Immortal von CuthbertAllgood ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- „Hey! Hey Vic! Es reicht!“ Ich sah auf. Das doppelschneidige Kama wirbelte noch einen Moment um mein Handgelenk, bis der Schwung verloren ging und aus dem Wirbelwind die schmale japanische Waffe mit den beiden leicht geschwungenen Klingen wurde und mir der kleine, weiße Pferdeschwanz auf die Wange klatschte. Die drei Attrappen, an denen ich geübt hatte, waren mittlerweile zu einem Haufen grober Sägespäne zerhackselt. Keine schlechte Arbeit für fünf, höchstens zehn Minuten, und das ohne mich anzustrengen. Mike, der Aufseher im Trainingsraum, pfiff anerkennend und auch einige andere der Anwesenden sahen überrascht herüber. Ich war zum ersten Mal in diesem Team. Wahrscheinlich hatten sie es für einen Witz gehalten, dass eine Siebzehnjährige die Gruppe mit nach vorne ziehen sollte, und hatten höchstens das Kama irritiert angesehen. Mit seinen zwei gut neunzig Zentimetern langen Klingen war es länger als ich groß und in den Händen der meisten Männer hier hätte es wahrscheinlich zur Folge, dass sie sich selbst ein Bein abhackten oder gleich enthaupteten. „Wie hast du das gemacht, Mädchen?“, fragte er schließlich nach längerem Schweigen, das ich dazu nutzte, mir die klebenden Haare aus dem Gesicht zu streichen und meine Waffe von den Holzsplittern zu befreien, sowie ich danach die Klingen aus dem Griff schraubte. Ein flüchtiges, trockenes Lächeln glitt über mein Gesicht, während ich die Einzelteile des Kamas in meinem Rucksack verstaute – meine Lehrer hätten hier die Antwort, warum ich eine so große Tasche brauchte, doch sie hätte ihnen wohl kaum gefallen. Zwar waren alle hier Soldaten eines geheimen Elitekomitees, allerdings übertraf eine schlaksige 12-Klässlerin sie bei weitem. Deprimierend, oder? „Tochter des Chefs“, bemerkte ich, als würde das alles erklären. Und hier war das auch der Fall. „Regenerator?“ „Nein, aber genmanipuliert schon. Besser, Sie wissen’s nicht genauer.“ Ich hasste nichts mehr als dieses Thema. Ein flüchtiger Blick auf meine Armbanduhr bewies mir, dass ich zu allem Überfluss zu spät zu meiner „Verabredung“ kommen würde. „Ich muss los“, mit diesen knappen Worten warf ich mir meinen Rucksack auf die Schultern. Wenn normale Schüler sagten, ihre Tasche wäre ach so schwer, musste ich immer lachen. Sie trugen nur ihre Bücher und Hefte, ich hatte noch eine nicht leichte Waffe da drin. Beim Rausgehen hörte ich nur noch, wie Mike sich darüber wunderte, woher „zur Hölle noch eins Maxwell eine Tochter hat“. Nicht der erste, der sich das fragte. Aber hatte ich je behauptet, Enricos leibliche Tochter zu sein? Kapitel 2: 1. Verabredung -------------------------- Ich war nicht zu spät. Ich war viel zu spät. Erstens war ich schon zehn Minuten über der Zeit gewesen, als ich das Berliner Quartier von Ischariot verlassen hatte. Zweitens war heute wieder so ein Verkehr, dass ich kaum durch gekommen war, obwohl ich mit dem Fahrrad fuhr – Enrico passte das zwar nicht, er meinte, es sei zu gefährlich für mich, obwohl er selbst veranlasst hatte, dass ich ein vollwertiges Mitglied von Ischariot wurde und irgendwelche Leute an meinen Genen rumpfuschten - versteh einer diese Gedankengänge – aber wann interessierte es mich schon, was Enrico wollte? Ihm war ja auch egal, was mich interessierte und was ich wollte. Na ja… und drittens war ich erst vor zwei Wochen aus Rom hierher nach Berlin gekommen und hatte mich dadurch hoffnungslos verfahren. Aber jetzt war ich endlich da. Ich schloss mein Fahrrad vor dem Park ab. Wenn alles so lief, wie es sollte, und vor allem meine Verabredung überhaupt noch da war, würde ich es heute möglicherweise nicht mehr brauchen. Zur Abwechslung einmal hatte ich Glück. Nach einer Weile bemerkte ich auf einer Bank, den Rücken mir zugewandt, die gesuchte Person in ein Buch vertieft, wie so oft. Ausnahmsweise vollkommen allein. Leise schlich ich mich an. „Die Mühe hättest du dir schenken können, Maxwell. Ich weiß schon, dass du da bist, seit du auf einen halben Kilometer Entfernung heran bist“, murmelte die Person auf der Bank, noch bevor ich auf drei Meter an sie getreten war, und so leise, dass ich es nur hörte, weil ich so stark gentechnisch verändert worden war. Es war bestimmt eher eine Untertreibung als eine Übertreibung, zumindest bei diesem Jemand. „Du hast viel zu lange gebraucht, Maxwell.“ „Vic“, entgegnete ich trocken, trat ganz heran und setzte mich daneben auf die Bank. „Nicht Maxwell. Vic. Und ich hab’s halt nicht gefunden, Schlauberger. Ich bin erst seit zwei Wochen in Deutschland.“ Van Winkle hob endlich den Kopf und sah mich belustigt an. „Dann hast du aber ganz schön schnell Deutsch gelernt, Vic“, lächelte Rips blonder Sohn. „Das konnte ich vorher auch schon. So schwer ist eure Sprache auch wieder nicht, zumindest nicht, wenn man vorher schon Italienisch, Latein und Englisch gelernt hat.“ Raphaels Grinsen wurde noch etwas breiter. „Angeberin! Aber du hast trotzdem einen starken italienischen Akzent.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Von mir aus. Nichts desto trotz solltest du mir erklären, was du willst. Wenn uns irgendwer von deinen Leuten hier sieht, sind wir beide tot, das weißt du.“ „Genauso, wie wenn jemand von Ischariot hier auftaucht, oder etwa nicht?“ Ich schüttelte den Kopf. „Weniger. Erstens bin ich die Tochter vom Chef, zweitens war dein Vater auch mal bei uns. Ich könnte behaupten, dass ich nur Information sammeln wollte. Das würde nur deinen Kopf kosten. Du siehst also, dass das Risiko für dich wesentlich größer ist. Außerdem hast du mich hierher zitiert, nicht umgekehrt. Also?“ Der Blondschopf wirkte mit einem Mal ernster als zuvor, legte sein Buch an die Seite und schob sich seine Brille hoch. „Meinetwegen. Das muss aber nicht jeder wissen, rück noch ein Stück weiter rüber.“ Er hielt einen Moment inne und dann glitt sein Blick von meinem Gesicht auf mein Dekolleté. Ich wollte schon auffahren, als er nach einem Moment fort fuhr: „Pass nur auf, dass mir das Ding nicht zu nahe kommt.“ Ich sah herunter und mein Blick glitt auf das silberne Kreuz, das an meiner Kette mit jeder Bewegung sanft mitschwang. Mit einem leisen „Oh“ nahm ich die Kette ab und verstaute sie in einer Seitentasche meines Mörderrucksacks. Mir war wohl bewusst, dass es nicht unbedingt klug war, Silber vom Hals zu nehmen, wenn man sich direkt neben einen Vampir setzte, aber ich bezweifelte, dass Raphael vorhatte, mich jetzt zu beißen. Dann rückte ich näher und van Winkle begann leise, mir zu erklären, was er von mir wollte. Mein Lächeln erlosch dabei wesentlich schneller, als es mir lieb war. Kapitel 3: 2. Mors angelus - Todesengel --------------------------------------- Ich lehnte das Fahrrad gegen das eiserne Tor. Natürlich hatte Enrico es sich weder nehmen lassen, mit nach Deutschland zu kommen, noch, etwas anderes als eine Villa mit hohen Sicherheitsgrad zu beziehen. Ich hätte lieber hier allein in einem Apartment oder ähnlichem gewohnt. Trotzdem es fast fünf Kilometer vom Park bis hierher waren, hatte ich den ganzen Weg über geschoben. Mittlerweile war es dunkel geworden. Ich hatte über das nachdenken müssen, was Raphael mir offenbart hatte. Eigentlich müsste ich für ganz Ischariot eine Warnung ausrufen, aber sie würden mir nicht glauben. Zuerst wollten sie wissen, woher ich das denn hätte, und das konnte ich ihnen unmöglich sagen. Zweitens würden sie es gar nicht glauben wollen. Und daher würden sie mir auch nicht glauben. Ich wollte es zwar eigentlich auch nicht – allein die Vorstellung machte mir Angst, das würde bedeuten, dass der alte Krieg von vor 18 Jahren wieder ausbrechen würde, den unsere Eltern mitgemacht hatten, und dass wir ihn diesmal austragen würden – aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich hatte die Angst, das ehrliche Entsetzen in Raphaels Augen gesehen. Wenn es wirklich zum Kampf kommt, dachte ich bitter, habe ich als einzige Nachkommin von Ischariot die schlechtesten Karten von allen. Etwas anderes beschäftigte mich aber noch wesentlich mehr. Warum hatte Raphael mich gewarnt? Im Grunde waren wir Feinde. Ich mag dich, Vic, ich mag dich als Person. Einfach deswegen. Wir sollten alle dieselben Voraussetzungen haben. Ich mag dich. Aber eben nicht genug, mein Lieber. Du magst mich vielleicht, aber ich fürchte, ich habe mich in dich verliebt. Das war mir eigentlich schon klar gewesen, als ich hierher gekommen war und ihn das erste Mal in der Schule gesehen hatte. Aber erst heute war es mir richtig zum Bewusstsein gekommen, als ich so nah neben ihm gesessen hatte, seine Stimme direkt neben mir gehört hatte. Irgendwie hatte das etwas von einem schlechten Kitschroman. Romeo und Julia lassen wieder mal grüßen! Wir waren Feinde, verdammt. Ich durfte ihn nicht lieben. Enrico würde mir den Kopf abreißen. Oder eher, ihn abreißen lassen, er tat ja niemals etwas selbst, wenn er es auch erledigen lassen konnte. Plötzlich hörte ich ein leises Lachen hinter mir. Ein raues Männerlachen. Ich fuhr herum. „Heiliger Vater, hilf mir“, murmelte ich und schlug unwillkürlich das Kreuzzeichen, eine Geste, die mir in Fleisch und Blut übergegangen war. Neineinein… Der einzig Anwesende hier lehnte an eine Hauswand auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er war groß… hatte halblange, schwarze Haare, trug einen roten Mantel und Hut. Ich hatte ihn noch nie gesehen, aber natürlich war mir klar, wer das war. Was machte er in Deutschland? Was wollte er von mir? Und was sollte ich tun? Mein Kama war noch auseinander geschraubt und befand sich in meinem Rucksack. Daneben das silberne Kreuz, das eigentlich meinen Hals schützen sollte und das ich Raphael zuliebe abgenommen hatte. Und wenn ich schrie, würde er mich sofort töten. Ebenso, wenn ich versuchen würde zu fliehen. Nicht, dass ich zu einem von beidem in der Lage war. Die Angst lähmte mich. Allmächtiger Vater, Raphael hatte Recht. Er machte wieder Jagd. Bisher hatte er den Kopf gesenkt, doch nun hob er ihn, musterte mich durch seine Sonnenbrille – dass er sie trug, machte mir mehr Angst als wenn ich seine Augen gesehen hätte – und kam dann langsam ein paar Schritte auf mich zu, während ich noch immer unfähig war, mich zu bewegen. Zwei oder drei Meter trennten uns noch, als er stehen blieb. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche entsetzliche Angst gehabt. „Du bist also Maxwells Mündel. Auf jeden Fall siehst du besser aus als er“, stellte Alucard fest. Seine Stimme jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken und spätestens jetzt war ich mir sicher, dass das das letzte sein würde, was ich in meinem Leben hören würde. Doch noch immer brachte ich kein Wort heraus. „Bist du stumm?“, fragte er dann belustigt und trat noch einen Schritt vor. Erneut schlug ich das Kreuz, ohne es eigentlich selbst zu registrieren. „In nomine patris et filii et spiritus sancti”, murmelte ich. „Bleib mir von Hals!“ Automatisch war ich in meine Muttersprache Italienisch verfallen, aber er verstand mich dennoch. Nichts anderes hätte ich erwartet. Er grinste breit. „Welch treffende Wortwahl, Victoria!“ Woher kennt er meinen Namen?! Auch er redete jetzt Italienisch, aber irgendwie klang es… auf eine seltsame Art falsch. „Aber ich hatte ohnehin nichts anderes vor.“ Das Grinsen des Vampires wurde noch etwas breiter. „Zumindest noch nicht heute.“ Ich spürte, wie ich am ganzen Körper zitterte und schwitzte, schloss für einen kurzen Moment die Augen und als ich sie wieder öffnete, war er verschwunden. Zitternd lehnte ich mich an das große eiserne Tor. Zurück geblieben war nur eine verstörte Victoria Maria Maxwell, die grade den Schock ihres Lebens erlitten hatte. Kapitel 4: 3.Alarm ------------------ Irgendwie hatte ich die Sicherheitsvorkehrungen hinter mich gebracht – die ganzen Genüberprüfungen hatten mich schier zum Verzweifeln gebracht, weil ich die ganze Zeit befürchtet hatte, dass er wieder hinter mir auftauchen und mich umbringen würde, während ich mich mit der Technik abplagte – ließ das Fahrrad stehen, stolperte durch das Tor, das sich endlich öffnete, und dachte mit letzter Kraft daran, es wieder hinter mir zu schließen, bevor ich zusammenbrach. Aber ich war hier nicht sicher. Ich musste weiter. Auch das Tor würde ihn nicht aufhalten. Mühsam versuchte ich, mich hochzustemmen, doch es gelang mir nicht. Die Angst hatte mich erschöpft, ich hatte das Gefühl, hier auf dem Weg bis zum Haus hin elendig verrecken zu müssen. „Victoria?“ Ich hob den Kopf, selbst dazu brauchte ich mehrere Anläufe, und für einen irrsinnigen Moment dachte ich, der Vampir stände wieder vor mir. Natürlich war das nicht der Fall. Diese Person hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihm, war mir wesentlich vertrauter. Yumiko. Ich überlegte, was sie hier anstatt in Rom machte, mein Gedächtnis war durch die Angst stark durcheinander gebracht worden, bis mir einfiel, dass Enrico sie und Heinkel mitgenommen hatte. Er hatte sie mir als persönliche Leibwache aufhalsen wollen, und jetzt konnte ich ihn wohl kaum noch davon abbringen. Nach dem, was diese Nacht geschehen war. Yumiko jedenfalls war ehrlich entsetzt, mich vollkommen entkräftet auf dem Boden liegen zu sehen. Sie half mir auf, legte meinen einen Arm um ihre Schultern und stützte mich, während ich Richtung Haus taumelte. Sie fragte nicht nach, was geschehen war. Aber ich hätte es ohnehin nicht für mich behalten können. „Er…er…Yu…er ist hier!“, stammelte ich. Yumiko schwieg einen Moment. „Wer auch immer ‚er’ sein mag, hier kann er dir nichts tun. Du bist in Sicherheit“, sagte sie dann. „Du verstehst nicht! Er wird uns alle töten! Es ist vollkommen egal, wo wir sind oder zu wie vielen… er wird uns töten.“ Meine Stimme erstarb in einem Wimmern. Gleichgültig, was sie mir immer erzählt hatten, ich hatte panische Angst vor ihm und ich war vollkommen überzeugt, nicht die geringste Chance gegen ihn haben zu können. „Wer?“ „A…A…“ Es fiel mir schwer, seinen Namen auszusprechen, als würde allein das ihn schon wieder zurückholen. Schließlich schaffte ich es doch. „Alucard!“ „Dominus nobiscum!“, brachte Yumiko heraus, der Herr sei mit uns. Offenbar war nun auch sie bestürzt. Schneller zog sie mich den Weg lang, sodass ich mehrmals fast hinfiel, zerrte mich durch den Hauseingang bis hin zu meinem Zimmer. „Bleib hier, egal was passiert, bleib hier Victoria! Ich rufe den Alarm aus… dann sehen wir weiter.“ Ich nickte verstört, und als Yumiko die Tür hinter sich schloss und ich sie laut rufend den Gang herunter laufen hörte, murmelte ich nur immer wieder: „Kyrie eleison.“ Herr, erbarme dich. Kapitel 5: 4. Ein Problem namens Leben -------------------------------------- Mittlerweile kamen mir die Ereignisse des letzten Abends unwirklich vor, wie ein Traum. Ich meine – ich war eine der besten von Ischariot, trotz meiner Jugend, vielleicht sogar die Beste! Wie kam ich dann auf die irrsinnige Idee, mir von diesem ketzerischem Vampir Angst einjagen zu lassen?! Ich hatte mich von dem Nosferati überraschen lassen, das war alles. Sollte er es noch einmal wagen, mir zu nahe zu kommen, würde ich ihn töten, das stand fest! Leider hatte das Enrico nicht wirklich überzeugt. Er hatte mir absolute Ausgangssperre – außer in Begleitung Heinkels und Yumikos – verhängt; natürlich zu meinem eigenen Schutz, oder besser, seiner wertvollsten Waffe?; und hatte mir sogar verbieten wollen, in die Schule zu gehen. So weit war es dann aber dank Heinkel nicht gekommen. Oder eher, dank ihres trockenen Kommentars, dass wohl nicht einmal Alucard so schaugeil wäre, mich am helllichten Tage in der Schule vor all den Leuten anzufallen. Zwar war ich mir da bei weitem nicht so sicher wie sie, aber ich war nicht so dumm zu widersprechen. Irgendwann hatte er dann doch nachgegeben. Selbstredend unter der Bedingung, dass mich das Chaosduo fuhr. Es war das erste Mal, dass ich in einem Wagen saß, den Heinkel fuhr, und während dieser Fahrt reifte in mir ein Entschluss: Sollte ich jemals die Wahl zwischen einer weiteren solchen und einem Strick haben, würde ich mich mit Freuden erhängen. Wie hatte diese Frau ihre Fahrprüfung bestanden?! Hatte sie überhaupt einen Führerschein? Ich bezweifelte es ernsthaft. In den Dreißiger-Zonen fuhr sie dreißig Kilometer pro Stunde – hundertdreißig. Dass wir nicht von der Polizei angehalten wurden, musste mich ja richtig verwundern. Allerdings hatte Heinkel einmal fast eine Oma umgefahren, hätte Yumiko nicht das Lenkrad herumgerissen. Das Gezeter der alten Frau hatte man noch Minuten lang gehört, trotz Heinkels Geschwindigkeit. Ich fragte mich schon entsetzt, ob sie noch am Stoßdämpfer hing, als sie endlich nicht mehr zu hören war. Allerdings konnte das ja auch bedeuten, dass Heinkel sie zu Tode gefahren hatte. Und diesen beiden Frauen vertraute Enrico mein Leben an? Wenn das so war, ging ich freiwillig zu Alucard. Es wäre bestimmt kein so unangenehmer Tod wie durch das Chaosduo. Endlich kamen wir dann an der Schule an. Ich hechtete aus dem Wagen, sobald er stand, und kniete erst einmal vorn übergebeugt auf dem Rasen, mit dem dringendem Wunsch, mich zu übergeben. Aber ich tat es trotzdem nicht. Es war schon erniedrigend genug, auf der Schulwiese zu knien, da musste ich nicht auch noch kotzen. Ich rappelte mich auf, klopfte den Dreck von meiner Jeans und sah mich in der Hoffnung um, dass es nicht allzu viele gesehen hatten. Die wurde erfüllt. Wir waren so ziemlich die ersten hier, der einzige Vorteil, den Heinkels Fahrstil brachte. An die ich mich auch empört wenden wollte, doch sie saß noch im Auto, während Yumiko ausgestiegen war und mir in just diesem Moment meinen Rucksack zuwarf. Ich bekam ihn grade so eben noch an einem Riemen zu fassen, die Einzelteile des Kamas klirrten laut darin. Dann kam sie plötzlich auf mich zu und – ich war ehrlich erstaunt – nahm mich tatsächlich in den Arm! Dann aber wurde mir den Grund bewusst, als Yu mir den Pulli hochschob, etwas in meine Hosentasche gleiten ließ und wieder zurück trat. „Eine Beretta 92FS“, murmelte sie. „9mm Patronen aus geweihtem Silber mit Queck-silberummantelung. 15 Schuss. Nichts Besonderes, aber immer noch besser, als wenn du erst mal rufen musst: ‚Moment Alucard, ich muss erst mal mein Kama aus der Tasche holen und zusammenschrauben!’, oder?“ [Anmerkung: Diese Waffe gibt es wirklich. Es handelt sich hierbei um eine modifizierte 92SB-F, der offiziellen Waffe der USArmy seit 1983. Bei der 92FS befinden sich an manchen Stellen Verstärkungen, damit sie nicht so leicht bricht. Beretta ist übrigens der älteste noch existente Waffen- und Rüstungshersteller – und zwar italienisch.] Bei dieser Vorstellung musste ich unwillkürlich grinsen. „Wahrscheinlich würde er mich das sogar lassen.“ Sie lächelte traurig und seufzte. „Möglich, Victoria. Großspurig genug ist er dazu. Aber verlass dich nicht dadr…“Ihr Blick glitt an mir vorbei. „Der verdammte van Winkle-Junge!“ Ich drehte mich halb um und sah in dieselbe Richtung wie die Ischariotkriegerin. In der Tat kam Raphael grade von der anderen Seite her, wie meistens völlig in Gedanken versunken. „Ich finde, er hat eine ziemliche Ähnlichkeit mit seinem Vater“, bemerkte ich. Leider sah ich die darauf folgende Ohrfeige zu spät und landete unsanft auf dem Boden, wobei sich die Beretta schmerzhaft in meine Hüfte grub und die Tasche ein paar Schritte weiter schlitterte. Heinkel rief überrascht etwas aus dem Wagen, aber Yumiko winkte unwillig ab. „Wofür war die?“, fragte ich, während ich mich zum zweiten Mal vom Boden hoch drückte und meine Tasche einsammeln ging. Sie gab keine Antwort, sondern sah mich mit einem seltsamen Gefühlsgemisch an – Zorn, Trauer, Schmerz, Eifersucht? Doch auch das verging nach einem Moment. Sie schüttelte den Kopf. „Komm ihm nicht zu nahe, Victoria!“ „Jaja ich weiß, der Feind… Millennium wird uns alle vernichten, wenn ich ihn auch nur nach den Mathehausaufgaben von letzter Woche frage.“ „Übertreib es nicht! Du weißt ganz genau, was ich meine!“ Ich verdrehte die Augen, wartete, bis sie wieder eingestiegen war und Heinkel das Auto in mörderischem Tempo außer Sichtweite fuhr und schlenderte dann zu Raphael. „Hi. Du hattest Recht. Ich habe ihn gestern kennen gelernt!“, begrüßte ich fröhlich. Kapitel 6: 5.Überlegungen ------------------------- Raphael nickte nachdenklich und schob sich mal wieder die Brille hoch. Vielleicht sollte er auf Kontaktlinsen umsteigen. Es war Pause und wir hatten uns, abseits vom Schulhoftreiben, mal wieder auf eine Parkbank gesetzt. Eigentlich war ja allein die Vorstellung, dass Millennium und Ischariot gemütlich neben-einander saßen und sich Gedanken darüber machten, wie sie gemeinsam gegen Hellsing vor-gehen könnten, ziemlich amüsant. „Bist du eigentlich die einzige?“, fragte er dann unvermittelt. „Wovon die einzige?“ „Ob du das einzige, ich sag jetzt mal, Kind von Ischariot bist. Alle anderen würden ja wohl kaum einsehen, dass wir uns verbünden müssen, wenn wir eine Chance haben wollen – ich habe die Reaktion von deinem Wachhund vorhin gesehen. Was hatte es mit der Backpfeife auf sich?“ Ich zuckte mit den Schultern, auch wenn ich es mir natürlich denken konnte. „Yumiko übertreibt manchmal.“ Oh ja, besonders wenn ihr anderes Ich durchschlägt. „Aber ja, ich bin die einzige – Zölibat, kein Sex vor der Ehe…“ Ich grinste schief. „Katholiken haben nicht allzu viele Möglichkeiten, Kinder zu zeugen.“ „Dann sieht’s aber schlecht für uns aus, Vic.“ Raphaels Lächeln machte diese Bemerkung eindeutig zweideutig. Ich war auch mehr als gewillt, darauf mit einem ähnlichen Kommentar zu antworten. Doch noch bevor ich wusste, was ich erwidern sollte, wurde meine Aufmerksamkeit auf die Straße einige Meter weiter gelenkt. Ein jüngerer Mann riss einer alten Frau, die ein seltsames, grellbuntes Halstuch und einen Krückstock trug – Himmel, das war ja die Oma, die Heinkel heute morgen fast über den Haufen gefahren hätte! – die überdimensionale Handtasche weg und rannte davon. Ömchen fing diesmal nicht an zu schreien, sondern sah ihm gemütlich nach und holte dann aus ihrer rosa Strickjacke – ach ja, es war April, hatte ich das schon erwähnt? - einen Snickers heraus, den sie auspackte und in den sie dann in aller Seelenruhe hinein biss. Danach setzte sie sich in Bewegung. Erstaunlich, aber innerhalb kürzester Zeit hatte sie den Dieb eingeholt. Als sie ihm auf die Schulter tippte, drehte er sich überrascht halb um, schrie auf, ließ die Tasche fallen und gab Fersengeld. Raphael pfiff leise. „Meinst du, wir können die Oma davon überzeugen, dass sie uns hilft?“ „Keine Ahnung. Bestimmt haut sie dann mit dem Krückstock auf den Ketzer ein oder was? Ich jedenfalls“, ich machte eine kurze Pause, „werde nie wieder aus dem Haus gehen, ohne Snickers in der Tasche zu haben.“ Van Winkle lächelte flüchtig. „Ist möglicherweise sicherer, Vic. Mir würden sie ja höchstens Übelkeit bereiten.“ „Oh!“ Die Albernheit verschwand so plötzlich wie sie aufgetaucht war. Automatisch wollte ich meine Kette zurecht ziehen, als jedoch meine Hand ins Leere griff, fiel mir wieder ein, dass ich sie noch gar nicht wieder umgelegt hatte. „Stimmt.“ Der Vampir hatte es absolut richtig gedeutet und grinste breit, hob sogar die Tarnung auf, die seine Eckzähne für gewöhnlich verbarg. „Du bist vollkommen schutzlos. Wenn ich wollte, könnte ich dich jetzt ohne weiteres anfallen und aussaugen.“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Das würdest du nicht überleben. Mal davon ab, dass wir wesentlich wichtigere Dinge vor uns haben.“ „Lass mir doch meinen Spaß.“ Er seufzte theatralisch. „Außerdem habe ich Hunger. Du würdest doch noch nicht einmal wirklich sterben, oder willst du mir erzählen, dass eine Ischariot von Geburt mit 17 tatsächlich entjungfert sein soll? Das bezweifle ich nun doch stark.“ Er beugte sich vor, machte plötzlich eine schnelle Bewegung, sodass er mehr oder weniger über mir kniete und drückte mich gegen die Bank. „Lass mich los!“, knurrte ich und spannte mich an. „Nicht so verkrampft, meine Liebe.“ Er lächelte und kam noch weiter vor. Ich spürte seine Lippen an meinem Hals. Es jagte mir Angst ein und machte mich zornig, aber gleichzeitig war da ein vollkommen anderes Gefühl, das ich jetzt eigentlich gar nicht weiter erforschen wollte. Mit einer Hand tastete ich nach der Beretta, bis sich der kühle Griff in meine Hand schmiegte. Ich riss sie hervor und hatte sie noch in derselben Bewegung auf seine Brust gesetzt. „Ich habe gesagt, du sollst mich loslassen!“ Raphael erstarrte und zog sich dann langsam und vorsichtig zurück, wobei ich die Waffe weiterhin auf ihn richtete. Ich lächelte bitter. „Du solltest dir wirklich angewöhnen, auf mich zu hören. Sonst können wir das sowieso alles vergessen.“ Mittlerweile stand er denn schon vor mir, starrte aber noch immer misstrauisch auf den kurzen Lauf der Beretta. „Normale Waffen können mir gar nichts anhaben.“ „Ich weiß. Aber deiner Reaktion entnehme ich auch, dass du ganz genau weißt, dass wir von Ischariot niemals etwas anderes als Silberwaffen benutzen würden.“ Ein leises Seufzen entrang sich meiner Kehle. „Ich mag dich wirklich, Raphael, aber nicht genug, um so ein Höllenwesen zu werden. Das werde ich auf gar keinen Fall, verstanden? Und wenn wir tatsächlich zusammen arbeiten wollen, was wir ja müssen, wenn das irgendwer überleben soll, dann solltest du a) mich unter keinen Umständen anfassen und b) auf das hören, was ich dir sage! Haben wir uns jetzt endlich verstanden?!“ Der Vampir biss sich auf die Unterlippe. Es dauerte eine Weile, bis er ein gepresstes „Meinetwegen“ ausspuckte. Kapitel 7: 6. Offenbarung ------------------------- Ich war Raphael seitdem aus dem Weg gegangen und hatte mir lieber Gedanken um den anderen Vampir gemacht. Leider war aber nicht wirklich etwas dabei herausgekommen. Ehrlich gesagt – ich hatte nicht einmal ansatzweise eine Ahnung, was ich tun sollte, wenn ich dem Ketzer das nächste Mal über den Weg laufen würde – denn dass ich das noch tun würde, davon war ich überzeugt. Solange, bis entweder er oder ich tot war. Vorzugsweise er. Aber wie ihn töten? Ach, was soll’s. Ich würde so lange schießen und mit dem Kama zuschlagen, bis selbst er nicht mehr aufstand, die Überreste verbrennen und in verschiedenste Gewässer kippen. Hoffentlich vergiftete ich sie damit nicht… Aber egal wie, er würde durch meine Hand sterben! [Ich hoffe, ich habe das typische Ischariot-Denken halbwegs hinbekommen? ;D] Irgendwie hatte ich den Unterricht überlebt, auch wenn ich bei jeder Bewegung aus den Augenwinkeln und jedem plötzlichen, lauten Geräusch zusammengezuckt war. Doch nun endlich klingelte es – wen gibt es, der diesem Laut noch nie sehnsuchtsvoll entgegenfieberte? Ich hasste dieses Gymnasium ohnehin, noch oft genug verstand ich nicht genau, was man eigentlich von mir wollte und außerdem schien mein Akzent Gegenstand allgemeiner Belustigung zu sein. Aber wenn man auf die eine Wange geschlagen wurde, sollte man auch die andere hinhalten. Irgendwann würden sie für jede noch so kleine Sünde büßen. Ich warf mir einmal mehr einen Riemen der Mördertasche auf die Schulter, das Klirren der Kamateile ging im allgemeinen Lärm unter. Nur verlagerte sich dadurch die eine Klinge und schnitt durch den Stoff. Zwar sah es niemand, aber ich spürte, wie sie auch mühelos durch den dünnen Stoff von der Hose und in meine Haut glitt. Ich stöhnte leise auf. Doch jetzt konnte ich mich nicht darum kümmern, ohne mich zu verraten. Erst richtig entsetzt war ich, als ich sah, dass Yumiko nicht im Auto saß, sondern Heinkel allein am Steuer. „Wo ist Yu abgeblieben?“, fragte ich, als ich, mich dem Todesurteil übereignend, ins Auto kletterte. Zuvor hatte ich die Tasche hineingeworfen und auch wenn die Hose zerschnitten blieb, setzte der Heilungsprozess bereits wieder ein. Schneller als bei den meisten Regeneratoren. „Special Auftrag vom Chef. Schnall dich an.“ Nichts anderes hatte ich vorgehabt, bei Heinkels Fahrstil. Meine Erwartungen wurden völlig erfüllt. Schon wieder schaffte sie es, eine alte Frau fast umzufahren. Da Yu nicht eingreifen konnte, ich auch nicht, ich langte nicht ganz daran, vollführte Wolfe eine Vollbremsung erster Sahne. Ich zuckte im Sicherheitsgurt ein ganzes Stück vor, meine weißen Haare, die ich heute ausnahmsweise einmal nicht zurück gebunden hatte, fielen sämtlich vornüber. Die Oma stand noch gemütlich vor dem Wagen – allmächtiger Herr, das waren noch höchstens zwanzig Zentimeter! – in einer Hand einen Krückstock, in der anderen einen Snickers. Verfolgte mich die Snickersoma?! Das war schon das dritte Mal heute! In aller Seelenruhe biss sie von ihrem Snickers ab, sah Heinkel böse durch die Windschutzscheibe an und stolzierte mit einer Kraft und Geschwindigkeit davon, die ich ihr in ihrem Alter gar nicht zugetraut hatte, die sie allerdings schon dem Dieb gegenüber offenbart hatte. „Fahr…langsamer!“, keuchte ich. „Heinkel, du bringst mich um! Und die Oma da irgendwann auch noch.“ Heinkel lächelte flüchtig und schüttelte kurz den Kopf. Mehr Antwort erhielt ich nicht, doch sie tat mir den Gefallen und beschleunigte, nachdem sie wieder angefahren war, nur auf sechzig oder siebzig. Sowieso erstaunlich, dass sie kaum befahrene Straßen fand, denn anderswo konnte sie ja nicht so schnell fahren, und das in Berlin! Wahrscheinlich fand sie die selbst in Rom. Nach einer Weile bemerkte ich jedoch, dass sie weder den normalen Weg zum Hauptquartier noch den nach Hause nahm. „Heinkel?“, fragte ich unsicher. „Wohin fahren wir?“ „Außer die Stadt. Nichts Besonderes, nur ein paar Kisten holen. Keine Ahnung, was drin ist und was dein Vater damit will.“ „Okay.“ Wirklich überzeugt war ich nicht, aber es hieß nicht, dass Heinkel mir etwas verschwieg oder mich gar anlog. Um mir die Zeit zu vertreiben, kramte ich in meiner Tasche nach Lesestoff, wobei ich den Klingen des Kamas sorgsam fern blieb. Goethe. Na wunderbar. Ich verstand da doch eh kein Wort, und das lag nicht unbedingt an meinem Deutsch – aber ich las es dennoch. Als wir auf die Autobahn kamen und Heinkel den Motor voll ausreizte, nichts anderes hatte ich erwartet, sah ich nur einmal flüchtig auf und dann erst wieder, als sie ihn vor einer modernen Lagerhalle parkte. „Wartest du oder kommst du mit?“ „Ich komm mit und helf tragen.“ Ich legte das Gelesene aufgeschlagen zur Seite und schnallte mich ab. Vielleicht fand ich ja heraus, was wir abholen sollten. Heinkel hatte einen Schlüssel für das elektronische Schloss und als das Tor nach oben hin aufglitt, konnte ich weder draußen noch in der Halle irgendwen entdecken. „Woher wissen wir, was wir brauchen?“ Heinkel zuckte mit den Schultern. „Steht ‚I13’ oder so was drauf.“ „In Ordnung.“ Ich ging aufmerksam durch die durch vollbeladene Regale gebildeten Gänge. Schon recht bald würde ich fündig, zumindest nahm ich das an, die drei recht großen Kisten waren beschriftet mit JI XIII Das zu entschlüsseln war ja nun wirklich nicht schwer. JI – Judas Ischariot, nach dem die Organisation benannt war. Und XIII war einfach die römische Zahl Dreizehn. Neugierig sah ich in die erste hinein. Jede Menge Barren Reinsilber. Also wirklich nichts Besonderes, nur für die Waffen. Allerdings würde wohl selbst Heinkel einen Gabelstapler dafür brauchen. Ich wollte sie eben rufen, als mir auffiel, dass da noch eine wesentlich kleinere Schachtel war, die auf die dieselbe Art etikettiert war. Sie war auch wesentlich leichter, wie ich spürte, als ich sie in die Hand nahm – und fast wieder fallen gelassen hatte, als ich den Inhalt gesehen hatte. Die Gegenstände darin waren fein säuberlich geordnet, klein und vor allem unbenutzt. Freakchips. Kapitel 8: 7. Lügen ------------------- Ich hatte Heinkel gegenüber nicht erwähnt, dass ich wusste, was sich in der Schatulle befand. Vielleicht wusste sie es ja nicht einmal selbst. Aber glaubte ich das? Wer weiß, vielleicht bedeutete das sogar, dass das, was sie mit meinen Genen angestellt hatten, gar kein Versehen gewesen war… Nein, stattdessen hatte ich die ganze Rückfahrt schweigend nachgedacht, Goethe auf dem Schoß liegend und von Zeit zu Zeit umblätternd, damit mein Wachhund keinen Verdacht schöpfte. Wozu brauchte Ischariot so viele Freakchips? Und was war der eigentliche Grund, aus dem wir nach Berlin gekommen waren? Sie setzte mich direkt daheim – soweit das so weit weg von Rom möglich war – ab und fuhr weiter, mit den Kisten im Kofferraum. Ich hatte gar nicht richtig mitbekommen, wie sie sie hereinbekommen hatte. Egal. Ich zog mich in mein Zimmer zurück. Die Tasche flog in eine Ecke, die Jacke hinterher, während ich mich selbst auf das Bett sinken ließ, an die Wand dahinter gelehnt und die Augen leicht geschlossen. Aus meiner Erstarrung erwachte ich erst wieder, als mein Handy in meiner Hose – die immer noch kaputt war, aber egal – vibrierte. Egal. Mir fiel dabei nur auf, dass ich unsagbaren Durst litt. Draußen war es schon dunkel. Ich stand auf, verließ das Zimmer und ging den Gang herunter Richtung Küche. Als ich jedoch am Arbeitszimmer von Enrico vorbeikam, ließ jemand meinen Namen darin fallen. Und auch wenn meine Neugier heute schon einmal fatal gewesen war, schlich ich leise näher und konzentrierte mich auf das Gespräch. „Was soll mit Victoria sein?“ Enrico klang gereizt und abgehetzt. Das kannte ich noch gar nicht bei ihm, ebenso wenig, wie ich den anderen Sprecher identifizieren konnte. Es war ein Mann, aber mehr vermochte ich nicht zu sagen. „Maxwell, schicken Sie Ihre Tochter zurück nach Rom! Sie ist da wesentlich sicherer als hier.“ Enrico lachte trocken. „Das weiß ich selbst. Wenn ich wollte, dass sie in Sicherheit ist, hätte ich sie gar nicht erst mitgenommen.“ „Und warum haben Sie sie dann mitgenommen?“ Ich drückte mich nahe an die Wand neben der Tür. Das interessierte mich auch mal. Zunächst einmal folgte eine längere Pause. „Victoria… sie ist zwar noch jung und manchmal unsicher, aber trotzdem unsere stärkste Kriegerin seit Anderson…“ „Den wir ja nicht mehr haben.“ „Unterbrechen Sie mich nicht!“; fauchte mein Vater. „Ich bin nicht erst seit gestern Leiter von Ischariot! Es war ein Zufall, dass ich dieses Kind damals getroffen habe, oder eher eine Vorsehung Gottes. Ich habe schon damals ihr Potenzial erkannt und sie daher adoptiert. Sie war schon als Kind wirklich außergewöhnlich… sie ist die erste und bisher einzige gewesen, die eine spezielle Gentransplantation überlebt hat“ Es war also doch kein Missverständnis, das mich zu einer Mutation hat werden lassen, das warst nur du! „und seitdem hat sie Fähigkeiten, wie sie selbst den Regeneratoren nicht zur Verfügung stehen. Doch dennoch wird sie wohl keine wirkliche Chance gegen Alucard haben. Und so weh es mir tut, wo wir doch nur diese eine haben, so muss ich sie doch gegen den Vampir vorschicken, um ihn genug zu schwächen, dass wir ihn töten können. Manchmal muss man die Dame opfern, damit die Bauern den König besiegen können.“ Du verdammtes Schwein!!! Wie konntest du mir das antun?! Ich wollte in das Arbeitszimmer rennen und Enrico so lange mit dem Hinterkopf gegen die Wand schlagen, bis er sich nicht mehr rührte. Doch nach einem Moment verging der übermächtige Drang, ich hatte mich mehr oder weniger unter Kontrolle – welche Ironie, nur weil er mich immer darauf getrimmt hatte, dass ich mich niemals von Zorn leiten lassen sollte! – und wurde außerdem abgelenkt, weil mein Handy ein zweites Mal vibrierte. Entnervt holte ich es aus der Tasche. Raphael. Eine Entschuldigung und ob ich mich von meinen Wachhunden loseisen konnte, sodass wir uns in einer halben Stunde wieder im Park treffen konnten. Kein Problem, schrieb ich zurück. Ich komm irgendwie an ihnen vorbei. Bis gleich. Ich musste hier einfach raus, wenn nicht heute noch jemand sterben sollte. Kapitel 9: 8. Semper et ubique - Immer und überall -------------------------------------------------- Ich wusste nicht, wie ich es geschafft hatte, doch nun stand ich vor Kälte zitternd im dunkeln Park, immer noch mit zerrissener Hose und einer nur dünnen Jacke. Mein Rucksack lehnte an meine Beine. Das Kama war das einzige, dass ich von den Dingen, die ich vorher drin gehabt hatte, gelassen hatte. Ich hatte wahllos Geld eingesteckt – um die zweihundert Euro müsste ich gefunden haben. Außerdem sechs Magazine für die Beretta in meiner Hüfttasche, mehr hatte ich nicht aufgetrieben. An was zum Anziehen – sei es nur etwas Wärmeres – hatte ich natürlich nicht gedacht. Und mein Handy hatte ich auch dagelassen, weil sie mich dadruch finden könnten, ein Risiko, das ich nicht einzugehen gewillt war. „Raphael, wo bleibst du?“, murmelte ich während ich von einem Bein auf das andere trat. Mein Zeitgefühl war offenbar auch immer noch in der Villa. Großartig. Und solange ich wartete blieb mir nichts anderes übrig, als nachzudenken. Punkt 1. Ich war eine Mutation, und das gewollt. Ich trug ein paar Vampirgene, ein paar Werwolfgene und ein paar Regeneratorgene in mir. Ich war noch ein Mensch, oh ja, und ich konnte auch durchaus noch zu einer anderen Rasse werden. Aber ich war stärker, schneller und… besser? als ein normaler Mensch. Nicht besser, entschied ich für mich. Wesen wie ich waren nicht von Gott gewollt. Nein, ich war nicht besser. Vielleicht besser im Töten. Aber nicht besser. Punkt 2. Ischariot hatte jede Menge brandneue Freakchips geordert. Warum? Wollten sie mehr Wesen wie mich, Kampfmaschinen? Denn nur um sie zu erforschen, waren es viel zu viele. Punkt 3. Ich war dazu ausersehen, Alucard genügend zu schwächen, dass Ischariot ihn vernichten konnte. Oh, und ich dürfte dabei sterben. Wahrscheinlich war es sogar so vorgesehen, sollte ich zufällig überleben, würde ich durch etwas anderes zu Tode kommen. Eine verirrte Kugel oder Klinge. Natürlich von einem Ischariot. Verdammtes Ischariot! Ich hörte leise Schritte, so leise, dass nur eine verfluchte Mutation sie hören konnte. Mit einer Bewegung riss ich die Beretta hervor, drehte mich in die entsprechende Richtung und zielte. Dann aber erstarrte ich und ließ die Waffe sinken. „Nicht schon wieder!“ Raphael seufzte leise. „Ich ergebe mich, Lady Maxwell.“ „Nicht Maxwell“, knurrte ich, als ich sie wieder wegsteckte und er näher kam. Überrascht sah er auf die Tasche. „Gehst du nie ohne die raus?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Nach Ischariot gehe ich jedenfalls nicht mehr zurück. Nicht nach heute.“ Er hob eine Braue. „Was ist passiert?“ Also bekam auch er die drei Punkte von eben zu hören. Es tat erstaunlich gut, alles endlich loszuwerden. Van Winkle schien das allerdings sehr belustigend zu finden. „Lass mich noch einmal zusammenfassen. Dein Vater, der ach so heilige Enrico Maxwell, hat vor, seine Tochter für seine Ziele zu opfern. Der Vatikan wird in nächster Zukunft wahrscheinlich Vampire erschaffen, die bisher leidenschaftlich gejagt wurden. Und du, die stärkste Kriegerin, bist eine Vampir-Werwolf-Regenerator-Mischung. Das klingt… total durchgedreht, ist dir das bewusst?“ Und dann fing er an zu lachen. Erst wollte ich auffahren, aber irgendwie hatte er Recht – es klang bescheuert. Nach einigen Momenten aber beruhigte sich der Jungvampir wieder. „Aber wenn das so ist, dann ist Ischariot eine viel größere Bedrohung, als wir bisher annahmen. Ich muss das meinen Leuten sagen.“ Er sah mich fragend an. „Victoria, ich weiß wie das klingen muss, aber… kommst du mit?“ Ich starrte ihn fassungslos an. „Zu Millennium? Ich?“ Ein Schulternzucken folgte. „Warum nicht? Du kannst nicht zurück nach Ischariot und du willst es auch gar nicht, das weißt du selbst. Du kannst dich auch so nicht lange über Wasser halten, selbst wenn sie dich nicht finden. Und bei uns wärst du – zumindest vorläufig – in Sicherheit. Außerdem weißt du wenigstens, was dich erwartet.“ „Vielleicht.“ Ich ertappte mich, ernsthaft darüber nachzudenken. Aber im Grunde stimmte es, was er sagte… und warum eigentlich nicht? Ich biss mir kurz auf die Lippe, und griff dann nach meiner Tasche. „Gehen wir.“ Kapitel 10: 9.Wie im Traum -------------------------- Jetzt standen wir irgendwo in Berlin um schätzungsweise Mitternacht in einer verlassenen Sackgasse. Super. „Raphael? Was machen wir hier?“ Er grinste mich schief an. „Gib mir deine Hand, Vic. Wir nehmen eine Abkürzung.“ „Hier geht es nicht weiter“, bemerkte ich misstrauisch. „Doch. Durch die Wände.“ „Ich gehe doch nicht durch irgendwelche Wände!“ Er verdrehte die Augen und griff nach meiner Hand, so fest, dass ich außerstande war, sie zurück zu ziehen ohne ihn zu verletzen. „Es ist nichts Schlimmes, Darling.“ Ich war so perplex, dass van Winkle mich Darling nannte, dass ich vollkommen vergaß Widerstand zu leisten, als er in der Wand verschwand und mich mitzog. In der war es stockdunkel und eisig kalt. Auch meinen Orientierungssinn hatte ich nun verloren. Bisher hatte ich nie unter Platzangst gelitten, aber nun stand ich kurz vor einem klaustrophobischen Anfall. Ich klammerte mich regelrecht an Raphaels Hand, den ich nicht einmal sehen konnte, der einzige Halt hier. Ganz ruhig Victoria. Du tust mir weh. Um ein Haar hätte ich ganz losgelassen, als ich seine Stimme in meinem Kopf hörte. Was hatte er in meinen Gedanken zu suchen? Anders kann ich hier nicht mit dir reden, sorry. Aber es dauert auch nicht lange. Vertrau mir. Mir blieb ja gar nichts anderes übrig, wenn ich nicht den Rest meines Lebens in dieser wirklich gemütlichen und kuscheligen Wand verbringen wollte. Ich schloss die Augen und ließ mich von dem Vampir führen. Trotz seiner Beteuerung kam es mir endlos vor, bis ich endlich spürte, wie es wärmer wurde, wie ich den Wind fühlte, wie ich wieder richtig atmen konnte, wie es nicht mehr so entsetzlich bedrückend war. [Anmerkung: Wie bereits erwähnt, ich war noch nie in Berlin, also keine Gewähr für folgende Daten. Wahrscheinlich ist alles falsch.] Als ich also zögernd die Augen wieder öffnete, stand ich mit dem Rücken zur Wand, nur den Rucksack dazwischen und auf einer flachen Wiese, die in einiger Entfernung in Wald überging. Hinter mir, das bewies ein flüchtiger Blick um mich herum, war das letzte Haus, je weiter nach hinten, desto mehr wurde es Stadt. Raphael, der nur wenig vor mir stand, lächelte. „Wir sind direkt am Randbezirk von Berlin“, erklärte er. „War das jetzt wirklich so schlimm?“ „Ja, war es. Ich gehe nie wieder durch irgendwelche Wände!“ Aus seinem Lächeln wurde das mir wohlbekannte, leicht spöttische Grinsen. „Mag sein. Wir sind auf jeden Fall so gut wie da.“ Er kam noch einen Schritt näher und befand sich nunmehr nur noch wenige Zentimeter vor mir. Aber ich wich nicht zurück – schon allein, weil die Wand hinter mir mit einem Mal außergewöhnlich solide erschien und selbst wenn nicht, wäre ich nicht durchgegangen. „Ich habe Angst davor“, gab ich zu. „Ich kann da doch jetzt nicht einfach hingehen, ‚Guten Tag, ich bin da, kann ich anfangen?’ oder so. Was, wenn sie mich überhaupt nicht wollen?“ „Mach dir da mal keine Sorgen, ich regele das schon“, murmelte er und als ich meinen Mund leicht zu einer neuen Erwiderung öffnete, verschloss er ihn direkt wieder mit einem Kuss. Ich war überrascht, ja, aber ich zog ihn auch näher an mich. Er jedoch löste sich nach einigen Sekunden wieder und wanderte langsam mit den Lippen herunter, meinen Hals entlang. Dieses Mal wehrte ich mich nicht, als er meine Halsschlagader suchte und dann vorsichtig, beinahe zärtlich seine Zähne in meine Haut versenkte. Kapitel 11: 10. Elysium ----------------------- Dieses Zwischenstadium zwischen Tod und Untod war eine wirklich seltsame Erfahrung. Vielleicht war es auch gar kein Zwischenstadium, sondern das, was man landläufig als Jenseits bezeichnete. Als ob meine Seele von meinem Körper getrennt wäre und sie, neben ihm stehend, das ganze durch einen Nebelwall beobachten würde. Ich wusste, dass ich Schmerzen hatte, große Schmerzen sogar, aber alles was ich wahrnahm, war eine merkwürdige Mischung aus Geborgenheit, Verlorenheit und einer entsetzlichen Leere. Aber trotzdem nichts Unangenehmes, ganz im Gegenteil. Von meiner Umgebung nahm ich rein gar nichts mehr wahr. Aber Raphael war da und würde auf mich aufpassen – auch wenn ich absolut nichts mit dem Namen Raphael assoziierte. Und dieser Name war auch alles, was – zumindest in diesem Moment – an Erinnerungen übrig geblieben war. Nichts anderes war in meinen Gedanken, nicht einmal wer ich selbst war, außer Ruhe, Geborgenheit, Licht, Wärme, gleichzeitig Verlorenheit, Leere – und dieser Name. Gleichgültig. Es war alles gleichgültig. Dieses Nichts war Frieden, absoluter Frieden. Er umfing einen sanft, ließ einen vergessen, die ganzen Sorgen und das Leben vergessen und schläferte einen ein. Es gefiel mir. Es war schön. Ich war kurz davor, meinen Halt zu verlieren und tatsächlich einzuschlafen. Und dann wäre ich unwiderruflich verloren gewesen, aber es blieb auch bei diesem kurz davor. Bis nämlich eine Welle aus Schmerzen mich aus meinem Frieden zurück in meinen Körper riss. Zurück ins Leben. Oder vielmehr, den Untod. Kapitel 12: 11. LZ 129 Hindenburg --------------------------------- Dafür, dass ich jetzt doch länger gebraucht habe, gibt es auch ein längeres Kapi :D Mir war in erster Linie schwindlig. Als ich die Augen öffnete, schien alles wegzukippen, obwohl ich flach lag, offenbar in – Raphaels? – Bett. Das relativ kleine Zimmer war erstaunlich ordentlich, wenn es tatsächlich einem siebzehnjährigen Jungen gehörte. Die Wände sahen seltsam aus und eine war sogar leicht gewölbt. Seltsam solange, bis mir einfiel, dass das die Außenwände der Hindenburg sein mussten. Die Hindenburg! War ich wirklich in Millenniums Hauptquartier? Was war in mich gefahren? Ich hatte zwar nicht direkt Ischariot verraten, nein, das hatte mich nur benutzt, aber die einfachen Soldaten der Organisation. Ich biss mir auf die Unterlippe. Konnte ich es wirklich verantworten, dass sie alle meinetwegen starben? Schließlich war ich die einzige gewesen, auf die sie hoffen konnten. Er würde sie alle umbringen! Und das würde einzig und allein meine Schuld sein! Stimmen wurden vor der Tür laut und unterbrachen meine Schuldgefühle. Es waren mindestens drei verschiedene Personen, eine davon Raphael. Eine zweite klang weiblich und noch sehr jung. Ein Kind auf der Hindenburg? Andererseits war ja auch Raphael hier aufgewachsen. Ich setzte mich auf und sank fast sofort wieder gegen die Wand, an der das Bett stand, und die seltsam weich war und nachgab. Mir schien es, als spielte die ganze Welt Karussell. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass das die Nebenwirkung war, wenn man mit Vampirismus infiziert wurde. Die Lautstärke vor der Tür schwoll noch mehr an, aber mein Deutsch war nicht so perfekt, dass ich bei der Redegeschwindigkeit allzu viel verstand. Doch ich bekam genug mit, um zu wissen, dass es um mich ging. Ich ignorierte Raphaels Anweisung, mir keine Sorgen zu machen, und fing mit eben jenen an. Wohin sollte ich denn dann gehen, wenn nicht hierher? Noch dazu, dass ich jetzt Vampirbrut war. Warum hatte ich es zugelassen? Vampire waren unreine Geschöpfe der Hölle, keine Wesen des Herrn. Aber – und das war ein großes Aber – im Gegensatz zu vorher war ich ein Monster, keine Mischung aus zweien (oder sogar dreien?). Wenn man genauer darüber nachdachte… dann entsprachen Wesen wie Vampire und Werwölfe doch eher dem Willen Gottes als die künstlich geschaffenen Regeneratoren. Nicht die Freaks, aber die Natives. Wir Natives. Der Streit brach abrupt ab und die Tür wurde mit solchem Schwung aufgerissen, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte. Das erste, was mir auffiel, war ein Wirbelwind von etwas über einem Meter Höhe und wirr abstehenden blonden Haaren. Das Mädchen hatte noch ein sehr kindliches und rundes Gesicht, das von Sommersprossen und großen, roten Kulleraugen dominiert wurde. Ein dünner Streifen getrocknetes Blut verlief quer über ihr Gesicht, wie von einem Kratzer, nur ohne Wunde. Eine bemerkenswert junge Nosferati. Allerhöchstens zwölf Jahre alt. Sie legte den Kopf leicht schief und grinste mich an. „Dann bist du also das neue Opfer von meinem Bruder“, sagte sie ohne jede Begrüßung. „Helena!“ Ich war von der Kleinen so abgelenkt gewesen, dass ich Raphael erst jetzt bemerkt. Er stand nun direkt hinter ihr – Helena. „Was denn?“, protestierte sie. „Ich hab doch nur…“ Der Rest wurde durch Raphaels Hand in ihrem Mund unverständlich. „Nimm doch verdammt noch mal Rücksicht auf sie, Helena! Und du brauchst dich nicht hinter der Tür zu verstecken, du kannst auch deine Patentochter in Gewahrsam nehmen.“ Und das sagte ausgerechnet er. Als würde er Rücksicht nehmen… zudem wollte ich es ganz gerne so bald als mir irgend möglich hinter mich bringen. Mal davon ab, dass die Kleine an sich mit ihrer offenen Art recht amüsant war und wild um sich schlagend ihren Bruder loszuwerden versuchte. Gleichzeitig und offenbar als Reaktion auf Raphael huschte – noch – jemand ins Zimmer. Zwar größer als der wandelnde Meter Helena, aber dennoch wesentlich kleiner als der Vampir und ich. Betreffende Person hatte blondes Wuschelhaar, wo ich mir als einziger Weißschopf noch mehr als Außenseiter und noch weniger dazugehörig vorkam, aus dem dunkle Katzenohren herausragten. Neko. Die Halbkatze grinste noch viel breiter als Helena und zuckte mit selbigen. „Du kommst doch ganz gut mit deiner kleinen Schwester klar“, bemerkte er gönnerhaft. „Außerdem hast du doch das Ischariot-Mädchen mitgebracht. Irgendwie hat deine Familie es ja mit dieser Organisation. Hel, mach ihnen das bitte nicht nach. Ach, was soll’s.“ Der Neko hatte, soweit ich das mitgekriegt hatte, nicht einmal Luft geholt und die Worte mit einer solchen Geschwindigkeit hervorgebracht, dass ich kaum folgen konnte. Vor allem bei meinem Deutsch. Und er fuhr auch schon wieder fort. „Im Übrigen, Mädchen, bin ich Schrödinger…“ „Die Hauskatze vom Major“, murmelte Raphael und erntete einen tödlichen Blick dafür. „Eigentlich wollte ich die Dame grade nach ihrem Namen fragen“, antwortete Schrödinger beleidigt. Falls ich tatsächlich hier bleiben würde, dann versprach es ja, wirklich amüsant zu werden. „Ich bin Victoria“, beeilte ich mich mit einem Lächeln zu versichern. Es war möglicherweise besser, wenn ich meinen vollen Namen nicht sofort preisgab, andererseits, wenn ich hier bleiben wollte, musste ich ihnen direkt reinen Wein einschenken. Und wenn ich es nicht tat, aber Raphael, dann saß ich erst recht in der Klemme. Also überwand ich mich dazu. „Victoria Maria Maxwell.“ „Oh.“ Für einen Moment wirkte Schrödinger sprachlos und obwohl ich ihn kaum kannte, hätte ich es ihm nicht zugetraut. Aber es dauerte ohnehin nicht lange, dann sah er über die Schulter zu dem Jungvampir, der sich immer noch mit dem Wirbelwind abmühte. „Lass Hel endlich los, sonst wird die Kleine bissig, das weißt du. Und warum hast du uns nicht gesagt, dass du Maxwells Tochter mitgebracht hast?“ Der Neko gab dem Vampir aber gar keine Möglichkeit zu antworten. „Eure Familie hat es ja mit hochrangigen Ischariotmitgliedern. Wenn das auch gewisse Möglichkeiten bietet… Aber Helena, versprich mir, dass du dir nachher mal jemanden vernünftiges suchst, wenn überhaupt.“ Helena, mittlerweile tatsächlich losgelassen, schien sich nicht sicher zu sein, wen sie zuerst mit Blicken töten wollte. Dann warf sie theatralisch den Kopf zurück - was bei vielleicht einem Meter zwanzig Körpergröße und dem blonden Durcheinander auf selbigen schlicht und ergreifend lächerlich aussah – und stolzierte zur Tür heraus. „Deine Eltern haben euch ja wirklich großartig erzogen“, kommentierte Schrödinger spöttisch. Raphael schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Du bist ihr Pate. Solltest du dich dann nicht auch um ihre Erziehung kümmern?“ „Tz“, war die Antwort. „Da war ja nie was, was ich hätte retten können. Mal ganz davon ab… willst du mit deinem Mädchen“, bin ich überhaupt noch da? „nicht mal langsam zum Major, ob sie denn überhaupt bleiben darf?“ Kapitel 13: 12. Todesrose ------------------------- Ich hatte gar nicht richtig mitbekommen, dass Schrödinger gegangen war; so schnell er redete, so schnell war er verschwunden. Raphael erklärte, dass das schlicht und ergreifend daran lag, dass er immer da war, wo es für ihn am interessantesten schien. Oder er spielte die Klette vom Major. „Du scheinst ihn ja unglaublich zu mögen?“ „Wen? Den Major oder Schrödinger?“ Ich zuckte mit den Schultern. Mittlerweile war ich aufgestanden, ich hatte in meinen Klamotten geschlafen. Klar, ansonsten wäre ich Raphael wohl an die Kehle gesprungen. Zurzeit versuchte ich, meine Haare in Ordnung zu bringen, was ohne Spiegelbild mehr als schwer fiel. Die erste Auswirkung des Vampirismus’, die ich an mir selbst bemerkte. Wie gut, dass ich sowieso nicht zu der Art Frau gehörte, die ständig in den Spiegel sahen, um ihr Make-up zu überprüfen… ich würde andernfalls ja einen Herzinfarkt kriegen. Nicht, dass das jetzt noch einen großen Unterschied machte. „Beide“, antwortete ich verspätet. „Oh ja.“ Es war regelrecht zu hören, wie der Sarkasmus von seiner Stimme in eine große Lache auf den Boden tropfte. „Schrödinger mischt sich in alles ein, egal, ob es ihn etwas angeht oder nicht und weiß alles, vor allem besser. Und der Major ist ein fetter, nichtsnutziger, verdammter Kriegstreiber. Seine ganzen Absichten verdammen Millennium. Versteh mich nicht falsch. Ich stehe vollkommen hinter Millennium. Ich würde sterben, wenn es sein muss. Aber ich teile die Ansichten nicht. Ich [ja, der dreimalige gleiche Satzanfang ist Absicht] bin hier nicht freiwillig, und das ist der Unterschied zwischen mir und den meisten hier.“ Einmal mehr huschte ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht. „Allerdings sind die meisten hier auch Freaks, die nicht mal ansatzweise an mich heranreichen. Oder an dich. Auch wenn du noch kein richtiger Vampir bist, sondern von mir abhängig.“ „Was dir ziemlich gefällt“, vermutete ich. „Aber sicher.“ Nun grinste er mal wieder. Schien zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zu gehören. Dann auf einmal kam er auf mich zu, fasste mich um die Hüfte und zog mich ganz zu sich heran. „Bei jemanden wie dir.“ „Ach?“ Ich schlang die Arme um seinen Hals - warum fiel mir erst jetzt auf, wie viel größer er war? „Eindeutig. Sollte ich nicht?“ „Mach dir mal lieber Sorgen darüber, wie wir den Major dazu kriegen, dass ich bleiben darf.“ Raphael verdrehte die Augen. „So dämlich wäre nicht einmal er. Du darfst auch jeden Fall bleiben.“ „Sicher? Warum?“ „Ganz einfach, Süße. Es gibt mehrere Gründe. Zum einen brauchen wir viele Leute, mehr eigentlich, als wir kriegen, vor allem, wenn jetzt wieder Krieg ist. Und du bist schon verdammt gut ausgebildet. Dann kommst du direkt von Ischariot. Es ist natürlich deine Entscheidung, ob und was du erzählst, aber für unsere Leute ist das ein großer Anreiz. Ebenso, wie dass du Enricos Tochter bist – entweder als Druckmittel oder um Maxwell das Genick zu brechen, wenn du verstehst, was ich meine. Und zuletzt habe ich dich gebissen, du bist mir unterstellt. Wenn der Major dagegen bist, dass du bleibst, ist er wirklich so abgrundtief dumm, dass er ganz eindeutig nicht als Anführer taugt.“ So viele Gründe wären mir nie im Leben eingefallen. „Ohkaay.“ Ich dehnte das Okay mehr als beabsichtigt. Offenbar klang es so seltsam, dass der Blonde lachte. „Keine Sorge, meine Todesrose. Es ist alles ganz einfach und das ist auch heute Abend erledigt.“ Sicherlich fiel es ihm leichter, es zu sagen, als mir, es zu glauben. Kapitel 14: Interludium. Yumikos Gedanken oder Was ist eigentlich aus der Snickersoma geworden? ----------------------------------------------------------------------------------------------- So Leute, das Kapi ist mal ein bisschen anders ;) Yumiko erzählt mal, was in Ischariot los ist. Hat in erster Linie den Grund, dass ich keine Ahnung habe, wie ich das mit dem Major schreiben soll oO Das ist nämlich der einzige Chara, den ich absolut nicht mag (okay, ich bin auch kein Enrico-Fangirl, wie man wohl merkt? ;D). Könntet ihr wohl so lieb sein und mir helfen? Und sei es nur eine kleine Anregung. Wäre euch super dankbar!! Ach ja: Auch wenn es euch möglicherweise überflüssig vorkommt, nachdem mein Bruder Probleme hatte, die Snickersoma zu verstehen, habe ich mal die Übersetzung immer dahinter geschrieben ;) Mit samt und sonder allen Mitgliedern Ischariots war grade nichts anzufangen. Maxwell lief wie eine Katze im Käfig herum und fauchte jeden an, der ihm über den Weg lief. Heinkel hatte sich zum Schießplatz verzogen und alle anderen von selbigen vertrieben. Die Neulinge wurden von den Alteingesessenen durch die Gegend gescheut. Im Allgemeinen – es herrschte Chaos und Stress pur. Und ich… Nun, da ich mich nicht an die letzten zwei Stunden erinnerte, aber mein Katana in der Hand hatte und das ganze Hauptquartier Spuren der Verwüstung vorweisen konnte (anders gesagt: stellenweise war alles kurz und klein geschlagen), war anzunehmen, dass Yumi mal wieder die Oberhand gewonnen hatte. Dafür sprach auch, dass ich halb blind war, weil ich keine Ahnung hatte, wo meine Brille war. Egal. Es würde ohne gehen müssen. Was dachte sich dieses verdammte Kind auch dabei, einfach so abzuhauen?! Aber was mich noch viel mehr aufregte, als dass sie verschwunden war, waren zweierlei Dinge: Erstens, dass es ihr so leicht gefallen war, warum hatte niemand etwas gemerkt? Zweitens: meine Vermutung, wohin sie wahrscheinlich gegangen war. Natürlich würde ich mich hüten, dem Chef gegenüber so was zu erwähnen und es war ja auch nur eine Vermutung – aber ich war nicht blind (gut, im Moment schon). Verdammt, ich hatte Victorias Blicke dem Van Winkle-Jungen gegenüber gesehen! Wir bekamen ja langsam echt Übung darin, unsere besten Leute an Millennium zu verlieren. Vielleicht sollten Heinkel und ich auch überlaufen. Dann wäre Ischariot wenigstens ganz aufgeschmissen, Maxwell bekam ja alleine gar nichts auf die Reihe. Allein schon, wie lange er gebraucht hatte, um ein paar zum Suchtrupp abzukommandieren… ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass es den anderen Organisationen auch nicht besser ging. Die Vorgehensweise von Millennium ließ darauf schließen, dass der Major keine Ahnung von seinem Job hatte. Und jemanden wie Integra als Vorgesetzte… irgh. Da fuhr ich lieber mit Heinkel Auto. Apropos: ich musste hier ’raus. Lange hielt ich es hier nicht mehr mit den Verrückten aus (ähm ja… sagt die Schizophrene). Dass ich grade sowieso im Eingangsbereich stand, passte mir ganz gut. Ich hängte mir das Katana um – hoffentlich begann Yumi kein Blutbad – und griff, blind wie ich war, den erstbesten längeren Mantel aus der Garderobe. Er war viel zu groß, möglicherweise von einem der Kerle hier, oder eher Heinkel. Aber auf jeden Fall schnell hier heraus, bevor ich noch rein zufällig dem Chefe über den Weg lief. Na danke, lieber nicht. Da taperte ich lieber halb blind durch Berlin, schien irgendwie gesünder zu sein. Mir gefiel die Stadt. Sie war viel grüner als Rom [glaub ich zumindest uû] und so schlenderte ich denn auch Richtung Park. Zwar erkannte ich kaum mehr als ein paar bunte Flecken, aber das schien, wie gesagt, trotz des Risikos der Autos wesentlich ungefährlicher als momentan Maxwell oder sogar Heinkel über den Weg zu laufen. Meine Partnerin hatte schon immer die Angewohnheit gehabt, schneller zu schießen als zu denken. Nicht, dass das sonderlich schwer wäre. Ich schlug den Kragen des viel zu großen Mantels hoch und vergrub die Hände in den Taschen. Eindeutig, Wolfes Verhalten färbte auf mich ab. Nur, dass ich jetzt keine so stilische Sonnenbrille wie sie trug. Und da ich ohnehin nicht wirklich etwas sah, starrte ich denn auch Heinkel-mäßig auf den Boden, während ich gemächlich weiterging. Houston, wir haben ein Problem. Wobei eins weit untertrieben war. Möglicherweise war Victoria unser dringendstes, allerdings nicht, wenn sich der verdammte Ketzer von einem Vampir tatsächlich hier herumtrieb. Obwohl… sie war eine Waffe. Auch wenn ich sie, anders als ihr Vater, nicht nur darauf reduzierte. Ah ja… und eine wandelnde Informationsquelle über Ischariot. „Scheiße“, fluchte ich leise – und lief in jemanden hinein. Ich brauchte nur einen Moment, um mein Gleichgewicht zu wahren und griff blind nach vorn, um zu verhindern, dass Wer-auch-immer meinetwegen stürzte. Tatsächlich bekam ich einen Arm zu fassen, nach einem Moment, als ich sicher war, dass keine solche Gefahr mehr bestand, ließ ich leicht verlegen wieder los. Erkennen konnte ich immerhin ein grellbuntes Farbengemisch von zirka einem Meter fünfzig Höhe. Verdammt. Ich sollte mir angewöhnen, ein paar Ersatzbrillen mit mir mitzuschleppen, oder Kontaktlinsen. Nach Yumis Anfällen war ich jedes Mal aufgeschmissen. „Verzeihung, das wollte ich nicht. Alles in Ordnung? Ist Ihnen etwas passiert?“ „Na, na, scho’ i’ O’nung, jung’ Frau.“ [Nein, nein, schon in Ordnung, junge Frau.] Ich musste mich sehr anstrengen, um den seltsamen Dialekt zu verstehen. Könnte Bayrisch sein. Jedenfalls wusste ich jetzt, dass es eine alte Frau war, das hörte man deutlich. „Sen Se ne Nonne?“ [Sind Sie eine Nonne?], fragte sie dann. Sah man mir das denn selbst jetzt so deutlich an, wo ich den Mantel und die Haare offen trug? Nicht, dass es mich störte, es wunderte mich nur. „Bin ich. Warum?“ „Nua so. Hmmm. Sniggas?“ [Nur so. Hmmm. Snickers?] „Snickers?“, wiederholte ich fassungslos. „Was für Snickers?“ „Na jut, de ebe nischt. Habish mehr.“ [Na gut, dann eben nicht. Habe ich mehr.] Offenbar hielt sie den Zeitpunkt auch für gekommen, jetzt einen zu essen. Es klang zumindest so. Ich wartete geduldig, bis sie fertig war. Keine Ahnung warum. „Ah, Se sen ja imma no’ da. Des is jut. Se ham Jedult. Sen mi sym-apathisch. Sachen Se ma’, sen Se enne von de’ neun Kirchenleut’?“ [Ah, Sie sind ja immer noch da. Das ist gut. Sie haben Geduld. Sind mir sympathisch. Sagen Sie mal, sind Sie eine von den neuen Kirchenleuten?] Was zur… Meinte sie etwa Ischariot?! Woher könnte sie von uns wissen? „Was für Kirchenleute?“ „Keene Ahnung. Sen ers’ seit paar Wochen inna Stadt. Hab scho’ n paar von dene’ jesehen. Irjendwat vom Vatischan oda so. Hochjeheim. Aba Jertrude un’ de Sniggas wissen viel.“ [Keine Ahnung. Sind erst seit paar Wochen in der Stadt. Habe schon ein paar von denen gesehen. Irgendwas vom Vatikan oder so. Hochgeheim. Aber Gertrude und die Snickers wissen viel.] „Gut zu wissen“, murmelte ich. Wie tief waren wir gesunken, dass eine alte Frau, deren Hauptinteresse offenbar Snickers waren, anfing, sich Gedanken über die dreizehnte Kongregation des Vatikans zu machen? „Was wissen Sie denn über I… diese Leute von der Kirche?“ „Nischt allz’ viel. Irjendenne Jampftrupp’ oda so. Un’ scheenen im Momang irjendwelsche Probemje zu ha’m.“ [Nicht allzu viel. Irgendeine Kampftruppe oder so. Und scheinen im Moment irgendwelche Probleme zu haben.] Mittlerweile war mir die Frau unheimlich und möglicherweise eine Gefahr, die es auszuschalten galt. Aber ich konnte doch nicht… Und selbst wenn, nicht auf offener Straßen. „Yumiko!“ Heinkels Stimme. Moment! Heinkel? Wo kam die denn jetzt schon wieder her?! Ich spürte ihre Hand auf meinen Trenchcoat“, bemerkte sie. „Hier. Deine Brille, du blindes Huhn.“ Die Bewegung der Flecken verriet, dass sie damit vor meinen Augen herumfuchtelte. Ärgerlich schnappte ich danach und setzte die Brille auf, sodass die Welt wieder klare Konturen annahm. Heinkel grinste. „Hallo Ömchen“, begrüßte sie fröhlich. „Irgendwie kommst du mir bekannt vor. Egal. Ich brauch mal deine Gesprächspartnerin.“ „Was ist?“ Heinkel setzte ihre stilische Sonnenbrille auf und grinste noch breiter. „Zooling hat einen Fehler gemacht. Die Möglichkeit, dass wir Vic wiederkriegen, erhöht sich dadurch zwar nicht zwangsläufig, aber wenn wir uns beeilen, kriegen wir Zooling noch.“ Ehrlich gesagt, hatte ich jetzt keine große Lust, mich mit dem sensenschwingenden, rothaarigen Mannweib von Millennium zu schlagen. Ah, und noch etwas – nach Heinkels Aktion jetzt grade wunderte ich mich nicht mehr, dass „Jertrude und die Sniggas“ so viel über uns wussten. So viel also zum Thema Geheimhaltung. Kapitel 15: 13. Unterredung --------------------------- Danke für die herzliche Anregung… ich hab schon überlegt, ob ich das überhaupt hochladen soll wenn keiner was sagt… Also, wenn nix von euch kommt, sind das die letzten beiden Kapis, die ich hier ’rein mach. Also gut. In ein paar Minuten gehörte ich entweder zu den Leuten, die Zeit meines Lebens meine Feinde gewesen waren – oder ich würde sterben. Okay, Berichtigung: Ich war bereits tot. Genau da lag ja eines meiner größten Probleme. Ich gehörte zu den Wesen, die zu hassen, jagen und auszulöschen ich ausgebildet worden war. Von daher sollte ich vielleicht besser sagen, dass sich andernfalls jemand um die Beendigung meiner Existenz kümmerte, oder irgendwie so. Und Raphael sagte, ich sollte ruhig bleiben?! Seltsam, aber aus einem mir vollkommen unbekannten Grunde schien mir das schier unmöglich zu sein. Sorry Raphael – meine Ruhe hatte ich wohl im Quartier von Ischariot vergessen. Tat mir ja wirklich aufrichtig leid. „Komm jetzt endlich, Vic.“ Besagter Jungvampir stand vor ausschlaggebender Tür, hatte sich halb zu mir herumgedreht und wirkte alles andere als besonders geduldig. Oh, bis dorthin zu kommen, bereitete mir nicht die geringsten Probleme – aber zweifelsohne musste ich dann auch den dreimal verfluchten Raum betreten, und dazu war ich nun wirklich nicht geneigt. Nein, da wollte ich nicht rein. Ich nicht. Auf gar keinen Fall würde ich… „Victoria!“ Die bisherige Ruhe des Blonden schien in einen schlimmen Fall von extremer Gereiztheit umgeschlagen zu sein. „Ist ja gut“, gab ich zurück und musste feststellen, dass ich selbst kaum besser klang. Allerdings setzte ich mich dann auch langsam in Bewegung. Ehrlich gesagt – soviel schlimmer als die Erkenntnis, dass mein Vater mich nur als Waffe ansah und von Anfang an vorgehabt hatte, mich für seine Ziele zu missbrauchen, konnte es doch wohl nicht sein. „Na also.“ Raphael lächelte kurz erleichtert, sein Blick aber schien auch zumindest leicht besorgt. „Nimm mir das bitte nicht übel, aber… du siehst grauenvoll aus.“ „Das kommt davon, wenn man sich ohne Spiegelbild und Kamm oder Bürste kämmen will“, behauptete ich, aber er schüttelte den Kopf. „Ich meinte allerdings eher abgehetzt.“ „Wundert dich das wirklich so sehr, nach dem, was die letzten zwei Tage so alles passiert ist?“ Erneut huschte der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht, aber eine Antwort erhielt ich nicht. Stattdessen wandte er sich wieder um und öffnete die Tür. Bevor ich nachfolgte, sandte ich ein kurzes Stoßgebet gen Himmel. Alte Gewohnheiten saßen nun mal tief. Ich gab zu – ich war überrascht. Es war nicht das, was ich erwartet hatte, bei weitem nicht. Der Raum hatte nur ungefähr die Größe von Raphaels Zimmer, in der Mitte befand sich ein mittelgroßer Tisch, um den kreuz und quer einige Stühle gruppiert waren. Vor einem Bullauge oder Fenster oder wie immer das hier auch heißen mochte stand leise vor sich hinsummend eine Frau mit sehr langen schwarzen Haaren. „Hay Mom“, begrüßte Raphael und wirkte dabei möglicherweise sogar erleichtert, woraufhin sie verstummte und sich umdrehte. Rip schien nicht viel älter als ihr Sohn zu sein, wenn man vom Aussehen ausging. Natürlich nicht. Schließlich war auch sie eine Vampirin. Dem brachte sie aber jetzt gar keine Beachtung entgegen, stattdessen bedachte sie mich mit einem breiten Lächeln. „Bist du dann also meine zukünftige Schwiegertochter?“, fragte sie, direkt wie ihre Tochter. „Mom!“ Raphael klang regelrecht schockiert und ich war so perplex, dass ich gar nichts zu sagen wusste. Wie wurde man hier immer begrüßt! [Und bevor wer meckert, ja, da sollte ein Ausrufezeichen und kein Fragezeichen hin.] „Stell dich nicht so an, Raphael. Du hast sie gebissen und in die Organisation gebracht. Als hier das letzte Mal so was passiert ist, habe ich deinen Vater kurz danach geheiratet“, erklärte sie fröhlich. Irgendwie war mir Rip sympathisch – trotz offensichtlicher Hochzeitspläne. „Wir werden nicht heiraten.“ Raphaels Feststellung klang aber schon fast resignierend, offenbar hielt er es für sinnlos, mit seiner Mutter zu diskutieren. Sie lachte denn auch leise. „Das werden wir schon noch sehen.“ Rip warf den Kopf zurück, um die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht zu kriegen – ich fragte mich ehrlich, wie sie das im Allgemeinen handhabte. Ich hatte es auch mal mit langen Haaren versucht, aber ich drehte ja schon fast durch, wenn ich die kinnlangen nicht zurück gebunden hatte. Lächelnd streckte sie mir die Hand entgegen. „Rip van Winkle, Raphaels und Helenas Mutter“, stellte sie sich dabei vor. „Victoria Maria Maxwell. In Ischariot redet man viel von Ihnen.“ Ein breites Grinsen erhellte ihr Gesicht. „Oh, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Nicht allzu viel Gutes, fürchte ich, besonders von Yumiko.“ „Meistens wettert eher Yumi und schlägt dabei auch alles gleich kurz und klein.“ „Eh…“ Raphael fühlte sich augenscheinlich übergangen. Das schien ein häufiges Problem bei ihm zu sein, zumindest erteilte Rip ihm direkt eine gut gelaunte Rüge, er sollte sich nicht immer so in den Mittelpunkt stellen. „Mom!“ Das schien sich ja jetzt zu Raphaels Lieblingswort zu entwickeln. Schließlich hatten seine letzten drei Aussagen nur aus diesem einem Wort bestanden. Die Angesprochene seufzte. „Was ist denn bitte schön, Raphael?“ „Ich fürchte, wir müssen weiter, Mom. Vic gehört zumindest offiziell noch nicht zu uns.“ „Aber selbstverständlich tut sie das, oder glaubst du ernsthaft, der Major lässt sich zu so was herab? Bei deinem Vater hat er das getan, aber Victoria hat keinen solchen Ruf, und ihm ist auch nicht klar, wer sie ist.“ Das ging mir nun doch ein weinig zu schnell. Hatte ich diesen Satz jetzt richtig verstanden? Ich gehörte bereits zu Millennium, einfach so? Grade hier hätte ich wesentlich mehr Komplikationen erwartet. „Ich gehöre bereits zu euch?“, fragte ich dann auch vorsichtig noch mal nach. „Sicher. Es gibt ja keinen Grund, warum nicht, im Gegenteil. Allerdings ist es hier zurzeit mal wieder chaotisch – lass dich nicht, aber ich fürchte, du wirst noch ein paar Tage bei meinem Sohn schlafen müssen.“ Die Schwarzhaarige hielt inne und bedachte eben jenem mit einem langen, prüfenden Blick. „Zwar gefällt mir das nicht sonderlich, aber ihr seid alt genug, um selbst zu wissen, was ihr tut. Oder stört dich das, Vic?“ „Nein.“ Ich schüttelte den Kopf. „Kein bisschen.“ „Gut. Also…“ Sie brach abrupt ab, ihr Blick glitt auf einmal an uns vorbei zur Tür. „Ja?“ Ein halbes Umdrehen bewies, dass es der Neko war. Raphaels Miene verfinsterte sich ein wenig. „Rip, lass die Kinder Kinder sein. Du sollst mitkommen. Sofort.“ Rip verdrehte übertrieben die Augen. „Ist ja gut. Ihr kommt alleine klar, ja?“ „’türlich, Mom.“ Raphael griff nach meiner Hand und zog mich mit, an Schrödinger vorbei, von dem er besonders schnell wegkommen zu wollen schien. „Komm Vic. Wir wollen ja nicht bei wichtigen Angelegenheiten stören.“ Kapitel 16: Interludium. Verwirrende Bliz ----------------------------------------- Yumiko mal wieder. Die Fortsetzung des andern Interludiums ;D Wenn es etwas gab, dass ich wirklich und wahrhaftig verabscheute, ja sogar fürchtete, dann war das Heinkels mörderischer Fahrstil. Und davon hatte ich soeben mal wieder eine Kostprobe allererster Sahne bekommen. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass sie mir irgendwann einmal ihren tatsächlich existenten Führerschein vorgelegt hatte. Noch immer konnte ich mir nicht vorstellen – und wollte es auch gar nicht – wie sie es geschafft hatte, ihn zu kriegen. Wo auch immer sie ihn jedenfalls gemacht hatte, ich konnte es wirklich nicht empfehlen. Dem Prüfer sollte man seine Lizenz entziehen, so was wie meine Partnerin mit einem Auto auf andere Leute loszulassen! Aber der verdammte Wagen stand jetzt. Erneut hatte Heinkel es irgendwie geschafft, ihn mitsamt Insassen unbeschadet ans Ziel zu befördern. Der allmächtige Vater musste wahrhaft mit ihr sein, anders ließ es sich unmöglich erklären. Ich schnallte mich so schnell ab, wie ich es wagte, ohne bei meiner Partnerin den Eindruck einer Flucht zu erwecken, und verließ das Auto. Wir waren in einer schmutzigen Gegend angekommen, wo allein die Tatsache, dass wir hergefahren waren, besagte, dass wir wesentlich mehr Geld haben mussten als alle, die hier wohnten. Vielleicht sogar zusammen. Ein regelrechtes Labyrinth von Gassen zweigte hier ab, allesamt zu schmal, als dass der breite Geländewagen rein gepasst hätte. Was wollten wir hier? Ich konnte mir schwerlich vorstellen, dass Zooling in einem solchen Elendsviertel operierte. Es wollte einfach nicht zu meinem Bild von ihr passen. „Wohin?“ Heinkel antwortete nicht, sondern zog ihre Waffe, entsicherte sie und betrat mit ihr im Anschlag scheinbar wahllos eine der Gassen. Nach einem Moment seufzte ich und folgte nach. Sie würde schon wissen, wohin sie ging, denn schon mehr als einmal hatte sie bewiesen, dass sie scheinbar eine Art GPS im Kopf hatte (nein, nicht „Nach 100m links abbiegen“). Das war auch gut so, denn ich hatte einen mehr als bescheidenen Orientierungssinn, auch wenn die meisten uns das eher anders herum zugeordnet hätten. Im Übrigen ein weiterer Grund, warum ich mich tatsächlich von ihr fahren ließ. Der einfachste war aber der: ich wusste nicht mal, wie ich so ein verdammtes Auto überhaupt dazu brachte, sich in Bewegung zu setzen. Ich kannte Funktionsweise von Sicherheitsgurt, Tür und Automatikschloss. Ah ja, und ich war in der Lage, ihr das Lenkrad herumzureißen. Reichte meiner Meinung nach. Es dauerte auch nicht lange, bis ich mich hoffnungslos verlaufen hätte, wenn Heinkel nicht da gewesen wäre. So aber ertönten bald Stimmen mehrerer Männer. Kurz darauf verbreitete sich die Gasse zu einem Platz, der von drei Seiten mit Mauern umgeben war. So weit, so gut. Nur dass die Frau, die an einer davon lehnte und von einem knappen halben Dutzend Männern umgeben war, nicht Zooling war. Sie war nicht mal eine Frau. Ich schätzte sie drei oder zwei Jahre jünger als Victoria ein. Hinter Zooling hätte sie sich zwei- oder sogar dreimal verstecken können, so klein und schmal war sie. Offenbar dämmerte das auch der schießfreudigen Heinkel. Verwirrt ließ sie die Waffe sinken, sah von dem Mädchen zu den Ischariotkriegern und wieder zurück. „Hey!“, knurrte sie den nächsten Soldaten an. „Wo ist Zooling?!“ Der Mann zuckte zusammen und wirkte schuldbewusst. Wie viele ließ er sich von Heinkel einschüchtern. „Nun… ähm… wir haben sie nicht“, gestand er zögernd. „Ihr habt doch gesagt, dass ihr sie habt!!“ Er schüttelte kurz den Kopf. „Wir haben gesagt, dass wir Bliz haben.“ „Das ist doch dieselbe!“ Ich verstand etwas eher als meine Partnerin. „Heinkel?“ „Was ist, Yumiko?“ „Nuuun“, setzte ich gedehnt an und sah zu dem Mädchen herüber. Sie hatte flammend rote Haare. „Selbst Zooling könnte mittlerweile eine Tochter in dem Alter haben, hast du da vielleicht schon dran gedacht?“ Heinkel verzog das Gesicht. „Das meinst du nicht ernst!“ „Doch.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Es sind einige von der alten Schule, die Kinder haben. Guck dir Victoria an. So, wie ich das vermute, ist sie jetzt bei Van Winkles Sohn, aber das ist unrelevant im Moment. Ich glaube, eine von den Hellsingtussis hat auch Kinder. Außerdem – sogar Anderson hat zwei von der Sorte.“ Wolfe knurrte unwillig. „Ja, der verdammte Verrät…“ Die kleine Rothaarige fing an zu lachen. Mir fiel erst jetzt auf, dass ihre Kleidung zerrissen war und sie blutverschmierte Krallenhandschuhe trug, in der Ecke sah man dann auch die dazugehörigen reglosen Körper. Offenbar hatte sie nicht kampflos aufgegeben, aber sie wies keine Wunden auf – Freak, oder sogar Werwolf oder Native? „Ist es Verrat, wenn man noch früh genug seinen Platz bei denen findet, die siegen werden?“, fragte sie amüsiert. „Vor allem, wenn es noch dazu der Liebe wegen geschieht? Hach ja, die holde Liebe. Viele Kriege sind ihretwegen geschlagen worden. Sei es nur die Liebe zum Krieg.“ In ihren Augen blitzte es kurz auf. „Aber ich muss sagen, dass Helena und Raphael wirklich wundervolle Kinder sind. Der künftige Tod von Hellsing und Ischariot.“ „Stopf ihr einer das Maul.“ Heinkels Knurren war in ein tiefes Grollen übergegangen und spürte, dass ich auch kurz davor war, Yumi wieder die Kontrolle zu überlassen. Aber nicht jetzt. Ich ging näher zu der Roten und machte eine unwillige Handbewegung, als Heinkel mich zurückhalten wollte. „Wie heißt du?“ „Lasst ihr mich gehen, wenn ich eure Fragen beantworte?“, fragte sie zurück und erhielt ein Kopfschütteln zur Antwort. „Dann sehe ich auch nicht ein, es zu tun.“ „Sieh mal.“ Ich sprach betont freundlich. Es fiel mir angesichts der großen Klappe des feindlichen Kindes nicht unbedingt einfach. „Du bist ein Freak, richtig?“ „Und wenn?“ „Nun, so wie du aussiehst, sind deine Regenerationsfertigkeiten ganz akzeptabel. Wenn ich keine Antwort von dir kriege…“ Ich ließ den offenen Satz wirken. Sie zuckte mit den Schultern. „Von mir aus. Kommt aber auf die Fragen an.“ Das war ja immerhin ein Fortschritt. „Also? Wie heißt du?“ „Ayvane [Eiwan gesprochen] Bliz.“ „Zoolings Tochter?“ Sie nickte abgehackt. „Wie alt bist du?“ „Fünfzehn.“ Traurig, immer wieder verwickelten wir die Kinder darin. Victoria war auch schon so früh in Ischariots Machenschaften gestrickt gewesen. Und an ihren Genen hatte man bereits herumgepfuscht, als sie sechs war. Wahrscheinlich war es mit Ayvane ähnlich. „Und was wolltest du hier?“ „Geht euch das was an?“ Ayvane setzte einen trotzigen Gesichtsausdruck auf und hob dann eine ihrer Hände. Mit augenscheinlichem Genuss begann sie, das zu gerinnen beginnende Blut von den Krallen abzulecken, verschmierte es dabei auch in ihrem Gesicht. Ekelhaft. Heinkel hingegen lachte leise und stellte sich neben mich. Wie ich, nicht grade zu meinem Erleichtern, feststellte, hatte sie die Waffe wieder erhoben und auf die blutbesudelte Fünfzehnjährige gerichtet. Trotz allem war sie ein Kind. Aber war Victoria nicht dasselbe? „Weiß du, ich bin eine ganz passable Schützin, deshalb ist die Chance auf einen sauberen und somit weniger schmerzhaften Schuss recht hoch, es sei denn, ich schieße absichtlich daneben“, erklärte sie fröhlich. „Aber wenn ich mir mein Kaliber und dich Püppchen angucke – wollen wir ausprobieren, ob ich dir mit der Kugel nur den Arm breche oder ihn gleich abschieße? Natürlich tut das dennoch ziemlich weh, aber ich glaube, deine Regenerationsfähigkeit kriegt das schon hin. Auch wenn ich mir natürlich leider nicht hundertprozentig sicher sein kann. Also? Möchtest du das testen, oder glaubst du mir auch so?“ Bliz gab keine Antwort, sondern grinste, was bei dem ganzen Blut sehr makaber und sogar unheimlich (auch wenn ich schon weit Schlimmeres gesehen hatte) wirkte und begann, leicht vor und zurück zu wippen. Eine dünne Kette schwang dabei mit. Nicht sonderlich überrascht registrierte ich, dass die altnordische Lebensrune daran hing, die von ihresgleichen fast so gern verwendet wurde wie das Hakenkreuz. Sie war auch mittlerweile genauso verboten. Aus irgendeinem Grunde erinnerte mich die Kleine mit ihrem Gebaren sehr an die Millenniumkatze. Wahrscheinlich hatte sie von der (oder war es ein Junge gewesen? Verdammt, es war so lange her…) auch einiges. „Die ist nicht ganz dicht“, bemerkte einer der Männer hinter mir unsicher. Blitzmerker. Angst vor einem Kind? Aber… wenn man genau darauf achtete… ihre vorhin noch tiefgrünen Augen verfärbten sich rot… „Sie ist wohl eher wie Yumiko.“ Auch Heinkel schien es bemerkt zu haben. Herzlichen Dank für diesen überaus netten Vergleich, Wölfchen. „Schizophren.“ Ayvane hörte auf zu wippen und hob den Kopf. Es konnte sich nur noch um Augenblicke handeln, bis ihre Sicherung ganz durchbrannte, ihren Augen nach zu urteilen. Seufzend zog ich mein Katana. Das war doch nur ein Kind…! Wir konnten doch nicht gegen ein Kind kämpfen?! Meine Bedenken dankte Ayvane mir, indem sie ein tierhaftes Knurren ausstieß und mit hoch erhobenen Krallen Heinkel ansprang. Kapitel 17: 14.Miststück ------------------------ Dann war es jetzt also offiziell. Ich war keine Ischariot mehr. Leute, die mich mein ganzes bisheriges Leben begleitet hatten, wie das Chaosduo Heinkel und Yumiko, waren nun meine Feinde. Verräterin, Verräterin, Verräterin! Ich biss mir auf die Unterlippe, um die Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Natürlich gelang das nicht. Nach der Unterredung waren Raphael und ich zurück auf sein Zimmer gegangen, bis ich selbst eins kriegen würde, dauerte es wohl noch ein paar Tage. Aber es schien den Jungvampir – meinen Meister, korrigierte ich mich innerlich – nicht sonderlich zu stören. Eher im Gegenteil. „Du brauchst dringend bald ein paar Klamotten. Du kannst doch nicht jeden Tag in demselben Outfit herumlaufen“, bemerkte er und durchbrach damit die Stille, die bis dahin zwischen uns geherrscht hatte. „Ansonsten musst du kurzfristig was von Mom anziehen.“ „Besser nicht.“ Allein die Vorstellung war schon schlimm genug. Er grinste. „Ich denke, es würde kaum jemanden stören, aber willst du wirklich mit gar nichts herumlaufen?“ „Eh – nein. Das ist keine gute Idee, fürchte ich.“ „Schade.“ Raphael schien ehrlich enttäuscht zu sein. „Aber du… was war das?“ Was er meinte, war nicht allzu schwer zu erkennen. Nach der Geräuschkulisse zu schließen, war auf dem Gang die Hölle los. Irgendwer schrie. Schien hier ja schon fast zur Tagesordnung zu gehören. „Irgendeine Ahnung, wer da draußen grade abgeschlachtet wird?“, fragte ich spöttisch, wie erwartet erhielt ich keine Antwort von Raphael. Stattdessen seufzte er leise, riss die Tür wieder auf und stürmte dann regelrecht aus dem Zimmer. Ich verdrehte die Augen und folgte dann langsamer nach. Ein blonder Wirbelwind, auch bekannt als laufender Meter Helena, schoss an mir vorbei, überlegte es sich dann aber anders und hielt an. „Hi Vic.“ „Hallo Hel. Weißt du, was da los ist?“ Sie zuckte mit den Schultern. Ihr Blick enthielt nur Neugier, sonst nichts, anders als Schrödinger oder auch Rip. Zumindest sie schien mich bedenkenlos zu akzeptieren. „Schrö meinte, Ayv könnte zurückgekommen sein. Wenn sie schlechte Laune hat, führt sie sich oft so auf.“ „Wer ist das denn schon wieder?“ „Ayvane? Rothhaarig, bissig, künstliche Werwölfin. Zoolings Tochter, wenn dir das was sagt.“ „Ah, ja. Ich wusste gar nicht, dass es auch künstliche Werwölfe gibt.“ Helen kratzte sich offenbar verlegen am Kopf, wahrscheinlich eine Geste, die ich von ihr nicht allzu oft zu sehen bekommen würde. „Ich weiß nicht genau. Irgendetwas mit dem Blut oder so. Frag am besten den Doc, der muss sich ja auskennen. Komm!“ Die kleine Vampirin zog mich einfach mit sich mit. So was wie Vorurteile schien sie wirklich nicht zu kennen – und das, wo sie in Millennium aufgewachsen war. Bemerkenswert. Weit war es nicht. Tatsächlich knurrte eine Rothaarige vor sich hin, während sie völlig blutbesudelt auf den Boden tropfte. Der Geruch des Blutes, nun um ein vielfaches verstärkt, erinnerte mich an irgendetwas, ohne dass ich zu sagen vermochte, was. Sie versuchte, halbkaputte und verkrustete Krallenhandschuhe abzustreifen, mit nur mäßigem Erfolg. Ich hatte schon immer geahnt, dass das eine sehr unpraktische Art Waffe war. Weder Raphael noch Schrödinger, die beide in sicherem Abstand zu ihr standen, machten Anstalten, ihr zu helfen. „Was ist passiert, Ayvi?“ Irgendwie hatte ich das Gefühl, außer Hel dürfte keiner sie so nennen. Aber jetzt schaute sie nicht einmal auf. „Ich bin dem verdammten Schoßhund von Ischariot über den Weg gelaufen, das ist los! Das Miststück hat mich fast umgebracht!“ Heinkel! Eine Kralle flog scheppernd auf den Boden und büsste dabei noch eine Klinge ein, die zweite knallte direkt hinterdrein und brach gleich ganz durch. Raphael war mir währenddessen einen warnenden Blick zu. Halt dich zurück! Oh, keine Sorge, die wollte ich mir ganz bestimmt nicht selbst auf den Hals hetzen. Nicht, dass das nötig wäre, sie nahm es mir schon selbst ab, als sie nämlich den Kopf hob und zu Helena sah, neben der ich dummerweise immer noch stand. In ihren Augen blitzte etwas auf, was, wusste ich nicht, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es mir nicht zu gefallen hatte. „Was hat diese verdammte Ischariotschlampe hier verloren?!“ „Keine Ahnung, wen du meinst“, entgegnete Schrödinger trocken. Hu? „Ich sehe hier nur Leute von Millennium anwesend. Kannst du vielleicht mehr sehen als ich?“ Schrödinger nahm mich in Schutz? „Oh, ja klar, gestattet ihnen, sich hier frei zu bewegen und uns auszuspionieren, alles klar. Habt ihr sie noch alle?!“ „Frag das den Major, immerhin hat er ihr die Erlaubnis erteilt zu bleiben.“ Ayvane klappte regelrecht der Mund runter. „Ihr habt doch alle einen Schaden!“, fauchte sie. Ah ja? Sonst wäre ja wohl kaum jemand hier, Ayvane. „Ihr werdet sehen, was sie hier für Schaden anrichtet, und dann sagt nicht, es wäre nicht vorauszusehen gewesen!“ Mit einem ähnlichen Abgang wie Helena vorhin rauschte sie zwischen dem Neko und Raphael davon, nur dass es bei ihr doch schon ein wenig theaterreifer aussah. „Besteht die Möglichkeit, dass sich der Rest genauso verhält?“ Schrödinger schüttelte den Kopf, die Ohren zuckten dabei leicht. Irgendwie süß, auch wenn ich das wohl besser nicht laut sagte. „Zooling vielleicht“, lenkte er ein. „Aber sonst wohl eher nicht.“ Raphael wirkte, als wollte er widersprechen, ließ es aber doch bleiben. „Was machst du eigentlich schon wieder hier, wolltest du nicht eben erst etwas von Mom?“, fragte er stattdessen. „Tja, ich bin nun mal überall da, wo es interessant für mich ist. Und das ist jetzt nicht mehr hier. Komm, Hel.“ Der Neko wandte sich ab, wartete, bis die kleine Vampirin auf seiner Höhe war und drehte sich dann doch noch einmal halb um. „Findet euch beide in einer halben Stunde bei Rip ein. Mit Waffen.“ Und weg waren sie. Kapitel 18: 15. Hass -------------------- „Vic, komm jetzt!“ „Moment!“ Raphael hetzte, oder er hatte alle Zeit der Welt. Ich wurde nicht schlau aus ihm. „Au!“ Wegen ihm hatte ich mich an der einen Kamaklinge geschnitten, anstatt sie in den Griff zu schrauben. Rasch leckte ich mir das Blut von meiner Hand. Es schmeckte intensiver als vorher, weckte Hunger. Ich war von mir selbst abgestoßen. „Was ist, Vic?“ Raphael lehnte sich wieder durch den Türrahmen ins Zimmer. Das Bild musste ja toll aussehen – ich kniete auf dem Boden, vor mir das Kama mit einer losen Klinge und eine Hand im Mund. „Hast du dich geschnitten?“, fragte er überrascht. Ach nee, wonach sah das denn sonst aus? Ich nickte knapp, nahm die Hand weg und schaute flüchtig drauf. Wie zu erwarten, sah man nichts mehr, außer einem hellrosa Streifen. „Macht nix, ist ganz.“ Er lächelte kurz. „Wie ist das, das erste Blut als Vampirin?“ Ganz langsam schraubte ich die Klinge ein, erst danach erhielt er Antwort. „Wag es ja nicht“, auch das betont langsam, „noch mal einen Kommentar dieser Art zu bringen, Raphael! Du weißt nicht, wie das ist, plötzlich ein Wesen zu sein, die dir von klein auf hassen und jagen gelehrt worden sind!“ Keine Reaktion. „Komm jetzt, wir sind spät dran“, knurrte er dann leise und verließ das Zimmer. Das fing ja ausgesprochen gut an. Ich hängte mir das Kama in einer speziellen Riemenvorrichtung auf den Rücken, die Beretta einfach hinter den Hosengurt geklemmt und folgte ihm nach. Eines speziellen Jungvampir sei Dank hatte ich jetzt ausgesprochen schlechte Laune, aber ich wusste ganz genau, dass ich nie lange schlecht gelaunt war und noch weniger auf jemanden sauer sein konnte. Aber… war Raphael denn schon einmal aufgefallen, dass ich ihn jedes Mal anschrie, wenn er auf das Thema Vampirismus zu sprechen kam? Hatte dieser Junge denn eigentlich nicht ausreichend Taktgefühl, um zu merken, dass ich das zunächst einmal selbst verkraften musste? Ach verdammt! Es hatte keinen Sinn, sich jetzt großartige Gedanken darüber zu machen. Auf dem Gang konnte ich keine Spur von Raphael entdecken, nichts anderes hatte ich erwartet. Stattdessen sah ich einen Trupp Freaks, welche wahrscheinlich nur einfache Soldaten waren. „Hey!“, knurrte ich. „Wo sind van Winkle?!“ Der Blick der Freaks war unangenehm; misstrauisch und anzüglich glitt er von ihnen wie von einer Einheit über mich. Na danke. „Du gehörst nicht hier her“, bemerkte einer nach einer Weile. „Doch, jetzt schon. Aber das ist, zumindest wenn ich mich nicht irre, keine Antwort auf meiner Frage.“ „Mädchen, ich weiß ja nicht, wo du herkommst, aber du gehörst ganz eindeutig nicht zu uns und auf Eindringlinge sind wir hier nicht besonders gut zu sprechen.“ Ich seufzte. „Kann nicht einmal irgendetwas so funktionieren, wie es soll?“ Mit einer raschen Bewegung hatte ich das Kama plötzlich in der Hand anstatt auf dem Rücken und schenkte den Freaks ein strahlendes Lächeln. „Eine der Klingen ist aus Silber“, erklärte ich fröhlich. „Wollt ihr herausfinden, welche, oder sagt ihr mir jetzt endlich, wo van Winkle sind?“ Offenbar war ihnen aufgefallen, dass ich es ernst meinte, denn zumindest zwei von ihnen wirkten leicht verunsichert. „Miro, sie ist ein Native“, murmelte einer von ihnen, und unglückseligerweise hatte er Recht. „Victoria, jetzt…“ Raphael brach abrupt ab, als er wieder ins Blickfeld kam. „Was zur Hölle ist hier los? Lasst das Mädchen in Ruhe!“ Einzig ihr Wortführer – Miro – zuckte nicht zusammen, sondern drehte sich nur langsam um. „Miro.“ Raphaels Gesichtsausdruck verdüsterte sich. „Das war ja zu erwarten. Aber an was auch immer du grade denkst – vergiss es. Die Kleine gehört mir.“ Zweifelsohne war es kein Zufall, dass er das kleine Wörtchen „zu“ unterschlagen hatte. Die Frage war nur – ihretwegen, oder weil er es tatsächlich so meinte? „Natürlich!“ Die Stimme des Freaks war voller Verachtung. „Dem edlen Herrn gebührt das holde Weib, das gemeine Volk muss sich mit dem Abschaum begnügen.“ „Treib es nicht zu weit, Miro.“ Der Vampir war sehr leise geworden, was wohl kein besonders gutes Zeichen war. „Du weißt selbst nicht, was du da eigentlich sagst. Jedenfalls hoffe ich das für dich.“ Keine Antwort, nur ein hasserfüllter Blick folgten. Raphael würdigte sie nicht einmal eines weitern. „Pack deine Waffe weg und komm, Victoria. Wir haben – im Gegensatz zu manch anderem hier – noch was zu tun.“ Kapitel 19: 16. Timeo sanguem – Ich fürchte das Blut ---------------------------------------------------- „Tut mir leid. Manche von den Freaks scheinen nicht der Meinung zu sein, dass man sich auch im Tode einer Dame gegenüber zu benehmen hat.“ Mittlerweise waren wir wieder allein, allerdings gingen wir nicht denselben Weg wie vorhin. Natürlich musste das nichts heißen, schließlich kannte ich mich hier ja nicht so wirklich aus. „Macht doch nichts. Du würdest dich wundern, wie sich die Soldaten von Ischariot zum Teil verhalten.“ Er lachte ungläubig auf. „Bei euch?“ „Grade bei un… Ischariot. Die meisten sind nicht durch irgendwelche Gelübde gebunden und selbst wenn, stört es sie kaum, sodass sie es nur als besondere Herausforderung ansehen. Mal davon ab – wo gehen wir eigentlich jetzt grad überhaupt hin?“ „Wir müssen von der Hindenburg ’runter.“ Er grinste. „Auch wenn das dein erster Tag ist – das hier ist keine Übung.“ „Nicht?“ Ich blinzelte überrascht. Mit einem ernsthaften Einsatz hatte ich nun wirklich nicht gerechnet, vor allem jetzt noch nicht. „Nein. Ich weiß zwar auch nicht ganz genau, was wir jetzt eigentlich vorhaben, aber es ist auf jeden Fall ein Einsatz.“ „Jetzt schon“, murmelte ich matt. „Ja…“ Raphael klang schon beinah resignierend. „Du vergisst, dass wir uns im Krieg befinden.“ Ich biss mir auf die Unterlippe. Natürlich hatte er Recht – wir zogen in den Krieg. Und ich war jetzt auf der Seite meiner ehemaligen Feinde, kämpfte so gesehen gegen meine eigenen Leute – oh verdammt, ich war wirklich absolut wahnsinnig! Schweigen. Wir kamen an den Ausgang der Hindenburg und verließen das Luftschiff. Das strahlende Sonnenlicht war regelrecht unangenehm, zudem war ich im ersten Moment fast blind, dennoch erkannte ich mehrere Bataillone Krieger. „Warum machen wir so was denn tagsüber? Egal gegen wen, wir sind auf jeden Fall im Nachteil!“, beschwerte ich mich. „Da magst du wohl Recht haben, aber ich bin nicht der Verantwortliche, Vic. Frag jemand anderen, ich kann nichts dazu.“ So weit war ich wohl auch schon gewesen. Ich strich mir eine schneeweiße Haarsträhne aus dem Gesicht. „Erinner’ mich bei Gelegenheit mal dran, dass ich mir ein einfaches Band für meine Haare besorge.“ Der Vampir lächelte flüchtig, beugte sich zu mir herüber und hauchte mir einen kurzen Kuss auf. „Ich bin froh, dass wenigstens wir nicht gegeneinander kämpfen müssen.“ „Immerhin…“ Und dass all jene, die mir außer dir je etwas bedeutet haben, jetzt meine Feinde sind – bist du darüber auch froh? Dass ich außer der niemanden mehr habe, dass ich sie alle verraten habe, dass sie meinetwegen sterben werden?! Bist du darüber auch froh?! „Victoria.“ Ich war mir hundertprozentig sicher, das nicht laut gesagt zu haben. Entweder hatte er wieder meine Gedanken gelesen, oder es stand mir ins Gesicht geschrieben, zumindest, wenn ich nach seinem Tonfall ging. „Es tut mir ja leid, dass es so weit gekommen ist, dass du hier überhaupt mit ’reingezogen wurdest. Aber ich kann es leider nicht ändern, Darling.“ Wenn ich allerdings noch einmal darüber nachdachte… eigentlich hatten ja sie mich verraten und nicht umgekehrt. Es war mir ja wohl kaum vorzuwerfen, dass ich nicht hatte geopfert werden wollen. Verdammt, wenn ich noch ein wenig ’drüber nachdachte, verlor ich noch den Verstand! „Na los, lass uns dann mal unsere Order abholen, ich brauch irgendwas, auf das ich einschlagen kann, ohne nachzudenken.“ Auch wenn es Menschen sind? Halt die Klappe!, heulte ich innerlich. Warum tat mein Geist nur alles Erdenkliche, um mich in den Wahnsinn zu treiben? Scheiße… ich hasste mich selbst für meine Gedanken und ebenso für die Versuche, sie verdrängen zu wollen. Hatten sie all die Jahre Recht gehabt? Reichte es, die Bestie in sich zu tragen, damit die Saat des Teufels aufging? Aber Raphael wirkte nicht so, im Gegenteil… Andererseits hatte das Böse immer liebreizende Gesichter… Bring doch einer die Stimmen in mir zum Verstummen!! „Victoria!“ Raphael klang schon zum zweiten Male fast verzweifelt. Versuchte er vielleicht schon längere Zeit lang, mich zu rufen? Wenn diese Stimmen in mir nicht bald schwiegen, würde ich wirklich ernsthafte Probleme bekommen… bis hin zum Verlust des Verstandes… „Anwesend.“ „Das hab ich, ehrlich gesagt, schon bezweifelt.“ „Nicht nur er.“ Rips Stimme hinter mir. Ich drehte mich zu ihr um und bemerkte überrascht leichte Sorge in ihrem Gesicht. Ich war doch so gesehen eine Fremde hier? „Alles in Ordnung?“ Ich nickte kurz. „Worum geht es denn jetzt eigentlich?“ Rip stützte sich auf das Scharfschützengewehr, dass sie neben sich stehen hatte. Die Größe schien durchaus normal für ein solches, dennoch irritierte mich irgendetwas daran, ohne dass ich sagen konnte, was. Allerdings hatte ich auch noch nicht allzu viele Scharfschützengewehre in meinem Leben gesehen. „Nichts Besonders, denke ich“, begann sie. Ihr Gesicht sagte etwas Anderes. „Ein erster Außenposten von Hellsing vor Berlin. Wir haben kaum Widerstand zu erwarten.“ „Und warum sind es dann trotzdem so viele hier?“ „Oh, ’rein geht nur ihr beide und ein halbes Dutzend von den Freaks. Der Rest ist für den unwahrscheinlichen Fall da, dass Alucard auftaucht.“ Irgendwie wirkte die schwarzhaarige Vampirin alles andere als glücklich. „Wie unwahrscheinlich, Mom?“ „Nuuun, das kommt natürlich darauf an, wie schnell und präzise ihr arbeitet.“ „Mit anderen Worten: er taucht auf jeden Fall auf, es ist nur die Frage, ob wie dann noch da sind“, fasste Raphael zusammen. Ehrlich gesagt: ich hatte weniger Angst vor Alucard als vielmehr vor dem Blut, das mir dort zweifellos begegnen würde. Timeo sanguiem – ich fürchte das Blut. Sogar sehr. Kapitel 20: Interludium. Schmerzempfinden ----------------------------------------- „Scheiße!“ Heinkel presste sich ein abgerissenes Stück Pullover oder so was gegen die Halsbeuge, aus der noch immer eine kleine Blutfonthaine [keine Ahnung, wie man’s schreibt, daran war mein Word schuld :D] sprudelte, normalerweise hätte sich die Wunde schon längst geschlossen haben müssen. Dennoch, so, wie ich meine Partnerin kannte, regte sie sich weniger über die schwere Verletzung auf – immerhin war ihr ein ganzes Stück vom Hals weggerissen worden – sondern eher darüber, dass Ayvane entwischt war. „Mach dir keine Vorwürfe, du kannst ja wohl am wenigsten dafür.“ Heinkel warf mir unter ihrer Sonnenbrille einen nicht näher definierbaren Blick zu, hob vorsichtig den provisorischen Verband an, unter dem nur noch ein dünnes Rinnsal Blut tröpfelte und auch langsam versiegte, und nahm ihn ganz ab. „Miststück“, murmelte sie. „Na ja. Auf jeden Fall ein ziemlich schlagfertiges Kind“, stellte ich fest. „Außer uns sind alle tot.“ „Hm. Erinnert mich an eine andere Werwölfin, die wir mal erledigen mussten. Neunzehn Jahre alt, hat gern mit Blut gemalt und die Leichen so großzügig verteilt, wie es ihr möglich war, außerdem war die Kleine nekrophil. Hieß, glaub ich, irgendwas mit Elen oder so. Nun ja, wenigstens hat sie ihrer Zeit die Vampirplage in Rom ziemlich eingedämmt, bevor wir sie gekriegt haben.“ [Wer mich und besondere meine Langzeitprojekte „Engelhatz“ und „Finsternis im Blut“ kennt, weiß natürlich, dass ich Eleandessa Lydia Caron meine, meine verrückteste und liebste Werwölfin, mit der ich nur leider selten zum RPG’n komme… warum nur… :D] Heinkel wischte sich das noch nasse Blut von Schulter und Hals und betrachtete missmutig den Fetzen. „Verdammte Scheiße, die hat irgendwelches Gift auf die Krallen gepanscht!“ „Du wirst es schon überleben.“ „Oh, das ist nicht das Problem. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass es höllenweh tut. Übrigens, Yumiko, du blinkst.“ „Hu?“ Tatsächlich blinkte das Funkgerät an meinem Gürtel fröhlich vor sich hin. Leise fluchend nahm ich es ab und drückte auf den Knopf. „Yumi dran und over.“ Das Gerät knackte laut, sodass ich zusammenzuckte. Neue Technik braucht Ischariot! „Yumiko, gib mir sofort Wolfe ’rüber. Over.“ Oh scheiße – was immer es war, es musste wichtig sein, wenn der Chef sich selbst meldete. Heinkel ließ den blutigen Fetzen auf den Boden fallen, schob sich die Sonnenbrille wieder hoch und nahm mir das Funkgerät aus der Hand. Ihr Gehör war um Welten besser als meins. „Wolfe. Over.“ Maxwell sagte irgendetwas, das ich im Gegensatz zu Heinkel nicht verstehen konnte. „Die Delegation ist tot. Over.“ Ah. „Nein. Was? Over.“ Längerer Text folgte, bis Heinkel ein knappes „Verstanden“ in das Mikrofon knurrte und das Funkgerät, anstatt es mir wiederzugeben, einfach einsteckte. „Yumiko, wir haben was zu tun.“ „Schon wieder? Was denn jetzt?“ „Etwas braut sich nicht weit von hier vor Berlin zusammen. Es soll sich dabei um einen kleineren Außenposten von Hellsing handeln, unter Umständen sind Millennium auch da.“ Heinkel stieg schon während sie das sagte über eine der Leichen, um die Gasse zu verlassen. Ich seufzte leise. „Heißt das, du fährst wieder?“ Sie grinste nur zur Antwort. Kapitel 21: 17. Wahnsinn ------------------------ In dem großen Wagen herrschten misstrauische und anzügliche Blicke der Freaks mir gegenüber vor, nur gemurmelte Unterhaltungen fanden statt – und neuerdings war ich in der Lage, jedes noch so leise Wort zu verstehen. Ich war unglaublich müde, ohne dass ich zu sagen vermochte, wo diese Müdigkeit herrührte. Es war alles im allen sowieso eine lange, unangenehme Fahrt, die ich mit dem Kopf auf Raphaels Schulter verbrachte, er hatte einen Arm um mich gelegt. Unsicherheit bestimmte mein Denken wie selten zuvor in meinem Leben. Hatte ich wirklich das Richtige getan? Es war schon irgendwie seltsam, in seinem Armen zu liegen und gleichzeitig daran zu denken, dass ich durch ihn die Bestie, gegen die ich immer gekämpft hatte, in mir trug. Ohnehin… mein Leben, sofern man es noch Leben nennen konnte, war nicht mehr das, das ich kannte, das ich siebzehn Jahre lang geführt hatte, sondern ein mir völlig fremdes. Es machte mir nicht direkt Angst, das nicht, aber ich fühlte mir hilflos, ausgeliefert. Der Vampir war der einzige Halt, den ich im Moment hatte. Und doch… Der Militärwagen kam nach einer gefühlten Ewigkeit zum Stehen. Matt hob ich den Kopf und setzte mich auf, Licht strömte in den Wagen, als der erste Freak die Doppeltüren öffnete, in dessen nun unangenehmem Schein ich überrascht blinzelte. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich grade in völliger Dunkelheit hatte sehen können. Mit mir passierte grade wesentlich mehr und in kürzerer Zeit, als mir lieb war und ich verarbeiten konnte! Raphael stand langsam auf, wir waren die letzten. „Komm Süße. Bringen wir’s hinter uns.“ Nach einem kurzen Moment erhob ich mich ebenfalls und griff nach dem Kama, das neben mir an der Wand gelehnt hatte, verließ langsam hinter Raphael den Wagen. Das erste Mal für Millennium? Nicht weit von hier, jedoch halb verborgen durch einen kleineren Wald verborgen, befand sich offenbar ein Bunker. Verdutzt blieb ich stehen. „Wir sind ja viel zu nah ’rangefahren“, bemerkte ich düster, aber der Vampir schüttelte den Kopf. „Es ist scheißegal, ob sie uns schon bemerkt haben oder nicht. Im Gegenteil, wenn sie’s vorher schon merken, sterben sie einfach etwas eher. Nichtsdestotrotz – wir sollten ’rein.“ Sprachs und war schon wieder auf halben Wege. Ich fluchte leise – wie schnell man sich so was angewöhnte! – und folgte nach, was sich nicht grade als die leichteste aller Aufgaben herausstellte, zumindest nicht mit dem langen Kama. Er tat mir aber den Gefallen und blieb stehen, jedoch nicht meinetwegen, sondern weil drei, vier Soldaten scheinbar etwas bemerkt hatten und nun, um nachzusehen, den Bunker verließen. Ich kam gar nicht zum Reagieren, denn die Freaks schossen unglaublich schnell – und brutal. Es war wirklich erstaunlich, was Schusswaffen alles anrichten konnten… Das Blut spritzte nur so, als diverse Körperteile durchlöchert oder sogar abgeschossen wurden. Ekel erregend. Das Problem war nur… Überall war Blut, der Geruch hing süßlich-schwer in der Luft, ein Spritzer war sogar in meinem Gesicht gelandet, welchen ich fast unbewusst ableckte. Böser Fehler. Sehr, sehr böser Fehler. Hunger erwachte fast augenblicklich. Ich wollte dem Drang nicht nachgeben, aber natürlich brachte mein Wille da herzlich wenig. Rote Schieren begannen mein Blickfeld zu durchziehen, ohne dass ich auch nur die geringste Ahnung hatte, was ich dagegen zu tun hatte. Rot umhüllte alles, Raphaels Stimme klang schwer und sinnlos zu mir durch und dann… BLUTHUNGER. Kapitel 22: 18. Blut -------------------- Ich weiß nit Admins, fällt das schon unter Adult? Das Nächste, an das ich mich erinnerte, war Hitze, die mich durchflutete, metallischen Geschmack in meinem Mund und Schmerzen. Aus irgendeinem Grunde wollte ich auf jeden Fall vermeiden, die Augen zu öffnen, aber ich konnte nicht ewig hier herumliegen – wo genau „hier“ auch immer sein mochte – also tat ich es denn doch – und bereute es augenblicklich. Die Welt um mich herum war über und über mit Blut besudelt, offenbar war auch die klebrige Masse, in der ich lag und die sich großzügig in meinem Gesicht befand, Blut. Der süßliche Geruch jenem und der einsetzenden Verwesung, durchzog alles und hing schwer in der Luft. Erschrocken riss ich die Augen auf, rollte mich von der Seite auf den Bauch, drückte mich hoch und spuckte angewidert aus. Etwas anderes als Blut hatte ich nicht wirklich erwartet. Ich ekelte mich vor mir selbst, vor allem, als meine Haare vor meinem Gesicht hin und her pendelten und dabei nicht mehr ihre ursprüngliche Farbe hatten, aus weiß war ein tropfendes Rot-Braun geworden, das den Boden noch mehr voll tropfte, als er ohnehin schon war. Was hatte ich nur getan?!? Zitternd stand ich auf und zwang mich, mir anzusehen, was ich angerichtet hatte. Es gab in dem vielleicht zwölf Quadratmeter großem Zimmer kam etwas, dass nicht mit dem roten Lebenssaft bespritzt war. Möbel waren nicht mehr identifizierbar, da sie in Trümmern im ganzen Raum verteilt waren. Und nicht nur sie. Überall lagen Leichen und einzelnen Körperteile herum, den Toten war die Kehle herausgebissen und andernorts halb zerkaut wieder ausgespuckt worden, einer hing aufgespießt auf einem Tischbein, seine Hand pendelte langsam hin und her. Mein Kopf hatte auf einer unbestimmten Masse Gedärmen gelegen, die sich auch im ganzen Raum verteilt hatten, und Hirnmasse bildete ein hübsches Muster auf einer Wand. Dabei stand ich mittendrin, die Haare komplett in Blut getaucht und selbst über und über bespritzt und…mir wurde schlecht. Das alles war meine Schuld?!? Meine verdammte Schuld?! Entsetzt bückte ich mich, um das Kama von dem besudelten Boden aufzuheben, berührte zunächst flüchtig eine Klinge – und zog die Hand mit einem Aufschrei zurück. Die entsprechende Fingerkuppe hielt sich nicht damit auf, Blasen zu werfen, sondern verfärbte sich sofort schwarz. Die Haut war völlig verkohlt, schwarze Krümel fielen zu Boden. Ich hatte mich noch nicht daran gewöhnt, dass die Berührung mit Silber tödlich sein würde. Wesentlich vorsichtiger hob ich die Waffe am lederumwickelten Griff auf und achtete sorgsam darauf, zumindest der silbernen Klinge fern zu bleiben. Ich wollte grade den Raum verlassen, als ich Stimmen hörte. Weibliche Stimmen. Und sie waren mir erschreckend bekannt. Wenn es jemanden gab, den ich jetzt wirklich nicht gebrauchen konnte, so war das eindeutig das Chaosduo! Ich sah mich um, aber es gab keinen anderen Ausgang aus dem Raum. Mit einem lautlosen Stoßgebet auf den Lippen zog ich mich in die schmale Nische zurück, die durch die Wände und die offene Tür gebildet wurde. Erstaunlicherweise fehlten der Tür nur ein paar Splitter der Holzverkleidung, unter denen entweder Eisen oder Stahl sichtbar wurden. Warum dachte ich jetzt eigentlich über so etwas Banales nach? Ich war grade noch rechtzeitig in das provisorische Versteck gehuscht, denn jetzt betrat Heinkel mein Blickfeld, die Waffe im Anschlag ließ sie nach einem Moment sinken. „Nette Schweinerei hier“, bemerkte sie. Auch Yumiko war jetzt zu sehen. Im Gegensatz zu Heinkel schien auch sie ziemlich angewidert von dem Blutbad hier zu sein. „Ich schätze mal, Millennium war wohl vor uns hier.“ „Hm-mh.“ Es war nicht genau zu erkennen, ob Wolfe damit einen zustimmenden Laut von sich gab oder nicht. „Was hat hier gewütet?“ Heinkel zuckte die Schultern. „Ich würde vom ersten Eindruck her sagen, ein Werwolf, allerdings sprechen die Bisswunden dagegen. Eher ein junger Vampir.“ „Warum denn ausgerechnet ein junger?“ Gute Frage. Es war das erste Mal, dass ich die umfangreichen Kenntnisse der Ischarioter Werwölfin über übernatürliche Wesen verfluchte. Mal davon abgesehen, dass Fluchen sowieso zu meinen neune schlechten Angewohnheiten gehörte. „Das sieht alles ziemlich willkürlich aus, also war es wahrscheinlich ein Vampir im ersten Blutrausch, er – oder sie, mir egal – hatte wohl nicht die geringste Kontrolle über sich.“ Heinkel hatte wirklich viel zu viel Ahnung von der Materie! Geht!, flehte ich innerlich. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich irgendwann einmal schon fast panische Angst vor einer Begegnung mit meinen Wachhunden haben würde, aber das war jetzt offensichtlich der Fall. „Yumiko?“ Auf Heinkels Gesicht lag ein unheilverheißendes Lächeln. Für einen Moment setzte mein Herz aus, weil ich dachte, sie hätte mich bemerkt. „Wir kriegen Gesellschaft.“ Kriegen? Yu drehte sich überrascht um. „Was, wen?“ Heinkels Lächeln artete zu einem Grinsen aus, als sie die Waffe wieder hob. „Wie hieß noch gleich der Sohn von van Winkle?“ Raphael! Das allerdings stellte jetzt ein Problem dar. Der Vampir war aller Wahrscheinlichkeit nach meinetwegen hier, aber wenn er stattdessen auf Yumiko und Heinkel traf… Andererseits konnte ich doch unmöglich etwas gegen das Chaosduo unternehmen… Ich biss mir auf die Unterlippe. Eine Möglichkeit gab es noch – auf den Überraschungseffekt hoffen. Zwar war das nicht ganz ungefährlich, aber das war die ganze beschissene Aktion nicht gewesen. Mit einem entschlossenen Schritt nach vorn warf ich ein fröhliches „Hallo!“ in den Raum. Der Gesichtsausdruck der beiden war genial. Allerdings musste ich ja auch einen wirklich umwerfenden Anblick bieten. Yumiko sah mich nur fassungslos an, während Heinkel zwischen mir und dem angerichteten Blutbad hin und her sah. „Oh“, machte sie schließlich. „Vic, du hast hier eine ziemliche Schweinerei angerichtet. Hast du vielleicht mal an die Nerven der armen Putzfrau gedacht?“ Unwillkürlich entlockte mir die Bemerkung ein flüchtiges Lächeln. „Tut mir leid. Du kannst ihr ja die Arbeit abnehmen, ich muss jetzt nämlich schon wieder los. Ciao, dominus vobiscum und so weiter.“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und jagte an Yu vorbei durch die Tür. Entgegen meiner ersten Vermutung schoss Wolfe mir nicht hinterher. Dafür rannte ich nach ein paar Metern Raphael fast um. „Vic! Wie siehst du aus?!“ „Das ist nicht das Problem im Moment. Meine alten Kollegen von Ischariot sind hier.“ „Wie konnten sie…“ „Komm jetzt!“ Ich zog den Vampir einfach mit mir, lange würde es nicht dauern, bis die beiden sich gefangen hatten. Draußen aber verließen mich dann nach wenigen Metern die Kräfte. Ich ließ Vampir und Kama los und brach fast zusammen. Alles tat weh, und der Abscheu vor mir selbst tat ein Übriges. Ich war sehr nahe dran, mich einfach zu übergeben, nur ein verspäteter Anflug von Stolz verhinderte das. „Was ist passiert?“, fragte ich tonlos. Meine Stimme war brüchig geworden, es wunderte mich kaum. Eher, dass es erst jetzt so war. „Du hast die Kontrolle verloren. Blutrausch. Du bist ’reingerannt und hast… hast etwas wahrscheinlich ziemlich Unappetitliches getan.“ „Warum hast du mich nicht aufgehalten?“ Nur zu deutlich klang der Vorwurf in meiner Stimme mit. „Sie haben mich nicht gelassen. Es tut mir leid, Victoria.“ „Es tut dir leid?“ Ich stand langsam auf und sah ihn böse an. „Es tut dir leid?! Ich habe deswegen Leute abgeschlachtet! Sieh mich nur mal an!“ Ich bebte regelrecht, aber er senkte nur den Kopf und sah zu Boden. Nie zuvor war ich derart wütend gewesen, aber das war denn wohl verständlich. Er gab keine Antwort. Was hatte ich denn eigentlich auch erwartet? „Komm jetzt. Heinkel und Yumiko kommen gleich. Wo sind die anderen?“ „Da vorn.“ Er wies hinter das kleine Wäldchen. Ich hob das Kama auf und ging in die angegebene Richtung, ohne noch einmal zu ihm zu sehen. Er hätte es verhindern können! Es hätte nicht so weit kommen müssen, wenn er nur etwas getan hätte! „Victoria!“ Ich drehte mich um und funkelte ihn böse an. „So nicht, mein Freund! Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, wir haben zwei von Ischariot im Nacken, bei denen ich mich wirklich wundere, warum sie noch nicht hier sind! Außerdem gibt es nichts, das du entschuldigen könntest, Raphael! Ich war schuld, ja, ich verabscheue mich auch dafür – aber du hättest etwas tun können, damit ich es nicht getan hätte! Es sind Menschen deswegen gestorben – was sage ich da, sie sind schlimmer als Schlachtvieh niedergemetzelt worden, da hilft eine Entschuldigung herzlich wenig!! Das bringt sie nicht zurück ins Leben oder beschert ihnen einen angenehmeren Tod! Es waren unsere Feinde, ja, aber so was wünsche ich keinem. Und wenn wir ganz weit gehen – ohne dich hätte ich das nie getan, weil ich dann nie eine Vampirin geworden wäre! Und jetzt gehen wir, ohne dass du noch fünf Mal versuchst, dich zu entschuldigen, verstanden?!“ Er murmelte irgendetwas, das ich ganz absichtlich nicht verstand, sondern zurück zu den anderen stampfte. Ich hasste ihn im Moment, und mich selbst sowieso. Wie hatte es nur so weit kommen können? „Er scheint dich ja ziemlich schnell gefunden zu haben. Aber wenn du mir den Kommentar gestattest, Kleines, du siehst grauenvoll aus. Du musst dringend unter die Dusche. Und zwar nicht zu knapp.“ Rips Stimme. Ich lächelte die schwarzhaarige Vampirin flüchtig an, im Augenblick brachte ich ihr am meisten Sympathie von allen Anwesenden, mich selbst eingeschlossen, entgegen. „Ich weiß. Allerdings haben wir momentan ein anderes Problem, fürchte ich.“ „Ach ja?“ Sie hob flüchtig eine Braue. Ich spürte die Blicke der Freaks rings herum, wie sie mich angafften, begierig, aber ich wusste nicht, ob meinetwegen oder aufgrund des Blutes an mir. Ich hätte sie liebend gern abknallen können. Außerdem ging Raphael nun an uns vorbei, ohne uns eines Blickes zu würdigen, was den Gesichtsausdruck der Scharfschützin noch etwas verwirrter ausfallen ließ. Dennoch enthielt sie sich jeden Kommentars. Ich war ihr dankbar dafür. Matt deutete ich über meine Schulter Richtung Bunker. „Jep. Yumiko und Heinkel sind da drin.“ „Scheiße.“ Sie seufzte leise. „Na gut, dann kümmern wir uns eben jetzt gleich um die Beiden.“ „Nein!“, rief ich erschrocken, was mir einen erstaunten Blick von Rips Seite einhandelte, also sah ich mich gezwungen, meine Aussage etwas zu modifizieren. „Ich meine… Nur mit Freaks im Rücken, selbst bei so vielen, ist das bei den beiden doch ein schweres Unterfangen.“ „Abgesehen von den Freaks sind wir zu dritt, Victoria. Sieh ein, dass du nicht mehr zu ihnen gehörst.“ Sie hatte mich durchschaut. Was hatte ich denn auch großartig erwartet? Ich war schon immer eine miserable Schauspielerin gewesen. Irgendwie beschlich mich das leise Gefühl, dass ich demnächst mal jemanden bitten müsste, mich dementsprechend näher zu unterweisen. In der Hinsicht schienen mir ja wirklich alle überlegen zu sein. „Aber na gut“, fuhr sie fort. „Wenn du noch nicht so weit bist, verschieben wir das eben.“ Sie machte eine kurze Pause, um dann düster hinzuzufügen: „Auch wenn wir in nächster Zeit wohl kaum noch so gute Gelegenheiten kriegen werden.“ „Es tut mir leid“, sagte ich zerknirscht und meinte es auch so. Stattdessen lächelte sie aber. „I wo. Mach dir keine Vorwürfe, Victoria. Im Gegensatz zu den meisten hier verstehe ich schon, wie es dir gehen muss.“ „Hast du das denn etwas selbst durchgemacht?“, fragte ich erstaunt. Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass ich auf das unförmliche Du zurückgefallen war, nicht unbedingt klug, aber sie schien es nicht zu stören. „Nicht direkt. Aber, wie ja alle wissen, Raphaels und Helenas Vater kommt ja schließlich auch von Ischariot. Ich hab’s wohl so ungefähr mitgekriegt.“ Stimmte ja. Hatte ich angesichts der Umstände ganz vergessen. „Nun ja.“ Rip hob ihre Stimme, sodass alle Umstehenden sie nun hören konnten. „Wir ziehen ab, hier sind wir fertig. Los, ein bisschen Beeilung!“ Die Freaks machten sich daran, wieder in die Militärwagen zu klettern, sichtlich enttäuscht, dass sie nicht zum Gebrauch ihrer Waffen gekommen waren. Nicht wenige murrten etwas grade an der Grenze zum Verständlichen. Raphael konnte ich nirgends entdecken. Aber ich war auch nicht versessen darauf. „Ach, und noch was. So, wie ich das mitbekommen habe, scheinen Rapha und du im Moment leichte Probleme miteinander zu haben, wenn du willst, kannst du stattdessen mit mir fahren“, lächelte sie im Umdrehen. „Denn wir fahren…denn wir fahren…denn wir fahren gegen Engelland, Engelland.“ Oh, damit hatte sie zweifellos Recht. Gegen die auf jeden Fall. So oder so. Und wenn auch mit so rabiaten Methoden, wie ich sie hier gegen meinen Willen durchgeführt hatte. Kapitel 23: 19. Stille ---------------------- Warum eigentlich war mir bei Ischariot nie aufgefallen, wie wohltuend Stille und Einsamkeit sein konnten? Kalter Wind strich durch meine Haare, während ich mit angezogenen Beinen, den Kopf auf den Knien, auf einem Baumstumpf unweit der Hindenburg saß und in die Sterne starrte. Bereits seit Stunden hatte ich mich kaum bewegt, und mittlerweile war ich wieder sehr ruhig geworden. Dennoch flackerten vor meinem inneren Auge immer wieder Bilder der Toten, des Zimmers voller Blut auf. Gefoltert vom eigenen Geist. Natürlich hatte ich Raphael gegenüber überreagiert. Aber ich war nun einmal fertig mit den Nerven gewesen, war es auch jetzt noch. Im Moment aber war ich in erster Linie müde. Die letzten Tage hatten wesentlich mehr Kraft gekostet, als ich eigentlich besaß. Und es würde in nächster Zeit auch nicht besser werden, eher schlimmer. Zu viele Probleme, zu viele Konflikte, die in der Luft lagen. Heute, das war der Auftakt zum Krieg gewesen. Es war offiziell. Gegen Hellsing, gegen Ischariot, für Millennium. Aber wollte ich das überhaupt? Erst heute hatte ich wieder gesehen, dass ich nichts gegen Ischariot tun konnte. Es lag nicht an meinen Fähigkeiten. Es war etwas Inneres. Geistig. „Vic?“ Matt hob ich den Kopf und lächelte kurz. „Hey Hel.“ Der kleine Blondschopf ging vor mir in die Hocke und sah schief zu mir hoch. Wie süß Helene sein konnte, wenn sie nur wollte. Auch wenn es nicht zu ihrer vorlauten Art passen wollte. „Was machst du hier?“ Süße, kindliche Unschuld. Zumindest im Moment wirkte sie wie ein ganz gewöhnliches Kind. „Ich wollte allein sein, zum Nachdenken.“ „Stör ich beim Alleinsein?“ Diese Bemerkung entlockte mir ein flüchtiges Lächeln. Sie war nicht einfach jung gestorben, sondern wirklich noch so jung. „Es ging nicht um dich, Hel. Ich hab’ sowieso schon zu lange hier gesessen.“ „Dann komm!“ Die zerstrubelte Vampirin sprang auf. „Gleich. Geh schon mal, ich komme gleich nach.“ So süß sie sein mochte, im Moment war sie einfach zu wild. „Sicher?“ „Klar.“ Ohne ein weiteres Wort verschwand sie wieder. Aber die Ruhe von vorher kehrte nicht mehr zurück, Hel hatte – ob beabsichtigt oder nicht – stundenlange Stille und Regungslosigkeit unnütz gemacht. Ich seufzte und setzte mich jetzt richtig auf den Stumpf. Mein Leben – sowie man es noch Leben nennen konnte – war seiner wenigen Konstanten beraubt worden. Folglich war es wohl nicht weiter verwunderlich, dass ich nicht mehr wirklich wie ich selbst reagierte. Müde stand ich ganz auf, meinen Beinen jedenfalls hatte die lange Starre in der Kälte alles andere als gut getan. Aber immerhin vertrieben die Schmerzen der Steife die Bilder aus Blut. Matt schob ich mir die schneeweißen Strähnen zurück, nicht, dass es einen großen Unterschied machte. Ich war todmüde. Aber zumindest schien der verdammte Hunger jetzt erst mal weg zu sein. Dennoch hatte Hel Recht. Langsam aber sicher sollte ich zurück zur Hindenburg. Selbst wenn ich irgendwie Angst hatte, Raphael über den Weg zu laufen. Stille war etwas Wunderbares. Auch wenn, was ich jetzt wusste, die Stille im Leben bei weitem nicht so erholsam war die im Tode. Diese Stille. Kapitel 24: 20. Was strömt, verändert sich ------------------------------------------ Raphael war nicht da gewesen, als ich wieder auf das Zimmer gegangen war. Ich hatte weder besondere Lust noch die Nerven dazu, ihn jetzt zu suchen, nachher lief ich wieder irgendwelchen Freaks über den Weg. Er würde schon früher oder später hier auflaufen. Stattdessen hatte ich herausgefunden, dass es mich unglaublich beruhigte, einfach nur in die Sterne zu sehen und stand auch so fasziniert vor dem Bullauge (oder hieß das Fenster auf einem Luftschiff? Ich weiß es einfach nicht… Klingt so oder so komisch…). Direkt in Berlin sah man nie so viele Sterne, und in Rom sowieso nur sehr wenige. Rom… ich schauerte leicht. Dorthin würde ich wohl nie wieder zurückkehren, auf jeden Fall nicht mehr mit der Selbstverständlichkeit, die es bisher für mich gehabt hatte. Rom war meine Heimat… trotz allem war es schon seltsam genug, seit ein paar Wochen in einer ganz anderen Stadt, in einem ganz anderem Land zu leben. Aber vollkommen? Dass die Tür aufging, irritierte mich jetzt keineswegs. Wenn ich mich nicht völlig gehen ließ, hatte ich schon zuvor die Gegenwart und die Art eines anderen auf eine relativ hohe Entfernung gespürt, und diese Fähigkeit hatte sich insofern verfeinert, dass ich immerhin einzelne Personen diesen Auren zuordnen konnte. „Hey Raphael“, gab ich geistesabwesend von mir, den Blick unverwandt in die Sterne gerichtet. „Vic.“ Er klang leicht zerknirscht. „Das heute Nachmittag tut mir leid, aber…“ „Ich hab überreagiert“, fiel ich ihm ins Wort. „Du konntest nichts dafür, aber es ist eben meine Art, damit klar zu werden, erstmal jemand anderen zu verantwortlichen und ihn anzuschreien. Ich muss damit leben.“ Ich hielt inne. „Leben. Kann man das überhaupt sagen? Oder heißt das jetzt, lass mich überlegen… untot sein?“ „Wie wär’s mit existieren?“ Ich spürte ihn hinter mir, als er die Arme um meine Taille legte. Irgendwie schon seltsam… „Das würde wahrscheinlich gehen. Klingt recht neutral.“ „Schön, dass wir das geklärt haben.“ Ich lächelte, auch wenn er das nicht sehen konnte. „Zweifelsohne.“ Eine Weile lang schwiegen wir beide. „Die Sterne sind wieder wunderschön heute Nacht.“ „Hm-mh. So was gibt es in Rom nicht allzu oft zu sehen. Genauer gesagt: gar nicht.“ „Tatsächlich nicht?“ „Es ist eine große Stadt.“ „Wie ist Rom denn eigentlich so?“ „Rom?“ Ich überlegte. „Eine riesige Metropole voller Leben. So gesehen ein riesiger Kessel voller Schwierigkeiten, der jeden Moment überkocht. Es ist eine Stadt, die nur von Widersprüchen lebt. Zum Beispiel ist direkt neben dem Vatikan ein Strich.“ Er lachte kurz auf. „Um solche Details ging es mir jetzt eigentlich nicht.“ „Die gibt’s aber gratis. Aber egal. Ganz gleich, was man sagt, eins ist Rom auf jeden Fall nicht – romantisch. Rom ist dreckig. Es gibt mindestens genauso viele, wenn nicht mehr, streunende Katzen wie Menschen, und jede Menge menschlicher Abschaum. Amüsanterweise direkt neben der Pracht des Peterdoms. Soviel zum Thema Güte der Kirche. Das war schon immer ein Streitpunkt zwischen Enrico und mir.“ „Klingt ja einladend.“ „Oh ja. Und weißt du was, ich hab trotzdem Heimweh danach, zumindest ein bisschen. Allerdings hat sich das ohnehin erledigt, denke ich. Ich gehöre jetzt wohl oder übel hierhin.“ „Vielleicht hatte Mom doch Recht“, murmelte er leise. „Womit?“ Er ließ mich los und drehte mich an den Schultern zu sich hin. Perplex leistete ich nicht den geringsten Widerstand. Der Vampir lächelte kurz, kniete sich dann hin und sah mich fragend an. „Victoria, willst du mich heiraten?“ Mir klappte der Mund ’runter. Damit hatte ich nun nicht gerechnet! Meine erste geistreiche Erwiderung war ein „Äh…“ Mein zweiter Kommentar lautete dann… Möp! Nein, auf Vics Antwort müsst ihr jetzt warten. Ich bin gemein, nicht? :D Aber ich hab im Moment irgendwie ziemliche Probleme mit dem Schreiben, daher war das jetzt nicht so viel und hat trotzdem so lange gedauert… Tut mir leid, ich hab zurzeit ein ziemliches Krea-Tief. Kapitel 25: 21. Die Welt in Flammen, der Tragödie erster Akt ------------------------------------------------------------ Raphael hatte erklärt, jeder Vampir hätte eine bestimmte Fähigkeit, die bei diesem besonders ausgeprägt wäre, er selbst zum Beispiel sei besonders empfänglich für die Gedanken anderer. Helena hatte ein Gespür für Gefühle, sofern sie sich auf einen bestimmten Radius oder noch besser eine bestimmte Person einpendelte, Rip nahm Gerüche viel intensiver auf als die meisten. Dann gab es noch solche, die auf das Aufspüren von Auren spezialisiert waren, er vermutete, dass Alucard dazu gehörte, und solche, für die das Sonnenlicht überhaupt nicht unangenehm war. Und dann gab es die Vampire, die so was Ähnliches wie Vorahnungen zu haben schienen. Zu denen schien ich zu gehören. Jedenfalls wurde ich in seinen Armen wach und hatte direkt ein ungutes Gefühl, das mich wacher machte, als ich es normalerweise direkt nach dem Aufwachen war. Wenige Sekunden verstrichen nur, bis die ganze Hindenburg erschüttert wurde. Raphael, der grade noch tief geschlafen hatte, blinzelte einmal und war sofort hellwach. Ich beneidete ihn um diese Fähigkeit. „Was zur…?!“ Weiter kam er nicht bis zur nächsten Erschütterung, begleitet von so viel Lärm, dass es unmöglich ein Erdbeben sein konnte. Außerdem – ein so starkes Erdbeben in Mitteleuropa? In Deutschland? Wohl kaum. Er war schneller aufgesprungen und ans Fenster, als ich registrierte, dass ich nicht mehr an ihm lehnte. Ich sah, wie seine Gesichtszüge entgleisten. Nie zuvor hatte ich ihn so entgeistert gesehen, so besorgt. Schon fast verängstigt. „Was ist los, Raphael?“, fragte ich leise. Ich wollte die Antwort gar nicht wissen, auch wenn ich sie bereits erahnte. „Wir werden zum Tee eingeladen, wonach klingt das denn? Wir werden angegriffen, verdammt! Draußen steht schon alles in Flammen!“ „Wer?“ So tonlos und leise wie meine Stimme klang, hoffte ich, er würde mich nicht verstehen. Natürlich tat er es doch. „Deine Leute“, gab er kalt zur Antwort. Ich wusste nicht, ob der Tonfall oder die Worte verletzender waren. Meine Leute? Meine? War er mich schon leid? Bereute er es schon? „Meine Leute“, wiederholte ich langsam. Es wollte einfach nicht in meinen Kopf. Allerdings schien es doch nur eine Unaufmerksamkeit gewesen zu sein, seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen. „Sorry.“ „Grazie”, antwortete ich halb abwesend. Wenn er schon in eine andere Sprache wechselte, nun, das konnte ich auch. „Und was machen wir jetzt?“ „Nicht hier herumstehen und…“ Eine weitere Erschütterung. „… darauf warten, dass etwas passiert“, führte er seinen Satz zu Ende. Passend zu seinen Worten ging die Tür auf, Helena. Sie sah sogar noch zerzauster aus als gestern, kaum vorstellbar. „Hier seid ihr.“ Und schon war sie wieder weg, dabei fröhlich vor sich hinträllernd. „… est noster et noster victoria!“ Das Kind verwirrte mich jetzt vollends. „Kannst du mir mal erklären, warum deine Schwester so eine unglaublich gute Laune hat und den Freischütz auf Latein singt?“ Er grinste und zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich hat sie wieder irgendetwas ausgefressen und hofft, dass es jetzt nicht weiter auffällt.“ „Hm.“ Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Hel immer irgendetwas ausgefressen hatte. Auch wenn ihre Augen einen etwas anderes glauben machen wollten, sie hatte rein gar nichts von einem Unschuldslamm. „Besonders normal verhalten wir uns aber auch nicht. Wir werden angegriffen und haben nichts Besseres zu tun, als tatenlos herumzustehen und zu reden.“ Er zuckte mit den Schultern. „Besser, als in Panik zu verfallen. Aber du hast Recht – wir sollten gehen.“ Ich stand auf und griff nach dem an der Wand lehnendem Kama, Raphael – mein Meister, dachte ich mit einem Anflug eines sarkastischen Lächelns – hatte seine Waffe, von der ich immer noch nicht genau wusste, was das eigentlich war, wohl schon wieder aus dem Nichts geholt und irgendwo unsichtbar verstaut sowie er schon wieder halb aus dem Zimmer war. Ich fand es erstaunlich, wie schnell er manchmal zu sein vermochte. Draußen herrschte Chaos pur. Freaks rannten kreuz und quer durch die Hindenburg, während ich nach jemandem Bekanntes Ausschau hielt. Ich konnte weder Hel noch Rip, Schrödinger oder Ayvane entdecken. Zumindest über Letzteres war ich sehr glücklich. Ich konnte die Freak-Werwölfin nicht ausstehen, und das lag sicher nicht nur an ihrer mangelnden Kooperationsbereitschaft. Im Gegensatz zu mir schien er aber sehr genau zu wissen, wo er hin musste. Nicht, dass es mich wunderte, zumal ich grade mal den zweiten Tag hier war, während er siebzehn Jahre lang Zeit gehabt hatte, alles genau zu erkunden. Wie sonst auch, hielt ich mich also einfach an meinen Meister. Er würde sich schon nicht irren. Allerdings schien meine Vermutung, dass wir uns mal wieder zum Ausgang bewegen würden, richtig zu sein. An jenem sah ich denn auch zumindest drei derer, die ich vorhin gesucht hatte – Helena und ihr Pate, wie zu erwarten, und das missgelaunte Rothaar. Von Rip oder all den anderen, die ich noch nicht kannte, war keine Spur zu finden. Zudem gefiel mir der Blick, mit dem Ayvane Raphael bedachte, ganz und gar nicht. Vielleicht war das ja der Grund, aus dem sie mich hasste, bei mir machte sie damit auf jeden Fall keine Pluspunkte. Helena dagegen holte sich grade zerknirscht eine Standpauke vom Neko ein, der sie aber abrupt abbrach, als er Raphael und mich bemerkte. Sein Blick ließ Übles ahnen. „Was ist los?“, fragte der dann auch misstrauisch. „Na ja…“ Es war das erste Mal, dass ich Schrödinger um Worte ringen sah. „Was?!“ „Nuuun… Deine Schwester war mal wieder verschwunden…“ „Das ist sie öfters. Na und?“ Schrödinger atmete tief durch. „Deine Eltern sind da draußen!“ Dem entgleisten die Gesichtszüge, nach einem Moment stürzte er vor und wollte raus allerdings stand ihm Ayvane im Weg. „Dein Vater hat gesagt, du sollst nicht hinterher.“ „Das ist mir scheißegal, verdammt! Das sind meine Eltern, und jetzt lass mich durch!“ Ich warf einen flüchtigen Blick zu Schrö, der unmerklich nickte, und auch Ayvane gab mir nach einem Moment mit den Augen ihre Einwilligung. Nur der Gedankenleser merkte nicht, was ich vorhatte. „Raphael, es hat keinen Sinn, wenn du jetzt da raus gehst. Man braucht dich hier“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen. „Jemand muss sie suchen!“ „Genau“, nickte ich. „Deswegen gehe ich ja auch da raus.“ Mit einem Satz war ich an ihm und Ayvane vorbei draußen. Ich wusste, dass ich das nicht so ohne weiteres konnte, ich kannte wahrscheinlich viel zu viele von ihnen, aber das war wohl auch nicht nötig. Schließlich war mehr als genügend Blut hier. Kapitel 26: 22. Verräter ------------------------ Irgendwie schien es zu einer schlechten Angewohnheit von mir zu werden, beim Aufwachen zu merken, was für ein Blutbad ich angerichtet hatte. Ich stöhnte matt auf, setzte mich auf und öffnete die Augen. Ich roch Blut und Verwesung, aber sehen konnte ich – Bäume. Bäume? Wald? Was zur… Jemand näherte sich mir, im ersten Moment dachte ich, es könnte Raphael sein, aber die Präsenz unterschied sich doch um einiges. Ein Freak, vielleicht? „Sieh an, noch ein Opfer, das der Krieg gefordert hat, auch wenn es noch gar nicht tot ist.“ Die Stimme kam mir vage bekannt vor, und als der Typ in mein Blickfeld trat, wurde mir auch wieder klar, dass das der dreiste Freak von gestern Mittag war. „Was willst du?“, murmelte ich matt. Was immer ich auch getan hatte – es hatte viel, sehr viel Kraft gekostet. Er ging wenige Meter vor mir in die Hocke und selbst mir war mehr als offensichtlich, wohin sein Blick glitt. Aber er gab keine direkte Antwort. „Die Mächtigen wissen gar nicht, wie wenig sie ohne uns eigentlich sind. Die Bauern leisten der Dame die Vorarbeit und sichern den König, nicht wahr?“ Mittlerweile hing mir der Schachfigurenvergleich zum Hals raus, vor allem nach dem, was Enrico damit symbolisiert hatte. [Im Übrigen, ob man’s glaubt oder nicht, je mehr Schlechtes ich in meinen FF’s über Maxwell schreib, desto sympathischer wird er mir irgendwie oO] „Was du willst, habe ich gefragt!“ Er lachte. „Das Kätzchen fährt die Krallen wieder aus, nur dass es sie vorher abgestumpft hat, sodass sie nutzlos geworden sind. Aber meinetwegen. Es ist nichts persönlich gegen dich, aber Raphael…“, in seinen Augen blitzte etwas bösartig auf, „…ist mittlerweile wirklich zu vermessen. Und jetzt hat der Große, der Unfehlbare endlich eine Schwäche offenbart.“ Er grinste unheilvoll. „Also nehmen wir ihm das Eine, was ihm wirklich etwas bedeutet.“ Langsam dämmerte mir, was der Wahnsinnige vorhatte. Wo war mein Kama? Ich sah mich danach um, konnte es aber nirgends entdecken. „Suchst du das hier?“ In seiner Hand funkelte etwas, Licht brach sich auf den Bruchstücken einer einst stolzen Kamaklinge. Er hatte…! Ich hatte diese Waffe, seit ich fünf war, auch wenn sie da noch viel zu groß gewesen war! Das Kama war das einzige, was noch direkte Verbindung zu Ischariot dargestellt hatte (metaphorisch), oder eher zu Yumiko, weil ich sie von ihr bekommen hatte, weil sie mir beigebracht hatte, wie man damit kämpfte! Und jetzt kam so ein dahergelaufener Freak… Ich tastete nach der Beretta, fand sie zwar, aber das leichte Gewicht machte sofort klar, dass sie leergeschoßen war. „Kleines, du verlässt dich zu sehr auf menschliche Waffen, und dass als Native. Ich hätte mehr erwartet.“ Er stand grinsend auf, die Kamabruchteile fielen achtlos zu Boden. Ich knurrte leise, versuchte mich hochzudrücken, allerdings fehlte meinen Armen schlicht und ergreifend die Kraft. Aber das war auch gar nicht nötig, er riss auf einmal die Augen auf, und eines der altmodischen Gewehre, an deren Lauf ein Bajonett befestigt war [ideale Waffe, oder? xDD Aber die Teile werden, glaub ich, heute noch von Jägern und so], trat durch seine Brust. Autsch! „Elender Verräter“, murmelte Raphael hinter ihm – wo kam er nur immer her?! – während der Freak starb. „Woher wusstest du…?“ „Oh, ich merke mehr, als man denkt. Manchmal sogar mehr als Schrödinger, aber eher selten.“ Er kniete sich direkt vor mich hin. „Du siehst alles andere als gut aus.“ „Woran das nur liegen mag…“ Spätestens, als er mich hochhob und zurücktrug, schwanden mir ganz die Sinne. ----------- Wirkliches Krea-Tief. Ich denke, Immortal wird jetzt erstmal eine Weile still liegen, ich kann zurzeit wirklich nichts annährend Romantisches schreiben, ohne dabei selbst fast in Tränen auszubrechen. Mir geht es in der Hinsicht wirklich nicht gut – obwohl es schon fast 4 Monate her ist. Deshalb werd ich im Moment wohl eher meine Parodien und „Bluttränen im Schnee“ weiter schreiben – da denke ich wenigstens nicht so viel über die Ungerechtigkeit der Liebe nach. Sorry. Kapitel 27: 23. Die Welt in Stille, der Tragödie zweiter Akt ------------------------------------------------------------ Lange genug hat es gedauert. Und besonders ist es auch nicht…naja… „Nein!“ Irgendwer hatte alle von Bedeutung zusammengerfuen, selbst ich hatte einen Stuhl an dem Tisch bekommen. Dennoch blieb einer frei… Rip war nicht wieder aufgetaucht. Ich ließ den Blick über die Runde schweifen. Ganz offensichtlich ging dieser Verlust den meisten hier nahe – den Major vielleicht ausgenommen. Helena war ungewöhnlich still, blutige Tränen liefen ihr über die Sommersprossen, der Blick der rothaarigen Werwölfin wr starr auf einen Fleck in der Tischmaserung gerichtet, Schrödinger trommelte dicht neben diesem Fleck unablässig mit den Fingern. Und auch die anderen, denen ich hier zum ersten Mal begegnete, waren wohl nicht in ihrer besten Verfassung. Vor allem von dem großen Krieger Anderson aus den Erzählungen meiner Kindheit war nichts zu sehen; dort saß ein verzweifelter Mann, dem das untätige Herumsitzen gar nicht behagte. Der Einwand grade war von Raphael gekommen… warum fiel mir grade auf, dass das ein jüdischer Name war? Seltsam… „Wir müssen sie suchen, Herr Stellvertreter! Wenn man bedenkt, wie viele Informationen sie offenbar schon hatten, ohne dass wir wissen, woher…“ „Das“, unterbach Ayvane auf einmal mit blutunterlaufenden Augen, „fragst du am besten den Spion, den du selbst hierher gebracht hast, Verräter!“ Raphael sprang auf und wollte auffahren, aber der Major schlug auf den Tisch. „Ruhe ihr beide! Man könnte ja meinen, ihr kämt aus dem Kindergarten, selbst Hel benimmt sich erwachsener als ihr!“ Nur langsam ließ sich der Vampir wieder sinken und das wohl auch mehr aus Pflicht als aus Respekt gegenüber seinem Vorgesetzten. Auch wenn mir vorher schon klar gewesen war, wie die Rothaarige dachte, zeigte mir das nur zu deutlich, dass ich nicht erwünscht war, ja sogar eine Bedrohung darstellte. Und wie ging Millennium mit Bedrohungen um? Richtig, ebenso wie Ischariot beseitigte es sie einfach… Ich sank regelrecht in dem Stuhl zusammen. Mit einem Mal war es so kalt… „Sie ist nicht schuld.“ Raphael hatte nun einen trotzigen Unterton. „Vielleicht nein, vielleicht doch. Vielleicht ist sie auch schuld und weiß es nicht einmal?“ Mit diesen Worten sah mich der Major nachdenklich an [Hätte ihn jemand für so tiefsinnig gehalten? Ich nicht…], während ich plötzlich verstand. Es war so klar! Und ich hatte nie daran gedacht… „Was soll das heißen?“ „Das heißt“, murmelte ich müde, „dass sie, als sie meine Gene angepasst haben, auch gleich einen Sender und so eingebaut haben… wie bei euch. Also, alles, was ich sagte, kommt von hier“, ich tippte mir an die Schläfe, „direkt nach Ischariot. Aber ich habe keine Ahnung, wer darauf zugreifen könnte… wenn ich das doch nur gewusst hätte…“ Ich biss mir auf die Unterlippe. „ICH HAB ES DOCH GESAGT!“ Ayvane sprang auf. „Von wegen, sie wusste es nicht! Es war ihr ganz genau klar, sie wollte uns nur ausspionieren!“ „Dann wäre es aber ziemlich dämlich von ihnen, uns das jetzt schon zu zeigen“, widerprach der Neko ruhig. „Sie werden eher verhindern wollen, dass sie zu viel verrät – was für ihre Unschuld spricht.“ „Können wir nicht später über Schuld und Unschuld reden und erstmal Mom suchen?!“ Hels Verzweiflung rann ihr in Bluttränen das Gesicht hinunter. Der Schmerz des Kindes versetzte mir den größten Stich ins Herz. Der Doc schüttelte den Kopf. „Ich kann sie nicht orten…“ „SIE IST NICHT TOT! DEINE TECHNIK IST NUR KAPUTT, WENN MAN SIE MAL BRAUCHT!“ „Scht, Darling. Er kann doch auch nichts dafür, er will sie doch auch finden.“ Es war das erste Mal, dass Anderson das Wort ergriff, matt, kraftlos, und dennoch flüchtete sich seine Tochter vertrauensvoll an seine Brust, gab nur noch ein halbersticktes Schluchzen von sich. Ich fühlte mich mehr denn je wie eine Verräterin. Ohne mich wäre diese Familie nie auseinander gerissen worden… Das ließ einen Entschluss reifen. „Beratet ihr euch.“ Ich stand auf. „Ich gehe sie suchen…wenigstens das.“ „Damit du beenden kannst, was vielleicht noch nicht geglückt ist? Nein, da komme ich mit, als Aufpasser.“ Ich warf einen kurzen Blick zu der Werwölfin. „Tu, was du nicht lassen kannst.“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und verließ das Zimmer, Ayvane hinter mir und Helenas Weinen noch lange in den Ohren. Kapitel 28: 24. Schwarze Ewigkeit --------------------------------- Schaut mal, was ich nach Ewigkeiten gefunden habe… „Sag mal, Ayvane“, begann ich beiläufig, „was genau willst du eigentlich?“ Eisiges Schweigen herrschte hinter mir, während wir über die zahlreichen Leichen stiegen. Natürlich war das nicht ALLES mein Werk, ich wusste auch gar nicht, wen ich alles getötet hatte – zum Glück. Jedes Mal, wenn ich einen Blick auf sie warf, sah ich ein bekanntes Gesicht… „Dass du wieder verschwindest. Und zwar endgültig“, bekam ich dann eine späte Antwort. „Warum?“ Ich drehte mich zu ihr um und sah die Überraschung in ihrem Blick. Ohne das Blut und nicht so hassverzerrt sah sie eigentlich gar nicht so übel aus, und vor allem sah man ihr die Jugend deutlich an. „Darf ich nichts dagegen haben, dass meine Leute sich mit dem Feind verbünden?“ „Das ist nicht alles.“ Die Werwölfin biss sich auf die Unterlippe. „Komm mir nicht auf die Art, Schätzchen. Ich werde mich niemandem anvertrauen, und erst recht nicht dir.“ War Schätzchen jetzt ein Fortschritt oder eher das Gegenteil? Immerhin, ich konnte es wohl einen Fortschritt nennen, dass sie noch gar nicht versucht hatte, mich umzubringen. „Hier lebt niemand mehr“, murmelte sie. „Du hast alle umgebracht – und sie auch! Bist du jetzt stolz auf dich?!“ Ach ja, die Tonart war mir schon wesentlich vertrauter, die sang sie gerne. „Sollte tatsächlich ich schuld sein – und Hölle, das bin ich wahrscheinlich – dann bin ich ganz bestimmt NICHT stolz auf mich! Hör endlich auf damit und kapier doch, dass ich euch nicht schaden will!!“ „Dann bist du eine Verräterin.“ „Ist es Verrat, dass ich mich nicht opfern lassen wollte, Ayvane?“, fragte ich sanft, dennoch begann ich zu resignieren. „Woher soll ich das wissen? Ist ja auch egal. Bald ist alles vorbei. Für dich, für mich.“ Das machte mich neugierig. „Was meinst du?“ Sie zuckte mit den Schultern und sah trotzig zur Seite. Ich schluckte, ehe ich das folgende hervorbrachte. „Bitte! Ich kann dir nicht beweisen, dass ich helfen will, wenn du mir keine Gelegenheit dazu gibst, oder?“ Schweigen. Dann seufzte Ayvane leise. „Ich sehe Dinge. Dinge, die geschehen sind. Dinge, die jetzt passieren. Dinge, die wahrscheinlich passieren werden.“ Die Rothaarige warf den Kopf zurück, sodass ihre Haare über ihre Schulter flogen. „Ich habe gesehen, dass Raphael dich herbringt. Und ich habe Tode gesehen. Deinen. Meinen. Die der anderen. Außer Hel. Wenn die Zukunft so kommen wird, wie ich sie sehe, wird Helena die einzige von uns bleiben, die überlebt.“ Zum ersten Mal erschien sie nicht mehr nur sinnlos verbittert. Zum ersten Mal konnte ich den Menschen hinter dem Werwolf sehen. Es fing an zu regnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)