bevor er Kagerou beherzt ins Wort fiel. „Das ist schon in Ordnung, Kagerou! Ich bin alt genug, um die Sache selbst zu klären. Also streitet bitte nicht wegen so etwas Unbedeutendem!“ „Das ist ganz und gar nicht unbedeutend, Kouya! Es geht hier ums Prinzip! Ich habe keine Lust, dass mein Freund auf noch dümmere Gedanken kommt, wenn er mal wieder betrunken ist! Nun, nicht, dass das etwas völlig Neues für mich wäre... Egal. Wir tragen eine gewisse Verantwortung, denn schließlich hättest du Kaito ohne uns wohl nicht kennengelernt.“, entgegnete Kagerou entschieden, der es sich nicht verkneifen konnte, unsanft sein Knie in die Rückseite von Kias Sitz zu bohren. „Wirklich, es ist schon okay.“, meinte Kouya etwas beschämt, der hoffte, dass der Name Kaito kein weiteres Mal fiel – vor allem in Hinblick auf Yuu, der gerade ganz schlecht auf diesen zu sprechen war. Seufzend wandte er seinen Blick nach draußen, und ließ die letzten Stunden Revue passieren. Nachdem er und Yuu nach einem ermüdenden Marsch durch den Wald, der einige Überraschungen geboten hatte, endlich am Kletterfelsen ankamen, Kaito sich von ihnen verabschiedete, war es irgendwie dazu gekommen, dass er zu einem späteren Zeitpunkt mit genau diesem als Sicherung am Boden an der Wand hing. Wenn er jetzt so drüber nachdachte, musste er zugeben, dass es eine ganz blöde Idee gewesen war, und er sich innerlich dafür ohrfeigte, dem Drängen des älteren Mannes nachgegeben zu haben. Die Situation war aber auch zu verfahren gewesen. Während er nämlich gemeinsam mit Kagerou Yuu und Kia am Felsen beobachtete, und der ältere Mitbewohner ihm einiges über die Theorie und Praxis des Kletterns anhand von Yuus überraschend guter Vorführung erklärte, war plötzlich Kaito bei ihnen aufgetaucht. Dieser lud sich einfach ungefragt auf die Decke ein und begann, Yuus Klettern und Kias Absichern zu kommentieren – die beiden kamen dabei nicht besonders gut weg. Er war erstaunt darüber, dass Kagerou die ganze Zeit gelassen neben ihm gesessen hatte, und jeden unangebrachten Kommentar von Kaito ernsthaft hinterfragte. Er hatte bemerkt, dass dieses Spielchen dem ungewollten Gast großen Spaß bereitete, und befürchtete deshalb, dass auf Dauer selbst dem unerschütterlich erscheinenden Kagerou irgendwann der Geduldsfaden reißen würde und beschloss daher, Kaito auf eigene Faust abzulenken. Aber dazu war es letzten Endes nicht gekommen – zumindest nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte, denn Kaito wechselte unerwartet von allein das Thema. Leider war auch das neue nicht besser als das alte. Im Grunde war es sogar noch schlimmer gewesen, denn Kaito war nun der Meinung, er müsste ihn unbedingt körperlich von seinem Können überzeugen. Und das hatte nichts anderes bedeutet, als gemeinsam zu klettern. Im ersten Moment war er über dieses Angebot entzückt gewesen, denn wie oft würde er schon in die Lage kommen, von einer modelnden Berühmtheit am Felsen eine exklusive Kletterstunde zu erhalten. Im nächsten Augenblick aber war ihm Yuu durch den Kopf geschossen, so dass er das Angebot dankend abgelehnt hatte. Leider hatte sich Kaito nicht so schnell abspeisen lassen. Dieser hatte ihn unermüdlich weiter gedrängt. Selbst Kagerou, der sich irgendwann unterstützend eingemischt hatte, konnte Kaito nicht in seinem Vorhaben bremsen. Es war dann sogar soweit gegangen, dass sich Kagerou und Kaito ernsthaft in die Haare bekommen hatten. Grund dafür war wohl weniger das abgelehnte Kletterangebot, als deren vergangenen nicht aufgearbeiteten Konflikte gewesen. Zum Schluss hatte er dem Ganzen ein Ende bereitet, indem er das Angebot letztlich doch annahm, und Kaito schweren Herzens zum Felsen gefolgt war. Auf seinem Weg dorthin hatte er es eisern vermieden, rüber zu Yuu an die Wand zu blicken. Er hatte nicht wissen wollen, was dieser von den Entwicklungen am Boden hielt. Insgeheim hatte er gehofft, dass er noch vor Yuu zurückkommen würde, und diesem somit den Anblick ersparen könnte, aber zu dem war es nicht gekommen. Zum einen angesichts Kaitos übertriebener Langsamkeit, da es sich dieser nicht hatte nehmen lassen, ihn ein weiteres Mal in die Grundkenntnisse einzuführen. Und zum anderen wegen Yuu selbst, da dieser mit der eigenen Kletterrunde schneller als erwartet fertig gewesen war. Als er dann endlich aus den Fängen des attraktiven älteren Mannes entwischen konnte, erwartete ihn auf der Decke ein unerwartet gleichgültiger Yuu, der vorgab, keinerlei Schwierigkeiten mit seinem Ausflug gehabt zu haben schien. Dennoch hatte er die ganze Zeit über das Gefühl gehabt, dass Yuu innerlich brodelte, und es nur ein falsches Wort brauchte, um diesen zum Ausbruch zu bringen. Dieser kam dann tatsächlich, aber nicht so, wie er es vermutet hätte. Yuu unterrichtete ihn zu einem späteren Zeitpunkt, dass er nun doch nicht mehr, wie eigentlich abgemacht war, mit zu ihm in die WG kommen würde, sondern lieber nach Hause fahren wollte. Das kam einem Schlag ins Gesicht gleich. Von diesem Moment an hatte er Bauchschmerzen gehabt. Seit Stunden überlegte er nun schon, wie er die Angelegenheit mit Yuu am besten klären konnte, ohne diesen dabei in ein weiteres Gefühlschaos zu stoßen, aber er war bisher zu keiner Lösung gekommen. Eigentlich konnte er das auch nicht, denn Yuu war für seine Gefühle und dem Umgang mit ihnen selbst verantwortlich. Alles war er tun konnte, war, mit seinem Geliebten ein aufrichtiges Gespräch zu führen, um zum einen gemeinsam über die eigenen Schwächen zu reden, sie zu akzeptieren, um sie dann gegebenenfalls zu Stärken auszubauen. Und zum anderen könnten sie an einer unerschütterlicheren Basis des gegenseitigen Vertrauens arbeiten. Er musste zugeben, dass das natürlich leichter gedacht als getan war, denn die veränderte Form ihrer Beziehung war schließlich neu für sie beide. Dazukam, dass sie bisher noch nicht den Mut gefunden hatten, offen mit ihr umzugehen. Allein der Gedanke an Hiroki sandte ihm einen unangenehmen Schauer über den Rücken. Er wusste, dass es sich früher oder später nicht mehr verheimlichen ließ. Dennoch, zum jetzigen Zeitpunkt war er für ein offenbarendes Gespräch mit seinem Bruder nicht bereit. Auch wenn er inzwischen spürte, dass die offene Art seiner Mitbewohner seine Unsicherheit positiv beeinflusste, und es daher Momente gab, wo er Hiroki am liebsten sofort angerufen hätte. „Kouya! ... Kouya? Alles in Ordnung?“ Kouya drehte hastig den Kopf in die Richtung, aus der er seinen Namen rufen hörte. „Äh...ja?“, meldete er sich irritiert zu Wort, und versuchte gleichzeitig seine vielen Gedanken zur Seite zu schieben. „Ist es in Ordnung, wenn wir dich an der Ecke absetzen? Kia und ich wollen noch rüber zu der Ausstellung fahren.“, fragte Kagerou, der Kouya einen besorgten Blick zuwarf. „Ja klar. Ich nehme an, die Ausstellung ist auch der Grund, warum ihr euch am Parkplatz umgezogen habt?!“, erwiderte Kouya neugierig, der seine Augen nach vorn zu Yuu wandern ließ. Dieser schwieg weiterhin. „Genau. Aber leider helfen auch frische Klamotten nicht gegen einen verschwitzten Körper. Ich hoffe einfach, dass es nicht mehr so voll sein wird, und Kia sich nicht mitten in eine Menschengruppe stellt!“, witzelte Kagerou, der Kouya ein breites Lächeln schenkte. „Ey Ka-chan! Noch so eine Bemerkung von dir, und du kannst dir die Farbkleckse allein ansehen!“, rief Kia empört, der das Gefühl hatte, dass sein Liebster keinerlei Lust hatte, ihm die Sache mit der Telefonnummer zu vergeben. Kouya blickte zu Kia, und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Während dieser weiter leise vor sich hingrummelte, klingelte unerwartet sein Telefon. Ihm stellten sich augenblicklich die Haare auf. Er flehte inständig, dass es nicht Kaito war, denn der hatte ihm beim Abschied einen Anruf versprochen, aber seine Gebete wurden nicht erhört. Kouya spielte einen Moment mit dem Gedanken, den Anruf einfach wegzudrücken, aber er konnte es nicht. Angespannt nahm er das Telefongespräch entgegen. „Ja? ... Hallo. ... Nein, noch nicht. ... Hm. ... Das ist keine so gute Idee! ... Äh? Was? Wie kommst du darauf? ... Ich sagte doch schon, dass das nicht geht. ... Nein, dennoch vielen Dank für heute. ... Ich muss jetzt aufhören. ... Ja. Wünsche ich auch. ... Werde ich machen. ... Hm. ... Tschüß.“ Kouya steckte seufzend sein Handy zurück in die Tasche, und wollte gerade die höchstwahrscheinlich unerwünschten Grüße von Kaito bestellen, als er Yuus Stimme hörte. „Kia, könntest du mich da vorn rauslassen?“, fragte dieser deprimiert. Kouya sah entsetzt zu Yuu. „Da vorn? Aber wolltest du nicht erst zwei Straßen weiter raus?“, entgegnete Kia irritiert, der begann, den Wagen seitlich an den Straßenrand zu steuern. „Nein, hier ist es okay.“, antwortete Yuu leise, der sich abschnallte, als der Wagen hielt. Er stieg sich verabschiedend aus, ohne Kouya dabei auch nur einen Blick zu schenken. Dieser sah seinem sich entfernenden Geliebten verzweifelt hinterher und wusste nicht, was er jetzt machen sollte. „Will noch jemand aussteigen, wo wir schon mal halten?!“, hörte Kouya Kia bedeutungsvoll fragen. Stille. „Ich glaub nicht...“, antwortete Kagerou leise, der Kouya dabei mitfühlend von der Seite ansah. Dieser sah gedankenverloren aus dem Fenster, und hatte seine Hände zu Fäusten geballt. Hiroki nahm seine leere Teetasse, wusch sie unter fließendem Wasser aus, und stellte sie anschließend zum Trocknen auf die Spüle. „Danke für den Tee, Shino. Der macht echt Lust auf mehr, aber ich sollte jetzt wirklich gehen.“, sprach Hiroki zufrieden, der einen prüfenden Blick aus dem Küchenfenster warf. Draußen war inzwischen die Dämmerung angebrochen, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die Dunkelheit völlig ausgebreitet hatte. Hiroki wandte sich um, und sah zu Shino rüber, der noch immer den Bademantel trug. Dieser schenkte sich gerade eine weitere Tasse Tee ein, und erwiderte verstehend seinen Blick. „Ich geh dann mal meine Sachen holen.“, erklärte er zwar entschieden, blickte aber dabei dem am Tisch sitzenden Mann unentschlossen in die Augen. Hiroki hatte das Gefühl, dass es ihm mit jeder Minute schwerer fallen würde, diesen Raum zu verlassen. Die vergangene halbe Stunde in der Küche hatte entspannend gewirkt – und das lag nicht nur am beruhigenden Tee. Er und Shino hatten den Großteil der Minuten einfach schweigend dagesessen, und die Anwesenheit des anderen genossen. Hiroki musste zugeben, dass er sich an solche Augenblicke gewöhnen könnte. Die Hochstimmung, die er dabei empfunden hatte, erinnerte ihn an seine ausschweifenden Tagträume, die während seinem letzten Jahr an der Oberstufe großen Raum in seinem Denken eingenommen hatten. Die Hauptrollen darin spielten natürlich niemand sonst als er und Hayato, sein heimlicher Star aus der Nachbarsklasse. In seinen Träumen waren sie ein Liebespaar gewesen, das, allen Blicken zum Trotz, offen mit den Gefühlen für einander umgegangen war, und dementsprechend die Leidenschaft in allen Zügen genossen hatte. Wenn er jetzt über diese Zeit nachdachte, dann war das, was er zurzeit mit Shino erlebte, um Längen besser. Im Grunde war das auch kein Wunder, denn die Sache mit dem drei Jahre älteren und höchst attraktiven Mitbewohner seines Bruders war real. Er fragte sich nur, was wohl geschehen wäre, wenn Hayato nach ihrem Abschluss die Stadt nicht verlassen hätte. Sein bis heute andauernder freundschaftlicher Kontakt zu diesem, und die gelegentlichen Verabredungen waren jedes Mal ein aufregendes Ereignis für ihn. Hayato hatte zwar in den vergangenen sechs Jahren nie die Grenze der Freundschaft überschritten, aber Hiroki war aufgefallen, dass sich sein alter Freund in letzter Zeit ihm gegenüber nicht mehr ganz so unbeschwert wie bisher verhielt – vor allem, wenn er an ihr letztes Treffen dachte. Bei diesem hatte Hayato ihm anvertraut, dass er wieder Single war, und als Grund dafür unterdrückte Gefühle für eine andere Person nannte. Hiroki hatte keine Ahnung, ob er mit dieser Person gemeint war, aber Hayato hatte ihm den ganzen Abend vielsagende Blicke zugeworfen, die ihn ein ums andere Mal gehörig verunsichert hatten. Leider hatte er nicht den Mut besessen, Hayato ganz direkt danach zu fragen. Eigentlich hatte er auch gar nicht mehr über die Möglichkeit nachgedacht, jemals mit seiner Jugendliebe zusammenzukommen. Er wusste auch gar nicht, ob er das noch wollte. Hayato war ihn seinen Augen nach wie vor äußerst attraktiv, und er musste zugeben, dass er ihn als Mensch mehr als respektierte. Aber was war mit Shino? Eine Affäre, sonst nichts, du Blödmann! Vielleicht sollte ich wirklich auf Hayato zugehen... Aber irgendwie fühlt sich das falsch an... Argh, kriege ich es denn noch gebacken?!? Hirokis verzweifelte Gedanken führten dazu, dass er sich mit beiden Händen bedrückt durch die Haare fuhr. „Lässt du mir deine Nummer da?“, fragte Shino unerwartet, der damit Hirokis gedankenverlorenen Zustand unterbrach. Dieser sah überlegend zu Shino. „Äh... Keine Ahnung, vielleicht erst einmal nicht?!“, entgegnete Hiroki unsicher, dessen Stimme dabei immer leiser wurde. Er fuhr sich ein weiteres zerknirscht durch die Haare, und schaute Shino entschuldigend an. Er glaubte, für einen Moment einen verletzten Ausdruck auf dessen Gesicht aufblitzen gesehen zu haben. Aber er konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, denn Shinos Gesicht wurde nun wieder von einem schelmischen Lächeln erhellt. „Dann werde ich also meine Unterhose und mein T-Shirt bei dir auf der Arbeit abholen müssen? Oder bringst du sie mir vielleicht in die Videothek? Dabei könnte ich dir nämlich gleich ein paar hilfreiche Filme ausleihen...“ Hiroki öffnete den Mund, aber wusste nicht, was er entgegnen sollte. Dieser Mann vor ihm war einfach unglaublich. „Hmmm... Ich könnte auch Kouya fragen, ob er sie mir mitbringt, wenn er von einem Besuch bei dir zurückkommt. Du musst es mir nur sagen.“, schlug Shino breit grinsend vor. „Ich kann natürlich nicht dafür garantieren, dass mir auf gewisse Fragen etwas rausrutscht...“ Shinos letzte Bemerkung ließ das Fass überlaufen, und ging somit in Hirokis entrüstetem Einwand unter. „Hey! Was soll das? Lass die Spielchen, Shino! Arbeit ist okay. Bring sie mir zur Arbeit, wenn du unbedingt musst! Aber kein Wort zu Kouya, hörst du!“ Hiroki starrte noch einen Moment aufgebracht in Shinos belustigte Augen, bevor er die Küche verließ. Als Hiroki Shinos Zimmer betrat, um nach seiner Wäsche zu suchen, fiel ihm wieder ein, dass sich dieser ja wegen seines verletzten Fußes schlecht bewegen konnte. Daran hatte er überhaupt nicht gedacht, als er diesem aufgebracht entgegengeschleudert hatte, die Sachen in seinem Büro an die Universität abzuholen. „Selbst schuld! Wieso musst du mich auch so aufziehen...“, murmelte Hiroki ärgerlich, der seine Klamotten in den Rucksack stopfte. Er überlegte einen Moment, und seufzte anschließend theatralisch. Er griff in eine Seitentasche, und beförderte seine Geldbörse zutage. Visitenkarten hatte er zwar keine dabei, aber ein alter Kassenzettel sollte voll und ganz den Zweck erfüllen. Auf diesen schrieb er seine Handynummer, und platzierte sie danach auf Shinos Kopfkissen. Hiroki schulterte seinen Rucksack, und ging zurück zur Tür. Er wandte sich noch einmal um, und blickte mit gemischten Gefühlen zurück zum Bett. Die darin verbrachten Stunden mit Shino waren atemberaubend gewesen. Dennoch, eine Affäre, das hatte Shino gesagt, nicht mehr. Seine Augen wanderten wehmütig zu seinem Zettel, verweilten dort für einen Augenblick, ehe er den Raum wieder verließ. „Was macht dein Fuß? Sind die Schmerzen wieder stärker geworden?“, wollte Hiroki aufrichtig wissen, der mitten im Aufbruch steckte. Er zog sich gerade die Schuhe im Flur an. Vor ihm befand sich Shino, der an der Wand lehnte, und dabei das Bein mit dem verletzten Fuß lässig über den Griff der linken Krücke hängen ließ. Nachdem Hiroki sich aufgerichtet hatte, blickte er zu Shino rüber, der ihn schon die ganze Zeit mit einem unbestimmten Ausdruck im Gesicht ansah. „Was?“, platzte es unbeabsichtigt laut aus Hiroki heraus, dem es zum Ende ihrer gemeinsamen Zeit heute immer schwerer fiel, sich seine Gelassenheit in Shinos Gegenwart zu bewahren. „Wenn du dir Sorgen machst, warum bleibst du dann nicht einfach hier, und lässt mich die ganze Nacht in den Genuss deiner heilenden Medizin kommen?“, entgegnete Shino spaßig, der sich insgeheim über Hirokis ernstgemeinte Frage freute. „Ich glaube nicht, dass es dir dann wirklich besser gehen würde!“, antwortete Hiroki spöttisch, der Shino dabei herausfordernd ansah. „So? Überschätzt du dich da nicht ein bisschen? Ich meine, ohne meine An-“ „Ja, ja! Ich geh dann mal lieber! Sonst rutscht mir noch etwas raus, was mir hinterher leidtut!“, knurrte Hiroki genervt Shino unterbrechend, der spürte, dass dieser damit seinen wunden Punkt getroffen hatte. Hiroki öffnete die Wohnungstür. „Bekomme ich keinen Abschiedskuss?“ Hiroki sah überrascht zu Shino, der ihn mit belustigt funkelnden Augen ansah, und erwog tatsächlich für einen Moment, diesen zu küssen, aber unterdrückte dieses Bedürfnis – vor allem in Hinsicht auf dessen stichelnde Bemerkungen. „Ne, lass mal. Wir müssen es auch nicht übertreiben, oder? Also, bis später!“ Hiroki zog entschieden dir Tür hinter sich zu, ohne Shinos Erwiderung abzuwarten, und marschierte mit großen Schritten zum Fahrstuhl. Kouya stand noch immer an der Straßenecke, an der Kia und Kagerou ihn vor wenigen Minuten rausgelassen hatten. Er starrte unschlüssig auf sein Handy. Das Display seines Telefons zeigte einen kurzen Text, der für Yuu bestimmt war, aber er war nicht sicher, ob er diesen abschicken sollte. Kouya hatte inzwischen soviel Vertrauen zu Yuu gefasst, um zu wissen, dass dieser nicht auf ihn sauer war. Das machte die Angelegenheit aber nicht einfacher. Da Yuu unzufrieden mit sich selbst war, fiel es Kouya besonders schwer, die passenden Worte zu finden. Zuversicht und Vertrauen musste dieser schon selber entwickeln, aber dennoch wollte er seinen Geliebten dabei unterstützen. „Du Blödmann... Wehe, du meldest dich nicht!“, murmelte Kouya befreit, der damit die Sms endlich abschickte. Anstatt das Handy zurück in die Hosentasche zu stecken, behielt er es in seiner Hand, um möglichst schnell antworten zu können. Zufrieden setzte sich Kouya in Bewegung, um die wenigen Meter nach Hause anzutreten. Er war kaum fünf Schritte gegangen, als er prompt Yuus Antwort erhielt. SORRY WEGEN VORHIN. MORGEN ABEND HÄTTE ICH ZEIT. WILLST DU VORBEIKOMMEN? YUU Ein erleichtertes Lächeln erschien auf Kouyas Gesicht, während sich gleichzeitig das vertraute Kribbeln in ihm ausbreitete. Mit so einer schnellen Reaktion hatte er nicht gerechnet, umso mehr erfreute ihn Yuus Vorschlag. Er schrieb rasch eine bejahende Antwort, und schwebte anschließend auf Wolke 7 zum Eingangsbereich seines Wohnhauses, wo er breit grinsend vor den Fahrstühlen zum Stehen kam. Kouya drückte den Rufknopf, und schlenderte danach hinüber zum Tisch, der in der Nähe an der Wand stand. Er ließ seinen Blick über die dort abgelegten verschiedenen Flyer wandern, und entdeckte jenen, der die Kunstausstellung von Kagerous Professors ehemaligen Schüler ankündigte. Kouya schmunzelte leise, als ihm Kagerous Worte im Auto wieder einfielen. Er konnte noch immer Kias entrüstete Stimme hören. „Die zwei sind echt der Hammer. Ich frage mich, ob ich und Yuu später auch noch so liebevoll miteinander umgehen...“, sprach Kouya überlegend zu sich selbst, als er einen interessanten Flyer entdeckte, nach diesem griff und in seiner Hosentasche verschwinden ließ. Er konnte hören, dass einer der beiden Fahrstühle angekommen war, und ging zurück. Kouya hatte den Fahrstuhl kaum erreicht, als er sah, dass eine Person aus der sich öffnenden Tür heraustrat. Überrascht riss er die Augen auf. „Hi-chan?!“ Hiroki blieb alarmiert stehen, und drehte sich unsicher zu seinem jüngeren Bruder um. Oh...scheiße! Wo kommt der denn her... Verdammt, eine Ausrede muss her! Aber schnell! Aber was?! Während Hiroki versuchte, seine rasenden Gedanken zu beruhigen, lächelte er Kouya zeitgewinnend an. Dieser kam lachend auf ihn zu. „Was machst du denn hier? Oder sollte ich NOCH sagen?“, fragte Kouya neugierig, der seinem älteren Bruder fragend ins Gesicht sah. Dieses ‚noch’ ließ Hiroki nervös schlucken, aber er hatte nicht das Gefühl, dass Kouya etwas Bestimmtes damit sagen wollte. „Kouya!? Schon zurück? Wo ist der Rest der WG?“, fragte Hiroki ablenkend, während er seinen Bruder kurz drückte. Kouya zog irritiert die Augenbrauen nach oben. Er hatte das Gefühl, dass sein Bruder frisch geduscht roch, aber er schob diesen idiotischen Gedanken so schnell zur Seite, wie er gekommen war. „Kia und Kagerou? Die sind zu der Ausstellung gefahren, bei der Kagerou gestern aushelfen musste.“ „Die Ausstellung, also. Hm, wie war denn das Klettern? War Kia stinkig, wie wir heute Morgen befürchtet haben?“, wollte Hiroki interessiert wissen, der im Geiste noch immer angestrengt überlegte, welche Ausrede er seinem Bruder auftischen könnte, ohne dabei aufzufliegen. Es ärgerte ihn, dass er sich mit Shino nicht darüber abgesprochen hatte und entschied, diesem sofort eine Sms mit seiner ausgedachten Geschichte zu schicken, wenn er Kouya verließ. „Na ja, ehrlich gesagt, ich hätte dich gerne noch einmal klettern sehen! Und was Kia betrifft, der war ganz schön nachtragend! Der hat tatsächlich eine schwierige Route ausgesucht, und damit Yuu und mich ganz schön getriezt. Dafür schuldest du mir was! Schließlich habe ich deinen Teil abbekommen!“, meinte Kouya reichlich übertrieben, der seinen Bruder neckisch dabei angrinste. „Du kannst dir also schon einmal überlegen, was du mir Gutes tun kannst! Aber jetzt mal ehrlich, was machst du noch hier? Seid ihr jetzt die besten Freunde, oder was?“ Hiroki begann laut zu lachen, und machte eine abwinkende Handbewegung. „Wie kommst du denn darauf? Ich war doch nicht die ganze Zeit hier! Ich musste extra noch mal zurückkommen, weil Shino seinen Rucksack im Auto vergessen hat, und weder er noch ich es sofort bemerkt haben.“, entgegnete Hiroki mit fester Stimme, der inständig hoffte, dass sich sein Bruder damit zufrieden gab. „So?“ „So. Was auch sonst? Glaubst du etwa, ich habe Lust mehr Zeit mit dem Typen zu verbringen, der genüsslich von deiner Miete lebt?“ Hiroki wusste, dass das ziemlich daneben klang, aber es war ihm egal. Alles war ihm recht, nur damit sein Bruder nicht zur richtigen Schlussfolgerung kam. „Hey! Das ist Shino gegenüber nicht fair. Du weißt, dass er arbeitet. Er kann doch auch nix dafür, dass das Gebäude seiner Familie gehört!“, verteidigte Kouya seinen älteren Mitbewohner. „Ja ja, schon gut. Ich muss los. Wir sehen uns also nächste Woche.“, meinte Hiroki einlenkend, der so schnell wie möglich das Gebäude verlassen wollte, um Shino eine Nachricht zu schicken. „Nächste Woche? War da was?“ Hiroki rollte ungeduldig mit den Augen, während er Kouya sanft in den Fahrstuhl schob, und zudem bestimmend den Etagenknopf drückte. „Dann streng mal dein Hirn ein wenig an, kleiner Bruder!“, erwiderte Hiroki nachdrücklich, der Kouya durch die sich schließende Tür zuwinkte. Er konnte sehen, dass dieser ihm fassungslos entgegen starrte. Wäre die Situation nicht so brenzlig gewesen, hätte Hiroki schallend losgelacht. Aber so zückte er hektisch, nachdem sich die Tür komplett geschlossen hatte, das Handy und erstarrte. „Verdammte Scheiße... Ich habe doch überhaupt nicht Shinos Nummer!“, brüllte er unkontrolliert. „Was mache ich denn jetzt?!?“ Hiroki spielte mit dem Gedanken, ebenfalls nach oben zu fahren, um so zu tun, als habe er etwas vergessen. Dann könnte er Shino zu einem günstigen Zeitpunkt zur Seite nehmen, um diesem seine erfundene Ausrede Kouya gegenüber mitzuteilen. So würde er nicht in die Verlegenheit kommen, seinem Bruder etwas völlig anderes erzählt zu haben. Hiroki umklammerte angespannt sein Telefon, und schloss für einen Moment seine Augen. Jetzt da hoch zu fahren, wäre mein Todesurteil... Mir bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten und auf Shino zu vertrauen... Hiroki verzog beim letzten Gedanken missbilligend das Gesicht. „Als ob ich das könnte! So wie ich den kenne, wird der sich ein Spaß daraus machen, zweideutige Antworten zu geben. ... Ich fahr lieber doch hoch!“, rief Hiroki ruhelos, der den Rufknopf drückte und wartete. „Lieber doch nicht.“, murmelte er geschlagen einen Augenblick später, während er erfolglos versuchte, die sich ihm aufdrängenden Bilder vom nackten Shino unter ihm aus seinen Gedanken zu vertreiben. „Damit kann ich denen auf keinen Fall unter die Augen treten...“ Hiroki seufzte, und wandte sich entschlossen ab. Er schlich nach dem Autoschlüssel kramend zum Ausgang. Kouya schloss die Wohnungstür, und schüttelte noch immer irritiert den Kopf. „Irgendwie war der komisch...“, sprach er leise zu sich selbst, und stellte seinen Rucksack ab. „Ich bin wieder da!“, rief er laut, während er sich die Schuhe auszog. Kouya spähte dabei zu Shinos Zimmertür, die verschlossen war und überlegte, ob dieser wegen des Fußes vielleicht im Bett lag. Sein Gedanke wurde einen Augenblick später beantwortet, als sich unerwartet die Küchentür öffnete, und Shino im Türrahmen erschien. Damit hatte Kouya nicht gerechnet. Er erschrak, und verlor beinah das Gleichgewicht. Verlegen lachend sah er zu Shino rüber, der ihm breit entgegen grinste. „Yo Ya-chan! Zurück?!“, meinte Shino erheitert, der sich auf seine Krücken stützte, und dabei den verletzten Fuß behutsam auf den gesunden abstellte. Kouya war überrascht. Und nicht nur darüber, dass Shino aus der Küche kam, sondern dass dieser auch noch einen Bademantel trug. Er wurde das Gefühl nicht los, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Hat Shino geduscht? Hat Hiroki ihm etwa dabei Gesellschaft geleistet? Nenenenene, nie im Leben! ... Auf kei- ... nen Fall, o- der? „Shino, hast du ALLEIN geduscht?“ Bevor Kouya es verhindern konnte, waren ihm diese Worte schon über die Lippen gerutscht. Er lachte ein weiteres Mal beschämt, während er Shino entschuldigend anblickte. Dieser sah ihn irritiert mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ää- hem... Vergiß die dämliche Frage! Ich meine, duschen wir nicht alle?! Ich wollte nicht unhöflich sein. Ah! Ich bin Hiroki eben unten begegnet! Ich hoffe, er hat sich anständig benommen, als er dir den Rucksack gebracht hat? So kenne ich den gar nicht. Also, ich meine, extra noch mal zurückzukommen und so. Obwohl, stimmt nicht. Das ist Hiroki, wie ich ihn ken-“ Kouya riss perplex die Augen auf. Er stoppte seinen aufgeregten Redeschwall, als er hörte, dass Shino in schallendes Gelächter ausbrach. Er spürte, dass ihm die Verlegenheitsröte ins Gesicht schoss. „Hoooo?! Der Rucksack also. Hahaha...“, sprach Shino belustigt, der sah, dass ihn sein Gegenüber verwirrt ansah. „Nein, keine Sorge! Dein Bruder hat ihn mir GESITTET übergeben. Und selbst beim Teetrinken war er sehr zuvorkommend gewesen. Er hat sogar seine Tasse selbst abgewaschen.“, meinte Shino, der sofort wieder laut zu lachen anfing. Das war zu schön. Und damit meinte Shino nicht den Anblick des verzweifelten Kouyas vor sich, auf dessen Gesicht in unglaublich kurzen Abständen die unterschiedlichsten Empfindungen erschienen. Dies war durchaus erheiternd. Aber er hatte da eher Hiroki vor seinem inneren Auge, wie dieser in Gegenwart von Kouya krampfhaft nach einer Ausrede gesucht haben musste. Shino zwang sich, sich zu beruhigen und lächelte Kouya herzlich an. Er spürte tief in seinem Inneren, dass er der Sache mit Hiroki immer mehr verfiel, und mahnte sich zur Vorsicht. Er seufzte wehmütig und bot Kouya an, gemeinsam in der Küche eine Tasse Tee zu trinken. Dieser nickte zustimmend, aber wollte vorher noch in gemütlichere Klamotten schlüpfen. „Gut. Dann bis gleich.“, entgegnete Shino gefasst, der seine innere Ruhe wiedergefunden hatte. Er sah, dass Kouya unverständlich vor sich hinmurmelnd den Rucksack in die Hand nahm, und regelrecht in sein Zimmer flüchtete. Shino blickte ihm grinsend hinterher. „Okay. Dann mal auf zu einer weiteren Tasse Tee am heutigen Tag!“, murmelte Shino vergnügt, der sich über den heutigen Teekonsum keine Sorgen machen brauchte. Kouya, der das eigene Zimmer, nun in bequemen Klamotten, hinter sich gelassen hatte, betätigte die Spülung und ging anschließend zum Waschbecken rüber. Sein Spiegelbild zeigte ihm ein schiefes Grinsen, dessen dazugehöriges Gesicht sich anschließend zu einer verunsicherten Grimasse verzog. Er klatschte sich mehr Wasser als nötig in das Gesicht und erschauderte, als das kühle Nass den Hals hinab lief. Kouya griff nach seinem Handtuch, und befreite die Haut von der Nässe. Er sah ein weiteres Mal in den Spiegel. „Zufall. Reiner Zufall! Hiroki wird entweder das Bad benutzt haben, nachdem Shino mit dem Duschen fertig war. Das würde erklären, warum er so riecht, wie das Bad hier duftet. Oder aber er hat zu Hause einfach das gleiche Duschgel stehen...“ Kouya blickte sich skeptisch in die Augen. „Und was, wenn es ganz anders ist? Was, wenn er wirklich etwas mit Shino laufen hat?“, fragte er ungläubig die grüngrauen Augen vor sich. Der Gedanke war zu absurd. Kouya konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sein Bruder eine Affäre, oder was auch immer, beginnen würde, und dann auch noch mit einem Mann. Und falls doch, warum musste es dann ausgerechnet sein Mitbewohner sein?! Sollte sich diese Befürchtung bewahrheiten, würde es die Sache mit Yuu verkomplizieren – zumindest so lange, bis er Hiroki endlich über seine große Liebe aufgeklärt hatte. Dieser bisher fehlende Schritt führte nun dazu, dass er selbst hier in seinen neuen vier Wänden Vorsicht walten lassen musste. Schließlich war er nicht in der Lage vorherzusagen, wann Hiroki die Lust packen würde, Shino einen Besuch abzustatten. Kouya lief bei diesem Gedanken rot an. Er wollte sich lieber nicht ausmalen, was sein Bruder und Shino womöglich getrieben haben könnten. Nicht, dass es ihm etwas ausmachen würde, denn immerhin hatte er mit Yuu ähnliches vor. Aber jetzt zu Shino in die Küche gehen zu müssen, und das, nachdem er zusätzlich diese äußerst heikle Frage gestellt hatte, war fast unmöglich. Heftig schüttelte er seinen Kopf, in der Hoffung, damit die aufregenden Bilder und Gedanken vertreiben zu können, aber es war zwecklos. „Reiß dich zusammen, Kouya! Du bildest dir vielleicht alles nur ein. Shino und Hiroki haben solange nichts miteinander, bis einer der beiden etwas dazu sagt. Genau, das ist richtige Einstellung. Im Zweifel für den Angeklagte! Aber wer ist hier eigentlich der Angeklagte...“ Kouya musste über die eigenen Gedanken lachen. „Oh maaaaaaaaaaaaaan, ich stehe im Bad und führe Selbstgespräche! Schlimmer kann es nicht werden...“ Schmunzelnd verließ Kouya das Bad und ermahnte sich dabei, keine unüberlegten Bemerkungen oder Fragen beim Teetrinken zu stellen. Er wusste, dass diese sich selbst auferlegte Aufgabe eine Menge von ihm abverlangen würde, aber ihm blieb nichts anderes übrig. Er musste seine Neugier unterdrücken und darauf hoffen, dass Shino vielleicht von selbst etwas – FALLS es etwas gäbe – erzählen würde. „Das kann ich mir bei Kia zwar richtig gut vorstellen, aber ich denke, dass sein Verhalten heute eher die Ausnahme bildete. Er ist eigentlich nicht ernsthaft nachtragend. Ich glaube eher, dass ihn Takashis Anwesenheit verunsichert hat. Nun, vielleicht nicht verunsichert, aber in jedem Fall aufgewühlt. Und wenn du sagst, dass sich dieser häufiger in der Nähe von Kagerou aufgehalten hat, dann war das Grund genug für Kia, sein untypisches Verhalten vor sich selbst rechtfertigen zu können, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Gut, die Sache mit deiner Telefonnummer ist ein Fall für sich. Da hat er dir echt etwas eingebrockt. Wenn auch unabsichtlich, dieser Idiot. “ Shino, der zuerst Kouyas Erzählung gelauscht hatte, um anschließend seine eigenen Gedanken laut auszusprechen, nippte am Tee, und blickte aufmerksam über den Rand seiner Tasse hinüber zu Kouya. Dieser starrte gedankenverloren in seine eigene, die unangetastet vor ihm auf dem Tisch stand. Es schien, als würde dieser intensiv über das Gesagte nachdenken. Es erstaunte Shino immer wieder aufs Neue, wie offen und reflektiert Kouya über die eigenen Gefühle sprechen konnte – ganz im Gegensatz zu dessen älteren Bruder. Kouyas arglose Lebensweise brachte frischen Wind in ihr eingestaubtes WG-Leben, und mit dieser Meinung stand Shino nicht allein. Selbst Kagerou, der sonst die Rolle des Erneuerers, was die eigene Persönlichkeit und zwischenmenschliche Beziehungen angeht, innehatte, freute sich jedes Mal ungemein, wenn er mit und durch Kouya zu neuen Einsichten gelangte. Kia hingegen war da eher der stille Beobachter, aber selbst dieser blieb nicht unberührt von Kouyas Wesen. Shino fragte sich gerade ernsthaft, ob er es wagen sollte, Kouya über die Sache mit Hiroki aufzuklären, um dann nach dessen Gedanken diesbezüglich zu fragen, als dieser ihm die Möglichkeit dazu nahm. Kouya begann ein weiteres Mal zu sprechen, nun aber ein völlig anderes Thema aufgreifend. „Sag mal Shino, wie machst du das jetzt eigentlich mit deiner Arbeit in der Videothek?“ Shino sah verblüfft zu Kouya, der endlich zur Teetasse griff und einen Schluck trank. Neugierige Augen erwiderten seinen Blick. „Hm. Gute Frage. Yuu kann ich ja nicht um Hilfe bitten. Er hat schließlich seine eigene Arbeit. Mal sehen...“, meinte Shino überlegend, der sah, dass sich Kouyas Gesicht bei Yuus Namen erhellte. Ein wissendes Lächeln erschien auf Shinos Lippen. Ihm erging es momentan nicht anders, wenn er an Hiroki dachte. Er hoffte nur, dass die beginnende Affäre mit dem jüngeren Mann keine hoffnungslose Angelegenheit war. Shino zwang seine Gedanken zurück zu Kouyas Frage. „Ich werde meine zweite feste Kraft fragen müssen, ob sie komplett das Einräumen übernehmen kann. Ich werde es mir dann halt an der Kasse, oder im Büro gemütlich machen. Außerdem sollte mein Fuß ja mit jedem Tag besser werden. Das wird schon irgendwie gehen. Und falls nicht, dann werde ich einfach meinem Vater fragen, ob er kurzfristig die Miete für dieses Haus erhöhen kann, damit mehr für mich herausspringt!“ Shino begann zu lachen, als er Kouyas besorgte Miene sah. „Hey! Das war ein Scherz! So einfach würde das auch gar nicht gehen.“, versicherte Shino, der Kouya zuzwinkerte. Dieser hatte plötzlich eine Idee. „Vielleicht kann ich dir ja im Laden aushelfen?“ Kouya blickte Shino fragend an. Er wusste, dass sein Vorschlag ziemlich dreist in dessen Ohren klingen musste, aber er meinte es ernst. Sein Studiensemester hatte noch nicht begonnen, und daher hatte er reichlich Freizeit, die er nicht nur mit Yuu verbringen wollte. Kouya konnte sich gut vorstellen, etwas von dieser Zeit als Aushilfe für Shinos Laden zu opfern. So würde er unerwartet in Yuus Fußstapfen treten können, und hätte vielleicht die Möglichkeit, etwas über dessen Zeit dort zu erfahren. Kouya hatte nicht vor, Shino auszuhorchen. Es war eher so, dass er möglichst viel über den Yuu erfahren wollte, den er wegen seines Auslandsaufenthalts nicht miterleben konnte. Er brannte förmlich darauf, seinen Liebsten aus der Sicht anderer Personen sehen zu können. Hiroki war natürlich eine weitere Option, aber diese Quelle ließ Kouya absichtlich ungenutzt. Hier hoffte er einfach darauf, dass sich Gelegenheiten ergaben, bei denen sein Bruder von sich aus Geschichten über Yuu zum Besten gab. Kouya riss sich von dem attraktiven Gedanken los, und konzentrierte sich wieder aufs Hier und Jetzt. „Ich würde das natürlich auf freiwilliger Basis machen, also ganz ohne Bezahlung!“, erklärte Kouya aufgeregt, der sah, dass Shino darüber nachzudenken schien. Falls Shino nichts einzuwenden hatte, musste er die Sache nur noch seinem Bruder verklickern. Dieser dürfte, solange das Semester noch nicht begonnen hatte, nichts dagegen sagen können. „Was denkst du? Ich hätte wirklich Lust dazu! Natürlich nur so lange, bis dein Fuß wieder völlig in Ordnung ist, und für mich das Semester anfängt.“ Kouya hielt gespannt den Atem an. „Wieso eigentlich nicht. Wenn du magst, kannst du morgen Mittag mitkommen. Da wäre ich sowieso alleine, und es würde gut passen.“, entgegnete Shino endlich, der Kouya dabei dankbar anlächelte. „Klasse! Aber bis abends muss ich doch nicht bleiben, oder? Da habe ich nämlich schon eine Verabredung. Ginge das in Ordnung?“, sprudelte es Kouya glücklich aus dem Mund, der aber sah, dass Shino skeptisch die Stirn in Falten legte. „Ich muss echt bescheuert klingen. Erst dränge ich dir ungebeten meine Hilfe auf, und dann stelle ich gleichzeitig Anforderungen. Tut mir wirklich leid!“ Kouya strich sich verlegen eine Haarsträhne hinter sein linkes Ohr, und wich Shinos Blick aus. Dieser musste beim Anblick von Kouyas bedrückter Miene lachen. „Geht in Ordnung. Morgen sollst du ja auch erst einmal nur reinzuschnuppern. Vielleicht sagst du danach sowieso zur Hölle damit. Also, kein Grund, um betrübt zu sein.“ Kouyas Gesicht nahm augenblicklich einen begeisterten Ausdruck an, als dieser sich herzlich bei Shino bedankte. „Perfekt! Und jetzt habe ich Hunger! Was ist mit dir? Wollen wir uns vielleicht etwas bestellen?“ Shino sah Kouya verdutzt an. Er musste wirklich aufpassen, dass ihn dieser mit seinem Tempo nicht hinter sich zurückließ. Sein jüngster Mitbewohner war wirklich ein Meister in blitzschnellen Änderungen, was die Gesprächsthemen anbelangte. Shino vermutete, dass Kouya insgeheim die ganze Zeit über Hiroki und dessen späte Anwesenheit in der WG nachdachte. Vielleicht war das auch der Grund, warum Kouya jegliche Themen umging, die den älteren Bruder betrafen. Hirokis Begegnung musste Kouya wirklich aufgewühlt haben. Trotzdem verlor dieser kein Wort darüber. Shino schmunzelte innerlich über dieses Verhalten, welches ganz und gar nicht zu Kouya passte. Dieser war eigentlich durch und durch neugierig, aber dieses Mal schien er sich zu zwingen, jenen Charakterzug völlig zu unterdrücken. „Warum nicht! Dann etwas vom Chinesen?“ Shino sah Kouyas zustimmendes Nicken und beobachtete, wie dieser sich erhob, um nach den Bestellkarten zu suchen. Hiroki legte das Buch zur Seite, und erhob sich seufzend vom Sofa. Es gab absolut nichts, was ihn auch nur im Geringsten von seinen aufgewühlten Gedanken ablenken konnte. Da halfen weder das ausgiebige Bad, noch das bunte Fernsehprogramm. Selbst das neueste Buch seines Lieblingsautors konnte nicht seine volle Aufmerksamkeit erringen. Die innere Anspannung forderte langsam aber unweigerlich ihren Tribut. Er fühlte sich erschöpft. Gleichzeitig verspürte er aber eine ungemeine Wut – Wut auf sich selbst, und natürlich auf Shino, der anscheinend der Meinung war, nicht einen Ton von sich geben zu müssen. Hiroki starrte ärgerlich auf sein Handy, das auf dem niedrigen Tisch lag. „Warum schreibt dieser Mistkerl nicht? Die Nummer muss er doch schon längst entdeckt haben...“ Wütend trat er zum Fenster, und sah in den Garten hinaus. Natürlich konnte er nichts erkennen, da es bereits stockfinster war. Dafür erschien ihm aber der attraktive Mistkerl vor seinem inneren Auge, der ihm ein unschuldiges Lächeln schenkte. Hiroki fragte sich ernsthaft, ob Shino absichtlich nicht schrieb, um ihn zu ärgern. Vorstellen konnte er sich das bei dem allemal. Mehr als einmal hatte er in den vergangenen drei Stunden überlegt, einfach in der WG anzurufen, in der Hoffnung, dass Shino das Gespräch annehmen würde. Aber dieses Vorhaben hatte er nicht in die Tat umgesetzt. Er musste nur an Shinos Fuß denken, um zu wissen, dass die Erfüllung dieses Wunsches gegen Null ging. Mit Kouya hätte er auch über das Handy sprechen können, wenn er es unbedingt gewollt hätte. Ein weiteres hörbares Seufzen erfüllte den Raum. Während er müde den Kopf sinken ließ und dabei entschied, zu Bett zu gehen, erwachte sein Telefon zum Leben. Er stürmte zum Tisch, und riss es aufgeregt in die Höhe. Gleich zwei Nachrichten auf einmal. Eine von Kouya, und eine zweite von einer unbekannten Nummer. Hiroki las die der unbekannten zuerst. DARF ICH MICH JETZT GEEHRT FÜHLEN, WEIL: 1. DU MIR DEINE NUMMER GEGEBEN HAST? UND 2. DU MIR MEINEN RUCKSACK GEBRACHT HAST? AUF JEDEN FALL HAST DU BEI KOUYA EINEN BLENDENDEN EINDRUCK HINTERLASSEN! SHINO Hiroki begann zu grinsen. Seine Angst und Abgespanntheit waren auf einmal wie fortgeblasen. Shinos Worte hatte es also dazu gebraucht. Er wusste, was das zu bedeuten hatte. Hiroki ließ sich gedankenverloren wieder auf dem Sofa nieder. Er war noch nicht bereit dafür. Dieses wachsende Gefühl in ihm würde seinem Leben eine gehörige Wende verpassen, und er war sich nicht sicher, ob er das wollte. Diesen Gedanken verdrängend, tippte er eine bissige Antwort, bevor er die Nachricht seines Bruders las. ICH HABE BESCHLOSSEN, SHINO IN DER VIDEOTHEK AUSZUHELFEN, NATÜRLICH NUR SO LANGE, BIS DESSEN FUSS WIEDER OKAY IST. SHINO IST EINVERSTANDEN. KOUYA „Was!?“, rief Hiroki überrascht, und gehörig lauter als nötig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)