Maulwürfe und andere Chaoten von Karopapier (Ja, der Titel wird definitiv noch geändert!) ================================================================================ Kapitel 15: Teil 15: Alisha --------------------------- Als sie die Tanzfläche verließen, folgten den beiden unzählige Blicke. Alisha wurde rot. Jeder, den sie kannte, lächelte zuerst höflich Jonas an, um dann verwundert die Stirn zu runzeln, wenn sie Alisha sahen. Sie konnte sich denken, wie sie aussahen: Ein junges Pärchen, auf dem Weg zu einem ungestörten Plätzchen, um sich in aller Ruhe zu unterhalten. Möglichst gerade versuchte sie, Haltung zu bewahren und nicht peinlich berührt den Kopf hängen zu lassen. Sie mit so einem Frauenschwarm – das hätte ihr noch gefehlt! „Ist es so schlimm?“, riss Jonas Stimme sie aus ihren Gedanken. „Bitte?“, fragte sie verwirrt. „Was ist schlimm?“ Er lächelte. „Ich habe dich gefragt ob es wirklich so schlimm ist, mit mir durch die Menge zu laufen“, wiederholte er. Sie waren inzwischen bei einem vergleichsweise schmalen Korridor angelangt, der von zwei marmornen Säulen vom Rest des Saales abgegrenzt wurde und zu dem Teil des Gebäudes führte, in dem ein Hotel untergebracht war. Sie folgte nur widerstrebend, als Jonas sie hinter eine dieser Säulen zog. „Du bist rot geworden wie ein Krebs im Kochtopf“, bemerkte er spöttisch. „Stimmt doch gar nicht“, wehrte sie sich lahm. „Nein, sicher nicht.“ Die kleinen Fältchen in den Augenwinkeln straften seine Worte Lügen. „Ich muss mich verguckt haben.“ „Ich bin wirklich nicht rot geworden!“, verteidigte sie sich stoisch und merkte, wie ihr schon wieder das Blut in den Kopf schoss. „Schon okay“, lachte er. „Es ist ja auch egal. Ich wollte eigentlich nur wissen, ob es dir peinlich ist, mit mir herumzulaufen. Ich weiß, ich hätte wahrscheinlich einen anderen Anzug anziehen sollen...“ Sie unterbrach ihn harsch. „Als ob es damit etwas zu tun hätte“, fauchte sie. „Ich mag es einfach nur nicht, wenn mir der gesamte Saal hinterherguckt, als hätte ich gerade Nacktschnecken bei lebendigem Leibe verspeist!“ „Wieso?“ Das Erstaunen in seinem Gesicht war ehrlich. „Haben sie geguckt?“ „Gestarrt trifft es wohl eher.“ Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Lass sie doch. Daran wirst du dich gewöhnen müssen.“ er spähte hinter der Säule hervor und zeigte auf eine perlenbehangene Frau, die sich auf der Tanzfläche mit einem ausgesprochen unansehnlichen Mann im Kreis drehte. „Wenn sie dir zum Beispiel hinterherschaut, liegt das nicht daran, dass du Schnecken gegessen hast, ob nun lebend oder tot. Wenn du dir einmal den Mann ansehen möchtest, der sie so aus dem Takt mitschleift, wirst du mir sicher zustimmen, wenn ich jetzt sage, sie wäre nur neidisch auf dich. Sie sieht einen jungen Mann, der eine junge Frau hinter sich her zieht. Beide nicht gerade hässlich. Und dann sieht sie vor sich ihren eigenen, sabbernden Ehemann.“ Alisha prustete leise bei dieser nur zu treffenden Beschreibung. „Siehst du? Was würdest du an ihrer Stelle machen? Freundlich gucken und dich für das junge Mädchen freuen, das einen halbwegs anständigen Kerl abgekriegt hat? Oder eher überlegen, wie du das sabbernde Trampeltier, das dir regelmäßig deine Zehen zerquetscht, möglichst unauffällig loswirst, um ihn gegen den Gott in Blond des Mädchens zu tauschen?“ „Gott in Blond?“ Sie konnte sich nicht mehr halten vor Lachen. „Du scheinst ja eine recht hohe Meinung von deinem Aussehen zu haben, Herr Superschön.“ „Nun ja“, versuchte er, ernsthaft beleidigt zu wirken, „du willst mir doch nicht unterstellen, ich wäre hässlich, oder?“ Sie musterte ihn von oben bis unten, als müsste sie ernsthaft überlegen. „Es geht.“ „Es geht?!?“ Er lief auf und ab, wild gestikulierend. „Das gesamte Maulwurfskommitee schickt dir den schönsten Mann, den sie finden konnten, und du sagst es geht?!?“ „Sahen die anderen denn so hässlich?“, frotzelte sie. Er lächtelte strahlend. „Ich war der einzige, der für dieses Selbstmordkommando in Frage kam“, berichtigte er sie offen. „Aber lass uns zu wichtigeren Theman kommen. Was als nächstes mit dir passieren wird zum Beispiel.“ „Gute Idee“, stimmte sie seufzend zu. „Wir haben jetzt schon bestimmt dreimal angefangen und ich habe immer noch keine Ahnung.“ „Also gut. Zuallererst wirst du deine Eltern darauf vorbereiten, dass du an einer Art Schüleraustausch teilnehmen wirst. Das Ganze wird über deine Schule gedeichselt werden, wir erledigen das alles... du musst nur die Ohren offen halten. In nächster Zeit wird bei euch ein Stipendium ausgeschrieben werden, dafür wirst du dich brennend interessieren und deine Lehrer darauf ansprechen. Die geben dir dann sicher die Informationen, ansonsten werden wir sie dir offiziell zukommen lassen.“ „Aber was ist, wenn ich den 'Austausch' nicht erkenne? Bei uns werden einige Austausche ausgeschrieben.“ „Du wirst ihn erkennen“, versicherte er ihr. „Ich weiß zwar selbst auch nicht, wie Anja das deichseln will, aber wenn sie dir verspricht, dass du den Austausch erkennst, wirst du ihn auch erkennen.“ „Okay“, murmelte Alisha wenig überzeugt. „Es wird eine Art Bewerbungsgespräch vor einem hochoffiziellen Komitee stattfinden, keine Prüfung oder Ähnliches – da wäre die Gefahr zu groß, dass es bessere Bewerber gibt. Bei einem Gespräch lässt sich immer noch etwas finden, weswegen man den einen Bewerber genommen hat und den anderen nicht. Dann wirst du die Bestätigung bekommen und es deinen Eltern erzählen, dass du gewonnen hast. Ein kostenloser Aufenthalt in England – wer sagt da schon nein?“ Er überlegte kurz. „Ich glaube, das Training wird Dienstags sein. Da hast du fünf Stunden, richtig?“ Alisha nickte. „Was für ein Training?“ „Du wirst Kampfsporttraining bekommen müssen. Außerdem wirst du eine bessere Ausdauer benötigen und mehr Muskeln. Deine Ernährung wird angepasst werden, du bekommst möglichst viel Brennwert auf den Speiseplan. Und last but not least wirst du noch so schöne Dinge wie Überlebenstraining bekommen, das müssen wir allerdings auf die Wochenenden verlagern. Dein Körper wird an Extremsituationen angepasst werden, das ist mühsame Arbeit, aber es ist überlebenswichtig – nicht nur in sportlicher Hinsicht, auch in Sachen Ernährung und anderer Notwendigkeiten.“ Sie stöhnte leise. „Das klingt ja fabelhaft.“ „Noch kannst du aussteigen.“ Sie sah ihm an, dass er es ernst meinte, und für einen kurzen Augenblick überlegte sie ernsthaft. Aber dann schüttelte sie den Kopf. „Kann ich nicht mehr“, erklärte sie. „Anfangs war ich überzeugt, ich würde so oder so nicht zustimmen. Ich dachte, so lebensmüde wäre ich sicher nicht. Aber die letzten Wochen haben mir genau das Gegenteil bewiesen. Ich habe mich entschlossen und ich werde das durchziehen, egal was das heißt.“ „Auch wenn es bedeutet, dass du sterben wirst?“ „Auch dann.“ Entschlossen reckte sie das Kinn vor. „Ich will wissen, wie viel ich noch weiß, wie viel ich vergessen habe. Und ich habe einige Lücken in meinem Leben bemerkt, die ich gerne schließen würde. Dafür brauche ich euch.“ Und mit einem Lächeln fügte sie hinzu: „Außerdem: Einer muss ja auf euch aufpassen.“ „Eigentlich hast du keine Ahnung, warum du dabeibleiben willst, aber du hast das Gefühl, das Richtige zu tun“, riet Jonas. Sie wurde schlagartig ernst und suchte nach Worten, fand aber keine. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. „Vielleicht. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur dumm.“ Sie spürte seine Hand, die sich vorsichtig auf ihre Schulter legte. „Du bist nicht dumm“, berichtigte er sie leise. „Du hast es im Blut, so wie wir alle. Es gibt viele Filme, in denen das behauptet wird, und normaler Weise würde man nicht denken, dass das stimmt. Aber in diesem Fall ist das anders. Kein Clanmitglied hat sich je dem Ruf des Blutes widersetzt, selbst dann nicht, wenn es ihm geschadet hat.“ Alisha fuhr ein kalter Schauer über den Rücken. „Ruf des Blutes?“, fragte sie flüsternd zurück, mit einer Ehrfurcht, die sie selbst überraschte. „Ja.“ Seine Iris schien dunkler zu werden, als er zitierte: „Ruf des Blutes aus vergangenen Zeiten; Rosen die blühen, bald schon vergehend Geheimnis für alle, Schicksal auf ewig Geboren in Hass, in Trauer, Gestank; strebend zum Lichte, ein einziger Faden gewebt zum wohl dichtesten Teppich der Welt Einheit auf immer, Einheit für alle selbst jenen, den das Licht behält.“ Schweigen senkte sich über die beiden, während die Geräusche der Abendgesellschaft langsam wieder begannen, zu ihr vorzudringen. Schließlich blinzelte sie langsam, wie um aufzuwachen, und schüttelte benommen den Kopf. „Was bedeutet es?“, fragte sie, als sie wieder das Gefühl hatte, ihre Stimme unter Kontrolle zu haben. „Das“, lächelte Jonas, „muss jeder für sich selbst herausfinden. Aber jetzt werde ich dich erst wieder zu deinen Eltern zurückbringen.“ Er nickte in die Richtung des Tisches, an dem Alishas Mutter einen langen Hals machte, um ihre Tochter sehen zu können. „Ich glaube, sie werden erfreut sein, dass du gleich Bekanntschaft mit jemand so Berühmtem wie mir gemacht hast.“ „Du bist also auch noch berühmt“, stellte Alisha schwach fest, was Jonas zum Lachen brachte. „Noch nicht. Aber wenn ich dich jetzt wirklich geschickt zum Tisch zurückbegleite, werden wir beide das Thema des Abends sein – nach dem großartigen Buffet.“ Mit einem Zwinkern wandte er sich zum Gehen und bot ihr seinen Arm an. „Darf ich bitten, Mademoiselle?“ Er hatte Recht. Während Alisha noch versuchte, möglichst selbstbewusst und bestimmt über das Parkett zu stolzieren, als würden ihr die neugierigen Blicke nicht das Geringste ausmachen, hatte er bereits mit den Augen ihre Eltern ausgemacht, die sich zu anderen, wichtig aussehenden Leuten gesetzt hatten, und führte sie in deren Richtung. Sie fühlte sich unbehaglich. Es war nicht nur, dass sie nicht gewohnt war, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen, es war auch die Art der Aufmerksamkeit: Normaler Weise war sie diejenige, die durch schräge Aktionen auffiel, jetzt sah man ihr hinterher wie einem Model auf dem Laufsteg. Ihr Abendkleid schien urplötzlich nicht mehr zu passen, es kratzte an allen möglichen und unmöglichen Stellen und sie hatte das Gefühl, als würe es mindestens eine Nummer zu klein. Dementsprechend erleichtert war sie, als sie endlich ankamen. „Es war mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben“, lächelte Jonas mit einem warmen Blick. „Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite“, versuchte sie seine lockere Art nachzumachen, merkte jedoch, dass ihre Stimme sich leicht piepsig anhörte. Sie wurde rot, räusperte sich und fuhr, etwas kühler als beabsichtigt, fort: „Ich hoffe doch, dass Sie heute Abend noch Erfolg haben werden.“ „Das werde ich.“ Er neigte sich leicht nach vorne und hebte ihre Hand an die Lippen, ohne jedoch sie aus den Augen zu lassen. „Oder besser gesagt, den hatte ich schon.“ Er rückte ihr den Stuhl zurecht, nickte höflich ihren Eltern zu und ließ sie schließlich mit ihren Eltern allein. „Wer war das?“, fragte Karsten leise, der in seinem Sonntagsstaat schon die ganze Zeit unbehaglich hin und her ruckelte. „Was wollte der von dir? Warum benimmt der sich so scheißhöflich, ohne davon auch nur Ausschlag zu bekommen? Und wie macht der Mistkerl es, dass er trotz dem Anzug noch so läuft, dass ihm jede Frau hinterherschaut?“ Alisha fühlte es in ihrer Hand leise rascheln und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht“, sagte sie abwesend als Antwort auf die letzte Frage. Dann drückte sie das zusammengeknüllte Papier etwas fester, straffte die Schultern und wiederholte, etwas bestimmter: „Ich weiß es nicht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)