Perfektion von abgemeldet (Reno/Tseng OneShot) ================================================================================ Perfektion Einen Freitag Abend stellte Reno sich anders vor. Ganz anders. An einem Freitag Abend hatte man in einer Bar zu sein, eine Flasche Wodka vor sich und irgendein Mädchen auf den Schoss. Das gehörte sich für einen richtigen Freitag Abend. Es gehörte sich jedoch nicht hinter einer Stahlkiste zu hocken, den Todesflug der Motten in eine heiße Neonröhre zu beobachten und sich Gedanken darüber zu machen, was man eigentlich jetzt lieber tun würde. Doch Job war Job war Job. Verdot ließ ihnen da keine Wahl. Und nach der Verspätung an diesem Morgen - nachdem er einen Donnerstag mit einem Freitag Abend verwechselt hatte - war es auch kein Wunder, dass er sich nun in genau dieser Situation befand ... zwischen Stahlbox und Wand eingeklemmt. Die Neonröhre flackerte, summte. Jener Laut, der begann an den Nerven zu zerren, lauschte man zu lange. Das Fatale war, es gab kaum ein anderes Geräusch, welches sich langsam in die Gehörwindungen fressen könnte. Und das obwohl er ein Headcom trug. Kein schnaubender Atem von Rude, kein Zähneknirschen von Cissnei. Geräusche, an die er gewöhnt war, waren sie zusammen unterwegs einen Job erledigen. Doch heute Abend herrschte auf dem Funkkanal Stille. Beängstigende Stille. Ganz so, als ob der Partner dieser Nacht beschlossen hatte, eine so unnötige Körperfunktion wie das Atmen einzustellen. Es würde Reno nicht einmal wundern, wenn genau das passiert wäre. Mr Überperfekt hatte den niedrigsten Ruhepuls der gesamten Abteilung. Ein Detail, das Verdot immer wieder gerne vor den anderen Turks erwähnte, dann wenn sein kleiner Liebling nicht im Raum war. Mr Überperfekt hielt es am längsten im eiskalten Wasser des Department-eigenen Schwimmbeckens aus. Mr Überperfekt konnte halt dieses, konnte halt jenes ... Und sah dabei auch noch so überperfekt aus. Reno musste ihn auch in diesem Moment gar nicht in der Sichtlinie haben; er war sich sicher, dass der Anzug überperfekt saß. Jede Falte so sauber abgezirkelt, das man danach eine Karte zeichnen konnte. Der verdammte Anzug saß immer makellos. Vermutlich mit angelegtem Lineal gebügelt. Zutrauen würde er es dem Wutai Boy. Dazu das weiße Hemd. Strahlendweiß. Nie ein Kaffeefleck auf dem Leinen, nie sichtbare Blutspritzer. Und es gab Blut, da wo Verdot seinen Liebling hinschickte. Es gab immer Blut. Mr Überperfekt-Stock-in-seinem-Arsch wurde nicht los geschickt, um nur einzuschüchtern. Ihm, dem Subplate-Dreck, war es klar gewesen, als es hieß, dass er diesen Job heute Nacht nicht mit seinen üblichen Partnern erledigen würde. Ihm war klar, dass es für einige der Beteiligten keine Chance geben würde, irgendein Rückfahrtticket irgendwohin zu lösen. Noch immer summte die Neonröhre. Statisch, knisternd. Bildete er es sich nur ein, oder wurde es tatsächlich lauter? Vielleicht waren es auch die Nerven. Die er nicht zeigen sollte. Er war ein Turk. Er wusste doch, wie es lief. Wie es zu laufen hatte. Er war Subplate-Dreck. Er brach Knochen, er hinterließ hässliche Wunden. Er tötete, wenn es nötig war. Deshalb trugen sie die Anzüge. Nicht die Uniformen der SOLDIER. Moral war ein Wort, das sie im Lexikon nachschlagen mussten. Der einzige Ehrenkodex an den sie sich hielten, war der den sie selbst definierten. Und als Turks hatten sie gelernt, das Definition einer Sache immer im Auge des Betrachters lag – solange er einen Anzug trug. Das war die Theorie. Die Praxis: Er saß hier, mitten in einer verregneten Freitag Nacht, hinter einer Stahlbox und wartete. Wartete darauf dass Mr Überperfekt, der nicht sein regulärer Partner war, mit dem er gar nicht zusammen arbeiten wollte, die Initiative ergreifen würde. Und der? Der hockte tief in den Schatten einer anderen Box gehockt und wartete wie Reno. Wartete auf den richtigen Moment, in dem sie zuschlagen könnten. Schon als sie in der ShinRa-eigenen Tiefgarage in den schwarzen Sportwagen gestiegen waren, war klar gewesen, wer das Kommando haben würde. Nicht das er es an sich gerissen hätte. Nicht das er in seiner seltsamen, so perfekt jedes Wort betonenden Sprechweise gesagt hätte, er würde die Order geben. Er gab sie einfach. Und Reno befolgte sie. Er, der eine natürliche Abneigung gegen Autoritäten besaß, nickte stumm und tat, was ihm gesagt wurde. Hatte Verdot sie deshalb zusammen los geschickt? Weil er wusste, dass sein Liebling, dieser arrogante Wutai Boy nur eine Augenbraue heben musste, ruhig und emotionslos erklären konnte, was sie tun würden. Und Reno es einfach aktzeptierte? Jetzt, in diesem Drecksloch in dem sie saßen, weit weg von jedem Wodka und jeder Frau, die es sich auf seinem Schoss bequem machen könnte, fragte er sich: Warum? Es gab keine befriedigende Antwort. Angst war nie eine Antwort, die ein Turk gelten lassen könnte. Die jemand wie er, der hier unten aufgewachsen war, akzeptierte. Angst hatte man einfach nicht unter der Platte. Nicht in diesem Dreck und Abschaum. Nicht wenn jeder Tag den man überlebte dem gestreckten Mittelfinger in Richtung dieses seltsamen Dings, das sich Leben schimpfte, gleich kam. Angst hatte man nicht vor jemanden, der wesentlich zierlicher als man selbst gebaut war. Den man umpusten könnte, brachte man die Motivation auf, einmal kräftig aus zu atmen. Oh ja, Reno wusste, das unter dem so perfekt sitzenden Anzug fast nichts steckte außer helle Haut, Sehnen und ein paar Muskeln. Keine Bedrohung für ihn, der mit ganz anderen Kerlen zu tun gehabt hatte. Und ihnen zeigte, das Subplate-Dreck auch das Wort Fair im Lexikon nachschlagen müsste ... könnte der Dreck lesen. Angst hatte man nicht vor jemanden, der so redete als hätte er das Sprechen aus einem Wörterbuch gelernt, ergänzt durch einen Kurs in Rhetorik und kombiniert mit devoter Freundlichkeit, die dem ganzen Wutai Müll zu eigen schien. Aber kam man aus dem Dreck wie Reno, wusste man instinktiv, dass es doch ein paar Dinge gab, vor denen man Respekt haben sollte. Respekt vor der Bewegung, in welcher ein Feuerzeug aufgeschnippt wurde, dann eine Zigarette angezündet. Kein Muskel der sich zuviel bewegte, kein unnötiger Aufwand. Wer so für seine Nikotinration sorgte, zog auch ein Messer schnell und präzise über eine Kehle. Und man hatte auch besser Respekt vor einem kurzen, kühlen Blick in dem sich keine Emotionen spiegelten. Glaubte man an diesen kitschigen Schwachsinn, dass die Augen die Fenster zur Seele waren, könnte man Mitleid haben. Auf der Straße gab es nur keinen Platz für diese zuckersüße Annahme. Auf der Straße hieß so ein Blick nur, das man keine Gnade erwarten könnte. Und Renos Frage beantwortete sich in diesem Moment mit dieser Überlegung. Es war der Blick gewesen, der die Hackordnung entschieden hatte. Ein Blick, der sagte Steh mir nicht im Weg, oder ich entsorge dich so wie den ganzen anderen Dreck Ein leises Schnauben. Die einzige Möglichkeit für Reno gerade einen Teil der Wut heraus zu lassen, die sich begann in ihn zu fressen. Was bildete sich dieser Wutai Müll eigentlich ein? Nur weil er Verdots Arsch küsste, war er nicht besser als sie. Nicht dass es für den Turk von Bedeutung gewesen wäre. Besser – Schlechter; Schwarz – Weiß; nachts waren alle Katzen eh grau. „Treppenabsatz.“ Hatte er tatsächlich gesprochen? Reno war sich nicht sicher. Die Stimme war so leise, so beherrscht. Nicht einmal der Hauch von Aufregung war in ihr zu hören, keine Anspannung. Und der Blick des Turk richtete sich auf den Treppenabsatz. Auf den schmalen Streifen Licht, der sich am oberen Ende abzeichnete, neue Schatten zum Tanzen brachte. „Drei.“ Das nächste Wort, wieder kaum mehr als ein Flüstern. Und erst jetzt hörte Reno, das es tatsächlich drei Männer waren, die aus dem Büro heraus traten, auf dem schmalen Gang standen, sich unterhielten. Was auch immer sie verhandelt hatten, schien von Erfolg gekrönt zu sein. So klangen Männer, die zufrieden mit sich und der Welt waren. Und sich über den nun freien Freitag Abend freuten. Auf ihren Alkohol und die Nutten, die ihnen den Erfolg versüßen würden. Dachten sie ... Und ein schmales Grinsen legte sich um Renos Lippen. Wenigstens war er nicht der einzige in dieser verdammten Lagerhalle, dessen Abendplanung versaut werden würde. „Auf der Treppe. Nehme den mittleren.“ Das Training zahlte sich jetzt aus. Reno wartete einige kostbare Sekunden, bis er sein Ziel sicher erfasst hatte. Aus dieser Distanz, im Schutz der Dunkelheit war die Wahrscheinlichkeit eines Fehlschusses gering. „Rechts.“ Es war nur dieses Wort nötig. Ein kurzes Klicken, ein dumpfes Pochen. Das Geräusch einer schallgedämpften Waffe. Der Wutaibastard stand unter der Treppe, hatte durch den schmalen Spalt im Gitter geschossen. Und sein Ziel schrie nicht einmal auf. Der Wundschock griff sofort. Obwohl es kein schöner Tod sein würde, der den Mann erwartete. Der Schuss war ihm genau zwischen die Beine gegangen. Sollte er gegen alle Erwartungen doch überleben, würde auch keine Cure-Materia mehr die weitere Familienplanung retten können. Überlegungen, die Reno nur am Rande streifte. Sein Schuss traf das eigene Ziel direkt in den Schädel. Das Knirschen berstender Knochen, das hässliche Platschen als sich Hirnreste auf der Wand verteilten. Lärm in dem das zweite Pochen unterging. Der dritte Mann sackte mit einer Kugel, die ihm im Knie steckte, zusammen. „Komm schon. Es is’ Freitag. Zeit für Booze und Nutten.“ Noch einmal wiederholte Reno, was er gerade schon gesagt hatte. Und wieder war die Antwort nur ein Schulterzucken. „Zeit dafür einen Missionsbericht zu schreiben.“ Drei Tote und die Informationen wie und warum sie ShinRa an das heilige Konzernbein gepisst hatten. Genug Material für die Formbögen, die nach Jobs dieser Art ausgefüllt werden mussten. Papier, auf dem sich alles so harmlos lesen würde. Ausgeschaltete Ziele, keine Komplikationen. Zwischen den Zeilen, vielleicht erwähnt in einem Nebensatz, noch die Ergänzung das eines der Ziele erst eine Stunde später final ausgeschaltet wurde. Eine Stunde, die genutzt worden war, wichtige Details zu sammeln. Reno war sich sicher, am Ende hätte der Mann alles verraten. Selbst die Götter an die er glaubte. Nach der Stunde, die er mit dem Wutai Boy verbracht hatte. Mr Überperfekt. Selbst darin. „Du musst doch so wat wie ein Leben ham? Eines das nich so scheißen perfekt is.“ Reno konnte nicht wiederstehen, er musste nach haken. „Perfekt?“ Der erste Hinweis von Emotion in der kontrollierten Stimme, ein kurzes Flackern in dunklen Augen. Vielleicht war es auch nur der Lichtreflex der Straßenlampe unter der sie gerade herfuhren. Gebrochen durch den Regen, der gegen die Autoscheiben klatschte. Scheibenwischer quietschten, kamen gegen die Tropfen nicht wirklich an. Dann hatte der Wutai Boy sich wieder gefangen, ließ sein Feuerzeug aufschnappen, zündete zwei Zigaretten an und reichte eine davon an Reno weiter. „Lass mich an der Ecke dahinten raus. Ich laufe den Rest. Unterschreibe morgen früh den Bericht.“ Nicht eine formulierte Bitte. Reno hatte ihm nachgesehen. Der schmalen Silhouette die durch den Regen lief, schließlich von der Dunkelheit verschluckt wurde. Kopfschüttelnd festgestellt, was für ein Idiot der Wutai Boy doch war. Sich dann daran erinnert, dass es immer noch Freitag war. Immer noch Zeit für Alkohol und Frauen. Es kam seiner Definition von Perfektion sehr nahe, als er die Wärme des Mädchens fühlte, ihren Atem roch, der genauso vom Wodka geschwängert war, wie sein eigener. Später, als sie neben ihm saß, frustriert aber zu betrunken um sich über ihn aufregen zu können, gerade so betrunken, dass sie akzeptierte, dass es wegen dem Alkohol bei solider und sehr einseitiger Handarbeit geblieben war, ließ Reno sein Feuerzeug aufschnappen. Zündete sich eine Zigarette an. „Weißte, er sagt es nie, wenn er dabei is. Das er so perfekt is.“ „Wer?“ Das Mädchen, dessen Namen er nicht einmal kannte, sah Reno verständnislos an. „Verdot. Verdot sagt ihm nie in seine abgefuckte Wutai-Fresse dass er perfekt ist.“ Und auch Reno würde es ihm nie sagen. Würde nie eingestehen, dass es nicht am Alkohol lag, dass ein namensloses Mädchen jetzt aufstand, ihre Sachen zusammen suchte und leise „Schlappschwanz.“ zischte, ehe sie so aus seinem Leben stolperte wie sie auch für ein paar Stunden hereingefallen war. Er fiel nur auf seine Matratze zurück, starrte in die Dunkelheit. Perfektion konnte so viele Gesichter haben. Warum gehörte eines davon Tseng? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)