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Anime Evolution: Krieg

Fünfte Staffel
von

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Wurmlochphysik

Prolog:

In den letzten Momenten ihres Lebens blieb Sakura Ino nicht viel zu tun. Sie sah auf den Fernortern die Trümmerwolke des zerstörten Götterschiffs in ihren Wurmlochtunnel eindringen, sah die ADAMAS, die sich zum Schutz quer gelegt hatte, vernahm die Meldung, dass sich die mächtigen Schutzschilde des Kommandoschiffs aufgespannt hatten... Das waren Schirme, die Strafern der Götter widerstehen konnten. Aber all das würde nichts nützen, wenn die hyperbeschleunigten Trümmer, die nur teilweise von den Schirmen abgefangen werden konnten, die Distanz zum anderen Ende des Wurmlochs überbrückten und mit der schwer zu definierenden Grenze interagierten. Oder wie es ihr kleiner Bruder Makoto auf den Punkt gebracht hatte: Sie hatten keine Ahnung, wie sich das Wurmloch verhalten würde und welche Energien frei würden, wenn die Raumzeitsenke derart misshandelt wurde.

Ihr persönlicher Favorit war ja, dass das Wurmloch zusammenbrach, und sie alle zu allerkleinsten Teilchen zerquetscht wurden. Glücklicherweise binnen weniger Sekunden.

Ein Schauder erfüllte sie. Sie waren so weit gekommen, hatten so viel erlebt, und nun hatten die Götter sie doch noch erwischt. Und das verdammt gut. Ihr einziger Trost war, dass es eventuell Akira mit der ADAMAS gelingen konnte zu überleben. Vielleicht kollabierte das Wurmloch des Strafers nicht, und die ADAMAS geriet irgendwie hinein. Wenn der Preis für sein Leben ihres war, wenn der Preis die AURORA, die ganze Flotte, die hunderttausend Menschen war, sie würde ihn bezahlen. Nur damit ihr Licht der Hoffnung nicht erlosch. Es überraschte sie nicht, dass sie so dachte, dass sie ihrem kleinen Cousin so ergeben war. Es überraschte sie nur, wie ruhig und gelassen diese Gedanken sie machten. Und es überraschte sie, dass die Besatzung der Zentrale der AURORA vollkommen ruhig blieb, obwohl sie alle ihre definitive Vernichtung vor Augen hatten.
 

Sakura spürte eine Hand auf ihrer Schulter. Sie sah auf und erkannte Tetsu Genda, den ehemaligen Straßenrocker, der sich in Zeiten größter Not als Kommandant der LOS ANGELES für den zweiten Marsangriff qualifiziert hatte, der später die AURORA übernommen hatte, und nun das größte Fernraumschiff aller Zeiten kommandierte. Der Mann, mit dem sie eine Liaison verband, die über Jahre gewachsen war und sie seltsam erfüllte. Seine Ergebenheit für Akira war nicht geringer als ihre, und deshalb hatte auch ihre gemeinsame Liebe wachsen können. Niemals hätte sie gedacht, ausgerechnet einmal einen ehemaligen Schläger abzukriegen, aber er hatte bewiesen, was er wert war. Ihr, der UEMF, der Menschheit, Akira. Er gehörte schon lange zur Familie.

"Keine Sorge", raunte er ihr ins Ohr. "Es ist Akira."

Sie legte ihre Linke auf seine Hand und strich sanft darüber. Er hatte Recht. Wenn nicht Akira, wer sollte dann überleben?

***

Es hatte keinen zweiten Alarm gegeben. Es hatte auch keine Evakuierung gegeben. Chausiku Aris, so nannte sie sich selbst, wusste selbst, dass sie im Innenraum der AURORA bereits so sicher waren wie es irgendwie möglich war. Es machte keinen Sinn, jetzt noch einen Bunker aufzusuchen. Etwas, das die Schale der AURORA knacken konnte, würde sie sowieso alle vernichten.

Stattdessen verfolgte sie mit den anderen Schülern auf der großen Tafel-Videowand das Geschehen direkt am eingedrungenen Wurmloch. Es gab keine Panik, es gab keine Angst, nur dieses Interessen an den computeraufbereiteten Echtzeitbildern. Es verwunderte Aris, dass die jungen Menschen, dass die Lehrer keine Angst verspürten. Ihnen musste klar sein, dass es zu unmöglichen gravitatorischen Effekten kommen würde, sobald die zerstörte und zermahlene Masse des Strafers mit dem Wurmloch interferierte - und es eben so einfach mal zerriss. Das war bedauerlich, denn sie hatte sich erst vor kurzer Zeit einen KI-Körper zugelegt, hatte ihre eigentliche Zuständigkeit, das Paradies der Daima und Daina verlassen, um das Leben als Körperliche kennenzulernen. Dafür hatte sie sogar Akiras Naguad-Namen angenommen. Er hatte ihr einfach gefallen. Und es hatte ihr gefallen, welche prominenten Menschen den Namen zuvor getragen hatten und noch immer trugen. Sie mochte den Namen, und sie wollte sich ihm würdig erweisen. Daraus würde nun nichts mehr werden. Niemals wieder. Ihre Existenz würde in wenigen Minuten schnell und heftig erlöschen. Damit würde auch das Paradies der Daima und Daina erlöschen, und ihre Flucht würde ein abruptes Ende haben. Sie hatte dann versagt. Aber es würde niemand mehr existieren, der es ihr vorwerfen konnte. Nicht, dass das ein Trost war.
 

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Sie sah auf, und erkannte Kurosawa-sensei. Die große blonde Frau machte hier an der Schule ihre praktische Ausbildung, die zum Kurs für Lehramt gehörte. Außerdem war sie eine der Slayer, jener berühmten Frauengruppe, die damals geholfen hatte, den Mars zu erobern. Jener berühmten Frauengruppe, die das sogenannte Otome-Bataillon gegründet hatte, in dem KI-begabte Frauen für die Sicherheit der AURORA kämpften, und Akira Otomo unterstützten.

Die Frau hatte ein hübsches Gesicht, wenngleich Aris sich nicht an den bleichen Hautton gewöhnen mochte. Manche nannten das vornehm oder edel. Für sie war es ein genetisch bedingter Melanin-Mangel. Kurosawa-sensei kommentierte es meistens so, dass sie eher selten Zeit hatte, sich in die Sonne zu legen. Kurzum, Aris mochte diese Frau sehr, gerade weil es etwas an ihr gab, was sie nicht mochte. Und sie vertraute der Veteranin.

"Keine Sorge", sagte sie leise, ernst und voller Stolz, "es ist Akira."

Das verblüffte sie für einen Moment. Was wollte Kurosawa ihr damit sagen? Dass es Akira Otomo, dem Reyan Maxus, gelingen würde, die Gesetze der Physik auszuhebeln und sie alle zu retten? Zugegeben, wenn einer das Wunder vollbringen konnte, dann sicherlich nur er allein. Nur er, niemand sonst.

Das zauberte ein Lächeln auf ihre Züge. "Natürlich. Es ist Akira." Ein Raunen ging durch die ganze Klasse. Es bestand aus Zustimmung.

***

"Siehst du das, Micchan?" "Natürlich, Akarin. Wird er es schaffen?"

"Wir reden hier von meinem großen Bruder. Natürlich wird er es schaffen." Akari klopfte selbstbewusst auf seine Schulter. "Er ist schließlich Blue Lightning, der Retter der Menschheit. Wenn nicht er, wer sollte es sonst schaffen?"

"Natürlich." Michi Tora lächelte sie an und zog sie sanft zu sich heran. "Wie dumm von mir, auch nur einen Moment zu zweifeln."

"Siehst du. Aber wenn du Angst hast, kann ich dich gerne ein wenig halten", bot sie an.

"Oh, ich habe Angst, unglaubliche Angst. Riesige Angst", versicherte Michi.

Sie seufzte. "Na, da kann man wohl nichts machen." Zärtlich schloss sie ihren Freund in die Arme. Gedanken wie diese, dass sie ein Mensch gewordener, vierhundert Jahre alter Oni war, gingen ihr nicht durch den Kopf. Im Moment war sie nur eine Jugendliche, die ihren Freund in den Armen hielt, und die von unerschütterlichem Vertrauen zu ihrem großen Bruder erfüllt war.

Sanft fanden sich ihre Lippen zu einem Kuss.

"Hey, Ihr zwei", klang die sarkastische Stimme von Yoshi Futabe zu ihnen herüber.

Sie sahen ihn über das halbe Wohnzimmer hinweg an, in das sich die meisten Mitglieder der Familie gezwängt hatten, unter ihnen ein Dutzend der beseelten Tiergeister Yoshis, alle eifrig auf den Fernseher mit den Livebildern starrend. "Wenn es noch schlimmer mit euch wird, geht auf ihr Zimmer, ja?"

Die beiden erröteten und unterbrachen den Kuss, aber sie machten keinerlei Anstalten, voneinander zu lassen.

"Sei nicht so neidisch", neckte Yohko ihn und räkelte sich in seinen Armen ein wenig. "Vergiss nicht, was du selbst in Armen hast."

"Wie könnte ich das je vergessen", erwiderte er. Es hatte spöttisch klingen sollen, aber es wurde nachdenklich. Für einen Moment fragte er sich, ob es einen Unterschied machte, wenn er jetzt in seinem Eagle sitzen würde, anstatt die Frau seines Lebens in Armen zu halten. Nein, nicht an diesem Punkt. Und wenn er seinen Blick über die anderen schweifen ließ, dann musste er einsehen, dass es jetzt nichts Besseres mehr gab, was man tun konnte. Auf Akira vertrauen. Wie immer.

"Dass du aber auch immer die Lasten aufgebürdet bekommst", hauchte er ärgerlich. Gerne hätte er dem Freund mehr davon abgenommen. Aber er konnte nichts übernehmen, was mit Akiras Reyan Maxus-Fähigkeiten zu tun hatte. Allerdings hatte er Yohko dazu gebracht, die längerfristige Retrviren-Therapie über sich ergeben zu lassen, welche die Elwenfelt-Gene wieder in ihr Genom bringen würde. Langsamer zwar, und über viele Injektionen verteilt, aber er freute sich schon darauf, wieder ihr weißblondes Haar riechen zu dürfen. Und er war sich sicherer denn je, dass er es würde tun können. Nein, er zweifelte nicht an Akira.
 

1.

Als die ersten ultrabeschleunigten Trümmerteile in die Schilde der ADAMAS schlugen, stieg die Schirmbelastung nicht besonders. Zwar waren das noch lange nicht alle Trümmer, die in unseren Schirm schlagen würden, aber zumindest diesen Part würde das Schiff überleben. Schade nur, dass der größte Teil der Trümmer das Schiff passieren würde, nur um am anderen Ende des Wurmlochs unbekannte Schäden anzurichten. Einerseits war es ja spannend. Man konnte nicht wirklich vom Punkt A des Durchmessers eines Wurmlochs zu Punkt B direkt gegenüber fliegen. Auch war es mir absolut neu, dass zwei Wurmlöcher interagieren konnten. Es würde interessant sein dabei zu sein, wenn die Milliarden Tonnen Masse mit der Struktur des Wurmlochs interagierten. Oder neudeutsch: Reinkrachten.

Es würde aber zugleich auch einen unbekannten Effekt bedeuten, den ich nicht absehen konnte. Auch Arhtur, das Schiffsgehirn, ließ sich nicht zu Spekulationen hinreißen. So etwas hatte es noch nie gegeben, und mir war nur ein ähnlicher Fall bekannt. Damals in Andea Twin, als wir vor der Plasmaschockwelle geflohen waren, nur um anschließend auf ihr zum Ende des Wurmlochs zu reiten... Wir waren wider Erwarten im Kanto-System heraus gekommen, obwohl wir es gar nicht anvisiert hatten. Darüber hatte ich mir immer wenige Gedanken gemacht. Damals glaubte ich, meine Megumi wäre getötet worden, und Physik hatte mich nicht wirklich mehr interessiert als das Schicksal meiner Verlobten. Außerdem hatte ich danach genug damit zu tun gehabt, zu kämpfen und mich nach Naguad Prime entführen zu lassen - und sie bei der Gelegenheit mehrfach mit Joan Reilley zu betrügen... War halt alles kompliziert gewesen, richtig kompliziert, und wen interessierte schon Wurmlochphysik, wenn dir die Leute ein Sternenreich aufdrängen wollten, und du dich selbst von deinem Körper getrennt in weiteste Sternenfernen entführt sahst?

Es gab da ein geflügeltes Wort auf der AURORA, das angeblich von Sakura stammte: Suchst du nach Akira Otomo, folge den Explosionen.

Ironischerweise hatten sie mich gefunden, indem sie den Spuren der von den Lencis geführten Rebellion zum Militär des Cores gefolgt waren, das ich zu diesem Zeitpunkt anführte und in den Krieg um das Kaiserreich der Iovar geführt hatte. Also war das mit dem "den Explosionen folgen" nicht so verkehrt gewesen. Und auch später waren die Dinge nicht leichter geworden. Immerhin hatte ich mich fortan um Laysan kümmern müssen, den kleinen Burschen, dessen Körper mir als Gefäß gedient hatte, und an den ich mich mittlerweile so gewöhnt hatte.

Mist, ich hätte mir doch etwas Zeit für die Physik nehmen müssen. Aber wer hätte auch jemals gedacht, dass das notwendig werden würde?

Was blieb also, wenn das Wurmloch durch die rabiate Behandlung kollabierte? Was konnte ich tun? Aufgeben und die AURORA der Zerstörung preis geben kam nicht in Frage. Nur hatte ich keine Idee, wie ich das bitte verhindern sollte.

"Mother? Irgendeine Idee?" Mother, das war der Avatar des Supercomputers der Kronosier, den sie damals auf der Erde errichtet hatten, und in dem ich selbst lange Zeit gefangen gewesen war. Über die Supralicht-Funkverbindung zur Erde hatte Mother Kontakt zu mir aufgenommen und ihr Hologramm in die ADAMAS projiziert. Nun, sie würde sicher sein, wenn hier alles zusammenbrach und uns zu subatomaren Bröckchen reduzierte.

Das Hologramm der großen, schwarzhaarigen Frau wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. "Ich befrage gerade neunzig Prozent der Rechnerkapazität der Erde. Dazu habe ich Teile des Internets übernommen, und auch das UEMF-Intranet. Ich berechne Dutzende Modelle, aber viele sind zu unwahrscheinlich. Fakt ist jedoch, dass du so oder so nicht unbeschadet aus der Sache heraus gehen kannst, Akira."

"Aber du siehst eine Chance, die AURORA zu retten?", fragte ich mit neu entfachter Hoffnung.

"Ich sehe eine Chance, wie du die AURORA retten kannst, ja."

"Dafür bin ich gerne bereit, alles auf mich zu nehmen", sagte ich mit gepresster Stimme. Selbst mein Tod erschien mir nicht zu teuer.

"Die ersten Trümmer interferieren mit der Wurmlochphysik. Ich zeichne alle Messdaten auf und sende sie zugleich zur Erde. Dort wird man eine Menge zu erforschen haben, und in der Zukunft vielleicht sogar eine Abwehr gegen diese Kamikaze-Angriffe haben", meldete sich Arhtur zu Wort. "Wenn auch schon nichts anderes bleibt."

"Ein schwacher Trost", kommentierte ich. "Also, was muss ich tun?"

"Die ADAMAS ist ein Kommandoschiff. Sie wurde gebaut, um einem Reyan Maxus zu dienen. Also, benutze sie, Reyan Maxus Aris Arogad."

"Wie?" Diese einfache Frage stand im Raum, und ich fürchtete, dass ich nicht die Zeit hatte, eine Rätselantwort aufzulösen. Hoffentlich war Mother in ihrer Antwort klar und deutlich. Ich konnte nicht raten, mich nicht als mystischer Großmeister aufspielen. Ich brauchte eine klare Ansage.

Statt ihrer antwortete Arhtur. "Sir, ich öffne den Slot. Bitte betreten Sie ihn. Es wird allerhöchste Zeit. Teile des bereits passierten Wurmlochs zeigen Auflösungserscheinungen."

"Der Slot?"

Vor mir, fünf Meter entfernt, schoss eine Röhre aus dem Boden. Ich kannte diese Dinger, und das nur zu gut. Ich hatte ein halbes Jahr in so einem Biotank gesteckt und war gezwungen gewesen, in Mothers Welt einen Traum zu leben.

Einladend öffnete sich die Klappe und zeigte an, dass ich eingelassen werden sollte.

Der Tank stand schräg, sodass ich halb stehen und halb liegen konnte. Die Liege machte klar, dass der Tank nicht mit Nährflüssigkeit gefüllt werden würde. Also hatte er noch eine andere Bedeutung.

Ohne zu zögern trat ich auf den Slot zu und stieg hinein. "Wo sind die Anschlüsse, Arhtur?"

"Sie brauchen keine Anschlüsse, Sir. Der Slot übernimmt den Rest. Ich schalte um auf Kommandofunktion eines Reyan Maxus."

"Du schaltest...", begann ich. Aber ich kam nicht dazu, auszusprechen. Übergangslos fühlte ich mich, als würde mir etwas die Luft... Nicht aus den Lungen pressen, sondern saugen. Und das Gleiche geschah mit meinem Blut, mit meinem Mageninhalt, ja selbst mit meinen Gedärmen.

"W... was...", fragte ich, plötzlich kraftlos werdend.

"Ich absorbiere Ihr KI, Sir. Erst dadurch wird das Schiff zu Ihrem zweiten Körper. Und erst mit Ihrem überwältigenden KI als Maxus haben die Maschinen der ADAMAS die Kraft, die AURORA und die Begleitflotte zu retten. Was Sie dafür tun müssen ist KI zu produzieren, Meister Arogad."

Ich dachte einen Moment nach. Anscheinend hatten Mother und Arhtur miteinander kommuniziert, und einer der Pläne, die Mother berechnet hatte, hatte eine hohe Aussicht auf Erfolg bekommen. Damit dieser ausgeführt werden konnte, brauchten sie das überwältigende KI eines Reyan Maxus, eines dieser gefährlichen Wesen, die die molekulare Bindung jedwelcher Materie aufheben konnten.

Nun gut, sie wollten KI, sie würden KI bekommen. Entschlossen schnaufte ich, und begann weiteres KI zu schmieden. Viel KI. Sehr viel KI. Sehr, sehr, sehr viel KI.

Ich wusste nicht, wann ich begonnen hatte zu schreien. Aber ich wusste, dass wenn ich schreien konnte, die ADAMAS noch immer existierte. Und damit auch die AURORA und die Begleitflotte.

Doch das war noch nicht das Ende der Aktion. Ich fühlte es, in dem Moment, als ich entrückt wurde. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit der Methode, mit der ich mein Über-Ich von meinem Körper trennen konnte. Es war eine interessante Erfahrung.
 

Übergangslos fand ich mich auf der Außenhülle der ADAMAS wieder. Nein, das war falsch. Ich betrachtete die Außenhülle der ADAMAS, aber mein Körper, und ausnahmsweise auch mein Geist, befanden sich noch in der Zentrale des Schiffs. Mein Körper befand sich im Slot, eine Art Interface nur für unbesiegbare Superkrieger. Und dieser Slot entzog meinem Körper nicht nur das mächtige KI eines Reyan Maxus, er fütterte mich auch mit den Informationen, die diese Welt ergaben.

Ich verstand. In diesem Moment glitt mein Blick nicht über das Schiff, sondern über meinen Leib. Meine Sicht war frei und ungehindert. Ich konnte die kleinen Explosionen sehen, mit denen die hyperbeschleunigten Trümmer, von denen ich annahm, dass sie von einem Strafer stammten, in die mächtigen Schirme der ADAMAS einschlugen und verpufften. Es war lediglich die erste Welle, die Speerspitze. Meine Position direkt über dem intervenierenden fremden Wurmloch erlaubte mir exakte Ortungen, die mir berichteten, dass noch achtundneunzig Prozent der eindringenden Masse darauf wartete, von mir gestoppt zu werden. Diese Daten waren mir einfach zugänglich, so wie ich das Schiff wie meinen eigenen Leib zu verstehen begann.

Nun war Außerkörperlichkeit keine neue Erfahrung für mich. Aber es war schon etwas umständlich, statt Armen und Beinen nun Antrieb und Waffensysteme zu besitzen und als solche zu verstehen.

Eine Einflüsterung gab mir zu verstehen, dass die Zeit für mich entschleunigt wurde, sie verlangsamte sich auf den Faktor eintausend. Das würde mir bei der Abwehr jener Trümmer, die nicht von den Schirmen der ADAMAS abgefangen werden würden, sehr hilfreich sein. Und wenn man die schiere wirkliche und unwirkliche Größe des Schlundes des interferierenden Wurmlochs betrachtete, wurde klar, dass mein Schiff nicht das ganze Gebiet abdecken konnte. Mir blieb aber die Option, die Trümmer weiter zu zerstören. Das würde hoffentlich das zerstörerische Potential negieren. Die AURORA war ohnehin auf der sicheren Seite. Das Gigantschiff und seine Begleitflotte hielten sich eng beieinander, so wie Schafe eines Rudels, das dem Schutz des Hundes vertraute. Meine Schirmfelder waren hoch genug gespannt, um die Schiffe zu beschützen. Und da ich mit der AURORA weiter wanderte, würde der Gigant nicht in die Gefahr geraten, meine schützende Sphäre verlassen zu müssen. Das beschützte ihn aber nicht vor einer Kollabierung des ganzen verdammten Wurmlochs.
 

"Du bist Akira, nicht?", klang eine Stimme neben mir auf, und übergangslos stand ich doch auf der Außenhülle.

Die Daten flossen weiterhin, nicht in meinem Sichtfeld, sondern direkt in meinen Verstand. Und dennoch... Dennoch stand ich auf der Außenhülle, eingehüllt in die Hausuniform der Arogads.

Ach ja, und ich war nicht alleine. Es war nicht nur einer, es waren mehrere. Vielleicht ein Dutzend, mehr oder weniger durchscheinend. Einige existierten nur als Schemen, andere waren deutlich zu erkennen, zu unterscheiden.

"Ja, ich bin Akira", antwortete ich und versuchte den Sprecher zu finden.

Einer der deutlicheren Schemen nickte mir zu. "Wir haben dich erwartet. Ich bin Kydranis, der Sprecher."

"Kydranis, der Sprecher von was?", fragte ich.

"Der Sprecher der Schatten der Reyan Maxus, die vor dir dieses Schiff geführt haben, und die das Schiff mit ihrer Persönlichkeit geprägt haben. Was du hier vor dir siehst, sind Datenkonglomerate aller zwölf Maxus, die zuvor die ADAMAS geflogen haben."

"Äh, Ihr seid jetzt aber keine Persönlichkeitssplitter, KI-Abdrücke oder vergeistigte Versionen eurer Selbst?"

Kydranis lachte leise. "Nenn uns doch einfach Spiegelbilder. Nur das wir nicht reflektiert dargestellt werden, sondern eins zu eins, so wie Arhtur uns erlebt hat. Du könntest auch Künstliche Intelligenzen zu uns sagen, denn jeder von uns ist erfüllt mit dem Wissen, das wir, also unsere Vorbilder, demonstriert und gezeigt haben."

In der Ferne waberte ein dreizehnter Schatten. "Dann ist das da wohl mein Spiegelbild, oder?"

"Richtig. Aber es wird erst initiiert werden, wenn du stirbst, oder die ADAMAS aufgibst. In dem Fall kannst du natürlich jederzeit zurück kehren, falls du es schaffst. Aber ab diesem Zeitpunkt besitzt du hier eine Kopie deiner selbst. Auf virtueller Ebene, so wie wir alle."

"Aha. Und was ist eure Aufgabe als Spiegelbilder der alten Maxus?"

"Wir helfen aus", sagte Kydranis. "Hier auf dieser Ebene, die nur einem Maxus zugänglich ist. Wir stehen mit unserer Erfahrung an deiner Seite. Und glaube mir, das sind zehntausend Jahre, in denen dieses Schiff mehr erlebt hat, als ein Speicherchip fassen kann. Um den Zugriff auf diese Daten zu erleichtern, wurden wir katalogisiert. Jedes Spiegelbild hat eigene Erfahrungen gemacht, und über das Avatar-System, das du vor dir siehst, bringen wir diese Erfahrungen dem Maxus vor."

"Oh, das ist gut. Habt Ihr vielleicht einen guten Rat in genau diesem Fall? Ihr wisst schon, kurz vor der Vernichtung, zehntausende Menschen in Gefahr, ausgelöst durch ein kollabierendes Wurmloch. Das Übliche, was einem Reyan Maxus so passiert."

"Vielleicht nicht ganz das Übliche", schränkte Kydranis ein. "Hätten wir kollabierende Wurmlöcher erlebt, wären wir vernichtet worden. Dann könnten wir nicht hier stehen und darüber schwadronieren."

Eine der schemenhaften Gestalten meldete sich kurz zu Wort. "Mein Name ist Manegar Trivates Lomco. Ich übergehe Kydranis nur ungern, aber es wäre eventuell sinnvoll, diesen Brocken zu vernichten, bevor er auf die Schirmfelder der ADAMAS trifft."

Ich sah nach oben und erkannte den Brocken sofort. Dabei machte ich mir klar, dass das Trümmerstück sich eigentlich in mehreren zehntausend Kilometern Entfernung befand und einen Durchmesser von rund siebzig Metern hatte - genau gesagt war es einhundertzehntausend Kilometer entfernt, maß am längsten Punkt neunundsechzig Meter, war bohnenförmig und raste mit fünfzehntausend Kilometern pro Sekunde auf uns zu. "Sicherlich." Mein Zeitablauf war reduziert, damit ich genau dies tun konnte. Gefahren einschätzen. Potentiale sichten. Reagieren. "Kannst du das vielleicht übernehmen, Manegar?"

Der Schemen sah mich ernst an. "Im eigentlichen Sinne sind wir alle nur Verlängerungen von Arhtur. Natürlich kannst du den Abwehrkampf der Trümmer mir, einem der anderen oder direkt Arhtur überlassen und dich entweder auf dieses Gespräch konzentrieren, oder darauf KI zu produzieren. Aber ich rate dir, es selbst zu tun. Je eher du Routine dafür entwickelst, die ADAMAS auf dieser Ebene zu steuern, desto besser für dich, für uns, für das Schiff und für die AURORA."

Bums, der Tadel hatte gesessen. "Okay, hab kapiert." Ich erfühlte eines der Breitseitenwaffensysteme, einen schweren Laser, der bereits auf das Wurmloch geschwenkt war. Ein Befehl meinerseits nahm das Trümmerstück ins Visier. Anschließend schaltete ich mehrere Partikelgeschütze auf, die um einiges stärker als der Laser waren.

"Beeindruckend. Du zersprengst das Trümmerstück mit Hilfe des Lasers, und die Partikelgeschütze ionisieren anschließend die Trümmer. Anders herum hättest du ein Riesenloch mit dem Partikelgeschütz hinein geschlagen und mit zwei oder drei größeren Trümmern zu kämpfen gehabt. Intuition?", fragte Kydranis.

"Ich habe seit Manegars Hinweis ein paar Simulationen gefahren und das für und wider abgewogen. Bei dieser Variante bleiben die geringsten Trümmerstücke zurück", erwiderte ich. Auf meinen mentalen Befehl hin eröffnete der Laser das Feuer. Das Trümmerstück wurde getroffen, aufgeheizt und zersprengt. Kurz korrigierte ich die Schussrichtung der Partikelgeschütze, als sich die Verteilung der restlichen Trümmer nicht ganz so aufteilte, wie meine Simulationen das ermittelt hatten, dann ließ ich auch sie feuern. All das dauerte nur eine einzige Sekunde auf dieser Ebene. In der realen Welt verging gerade mal eine Millisekunde.

"Jetzt dürften wir etwas Zeit haben", sagte ich, mich wieder an Kydranis wendend. "Okay, keiner von euch hat so eine Situation je erlebt, was ja auch logisch klingt. Aber könnt Ihr mir einen Rat geben?"

"Du missverstehst uns. Ich habe nicht gesagt, dass keiner von uns diese Situation je erlebt hat. Ich habe gesagt, dass wir kein kollabierendes Wurmloch erlebt haben."

Ich runzelte die Stirn. "Weißt du, ich habe da eine entfernte Verwandte, die sich Dai-Sphinx-sama nennt. Die klassische Sphinx in Griechenland war für ihre Rätsel berühmt. Kann es sein, dass du mit ihr irgend etwas zu tun hast?"

Kydranis schüttelte den Kopf. "Wie soll ich das wissen? Ich habe lange vor deiner Zeit gelebt."

"Okay, lass es mich anders herum formulieren. Gestalten sich alle unsere Unterhaltungen in Zukunft auf der Ebene von Rätseln und Orakelsprüchen?"

"Gegenfrage: Hältst du es für denkbar, dass sich unsere Antworten an deinen Fragen orientieren?"

Ich seufzte. "Okay, das habe ich verstanden. Halte es simpel und du kriegst simple Antworten."

Die Schemen nickten bestätigend.

"Gut. Dann sagt mir bitte, ob Ihr eine Idee habt, wie ich verhindern kann, dass die Trümmer unser Wurmloch zerschlagen, und wir allesamt zu atomarer Grütze zerquetscht werden."

"Wir haben da tatsächlich eine Idee. Sie basiert auf einer ähnlichen Situation, in der einer von uns gesteckt hat, allerdings nicht mit der ADAMAS. Willst du sie hören?"

"Ja, natürlich", sagte ich hastig.

Kydranis grinste. "Die Idee ist folgende: Mach weiter wie bisher und vertraue auf die Gesetze der Physik. Was nicht sein kann, ist auch nicht. Alle Dinge in diesem Universum gehorchen der Physik. Nicht weil sie es müssen, sondern weil sie die Physik erzeugen. Das bedeutet, auch deine Wurmlöcher, dieses und das eindringende, sind den Regeln unterworfen. Alles was du tun musst, ist also die AURORA und ihre Begleitschiffe zu schützen und aufpassen, dass die ADAMAS nicht vernichtet wird."

"Wie war das gleich noch mal mit den einfachen Fragen und den einfachen Antworten?", fragte ich resigniert.

"Oh, das ist eine einfache Antwort", sagte Kydranis.

"Ihr wollt mir also sagen, ich soll den dicken Brocken ausweichen und ansonsten die Flotte schützen, aber nichts dagegen tun, dass diese hyperbeschleunigten Trümmer die gegenüberliegende Wand des Wurmlochs zertrümmern."

"Richtig. Wobei ich noch anmerken muss, wie Liatom mich freundlicherweise informiert hat, dass ein Wurmloch keine Wände in dem Sinne hat. Was du als Wand wahrnimmst, ist ein Librationsraum, eine Zwischenebene quasi, wo die mitgebrachte Raumzeit der AURORA endet. Das ist aber kein exakter Vorgang, deshalb ist sie nicht fix, sondern eben die Librationszone des Wurmlochs, die uns aber in alle Richtungen umgibt. Sie ist für uns ohnehin irrelevant, weil sie sich an der AURORA orientiert und sie stets in der Mitte behält. Und selbst wenn wir uns von der AURORA entfernen würden, brächten wir Raumzeit des Gigantschiffs mit und würden einen neuen Librationsraum definieren. So einfach ist das."

"Danke für die Nachhilfe in Physik. Und was jetzt?"

Kydranis deutete nach oben, auf die heran fliegenden Trümmer, die ich eigentlich noch gar nicht sehen können durfte. "Du waltest deines Amtes, Reyan Maxus."

Konnte es, durfte es so einfach sein? Auf die Physik vertrauen und fertig? Ich aktivierte weitere Waffensysteme, verfolgte die anfliegenden Trümmer und traf meine Entscheidungen. "Ich vertraue der Physik", sagte ich und begann zu feuern.
 

2.

Rooter Kevoran sagte nichts. Juichiro Torah sagte nichts. Sie standen sich gegenüber, einander in die Augen schauend. Sie regten sich nicht. Aber ihre Auren sagten genug. Diese waren in Aufruhr, in Unruhe, gehetzten Tieren gleich, die versuchten, den Gegenüber einzuschätzen. Freund oder Feind? Das war hier die Frage. Sie umschlichen sich wie Wölfe, die einander zum ersten Mal begegneten, versuchten abzuschätzen wer stärker war, und ob sich ein Kampf lohnte.

Es war ein mentaler Wettstreit, der mit großer Härte gefochten wurde. Und dann... Erwachten beide aus dieser Kampftrance, als Vrivrites Acouterasal meldete: "Alle feindlichen Einheiten haben ihre Angriffsbewegungen eingestellt. Sowohl die mechanischen Streitkräfte der UEMF als auch die Einheiten der Dai kehren auf ihre letzten Positionen zurück." Sie sah auf. "Unter den Angreifern ist nun ein Regiment vertreten, das sich Titanen nennt. Das Titanen-Regiment wird als überragende Elite angesehen. Den Funkdaten entnehme ich, dass nur..."

"Lass mich raten", knurrte der Kapitän, ohne den Tiger-Dämonen vor sich aus den Augen zu lassen, "nur Akira Otomo übertrifft sie noch? Langsam nervt mich dieser Bursche."

Acouterasal unterdrückte ein verschmitztes Lächeln. "Fast. Nur die Hekatoncheiren sind noch besser, und dieses Regiment ist auf der AURORA stationiert, die gerade auf dem Heimflug ist. Aber du hast Recht. Allgemein wird Akira Otomo als bester Mecha-Pilot von allen angesehen. Selbst die Naguad und die Iovar erkennen ihn als Besten an."

"Tja, das ist halt unser Akira", sagte Torah mit dem Anflug eines Lächelns. "Du wirst ihn mindestens ebenso hassen wie ich es tue, Rooter Kevoran."

"Wenn du ihn hasst, warum kämpfst du dann auf seiner Seite?", wandte der Kapitän der RASHZANZ ein.

"Weil man über seinen eigenen Schatten springen sollte, sobald die Wirklichkeit einem klarmacht, dass man bisher vollkommen falsch gelegen hat", sagte der Dai mit Betonung in der Stimme, die klar machte, dass er diese Weisheit nicht nur für sich als relevant ansah. "Uns hassen und bis zum Tode bekämpfen können wir uns, sobald der größere Feind vernichtet ist."

"Hm", machte der Kapitän der RASHZANZ leise. "Deine Meinung, Vrivrites Acouterasal?"

"Wenn der Key Recht hat, kommen wir nicht einmal davon, wenn wir die Erde vernichten. Einmal als nutzlos eingestuft werden die Maschinen ihre Meinung nicht mehr ändern. Im Gegenteil, als lebende, atmende Götter könnten wir für sie und ihre Herrschaft über die Kinder der Götter eine Gefahr darstellen." Sie tippte sich nachdenklich an den Nasenflügel. "Zudem stelle ich fest: Wir hier an Bord der RASHZANZ und unsere Kameraden aus der Kryostase-Station sind die letzten überlebenden Götter. Und wir haben immer noch die Aussage des Keys über die mehr als einhunderttausend Zivilisten, die unter den Kryo-Ebenen der Soldaten liegen sollen. Wir müssen Render Vantum dazu befragen."

"Render!", sagte Rooter, und seine Stimme klang dabei, als würde er etwas Widerwärtiges ausspeien. "Aber gut. Nehmen wir mit ihm Verbindung auf. Key, ich habe deine Zusage, dass..." Er zögerte einen Moment. "Helen Otomo, ich habe deine Zusage, dass die UEMF und die Dämonen nicht angreifen werden?"

Helen unterdrückte ein breites Grinsen, als sie die veränderte Anrede registrierte. Sie war soeben aufgestiegen, vom bloßen Werkzeug zum Vermittler im Konflikt. Und alles was es dazu gebraucht hatte, war der Tod ihres Cousins Anthil und jahrelanges Training zur Unterwerfung des Keys. Dazu hatte sie, als sie im Arogad-Turm in einem Überlebenstank gesteckt hatte, mehr als genug Zeit gehabt. "Die Waffen ruhen für den Moment. Deine weiteren Entscheidungen bestimmen den Verlauf der Ereignisse, Kapitän."

Der Gott nickte. "Ich verstehe. Tarco Parhel, was denkst du darüber, dass die Kinder der Götter nun von unseren Künstlichen Intelligenzen regiert werden?"

Der Waffenoffizier schnaubte nervös aus. "Nicht besonders viel. Wir haben viel dafür bezahlt, um diese unschuldigen Völker aus dem Konflikt zwischen Göttern und Dai raus zu halten. Wenn es keine Götter mehr gibt, sollten sie selbstständig ihren Weg gehen. Ich kann nicht verstehen, dass ein Computer, den wir Götter programmiert haben, derart irrational vorgeht."

"Außer, er wurde so programmiert", sagte Helen.

"Außer, er wurde so prog... Moment mal, Key, was willst du uns damit sagen?"

"Was. wenn nicht nur Dai und Götter Langzeitpläne betreiben? Was, wenn es eine dritte Fraktion gibt? Eine die davon profitiert, dass die Computer der Götter die Dai klein halten, aber die keine lebenden Götter zu fürchten hat?"

"Unsinn! Wer sollte hierin irgend einen Nutzen finden?", tat Rooter Kevoran mit einer fahrigen Handbewegung ab.

"Nur weil du niemanden sehen kannst, heißt das nicht, dass es diese Fraktion nicht gibt", sagte Helen ernst. Sie deutete auf die Kommunikationseinrichtung. "Aber wir sollten aufhören zu spekulieren und anfangen zu arbeiten. Kapitän, dein Gespräch mit General Vantum wartet."

"Ich fand dich besser, als dich noch der Key beherrscht hat, Helen Otomo", murrte der Kapitän.
 

3.

"Also, ich fasse mal zusammen", sagte Lertaka der Wind säuerlich, während die Blicke der anderen fünf Dai und der achtzehn Nagalev auf ihm ruhten. "Wir befinden uns hier innerhalb eines Werftkomplexes, in dem einmal zweihunderttausend Daima gearbeitet haben, als selbstständiges Hochindustriekonsortium, das für die angrenzenden Hochzivilisationen vor fünfzigtausend Jahren Schiffe gewartet und gebaut hat. Soweit richtig?"

Der große Mann, der Kitsune eingefangen hatte und auf den Vornamen Oren hörte, nickte zustimmend.

"Dann kam es zur Revolution der Maschinen, und eure Vorfahren wurden davon vollkommen überrascht. Die Computer beschlossen eure Auslöschung und manipulierten die Fusionsreaktoren, damit sie heiße Gamma-Strahlung weit genug emissierten, um die ganze innere Werft zu überfluten und zu einem Ort zu machen, an dem Ihr nicht überleben könnt."

Wieder nickten die Nagalev. Belta, die Sektionsführerin, fügte hinzu: "Eines der Schiffe, das wir reparieren sollten, ein Schiff der Godar, war ein Robotschiff. Wir dachten uns bei dem Auftrag nichts, setzten die Godar doch schon seit einiger Zeit automatisierte Schiffe ein. Doch dieses Schiff brachte das Unheil mit sich. Als sein Computerkern mit unserem Rechnerverbund Kontakt bekam, begann die schleichende Revolte. Sie dauerte drei Monate. Dann begann die Strahlungsdusche, und sie tötete die Hälfte unserer Vorfahren noch in der ersten Stunde. Viele, die länger lebten, wurden verstrahlt, kaum einer bekam seine Dosis nicht ab. Zum Glück gab es diesen Sektor, den wir wegen Industriespionage einerseits nicht an den Rechnerverbund angekoppelt hatten, und andererseits speziell geschützt hatten. Nach zwei weiteren Stunden waren wir nur noch vierzigtausend, und viele von ihnen waren verwundet oder verstrahlt. Wir froren die schlimmsten Fälle ein, um sie später zu behandeln, den Großteil der anderen steckten wir in Biotanks, wo sie ihre Behandlung in einer virtuellen Welt verschlafen konnten. Es bildete sich ein Stab von viertausend nahezu unverletzten Nagalev heraus, die sich um die Verletzten und Kryostaten kümmerte, und die in den ersten Jahren für die Versorgung mit Lebensmitteln und Material sorgte, das noch immer von den automatisierten Fabriken der Werft produziert wurde. Als abzusehen war, das uns kein Kontakt nach außen gelingen würde, und das wir die anderen beiden Werftsterne der Nagalev nicht erreichen konnten, begannen wir uns hier einzurichten."

"Äh, ja, danke. So entstanden also die Kryofächer und die Kolonie", sagte Lertaka. "Und Ihr seid angewachsen, weil...?"

"Weil es zum Leben dazu gehört, sich zu vermehren. Einige waren gegen die Kolonie, deuteten auf den begrenzten Platz und die limitierten Ressourcen hin. Aber je mehr wir heilen konnten, je mehr Nagalev wir wieder wecken konnten, desto deutlicher wurde uns, dass wir uns beides nicht leisten konnten. Weder zu schrumpfen noch zu wachsen. Zugleich war uns allen klar, dass wir nicht ungeschützt bis in eine ungewisse Zukunft dahin dämmern konnten. Wir brauchten Leute, die wach waren und die Kryostaten beschützten, gegen welche Bedrohung auch immer. Darum begannen wir den Turnus auszuarbeiten. Die Nagalev leben lange. Eintausend, zweitausend eurer Jahre sind keine Seltenheit. Und so kam es, dass wir einen Zyklus entwickelt haben, in dem die Kryostaten immer für ein paar Jahrzehnte geweckt werden, um ihren Teil am Leben und am Schutz der Kolonie auf sich zu nehmen, daran mitzuhelfen, die Werft irgendwann einmal zurück zu erobern... Was etwas ironisch klingt, denn wir sehen ja, dass es hier vor Kampfeinheiten der Godar nur so wimmelt.

Ich selbst habe nun schon neun wache Phasen hinter mir. Dies ist meine zehnte, und an ihrem Ende hätte ich wieder neuntausend Jahre geschlafen, um in der elften Phase einerseits die Kolonie am Laufen zu halten und andererseits daran zu arbeiten, die Werft wieder zurückzuerobern. Was, ehrlich gesagt, keine Fortschritte zeitigt. Wir sind machtlos gegen die Strahlung, machtlos gegen die Roboter. Uns gelingen nicht mehr als Nadelstiche. Und nun sind wir auch noch ein Ziel für die Dai geworden. Das ist bedauerlich, aber verständlich."

Die Dai reagierten nach ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten durch Zustimmung oder Schweigen.

Kitsune rieb sich nachdenklich das Kinn. "Diese Kolonie, besteht sich auch aus Kryostaten?"

"Einige leben in ihr, wenn sie dies wünschen, bis zu ihrem Tod. Es gibt einige, die irgendwann von den Zyklen die Nase voll haben, auch wenn wir dafür sorgen, dass wir einerseits Bekannte und Familien nicht zu sehr durch den Abgrund der Zeit trennen, und andererseits aber auch dafür sorgen, dass die Schichten der Erweckten statisch werden. Dazu kommt, dass wir in den Kolonien eine Geburtenrate von zwei Komma vier Kindern pro Paar haben, was einen leichten Zuwachs bedeutet. Erreichen diese Kinder das Erwachsenenalter, bestimmen sie selbst, ob sie in Kryostase gehen wollen, und welcher Schicht sie zugeteilt werden wollen. Das ist, grob gesagt, die Struktur unserer Gesellschaft. Im Biotank liegt heutzutage niemand mehr, denn auch eine virtuelle Welt kann mit fünfzigtausend Jahren sehr lang werden."

"Verstehe", sagte Lertaka. "Jetzt ist also unsere Frage, wie wir euch hier raus kriegen."

"Uns hier raus kriegen?", meldete sich ein anderer Nagalev zu Wort, der sich als Tomuar vorgestellt hatte und zur aktuellen Führungsriege gehörte. "Es ist nicht so, als hätten wir das nie versucht. Meistens scheitern wir daran, dass wir vierzigtausend Kryo-Behälter nicht schnell genug umladen können, bevor die Verlademannschaft an der radioaktiven Strahlung stirbt."

Oren hob die Hand. "Darf ich aus deinen Worten, lieber Lertaka, schließen, dass Ihr eure Mission, die Werft zu zerstören, weiter verfolgen werdet?"

Lertaka der Wind sah fragend zu den anderen Dai herüber. Antra und Rickar erwiderten mit festem Blick, während Celeen und Livess seinem Blick fahrig auswichen. Kitsune ließ ein abfälliges Schnauben hören.

"Es sieht so aus, als hätten wir uns eine neue Priorität gegeben. Eure Leben haben nun Vorrang. Aber es wäre trotzdem ganz nett, wenn wir die Sucher, Strafer und Vernichter ausschalten könnten. Zusammen mit der Werft."

"Das verstehen wir. Aber bedenke bitte, dass weder wir noch die Kryostaten von der Idee begeistert sein könnten, nach so langer Zeit, in der wir uns erfolgreich am Leben gehalten haben, nun doch noch zu sterben."

"Da haben wir ja den ganzen Mist", warf Antra ein. "Diese ganze riesige Werft ist ein in sich selbst verschachteltes Mikro-Universum, in dem Milliarden Vorgänge zugleich ablaufen. Solange wir das Mistding sprengen wollten, spielte das keine Rolle für uns. Aber nun stehen wir vor dem Chaos, denn sollten wir den Zentralcomputer ausschalten, dann wird es nicht lange dauern, bis die Milliarden Vorgänge miteinander kollidieren. Es bleibt gar nicht anders aus. Ich habe mir überlegt, wir könnten ein paar Vernichter kapern und die Kolonie in sie verladen, um in Dai-Raum zu fliehen. Mit etwas Vorbereitung für die Versorgung wäre das möglich. Aber dafür haben wir nur wenige Stunden, vielleicht ein oder zwei Tage, bevor die Kettenreaktionen konträr laufender Prozesse damit beginnen, die Werft in ein Katastrophengebiet zu verwandeln. Ich habe mir die Technologie angesehen, die hier verwendet wird. Es handelt sich um ein semi-autarkes System auf Speicherbasis. Selbst wenn wir den Strom deaktivieren, bleiben die Fabriken, die Fähren und die Roboter noch einige Zeit aktiv. Schön wäre es ja, wenn wir einen Schalter umlegen könnten, und alles würde stehen bleiben. Stattdessen fahren sie irgendwann ineinander, stürzen ab, bringen noch mehr Chaos, mehr Zerstörung. Das summiert sich, und wenn wir Pech haben, genau hier in diesem Sektor. Anschließend kommt die Vernichtung der ganzen Werft, die ja unser Ziel ist."

"Hm", machte Kitsune, "warum denkst du, dass wir die Computer dafür ausschalten müssen, Antra?"

"Wenn wir Vernichter klauen, anstatt als blinde Passagiere auf ihnen mitzufahren, meine liebe Kitsune, werden die Computer das bemerken. Und glaube mir, für die Bergungsarbeiten sind Angriffe jedwelcher Art, vielleicht durch Strafer oder Sucher, nicht sehr förderlich."

"Hm", machte Kitsune. Und wieder: "Hm."

"Du heckst doch was aus, Mädchen", stellte Antra fest. "Rück raus damit, Mädchen. Und sag gleich dazu, wie hoch unsere Überlebenschancen sind."

"Na ja, ich hätte schon eine Idee. Aber dazu müsste ich wissen, was die Nagalev vorhaben. Könntet Ihr euch mit dem Gedanken anfreunden, irgendwo da draußen auf einem Planeten oder einer Raumstation zu leben?"

Konsterniert starrte Oren sie an. "Also, mal davon abgesehen, dass hier niemand mehr Lust hat, auf der Werft zu arbeiten, war das eigentlich unser Ziel in den letzten fünfzigtausend Jahren."

"Dann", verkündete Kitsune zufrieden, "habe ich tatsächlich eine Idee. Eine recht gute, möchte ich behaupten. Ist es uns erlaubt, die Kryostase-Einrichtungen und die Biotanks zu besuchen?"

Belta sah sie mit gerunzelter Stirn an. "Prinzipiell spricht da nichts gegen. Darf ich fragen, warum du das möchtest?"

"Ich will keine unnötigen Hoffnungen wecken", wehrte Kitsune ab. "Aber wenn ich finde, was ich suche, kriegen wir Dai unsere zerstörte Werft mit ein paar hundert vernichteten Schiffen der Götter als Hauptpreis, und Ihr kriegt ein wirklich schnuckliges Sonnensystem in relativer Nähe mit zwei Sauerstoffwelten, das ich einer guten Freundin von mir und einigen Bekannten abschwatzen würde. Aber das wäre nur eine Möglichkeit von vielen. Einige Spezies lieben es gerade, auf die Erde, den Mars oder den Mond auszuwandern."

Rickar räusperte sich. "Die Istal-Koalition könnte auch einen Platz zum Leben bereit stellen."

"Das gilt auch für uns", merkte Celeen an.

"Gut. Je mehr Alternativen die Nagalev haben, umso besser", sagte Kitsune. "Und jetzt zeigt mir die Einrichtungen. Damit steht und fällt Plan A."

"Oh", merkte Oren an, "es gibt einen Plan B?"

"Noch nicht ganz. Aber ich arbeite dran", sagte Kitsune. Das war auch die Wahrheit. Von einem gewissen Standpunkt aus gesehen.

***

Unter dem zunehmenden Interesse der Kolonie inspizierte Kitsune die verschiedenen Anlagen. Schnell hatte sie ein paar hundert Spektatoren, die ihr wie ein Rattenschwanz folgten. Darunter waren auch eine Menge Kinder und Halbwüchsige, die unbedingt sehen wollten, wie sich die Dai in mehrere kleinere Versionen ihrer selbst aufteilte, aus ihrem Arm ein Schwert machte, oder ein Fuchs wurde. Aber Kitsune hatte zu tun und konnte sich nicht um die Kinder der Nagalev kümmern. Also beließ sie es dabei, sich in ihre Fuchsgestalt zu hüllen und von Lertaka auf der Schulter tragen zu lassen, während sie Fakten sammelte, um Pläne zu schmieden.

Die Kolonisten hatten eine anregende Kultur, in der viele phantastische Wesen vorkamen; ab heute war es eine mehr. Gerüchten zufolge bastelte die kreative Loge bereits an einem halben Dutzend Kurzfilmen mit der Fuchs-Dai als Heldin. An Ideen oder Kreativität hatte es hier eigentlich noch nie gemangelt.
 

"Hier liegen also vierzigtausend Dai", sagte sie in Richtung des Chefwissenschaftlers, der immer wieder irritiert zu Lertaka sah, weil er mit der Füchsin nicht wirklich etwas anfangen konnte. "J-ja. Wir haben es hier zu tun mit etwas mehr als vierzigtausend Stase-Einrichtungen. Zirka eintausend werden pro Zyklus gewartet, sodass wir technologisches Versagen auf ein absolutes Minimum reduzieren können. Wir haben pro Zyklus meistens nicht mal den einen statistischen Ausfall. Und selbst dann können wir schnell genug reagieren, um das Schlimmste zu verhindern."

Kitsune betrachtete nachdenklich die endlosen Wände und in den Raum gebauten Blöcke, auf die Quader, die sich wie ein Kapsel-Hotel mehrere hundert Meter in die Höhe erstreckten und in denen jeweils ein Nagalev für die Ewigkeit zwischengelagert war. "Was meinst du, Lertaka?"

"Da ich keinerlei Ahnung habe, was du denkst, meine ich, dass du gleich eine grandiose Idee präsentieren wirst", murmelte Lertaka der Wind.

"Hm", machte die Füchsin. "Sind die Einheiten transportierbar, ohne in ihrer Funktion eingeschränkt zu werden?"

"Ein ganz klares Nein. Wir können sie abbauen, verladen. Aber wir müssen sie dafür zerlegen. Wir können sie nicht weiter betreiben, tut mir leid."

Kitsune machte sich eine gedankliche Notiz. "Gut. Kommen wir zu den Biotanks."

Lertaka schritt heftig aus, und Kitsune rutschte ihm dabei fast von der Schulter. "Nicht so schnell, und nicht so ruckartig! Hast du denn noch nie eine Dai auf der Schulter gehabt?", tadelte die Füchsin, während sie sich an seinen Rücken wieder in die Höhe zog.

"Nein, du bist die Erste", erwiderte Lertaka grimmig.

"Och, du schmollst doch jetzt nicht etwa? Das wollte ich nicht. Hier, als Wiedergutmachung."

"Leckst du mir gerade das Ohr ab?", fragte Lertaka, gefangen zwischen Erheiterung und Entsetzen.

"Mit welcher Antwort hebe ich deine Laune wieder?"

"Ich glaube, das ist gerade egal", erwiderte der Dai. "Sie wird schon viel besser."

"Dann bitte einmal die Biotanks, geschätzter Lertaka."

"Verstanden."
 

Ihren Rattenschwanz als Neugierige hinter sich lassend betraten die beiden Dai und die Nagalev-Räte die nächste Fahrzeugkabine, die sie in die nächste Ebene fahren würde, fünfhundert Meter über ihnen.

"Ist es schlimm, dass wir die Kryo-Kammern nicht aktiv verladen können?", fragte Belta leise und sehr ernst.

"Nun, es verkompliziert einiges. Es bedeutet, dass wir die Kryostaten, wie Ihr sie nennt, alle wecken müssen. Und versorgen. Es wäre einfacher gewesen, hätten wir sie wie Frachtgut verladen können", sagte Kitsune nachdenklich. "Nicht nett, aber einfacher."

"Wir brauchen zwar nur eine Stunde, um einen Schläfer zu wecken", wandte Oren ein, "aber je nach Konstitution braucht der Kryostat dann minimal eine weitere Stunde, um aktiv werden zu können, und das kann sich bis zu drei Tage hinziehen."

"Wie schnell können wir alle vierzigtausend wecken?", hakte Kitsune nach.

"Das kann sofort vonstatten gehen. Wir können sie aber nicht betreuen. Nicht in dem Maße, in dem wir es tun sollten, Kitsune."

"Und wenn wir die Betreuung auf ein Minimum schrauben?"

"Gleiche Antwort. Es kann sofort vonstatten gehen. Aber es ist keine optimale Lösung. Wenn wir schon die Hauruck-Variante nehmen, würde ich sie in dreistündigen Etappen wecken, damit wir einschätzen können, wer besondere Betreuung braucht und wer nicht, um unnötige Verluste zu vermeiden. Eine solche intensive Betreuung können wir, wenn wir die Schlafpausen streichen, für jeweils fünftausend Nagalev anbieten."

"Das würde bedeuten, in vierundzwanzig Stunden wären alle geweckt", sagte Rickar der Taucher.

"So könnten wir es verantworten, ja", erwiderte Oren.
 

Der Aufzug hielt und entließ die Dai und die Nagalev auf der untersten Ebene der wesentlich kleineren Biotank-Etage. Hier reihten sich Tank an Tank aneinander und brachten es auf die stolze Zahl von zweitausend Einheiten. Siebzehn waren aktiv. In ihnen lagen Verletzte, die draußen Strahlungsverbrennungen erlitten hatten und teilweise schon seit Jahrzehnten behandelt wurden.

"Und wenn wir die schlimmsten Fälle in einen Tank stecken? Diese Dinger sind doch mobil, oder?"

Der zuständige Nagalev, eine kleine, dicke Frau mit klobiger Lesehilfe, trat Lertaka in den Weg. "Natürlich sind unsere Biotanks mobil. Zudem bieten sie eine Vernetzung in einer eigenen virtuellen Welt. Allerdings können unsere Patienten auch an der Wirklichkeit partizipieren. Ein Drohnensystem mit Hologramm gestattet es ihnen, sich frei in der Kolonie zu bewegen."

"Eine gemeinsame virtuelle Welt?", fragte Kitsune und lenkte die Aufmerksamkeit von Lertaka auf sich.

Sie warf der Füchsin einen irritierten Blick zu, rückte ihre Lesehilfe zurecht und starrte sie so wütend an, als wäre die Füchsin für irgend eine schlimme Sache schuld. "Natürlich eine gemeinsame virtuelle Welt", erwiderte sie bissig.

Kitsune rutschte von der Schulter des großen Dai und sprang zum Boden. Während sie fiel, verwandelte sie sich wieder in die junge Frau mit dem roten Kurzhaarschnitt. Ausnahmsweise wählte sie nicht ihre Lieblingskleidung, den Minirock, sondern ihren Einsatzanzug. "Ich will die technischen Daten einsehen."

"Natürlich", sagte die Fach-Nagalev, nachdem sie ihr erstes Erstaunen überwunden hatte. "Hier entlang, bitte."

Antra beugte sich zu ihr vor. "Was planst du eigentlich, Kitsune?"

Die Füchsin sah amüsiert über ihre Schulter zurück. "Oh, ich will etwas aus der alten Heimat bauen. Hast du vielleicht schon mal den Begriff "Supercomputer" gehört?"

"Nein, habe ich nicht. Unsere Computer sind alle super."

"Oh, sicher nicht so super, wie den, den ich gerade konstruiere", flötete Kitsune.

Dann widmete sie sich der technischen Einführung der Nagalev in die hiesige Biotank-Technologie.

"Ja", sagte sie schließlich zufrieden, "das wird funktionieren. Plan A wird klappen."

"Das sagst du hoffentlich nicht nur, weil du zu faul bist, dir Plan B auszudenken", scherzte Rickar.

"Teils, teils", antwortete Kitsune verschmitzt.

Rickar der Taucher begann prustend zu lachen. "Ich musste ja fragen. Selbst Schuld."
 

4.

"Kydranis!", rief Latiss Jomdral erfreut, als er den Kriegskameraden in der Menge der Ankommenden erkannte. In diesen Zeiten des harten Krieges war es nicht unbedingt üblich, dass die Fähren ihre Fahrpläne einhalten konnten. In diesen Zeiten war es auch nicht unbedingt üblich, dass all jene, die in den Krieg zogen, auch wieder den Weg nach Hause fanden. Das war natürlich immer tragisch, egal ob diese Leute tot, verschollen oder in Gefangenschaft waren. Kydranis hatte es geschafft, mitten aus den wildesten Kämpfen heraus, sich und seine Crew wieder zur Erde zu schaffen. Darüber hinaus war ihm auch etwas gelungen, was vor ihm nur wenige haben vollbringen können: Er hatte einen gegnerischen Reyan Maxus im Nahkampf bezwungen, als dieser schon jenseits der Schwelle des Wahnsinns gewesen war.

Kydranis sah auf, als sein Name fiel. Aber es dauerte einen Moment, bis er sich weit genug orientiert hatte, um den Dai zu erkennen, der ihn gerufen hatte. "Latiss!", rief er erfreut.

Der Reyan Oren der Neunten Offensiv-Garde kam auf ihn zu, wies sich an der Sperre kurz als berechtigt aus und verließ den internationalen Transitbereich von Olympos, dem größten Raumhafen Lemurs.

Die beiden Freunde standen sich gegenüber und sahen sich lange an, bis Kydranis einen Schritt vortrat und den anderen umarmte. "Es tut verdammt gut, dich wieder zu sehen, alter Freund", sagte er mit belegter Stimme. "Du glaubst nicht, was ich erleben musste, um hier sein zu können."

"Oh, das kann ich durchaus. Die Kadrimal-Imperialen schwanken zwischen Panik und Resignation, seit du Turval in seinem eigenen Schiff besiegt und das Kommandoschiff selbst als Trophäe genommen hast. Du bist Tagesgespräch auf Atlantis, mein Freund. Und es wundert mich, dass sich keine Sprechchöre zu deinem Empfang gesammelt haben, um dich zu feiern."

Kydranis lächelte schwach bei diesen Worten und löste die Umarmung. "Das liegt daran, dass außer dir nur noch das Oberkommando weiß, wo ich gerade bin. Und ohne meine Uniform gehe ich in dieser Masse doch ganz schön verloren." Er sah sich kurz um, bemerkte mehr als einen interessierten Blick in seine Richtung, mehr als eine getuschelte Unterhaltung über ihn. "Bis jetzt zumindest. Hast du ein Bodenfahrzeug?"

"Tatsächlich bin ich mit meinem Krader da. Er steht im Parkdeck." Latiss schmunzelte. "Ist dir Publicity und Berühmtheit wirklich derart zuwider?"

"Das ist es nicht. Ich habe keinen Kopf dafür, mich feiern zu lassen. Nicht im Moment."

"Ich verstehe das zwar nicht, aber du wirst deine Gründe haben", sagte Latiss und ging in Richtung Parkhaus vor. Kydranis folgte ihm auf dem Fuß.
 

"Wie sieht es eigentlich da draußen aus. Die Medien berichten zwar immer wieder, dass das Kerngebiet um Lemur sicher ist, dass die einundzwanzig Daina-Kolonien nicht bedroht sind, aber du warst draußen und hast die Lage vor Ort erlebt."

"Einen Teil der Lage. Ich war kernwärts unterwegs, wie du weißt."

Sie entschieden sich für das Treppenhaus, das sie wie normale Menschen Stufe für Stufe erklommen.

"Und, wie ist dein Teil der Lage?", hakte Latiss nach.

"Es wird immer schwieriger, die Daima-Fraktionen auseinander zu halten", sagte Kydranis bedrückt. "In meinem Teil der Kriegssektoren gab es grauenhafte Verluste an Menschen, Schiffen und Material. Eine inoffizielle Untersuchung ergab, dass es alleine bei uns vierzehn Millionen Tote gab. Eher mehr. Die meisten davon waren Zivilisten. Sie starben hauptsächlich auf Frachtern, Personentransportern, Orbitalstationen und Raumhäfen, aber das macht es nicht besser." Kydranis seufzte. "Und es wird immer schlimmer, je mehr Dai die Daima einsetzen. Wir haben nicht erst seit gestern Verluste."

"Das ist mir wohl bekannt. Und was empfiehlst du? Dass wir uns zurückziehen und die Daima sich selbst überlassen?"

Indigniert sah Kydranis den Freund an. "Das würde automatisch zehn Milliarden Tote bedeuten. Nicht sofort, nicht auf einen Schlag, aber das würde es bedeuten. Und zehn Milliarden Tote lädt sich niemand auf sein Gewissen, nicht einmal der Rat von Lemur."

"Aber wir mischen uns doch ungefragt in diesen Konflikt ein, greifen ein auf der Seite des vermeintlich Schwächeren und verlängern die Konflikte damit", erwiderte Latiss.

"Wenn wir gerufen werden", dozierte Kydranis, "beschützen wir Systeme und Zivilisten, dämmen Gefechte ein und geleiten Kriegsschiffe entweder aus die Systeme hinaus, oder in die Systeme zu ihren Häfen. Wir versuchen die Kämpfe zu unterbinden. Und das wissen jene auch, die uns rufen. Mir ist klar, dass sie dies nur tun, wenn sie selbst kurz vor der Niederlage stehen, um sich eine Zeit der Erholung zu erkaufen. Dass sie uns nach ein paar Jahren wieder aus ihrem Reich hinauskomplimentieren und im dümmsten Fall ihre Kämpfe fortsetzen."

Sie erreichten ihre Etage. Latiss ging voran und suchte seinen Bodenwagen.

Kydranis musterte die schwere Maschine erstaunt. "Du verdienst wohl nicht schlecht zur Zeit", murmelte er, während Latiss ihm die Doppelflügeltür in den rückwärtigen Fond öffnete. "Na ja, man lebt halt. Vorsicht, geh nicht links runter, da ist der Pool."

"Sehr witzig", murmelte der Reyan Oren, als er aufrecht in den Wagen trat. "Wie jetzt? Ich dachte, du hast wirklich einen Pool im Wagen."

"Sehr witzig. Reichen die Couch und die Bar nicht?"

"Wie hast du für das Ding überhaupt einen Parkplatz gekriegt?"

Latiss lachte und schloss hinter sich die Doppeltür. "Man kann so etwas vorbestellen, Kydranis. Willkommen in der Zivilisation. Willst du was zu trinken? Fruchtsaft, Milch, oder etwas Richtiges?"

"Fruchtsaft. Mir ist gerade nicht danach, auch nur einen Zoll der Kontrolle über mich zu verlieren." Mit einem gequälten Laut ließ er sich auf das großzügige weiße Polster nieder. "Autsch. Mein Rücken bringt mich um."

"Das sollte doch nicht dein Rücken übernehmen, sondern die streitlustigen Daina", scherzte Latiss und schenkte aus der großzügigen Bar zwei Gläser ein. Eines reichte er Kydranis. "Poul, nach Hause."

"Verstanden", antwortete die Künstliche Intelligenz aus seinem Haushalt. Der Wagen ruckte sanft an und verließ seinen Stellplatz. Er verließ das Parkhaus auf der energetischen Schnellstraße und folgte dem sanften Gefälle bis auf Bodenniveau, wo er sich, gesteuert durch die K.I., in den Highway einfädelte, der den Raumhafen tangierte, eigentlich aber die Hauptstadt Atlas mit dem großen Ozeanhafen Mu verband.

"Es ist doch immer wieder beeindruckend, was für ein Verkehr hier herrscht", murmelte Kydranis. Er nippte an seinem Getränk. "Ich meine, dreißig Prozent der Erde liegen unter tiefen Gletschern begraben und sind nicht bewohnbar, alles was weiter als vierzig Längengrade über dem Äquator liegt ist ein verdammter Kühlschrank, aber auf Atlantis ist ein Verkehr, als wäre hier das Zentrum der Galaxis."

"Oh, hier ist das Zentrum der Galaxis", erwiderte Latiss. "Ob die Daina das nun wollen oder nicht."

"Hat dich arroganten Dai schon mal jemand übers Knie gelegt?", fragte Kydranis amüsiert.

"Ja, Jelena, letzte Woche. War eine sehr interessante Erfahrung. Aber auch nur das Vorspiel", erwiderte der Dai trocken.

"Keine Details, bitte, wenn du über meine Tante sprichst."

"Du hast gefragt", erwiderte Latiss stoisch.

"Nicht nach so etwas. Zentrum der Galaxis, und so. Unsere Explorer sind bisher nicht weiter als zum Zentrum gekommen, geschweige denn in unsere Satellitengalaxien oder sogar nach Artonida."

"Die, wie du selbst weißt, schwierig zu erreichen ist, da unsere Sprungtechnologie darauf beruht, dass wir von Sonne zu Sonne springen müssen. Ergo keine Sonnen, keine Sprünge. Falls du natürlich über eine bahnbrechende Technologie verfügst, die uns zwei Millionen Lichtjahre zur doppelt so großen Nachbargalaxis überwinden lässt, dann immer raus damit."

"Sehr witzig. Was ich sagen will, ist, dass wir die Galaxis kaum kennen. Beherrschen können wir bestenfalls einen Umkreis von einhundert Lichtjahren, erfassen das zehnfache, besiedeln ein Hundertstel. Unsere Explorationen in die weitere kosmische Umgebung sind nur Stichproben, so wie wenn du auf einer riesigen Tundra stehst, alle fünfhundert Meter einen Fingerhut Erde entnimmst, und anschließend bei der Analyse meinst, du hast einen vollen Einblick in das gesamte Gelände in allen Details. Und dann redest du von Zentrum der Galaxis, mein kleiner, arroganter Dai."

"Zentrum der erforschten Galaxis?", bot Latiss lachend an.

"Zentrum der Daina, das lasse ich gelten", sagte Kydranis und trank sein Glas aus. "Nachschub, bitte."

Latiss beeilte sich, dem Freund nachzuschenken. "Also, was denkst du über unsere Lage?"

"Unsere Lage? In sechs Konflikten zwischen neunzehn Daima-Fraktionen, die nichts Besseres zu tun haben, um aus den unsinnigsten Gründen heraus eine halbe Million Kampfschiffe aufeinander zu hetzen, darunter fünfundfünfzig Kommandoschiffe der Reyan Maxus? Ich wünschte, sie würden sich auf uns stürzen, dann könnten wir die Militärmacht vernichten, und der Sektor hätte endlich Ruhe."

"Vierundfünfzig. Einen hast du besiegt, oder nicht? Ihre Konflikte sind schon nachvollziehbar. Hier ein Grenzstreit um ein peripheres Rohstoffsystem, dort ein politisches Attentat, da ein Nachfolgekonflikt, und so weiter, und so fort", sagte Latiss nachdenklich.

"Gut, also vierundfünfzig. Findest du es nicht merkwürdig, dass sich neunzehn von einunddreißig Fraktionen in einem Krieg oder kriegsähnlichem Zustand befinden? Selbst einige der Kleinst-Staaten, die sich einen Planeten teilen, benehmen sich nicht so hirnverbrannt wie diese Daima."

"Das aber auch nur, weil sie zu schwach für Krieg sind. Würden sie sich einmischen, würden sie schnell besiegt werden", wandte Latiss ein. "Und wir wären eventuell nicht schnell genug vor Ort, um das zu verhindern. Also sind sie schlau und halten den Kopf unten und die Ohren angelegt."

"Was uns wieder zu denen bringt, die sich stark genug für Konflikte fühlen und die Daina immer wieder mit einbeziehen. Was sagt denn der Geheimdienst so zur Gesamtsituation?"

"Dass sie Scheiße verfahren ist. Unsere Diplomaten sagen das Gleiche. Alle beteiligten Nationen sind in ihren Konflikten unglaublich verbissen und lassen kaum Verhandlungsspielraum. Und wenn sie nicht mehr können, fordern sie die Daina-Flotten an. Auf diese Weise haben wir uns in den letzten einhundert Jahren bei allen einunddreißig Fraktionen gleichermaßen beliebt wie unbeliebt gemacht."

"Für wie wahrscheinlich hält es der Geheimdienst, dass sie von außen aufgewiegelt werden?", fragte Kydranis.

"Aufgewiegelt von wem zu welchem Zweck?"

"Ich weiß es nicht. Um alle beteiligten Nationen zu schwächen?"

"Das würde nur Sinn machen, wenn auch wir geschwächt werden würden", erwiderte Latiss.

"Das werden wir doch. Wir verlieren Schiffe und Truppen, jedes mal wenn wir intervenieren. Vor allem wenn reguläre Einheiten an einen Reyan Oren oder Reyan Maxus geraten. Es ist nicht gerade ein langsames Ausbluten, aber Verluste sind Verluste."

Kydranis hob sein Glas. "Apropos Verluste. Während ich Turval besiegt habe, bin ich selbst aufgestiegen. Ich bin jetzt selbst ein Reyan Maxus."

Für einen Moment sah Latiss den Daina verwirrt an. Dann rang er sich zu einem Lächeln durch. "Da gratuliere ich aber. Welches Kommandoschiff wird man dir zuteilen?"

"Die ADAMAS. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, Turvals KRATOS zu übernehmen, mich dann aber dagegen entschieden. Die ADAMAS ist unsere modernste Fernwaffe, hat gerade erst den Jungfernflug bestanden. Und sie bekommt eine gute, erfahrene Crew."

"Ein Maxus, also." Latiss leerte sein Glas auf einen Schluck. "Das ist starker Tobak. Was sagen die Prognosen? Wie lange wirst du alleine handlungsfähig sein?"

"Oh, die sind überraschend gut. Ich bin die nächsten dreihundert Jahre sicher, bevor meine Fähigkeiten so mächtig werden, dass ich Suppressoren brauche."

"Das ist eine lange Zeit, und bis dahin kann der Krieg vorbei sein", sagte Latiss hoffnungsvoll. "Bis dahin kannst du zum Dai aufsteigen, mein alter Freund."

Kydranis machte eine abwertende Handbewegung. "Noch kein Reyan Maxus ist zum Dai aufgestiegen."

"Weil es noch keiner versucht hat. Ich stelle es mir schwierig vor, ein vergeistigtes Wesen aus purem AO zu werden, wenn ich zugleich alles AO meiner Umgebung assimiliere und wieder abstrahle. Also denke ich, es hat noch kein Maxus rechtzeitig daran gedacht, diesen Schritt zu machen."

"Danke. Ich werde in dreihundert Jahren darüber nachdenken", sagte Kydranis säuerlich.
 

Der Wagen verließ den Highway und fädelte sich in den Regionalverkehr von Mu ein. Es dauerte nicht lange, und der Krader befuhr eine Regionalstraße im Kamdi-Viertel. Zuhause. Endlich.

Versonnen sah Kydranis aus den Fenstern, um das kleinbürgerliche Viertel zu betrachten. Er war fünf Jahre fort gewesen, und es hatte sich nicht viel verändert. Aber wenn er in seiner Erinnerung kramte, wenn er siebzig Jahre zurücksah, dann konnte er deutliche Veränderungen sehen. Die Bäume im Park, den sie gerade passierten, waren damals gerade erst gepflanzt worden. Nun aber erstreckten sie sich mehrere Dutzend Meter in die Höhe und hatten beachtliche Umfänge erreicht. Drei waren gefällt und durch Neuaufforstung ersetzt worden. Sicherlich unter dem Protest der Anwohner, die ihr gewohntes Umfeld selbst dann verteidigten, wenn die Bäume umsturzgefährdet waren, weil sie innerlich mittlerweile morsch und verrottet waren.

"Wen wirst du dir aus Suppressoren auswählen?", fragte Latiss unvermittelt. "Ich hoffe, du hast mich dabei ins Auge gefasst."

"Natürlich habe ich dich ins Auge gefasst. Aber hast du Lust, dein friedliches Leben auf der Erde aufzugeben, um mich ein paar hundert Jahre zu begleiten um zu verhindern, dass ich meine Umgebung pulverisiere?"

Latiss lachte leise. "Oh, ich muss dich begleiten, wenn es soweit ist. Ein ruhiges Leben ist nur eine gewisse Zeitspanne interessant, dann braucht man wieder etwas Action. Außerdem muss ich dich ja rechtzeitig daran erinnern, zum Dai aufzusteigen und deinen Weg begleiten, bevor es für dich zu spät ist."

"Oh. Gutes Argument. Das würdest du tun?"

"Kydranis, ich hoffe, daran hast du nicht eine Sekunde gezweifelt. Wir sind Freunde. Mehr als das: Beste Freunde. Ich weiß, du würdest das Gleiche für mich tun. Warum also sollte ich zögern?"

Das ließ den Reyan Maxus lächeln. "Danke. Ich habe auf eine so positive Antwort nicht zu hoffen gewagt. Ich dachte, du zierst dich die nächsten dreihundert Jahre erst einmal."

"Dann bist du ein ausgesprochener Dummkopf, Kydranis. Ihr Reyan Maxus geht das höchste aller Risiken ein, höher noch als wir Dai. Deshalb können wir gar kein Opfer erbringen, das groß genug wäre, um euch zu unterstützen. Wobei ich es doch ganz gerne gesehen hätte, wenn du ein Oren geblieben wärst, um irgendwann zum Dai aufzusteigen. Na, das kann man ja noch nachholen."

"Es ist noch keinem gelungen", schränkte Kydranis ein.

"Nein, es hat noch keiner versucht", erwiderte Latiss.
 

Der Wagen hielt an. "Wir sind da", meldete Poul, die Künstliche Intelligenz.

Rechts neben ihnen stand der großzügige Wohnkomplex, in dem sowohl der Dai als auch der Daina ihr Domizil hatten. "Und warum fährst du dann nicht ins Parkhaus?"

"Es kam gerade eine Eilnachricht vom Rat Heeter Janis. Er ersucht deine sofortige Anwesenheit und die des Reyan Maxus Kydranis."

"Wann kam diese Nachricht an?", fragte Latiss.

"Gerade als ich ins Parkhaus setzen wollte. Ich habe dann entschieden, den Bodenwagen nicht hinein zu fahren und dir die weitere Entscheidung zu überlassen."

"Danke, Poul. Fahr uns ins Ministerium." Latiss seufzte. "Dieser alte Raubvogel. Er hat also gewusst, dass du gerade zurück gekommen bist. Und er hat gleich zugeschlagen."

"Er hätte das nicht getan, wenn es aus seiner Sicht nicht wichtig wäre", warf Kydranis ein. "Du kennst ihn."

"Nur zu gut", erwiderte Latiss, während der Bodenwagen wendete und wieder in Richtung Highway fuhr, zurück nach Atlas. "Aber wäre er etwas schneller gewesen, dann hätten wir uns einen Weg gespart."

"Das stimmt allerdings. Aber wenn der alte Jäger ruft, dann ist irgendwas im Busch."

"Das ist ja das Problem. Poul, benachrichtige Altea, dass wir aufgehalten wurden. Wir wissen noch nicht, wie lange die Verzögerung dauern wird."

"Ich informiere deine Schwester, Latiss."

"Altea ist hier?" Kydranis lächelte. "Das ist ja eine tolle Überraschung."

"Und es wäre eine noch viel bessere geworden, wenn du ihr plötzlich gegenüber gestanden hättest", murrte Latiss.

"Aber weniger freuen könnte ich mich nicht", wandte Kydranis ein.

Das ließ nun auch den Dai lächeln. "Da hast du natürlich Recht. Also, hören wir uns an, was der alte Raubvogel zu sagen hat."

***

Wie alt der Rat für Geheimdiensttätigkeit Heeter Janis war, wurde in den Websites offiziell mit dreitausend lemurischen Jahren beantwortet. Und in dieser Zeit hatte er eine Menge bewegt, war für einige Jahrhunderte selbst Oberhaupt des Rats gewesen, hatte auf fernen Planeten Kolonien aufgebaut, sich um die Diplomatie und den galaktischen Frieden verdient gemacht - in Zeiten, die heute so viel leichter erschienen. Wie alt er aussah: So in etwa wie ein hundertjähriger Protomensch aus den Ebenen des Kontinent Firkas, aus denen sich Dai und Daina entwickelt hatten. Und die noch immer die weiten Savannen durchstreiften, während sich ein anderer Zweig ihrer Vorfahren an das Leben im Baumbewachsenen Dschungel gewöhnte. Ihre direkten Vorfahren hatten früh am Meer gesiedelt und eine fruchtbare Ecke Firkas gefunden. Die sehr gute Versorgung mit Fisch und Fleisch hatte sie sehr schnell von primitiver Steinzeit-Intelligenz zu komplexer, abstrakter Intelligenz geführt, und sie hatten die weiten Küsten besiedelt und urbar gemacht. Schade nur, dass mit dem Ende der Eiszeit die meisten Städte und Kulturstätten dieser Epoche weiter auf den Kontinentalschelf in größere Höhen verlegt werden mussten, weil das Tauwetter der Gletscher den Meeresspiegel um einhundert Meter ansteigen lassen würde. Aber bis dahin waren es noch dreißig- vierzigtausend Jahre. Mindestens. Wenn man halt ans Leben am Meer gewohnt war, dann musste man in den zukünftigen Überschwemmungsgebieten siedeln. Da aber selbst die meisten Dai diese Zeit nicht mehr erleben würden, war sich Latiss relativ sicher, dass die Dai und Daina, die in jener Zeit leben würden, relativ gut damit umzugehen verstehen würden. Möglicherweise. Von einer künstlichen Ausdehnung der Eiszeit hielt er persönlich nicht besonders viel, obwohl der Vorschlag seit Jahrhunderten im Raum stand. Der gesamte Küstenstreifen Firkas, an manchen Stellen hunderte Kilometer breit und mehr als achttausend lang, auf dem sich ein Großteil des Daina-Daseins abspielte und ein Großteil ihrer Kultur darstellte, würde irgendwann vom Meer verschlungen werden. Das war für manche schon irgendwie romantisch. Für andere war es ein finanzieller Verlust, dem entgegen gewirkt werden musste. Selbst hier auf Atlantis würden die jetzigen Küsten versinken und damit auch Mu verschlingen. Aber nicht das höher gelegene Atlas. Und davon abgesehen würden tatsächlich noch mehrere zehntausend Jahre vergehen, bevor sie sich überhaupt entscheiden mussten, was sie tun wollten.
 

"Einen Credit für deine Gedanken", sagte Kydranis.

Latiss schreckte hoch. "Was? Oh, entschuldige. Ich dachte nur an das Ende der jetzigen Eiszeit und die Auswirkungen auf die jetzigen Küstengebiete. Und an unsere Möglichkeiten."

"Ach, das alte Thema? Hast du vergessen, was man uns im Geologie-Unterricht beigebracht hat?"

"Was genau?"

"Dass nicht die Eiszeit, sondern die eisfreie Zeit der Normalzustand der Erde ist. Also höre auf zu grübeln und überlasse es zukünftigen Generationen, sich an die veränderten Zeiten anzupassen. Dann haben wir vielleicht auch ein paar neue Volksstämme an Daina auf der Erde, wenn sich die unsere Savannen-Vorfahren mit dem zurückgehenden Eis über die Erde ausbreiten in Bereichen, die wir nie der Besiedlung für notwendig erachtet haben."

"Meinst du, in ihnen wird genauso schnell der Funke der abstrakten Intelligenz erwachen, der nicht nur zum Bau von Werkzeugen, sondern auch zum Bau von Maschinen befähigt?"

"Ich habe keine Ahnung, alter Freund. Aber ich finde deine Gedanken dazu faszinierend. Ich wünschte, ich könnte mir die Welt dann ansehen, nach der Eiszeit. Obwohl man ja stark annimmt, dass der Rückgang des Eises noch nicht das Ende der Kaltperiode sein wird. Es werden wohl noch ein, zwei, vielleicht drei Kaltperioden kommen. Vielleicht werden sie heftig genug, das sie die ganze Erde zu bedecken drohen. Dann können wir mal über ernsthafte Abwehrmaßnahmen reden." Er hüstelte trocken. "Ich meine, unsere Nachfahren können das dann."

"Dann hast du also vor, Nachfahren zu hinterlassen?", stichelte Latiss.

"Natürlich. Und das am liebsten mit deiner Schwester. Was meinst du wird sie bevorzugen? Invitro-Technologie, oder eine Schwangerschaft auf traditionelle Dai-Art?"

"Du glaubst doch nicht, dass ein Dai es aushält, fast zehn Monate die gleiche Form beizubehalten, nur um ein Kind auszutragen?", fragte Latiss irritiert.

"Na, für mich ist das kein Problem", scherzte Kydranis.

"Ha, ha, sehr komisch. Du verstehst uns Dai einfach nicht. Aber es gibt ein Argument, das für eine traditionelle Schwangerschaft spricht, und nicht für einen Bruttank."

Kydranis zwinkerte. "Das machen?"

"Nein, du Idiot. Als Dai kann die Schwangerschaft unmöglich durch das Extra-Gewicht ihren Körper ruinieren."

"Ah, Logik. Meinst du, das wird sie überzeugen?"

"Was weiß ich? Sie ist meine Schwester. Frag sie doch selbst."

Die beiden Freunde sahen sich an und begannen zu lachen.

"Wunderbar, wie wir uns die Bälle zuspielen", ächzte Kydranis und wischte sich eine Lachträne fort.

"Ich sehe meiner Zeit als dein Suppressor mit Zuversicht entgegen", erwiderte Latiss mit einem leisen Kichern.

"Und ich sehe der Zeit alleine mit deiner Schwester mit Zuversicht entgegen."

Latiss schnaubte amüsiert. "Was tust du, wenn ich ihr alles, was wir hier gesagt haben, haarklein erzähle?"

Kydranis lachte. "Was sollte sie mir tun? Ich bin ein Reyan Maxus."

"Nun, sie könnte dann tatsächlich mit dir Kinder zeugen wollen."

Dem Daina fiel die Kinnlade herab. "Habe ich was verpasst?"

"Nur die letzten fünf Jahre. Wundert es dich nicht, dass sie Zuhause auf dich wartet?", stichelte der Dai.

"Wir kennen uns seit siebzig Jahren. Nein!", erwiderte Kydranis bestürzt.

"Oh. Na dann wird es nachher bestimmt noch lustig."

Der Bodenwagen fuhr in das Parkhaus ein, das zum Ministerium für Geheimdiensttätigkeit gehörte. Latiss verschaffte ihnen mit seinem Permit Eintritt, und der Bodenwagen parkte in einer Nische, die extra durch Umsetzung eines anderen Fahrzeugs für ihn geschaffen wurde.

"Na dann wollen wir uns doch mal anhören, was es so wichtiges gibt, das deine Willkommen zurück-Party verzögert", seufzte Latiss.

"Du hast eine Party organisiert?"

"Ups, verplappert." Der Dai grinste schief.
 

Fünf Minuten später saßen sie in Heeters Büro. Der uralt wirkende Dai begrüßte sie mit Snacks und Getränken und ließ sich zuerst von Kydranis eine Einschätzung der Lage geben, so wie kurze Zeit zuvor Latiss.

Er hörte aufmerksam zu, nickte an manchen Stellen und legte die ohnehin schon faltige Stirn in noch mehr Falten. Als der Reyan seinen Bericht beendet hatte, ließ er Latiss eine Analyse abgeben. Auch dieser hörte er still zu. Als beide fertig waren, kratzte er sich ausgiebig am Kinn. "Meine Herren. Halten Sie zwei Dinge für möglich: Erstens, dass die neunzehn Konfliktparteien Material von außen bekommen, jenseits der Einflusssphäre der Dais, und zweitens, dass die Gruppe, die das Material zur Verfügung stellt, die Konflikte schürt oder sogar steuert?"

Kydranis riss entsetzt die Augen auf. "Mit welcher Intention, Rat Janis?"

"Zweifellos mit der Intention, die Daima rund um das Daina-Territorium zu schwächen. Eventuell mit der Intention, die Daima in einen Krieg mit uns zu treiben, wegen unserer permanenten Einmischung."

"Ist das nicht etwas weit hergeholt?", fragte Latiss zweifelnd.

"Es gibt Beweise, dass sowohl Material als auch Technologie zu den Daima geschleust wird, die nicht auf unseren technischen Prinzipien beruht. Wir fragen uns also woher diese Technologie kommt, und warum sie heimlich importiert wird. Und warum sie augenscheinlich allen derzeitigen Kriegsparteien zur Verfügung gestellt wird. Und wir fragen uns auch, wie es in den Daima-Nationen aussieht, die zur Zeit nicht in Konflikte involviert sind. Wir fragen uns, ob sie sich auf einen Schlag gegen das Daina-Reich vorbereiten. Just in diesem Augenblick, zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Großteil unserer Flotte irgendwo gebunden ist."

Der Rat ließ diese Informationen bei den beiden Männern sacken. "Ich habe Dai ausgeschickt, die genau das untersuchen sollen. Die ersten Informationen, die mich in den letzten Tagen per Kurier erreicht haben, lassen zumindest auf die Richtung schließen, aus der die Technologie fließt." Der alte Dai deutete auf den Reyan Maxus. "Kydranos, ich will, dass du die ADAMAS nimmst, und der Sache auf den Grund gehst. Folge ihr bis zur Quelle. Und ich meine, bis zur endgültigen Quelle." Sein Finger wanderte zu Latiss. "Du wirst ihn begleiten. Du, und zwei weitere Dai, die als Suppressoren dienen werden. Dazu ein vielseitiges Einsatzteam unserer Gegenspionage. Und die übliche voll ausgefüllte Besatzung für ein Kommandoschiff sowie die standardgemäße Begleitflottille. Ihr kriegt vom Besten, was wir abziehen können, ohne aufzufallen." Er seufzte. "Zumindest nicht zu sehr."

Der alte Dai schob zwei altertümliche Papiermappen zu den beiden herüber. "Hier sind die Dossiers. Auswendig lernen und dann vernichten. Nur Ihr zwei seid über den Hintergrund dieser Mission informiert. Außerhalb dieses Büros weiß nur der Rat davon und billigt die Aktion. Ihr werdet eure Leute immer nur so weit informieren, wie es für den Auftrag notwendig ist. Das wäre dann alles. Ihr brecht in vier Wochen auf."

"Wieso erst in vier Wochen?", fragte Kydranos. "Ich kann sofort..."

"Weil du gerade erst zurückgekommen bist, weil wir noch Vorbereitungen treffen müssen, und weil ich keine Ahnung habe, wie lange diese Mission dauern wird. Du hast dir zumindest einen kleinen Urlaub verdient. Und ich glaube nicht, nein, ich hoffe nicht, dass diese vier Wochen zwischen uns und einem gigantischen Krieg stehen."

"Vier Wochen also. Eine Mondphase." Latiss nahm seine Mappe an sich. "Wir werden die Zeit zu nutzen wissen."

Kydranis nahm auch seine Mappe an sich. "Danke für diesen Auftrag. Wir geben unser Bestes, Rat Janis."

"Das weiß ich", erwiderte der alte Dai, als sich die beiden erhoben. "Deshalb habe ich euch ja gewählt. Und jetzt ab mit euch. Wartet da nicht noch eine Party auf den Ehrengast?" Er zwinkerte den beiden zu. "Ich hoffe, ich habe euch nicht so viel Zeit gekostet, dass die Feier jetzt verdorben ist."

Die beiden Freunde sahen sich erstaunt an. Heeter Janis war nun mal der Rat für Geheimdiensttätigkeit. "Nein, Rat Janis. Ich denke, diese halbe Stunde hat die Stimmung nicht vernichten können", sagte Latiss fröhlich.

Die beiden deuteten eine Verbeugung an, dann verließen sie das Büro.

"Und was jetzt?", fragte Latiss. "Rüber zum Hafen und die Ausrüstung der ADAMAS überwachen?"

Kydranis grinste. "Du hast doch gehört, was der alte Mann gesagt hat. Ab zur Party. Für mich klang das nicht wie eine Suggestion, mehr wie ein Befehl."

"Auch wieder war", sagte Latiss fröhlich, legte eine Hand um Kydranis' Schulter streckte die andere Hand zur Faust geballt in die Höhe, und rief: "Party, wir kommen!"
 

5.

Die Fuchs-Dai fühlte sich, als würde sie in einem großen Dèjá-vu stecken, als sie ihre Ausrüstung kontrollierte, ihre Verpflegungsration entgegen nahm und probeweise ihre rechte Hand zu einer Schwertklinge ausbildete. Doch diesmal war einiges anders. Diesmal hatten sie keine fünfhundert Kilometer Anmarschweg. Und diesmal waren es nicht nur sechs Dai, die sich bereit machten, sondern diese sechs Dai und etwas mehr als fünfhundert Soldaten, die, so gut wie möglich gegen die Strahlung geschützt, den Auftrag hatten, den Werftbereich zu verlassen und so viele Vernichter wie möglich zu erobern. Die Dai hingegen hatten den Auftrag übernommen, das Zentralgehirn zu vernichten.

Kitsune sah ein letztes Mal zum provisorischen Supercomputer herüber, der gerade mit den letzten zehn Freiwilligen bemannt wurde. In der Tiefe summten die Generatoren wieder ein wenig leister, als der dritte dreistündige Aufweckzyklus begann, und erneut weniger Leistung an Energie eingefordert wurde.

Eine kräftige Hand schlug ihr auf die Schulter. Es war Rickar. "Bist du bereit, furchtlose Anführerin?"

"So bereit, wie man sein kann." Sie verwandelte ihre Hand zurück und vergewisserte sich, dass der Neuroschocker an seinem Platz war. Ihr nächster Blick ging zur Uhr: Missionsbeginn in zehn Minuten. Verdammt, warum musste sie sich in so einem Moment ausgerechnet um Akira Sorgen machen? Von allen Daina die sie kannte war er doch derjenige, um den sie sich am wenigsten sorgen musste. Der konnte auf sich alleine aufpassen. Außer, er wurde als reines KI oder gleich als kompletter Mensch entführt, zugegeben.

Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Für die Mission, die weit schwerer war als der ursprüngliche Angriff auf die Werft, musste sie einen klaren Kopf haben.

"Dai-Pengin-sama, wie hättest du dich an meiner Stelle entschieden? Was hättest du geplant?", murmelte sie leise vor sich hin. Aber das half nichts. Der Herr der Pinguine, Herr des zweitgrößten Kriegerclans der Dai, war nicht mehr und konnte ihr nicht mehr antworten. Nie mehr.

Sie seufzte verhalten. Er hätte nicht viel anders gemacht als sie. Nicht bei dieser Ausgangslage.

"Alles in Ordnung?", fragte Rickar vorsichtig.

Kitsune erhob sich. "Alles in Ordnung. Nur ein kleiner Erinnerungsflashback an die Vergangenheit. Ich bin hier und bereit."

"Gut. Immerhin ist es dein Plan, und ich habe Vertrauen in dich. Wir alle haben Vertrauen in dich", betonte er.

Ergriffen sah Kitsune den Dai an und bot ihm spontan die Hand. Der große Mann lächelte erfreut und ergriff die dargebotene Hand, um sie mit festem Druck zu drücken.

Dann nickten sie einander schweigend zu und gingen zu ihren vier Gefährten, die ebenso wie sie in den Vorbereitungen steckten. Bald würde sich alles entscheiden. Einfach alles. Unter anderem ob sie leben durften oder sterben würden.

***

"Ich wünschte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen", murmelte ich vor mich hin, während ich mit Hilfe der Daina-Schatten eine funktionierende Waffenverteilung aufbaute und Teile der Abwehr an sie übergab. Kydranos war mir dabei in einer Art Leutnantsfunktion eine große Hilfe. Er kannte die anderen Schatten besser und länger als ich und sortierte ihre Aufgaben vor. Arhtur erhob keine Einwände. Das wäre allerdings auch schizophren gewesen, da die Schatten, soweit ich das verstanden hatte, irgendwie ein Teil von Arhtur waren. Und wer protestierte schon gegen die eigenen Aktionen?

"Wer hat das gesagt? Wellington?", fragte Mother neben mir.

Erschrocken fuhr ich zusammen. "Mother, was machst du denn hier?"

"Ich habe mich gefragt, wo du bist. Und Arhtur hat mir dann nach bangen elf Sekunden gestattet, dir zu folgen. Ich finde diese Ebene übrigens sehr interessant. Auch wenn sie mit verfälschten Perspektiven arbeitet. Die meisten Objekte da oben könntest du nicht mal sehen, wenn du ein paar hundert Meter statt zehntausender Kilometer entfernt wärst." Sie zwinkerte mir zu. "Also, von wem ist die Aussage? Von Wellington oder dem Prinz von Oranien?"

"Wellington, in der Schlacht von Belle-Alliance, auch Waterloo-Schlacht genannt", sagte ich.

"Und was wollte er damit ausdrücken?"

Ich lächelte dünn. "Dass er eine Pause oder eine Entlastung haben wollte. Entweder ein Ende der Kämpfe durch die herein brechende Nacht, oder eine Verstärkung in Form der preußischen Armeekorps."

"Nun, mit Verstärkung kannst du hier kaum rechnen, Akira. Und mit der Nacht erst recht nicht. Was also meintest du mit dieser Aussage?"

Ich runzelte die Stirn. Eigentlich waren mir die Worte ganz spontan in den Sinn gekommen. "Nun... Eigentlich nichts Bestimmtes. Vielleicht, dass das Schicksal diesmal zu mir besonders nett sein sollte. Ich meine, die Schatten leisten gute Arbeit, wir haben zusammen schon etwa ein Hundertstel der Brocken vernichtet, die der Flotte gefährlich werden könnten, oder für unseren Schirm zu groß und zu schnell sind. Aber selbst Zeitverzögert stehen wir irgendwann vor der Entscheidung, welche Brocken wir zerschießen und welche wir durchrutschen lassen. Ganz einfach aus dem Grund, dass wir nur eine limitierte Anzahl an Waffensystemen haben, die mit hyperbeschleunigten, supermassereichen Trümmern fertig werden können. Alles was nur darauf ausgelegt ist, einen Banges zu beschießen, schafft nur Winztrümmer, und die dürfen ruhig im Schirm verglühen."

"Multipler Beschuss durch die kleinen Geschütze?", hakte Mother nach.

Über mir rauschte ein Schwarm von über einhundert Raketen dahin, als Ziel war einer der mehrere Meter durchmessenden Brocken markiert, die knapp am Schirm vorbei schrappen würden und die AURORA gefährden konnten, wenn es unglücklich lief. Und was lief an dieser Situation schon glücklich? "Beschränkter Erfolg, weil die Geschütze weit auseinander liegen und koordiniert werden müssen. Wir versuchen es, später, wenn uns der Arsch auf Grundeis geht. Im Moment tarieren sich effektive Geschütze und Ziele."

"Hm", machte sie, "und wenn du in deinem Prime Lightning raus gehst?"

"Damit ich der ADAMAS meine Energie als Reyan Maxus versage?", fragte ich lauter als ich vorgehabt hatte. Ich runzelte die Stirn. "Moment mal, das fällt mir jetzt erst auf. Wo ist diese Energie? Ich meine, die Schirmleistung und die Waffenleistung liegt in vollkommen normalen Parametern."

"Aaaaa-haaaa", machte Mother und grinste mich an.

"Arhtur!" "Ja?"

"Wo ist meine Reyan Maxus-Energie?"

"Ich puffere sie, um sie zur Verstärkung der Schilde verwenden zu können, sobald das notwendig wird. Du hast mir keinen spezifischen Verwendungszweck angegeben, Meister Arogad, deshalb habe ich mich für die sinnvollste Variante entschieden."

"Oh. Und, wird meine Energie etwas bewirken?"

Die Computerstimme schien verlegen zu sein. "Ehrlich gesagt wird sie das, aber weniger als erwartet. Irgend etwas ist anders mit deinem AO, Meister Arogad. Kompatibel, aber... Anders. Ich beobachte das und diskutiere es mit Kydranos und den anderen."

"Anders?", echote ich. "Wie, anders?"

"Könnte ich darauf antworten, hätte ich es schon längst getan, Meister Arogad", sagte der Schiffscomputer mit tadelnder Stimme. "Ich hoffe, daran zweifelst du nicht."

"Okay, mein KI ist anders als das der anderen Maxus. Wie anders?"

"Schwächer. Erheblich schwächer. Und es hat die falsche Signatur. Ich kann sie verwenden, aber... Sie ist halt nicht so ergiebig, wie ich schon sagte. Eine Verbesserung ist sie allemal."

"Schwächer also. Und dabei hätte ich beinahe meine ganze Umgebung aufgelöst", murmelte ich.

"Darin liegt vielleicht die Lösung", erwiderte Arhtur. "Du bist zu schnell zu weit gekommen. Eventuell pendelt sich die Energie auf die gewohnten Werte ein. Bis dahin muss ich mit dem arbeiten, was ich von dir kriege."

"Na, das klingt ja nicht gerade begeistert", sagte ich.
 

Weit voraus explodierte die Raketensalve und vernichtete einen mittelgroßen Trümmerrest, der ansonsten eine Gefahr für den Schirm gewesen wäre. Es wurde ein nettes Feuerwerk.

"Du bist in der Tat sehr schnell zum Maxus geworden", sagte Mother. "Es war ein wenig so, als hätte es jemand nicht erwarten können, dich auf der nächsten Stufe zu sehen. Oder so als ob er eine Entscheidung herbei zwingen wollte."

"Aha." Spontan fiel mir der alte Knabe aus dem Paradies der Daima und Daina wieder ein, der versucht hatte, mich zu töten indem er mich restlos von meinem Körper getrennt hatte. Eine furchtbare Erfahrung, vor allem weil ich seitdem ein Adler war. Irgendwie. Hatte er also gar nicht versucht mich zu töten? War es anders herum? Zugegeben, ich war verwirrt.

"Später", sagte ich und schob den Themenkomplex komplett von mir fort.
 

"Ich beginne jetzt mit der Einspeisung deines AO, Meister Arogad. Nur auf die Schirmfelder", informierte mich Arhtur.

Der Schirm war von meiner Position aus gesehen eine große goldene Blase, die um die ADAMAS geformt worden war. Ich konnte sie sehen, von jedem Punkt an der Oberfläche der ADAMAS aus, und das gleichzeitig. Das war, zugegeben, etwas verwirrend. Ach, nicht nur etwas verwirrend, es war merkwürdig, das so zu erleben und zu erkennen, dass man es problemlos verarbeitete.

Übergangslos wurde das Schirmfeld blau. Die Trümmer, die wegen ihrer geringen Größe nicht abgeschossen wurden und deshalb im Schirm landeten, verursachten weitaus geringere Schirmbelastungen als noch Augenblicke zuvor. Es gab eine Minderung von achtunddreißig Prozent.

"Nanu?", meinte Mother. "Arhtur, hast du nicht etwas davon gesagt, dass dieses KI schwächer wäre als das, was du üblicherweise von einem Reyan Maxus bekommst? Ich kann mich irren, aber zwei Fünftel Effizienssteigerung sind doch recht beachtlich. Bei einem Schirmfeld, wie sie die ADAMAS betreibt, zumindest."

"Es könnte durchaus mehr werden", antwortete Arhtur pikiert auf Mothers Einwand.
 

"Akira." Übergangslos stand der Reyan Maxus Kydranis vor mir. "Das solltest du sehen."

Er deutete nach oben. Ein Schwarm großer Trümmer zischte am Schirm vorbei, weit entfernt von der AURORA, weshalb wir uns nicht die Mühe gemacht hatten, sie zu vernichten. Aber eine diskrete Anzeige wies mich darauf hin, dass wir sie ohnehin nur mit den Steuerbordgeschützen hätten treffen können, weil die Backbordbatterien ausgelastet waren. Ich spielte mit dem Gedanken, sie zu beschießen und sie damit zu verkleinern. Aber dann ließ ich es doch. Ich wollte es sehen. Ich wollte sehen, was die Maxus-Schatten mir prophezeit hatten. Merkwürdigerweise vertraute ich ihnen. Noch, zumindest.

***

Unwillkürlich drückte Sakura die Hand, die sich auf ihre Schulter gelegt hatte. Sie gehörte Tetsuo, und es beruhigte sie ungemein, seine Nähe zu spüren. Für einen winzigen Moment fragte sie sich, ob sie sich in den großen Mann auch verliebt hätte, wenn er immer noch ein verfetteter Rocker in den Straßen von Tokio gewesen wäre, anstatt der muskulöse, ja, athletische Offizier, der das wichtigste Fernraumschiff der Menschheit kommandierte. Die Antwort war ja... Wenn sie jemals die Gelegenheit gehabt hätten, einander kennen zu lernen.

Sie betrachtete die ultraheißen, schnellen Brocken, die am Schirm der ADAMAS vorbei drifteten und binnen eines Gedankens das Wurmloch durchquert hatten. Sie sah die Trümmer in der gegenüberliegenden Wand einschlagen, sah die grelle Verfärbung der Explosionen... Oder was sah sie da?

***

Als das Fernsehen zeigte, wie die Trümmer des zerstörten Strafers in die andere Seite des Wurmlochs einschlugen, überschlug Yoshi schnell ein paar Berechnungen im Kopf, was die Masse der Objekte betraf. Er kam schließlich auf einen Wert, der einem durchschnittlichen Trümmerstück die Newton-Kraft eines zwanzigstel Strafers im Ruhezustand nachwies, zustandegekommen durch eigene Masse und Beschleunigung. Demnach rammte da gerade die gleiche Kilotonnenanzahl das Wurmloch von innen, die zehn unbeschleunigte Strafer ausgemacht hätten. Das war selbst für die Physik eines Wurmlochs etwas viel. Oder nicht?

Als sich helle Blitze über die Wurmlochwand zogen, fragte sich Yoshi wiederholt, was dieses Medium war, das er immer wieder mit einer festen Wand assoziierte. Und ob es ähnliche oder vollkommen fremde Eigenschaften hatte. Verdammt, hätte er in Wurmlochphysik nur besser aufgepasst.

Yohko zuckte kurz zusammen, als ein besonders heftiger Blitz über das Aufschlagsgebiet ging. Er drückte beruhigend ihre Hand, aber sie achtete nicht darauf.

"Bruderherz", flüsterte sie. "Dass darauf niemand gekommen ist... Dabei ist es so naheliegend."

"Was meinst du?", flüsterte Yoshi ihr ins Ohr, sie fest haltend in ihren letzten gemeinsamen Momenten.

Sie deutete nach vorne. "Na, das."

***

Es war ein gewisser Nervenkitzel, der eigenen potentiellen Vernichtung zuzuschauen, gestand sich die Herrin des Cores, als die Aufnahmen auf der Multitafel das drohende Ende des Wurmlochs abbildeten. Sie fragte sich, ob ihr geballtes Wissen aller Daima und Daina im Paradies nicht etwas hätte ausrichten können, etwas verändern können. Sie fragte sich, warum nicht ein einzelner der Paradies-Bewohner, die alle zu ihrer Erschaffung einen Splitter ihrer selbst geopfert hatten - seltsam, dass diese Methode nur Mädchen erschuf - in einer ähnlichen Situation gesteckt, sie überlebt und darüber berichtet hatte. Andererseits waren seit dem ersten Auftauchen des eindringenden Wurmlochs und dem Einschlag auf der anderen Seite gerade einmal dreieinhalb Minuten vergangen. Etwas spät für sie, um in ihrem Wissen zu kramen und eine Lösung zu finden.

Und das, obwohl sie die Lösung längst hatte, eine beruhigende, einlullende Stimme, die ihr einredete, dass der Reyan Maxus vollkommen richtig handelte, und dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Jedenfalls nicht vor den Trümmern, die vor ihren Augen in die andere Seite des Wurmlochs einschlugen.

"NATÜRLICH!", rief sie aufgeregt und sprang auf.

Sensei Kurosawa sah sie mit fragend hochgezogener Augenbraue an.

"Es ist doch so einfach!", rief Chausiku aufgeregt. "Bei kollidierenden Wurmlöchern gibt es nur eine natürliche Lösung, und die sehen wir gerade hier! Sie entstehen ja erst dadurch, dass man von einer Schwerkraftsenke eine andere anzapft, quasi die Raumzeit näher zu sich heranholt!"

"Und?", fragte ihre Lehrerin.

"Und deshalb geschieht das!", rief sie und deutete wieder auf die Tafel. Aufgeregtes Raunen klang im Klassenraum auf. Es geschah.

***

Ich gebe zu, ich war beeindruckt. Nein, das traf es nicht. Ich war schwer beeindruckt. Und erschrocken. Zu Tode. Und unzufrieden. Ein wenig beleidigt, kam da noch zu. Zornig? Nein. Auf jeden Fall beeindruckt.

"Irgendwie ist das ja logisch", murmelte ich mehr zu mir selbst, während mir die Ebene detailliert zeigte, was mit den Trümmern geschah, die auf der anderen Seite des Wurmlochs gerade einschlugen. Na ja, einschlugen, was für ein falsches Wort. Die richtige Definition war "weiterflogen". Genau das taten sie - in dem Wurmloch, das sich gerade öffnete. Der anderen Hälfte des Wurmlochs, das unseres perforiert hatte.

"Ja, das ist es", sagte Mother und schauderte. "Wir springen von Sonne zu Sonne, indem wir die Schwerkraftsenken verbinden, eine Abkürzung durch Raum und Zeit schaffen. Als der Strafer vor seiner Zerstörung versuchte, unser Wurmloch zu treffen, muss er eine andere Raumzeitsenke anvisiert haben. Das Wurmloch konnte gar nicht entstehen, ohne diese zweite Raumzeitsenke, ohne das Wurmloch. Ich nehme an, es bildete sich verzögert, weil unser Wurmloch durch die mitgebrachte Raumzeit selbst als kleine Senke fungiert hat. Und nun ist endlich die andere Hälfte hinzu gekommen. Die Trümmer, die nicht die ADAMAS oder die AURORA treffen werden, fliegen einfach weiter bis in ihr Zielgebiet." Mother lachte leise. "Die Götter müssen verrückt sein, wenn sie gehofft haben, unser Wurmloch angreifen zu können, um die AURORA mit den Trümmern des Strafers zu treffen. Also, da ist Lotto aber wesentlich effektiver und mit höheren Chancen."

Ich lachte rau. Denn Mother vergaß dabei offensichtlich, dass die AURORA ohne den Schutz durch die ADAMAS wenn nicht schon zerstört, so doch wenigstens beschädigt war. So schlecht konnten die Computer der Götter also doch nicht zielen. Ich fragte mich nur, wie sie uns angepeilt hatten? Oder war es wirklich ein Schuss ins Blaue gewesen, rein aus Risiko? Dafür sprach unter anderem der suizide Angriff auf den Kaiserpalast auf Iotan, der die Götter etliche Strafer gekostet hatte.

Darüber würde ich nachdenken müssen. Darüber würde ich mit meinen Vertrauten sprechen müssen. Natürlich per Funk, leider nicht persönlich.

Ich blickte wieder nach oben. Wir hatten das Wurmloch beinahe passiert. Die Flotte meldete Schäden an der AURORA und den Begleitschiffen, aber nichts, was schwerwiegend gewesen wäre. Dennoch, jedes Trümmerstück, das an mir vorbei gekommen war, war selbst als Staubkorn eine kleine Bombe gewesen. Aber wir waren durch, und ich konnte den Rest der Trümmer seinen Weg durch das Wurmloch nehmen lassen. Erleichtert atmete ich aus.

"Was jetzt, Arhtur?"

"Du wirst jetzt einige Zeit auf dieser Ebene ruhen müssen, Meister Arogad. Dein Körper wurde überanstrengt. Ich habe ihn für acht Stunden in Heilschlaf versetzt und versorge ihn mit Flüssigkeit und Nahrung."

"Sehr fürsorglich", sagte ich unbehaglich. Ich hatte nichts gegen diese Ebene. Ich mochte es nur nicht, keine Kontrolle über meinen eigenen Körper zu haben. Für andere mochte das lächerlich klingen, aber was wenn das Biest aufstand, die Kapsel verließ und mich im Stich ließ? Ausgerechnet bei mir war das zumindest möglich. Und das irritierte mich.

"Können wir auf das normale Zeitniveau zurückkehren?"

"Natürlich, Meister Arogad."

Übergangslos wurden die gemächlich dahin ziehenden Trümmer beschleunigt und schossen als kuriose Feuerbälle über die ADAMAS hinweg, auf ihrem Weg in ihr anvisiertes Sonnensystem. Ein farbenfroher Anblick.

"Sieht nett aus", kommentierte Mother.

"Meister Arogad, ich empfange zahlreiche Anrufe von der AURORA und der Flotte", sagte Arhtur. "Es sind ausschließlich Gratulationen zur Rettung der Expedition. Zuoberst natürlich Admiral Ino und Admiral Takahara."

Ich unterdrückte ein leises Lachen. "Nach der Pflicht kommt die Kür, hm? Erschaff mir ein Terminal. Ich schätze, ich habe acht Stunden Zeit, um sie alle zu beantworten."

"Sofort, Meister Arogad."

Vor mir entstand das virtuelle Terminal, und ich nahm die Gratulation von Sakura entgegen.

Um mich herum sammelten sich die Reyan-Schatten. Ich hörte sie über mich reden, und es erfüllte mich mit Stolz, als ich hörte, was sie über mich sagten, und wie sie mich lobten.

"Hallo, Cousinchen", begann ich, "alles in Ordnung bei euch?"
 

Epilog:

Acht Stunden und gefühlte zwei Millionen Anrufe später war meine Ruhephase beendet. Ich wurde aus dem Tank entlassen - und mir brummte heftig der Schädel. So fühlte es sich also an, wenn einem Reyan Maxus das KI entzogen wurde. Viel KI. Bis zur Erschöpfung. "Autsch."

Eine Hand griff nach meiner Rechten und half mir, mich von der Liege zu erheben. "Kopfschmerzen? Ich kann dir was dagegen geben."

"Danke, aber ich lehne Medikamente ab, seit diesem Teufelszeug, das mein KI durcheinander gebracht hat, Megumi. Du weißt schon, damals im Kanto-System." Mein Kopf ruckte hoch. "Megumi?"

Sie lächelte mich an, und das auf eine Weise, die mir durch Mark und Bein ging.

Ich begriff. Solange ich erschöpft war, konnte sie sich auf der ADAMAS aufhalten, ohne dass ich sie gefährdete. Erleichtert zog ich sie in die Arme. "Oh, das fühlt sich gut an."

Jemand räusperte sich hinter mir. Es war Yoshi. "Falls das ausufert, solltest du in deine Kapitänskajüte gehen, Akira. Es gibt Dinge, die muss ich in meinem Leben nicht unbedingt sehen."

"Yoshi! Ihr könnt nicht lange bleiben. Ich weiß nicht, wann ich wieder anfange KI zu fressen. Ich..."

"Akira!", krähte Laysan, schoss heran und umschloss meine Arme. "Ich finde es gut, dass du nicht mehr im doofen Tank stecken musst! Weißt du, Yoshi hat mir einen neuen Trick gezeigt, und ich bin richtig gut darin! Deshalb durfte ich auch mitkommen, mit den anderen..."

Erstaunt sah ich den Siebenjährigen an, während ich seinen Kopf tätschelte. Dabei schwang natürlich die Angst, dass ich ihn mit meiner Fähigkeit verletzen würde, mit. "Die anderen?"

Ich sah ins Rund. Und erschrak. Kenji, Emi, Hina, Doitsu, Sarah, Daisuke, Yohko, Michi und Akari... Maros Jorr, Joan und Makoto, Sora und Franlin, sie waren hier! Und sie waren nicht allein! Ich erkannte weitere bekannte Gesichter. Viele bekannte Gesichter.

"Ami lässt sich entschuldigen. Sie kommt nach, sobald sie Kei den KI-Trick beigebracht hat, den wir alle gerade anwenden", erklärte Megumi und löste sich aus meinen Armen.

Stramm salutierte sie vor mir. "Die Hekatoncheiren, das Blue Lightning-Regiment und das Otome-Bataillon melden sich zusammen mit der Notbesatzung der ADAMAS fast geschlossen an Bord, Commander Otomo! Ihre Befehle?"

"Meine... Befehle? Aber was... Wie...?"

"Mann, hast du eine lange Leitung!", rief Takashi und klopfte mir kräftig auf die Schulter. "Du absorbierst freies KI und gibst es dann unkontrolliert an deine Umgebung weiter! Futabe-sensei hat uns allen nun ein sehr einfaches Verfahren beigebracht, mit dem wir den unkontrollierten KI-Abfluss verhindern. Wir setzen ihn so um, dass du damit nichts anfangen kannst. Sind das nicht tolle Nachrichten? Deshalb haben wir die ADAMAS bemannen können, bis du entweder dein neues Talent im Griff hast, oder deine Pressoren so weit sind!"

"Du hast das auch gelernt?", fragte ich ungläubig.

Takashi lachte rau. "Wenn sogar Laysan das lernt, denkst du nicht, ich kriege das auch hin? Himmel, wie lange bin ich schon mit dabei?"

"Ein gefühltes Jahrzehnt", antwortete ich gebannt von Stolz und Rührung.

Plötzlich durchfuhr mich ein Gedanke. "Das Blue Lightning-Regiment ist auch an Bord? Na, dann wird es ja Zeit für eine ernsthafte Inspektion, Herrschaften! Zufällig habe ich gerade Tonnenweise Zeit."

"Mist", murmelte meine Fioran-Cousine Sora, "ich hatte gehofft, den Part hätte er nicht mitbekommen."

"Eine etwas vage Hoffnung bei Aris Arogad", sagte mein Chefsekretär und klopfte der Naguad tröstend auf die Schulter. Dann folgten sie mir.

"Also, wo finde ich diese Bande?", rief ich gutgelaunt. Die ADAMAS war schließlich groß. Und mächtig. Und jetzt, mit einem Reyan Maxus an Bord, noch ein wenig mächtiger. Und wir würden eine Menge Kampfkraft brauchen, dessen war ich mir sicher.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Ace_Kaiser
2012-09-09T11:28:24+00:00 09.09.2012 13:28
Na ja, der Kydranis-Part sollte ja schon in Folge sieben oder acht anfangen. Aber damals war ich mir über viele Dinge noch nicht im Klaren.
Dass die ADAMAS schon mal eine volle Mannschaft hatte, sollte eigentlich von Anfang an feststehen. Strittig sollte einzig sein, ob ein erwachter Maxus eine volle Mannschaft an Bord hat. Na, jetzt ist das Schiff jedenfalls seiner Bestimmung entsprechend aufgetakelt. ^^V

Hm. Der Trick? Das hatte ich wie folgt beschrieben: Der Reyan Maxus nimmt freies KI und gibt es zerstörerisch an seine Umwelt weiter. Die Idee ist einfach, kein freies KI zuzulassen, quasi die "Löcher" zu schließen, über die das KI diffundiert. Kein freies KI, kein zerstörerischer Reyan Maxus.
Von:  Miyu-Moon
2012-09-05T10:38:50+00:00 05.09.2012 12:38
So endlich mit allen aktuellen kapiteln durch.
Ich hate mich schon gewundert wann der Latiss und Kydranis-Part auftauchen würde. Natürlich musstest du den Part zurückhalten damit Akira auch einen Grund zum wangsten hat, darüber alleine auf dem schiff rumzugondeln. Hätte ja die Spannung kaputt gemacht, wenn du sofort erwähnt hättest, dass die ADAMAS vorher shcon mal ne volle mannschaft hatte.
Was mich aber als Theoretikerin enttäuscht ist dass, du diesesmal nicht wirklich erklärt hast, was dieser ominöse Trick sein soll, der die anderen befähigt an Bord zu kommen. Normalerweise beballerst du deine Leser immer mit solchen Informationen und jetzt hälst du dich zurück?
Was soll man machen, bedeutet vermutlich eher das du zögerlich mit der Info bist, weil das Wie-Konzept noch nicht 100% steht? Ich hab Krieg jetzt abonniert, damit ich künftig keine Updates mehr verpasse.
Von:  Ace_Kaiser
2012-02-01T12:24:52+00:00 01.02.2012 13:24
Ja, ein Jahr pro Kapitel ist ein wenig lang, zugegeben. Aber ich war ja in dieser Zeit nicht untätig. ^^
Hat Mexx Dich nicht automatisch beim Update alarmiert?
Von:  Subtra
2012-01-31T22:37:22+00:00 31.01.2012 23:37
Soviel dazu das du mir bescheid sagst wenn ein neues Kapitel ansteht, aber immerhin hab ich es lesen können ohne extra alle anderen geschichten lesen zu müssen. Hat nen Vorteil wenn man die Story kenn und in etwa weiß was zuvor passiert ist.

Und ich sage dir ich hab hier und da auch gegrinst, lachen darf ich nicht sonst weck ich jemanden neben an. Ich hoffe wirklich das wieder etwas kürze Abstände zwischen den Kapiteln einhältst, ein Jahr pro Kapitel ist etwas übertrieben findest du nicht`?


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