Das Leben ist schwarz...schwarzblau von WordlessPoet (Zwei Welten krachen aufeinander) ================================================================================ Kapitel 4: Kapitel 4 Teil 1 und 2 --------------------------------- Kapitel 4 Teil 1 Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich mich zu so was habe überreden lassen. Missmutig wandert mein Blick durch den Bus. Denis und ich müssen den Altersdurchschnitt hier drin um mindestens 50 Jahre senken. Sind denn vormittags nur Rentner unterwegs, oder hat hier irgendwo in der Nähe eine Massenausbruch aus dem Altersheim stattgefunden? Eine alte Frau im Sitz gegenüber bemerkt, dass ich sie beobachte, schaudert kurz und wendet sich zu ihrer nicht minder verstaubten Nachbarin. „Die Jugend von heute ist mir nicht mehr ganz geheuer. So unverschämt und Furcht einflößend“, sie schaudert noch einmal, „Nur gut, dass wir gleich aussteigen müssen.“ Geht’s noch? Sehe ich etwa aus wie ein Schwerverbrecher? Noch so ein Grund, warum ich solche Ausflüge hasse: Menschen. Menschen, die mir aus dem Weg gehen, als hätte ich eine ansteckende Krankheit oder als würde ich gleich ein Messer ziehen und mich wie ein Irrer auf sie stürzen, um anschließend ihr Blut zu trinken und mir damit satanische Muster auf die nackte Haut zu malen. Das in der Schule ertragen zu müssen reicht normalerweise für einen Tag, da muss ich mich nicht auch noch freiwillig unter Leute begeben. Das Problem ist, dass wenn man sich nicht gerne unters Volk mischt und sein zu Hause auch nicht gerade prickelnd findet, ziemlich wenige Möglichkeiten bleiben seien Tag zu verbringen. Alleine irgendwo rum zu sitzen, wo mich niemand sehen kann ist normalerweise genau das Richtige für mich, nur nicht Heute. Heute kann ich mit meinen Gedanken nicht alleine sein, da sie sich unweigerlich um das Vergangene und das noch Kommende drehen werden. Oh ja, sie werden dann richtig aktiv, diese kleinen Scheißviecher. Ich brauche Ablenkung. Jemanden, der mich genug beschäftigt, damit ich bis zum Abend über nichts mehr davon nachdenken muss. Meine Ablenkung sitzt im Moment neben mir, starrt aus dem Fenster und schweigt. Gerade dann, wenn man sie mal brauchen könnte, ist die Sprachfunktion kaputt. Er sieht zufrieden aus. Wer weiß was sich in seinem kranken, optimistischen Hirn für Geschichten abspielen. Ich hoffe nur ich bin kein Teil davon. Allein schon die Vorstellung mich dadrin zwischen lauter Vöglein, tapsigen Hundewelpen und Regenbogen wiederzufinden... Der Bus hält an und der alte Drache steigt aus, vergisst dabei aber nicht mir noch einen vernichtenden und angewiderten Blick zuzuwerfen. Ich zeige ihr den Stinkefinger. Sie hat ihn nicht gesehen (schade eigentlich) dafür aber Denis. „So geht das aber nicht! Hast du denn keine Manieren? Du hättest wenigsten warten können, bis sie deine freundliche Geste bemerkt. Sie hätte dann zwar wahrscheinlich einen Herzinfarkt bekommen, wäre aber mit der Gewissheit gestorben, wenigstens mit ihrer Meinung über die Jugend Recht gehabt zu haben.“ Ein verräterisches Ziehen im Bereich meiner Mundwinkel lässt sich gerade noch unterdrücken. Das war jetzt schon das zweite Mal, dass ich in seiner Gegenwart versucht war zu Lächeln. Vor dem muss man sich echt in Acht nehmen. Es will mir nicht Recht in den Kopf, dass ich tatsächlich gerade durch die Klamottenabteilung eines Kaufhauses latsche. Das passiert doch nicht wirklich oder? Freiwillig hätte ich niemals einen Fuß hier rein gesetzt. Denis musste mich förmlich rein zerren. Er bräuchte dringend neue Klamotten hat er gesagt. Warum er sich ausgerechnet mich ausgesucht hat, ist mir allerdings nicht ganz klar. Ich meine selbst sein krankes Hirn muss auf den ersten Blick erkannt haben, dass ich auf diesem Gebiet eine absolute Null bin. Mein Hiersein kann also nur eines bedeuten: Er will mich zu Tode langweilen. „Elija, komm doch mal her. Was hältst du von dem Hemd hier? Und der Hose?“ Ich zucke mit den Schultern. „Das fragst du mich? Aber immerhin ist es schwarz.“ Er mustert mich skeptisch von oben bis unten und meint dann: „Da hast du wohl Recht… Komm ich probiers mal an.“ Bevor ich mich recht versehe, hat er mich schon durch den halben Laden geschleift und mich in einen Sessel vor den Umkleidekabinen gedrückt. Ich komme mir vor wie in einem schlechten Kinofilm, während ich hier sitze und er sich umzieht. Als ob ich hier auf meine zugespachtelte Freundin warten würde, die kurz zuvor mit einer Frachterladung Kleidung in die Kabine verschwunden ist. Nicht, dass ich schon mal eine gehabt hätte. Zugespachtelt oder nicht. Die meisten Mädchen machen einen kilometerweiten Bogen um jemanden wie mich und den wenigen, die der irrsinnigen Auffassung waren ich sei, ich zitiere: „total süß und schnuckelig“, „einfach nur schüchtern“ oder sogar „ganz Gut aussehend“, habe ich einen Korb gegeben. Ich mag zwar bekloppt sein, aber mit Irren muss ich mich deswegen noch lange nicht abgeben. Davon einen Psychiater über ihren zweifelhaften Geisteszustand in Kenntnis zu setzten, habe ich mal abgesehen. Außerdem ist dieser ganze Liebes- und Beziehungsquatsch einfach nur für den Arsch. Neben mir ertönt plötzlich ein Poltern. Ein völlig fertig aussehender Typ, voll bepackt mit Einkaufstüten sinkt in den Sessel neben mir. Seine Freundin verschwindet mit einem Arm Klamotten in einer Umkleide. Meine Damen und Herren, abgeht's in einen schlechten Kinofilm, es sind noch Rollen zu haben! „Frauen!“, er verdreht die Augen und meint an mich gewandt, „Deine bessere Hälfte hat dich wohl auch hier zurückgelassen. Wir Männer haben’s nicht leicht.“ Die erwartete Zustimmung bleibt ihm verwehrt, denn in diesem Augenblick kommt Denis aus seiner Kabine. Er trägt ein beinahe hautenges schwarzes T-Shirt mit weißem Aufdruck und sieht verdammt gut damit aus, richtig sexy. Er sollte öfter Schwarz tragen… Shit! Shit!! Was sind das für kranke Gedanken. Sexy… Nun gut, er hat einen gut gebauten Körper und dieses Shirt betont seinen Oberkörper sehr vorteilhaft. Wenn mich nicht alles täuscht zeichnet sich da sogar ein Ansatz von Sixpack ab. Zudem passt Schwarz hervorragend zu seinen braunen Haaren und den blauen Augen… aber verdammt! Ihn deshalb als sexy zu bezeichnen ist schon irgendwie krank. Er ist ein Junge, ich bin ein Junge, mein Hirn sollte bei Denis’ Anblick keine Wörter wie sexy ausspucken. Schwerer Rechenfehler, umgehend herunterfahren und neustarten. Es hat sich wie festgefressen, ist nicht mehr raus zu bekommen. Ich bin echt abartig. Ich sehe es noch vor mir, irgendwann prangt nicht nur der Stempel Loser, sozialer Krüppel und manisch Depressiver auf meiner Stirn, sondern ich kann dem auch noch ein dekoratives 'schwuler' voranstellen. Aber ich sollte in dieser Hinsicht nicht so schwarz malen, davon trag ich schon genug. Dieser vorübergehende Totalaussetzer meiner Rechenzentrale ist hoffentlich bald behoben. „Na, was meinst du, kann man das tragen?“ Oh ja, man kann! Schon wieder taucht dieses Wort in meinen Gedanken auf. Verflucht! „Hmmm…es ist schwarz.“ Seine Augen funkeln belustigt. „Das bedeutet dann so viel wie ja. Mir gefällt es auch, aber ich bin dir für dein qualifiziertes Urteil sehr dankbar.“ Kaum ist er wieder in der Umkleide verschwunden bemerke ich, wie der Typ neben mir mich anstarrt. Was gibt’s denn da zu glotzen, hält der mich etwa auch für einen Serienkiller? Herausfordernd starre ich zurück. Auf ein Mal fängt der an wie blöd zu grinsen. Hab ich gerade was verpasst? Ich beschließe, dass der bedauernswerte Mann einfach schon zu lange shoppen musste und dabei offenbar eine beträchtliche Menge Gehirnzellen eingebüßt hat, was letztendliche Ursache dieses hohlen Grinsens ist. Am Besten ich ignoriere ihn einfach, bevor ich sich meine Wut durch die wohlverstopften Dämme frisst, was in letzter Zeit erschreckend häufig passiert. Sein Blick huscht immer wieder zwischen mir und Denis’ Umkleide Hin und Her und sein Grinsen wird anzüglich. Endlich fällt auch bei mir der Groschen. Wie ich die Menschen doch hasse. „Wie sieht’s aus El, können wir gehen?“ El? Ich glaub dem guten Denis geht es zu gut. Was erlaubt der sich eigentlich? El!? „Ich glaub du tickst nich mehr richtig, Wie hast du mich eben genannt…“ „Hey…“, auf ein Mal steht er viel zu nahe bei mir und wispert mir verschwörerisch ins Ohr. Sein warmer Atemhauch überzieht meinen Rücken mit Gänsehaut. „…was grinst der Typ da so dämlich.“ Er rückt ein Stück von mir ab um mich kritisch zu mustern. „Du hast doch nichts angestellt oder?“ Meine einzige Antwort besteht aus einem vernichtenden Blick, der ihn nicht nur völlig kalt lässt, sondern ihm auch noch ein Grinsen entlockt. Der macht mich noch wahnsinnig. Sein Gesicht nähert sich wieder meinen Ohr. „Jetzt sag schon, was hat der Typ!“ In der Hoffnung ihn damit zu mehr Abstand zu bewegen, seine Nähe wirkt sich nämlich ungesund auf meine blasse Gesichtsfarbe aus, meine ich: „Der hält mich für deinen Freund.“ „Aber ich bin d…“ „Bist du schwer von Begriff? Nicht so ein Freund.“ Nach ein paar Sekunden spiegelt sich Verständnis in seinen blauen Augen, Mann, hat der ne lange Leitung, und kurz darauf glitzern sie schelmisch. Er beugt sich etwas vor und legt einen Arm um meine Schulter. „Was hast du vor?“ „Wirst schon sehen…“ Den Arm um meine Schulter, schiebt er mich Richtung Kasse und vergewissert sich aus dem Augenwinkel, dass der Kerl uns auch beobachtet. Vielleicht liegt es an meiner leicht paranoiden Ader, oder meinem unguten Verhältnis zu abgrundtief peinlichen Vorfällen, aber mir schwant Böses. Seine Hand rutscht immer tiefer, befindet sich schon fast an meiner Taille. Entsetzt schaue ich ihn an. Er sieht ganz unbeteiligt nach vorne, während sein Hand immer weiter nach unten wandert. Seine Augen haben einen geradezu scheinheiligen Ausdruck und wenn er nicht bald damit aufhört mit ihnen so viel Glitzer durch die Gegend zu werfen, könnte man ihn ohne Probleme in einer Barbiewerbung unterbringen. Was zum Teufel veranstaltet der hier. Mein Gesicht fühlt sich schon unnatürlich heiß an und ich will gerade nach dieser unverschämten Hand greifen, um sie Denis mit gebührenden, für die Öffentlichkeit möglicherweise unpassenden Bemerkungen und alles andere als lieben Grüßen, postwendend zurück zu schicken, als sie plötzlich auf meinem Allerwertesten zum Liegen kommt. Eine knallrote Ampel wäre ein Witz zu dem, was da im Moment auf meinen Schultern thront. Ich bring ihn um! Möglichst grausam und ohne die geringste Spur von Reue. Ich möchte augenblicklich im Erdboden versinken und ihn von mir stoßen. In der Sekunde, in der ich mich aus der Starre befreien kann und zum Handeln bereit bin, nimmt er sie von selbst weg und boxt mir freundschaftlich in die Seite. „Schau dir mal den an, dem fallen beinahe die Augen aus dem Kopf. Das war’s echt wert.“ Ich muss zugeben, der Ausdruck ist wahrhaft einmalig und innerlich muss ich sogar fast grinsen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das die Sache wert war. Ihn scheint die ganze Aktion völlig kalt zu lassen, aber ich kann das von mir nicht behaupten. Noch immer kann ich seine Hand als kribbelnde Stelle auf meinem Hintern spüren. Ich sollte deswegen wütend auf ihn sein, niemand darf mich ungestraft angrabschen. Das erwartete Gefühl bleibt jedoch gänzlich aus und zurück bleibt nichts als Verwirrung und eine ordentliche Portion Scham, gemischt mit einer undeutlichen und unheilvollen Vorahnung. Ich schaff es doch immer wieder mich noch tiefer in die Scheiße zu reiten. Wenn es tatsächlich das ist, was ich denke, dann habe ich keine andere Wahl. Warum muss so was immer mir passieren? Ich darf auf keinen Fall zulassen, dass dieses… dieses Etwas noch mehr Boden gewinnt. Bei dem Gedanken, was ich dafür tun muss, zieht sich dieses kalte, verschrumpelte Ding in meiner Brust schmerzhaft zusammen. Genau das ist der Grund es abzutöten. Es zu töten, diesen winzigen Hauch davon, der sich bereits eingenistet hat, bevor der Schmerz so unerträglich werden kann, dass er alles auffrisst. Mit einem Seitenblick auf Denis, der fröhlich schwatzend neben mir hergeht, wird mir klar, dass es wehtun wird, schon mehr als ich gehofft hatte. Wie konnte das passieren? Ich hatte mir doch geschworen… Meine Augen werden feucht, schnell blinzle ich die Tränen weg. Ich werde den Typ verklagen, der so nah am Wasser gebaut hat. Es ist besser so. Besser für ihn und besser für mich. „… und dann haben Seb und ich…“, leise kichert er in sich hinein. Es wird sehr schmerzhaft werden… aber es ist besser so… …für ihn. Kapitel 4 Teil 2 Genervt schaue ich aus dem Fenster. Welcher Idiot hat Französisch erfunden. Mann sollte ihn nachträglich dafür in die Hölle schicken, dass er es heute noch schafft tausende von Schülern mit unregelmäßigen Verben zu Quälen. Und zum wiederholten Male ist keine Ablenkung in Sicht. Elija war seit dem Nachmittag in der Stadt nicht mehr in der Schule. Der war schon vor drei Tagen. Ich frage mich, was diesmal mit ihm los ist. Ich dachte, er hat schon genug Ärger mit Fehlstunden und jetzt ist er wieder nicht da. Wenn ich im Nachhinein so darüber nachdenke, war er neulich gegen Ende unseres Stadtbummels sehr merkwürdig. Er hat sich erneut total abgekapselt und hat auf nichts mehr reagiert, was ich zu ihm gesagt habe. Er war richtig unfreundlich und abweisend, aber als wir uns dann verabschiedet haben, sah er auf einmal traurig aus. Er hat mich nicht mal angeschaut und ist dann wortlos verschwunden, allein in die anbrechende Dunkelheit. Irgendwas lag ihm auf dem Herzen. Ich war wieder zu feige um zu fragen. Dieses nagende Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung, ist lässt mich seitdem nicht mehr los. Vielleicht sollte ich mal bei ihm vorbei schauen, auch wenn er mich dann wahrscheinlich mit einem bis an mein Lebensende reichenden Vorrat an Schimpfwörtern bedenken würde. Ja, das sollte ich wirklich tun, denn unser Lehrer kündigt gerade eine Arbeit für nächste Woche an. Wenn das nicht ein Grund ist um Elija zu Hause zu besuchen, dann weiß ich auch nicht. Obwohl es eigentlich nichts Besonderes ist einen Mitschüler zu Hause zu besuchen, bin ich doch ein bisschen nervös. Ich besuche immerhin nicht irgendeinen Mitschüler sondern Elija, das ist schon was anderes. Ich wette ne menge Leute würden einiges dafür geben zu wissen, wie er so wohnt. Die Gegend in der sein Haus liegt ist nicht schlecht. Auf meinem Weg bin ich bisher an mindesten zehn gigantischen Villen vorbeigelaufen und der Rest ist auch nicht gerade von schlechten Eltern. Sein Zuhause ist hier wohl eines der kleinsten, trotzdem staune ich nicht schlecht. Eine gut gepflegte Hecke führt um das Grundstück herum und ein offen stehendes, schmiedeeisernes Tor gibt den Weg zum Haus frei. Das Haus selbst ist strahlend weiß und ist bestimmt mehr als 80 Jahre alt, mit hohen großen Fenstern und Ornamenten, die dem ganzen Haus trotz seiner strengen geraden Linien ein gewisse Verspieltheit verleihen. Das hätte ich nicht erwartet. Ich meine Elija macht so gar nicht den Endruck von verwöhntem Bengel aus reichem Hause. Außerdem ist wirkt das Bild, das Elija in dieser Umgebung zweifellos abgeben muss ziemlich grotesk. Da sieht man mal wider, wie wenig ich doch von ihm weiß. Etwas eingeschüchtert und nach einer unangemessen langen Bedenkzeit vor den Flügeln des mächtigen Tores, kann ich mich schließlich dazu durchringen zur Tür zu gehen. Nach einer ausgedehnten Weile schaffe ich es endlich die Klingel zu drücken. Angespannt warte ich. Nachdem nach über einer Minute nichts passiert ist, versuche ich es noch einmal. Er tut sich wieder nichts. Das kann doch nicht wahr sein! Er muss doch zu Hause sein. Ich versuche es mit Sturmklingeln. Na warte, wenn du doch da bist, wirst du mir irgendwann aufmachen müssen. Und tatsächlich nach über zwei Minuten Dauergeklingel und leisen Gebeten, dass seine Eltern nicht plötzlich die Tür aufreißen, ertönt eine genervte Stimme aus der Sprechanlage. „Verdammt noch mal, ich brauche nichts. Ich bin mit Viagra versorgt, habe bereits ein Abo von 'Gartenzwerge und ihre Freunde', züchte die weltgrößte Schimmelpilzkolonie auf meinem seit Jahren ungesaugten Teppich und Gott habe ich letzte Woche in kleine Stückchen zerhackt, bewahre ihn derzeit in meiner Kühltruhe im Keller auf und werde ihn demnächst mit meinen dunklen Brüdern in einem satanischen Ritual verspeisen, also verschwinden sie endlich!“ „Behandelst du Besucher immer so freundlich?“ „…Denis?“ „Richtig geraten. Darf ich vielleicht rein kommen? Ich verspreche auch keine Bibel mitzubringen.“ „Ich glaube nicht, dass das eine gute I…“ „Ach komm schon ich hab mir extra die Mühe gemacht… und weißt du es ist nicht gerade ein Katzensprung von mir zu dir also… Bitte!“ „I… Ich bin hochgradig ansteckend!“ Die Ausreden werden ja immer besser. „Das Risiko nehme ich auf mich.“ „…Mist, verdammter!“, er klingt irgendwie in die Ecke gedrängt, „Du wirst auch nicht verschwinden, wenn ich dir erzähle, dass unsere fleischfressenden Pflanzen, die zufällig neben der Tür stehen, schon länger nicht mehr gefüttert wurden?“, kommt es dann noch fast hoffnungsfroh. „Da muss ich dich leider enttäuschen. Ich hab bis jetzt noch jedes Grünzeug in die Knie gezwungen.“ Am anderen Ende herrscht lange Schweigen, bevor sich die Tür mit einem Klicken und unter resigniertem Schnauben entriegelt. Na also, geht doch. „Aber… erschreck dich nicht!“ Jetzt bin ich aber wirklich gespannt. Langsam und vorsichtig öffnet sich die Tür nur einen schmalen Spalt. Drinnen ist es stockdunkel, sodass ich nur seine Umrisse hinter der Tür sehen kann. Ich schlüpfe schnell rein, bevor er es sich noch anders überlegt. Das fehlende Licht macht es mir unmöglich etwas zu erkennen. „Sag mal, hast du plötzlich eine Lichtallergie oder warum ist es hier so finster?“ „Nein, das nicht aber…mir wär’s lieber wenn du das Licht ausl…“ Ich kann hinter mir an der Wand einen Lichtschalter fühlen und ohne groß nachzudenken, lege ich ihn um. „Sag bloß du hast einen Kater?“ Das Licht blendet meine Augen, die sich schon an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Gequält kneife ich sie zusammen und öffne sie nur langsam. Bei dem Anblick, der sich mir bietet wünsche ich, ich hätte das Licht nicht angeschaltet, die Augen zugelassen. Der Rucksack, den ich bis dahin noch in der Hand hatte, fällt mit einem, in der entstandenen Stille, ohrenbetäubend lauten „Womph“ zu Boden. Ich kann nicht anders als Elija mit entsetztem Gesicht anzustarren. Beschämt und wütend zugleich fixiert er den Fußboden neben sich und reibt sich nervös die Schulter. Er tut alles um meinem forschenden Blick auszuweichen, während ich ziemlich erfolglos versuche meine entgleisten Gesichtszüge wieder in Ordnung zu bringen. „Starr mich nicht so an verdammt!“, bricht es gequält, ja fast verzweifelt aus ihm heraus. Für einen kurzen Augenblick treffen sich unsere Blicke. Blau auf Grün. „Hab ich vielleicht Dreck auf der Nase, oder gibt’s sonst noch einen Grund, warum du mich so bescheuert anstarrst?!“ „E…Elija“, ich merke, wie meine Stimme zittert, „w…was ist mit dir passiert!?“ Sein rechtes Auge ist geschwollen und dunkelblau umrandet. Es scheint ihm Mühe zu machen damit etwas zu sehen. Ein beinahe flächendeckender Bluterguss ist von seinem Gesicht übriggeblieben, kaum eine Stelle unversehrt blasser Haut zu sehen. Seine sonst so vollen Lippen sind zusammengepresst, an einigen Stellen sind sie von Krusten bedeckt. Die schmalen weißen Arme, die aus seinem T-Shirt hervorragen, sind mit zahlreichen frischen Schnitten übersät und an seinem Oberarm, so wie an seinen Handgelenken zeichnen sich deutlich die dunklen Spuren zweier Hände ab, die ihn dort offenbar mit viel Kraft gepackt hatten. Seine ganze Haltung sieht seltsam angespannt und gleichzeitig kraftlos aus. Immer wieder verzieht sich sein Gesicht, wie unter Schmerzen. „Nichts!“, zischt er wütend. Seine Hand presst sich auf seine Rippen und er beißt sich so fest auf die Lippen, dass sie erneut anfangen zu bluten, Schmerz huscht über sein geschundenes Gesicht. Nichts... Nichts, aber sicher doch. „Lüg mich nicht an!“, meine Augen fühlen sich feucht an. „Wer hat dir das angetan?“ „Niemand! Hab ich nicht erwähnt, dass ich unter die Artisten gegangen bin? Ich hab nicht aufgepasst, als ich meine Seiltanznummern geübt hab. Wenn ich sie besser draufhab, dann zeige ich sie dir... du siehst, nichts dramatisches“, kommt es immer noch wütend aber schon deutlich schwächer als vorher zurück. Meine Brust ist wie zugeschnürt. „Verdammt noch mal, du wurdest verprügelt! Sag nicht das ist Nichts!“ Inzwischen stehe ich direkt vor ihm und habe ihn in meinem Schock an den Schultern gepackt, lasse ihn jedoch sofort wieder los, da er vor Schmerzen aufstöhnt. Etwas Heißes läuft mein Gesicht herab. „Halt mich nicht für bescheuert! Wer hat das getan?“ Mit großen, beängstigend leeren Augen schaut er mich an. Sein Blick geht direkt durch mich hindurch und verliert sich in der Ferne. Sein Körper scheint auf ein Mal wie erschlafft. Na komm schon schnauz mich an! Sei wütend aber sie mich nicht so an, das passt nicht zu dir. „Elija?“, vorsichtig lege ich meine Hand auf seine Schulter, darauf bedacht ihm nicht nochmal wehzutun. Keine Reaktion. Behutsam nehme ich seinen Kopf in meine Hände und bringe ihn dazu mich anzusehen. Fast körperliche Schmerzen durchfahren mich, als sich mein besorgtes und entsetztes Gesicht in seinen beinahe toten Augen spiegelt. „Elija…“, ein heftiges Schluchzen schüttelt mich. Am liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen, aber ich habe Angst ihn noch mehr zu quälen, „Komm zu mir zurück hörst du…“ Sein Ausdruck bleibt leblos, ähnlich wie der, der mir schon im Korridor solche Angst eingejagt hat. „Du darfst jetzt nicht aufgeben!“ Nichts. „Ich bin hier, wegen dir! Bequem dich endlich und komm zurück!“ Der Gedanke, dass er sich in dieser Leere verlieren könnte, erscheint mir in diesem Moment unerträglich. Eine einsame Träne löst sich aus seinem Augenwinkel und fällt zu Boden, Leben kehrt in die überraschend grünen Augen zurück, die im Wasser zu ertrinken scheinen. Unsere tränennassen Blicke bohren sich ineinander, halten sich gegenseitig fest und lassen sich nicht mehr los, wie zwei Ertrinkende, die sich verzweifelt aneinanderklammern, in der irrsinnigen Hoffnung, dass es sie vor dem sicheren Tod bewahrt. Nur werde ich nicht zulassen, dass dieses leuchtende Grün wieder in den Fluten versinkt. „Du bist auch unter die Heulsusen gegangen“, stellt er überrascht fest. Noch immer ruht sein Gesicht in meinen Händen, er macht jedoch keine Anstalten das zu ändern. „Ich heiße dich herzlich willkommen im Klub, allerdings ist der Mitgliedsbeitrag hoffnungslos überteuert und die Vorteile sind echt mickrig. Willst du deine Entscheidung vielleicht noch mal überdenken?“ „Dummkopf…“, ich wische mir mit dem Arm die Tränen aus dem Gesicht, „Ich mache mir Sorgen um dich.“ „Um… Mich?“ Der schmerzvolle Ausdruck kehrt in seine überrascht geweiteten Augen zurück, er entwindet seinen Kopf meinem Griff und wendet sich ab. „Das brauchst du nicht, mir geht es gut.“ Ich gehe um ihn herum und halte ihn so fest, dass er sich nicht mehr abwenden kann. „Verkauf mich nicht für dumm. Jemand hat dir sehr wehgetan und es geht dir alles andere als gut. Bei jeder Bewegung zuckst du vor Schmerz zusammen und gerade eben dachte ich wirklich es ist aus mit dir. Erzähl mir also nicht, dass es dir gut geht. Das ist nicht wahr! Ich will dir doch nur helfen.“ „Ich brauche deine Hilfe nicht! Mir geht es doch prächtig, wie du siehst. Ich habe all die Zeit immer alles bestens im Griff gehabt. Allein. Da gibt es nichts zu helfen.“ „S… soll das heißen, das geht schon länger so?“ „…“ Sein Blick weicht mir immer noch aus, aber er sieht aus, als wolle er sich am liebsten selbst eins überbraten. „Wer tut dir das an? Irgendwelche Schlägertypen aus der Schule? „Nein.“ „Andere Schlägertypen? Erpresst dich wer?“ „Nein! Ich dachte, ich lege mir einen neuen Look zu: blaugrün. Gefällt er dir?“, er fixiert mich mit verächtlicher Bitterkeit. „Wenn es niemand von denen ist dann vielleicht… sag nicht es ist jemand aus der Familie!?“ „…“ „Jemand aus der Familie… dein Vater?“ „…“ „Dein Vater!?“ Plötzlich dämmert mir etwas Furchtbares. Das Gespräch mit der Lehrerin. Das blasse Gesicht Elijas. Der Vorfall im Klo und auf dem Flur. Die verängstigte Miene, immer wenn es darum ging nach Hause zu gehen. All das fügt sich zu einem hässlichen Puzzle zusammen. Ich kann und will mir keine Vorstellung davon machen, wie es wohl ist vom eigenen Vater aufs schwerste misshandelt zu werden, über Jahre hinweg so wie es aussieht. Aber ich habe gesehen, was die alleinige Erinnerung daran mit einem Menschen machen kann und das reicht, um jeden zu hassen, der einem andern so was antut. Nach dem Nachmittag in der Stadt kam er wahrscheinlich nach Hause, wo sei Vater schon auf ihn wartete und so wie er danach aussah, immer noch aussieht, konnte er in den letzten Tagen wohl kaum in die Schule kommen. Unbändige Wut kocht in mir hoch. Wut auf einen Mann, den ich nicht mal kenne, den ich nie gesehen habe, der Elija so etwas Furchtbares angetan hat. Ich merke, wie meine Hände sich um seine Oberarme verkrampfen. Schnell lasse ich ihn los und sinke erst mal zu Boden. Ich muss mich beruhigen. Der Schock und die Angst steckten mir noch in allen Gliedern. Das war nicht ganz das, was ich erwartet habe, als ich beschloss ihn hier zu besuchen. Ich dachte er wäre arbeiten oder schwänzt die Schule oder sei sogar wirklich krank aber das, das hatte ich sicher nicht erwartet. Ganz und gar nicht… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)