Drei Augenblicke von Corvin-Phelan (Wichtelgeschichte für 7Nine) ================================================================================ Kapitel 1: Ein Ende, ein Anfang und ein Tag im Leben ---------------------------------------------------- Ein Ende... Erschöpft ließ sich Marek in seinem Stuhl zurücksinken und betrachtete seinen Partner, der mit verbissenem Gesicht seinen Bericht abtippte. Gut, dass es Computer und Rechtschreibprogramme gibt, ging es ihm durch den Kopf, sie nehmen uns eine Menge Arbeit ab. Die Müdigkeit und Frustration machte sie anfällig für Fehler. Sein Blick ruhte auf dem jungen Polizisten hinter dem anderen Schreibtisch, der nicht den Eindruck machte als würde er bald zu einem Ende kommen, und seine Gedanken kehrten zum Fall zurück. Sie hatten ihn abgeschlossen, hatten das Schwein erwischt. Der Mistkerl würde für Jahre in den Knast wandern, aber wenn man Marek fragte, war die Strafe immer noch zu lasch. Er hoffte, dass sie ihn wegen Mordes und nicht nur wegen Entführung und fahrlässiger Tötung verurteilen. Aber den Jungen hatten sie nicht retten können. Sein letztes Opfer, das Fünfte. Der Kleine war erfroren, sie kamen zu spät. Wieder einmal. Vor Mareks innerem Auge stiegen die Bilder noch einmal auf. Blonde Locken, die unter einer schmutzigen Decke hervorschauten, ein blasses, engelsgleiches Kindergesicht. Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken und er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. 'Verdammt!' Sein Kollege sollte endlich fertig werden. Er wollte nach Hause zu Florian und seinem Kind und mit ihnen wenigstens die Feiertage verbringen können. Osternester bauen, Eier suchen, wie eine Familie. Marek stand ruckartig auf und ging zum Fenster herüber. Der Blick seines Partners folgte ihm, bevor sich der Polizist wieder auf seinen Computer konzentrierte. Leise seufzend lehnte er sich gegen das kalte Glas und starrte auf die dunkle Straße hinunter. Die Eltern der Jungen würden nie wieder mit ihnen feiern. Sie mussten ihre Kinder begraben. Und das an Ostern, dem Fest der Auferstehung. Er schnaubte leise. Das gab ihnen vermutlich auch keinen Trost, wusste, dass es ihn nicht trösteten würde. Marek sehnte sich nach Florians Umarmung, wollte nichts lieber als sich gegen ihn zu lehnen und die letzten Tage zu vergessen. Der Fall war ihm zu nahe gegangen, das erste Mal seit Jahren. Danny... sein Sohn würde schon schlafen, wenn er nach Hause kam, es war jetzt schon lange nach seiner üblichen Bettzeit. Die blonden Locken würden unter der dicken Daunendecke herausschauen und Flo und er könnten ihn beim Schlafen beobachten. Der Anblick eines anderen Lockenkopfs schob sich vor das friedliche Bild seines Kindes und Marek fröstelte. 'Verdammt!' Er zog den Reissverschluss seiner Sportjacke zu. Kathleen würde ihm nie verzeihen, dass er ihren Sohn zu sich kommen ließ, wenn er wusste, dass er genau dem Opfertyp eines Entführers und Mörders entsprach. Aber er hatte es nicht gewusst, noch nicht. Sie hatten damals nicht geahnt, welche Ausmaße der Fall annahm, verteidigte er sich. Ob vor sich oder vor ihr, konnte er nicht sagen. Vielleicht beides. Für einen Moment glaubte er das vorwurfsvolle Gesicht seiner Ex-Frau zu sehen, die von der Straße zu ihm nach oben in das kleine Büro schaute, doch dann löste sich der Eindruck. Es war nur irgendeine junge Frau, die dort draußen stand, eine Fremde. Er drehte sich um und kehrte zu seinem Platz zurück. „Beil dich“, brummte er. „Ich will heim.“ ...ein Anfang... Einen Moment lang schaute Johanna zu einem Fenster im Gebäude auf der anderen Straßenseite hinauf. Für einen Augenblick sah sie das blasse Gesicht eines Mannes hinter der Jalousie, bevor sie den Kopf schüttelte und weiterging. 'Der sieht so müde aus wie ich mich fühle', dachte sie und musste gähnen. In der vergangenen Nacht hatte sie kaum geschlafen. Ihre Gedanken kreisten nur um ein Thema: Sie, Johanna Jägermann, würde mit Robert, ihrem Freund und Vater ihres Kindes, zusammenziehen. Endlich. Doch so kurz vor dem Umzug wuchsen ihre Sorgen. Vermutlich völlig unnötig, aber sie konnte es nicht ändern. Seit ein paar Wochen fragte sie sich, ob es funktionierte. Würden sie sich weiterhin verstehen oder sich bald jeden Tag streiten? Und konnten sie alleine einen Haushalt führen? Bisher hatte sie im Haus ihrer Eltern gelebt, wollte warten bis sie ihre Ausbildung beendet hatten, bevor sie zusammenzogen. Es war besser für sie und für Lena. Ihre Tochter sollte Eltern haben, die für ihre Familie sorgen konnten und unabhängig waren. Sie sollte nicht verzichten müssen. Das Mädchen gluckste in ihrem Wagen, streckte die kleinen Ärmchen nach ihrer Mutter aus und riss Johanna aus ihren Gedanken. Die junge Frau lachte leise und wühlte in der Tasche, die am Griff des Kinderwagens hing, nach Lenas Stofftier. Sie gab ihr den kleinen Frosch, den die Kleine an sich drückte. „Aber lass ihn nicht fallen“, ermahnte Johanna sie lächelnd. „Dein Hüppi liegt nicht gern auf der Straße.“ Lena nickte ernst, hielt ihren Plüschfrosch noch etwas fester und kuschelte sich zufrieden in die warme Decke. Johanna betrachtete ihre Tochter nachdenklich. Für sie war es bestimmt schön Mama und Papa bei sich zu haben. Sie hing an Robert und Johanna konnte sie manchmal kaum beruhigen, wenn er ging oder zu müde war überhaupt vorbeizukommen. Ja, für Lena war es bestimmt gut. Und für Robert und sie auch, sie würden endlich zusammenleben. Leicht war das sicher nicht, aber sie konnten es schaffen. Das hoffte Johanna jedenfalls. Plötzlich tauchte ein lachender junger Mann vor ihr und dem Kinderwagen auf, schaffte es gerade noch auszuweichen, bevor er mit ihnen zusammenstieß und griff nach der Hand seines Begleiters, der ihn noch ein Stück zur Seite zog. Johanna sah ihnen noch einen Moment hinterher, drehte sich dann um und lief weiter zur Kirche, wo sie sich mit Robert treffen wollte. Nachher vor dem Osterfeuer würde er ihre Hand halten und während das Holz zu Asche herunterbrannte, würden sie Pläne für die Zukunft schmieden. ...und ein Tag im Leben Erik lachte und wich der jungen Frau aus, die ihm und Leon mit einem Kinderwagen entgegen kam. An ihr vorbei, griff er nach Leons Hand und wurde von ihm zur Seite und somit näher zu sich gezogen. Er steckte seine freie Hand in die Jackentasche, spürte seine Handschuhe, die er noch einstecken hatte. Nach Tagen, vielleicht Wochen, hatte heute endlich die Sonne wieder geschienen und Eriks Stimmung, die unter dem kalten, drüben Wetter gelitten hatte, war so gut wie schon lange nicht mehr. Am Morgen war er von Leon mit einem Frühstück im Bett überrascht worden. Erik konnte es kaum glauben: Der Langschläfer Leon war an seinem ersten Urlaubstag freiwillig aufgestanden und hatte ihnen Frühstück gemacht. Gut gestärkt und frisch geduscht waren sie gegen Mittag in die Stadt gegangen. Das Frühlingswetter lockte nicht nur sie nach draußen, überall in den Straßen, Geschäften und Cafés waren Menschen unterwegs. Viele lachten und scherzten, die Kleinen quengelten und bettelten und Leon und ihm wurde der Trubel bald zu viel. Mit ein paar Geschenken für ihre Familien waren sie zurück in ihre Wohnung geflohen. Mit Pizza vom Italiener um die Ecke hatten sie es sich auf dem Balkon gemütlich gemacht und aneinander gekuschelt den Sonnenuntergang beobachtet. Leon war manchmal ein unverbesserlicher Romantiker, aber bei dem Gedanken an die Farben des Abendhimmels und Leons Wärme an seiner Seite konnte Erik nicht anders als den Augenblick zu genießen. Wenig später hatten sie sich umgezogen und waren erneut in die Stadt gegangen. An einem Samstagabend, vor allem in der Ferienzeit war dort immer etwas los. Erik streckte sich zu Leon herüber und versuchte ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, musste aber feststellen, dass es beim Laufen gar nicht so einfach war. Er kicherte, als er nur sein Ohr erwischte. „Oh Mann, ich bin high“, bemerkte er. „Allerdings“, bestätigte Leon lachend. „Ich wusste gar nicht, dass ich eine Droge bin.“ „Nur in Kombination mit Sonnenstrahlen“, gab Erik zurück und zog ihn weiter Richtung Park. In seiner Tasche steckte eine Thermoskanne voll heißem Tee. Die Nacht sollte nicht früh enden, weil einer von ihnen auf der Tanzfläche einschlief. Der Park war menschenleer, als sie ihn betraten. Nur ein paar Laternen spendeten schwaches Licht und Nebel zog über den Boden. „Jetzt fehlt nur noch schaurige Musik und wir haben die perfekte Kulisse für einen Horrorfilm“, meinte Leon plötzlich, der einige Schritte vor gegangen war und sich umsah. Erik schüttelte den Kopf und deutete zum Himmel, an dem nur der fast noch volle Mond sichtbar war. „Ich bin für nen Chick-Flick“, entgegnete er. „Passt besser zu meiner Stimmung.“ Er grinste Leon an und lief über eine Wiese zu einer kleinen Gruppe von Bäumen. Zwischen ihnen, geschützt vor den Blicken möglicher Spaziergänger, breitete er eine Decke auf dem Boden aus und ließ sich darauf fallen. „Chick-Flick? Chick-Flick?“, fragte Leon ungläubig, während er sich neben ihn auf die Decke setzte und den Kopf in seinen Schoß legte. „Ich dachte, du hasst solche Tussenfilme.“ „Tu ich auch“, antwortete Erik und strich ihm durchs Haar. „Aber ich hab keine Lust in nem Horrorstreifen mitzuspielen.“ Leon nickte nur, schaute in die Dunkelheit. Sie schwiegen eine Weile, die Rufe einiger Vögel und weiter entfernter Autos die einzigen Geräusche. Erik betrachtete den Mond, der zwischen den langsam grüner werdenden Ästen hindurch schien, trank ab und zu einen Schluck Tee und lauschte Leons leisen Atemzügen. Wenn es nach ihm ginge, konnte die Zeit in diesem Moment für immer still stehen. Er lachte leise und schüttelte den Kopf. 'Jetzt klinge ich wirklich wie einer dieser Filme', stellte er belustigt fest. „Was ist?“, fragte Leon leise als wolle er die Ruhe nicht stören und sah zu Erik hinauf. „Nichts“, flüsterte Erik ebenso leise zurück, lächelte ihn an und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Nur ein seltsamer Gedanke.“ Leon nickte wieder und setzte sich auf. „Du sollst doch nicht denken“, hauchte er, zog Erik zu sich und küsste ihn auf die trockenen Lippen. Der Kuss begann sanft und zärtlich, wurde mit der Zeit leidenschaftlicher und fordernder. Als Erik Leons warme Haut unter seinen Fingerspitzen spürte, erinnerte er sich, dass sie immer noch im Park auf ihrer Decke saßen. Zwar waren sie vom Weg aus kaum zu sehen, doch die Nacht war kalt und die Feuchtigkeit des Erdbodens drang langsam durch die Decke. Leise seufzend löste er sich langsam von Leon und lächelte ihn an. „Wollen wir noch ins „Nameless“?, fragte er leise. Leon schüttelte den Kopf, grinste Erik verspielt an. „Nein“, murmelte er. „Ich will lieber gleich Eier suchen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)