Reborn von abgemeldet (Sequel zu 東京幻想) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Vorsichtig zog Kirito die Tür hinter sich zu, nachdem er leise das Appartement verlassen hatte, weil er die anderen nicht wecken wollte. Takeo und er hatten den gestrigen Abend bei Kohta verbracht, um die Veröffentlichung ihrer Debüt-Maxi-Single [REBORN] zu begießen. Ehrlich gesagt hatten hauptsächlich der Bassist und der Schlagzeuger gefeiert, denn dem Sänger stand der Sinn im Moment nach so ziemlich allem, nur nicht nach Party. Eigentlich war er überhaupt nicht der depressive Typ, aber nachdem er das Wichtigste in seinem Leben verloren hatte, konnte ihm niemand vorwerfen, dass auch er mal den Halt verlor. Er war froh, dass ihm zumindest Takeo und Kohta geblieben waren... zwar war es nur ein recht schwacher Trost, aber wenigstens gab es überhaupt noch etwas, woran er glauben durfte. Die beiden waren die einzigen, auf die er sich wirklich verlassen konnte, auch wenn das seinen Schmerz über den Verlust von Aiji und Jun nur bedingt linderte. Angelo würde Pierrot niemals ersetzen können. Und was sie betraf... Er schauderte und zog seine Jacke etwas fester zu, bevor er die Treppen vor dem Haus hinab stieg. Und dabei war es nicht einmal so sehr der kalte Wind, der ihn frösteln ließ... Manchmal war das Leben einfach ungerecht, und weder sein üblicher Zynismus noch sein Optimismus halfen ihm dabei, die Schuld bei sich selbst zu suchen. Für ihn lag der Fall ganz klar auf der Hand: Er hatte versagt... Er achtete nicht weiter auf seine Umgebung, als er sich langsam auf den Weg zu seinem eigenen leeren, verlassenen Appartement begab. Ihm behagte der Gedanke, dass er sich allein dort aufhalten musste, ganz und gar nicht, doch was blieb ihm schon anderes übrig? Sollte er sich einfach irgendein Mädchen suchen, das wahrscheinlich ohnehin nicht in der Lage war, seine Einsamkeit zu vertreiben? Nein, das konnte er nicht... und er wollte es auch gar nicht. Zunächst hatte er sich wie ein Verrückter in die Arbeit gestürzt, um sich irgendwie abzulenken. Das letzte Pierrot-Album, schließlich sein Solo-Projekt, als Aiji und Jun unerwartet eine Band-Pause für ihre eigenen Projekte hatten einlegen wollen - und dann, nachdem er Pierrot endgültig hatte auflösen müssen, seine neue Band Angelo, bei der ihm Kohta und Takeo treu zur Seite standen... Allen Hoffnungen zum Trotz hatte es ihm nicht wirklich geholfen. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, weigerte er sich mit einer unglaublichen Beharrlichkeit, sie zu vergessen. Außerdem wollte er sie nicht durch irgendjemanden ersetzen. Zu einem gewissen Teil war er selbst dafür verantwortlich, dass sie nicht mehr bei ihm war, nun musste er auch mit den Konsequenzen leben. Natürlich waren ihm seine Fehler durchaus bewusst. Er hatte sie niemals verletzen wollen, dafür bedeutete sie ihm einfach zu viel... und dennoch hatte er sie verloren. Er fragte sich, wie es ihr wohl ergehen mochte. Hatte sie mittlerweile einen neuen Freund? War sie glücklich? Oder vermisste sie ihn ebenso wie er sie? Diese und noch viele andere Fragen beschäftigten ihn jedes Mal, wenn er einen Moment die Ruhe hatte um nachzudenken. Es hatte genug Möglichkeiten gegeben, sich bei ihr danach zu erkundigen... allerdings hatte er sich nie so recht getraut, sie einfach anzurufen und zu fragen. Immer wenn er sich gerade dazu durchgerungen hatte ihre Nummer zu wählen, hatte ihn im letzten Augenblick doch wieder der Mut verlassen und er hatte aufgelegt, bevor ihr Telefon klingeln konnte. Wovor hatte er eigentlich Angst? Davor dass sie ihn vergessen haben könnte? Oder dass sie einen neuen Freund hatte und mit diesem glücklicher sein könnte als sie es mit ihm selbst je gewesen war? Er wusste es nicht... Erschrocken stolperte er einen Schritt zurück, als er mit jemandem zusammenstieß. Vielleicht hätte er doch lieber darauf achten sollen, wo er hinlief. Kirito blinzelte und sein Herz drohte einen Moment auszusetzen. Vor ihm stand ein Mädchen mit kurzen pink-schwarz gefärbten Haaren. Doch auf den zweiten Blick musste er teils erleichtert und teils enttäuscht feststellen, dass es eine vollkommen Fremde war. Er entschuldigte sich knapp und eilte dann überstürzt an ihr vorbei. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Was war nur mit ihm los? Wie hatte er glauben können, dass sie es war? Er wusste, dass sie mit ihrer eigenen Band ziemlich erfolgreich war und dass einige Fans ihren Stil kopierten... Es konnte genauso gut sein, dass das Mädchen von eben lediglich ein Fan von Hide war... oder was auch immer... Aber es war ziemlich albern, bei jedem Anzeichen von Pink zu denken, sie wäre es... Er beeilte sich, zu seinem Appartement zu kommen, wo er gehetzt die Tür hinter sich ins Schloss warf und sich erst einmal mit einem tiefen Seufzer gegen die Wand lehnte. Es war schon seltsam, dass er es noch immer nicht geschafft hatte, über die Trennung von ihr hinwegzukommen... dabei war es doch schon über zwei Jahre her, dass sie zum letzten Mal miteinander gesprochen hatten... dass sie ihm endgütig Lebewohl gesagt hatte... Er schloss die Augen und atmete tief durch, bevor er sich schließlich von der Wand abstieß, seine Jacke und Schuhe auszog und dann ins Wohnzimmer ging. Seufzend ließ er sich auf das Sofa fallen und griff automatisch nach der Fernbedienung, um den Fernseher einzuschalten. "Heute haben wir einen ganz besonderen Gast bei uns, nämlich den international bekannten Regisseur Markus Jansen. Derzeit dreht er hier in Japan seinen neuen Film, mit großer Unterstützung der Universal Studios." Ein hoch gewachsener Mann mit kurzen schwarzen Haaren und dunkelbraunen Augen wurde eingeblendet. Kirito zog überrascht die Augenbrauen hoch. Irgendwo hatte er diesen Regisseur doch schon einmal gesehen, das wusste er ganz genau. Wo war das bloß gewesen? Der Schwarzhaarige grinste breit in die Kamera. "Ich bin froh, nach so langer Zeit wieder hier arbeiten zu können. Ursprünglich sollte der Film in Amerika gedreht werden, aber ich konnte meine Hauptdarstellerin beim besten Willen nicht dazu überreden, Japan zu verlassen, daher habe ich alles dafür in Bewegung gesetzt, um den Drehort zu wechseln." Die Moderatorin lachte. "Wieso haben Sie sich nicht einfach für eine andere Schauspielerin entschieden?" Markus zuckte mit den Schultern. "Das wäre sicher die einfachere Lösung gewesen, aber sie ist die einzige Person, die für diese Rolle in Frage kommt, auch wenn es recht schwierig war, sie davon zu überzeugen, mit mir zusammen zu arbeiten. Aber da wir uns bereits seit mehr als zehn Jahren kennen, habe ich es doch noch irgendwie geschafft." "Und wer ist die Glückliche?", wollte der Co-Moderator von dem Regisseur wissen. Nun schlich sich ein verlegenes Schmunzeln auf das Gesicht des Studiogasts. "Nun ja... als so unbedingt glücklich würde ich sie eher nicht bezeichnen... und ich würde es auch furchtbar gerne hier und jetzt bekannt geben, aber sie hat mir gedroht, dass sie nie wieder ein Wort mit mir wechselt, wenn ich es vorzeitig verrate." "Besteht auch privat eine engere Beziehung?", erkundigte sich nun die Moderatorin bei ihm. Der Schwarzhaarige lachte. "Sie würde mich niemals näher als unbedingt notwendig an sich heranlassen... eher würde sie mich umbringen!" In diesem Moment klingelte das Telefon. Irritiert stellte der Sänger den Ton leiser und nahm ab. "Hallo?" "Onii!", rief Kohta aufgeregt. "Hast du schon das Neueste gehört?" Kirito blinzelte verwirrt. "Kommt ganz darauf an, welche Neuigkeiten du meinst", entgegnete er. Er konnte hören, wie sein jüngerer Bruder am anderen Ende der Leitung schwer ausatmete. "Sitzt du?" "Was soll das? Sag mir doch einfach, was los ist! Hat jemand das Studio in die Luft gejagt? Wurdest du ausgeraubt?" "Nein", gab Kohta ungeduldig zurück. "Aber es wäre trotzdem besser, wenn du dich hinsetzt, bevor ich es dir erzähle... Vielleicht solltest du dir auch eine Zigarette anmachen oder einen starken Tee holen oder beides oder -" "Kohta!", brummte der Sänger unwillig. "Entweder rückst du jetzt sofort mit der Sprache raus, oder ich lege auf!" Der Bassist seufzte. "Ja, ist ja schon gut... Aber du solltest dich wenigstens vorher setzen..." "Ich sitze bereits." Kirito schlug die Beine unter. "Also, was ist?" "Nun ja...", druckste Kohta. "Du hast doch bestimmt schon davon gehört, dass sie bei Universal einen Film drehen?" Der Dunkelhaarige machte ein zustimmendes Geräusch und blickte wieder zum Fernseher, wo dieser Regisseur gerade einen amüsanten Kommentar abgegeben zu haben schien. "Hab ich, warum?" "Ist dir eigentlich klar, wer der Regisseur dieses Films ist?!", bohrte sein Bruder weiter. "Nicht wirklich", erwiderte der Sänger. "Er kommt mir zwar bekannt vor, aber ich weiß nicht, wo ich ihn schon einmal gesehen habe. Wieso, was meinst du denn, wer er ist?" "Der Ex-Freund einer gewissen Musikstudentin?" Kirito fiel vor Schreck fast der Telefonhörer aus der Hand. "Der Typ, der die ersten Videos für (R)Evolution gedreht hat?" Im Grunde wusste er die Antwort auf seine Frage bereits. "Genau der", bestätigte Kohta seinen Verdacht. "Und was meinst du, wen er unbedingt als Hauptdarstellerin wollte? Eine gewisse junge Dame, die wegen ihrer Band nicht hier weg will, die er aus der Schule kennt und für die er den Drehort von Amerika nach Japan verlegt?!" Der Sänger musste schlucken. Wieso war er eigentlich nicht sofort darauf gekommen? Es war doch mehr als offensichtlich. Es gab nur eine Frau hier in Japan, die dieser Regisseur seit über zehn Jahren kannte... "Bist du sicher, dass von ihr die Rede ist?", flüsterte er in den Hörer. Auch diesmal kannte er die Antwort, dennoch hoffte er darauf, dass er Unrecht hatte. So unwahrscheinlich das auch sein mochte. Kohta schnaubte. "Ich bitte dich, wer soll denn deiner Meinung nach sonst gemeint sein?!" Kirito schloss die Augen und lehnte sich zurück. Er wusste genau, dass nur von ihr die Rede sein konnte, auch wenn er es im Grunde nicht wahrhaben wollte. "Ruf sie an, wenn du mir nicht glaubst!" "Was?!" Ruckartig fuhr der Sänger auf. "Sag mal, spinnst du?!" Ein freudloses Lachen erklang am anderen Ende der Leitung. "Der einzige, der hier spinnt, bist ganz eindeutig du! Du vermisst sie doch immer noch, oder?" "Ja, aber..." "Dann solltest du sie anrufen. Und wenn du sie einfach nur fragst, wie es ihr geht und was sie so macht." Kirito verzog das Gesicht. "Das sagst du so leicht..." Kohta seufzte. "Jetzt hör mir mal zu, Onii. Ich verstehe zwar nicht, warum du nach so langer Zeit immer noch nicht darüber hinweg bist, aber du solltest dich bei ihr melden, mit ihr reden, dir endlich mal Gewissheit verschaffen und endgültig einen Schlussstrich ziehen, bevor du dich selbst fertig machst." Der Sänger dachte kurz darüber nach. "Wenn du meinst, dass das hilft..." "Wenn du dir ständig den Kopf darüber zerbrichst, was du anders oder besser hättest machen können oder sollen, bringt dich das erst recht nicht weiter." "Ja, du hast Recht..." "Siehst du", gab Kohta zurück. "Ruf sie an. Ich melde mich später wieder bei dir." Noch bevor Kirito etwas darauf erwidern konnte, hatte er aufgelegt. Der Dunkelhaarige zog eine Grimasse, dann stand er auf, um seine Zigaretten aus seiner Jacke zu holen. Kurz darauf setzte er sich wieder auf das Sofa und zündete sich eine Zigarette an. Abwechselnd sah er von einem Telefon zum Fernseher und wieder zurück. Für eine Weile tat er praktisch nichts anderes und er hatte bereits seine dritte Zigarette angesteckt, als er endlich einen Entschluss fasste. Zögernd tippte er eine ganz bestimmte Handynummer ein, die er noch immer auswendig wusste. Und zum ersten Mal nach sehr langer Zeit legte er nicht übereilt wieder auf. "Der gewünschte Gesprächspartner ist vorübergehend leider nicht zu erreichen." Ungläubig starrte er den Hörer an, als käme er von einem anderen Stern. Das konnte doch wohl nicht wahr sein... Nach einer halben Ewigkeit hatte er endlich mal den Mut sie anzurufen und ihr Handy war ausgeschaltet?! Klar, sie arbeitet schließlich viel, flüsterte eine leise Stimme irgendwo in seinem Hinterkopf. Ihr habt euch sehr lange nicht gesehen, gesprochen oder sonst wie miteinander zu tun gehabt. Ihr seid kein Paar mehr. Du bist nicht mehr der Mittelpunkt ihres Lebens. Kirito verbarg sein Gesicht in beiden Händen. Im Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als einfach im Erdboden versinken zu können. "Okay! Lasst uns eine Pause machen!" Naomi seufzte erleichtert, als Markus das sagte. Es war bereits das fünfte Mal, dass sie versuchten, diese eine Szene zu drehen. Wobei die Betonung hier wirklich in erster Linie auf versuchten lag, denn immer ging irgendetwas schief. Stative fielen um, ebenso irgendwelche Kulissen, ihr toller Filmpartner vergaß den Text und verletzt war er jetzt zu allem Überfluss auch noch, dieser Idiot. Es war wie verhext. Wie um alles in der Welt sollte man so vernünftig arbeiten können? Sie ignorierte alles um sich herum und machte sich direkt auf den Weg in die Cafeteria, wo sie einen Kaffee und ein paar Sandwiches holte. Mit ihrem Tablett setzte sie sich an einen der Tische und begann zu essen. Kurz darauf gesellte sich Markus mit einer Tasse Kaffee zu ihr. Er sah sie an und schmunzelte. Naomi zog eine Augenbraue hoch. "Was amüsiert dich denn jetzt schon wieder?", brummte sie mürrisch. Nun breitete sich ein freches Grinsen auf dem Gesicht des Regisseurs aus. "Irgendwie erinnert mich das hier an unsere allererste Begegnung." Sie sah ihn ausdruckslos an. "Wenn du dich noch so gut daran erinnern kannst, solltest du ja was daraus gelernt haben." Sein Grinsen wurde noch breiter. "Es ist wirklich interessant zu sehen, dass du dich in den zehn Jahren, die wir uns nun schon kennen, so gut wie gar nicht verändert hast." Die Gitarristin machte ein abfälliges Geräusch. "Das meinst aber auch nur du", meinte sie, bevor sie an ihrem Kaffee nippte. "Ich habe mich sehr wohl verändert, was ich hauptsächlich Luca zu verdanken habe! Und außerdem..." Sie brach mitten im Satz ab und widmete sich wieder ihrem Essen. "Ja?" Markus sah sie fragend an. "Nichts..." "Immer noch Probleme?" "Womit?" Naomi warf ihm einen abschätzenden Blick zu. "Mit dir? Immer." Der Schwarzhaarige lachte auf. "So meinte ich das nicht." Dann sah er sie ernst an. "Was macht eigentlich Toshiya?", wechselte er unvermittelt das Thema. Irritiert hob sie den Kopf. "Musik?" Markus verdrehte die Augen. "Eigentlich wollte ich wissen, wie es mit eurer Beziehung aussieht." "Welche Beziehung?", entgegnete sie verwirrt. "Wir sind Freunde, wieso fragst du?" "Ich kann lesen, Süße", gab er zurück. "Das weiß ich auch", brummte sie. "Und nenn mich nicht so!" Der Schwarzhaarige konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Nach diversen Berichten in verschiedenen Zeitschriften, die nicht mal ein halbes Jahr alt sind, hörte man bei euch schon die Hochzeitsglocken läuten. Was ist passiert?" Nun verlor Naomi langsam die Geduld. "Was soll schon passiert sein? Ich habe nicht vor, überhaupt irgendwen zu heiraten. Du musst nicht immer alles glauben, was diese Klatschreporter so von sich geben!" Markus betrachtete sie nachdenklich. "Bisher kam mir die Fool's Mate nicht unbedingt wie ein Klatschmagazin vor", wandte er ein. "Und es wurde in mehreren Artikeln über Dir en grey oder (R)Evolution erwähnt, dass ihr liiert wärt..." Er grinste wieder. "Das kam natürlich nach dem großen Schock darüber, dass du tatsächlich weiblich bist!" Naomi funkelte ihn böse an. "Ich habe nie behauptet, männlich zu sein! Außerdem geht es dich nicht das Geringste an, mit wem ich zusammen bin und mit wem nicht!" "Dann bist du also Single?" Sein Grinsen wurde noch breiter. "Heißt das, ich habe Chancen?" "Träum weiter!" Sie trank ihren Kaffee aus, ließ alles stehen und liegen und erhob sich vom Tisch. "Wir sollten langsam wieder an die Arbeit gehen, schließlich ist meine Zeit nicht unbegrenzt. Du weißt, dass ich nachher noch zur Probe muss." Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ die Cafeteria. Markus sah ihr kurz sprachlos nach, dann räumte er die beiden Tabletts weg und folgte ihr. Da hatte er anscheinend wieder ein Fettnäpfchen erwischt. In der letzten Zeit passierte ihm das häufiger. Etwas zu oft für seinen Geschmack. Das einzige, worüber sie sich freiwillig und gern unterhielt, war ihre Musik. Er machte sich ernsthafte Sorgen um sie. Es war nicht gut, dass sie so eine hohe Mauer um sich herum aufbaute und sich von allen abschottete. Aber mittlerweile wusste er einfach nicht mehr, wie er an sie herankommen sollte. Vielleicht war es eine gute Idee, Yûichi zu fragen, schließlich war er ihr bester Freund. Kirito trat gerade aus der Dusche, als es an der Tür klingelte. Er seufzte genervt, trocknete sich rasch ab und suchte nach einer Hose und einem Shirt. Er war noch nicht ganz angezogen, da klingelte es erneut. "Ja! Ich komme ja schon!", rief er und ging zur Tür. Als er öffnete, stand Kohta vor ihm. "Stör ich?", fragte der Bassist mit einem süffisanten Grinsen. "Ich bin nicht du", gab Kirito pikiert zurück und ließ Kohta herein. "Du hast mich grad quasi aus der Dusche geholt." "Was hat sie gesagt?", wollte der Jüngere wissen. "Gar nichts", brummte der Sänger, als er seinem Bruder ins Wohnzimmer folgte. Dieser blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihm um, so dass er fast mit ihm zusammen stieß. "Lass mich raten: Du hast gar nicht erst angerufen", vermutete Kohta. "Doch", erwiderte Kirito. "Ihr Handy ist aus." Der Bassist sah ihn ungläubig an und hielt dann nach dem Telefon Ausschau. Er musste auch nicht besonders lange danach suchen, denn Kirito hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht es wegzuräumen, bevor er duschen gegangen war, daher lag es noch immer auf dem Wohnzimmertisch. Kohta steuerte direkt darauf zu und überprüfte die Anrufliste. "Hm." Der Sänger zog missbilligend eine Augenbraue hoch. Auch wenn er es bis heute nie geschafft hatte, sie tatsächlich anzurufen, so war er jetzt doch beleidigt, dass Kohta an seinen Worten zweifelte. "Du scheinst wirklich versucht zu haben sie zu erreichen", murmelte der Bassist vor sich hin, dann sah er den Älteren misstrauisch an. "Oder hast du wieder vorher aufgelegt?" "Natürlich nicht!", gab Kirito entrüstet zurück. "Wenn ich dir sage, dass ich versucht habe sie anzurufen und ihr Handy abgeschaltet war, dann ist das auch so!" Beschwichtigend hob Kohta beide Hände. "Ist ja schon gut! Ich glaub's dir ja..." Er seufzte. Kirito wollte noch etwas dazu sagen, doch er bedeutete ihm leise zu sein, als er die Wahlwiederholung betätigte. Jedoch war er nun genauso erfolglos wie sein älterer Bruder zuvor - ihr Handy war immer noch ausgeschaltet. "Siehst du", murrte der Sänger, als Kohta das Telefon wieder auf den Tisch zurück legte. "Ich habe es doch gesagt." Der Bassist setzte sich auf die Couch und fuhr sich mit beiden Händen durch die kurzen schwarzen Haare. "Hm." Er verschränkte die Arme vor der Brust, schlug die Beine übereinander und legte den Kopf in den Nacken. Nach einem kurzen Augenblick stand er auf und ließ sich wieder auf das Sofa fallen, wo er das Gesicht in seinen Händen verbarg und offensichtlich über irgendetwas nachdachte. Kirito schaute ihm die ganze Zeit über verständnislos zu. "Sag mal, was machst du da eigentlich?", fragte er nach einer Weile, als Kohta die Beine anzog und beide Arme darum legte. Dieser sah verwundert auf. "Was...? Ach... ich überlege nur gerade... weil doch... es ist halt so... auch wenn ich nicht sicher bin... vielleicht bringt es ja was... verstehst du?" "Gar nichts verstehe ich", gab der Sänger irritiert zurück. "Worauf willst du hinaus?" Er setzte sich neben seinen Bruder und zündete sich eine Zigarette an. Kohta lehnte sich seufzend zurück, dann nahm er Kirito die Zigarette aus der Hand und zog daran. Prompt verzog er angewidert das Gesicht und gab die Zigarette zurück. Kirito konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, wurde aber sofort wieder ernst. "Also, was ist jetzt?" "Ich wollte nur... sie sind doch so gut befreundet... vielleicht kann er ja..." Der Bassist seufzte wieder. "Oder meinst du nicht?" "Wenn du irgendwann mal wieder in der Lage sein solltest, vollständige Sätze zu formulieren, lässt du es mich wissen, ja?" Kirito legte die Stirn in Falten. "Denn falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Ich kann keine Gedanken lesen." "Nicht?", grinste Kohta, wofür er einen düsteren Blick erntete. "Eigentlich dachte ich, das wäre selbstverständlich... ich meine, du bist schließlich mein Bruder und da solltest du schon..." "Kohta!", brummte Kirito drohend. "Was denn?" Der Bassist verdrehte die Augen. "Du hast doch gesagt, dass ich..." Er stockte, als der Sänger begann, ungeduldig mit den Fingerknöcheln zu knacken. "Ja... ist ja gut..." Kohta lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. "Ich dachte nur, wir könnten diesen Yû nach ihr fragen, oder wie er heißt..." "Vergiss es!", fiel ihm der Ältere ins Wort. "Warum?" "Du weißt genau, dass er und dieser Gitarrist uns noch nie leiden konnten. Sie werden uns mit Sicherheit kein Sterbenswörtchen verraten...", argumentierte Kirito. "Außerdem weigere ich mich, auch nur ansatzweise ein Wort mit einem von ihnen zu wechseln!" "Ja... aber...", stammelte Kohta. "Wenn sie nun eine andere Handynummer hat... oder was auch immer... wie willst du denn sonst irgendetwas herausfinden?" "Wer sagt denn, dass ich das will?", fuhr Kirito auf. "Du warst doch derjenige, der unbedingt wollte, dass ich sie anrufe!" Kohta zog die Stirn kraus. "Ich sehe doch, wie sehr du leidest, auch nach all der Zeit... du versuchst zwar, dir nichts anmerken zu lassen, aber mich täuschst du nicht." "Das gibt dir noch lange nicht das Recht, dich einfach..." "Ich will dir doch nur helfen, verdammt!", rief der Bassist aus, dann stand er auf. "Aber mach doch, was du willst! Vegetier ruhig weiter vor dich hin... Sag mir Bescheid, wenn du wieder bei Verstand bist!" Er stapfte zur Tür, wo er Schuhe und Jacke anzog, bevor er wütend das Appartement verließ. Kapitel 2: ----------- "Kôji! Aufstehen!" Ein leises Knurren war unter der Bettdecke zu vernehmen. Allerdings war dies auch die einzige Reaktion, die auf die unmissverständliche Aufforderung folgte. Als ihm jemand recht ungehalten die Decke wegzog, griff er lediglich nach seinem Kissen und zog es sich über den Kopf. "Kôji!" "Ja, Mama… ich steh ja schon auf…", grummelte der Rothaarige. Genervt nahm Yûichi ihm auch sein Kopfkissen weg. "Sehe ich etwa aus wie deine Mutter?!", fragte er verärgert. "Jetzt steh endlich auf, sonst kommen wir zu spät!" Der Gitarrist rieb sich verschlafen die Augen, als er sich aufsetzte, dann blinzelte er seinen besten Freund an. "Ich weiß gar nicht, was du willst… es ist doch noch früh…" Seufzend wandte sich der Sänger von ihm ab. "Wenn du drei Uhr nachmittags früh nennst… Du weißt, dass wir nachher Probe haben, also solltest du dich lieber ein bisschen beeilen. Ich habe keine Lust, deinetwegen Ärger mit Rikuo zu bekommen." Mit diesen Worten verließ er das Schlafzimmer. Kôji murrte ein wenig vors ich hin, als er aufstand und frische Kleidung aus seinem Schrank heraussuchte, bevor er langsam ins Bad schlurfte. Der rothaarige Gitarrist hätte einiges dafür gegeben, noch etwas länger schlafen zu können. Doch Yûichis letzter Satz hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Er wusste genauso gut wie jeder andere, dass ihr Manager nicht unbedingt der Typ war, der ernsthaft ausrastete. Dennoch – oder gerade deswegen – vermieden sie es nach Möglichkeit, sich seinen Unmut zuzuziehen. Für seine Verhältnisse war Kôji auch recht schnell fertig und stapfte nur mit einer Hose bekleidet in die Küche, wo sein Freund und Kollege mit einem improvisierten Frühstück auf ihn wartete. "Ich glaube, ich muss mir den heutigen Tag rot im Kalender anstreichen", grinste Yûichi mit einem Blick auf die Uhr. "Das ist ein neuer Rekord!" Kôji nahm sich einen feuchten Lappen von der Ablage und warf ihn dem Sänger ins Gesicht. "Mach dich ruhig lustig über mich", schnaubte er, als er sich an den Tisch setzte. "Bin doch schon dabei", gab der andere belustigt zurück und warf den Lappen in die Spüle. "Hast du eigentlich noch mal was von Naomi gehört?", wollte der Rothaarige wissen, als er sich eine Scheibe Toast nahm und dann nach dem Honigglas griff – auf Butter oder Margarine verzichtete er lieber. Der Angesprochene schüttelte den Kopf. "Nein, seit der letzten Probe vor zwei Tagen nicht mehr." Er seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. "Im Moment ist sie ja auch ziemlich beschäftigt." Ein Grinsen stahl sich auf Kôjis Gesicht. "Ich würde so ziemlich jede Wette eingehen, dass sie unserem werten Herrn Meisterregisseur die Hölle heiß macht." Daraufhin musste Yûichi lachen. "Das kann ich mir nur zu gut vorstellen. Auch wenn ich ehrlich gesagt bezweifle, dass sich an seinem Verhalten ihr gegenüber jemals etwas ändert." "Vermutlich bringt er sie auf die Palme und sie ihn an den Rand der Verzweiflung", meinte der Gitarrist kichernd. Yûichi nickte. "Das glaube ich auch. Er sollte sie nur nicht allzu sehr ärgern, sonst kann sie sich nicht anständig auf ihre Arbeit konzentrieren. Und das würde Rikuo gar nicht gefallen." Kôji biss nachdenklich ein Stück von seinem Toast ab. "Dann wird er wahrlich die Hölle auf Erden erleben." Er grinste breit. "Ich wäre dann ja zu gern dabei, wenn Rikuo ihn zusammenfaltet." "Vorausgesetzt natürlich, dass von ihm noch etwas übrig ist, nachdem Nao ihn sich vorgeknöpft hat", warf der Sänger lachend ein. Der Rothaarige verschluckte sich, als er ebenfalls anfing zu lachen. Er hustete und lief rot an, hatte sich aber recht schnell wieder unter Kontrolle. Kôji holte tief Luft und leerte dann sein Saftglas. Yûichi sah ihn alarmiert an. "Geht es?" Der Gitarrist winkte ab. "Mir geht's gut." Er stand auf und holte noch etwas Orangensaft aus dem Kühlschrank. Als er sich wieder setzte, gluckste er. "Kannst du dich noch an ihre Reaktion erinnern, als Rikuo ihr sagte, dass sie die Rolle in dem Film übernehmen soll?" Der Sänger prustete los. "Eine Statue war nichts dagegen." "Und hinter den Nachwirkungen des ersten Schocks hätte sich jeder Vulkan verstecken können", sinnierte Kôji. "Markus kann von Glück reden, dass er in dem Moment nicht anwesend war…" Yûichi wischte sich die Lachtränen weg. "Das ist ja wieder alles so traurig", kicherte Kôji. "Ich werde ihn sicher vermissen, wenn er den nächsten Job im Ausland hat." Der Dunkelhaarige nickte. "Ich auch. Wenn er hier ist, haben wir immer unseren Spaß, weil Naomi sich dauernd so herrlich über ihn ärgert." "Obwohl ich das gar nicht verstehe", wandte Kôji ein. "Er ist doch immer nett zu ihr." "Vielleicht ist ja gerade das ihr Problem." Als der Rothaarige ihn nur irritiert ansah, zuckte er mit den Schultern. "Scheint irgendwie eine Prinzipiensache zu sein. Ich blick da auch nicht durch." Für eine Weile spekulierten die beiden darüber, warum das Verhältnis zwischen dem Regisseur und ihrer Leadgitarristin so angespannt war und wie sich das Ganze wohl entwickeln würde. Schließlich sah Kôji auf die Uhr. Es war Zeit, sich auf den Weg zu machen, damit sie pünktlich im Studio ankamen. Schnell räumten sie den Tisch ab, dann stürmte der Gitarrist ins Schlafzimmer, um sich ein T-Shirt, seinen Lieblingspulli und Socken anzuziehen. Etwa zehn Minuten später verließen die beiden Musiker die Wohnung Naomi war ein wenig außer Atem, als sie das Gebäude der Universal Studios betrat. Die Außenaufnahmen hatten etwas länger gedauert als ursprünglich geplant. Deswegen hatte sie sich beeilt, um ja nicht zu spät zur Probe zu kommen. In der Eingangshalle warf sie einen Blick auf die Uhr. Erfreut stellte sie fest, dass sie sogar eine knappe halbe Stunde zu früh war. So hatte sie noch genug Zeit, sich in der Cafeteria einen Kaffee und etwas zu essen zu holen. Oben angekommen, ging sie als erstes zum Kaffeeautomaten. Sie nahm sich einen Becher und ließ ihn vor Schreck beinahe fallen, als sie hinter sich eine Stimme hörte, die sie nur allzu gut kannte. Für einen Moment schloss sie die Augen und schluckte schwer. "Ich habe keine Ahnung, was das bringen soll", seufzte Kirito, als er sich an einen Tisch setzte. Er hatte die Gitarristin gar nicht bemerkt, die mit dem Rücken zu ihm am anderen Ende des Raums stand. Was in erster Linie daran lag, dass ihre Haare jetzt schwarz waren, und nicht mehr pink mit schwarzen Strähnen. "Einen Versuch ist es wert, meinst du nicht auch?", gab Kohta genervt zurück. Er setzte sich zu seinem Bruder an den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Hastig stellte Naomi den Becher weg und zupfte an ihren Haaren herum, so dass sie möglichst viel von ihrem Gesicht verdeckten. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Was zum Geier wollten die beiden denn hier?! Sie waren doch schon lange nicht mehr hier bei Universal unter Vertrag. Zum Glück war die Wahrscheinlichkeit, dass Kirito und Kohta sie erkannten, recht gering. Es war noch gar nicht lange her, dass sie sich die Haare gefärbt hatte und es gab auch noch keine öffentlichen Bilder von ihr mit der neuen Frisur. Sie hörte gar nicht zu, worüber sich die beiden Musiker unterhielten, während sie fieberhaft die Handtasche nach ihrer Sonnenbrille durchsuchte. Erleichtert atmete sie auf, als sie den gesuchten Gegenstand endlich gefunden hatte, und setzte die Brille auf die Nase. So könnte sie eine reelle Chance haben, unerkannt die Cafeteria zu verlassen. Vorsichtig warf sie einen Blick über ihre Schulter. Weder der Sänger noch der Bassist sahen in ihre Richtung. Gut. Sie holte tief Luft, rückte ihre Handtasche zurecht und trat den Rückzug an. Auf dem Weg nach draußen behielt sie die ganze Zeit die Brüder im Auge, in der Hoffnung, dass sie nicht auf sie aufmerksam wurden. Ihr war bewusst, dass sie sich im Grunde albern verhielt – schließlich war sie diejenige gewesen, die die Beziehung damals beendet hatte. Aber es war ihr trotzdem lieber, wenn sie eine Konfrontation mit Kirito vermeiden konnte. Sie hätte ohnehin nicht gewusst, wie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Da sie nicht darauf achtete, wo sie hinlief, war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie erst merkte, dass ihr jemand entgegenkam, als sie mit ihm zusammenstieß. Erschrocken taumelte sie einen Schritt zurück und verzog dann genervt das Gesicht. "Was willst du denn hier?", grummelte sie. "Musst du nicht arbeiten?" Markus grinste sie breit an. "Du doch auch, oder nicht?" Als sie ihm keine Antwort darauf gab, seufzte er. "Wir sind für heute ohnehin fertig. Wenn du es vorhin nicht so verdammt eilig gehabt hättest wegzukommen, hätte ich dich mitnehmen können." Hoffnungsvoll sah der Sänger auf, als er die Stimmen der beiden vernahm. "Naomi?", fragte er leise. Die Gitarristin zuckte unmerklich zusammen. Mit einem gequälten Lächeln nickte sie ihm zu, dann wandte sie sich wieder an den Regisseur und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich wollte es nicht riskieren, mich zu verspäten. Das solltest du wissen", meinte sie und ging an Markus vorbei zur Tür. "Wenn ihr mich jetzt entschuldigt – ich habe zu arbeiten." Mit diesen Worten verließ sie die Cafeteria ohne sich noch einmal umzusehen. Mit einem tiefen Seufzer ließ sich Markus auf einen Stuhl fallen. Wenn sie schlechte Laune hatte, konnte diese Frau einen wahrlich in den Wahnsinn treiben. Wenn er nicht wüsste, dass sie sonst anders war und er sie nicht so furchtbar gern hätte, würde er sich die Mühe mit ihr sparen. Kirito legte die Stirn in Falten und wandte den Kopf in Markus' Richtung. "Was hat die denn gebissen?!", wunderte sich Kohta, als er der Studentin irritiert nachsah. Markus hob die Schultern. "Wenn ich das nur wüsste…", gab er ratlos zurück. "Sonst redet sie immer mit mir… aber jetzt?" "Nun ja… wenigstens weißt du jetzt, dass es ihr zumindest gut geht", sagte der Bassist und klopfte seinem Bruder auf die Schulter. Der zuckte zusammen, weil der Jüngere ihn gerade aus seinen Gedanken gerissen hatte. "Was…?", meinte er abwesend. "Wenn du das sagst…" Kohta verdrehte die Augen, dann sah er Markus an. "Und du weißt wirklich nicht, was mit ihr los ist?" Der Regisseur schüttelte den Kopf. "Leider nicht." Kirito biss sich auf die Unterlippe. "Es ist meine Schuld…", murmelte er. Daraufhin sahen ihn die anderen beiden verwirrt an. "Das glaube ich nicht", wandte Markus ein. "Sie ist schon seit ein paar Tagen so komisch." Er verzog das Gesicht. "Ich verstehe wirklich nicht, was momentan in ihrem Kopf vorgeht." Er seufzte und stand dann auf. "Bist du jetzt eigentlich wieder mit ihr zusammen?", erkundigte sich der Bassist bei ihm. Markus musste lachen. "Nein… das ist schon lange vorbei… aber das hab ich mir im Grunde selbst zuzuschreiben. Ich mag sie sehr und wir sind heute gut befreundet, auch wenn man es nicht immer merkt." Sein Blick fiel auf Kirito, der aussah als würde er über irgendetwas nachdenken. "Vielleicht solltest du mal mit ihr reden. Es ist gut möglich, dass sich ihre Laune dann wieder bessert." Der Sänger sah zweifelnd zu ihm auf. "Meinst du?" Der Regisseur zuckte mit den Schultern. "Sicher bin ich mir nicht. Aber du solltest es auf jeden Fall versuchen." Kirito nickte langsam, dann verabschiedeten sie sich voneinander und Markus ging. Als Naomi den Proberaum erreichte, blieb sie kurz draußen stehen und lehnte sich gegen die Wand. Mit zitternden Fingern fuhr sie sich durch die Haare und nahm jetzt endlich die Sonnenbrille wieder ab, die sie in ihrer Handtasche verstaute. Sie verstand selbst nicht so recht, warum die kurze Begegnung mit Kirito sie so aus der Fassung gebracht hatte. Es war doch schon über zwei Jahre her, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte! Nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, stieß sie sich von der Wand ab und öffnete die Tür. Zu ihrem Erstaunen war außer Kôji und Yûichi niemand da. Irritiert sah sie sich in dem Raum um. "Hey… wo sind denn die anderen?" Ihre beiden Kollegen wandten sich zu ihr um. "Hey Schwester", meinte Kôji. Er saß auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Er sah aus als bräuchte er die Stütze, sonst würde er gleich umfallen. Yûichi war ebenfalls blass, wirkte aber weitaus gefasster. Er ging auf die Studentin zu und umarmte sie. "Hallo Na-chan." Sie sah den Sänger besorgt an. "Was ist passiert?", wollte sie von ihm wissen. "Hideo hatte einen Unfall", antwortete Kôji leise. "Rikuo und Tatsuya bringen ihn gerade ins Krankenhaus." Sofort wich sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht und ihre Knie wurden weich. "Ist es sehr schlimm?", wisperte sie entsetzt. Sie setzte sich neben den rothaarigen Gitarristen und legte ihm eine Hand auf die Schulter – Kirito und Markus waren zunächst einmal vergessen. "Er wird es überleben", antwortete Yûichi, als er sich seinen Kollegen gegenüber auf dem Boden niederließ. "Aber vermutlich wird er eine Weile im Krankenhaus verbringen müssen." Kôji lehnte sich dankbar an die Musikstudentin. "Und das, wo er Krankenhäuser so sehr hasst…", murmelte er. "Was ist eigentlich mit dir?", erkundigte sich der Sänger bei Naomi. "Schon als du rein kamst, sahst du aus als hättest du einen Geist gesehen." Sie wollte gerade darauf antworten, überlegte es sich jedoch anders und schüttelte den Kopf. "Nicht so wichtig." Der Rothaarige schlang die Arme um ihre Taille und drückte die Musikstudentin an sich, wobei er seinen Kopf auf ihre Brust legte. "So gefällt mir das Ganze schon viel besser…", meinte er zufrieden. Entrüstet schob sie ihn von sich. "Such dir eine andere, die du angraben kannst, du Weiberheld!" Sie schlug die Beine unter. "Außerdem weißt du ganz genau, dass Luca dich in der Luft zerreißen würde, wenn sie das gesehen hätte." "Sie ist aber nicht hier." Der Gitarrist konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Aber wenn du genauso gut bist, dann habe ich definitiv keinen Grund, mich zu beschweren." "Sollte ich jemals einen solchen Aussetzer haben, dass ich mit dir etwas anfange, dann hast du garantiert nichts zu lachen." Sie sah ihn ernst an. "Und das ganz unabhängig davon, wie gut ich bin." Seufzend verdrehte er die Augen. "Du verstehst echt keinen Spaß mehr, Schwester." Er zupfte an einer von Naomis Strähnen. "Wer hat dir eigentlich deinen Sinn für Humor geklaut? Ich weiß, du hattest mal einen." "ich glaube nicht, dass sie ihn verloren hat", mischte sich Yûichi ein. "Wahrscheinlich hat er sich nur gut versteckt. Der taucht sicher bald wieder auf." Er tippte ihr Knie an. "Ne?" Kôji legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie wieder an sich. "Vielleicht macht er auch einfach nur Urlaub. Ab und zu braucht man so was, hab ich mir sagen lassen." "Ja…", gab der Sänger schmunzelnd zurück. "Möglicherweise da, wo ihn niemand aufspüren kann… im Bermudadreieck zum Beispiel." "Ihr seid doch bescheuert…", murmelte die Studentin, dann strich sie sich eine Strähne aus der Stirn. "Warum sitzt ihr eigentlich hier rum?" Sofort wurden die beiden anderen wieder ernst. "Wir warten darauf, dass Rikuo uns Bescheid sagt, sobald er Genaueres weiß", antwortete Kôji. "Und bis grade haben wir auf dich gewartet, weil wir ja nicht wussten, wo du genau warst. Wir dachten uns, dass du gern wüsstest, was los ist." Die Dunkelhaarige nickte bedächtig. "Danke, das ist lieb von euch…", meinte sie leise. "Ich hoffe, Hideo geht es einigermaßen gut… in Anbetracht der Umstände zumindest." "Ah… der Kleine ist hart im Nehmen." Der Gitarrist wuschelte ihr durch die Haare. "Das hat er mit dir gemeinsam." Naomi musste grinsen. "Sei froh, dass er das nicht gehört hat." "Was… dass er hart im Nehmen ist oder dass er was mit dir gemeinsam hat?" "Dass du ihn mal wieder 'Kleiner' genannt hast", gab sie amüsiert zurück. "Du weißt doch, dass er das nicht mag." Kôji hob gleichmütig die Schultern. "Ach was… er ist nun mal der Jüngste bei uns." "Ich bin auch nicht viel älter", wandte Naomi ein. "Nur knapp zwei Monate." "Aber immerhin älter. Außerdem bist du eine Frau, du darfst ruhig jünger sein." Yûichi stand auf und reichte ihr eine Hand. "Ich nehme an, du hast heute noch nicht allzu viel gegessen…", meinte er mit einem breiten Grinsen. Sie nahm seine Hand und ließ sich von ihm hoch ziehen. "Und was ist mit Rikuo?" Der Rothaarige rappelte sich ebenfalls auf und nahm sich Stift und Zettel. "Ich hinterlasse ihm eine Nachricht, dass er uns oben in der Cafeteria findet. Obwohl ich eher davon ausgehe, dass er anrufen wird. Dann muss er uns nicht suchen." Sofort versteifte sie sich, weil ihr einfiel, wem sie zuvor noch dort begegnet war. "Können wir nicht woanders hin?" "Warum?", wollte der Sänger von ihr wissen. "Ist da irgendwas? Asbest oder so? Oder ist das Essen verdorben?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein… aber… aber… ich…" Sie seufzte. "Auch egal… lasst uns gehen." Verwirrt sahen die beiden Musiker ihr nach, bevor sie ihr folgten. Nach dem kurzen Gespräch mit Markus verzichteten Kirito und Kohta dann doch darauf, sich mit einem von Naomis Kollegen zu unterhalten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie von ihnen mehr erfahren würden als von dem Regisseur, war ohnehin alles andere als hoch. Somit verließen sie recht zügig die Cafeteria und schließlich das Gebäude. Auf dem Weg zu Kiritos Appartement schwiegen sie, da beide ihren eigenen Gedanken nachhingen. Als der Sänger seine Wohnungstür aufschloss, drängelte sich Kohta an ihm vorbei und begab sich sofort ins Wohnzimmer, nachdem er sich seiner Schuhe und der Jacke entledigt hatte. Kirito folgte ihm einige Augenblicke später. Für eine Weile saßen sie nebeneinander auf dem Sofa. Noch immer sagte keiner von ihnen etwas. Der Ältere ließ die kurze Begegnung in der Cafeteria zum wiederholten Mal Revue passieren, auch wenn es keinen Unterschied zu den vorigen Malen machte. Er war sich nicht sicher, ob er sich jetzt besser fühlte. Zwar hatte er sie gesehen, aber miteinander gesprochen hatten sie trotzdem nicht. Vor allem konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie seinetwegen so schnell hatte gehen wollen. Nachdem Kohta bereits seine fünfte Zigarette geraucht hatte und immer noch kein einziges Wort gesprochen worden war, seufzte er. "Wann rufst du sie denn an?" "Hm?" Kirito hatte zwar vernommen, dass sein Bruder etwas gesagt hatte, aber dadurch, dass er in seine eigenen Gedanken so vertieft gewesen war, hatte er den genauen Wortlaut gar nicht mitbekommen. Der Bassist verdrehte die Augen. "Naomi. Anrufen. Wann?" "Du darfst ruhig normal mit mir reden", grummelte der Sänger. "Also? Wann hattest du vor, sie anzurufen?" "Warum soll ich sie überhaupt noch anrufen?", verlangte der Ältere zu wissen. "Du hast doch erreicht, was du wolltest. Wir haben sie gesehen. Ihr geht es gut. Punkt." Kohta sah ihn ungläubig an. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?! Warum willst du nicht mit ihr reden?" Der Sänger bedachte den Jüngeren mit einem nachdenklichen Blick. "Es ist eher so, dass sie nicht mit mir reden will…" Er seufzte. "Du hast doch gesehen, wie eilig sie es hatte. Wenn ich nicht da gewesen wäre…" "Du redest Unsinn und das weißt du auch!", fiel ihm Kohta ins Wort. "Sie hat doch selbst gesagt, dass sie arbeiten muss!" Er schüttelte den Kopf. "So langsam glaube ich wirklich, du spinnst. Sogar dieser Regisseur hat gesagt, dass du mit ihr reden solltest." Daraufhin wandte der andere den Blick ab. "Ich weiß nicht so recht…" "Wenn du nicht willst, dann lass es!", befand der Bassist ungeduldig. "Aber dann hör auch auf, Trübsal zu blasen!" Kirito seufzte schwer. "Du hast ja Recht…" Er warf einen Blick auf die Uhr. "Ich will dieses Gespräch nur ungern am Telefon führen, verstehst du? Und ich weiß auch nicht, wie lange sie heute arbeitet. Wie ich sie kenne, wird es spät. Abgesehen davon kann es auch sein, dass ihre Handynummer gar nicht mehr aktuell ist, danach haben wir natürlich nicht gefragt." Sein Bruder schlug sich leicht vor die Stirn. "Stimmt. Da war was." Er grummelte kurz vor sich hin. "Wenn se eine neue Nummer hat, wissen wir ja wenigstens, wen wir fragen können." "Du bist so ein Schaf, hat dir das schon mal jemand gesagt?", beschwerte sich Naomi, als sie sich zu Hideo auf die Bettkante setzte. "Was fällt dir eigentlich ein, uns so einen Schrecken einzujagen?!" Der Bassist grinste schief. "Tja… was soll ich sagen? Tut mir Leid…?" "Ah…", warf Yûichi ein. "Ist ja nicht so, als hättest du das mit Absicht gemacht." Hideo zog eine Augenbraue hoch. "Als ob ich mich absichtlich eine Steintreppe hinunterstürzen würde!", schnaubte er. "Natürlich nicht!" "Das ist auch dein Glück", brummte Kôji in seiner Ecke, wo er auf einem Stuhl herumlümmelte. "Ansonsten hätte ich noch mal nachgeholfen, darauf kannst du Gift nehmen!" Naomi schnappte sich ein Kissen vom Bett und warf es dem Rothaarigen an den Kopf. "Sag das nicht noch mal, sonst bekommst du es mit mir zu tun", grollte sie. "Und dann kann dir keiner mehr helfen." Als Kôji das Kissen zurückwarf, wollte sie es gekonnt auffangen, verfehlte es jedoch und es traf sie hart im Gesicht, so dass sie nach hinten kippte und auf ihrem verletzten Kollegen landete. Der stöhnte vor Schmerz auf. "Wenn ihr so weitermacht, komme ich nie hier raus!", jammerte er. "Tut mir Leid", erwiderte die Dunkelhaarige, dann warf sie dem Gitarristen einen giftigen Blick zu. Der wiederum hob abwehrend die Hände. "Du hast angefangen! Was kann ich dafür, wenn du nicht fangen kannst?" Naomi wollte gerade etwas darauf erwidern, kam jedoch nicht dazu, weil genau in diesem Moment eine Krankenschwester das Zimmer betrat, die sie darauf aufmerksam machte, dass die Besuchzeit bald vorbei war. Als Kôji sie sah, begann er sofort zu grinsen. "Also, wenn ich so eine hübsche Schwester bekommen würde, wär ich auch freiwillig krank… und hier." Die Studentin knackte gefährlich mit ihren Fingerknöcheln. "Das lässt sich einrichten!", versprach sie ihm. "Glaub mir, das geht ganz schnell." "Ich glaube, es ist besser, wenn wir gehen", stellte Yûichi sachlich fest, dann klopfte er dem Bassisten auf die Schulter. "Sei froh, dass du mit einem gebrochenen Arm und ein paar angeknacksten Zehen davongekommen bist. Es hätte auch schlimmer sein können." Hideo verzog das Gesicht. "Mit den Zehen kann ich leben, aber so kann ich nicht Bass spielen", maulte er. "Dann pass nächstes Mal besser auf." Der Sänger nickte zum Abschied, dann griff er Naomis Arm und zog sie mit sich aus dem Raum. Sie hatte gerade genug Zeit, sich rasch von ihm zu verabschieden, da waren sie auch schon auf dem Flur. Kôji folgte ihnen mit einigem Abstand. Er wollte sichergehen, dass sie ihn nicht strangulierte. Am Aufzug ließ Yûichi sie dann los. "Ich fahre dich nach Hause", beschloss er mit einem Blick auf die Uhr. "Es ist schon spät und du musst morgen sicher früh aufstehen." Naomi lehnte sich an die Wand und nickte. "Ist okay… dann werde ich sicher länger bei den Dreharbeiten sein, wenn die Proben jetzt erst mal ausfallen…" Sie wurde bleich. "Verdammt… die Konzerte müssen auch verschoben werden", seufzte sie. "Darum kümmert sich Rikuo schon, mach dir deswegen mal keine Sorgen." Kôji bohrte ihr einen Finger in die Seite. "Aber so könntest du vielleicht mal ein paar Abende frei haben, um sie mit uns zu verbringen. Wir bekommen dich ja kaum noch zu Gesicht, seit du bei diesem Film mitmachst." "Tut mir ja Leid…", erwiderte sie zerknirscht. "Ich kann auch nichts dafür." "Das wissen wir doch", meinte der Rothaarige versöhnlich und legte ihr einen Arm um die Schultern. "Aber es ist trotzdem schade." Endlich kam der Aufzug und die drei Musiker stiegen ein, damit sie endlich die Heimfahrt antreten konnten. Es war ein langer und nervenaufreibender Tag gewesen – für sie alle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)