Der Trank der wahren Gefühle von PinkLady18 ================================================================================ Kapitel 82: Epilog Sasuke ------------------------- Nicht einmal der Tod hatte ihn verändert. Seine Haut war schon vorher so blass und wächsern gewesen, seine Lippen so bleich, seine Körperhaltung ebenso starr und unnatürlich regungslos. Man hatte seine Augen geschlossen. Das wusste ich, weil sie offen gewesen waren, als er starb. Aber auch das konnte seinen Zügen nicht die amüsierte Gleichgültigkeit nehmen. Für mich würde immer dieses grausame Lächeln auf seinen Lippen liegen, ganz gleich wie regungslos er war. Meine Finger juckte es danach, ihn anzufassen, zu fühlen wie kalt und leblos er war, genau wie die Metallliege, auf der man ihn platziert hatte - und zugleich graute mir davor, ihn noch einmal zu berühren. Ich neigte den Kopf und ließ meinen Blick an ihm entlang wandern, an den lächerlich verschränkten Händen auf seiner Brust und der makellosen, wenn auch schlichten schwarzen Kleidung, die man ihm nach all den Untersuchungen angezogen hatte. Ich rieb geistesabwesend über meinen Arm, starrte. Diese Bilder würden sich ewig einbrennen, ganz gleich, wie gern ich vergessen würde, ihm jemals begegnet zu sein. Und ebenso wenig würde sein Bruder ihn vergessen können. „Du hast ihn zerstört.” Unbeabsichtigt hatte ich die Worte laut ausgesprochen und sie hallten endgültig von den Wänden zurück. Dann legte sich wieder Stille über den Raum und ich ballte die Fäuste auf meinem Schoß, um sie nicht um seinen toten Hals zu legen oder sein gemeißeltes Gesicht zu zerkratzen. Ein unfreiwilliges Zittern rollte über meine Schultern und ich kauerte mich enger zusammen - ein fruchtloser Versuch, mir etwas Restwärme zu bewahren. Die Luft in diesem Raum war so stark heruntergekühlt, dass ich eine dicke Jacke vertragen hätte. Jetzt, wo die Jutsus, die Itachis Körper mehrere Wochen vor dem Verrotten bewahrt hatten, aufgehoben worden waren, war es nur noch eine Frage von Minuten, bis sein Körper sichtbar verwesen würde. Die frostige Luft sollte diesen Prozess so lange verlangsamen, bis ich, als letzte Besucherin, die Leichenhalle verlassen würde. Ich blickte finster zur überdimensional großen Uhr über dem Eingang. Ich war nun beinah eine Stunde hier - und konnte mich einfach nicht lösen. Es machte keinen Unterschied, dass ich gehen wollte. Jedes Mal, wenn ich mir sagte, dieser Blick würde der letzte sein, hielt es mich hier. An der Seite eines toten Mörders. Zwei Wochen waren vergangen seit Sasuke Konoha verlassen hatte - zwei Wochen, in denen ich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte, um herauszufinden, wohin er gegangen war und wie man ihn nach Hause holen könnte. Am selben Morgen an dem ich erfuhr, dass er uns zurückgelassen hatte, war ich in Tsunades Büro gestürmt, hatte sie verflucht und alle, die seine kopflose Flucht erlauben konnten. Sie hatte hinter ihrem Schreibtisch gesessen, so ruhig und gelassen im Angesicht meines Ausbruchs, trotz der Tatsache, dass ich ihre Tür mit einem Knall gegen die Wand aufgestoßen hatte. Sasuke hatte sie um eine Auszeit gebeten. Und sie hatte sie ihm genehmigt - ohne Zeitbegrenzung. Die einzige Bedingung, die er zu erfüllen hatte, war regelmäßig Bericht zu erstatten. Für sie hatte es keine Rolle gespielt, was alles dagegen sprach. Seine Verfassung und seine bisherige Geschichte - nichts davon hatte Tsunade in irgendeiner Form beeindruckt, auch wenn sie ihn sich selbst und seinen Schatten überlassen hatte, damit sie sich gegenseitig zerfressen konnten. Sie erklärte mir, dass sie ein langes Gespräch mit ihm geführt hätte und dass sie sicher war, die beste Entscheidung getroffen zu haben. Und so blieb es dabei - Sasuke würde in absehbarer Zukunft nicht nach Konoha zurückkehren. Er würde monatelang fortbleiben. Vielleicht Jahre. Oder für immer. Ich hatte nach wie vor Schwierigkeiten, mir dieses Gespräch vorzustellen. Er hatte ihr ein Vertrauen entgegengebracht, das er mir fest entschlossen verwehrt hatte und mich mit nichts als Vorwürfen zurückgelassen. Ich hatte meine eigenen Kämpfe auszutragen - aber gerade deshalb vermisste ich ihn den langen, dunklen Stunden der Nacht, wenn Itachis Schatten übermächtig wurde, am meisten. Beinah jede Nacht suchte Itachi mich in meinen Träumen heim, beinah jede Nacht wachte ich schwitzend und keuchend davon auf und wanderte rastlos durch mein Zimmer bis ich irgendwann erschöpft dort zusammensackte, wo ich gerade war. Morgens lag ich kalt und steif auf der Fensterbank, auf meinem Teppich, neben meinem Bett, war für einen kurzen, friedlichen Moment nicht in der Lage, mich an all die Schatten zu erinnern - und dann rammte mich die Realität zurück auf den Boden der Tatsachen und ich machte mich klein und wollte am liebsten verschwinden. Itachi hatte etwas in mir kaputt gemacht, das sich nicht wieder zusammensetzen ließ. Das zerbrochen in mir ruhte und mit jeder Bewegung, mit jedem kleinen Funken Kampfgeist, der sich durch das schwarze Loch kämpfte, in dem ich Tag für Tag langsam versank, in alles schnitt, was darum herum ruhte. Aber das hatte Sasuke nicht gekümmert. Und noch jetzt ließ der Gedanke an diesen Tag, an dem er mich vor vollendete Tatsachen gestellt hatte, eine Bitterkeit in mir aufsteigen, so intensiv, dass ich sie auf der Zunge schmeckte. Tsunade hatte erraten, dass er sich nicht verabschiedet hatte, aber ihr Bedauern darüber änderte gar nichts. Die Worte, die sie mir hinterher gerufen hatte, als ich aus ihrem Büro stürmte, hatten jedoch ihre Spuren hinterlassen. „Ich hoffe, dass es ihm helfen wird! Dass er durch diese Auszeit neue Orientierung findet…sein Leben ordnen kann. Diese Chance hat er nicht gehabt, seit er sieben Jahre alt war. Wir sollten sie ihm geben, Sakura. Zu seinen Bedingungen.” Und er sollte sie haben, diese Chance. Ebenso wie ich sie hatte. Und ich würde sie nutzen. Es war höchste Zeit, mich um mich selbst zu kümmern und mein Leben wieder in Ordnung zu bringen. Sich um jemanden zu sorgen, der sich davon eingesperrt fühlte, war nur eine Verschwendung von Energie. Jetzt…saß ich hier, ein bisschen schlauer als zuvor, aber bitter, so bitter und ich wusste nicht, wie ich über all das hinwegkommen sollte. Ich musterte den leblosen Körper des vorletzten Uchihas mit seltsam losgelöster Abscheu. Alle Untersuchungen waren abgeschlossen, jede noch so kleine Information, die zu retten war, hatte man seinem Körper entnommen und jetzt lag tatsächlich nicht mehr als eine leere Hülle vor mir, die darauf wartete, aus dieser Halle entlassen und verbrannt zu werden. Ich hatte diese letzten paar Minuten, um mich mit allem abzufinden. Um einen Abschluss zu finden, wie man mir mitgeteilt hatte. Tsunade hatte über ihre Untertanen mit mir kommuniziert: Sie wollte, dass ich hier war. Ich…wusste nicht mehr, was ich hier tat, was ich geglaubt hatte, zu erreichen, indem ich eine Leiche begutachtete. Wie ich bereits festgestellt hatte, sah er nicht anders aus und warum auch - wenn der letzte, klägliche Rest seiner schwarzen Seele ihn schon zu Lebzeiten verlassen hatte, dann gab es auch jetzt nichts, das seinen Körper hinter sich gelassen haben konnte, nichts, das auch nur den geringsten Unterschied gemacht hätte. Ich neigte den Kopf zur Seite als jemand mit langsamen Schritten an mich herantrat, einen der unbequemen Rollhocker zu sich zog und neben mir Platz nahm. Wenn man an den Teufel dachte… Ich weigerte mich, ihr ins Gesicht zu sehen, zog stattdessen vor, Itachis bleiches Gesicht weiter anzustarren und ihm die Hölle zu wünschen. Aber sie tat mir nicht den Gefallen, zuerst zu sprechen, und irgendwann erschöpfte sich mein zweckloser Wunsch. Ich senkte den Blick und löste meine Fäuste aus ihrem festen Griff. „Du hast dich geirrt.” Wieder hallten meine Worte durch den Raum. Wir waren die einzigen hier, alle Fachleute hatten mich diskret mit einem Toten allein gelassen, der mich beinah umgebracht und einen ganzen Clan auf dem Gewissen hatte.   „Worin?” Ich knirschte mit den Zähnen, um meinen mühsam unterdrückten Zorn nicht hinaus zu schreien. Diese Ruhe machte mich rastlos, ich wollte sie schütteln und sie ihr nehmen und damit meine Monster betäuben und einschläfern. Stattdessen musterte sie mich, bewegungslos und aufmerksam, und ich konnte nicht aus ihrem Mikroskop ausbrechen, ganz gleich, ob ich verdammt nochmal nicht mehr seziert werden wollte. Ich atmete harsch aus, beugte mich nach vorn und legte meine Ellbogen auf meinen Oberschenkeln ab. „Das hier bringt gar nichts. Es ist mir gleich, was deine Psychologen sagen.” Ihr Blick fiel auf Itachi. „Wir haben alle Informationen zur Durchführung des Jutsus sicherstellen können, wusstest du das?” Ich gab keine Antwort. Die kurze Euphorie, die diese Information in mir ausgelöst hatte, war sofort unwiederbringlich zerschmettert worden, als man mir gleich im nächsten Satz mitteilte, dass diese Tatsache nichts an meinem Zustand ändern würde. Die Durchführung gab keinen Hinweis auf eine Auflösung des Jutsus und sie würde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch nie mehr hergeben, nicht einmal bei eingehender Studie. Das bedeutete, dass ich von heute an, mit wissenschaftlicher Gewissheit und nach neuestem Forschungsstand, für immer gezeichnet war. Und dass niemand herausfinden konnte, warum. Oder was man dagegen tun konnte - weil Itachi ein Jutsu an mir ausprobiert hatte, das offenbar niemandem mehr bekannt war. „Wenn man weiß, wie ein Jutsu durchgeführt wird, ist es nur der nächste logische Schritt herauszufinden, wie man es wieder auflöst.” Als hätte sie meine Gedanken gelesen. „Sicher. Versuchen wir es mit einem ‚Kai’.” Sie ließ meine Ironie an sich abprallen, die Ruhe selbst. Ich drehte den Kopf zu ihr, erstmals seit sie hereingekommen war und ich musterte ihre dunklen Augenringe und die angespannten Falten um ihre Augen, die ihr wahres Alter andeuteten. „Du hättest ihn nicht gehen lassen sollen.” Unsere Beziehung hatte merklich Schäden davon getragen. Aber das hatte ich auch - einen Schaden, der für immer sichtbar auf meinem Unterarm prangte und mich in den schlimmsten Nächten beinah um den Verstand brachte. Und ich musste damit leben. Da saß sie auf dem schäbigen Hocker, gelassen, trotz der Tatsache, dass Itachi vor ihr lag und ich, ihre verfluchte Schülerin, viel zu lange hier fest hing und nichts anderes getan hatte als ihn anzustarren. Sie stützte ihr Kinn auf eine Hand und wandte sich zu mir. „Wie lange bist du hier, Sakura?” Ich verengte die Augen und sah zur Seite. „Sie haben nach mir schicken lassen.” Sie faltete ihre Hände auf ihrem Schoß. „Itachi liegt mittlerweile seit drei Stunden hier. Der Verwesungsprozess ist nicht mehr aufzuhalten und die Vorschriften geben vor, dass er-” „Ich kenne die Vorschriften." Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie sie den Blick von mir nach vorn, auf Itachi richtete. „Ihre Ähnlichkeit ist bemerkenswert. Aber sie sind mindestens genauso gegensätzlich wie einander gleich.” „Ich bin nicht in Stimmung für so etwas, Tsunade.” „So? Was sonst könnte dir durch den Kopf gehen, hier, allein mit ihm?” „Sicher nicht, wie ähnlich er seinem Bruder ist…!” „Wo wäre er jetzt?” Ihre Stimme war schneidend und ungewohnt laut in diesem Raum voller Tod. Ich gab ein abfälliges Geräusch von mir und biss mir auf die Lippe. „Wo wäre dieser junge Mann, der mit so vielen traumatischen Erlebnissen leben muss und sie nie verarbeitet hat?” Sie sprach genau so, wie sie auch ihre Missionsaufträge vergab. Klar. Unmissverständlich. Ich schluckte und bemühte mich - so angestrengt - um Höflichkeit. Aber die Bitterkeit war gefräßig und verlangte ihren Anteil und sie lockte Geständnisse aus mir hervor, die tief verborgen bleiben sollten. „Was ist mit mir?” Ich ballte die Fäuste, entspannte sie wieder, blinzelte hart gegen den Schleier vor meinen Augen. „Wie soll ich das alles verarbeiten?” Ein Echo meiner Stimme hallte nach, schwach und brüchig und viel zu verletzlich. Warum hatte er mich verlassen? Wie konnte er mich so zurücklassen, in einer Zeit, in der ich ihn am meisten brauchte? „So wie du es immer getan hast. Du machst weiter wie bisher, in dem glorreichen Wissen, dass du als junge Frau mit einem angekratzten Selbstbewusstsein bei mir aufgetaucht bist und dich trainieren lassen hast, um als Naturgewalt daraus hervor zu gehen.” Ich schaute hoch, sicher, dass sie sehen konnte, wie wenig Vertrauen in ihre Worte in mir übrig geblieben war. Meine Reaktion schien sie zu überraschen. Sie hatte es nicht gesehen? Die hässliche Seite, die sich nur gerade so unter der Oberfläche halten ließ, kaum unter Kontrolle gehalten? „Es geht ihm besser, Sakura. Er ist auf einem guten-” Ich sah zur Decke und gab ein abschätziges, geschlagenes Geräusch von mir. „Innerhalb von zwei Wochen? Mach dich nicht lächerlich, Tsunade.” Unsere Blicke trafen sich und ich balancierte auf einem schmalen Abgrund, wahnwitzig außer Kontrolle, und vielleicht konnte sie das sehen, denn sie sprach nicht weiter. „Ich will nichts mehr von ihm hören.” Und so plötzlich stand ich wieder fest auf meinen Füßen, weit genug vom Abgrund entfernt, um nicht hinunter sehen zu können, um nicht in den nächsten Sekunden oder Minuten in die Tiefe zu stürzen. „Was auch immer er dir schreibt, was auch immer ihr an Informationen austauscht…” Ich hielt ihren Blick. „Lasst mich einfach aus allem raus. Sonst werde ich hier versinken, hörst du? Ich werde jämmerlich untergehen und ich denke nicht, dass ich mich davon je wieder erholen kann.” „Du willst keinen Kontakt mehr zu ihm?” „Wir haben keinen Kontakt, Tsunade! Du erzählst mir, was er dir erzählt - sorgsam ausgewählt und zensiert.” Ich presste die Lippen zusammen und dachte an unsere letzten Begegnungen, die alle düster und traurig waren, wo wir auch waren, ob im Krankenhaus oder in Sasukes Hotelzimmer. Wir waren so viel schlimmer als zwei Fremde - kaum höflich genug, um nicht als Feinde zu gelten. Ich fuhr mir über die Stirn und atmete aus. „Ich will das nicht mehr ertragen, dieses beständige Auf und Ab, sein Kommen und Gehen und all die Enttäuschungen. Kami, diese unendlichen Enttäuschungen. Ich muss das alles hinter mir lassen, weil ich sonst niemals von ihm -” Ich schluckte hart und senkte meine Stimme. „Ich werde mich sonst nicht erholen. Ich muss ihn loslassen. Er hat zweifelsohne längst einen Schlussstrich gezogen. Und wahrscheinlich ist das die einzige richtige Entscheidung." „Mach keinen Fehler, Sakura. Er ist doch noch gar nicht lange weg. Wenn er zurückkommt…” Sie stoppte, sich offenbar bewusst, dass dieses Argument keines war. Ich gab ihr einen Moment, um deutlich zu machen, wie sicher ich mir war. Dann nickte ich und stand auf, den Blick noch einmal auf Itachi gerichtet. „Welcher Zeitpunkt würde sich besser dafür eignen als dieser? Ich bin sicher, deine Psychologen würden mir zustimmen.” Ich nahm mir so viele Sekunden, wie es dauerte, seine Gesichtszüge zu speichern, um sie aufrufen zu können, wann immer ich daran dachte, was er mir angetan hatte. Ich stellte mir vor, wie er brennen würde. Dann - endlich - drehte ich ihm den Rücken zu und ging den langen, schallenden Weg bis zur Tür der Leichenhalle, als hätte sich ein furchtbar straffes Gummiband endlich gelöst. „Sakura.” Ich blieb stehen, hatte damit gerechnet, dass sie mich nicht einfach gehen lassen würde, aber ich drehte mich nicht um. „Ich hoffe, du wirst diese Entscheidung nicht bereuen.” Mein Blick zuckte zu dem Fluchmal, das unter meinem Ärmel hervor blitzte. Und ich wusste, dass ich diesen Weg einschlagen musste, ganz gleich, was ich dabei aufgab. Um mich aus dem schwarzen Loch heraus zu kämpfen - um zu mir zurück zu finden. Ich neigte meinen Kopf in die Richtung der Metallliege. „Lass sie ihn mit allen Höllenfeuern verbrennen, die uns zur Verfügung stehen, Tsunade.” Und mir war, als könnte man die Funken bereits hinter meinen Worten spüren und die Wände trugen meine Worte wie Glut, die der Wind auflodern lässt. Dann gab ich dem überwältigen Drang nach, seinen verrottenden Körper hinter mir zu lassen, öffnete die schwere Tür mit mehr Kraft als nötig und fühlte einen Hauch Genugtuung als sie hinter mir donnernd ins Schloss fiel. *** Fünf Monate später „Und hier seht ihr die lange Wendeltreppe, die ins Allerheiligste des Hokageturms führt. Mehrere eilige Sekretärinnen und Sekretäre haben sich auf dem Weg hier runter beinah - und manchmal tatsächlich - etwas gebrochen.” Sieben Paare großer Augen folgten meinem Deuten zur Treppe. Zwei Jungen gaben sich betont gelangweilt, aber auch sie konnten nicht vollkommen verstecken, dass sie fasziniert vom Hokageturm waren. Ein für sein Alter ziemlich kleines, aber dafür mit genug Selbstbewusstsein gesegnetes Mädchen drehte sich zu mir. „Da oben ist wirklich das Büro der Hokage?” Ich nickte mit einem Lächeln. „Ist sie gerade hier?”, fragte einer der scheinbar gelangweilten Jungen. „So weit es mir bekannt ist, ist sie das, ja.” Ein paar Mädchen hüpften aufgeregt auf der Stelle. „Können wir sie sehen??” Ich musste unweigerlich an meine eigene Führung als Anwärterin auf die begehrte Genin-Bezeichnung denken. Damals hatte ich ebenso wie dieser Haufen Zehn- und Elfjähriger alle Details wissen wollen und den Hokageturm wie ein Heiligtum betreten. Meine Gruppe war von Kurenai geführt worden, die mit einer Geduld alle Fragen beantwortet hatte, die zu beneiden war. Vor zwei Stunden hatte ich mich im Krankenhaus zum Schichtende bereits umgezogen, war quasi schon auf dem Weg nach Hause, als Shizune mich abfing und in höchster Not fragte, ob ich für eine Genin-Führung einspringen konnte. Wie hätte ich ablehnen können? Diese Führung war ein Ritus für die Kinder, beinah genauso wichtig wie ihr erstes Stirnband und je größer die Gruppen waren, umso weniger Fragen konnten die jungen Ninjas stellen. Hier waren wir also, sieben Kinder und ich, seit einer Stunde unterwegs und die Fragen, die ich so vehement verteidigt hatte, wurden nicht weniger. In den letzten fünf Monaten hatte ich zu Tsunades Zufriedenheit häufiger Aufgaben wie diese Führung übernommen. In der ersten Zeit nach Sasukes Verschwinden hatte sie mich sehr genau im Auge behalten und Unmengen von Tests am Fluchmal durchgeführt. Außerdem hatte sie mir eine Missionssperre auferlegt, von der ich sie erst eineinhalb Monate, eine Menge Überzeugungsarbeit und die ein oder andere angedeutete Erpressung später wieder abbringen konnte. So häuften sich also meine sittsamen Assistenten-Aufgaben wie diese, aber schließlich ließ sie mich wieder leichtere Missionen, die nur ein oder zwei Tage von hier entfernt vergeben wurden, ausführen. Ich kam nicht dahinter, weshalb sie sich so lange dagegen sperrte, konnte mir ihr Zögern nur dadurch erklären, dass sie nach allem, was passiert war, das mütterliche Gefühl verspürte, mich in Watte zu verpacken - obgleich sie selbst besser als jeder andere wusste, dass es in unserem Beruf keine Versicherungen gab. Der Tapetenwechsel tat mir gut. Ich hatte Konoha viel zu lange nicht mehr verlassen und bereits mein erster Schritt außerhalb der Dorfmauern war befreiend, wie der Anfang eines neuen Abschnitts und das Ende einer Zeit, die ich unbedingt hinter mir lassen wollte. Meine Aufträge wären der alten Sakura, die ganz andere Formate gewöhnt war, vielleicht etwas eintönig erschienen - und gewiss unter ihren Fähigkeiten. Diese Sakura wusste jedoch zu schätzen, was ihr erlaubt wurde, und war dankbar für jede Grippewelle, die sie in abgeschnittenen Dörfern beenden konnte, für jede Lehrstunde über heilende Pflanzen oder Behandlungsmethoden und für jede Eskorte verängstigter Würdenträger oder wehrloser Zivilisten. Es gab ein paar Komplikationen, die sich an einer Hand abzählen ließen, im Grunde gewöhnte ich mich jedoch daran, in dieser ersten Zeit nach Itachi die weniger aufregenden Missionen auszuführen und einen ruhigeren Lebensstil zu führen - zumindest bis ich wieder ganz auf der Höhe war. Meine Kondition hatte durch die vielen Zeiten im Krankenhaus arg gelitten und ich hatte auch Monate später noch immer nicht meine alte Verfassung erreicht. Mein Chakra machte mir oft Beschwerden, weil es sich nicht mehr so schnell regenerieren ließ und ich brauchte mehr Schlaf als früher - also fügte ich mich Tsunades Willen und ging alles langsamer an: mein Training, meine Missionen, die Arbeit im Krankenhaus. Zeit verging. Es wurde Winter in Konoha und die Tage blieben kurz und und düster. Und dann kam der Frühling - und ich fühlte mich wieder wie eine Version von mir selbst. „Haruno-san?” Die plötzliche Stille und gesammelte Aufmerksamkeit meiner Gruppe rissen mich aus meinen Gedanken. „Entschuldigt. Was war die Frage?” „Können wir die Hokage sehen?” Ohne Ausnahme sahen mir hoffnungsvolle Mienen entgegen, die mich erneut zum Lächeln brachten. „Ich fürchte, wir werden sie nicht persönlich sehen, aber wir können an ihrem Büro vorbeigehen.” Die Gesichter vor mir waren nur einen Moment enttäuscht, dann leuchteten sie wieder auf, so schnell zu beeindrucken und zu begeistern, dass einem schwindlig werden konnte. Diese Begeisterung spiegelte sich auch in ihrem Chakra wider. So viel unkontrollierte Energie auf einem Haufen verursachte mir noch immer leichte Kopfschmerzen. Das wirklich unangenehme Gefühl war jedoch, dass sie mich blind für meine Umgebung machte. Ich konnte nicht wahrnehmen, wie viele andere Leute tatsächlich mit uns im Gebäude waren, was eine außerordentlich befremdliche Erfahrung war, sich jedoch beheben lassen würde, sobald dieser aufgeregte Haufen wieder aufgelöst werden würde. Ich führte die Gruppe an und stieg die zahlreichen Stufen, begleitet von munterem Geschnatter, nach oben. Von hier konnten wir bereits eine weitere Gruppe hören, die offenbar gerade ihre Führung in den oberen Fluren beendete und uns entgegenkam. Wir waren mehrfach anderen Gruppen begegnet - der Hokageturm strotzte heute nur so vor unkontrollierten jungen Chakraquellen. Aus diesem Grund konnte ich auch nicht sagen, ob Tsunade tatsächlich in ihrem Büro saß - es waren zu viele Störquellen in der Nähe, um sie fokussieren zu können. Ein kurzer Gang an ihrer Tür vorbei konnte sie somit allerdings kaum noch behelligen, also begann ich, im oberen Flur angekommen, erneut mit ein paar Erklärungen. Ich zeigte den Kindern Shizunes Büro, die zwar nicht anwesend war, die Tür jedoch offen gelassen hatte, damit sich alle einen Eindruck verschaffen konnten - freundlich und zuvorkommend wie immer. Auf der anderen Seite des Flures wurden etliche Schriftrollen gelagert, die die Kinder nur von außen betrachten durften, was ihre Euphorie jedoch nicht bremste und auf diese Weise arbeiteten wir uns unbehelligt den Flur entlang. So kam es schließlich, dass ich mit der Truppe im Rücken, etwas erschöpft von meinem langen Tag, aber dennoch gut gelaunt zu Tsunades Büro kam, hier und da Informationen herausgab und in Gedanken bereits einen wohlverdienten Cocktail mit Ino trank. Dass ich mich kurz vor ihrem Büro ahnungslos zu den Kindern drehte, ein Stück rückwärts ging und ihnen mit einem Augenzwinkern von Tsunades neuestem Assistenten berichtete, der sich in seiner ersten Woche einen Namen gemacht hatte, weil er ihr beständig die Stirn bot und offenbar eine bessere Hand im Glücksspiel hatte - und abrupt stehen blieb, als ich erhobene Stimmen aus Tsunades Büro hörte. Ich warf einen skeptischen Blick über meine Schulter und stellte fest, dass die Tür halb offen stand. Mit einem Handzeichen deutete ich den Kindern an, zu warten, und bewegte mich näher zur Tür, sicher, dass diese Unterhaltung nichts für die Ohren der Genin-Anwärter war. Ich fragte mich überhaupt, warum Tsunade so unachtsam die Tür geöffnet ließ, was selbst für ihre Verhältnisse äußerst ungewöhnlich war. Dann hörte ich ihre Stimme und stoppte erneut. „Du hast mir gerade gesagt, dass es keine Hinweise gibt, dass niemand eine Lösung gefunden hat, dass sie alle, ohne Ausnahme-” „Diese Leute leben mitten im Nichts, sie haben nicht die Ressourcen oder Erfahrung, nicht die Möglichkeiten, um etwas zu finden, die wir haben…!” Eisige Kälte rauschte durch meine Adern, als ich die zweite Stimme hörte. „Du kannst dich nicht an diesen Strohhalm klammern und ihr nichts davon sagen-” „Ich kann es ihr nicht sagen!” Als ich seine Stimme erneut hörte, überrollte mich die Gewissheit wie ein Schlag in die Magengrube. Ich streckte einen Arm aus und legte meine Hand auf die Wand, plötzlich gezwungen, mich irgendwo abzustützen. „Ich werde ihr das nicht vorenthalten! Sakura muss davon wissen!” Tsunade war aufgebracht, ihre Stimme zugleich schrill und schmerzlich. Ich schloss die Augen als sie jede Hoffnung erstickte, dass es in dieser Unterhaltung nicht um mich ging. „Es würde nichts ändern. Gar nichts.” Schweigen breitete sich aus und ich sammelte meine verstreuten Gedanken, dachte daran, dass immer noch die Kinder hinter mir standen, nur Schritte entfernt und konnte mich doch nicht vom Platz bewegen. „Ich brauche mehr Leute und das schnell. Wir könnten morgen aufbrechen-” Ich hörte Tsunade harsch ausatmen. „Sasuke, wenn du wieder gehst, ohne mit ihr zu sprechen, ohne es ihr zu sagen…wird sie dir vielleicht niemals vergeben. Es könnte…” Sie stockte und mein Herz pochte gegen meine Rippen als wollte es daraus hervorbrechen. Als sie wieder sprach war ihre Stimme kühl, maximal beherrscht. „Es könnte das letzte Mal sein, dass du-” „Das wird es nicht.” Sasukes Stimme war noch kälter. Ein Gefühl der Betäubung legte sich über mich, wie ein langer, glatter Umhang, schirmte mich ab vor dem, was sie gerade gesagt hatten, was es bedeutete oder nicht bedeutete und ich machte ein paar Schritte nach vorn, tastete mich an der Wand entlang, bis ich in Tsunades Büro sehen konnte. Sie stand hinter ihrem Schreibtisch, die Hände darauf abgestützt, als würde auch sie Halt suchen, den Blick anklagend nach vorn gerichtet. Sasuke drehte mir den Rücken zu, er stand halb im Raum, zwischen ihr und der Tür, als hätte er sich bereits auf den Weg gemacht, die Tür geöffnet und sich dann noch einmal umgedreht. Er war in einen langen, dunklen Reisemantel gehüllt, dessen Saum voller Staub war - so als wäre er in größter Eile hierher gekommen. Tsunades Blick zuckte zuerst zu mir und Sasukes Erkenntnis folgte nur den Bruchteil einer Sekunde später. Er drehte sich um, entdeckte mich vor der Tür und als unsere Blicke sich trafen, ließ die Betäubung wieder nach. Ich trat vollends in den Türrahmen. „Was muss ich wissen?” Sasuke stand einfach nur da, den Kiefer angespannt. Dunkle Schatten auf seinem Kinn und seinen Wangen verrieten, dass er ein paar Tage keine Unterkunft mehr gehabt hatte, um sich zu rasieren, geschweige denn zu schlafen. Seine Haare fielen ihm zu lang in die Stirn, sein Reisemantel war abgenutzt und er sah erschöpft aus. Nicht jedoch seine Augen. Ihr Ausdruck war abgeschottet und verweigerte sich jeder Spekulation darüber, was ihm durch den Kopf gehen mochte. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, wenn ich ihn jemals wieder sehen sollte, also konnte ich schlecht sagen, dass ich etwas anderes erwartet hatte. Aber so wie er mich ansah, wusste ich mit endgültiger Gewissheit, dass er nicht unter glücklichen Umständen zurückgekehrt war. Seine Schultern waren angespannt, er wirkte müde und verfolgt, aber nicht von denselben Geistern, die ihn sein Leben lang verfolgt hatten. Er schien…anders. Seine Maske der Gleichgültigkeit war verrutscht, seine so vertraute Kälte durchlöchert. Und je länger mein Blick sich an ihm festkrallte, je länger er zurückschaute, umso stärker wurde der Impuls zu fliehen, vor all dem was er unter seinem schwarzen Mantel wie unter einer unheilvollen dunklen Wolke mit sich in diesen Raum gebracht hatte. Aber ich blieb wo ich war, wie versteinert. Und durch meinen Kopf hallten seine letzten Worte an mich: Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, Sakura. Er musterte mich, als wollte er einen Schaden abschätzen, den ich nicht sehen konnte. Und für einen kurzen Augenblick waren da seine Sharingan, mit denen er rasch meinen Körper und schließlich suchend meinen rechten Arm entlang fuhr, völlig unerwartet. Natürlich fügte er diesem Verhalten keine Erklärung an. Und endlich, endlich meldete sich mein Verstand und fragte mich, warum ich immer noch hier stand. Ich atmete aus und fixierte Tsunade. „Ihr habt über mich gesprochen. Was muss ich wissen, Tsunade?” Sie sah einen kurzen Moment zurück, kalkulierend, bevor sie erneut zu Sasuke blickte. „Setz dich, Sakura.” „Ich leite eine Führung”, brachte ich zähneknirschend hervor. Sie drehte den Kopf zu mir. „Dann bring sie zu Ende und komm zurück.” Rational betrachtet war das die beste Option. Aber rationales Denken lag mir nun fern. Als ich also nicht reagierte, ging Tsunade um ihren Schreibtisch herum und kam mit einer beschwichtigenden Handbewegung auf mich zu. Sasuke…wandte den Blick ab. „Warum bist zu wieder hier?” Betretene Stille folgte auf meine Worte. Sasukes Körper war angespannt, doch er sah noch immer weg. Ich warf die Hände in die Luft. „Sasuke. Niemand hat dich gebeten, zurückzukommen.” Es hatte nicht mehr als ein Anstoß sein sollen, ein Aufruf, zu reden. Und doch klang es mehr wie ein Vorwurf. Verständnislos dämmerte mir, dass er mich alles sagen ließ, was ich wollte. Er sah nicht her, er veränderte seine Haltung nicht. Als wollte er von mir beschimpft und verflucht werden. „Was ist das hier für eine Farce?” „Sakura.” Tsunade blickte betont über ihre Schulter, zu den Genin-Anwärtern, die sich an die offene Tür heran getastet hatten und neugierig herein blickten. Ich straffte die Schultern. Die Hokage seufzte - und beugte sich meiner Sturheit. „Sasuke, bring die Gruppe nach unten und finde jemanden, der sich um sie kümmert.” Für einen Moment zuckten seine Augen zu ihr, und was ich darin sah war selten fassungslos und unkontrolliert. „Wir sind hier noch nicht fertig.” „Das war keine Bitte.” Ihr harter Ton stand in einem Kontrast zu ihrem weichen Gesichtsausdruck. „Ich werde Sakura auf den neuesten Stand bringen. Du hörst noch heute Abend von mir.” Es hätte nicht klarer sein können, was er davon hielt. Und dennoch - so unvermittelt er hier aufgetaucht war, verschwand Sasuke wieder und die Kinder folgten ihm verstummt. Ich starrte auf den leeren Türeingang, schüttelte leicht den Kopf, als könnte das Klarheit bringen. Dann drehte ich mich zu Tsunade um, sah zwischen ihren Augen hin und her, plötzlich ohne Halt. Ich wusste nicht, welche Frage ich zuerst stellen sollte, konnte den Verdacht, hier gerade auf üble Weise verraten worden zu sein, nicht abschütteln und in mir loderte die dunkle Vorahnung auf, dass ich jeden Moment eine Wahrheit hören würde, die ich nicht kennen wollte. Vorausgesetzt, Tsunade würde ihr stummes Grauen irgendwann in Worte fassen. Als sie hart schluckte, sich durch die Haare fuhr und zur Seite blickte, stolperte ich einen Schritt zurück. „Bitte setz dich.” Ihr Tonfall ließ Panik in mir aufsteigen und ich schüttelte wild den Kopf. „Ich will mich nicht setzen.” Sie warf mir einen kurzen Blick zu, bevor sie sich umdrehte und an ihr Fenster trat. Kontrolliert und langsam verschränkte sie die Hände auf ihrem Rücken und schaute hinaus, unnatürlich tief in Gedanken versunken. Ich blieb wo ich war, ganz gleich, wie sich alles in mir dagegen sträubte, war hier festgefroren, trotz des Wissens, dass es selten einen besseren Anlass zur Flucht gegeben hatte. Dann sah Tsunade plötzlich über ihre Schulter und fixierte mich mit gerunzelter Stirn. „Du hast Chakra-Unregelmäßigkeiten.” Sie überbrückte den Abstand zwischen sich und ihrem Tisch und setzte sich. Ihre gesteigerte Aufmerksamkeit gefiel mir nicht. Sie wirkte kälter, wissenschaftlicher und sie sprach mit mir wie meine Ärztin - obwohl sie gerade eben noch meine Mentorin gewesen war. „Hast du dich überanstrengt?” Ich schüttelte abgelenkt den Kopf. „Ich mache nur das Nötigste.” Sie schwieg, musterte mich noch einen Moment und ich wusste, sie achtete weiterhin sehr genau auf mein Chakra. „Es geht mir gut.” Meine Stimme war tonlos. Sie hielt mich hin und ich konnte nicht die Kraft aufbringen, sie dafür zurechtzuweisen. Ja, hin und wieder war ich nicht ganz auf der Höhe und manchmal war mein Kreislauf im Keller. Aber das war nur natürlich unter diesen Umständen. Ab und an zu wenig Schlaf, der Versuch im Training meine Kondition wieder aufzubauen und die Arbeit im Krankenhaus in Kombination konnten schon mal eine solche Wirkung haben. Und ich achtete darauf, es nicht zu übertreiben. „Ich weiß nicht, was das im Moment für eine Rolle spielt”, fügte ich drängend hinzu und schien sie damit schon wieder aus ihren Gedanken gerissen zu haben. Tsunade fing meinen Blick, unentschlossen und still. „Eine nicht unbedeutende Rolle, wie ich befürchte.” Mit einem schweren Seufzen faltete sie schließlich ihre Hände vor sich auf dem Tisch und sah das erste Mal, seit ich den Raum betreten hatte, zu dem leeren Stuhl vor ihrem Tisch, auf dem Sasuke gesessen haben musste. „Sasuke hat mir vor einer halben Stunde Neuigkeiten gebracht, die das Fluchmal betreffen, Sakura.” Sie begegnete meinem Blick. Offenbar war sie endlich zu einem Schluss gekommen. „Gute Neuigkeiten.” Es gab nichts, das mich in diesem Moment mehr überrascht hätte. Ich fixierte Tsunade, sicher, dass hier etwas an mir vorbeiging - vorbeigehen musste. Sasuke hatte nichts mit den Nachforschungen, die das Fluchmal betrafen, zu tun. Ich musste mich verhört haben. Tsunade richtete sich auf. „Ich werde es kurz machen, denn wir müssen einen Zeitplan einhalten.” Sie stoppte. „Würdest du dich jetzt vielleicht setzen?” Ich verharrte auf der Stelle, völlig unvorbereitet getroffen. „Was hat Sasuke mit dem Fluchmal zu tun?” Sie atmete aus und blickte auf ihren Schreibtisch. „Er hat Informationen gesammelt.” „Warum?” „Er war für eine lange Zeit außerhalb des Dorfes und ist Träger des Sharingans. Es wäre unsinnig, ihn nicht helfen zu lassen.” Ich verengte die Augen, kam jedoch ihrem Wunsch nach und setzte mich langsam auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Ihr Verhalten vor ein paar Minuten und ihr Verhalten jetzt standen in Gegensätzen, die alle Alarmglocken klingeln ließen. Wohin wollte sie damit? „Sasuke hat Augen und Ohren für mich offen gehalten und über alles Bericht erstattet. Vor ein paar Tagen hat er mich kontaktiert, weil er eine Quelle ausfindig gemacht hat. Jemanden, der Informationen über das Fluchmal hat und sich in Tea-Country aufhält.” Sie warf mir einen langen Blick zu, aber meine Reaktion schien nicht das zu sein, was sie sich erhofft hatte. „Das sind wertvolle Neuigkeiten. Seit du zurückgekehrt bist, habe ich nichts unversucht gelassen, aber ich habe nicht eine Menschenseele auftreiben können, die eine Ahnung davon hat, mit was wir es zu tun haben.” Ich verschränkte die Arme und lehnte mich zurück. „Und? Womit haben wir es zu tun?” „Du wirst diesen Mann aufsuchen und es herausfinden.” „Ich?” Meine rechte Hand deutete spöttisch auf meine Brust. Tsunades Blick wurde skeptisch. „Ich hatte angenommen, dass du Feuer und Flamme dafür sein würdest.” „Bevor oder nachdem ich euch beide gehört habe?” Ihr Schweigen war unverfänglich. „Niemand hat eine Lösung gefunden? Sasuke klammert sich an einen Strohhalm? Was ist hier wirklich los, Tsunade?” Ihre Lippen formten sich zu einem schmalen Strich. Gab sie jetzt endlich die Fassade auf? „Ich mache mir Sorgen. Du hast dich nicht vollkommen erholt. Es dauert zu lange. Sasuke wollte direkt nach Tea-Country aufbrechen - ohne dir etwas zu sagen. Um dir keine unnötigen Hoffnungen zu machen”, beeilte sie sich zu sagen, aber es klang zu floskelhaft. „Stattdessen habe ich ihn herbeordert. Du musst dabei sein. Und ich will, dass ihr schon morgen auf dem Weg dorthin seid.” Ich ließ die Arme sinken. „Morgen.” „Haruyoshi Tanadas Informationen könnten entscheidend sein. Ich will dich dort, so bald wie möglich. Und du wirst mit Sasuke reisen, weil er den Kontakt hergestellt hat. Um Tanadas Vertrauen zu gewinnen, wird euch niemand begleiten.” „Das klingt reichlich konstruiert, wenn du mich fragst.” „Für dich gilt dasselbe wie für Sasuke. Ich habe dich nicht darum gebeten.” Einige Sekunden sahen wir uns nur an, unnachgiebig und beherrscht. Aber alles, was mich jetzt noch hier hielt, war die Tatsache, dass Sasuke mit mir reisen sollte. Die erste Spur seit Monaten! Es gab keinen Zweifel daran, dass ich gehen würde. Ich würde Sasuke ausblenden, wann immer möglich. Und so brachte ich ein angestrengtes Nicken zur Kenntnisnahme zustande. Die Erleichterung zeigte sich in den wenigen Falten ihres Gesichtes. Unerwartet wirkte sie untypisch müde und zerbrechlich. „Gut. Das ist gut.” Sie rieb sich über die Stirn. „Bist du okay, Tsunade?” Sie winkte ab. „Aber ja. Verschwende keine Zeit, die du für deine Vorbereitungen brauchst.” Ich musterte sie einen langen Moment, konnte nicht festmachen, was mich an ihrem Verhalten irritierte, bevor ich aufstand, den Stuhl an den Tisch zurück schob und mich zum Gehen wandte. „Eines noch, Sakura.” Ich schaute zurück, direkt in Tsunades ernste Augen. „Du bleibst an seiner Seite. Es spielt keine Rolle, was zwischen euch steht. Ich will, dass ihr zusammen bleibt, ohne Ausnahme. Verstanden?” Eine schwere Pause folgte auf ihre Worte, bis ich eine Antwort hervorbringen konnte. „Verstanden.” „Behalt dein Chakra im Auge”, schickte sie mir beißend hinterher und ich atmete laut aus, dann öffnete ich die Tür und verließ ihr Büro. *** Der nächste Morgen kam viel zu früh. Bis in die Nacht mit Vorbereitungen für die Reise beschäftigt, hatte ich mich nur knapp von meinen Eltern, Ino, Kakashi und Naruto verabschieden können, um noch ein paar Stunden zu schlafen. Niemand war begeistert gewesen, meine Eltern besorgt, Ino und Naruto unglücklich, weil sie nicht mitkommen durften und Kakashi… Niemand konnte mehr Ruhe und Sicherheit verbreiten als Kakashi. Aber auch er hatte seine Zweifel an den Umständen meiner Reise. Wir hatten in den letzten Monaten etliche Gespräche geführt. Weise wie er war, hatte er schon viel früher erkannt, was ich eine Weile nicht hatte sehen können. Er hatte so verständnisvoll reagiert, dass es uns nicht allzu schwer gefallen war, unsere alte Freundschaft wieder aufzubauen. Er war da gewesen, als Sasuke es nicht war, verlässlich und beständig und er hatte sich nie offen daran gestört, dass ich die tiefe Anziehung, die einmal zwischen uns existiert hatte, nicht mehr spüren konnte. Ich bezweifelte, dass ich so etwas in der nächsten Zukunft für irgendjemanden fühlen würde, und Kakashi verstand das. Er verstand das so vollkommen, dass es mich betrübte, nicht an unsere alte Verbindung anknüpfen zu können. Und doch setzte er, als er mir versicherte, er werde meine Entscheidung und unsere Umstände verkraften, die leise Hoffnung in mir, dass auch ich irgendwann so weit sein würde. Mit meinem geschulterten Rucksack und in Gedanken an diese Zuversicht machte ich mich also auf den Weg zum verabredeten Treffpunkt am Haupttor. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, nur ein dämmriges Licht erhellte den Horizont und legte eine friedliche Stimmung über das Dorf, das ich so liebte. Ich war natürlich darauf vorbereitet, Sasuke wiederzusehen. Aber als ich ihn ausmachte, in all seiner Dunkelheit mit den Schatten des Tores verschmolzen, meldeten sich Zweifel. An seiner anziehenden Wirkung auf mich hatte sich nichts verändert, doch das konnte ich widerwillig hinnehmen und weitgehend ausblenden. Neu dagegen war ein Gefühl des Verrats, das mich in seiner Intensität, immerhin ein halbes Jahr später, überraschte. Zugestanden - dieses halbe Jahr war ohne ein einziges Wort zwischen uns vergangen. Und doch… Was musste jetzt in ihm vorgehen? Er hatte Konoha verlassen, um Abstand zwischen sich und die Erlebnisse mit seinem Bruder zu bringen - und dann kam Tsunade und schickte ihm alles hinterher. Mit schweren Schritten kam ich vor ihm zum Stehen. Das Sonnenlicht hatte sich genug vorgearbeitet, um sein Gesicht zu beleuchten und ich nahm mir einen Moment, um ihn zu mustern. Er sah besser aus, auch wenn seine Augen Ringe hatten, die immer noch auf wenig Schlaf deuten ließen. Seine Haare waren kürzer, er hatte sich rasiert und statt seines zerschlissenen Reisemantels trug er eine blaue Weste, ein langärmeliges dunkles Shirt und eine dunkle Hose, beinah als wäre alles wieder völlig normal. Es war erstaunlich wie viele Erinnerungen an früher er allein damit hervorrief. Aber das war so lange her, es fühlte sich an wie ein ganzes Leben. Nichts hätte mich jetzt davon überzeugen können, dass der Sasuke, der aus dem Herzen lächeln konnte, dessen Augen nicht immer so verschlossen gewesen waren und dessen Umarmungen Trost bedeuten konnten, noch da war, weder in den kühlen Worten noch in den verbarrikadierten Blicken, die weit weg von allem waren, was ihn einmal ausgemacht hatte. Seit er Itachi getötet hatte, war er nicht mehr derselbe. Und selbst wenn noch etwas von diesem Sasuke übrig war…weigerte ich mich, darauf zu vertrauen. Er konnte jederzeit alles, was er gab, zurückziehen. Er konnte grausam sein, wie jemand, der einem Verdurstenden das lebensrettende Wasser wegnahm, bevor er mehr als einen Schluck gekostet hatte. Das musste ich immer im Hinterkopf behalten. Die alten Narben schmerzten ein bisschen, als ich an ihm vorbeiging und unseren Weg einschlug. Aber sie rissen nicht auf. Und das war gut so. Ich hörte seine leisen Schritte hinter mir, als er sich einreihte und mir folgte, aber ich sah nicht zurück - das, was wirklich zählte, lag vor mir. *** Der erste Tag war still und eintönig. Wir beide kannten den Weg und mussten uns nicht darüber verständigen, welche Route die beste sein würde. Als es dunkel wurde, entschieden wir wortkarg, eine Nacht in einem kleinen Gasthof zu verbringen. Sasuke war dagegen - er wollte offensichtlich so schnell wie möglich nicht mehr mit mir allein sein und nur ein paar Stunden an einem Lagerfeuer schlafen. Ich teilte sein Verlangen nach anderer Gesellschaft, musste jedoch auf dem Gasthof beharren. Den ganzen Tag über hatte ich Schwierigkeiten gehabt, mit seinem Tempo mitzuhalten und ich hatte die vage Hoffnung, dass eine Nacht in einem richtigen Bett helfen würde. Als man uns die Zimmerschlüssel überreichte, war ich dankbar dafür, sofort in mein Zimmer verschwinden zu können und meinen düsteren Begleiter für einige Stunden nicht mehr sehen zu müssen. Aber auch diese Nacht war unruhig. Ich konnte Sasukes Chakra im Zimmer nebenan spüren und war mir ziemlich sicher, dass auch er nicht schlief, wälzte mich von einer Seite auf die andere und hing lange meinen Gedanken nach. Irgendwann driftete ich endlich in einen rastlosen Schlaf, voller Träume mit alten Schatten. Der nächste Morgen begann neblig und grau. Die Luft war kühl und feucht und mit jedem Schritt, den ich machte, lag ein Frösteln auf meiner Haut. Sasuke und ich hatten kein Wort miteinander gewechselt, seit wir die Unterkunft verlassen hatten. Wir waren uns weiterhin einig darin, welcher Weg der kürzeste war, und so setzten wir unsere Reise fort, zwei stumme Menschen, jeder allein mit seinem Ballast. Immer wieder setzte feiner Regen ein, der unsere Kleidung nur nach und nach durchnässte, aber schließlich bis auf die Haut drang und die Kälte fraß sich tief hinein. Es war kein Wunder, dass ich mit viel weniger Kraft als üblich lief. Der Regen und die Kälte waren schlechte Reisebegleiter. Aber es beschlich mich langsam die Erkenntnis, dass dies nicht die einzigen Gründe für meinen Besorgnis erregenden Zustand sein konnten. Ich war schon in schlechter Verfassung aufgewacht, genau genommen hatte ich mich seit Sasukes Rückkehr zunehmend miserabel gefühlt. Meine Muskeln schmerzten bereits seit einer Weile und ich war so erschöpft, wie ich es seit Jahren nicht mehr nach einem langen Tageslauf gewesen war, ohne dass ich in einer kurzen Selbstuntersuchung einen Grund dafür finden konnte. Meine Kondition hatte noch nicht wieder ihr altes Hoch erreicht, das hatte ich bereits am Vortag ziemlich schnell bemerkt. Aber ich weigerte mich, Sasuke etwas davon zu zeigen und hielt mit seinem Tempo mit, sodass wir trotz allem nicht schlecht voran kamen. Wir waren bereits einige Stunden unterwegs und ich hoffte, dass sich der Muskelkater mit ein wenig Nachhilfe meinerseits langsam abbauen würde. Aber meine Hoffnungen bestätigten sich nicht. Ich half erneut mit Chakra nach, lockerte meine Muskulatur und das machte es für eine Weile besser, doch der Muskelkater kam bald zurück, als hätte ich gar nicht erst versucht, ihn zu bekämpfen. Und dann war mir trotz des eisigen Regens plötzlich zu warm und daraufhin wieder zu kalt und meine Glieder schmerzten, als ob ich unvorbereitet einen Marathon gelaufen wäre. Mein Kopf pochte bei jeder Bewegung, meine Arme fühlten sich an wie Blei. Sasuke war all das nicht entgangen. Ich hatte das Gefühl, unter lückenloser Beobachtung zu stehen und er schlug mehrfach vor, Rast zu machen. Ich lehnte konsequent ab. Seit einer Weile war uns niemand mehr begegnet, nutzten wir doch noch immer die Wälder, um über Bäume zu laufen und ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass ich nicht weiterlaufen würde, wenn ich erst einmal angehalten hatte. Ich würde mich in der kommenden Nacht erholen. Ich kannte meinen Körper, meine Grenzen hatten noch nie so tief gelegen, nicht einmal vor meinem ersten Kunoichi-Training. Das hier war noch nicht zu viel. Wir liefen eine weitere Stunde ohne Unterbrechung, gefangen im Dauerregen. Ich hatte Hoffnung, bis zur Dämmerung durchzuhalten, suchte Erleichterung im Wind, der um mein Gesicht zog, in den kalten Regentropfen auf meiner Haut, ignorierte das Ziehen in meinen Beinen. Aber das konnte nicht ewig funktionieren und irgendwann, ohne Vorwarnung und mitten im Lauf, entschied mein Körper, dass er genug hatte - dass es nicht mehr weiter ging. Ein stechender Schmerz zog unidentifizierbar durch mich hindurch und ließ mich beinah den nächsten Ast verfehlen. Ich blieb taumelnd darauf stehen, stützte mich am Stamm des alten Baumes hinter mir ab und schloss für einen Moment die Augen, um mich noch einmal selbst zu analysieren. Ich atmete schwer, nicht nur, weil ich gerannt war. Meine Stirn fühlte sich an, als ob sie verbrennen wollte und doch standen neben den Regentropfen kalte Schweißperlen darauf. Ich konnte keine körperlichen Auslöser dafür finden, keine Entzündungen, keine ungewöhnlichen Vorkommnisse. Ich fluchte leise gegen den Schmerz, hoffte, dass Sasuke, der einige Meter vor mir gelaufen war, mich nicht mehr hören konnte. Mit einer üblen Vorahnung löste ich die Schiene, die ich über dem Fluchmal angelegt hatte - und nahm sie ab. Der Anblick ließ mich zusammenzucken. Wochen zuvor hatte Tsunade eine Veränderung bemerken wollen. Ich hatte ihr nicht geglaubt. Oder ihr nicht glauben wollen. Aber sie hatte Recht behalten: Das Fluchmal verblasste. Es verschwamm vor meinen Augen, als ob die Farbe langsam aus dem Inneren in meiner Haut versickerte und nur die Konturen sich noch dunkel davon abhoben. „Sakura. Was ist mit dir?” Unruhig schaute ich auf und sah durch den Regen wie Sasuke zu mir umkehrte. Ich biss die Zähne zusammen und setzte zu einer Antwort an, als wieder Schmerz durch mich zog und dieses Mal brachte er mich in die Knie. Ich umklammerte meinen Arm, wagte den Versuch mit Chakra hinein zu spüren. Der Schmerz wurde stärker, aber nicht nur das: Mein Chakra sank viel stärker, als es sollte. Ich biss die Zähne zusammen, versuchte, nicht so krampfhaft zu atmen. Wieder spürte ich mein Chakra sinken, wie Wasser, das durch meine Finger rann, ohne dass ich etwas tun konnte, um es zu stoppen. „Verdammt…!” Ich versuchte, mich aufzurichten, mich am Stamm hochzuziehen. Erfolglos. Ich sackte wieder zusammen, noch bevor Sasuke mich erreichen konnte. Dann kam er vor mir zum Stehen und griff unter meine Arme. Er sah das Fluchmal - und er verstand. Alles in mir sträubte sich, bäumte sich auf gegen diese unvorhergesehene Qual. Schmerzen durchzogen mich, dieses Mal fiel ich beinah vornüber. Sasuke hielt mich fest und redete auf mich ein, klatschte ein paar Mal gegen meine Wangen, kühlte meine Stirn mit seiner eigenen Hand. Ich hörte kaum, was er sagte, krallte mich in meinen Arm, der sich anfühlte wie ein glühender Holzscheit. Ein kehliger Schrei, abgehackte Flüche kamen über meine Lippen und plötzlich lag ich auf dem Ast; mein Kopf wurde von Sasuke gehalten. Mein Körper schien von Minute zu Minute weniger Kraft zu haben. Ich drehte den Kopf, versuchte Sasuke zu sehen und hörte ein qualvolles Wimmern, das von mir kommen musste, bis es vom Regen erstickt wurde. Er beugte sich über mich und strich mir Haare aus dem Gesicht. „Sakura, bleib wach, okay? Du musst bei Bewusstsein bleiben!” „Ich…” Es war nur ein Krächzen. „Ich werde dir eine Spritze geben. Das wird helfen.” Ich verstand nicht, was er da sagte. „Eine Spritze wird nicht…” Meine Stimme versagte. „Das wird nicht-” Ich unterdrückte einen neuen Schmerzensschrei, mehr schlecht als recht. Sasuke fluchte. Er sah auf mich herab und seine Augen färbten sich rot. „Halt durch. Schau mich an”, wies er mich an. Ich konnte seinen Worten nicht folgen. Panik kroch meinen Hals hinauf, legte alle anderen Gedanken lahm, blendete alle Geräusche bis auf ein Minimum aus. Sasuke sagte noch etwas, aber ich sah nur, wie seine Lippen sich bewegten. Ich krümmte mich unter neuen Schmerzen. Der Wind frischte auf und die dichten Wolken über uns brachten noch mehr Regen mit sich. Dicke Tropfen fielen vom Himmel, zerplatzten auf dem Ast vor meinen Füßen, perlten kalt an meinem Gesicht herab und tropften eisig auf meine Arme. Ich blinzelte dagegen an und erhaschte einen Blick auf das Fluchmal. Es war noch mehr verblasst, eher grau als schwarz. Mein Chakra war nahezu verbraucht. Was auch immer hier passierte…es ging rasend schnell. Die Schmerzen waren nicht zu ertragen, also ließ ich los, wehrte mich nicht mehr dagegen, sondern lag einfach nur da. Der Regen wurde rasch stärker, hin und wieder erhellte ein Blitz das Blättermeer um mich herum und ferner Donner drang dumpf an meine Ohren. Ich schloss die Augen und ließ meinen Kopf auf den Baumstamm sinken. Die Schmerzen kamen nicht mehr in Wellen, sie blieben einfach konstant, wie das Brummen einer Stromleitung. Es dauerte nur Augenblicke, dann war ich wieder völlig durchnässt. Ich konnte mich kaum noch bewegen. Eine Weile verging in einem schwankenden Dämmerzustand. Vielleicht waren es nur Augenblicke, aber sie fühlten sich an wie eine halbe Ewigkeit. Bilder kamen mir in den Sinn, Erinnerungen drängten sich in den Vordergrund, die Monate zurücklagen und doch nichts von ihrer Schrecklichkeit verloren hatten. Dieser eine Tag holte mich schleichend wieder ein, der Regen, die Kälte, die sich bis in die Knochen legte…alles war wie zuvor. Die Angst. Die Schmerzen. Pfützen, die sich blutig färbten. Und Itachis grausame Augen. Genau wie damals. Die beißende Panik verlor an Kraft, rückte in den Hintergrund. Für einen Moment war ich mir nicht mehr sicher, wo ich mich befand und dann war ich unkontrolliert so verkrampft, dass alle Fragen sich im Wunsch nach Erleichterung auflösten. Ich zwang meine Augenlider noch einmal auf, versuchte Kräfte zu mobilisieren, die ich entgegen jeder Logik nicht mehr hatte. Was geschah mit mir? Mein ganzer Körper zitterte haltlos, aber die Kälte kam nicht mehr nur von Außen. Du stirbst. Das hier ist Itachis Abschiedsgeschenk. Sasuke redete gegen den Lärm des Sturms an. Seine nassen Haare klebten auf seiner Haut, seine Augen waren noch immer rot. Mein Blick wanderte ruhelos umher, fing hier und da noch ein paar Eindrücke ein, während die Ränder der Bilder bereits flackerten. Zwischen den peitschenden Bäumen und stürmenden Wolken blieb er für ein Blinzeln an der Spritze hängen, die, nur für einen Augenblick von einem Blitz erhellt, in Sasukes Hand lag. Kurz flackerte Unverständnis in mir auf, dann glitt auch das davon - und ich ging unter. Mein Blickfeld verdunkelte sich schneller, nach und nach wich das Licht und mein Kopf fiel zur Seite, als die Spannung meinen Körper verließ. Ein halbes Jahr hatte Itachi mir gegeben. Ein halbes Jahr um wieder aufzustehen, zu kämpfen, zu versuchen alles hinter mir zu lassen. Und all das, nur um hier völlig sinnlos zugrunde zu gehen. Hätte ich anders gehandelt, wenn ich das alles von vornherein gewusst hätte? Die Kälte verschwand zuerst, wich einer leeren Taubheit, dann endlich ebbte der Schmerz ab und war bald nicht mehr zu spüren…   Und dann - mit einem kraftlosen Ausatmen - war es vorbei. *** Es war das unvertraute Rauschen in meinen Ohren, das mich aus stiller Dunkelheit hervorlockte. Ich fühlte mich schwer und unbeweglich und die Augen zu öffnen erschien mir wie ein monumentaler Kraftakt. Meine anderen Sinne kehrten sehr langsam zu mir zurück; ich spürte weichen Stoff auf meiner Haut, nahm den schalen Geschmack in meinem Mund wahr und das Rauschen ließ sich nach und nach zu meiner Rechten ordnen. Ich runzelte die Stirn, drehte leicht den Kopf und atmete tief bis ich feststellte, dass die Luft salzig war. Mit viel Mühe brachte ich ein Blinzeln zustande und kniff die Augen geblendet gleich wieder zusammen. Ein weiterer Versuch ließ mich transparente Vorhänge erkennen, die im Wind wogten. Direkt dahinter war eine offene Glastür und dahinter hellblauer Himmel. Ich lag auf einem Bett. Eine Weile versuchte ich, mich daran zu erinnern, wie ich hierher gekommen war, aber ich kam zu keiner Erkenntnis. Unregelmäßiges Kreischen drang an meine Ohren. Das Rauschen wiederholte sich in stetigen Abständen und ich wäre beinah wieder eingenickt. Aber als ich das Kreischen als Möwenlaute identifizierte, ließ sich endlich die Verknüpfung zum Meer herstellen und ich öffnete die Augen weit und versuchte, mich aufzusetzen. Ich wollte eindeutig zu viel auf einmal - der Schwindel kam so schnell, dass ich eine Hand an meinen Kopf legen musste - und dabei stellte ich fest, dass ich unter einer Decke lag. Und mit einem weiteren Blick, dass ich nur noch meine Unterwäsche und ein Shirt trug, das nicht mir gehörte. Die Erinnerung kam nur spärlich zurück und war unklar, sie ließ Lücken wie wabernder Nebel, der hier und dort aufklart. Aber ein Gedanke war greifbar. Mit einem schnellen Luftholen hob ich meinen rechten Arm, griff mit der linken Hand danach… Jemand räusperte sich. „Es ist wieder da. Die Farbe ist zurückgekommen.” Ich zuckte zusammen, riss den Kopf hoch und fand den Urheber der Stimme gegenüber von mir, auf einem blauen Sofa sitzend. Die schnelle Bewegung hatte erneut ein hartnäckiges Schwindelgefühl zur Folge, das deutlich machte, dass ich wahrscheinlich gut daran tat, mich vorerst langsam zu bewegen. Beunruhigender jedoch war die Erkenntnis, dass ich ihn überhaupt nicht bemerkt hatte und auch jetzt konnte ich ihn sehen, aber seine Anwesenheit nicht spüren. Ich überprüfte mein Chakra und stellte fest, dass es nicht mehr als ein armseliges Flackern war. Noch mehr Erinnerungen kamen zurück. Ich verengte die Augen, versuchte, ihn besser zu erkennen. „Wer-?” Meine Stimme brach sofort wieder weg. „Du bist sehr geschwächt. Lass mich versuchen, deine Fragen zu beantworten, ohne, dass du sie alle aussprechen musst.” Mit Mühe stand der Mann auf und kam etwas näher, hielt jedoch genug Abstand, um mich nicht in weitere Alarmbereitschaft zu versetzen. Er war alt und klein, nahezu zierlich. Seine Haut war dünn und durchscheinend und die vielen gut sichtbaren blauen Adern ließen ihn zerbrechlich wirken. Er war nicht in seiner besten gesundheitlichen Verfassung, das konnte selbst ein Laie auf den ersten Blick sehen. Aber seine dunklen Augen waren gütig, die Falten um seinen Mund freundlich und sein kurzes weißes Haar war noch voll und schmeichelte seinem schmalen Gesicht. „Mein Name ist Tohru Kotakame. Ich bin der Schwiegervater von Haruyoshi Tanada. Sasuke hat dich hergebracht, als du bewusstlos warst und du bist hier in Tea-Country, in Sasukes Hotelzimmer, um dich zu erholen.” Er musterte mich einen Moment, als wollte er abwägen, ob ich wach genug war, um mehr zu erfahren. „Sasuke-” „Er war die ganze Zeit hier. Vor zehn Minuten habe ich ihn gezwungen, einen Kaffee zu trinken und eine Dusche zu nehmen. Er hat sich große Sorgen gemacht.” Ich sah ihn ein paar lange Sekunden an, ehe ich den Blick senkte und überfordert meine Haare nach hinten strich. Kleine Schritte. Ich musste kleine Schritte machen. Um mich selbst zu vergewissern, hob ich noch einmal meinen rechten Arm. Ich schluckte, als ich feststellte, dass dieser Fremde Recht behalten hatte: Es sah wieder genauso aus wie in den ganzen letzten gottverdammten Monaten. „Du lebst schon eine Weile damit.” Ich schloss kurz die Augen. „Ein halbes Jahr.” Als könnte ich nirgendwo anders hinsehen, zog es meinen Blick wieder auf das Mal. „Das tut mir sehr leid, Sakura.” Ich zuckte mit einer Schulter, ohne davon aufzusehen. „Du hast sicher eine Menge Fragen. Mein Schwiegersohn-” Der alte Mann unterbrach sich, als eine Tür neben uns aufgerissen wurde. „Seit wann ist sie wach?” Ich hörte Sasuke bis zu Tohru gehen, aber ich konnte nicht aufsehen, auch wenn ich seinen Blick auf mir spürte. „Ihr Chakra…ich habe sie kaum wahrgenommen.” „Das ist vollkommen normal. Sie wird sich erholen, Sasuke. Bitte hol meinen Schwiegersohn, ja?” Als er nichts erwiderte, sich nicht rührte, hob ich langsam den Kopf und sah ihn an. Seine Haare waren nass und tropften auf sein Shirt, das er offenbar überstürzt angezogen hatte. Er hatte immer noch dunkle Augenringe - und der Ausdruck in seinen Augen war eine Mischung aus Emotionen, die ich nicht deuten konnte. „Im Moment kannst du rein gar nichts für sie tun, mein Junge. Geh und hol meinen Schwiegersohn, damit er mit ihr sprechen kann.” Er drehte den Kopf zu Kotakame, als müsste er sich dazu zwingen, von mir weg zu sehen, als könnte er sich nicht von diesem Unfall, der sich vor seinen Augen abspielte, lösen. Und er schien Widerworte zu haben, doch ich kam ihm zuvor. „Ich will mit Sasuke reden. Allein.” Der alte Mann begutachtete mich einen Moment, bevor er nickte. „Dann werde ich Haruyoshi holen.” Weder Sasuke noch ich rührten uns bis Kotakame die Tür hinter sich geschlossen hatte und auch dann dauerte es noch eine Weile bis Sasuke wieder hersah, sich schließlich in den Nacken fasste und nach einem Handtuch griff, dass auf einer Kommode lag. Er rieb sich ein paar Mal über den Kopf und den Hals, bevor er es achtlos wieder ablegte und unschlüssig stehen blieb. Seine Haare standen wild von seinem Kopf ab. „Wie lange war ich-” Ich räusperte mich mehrfach, aber mein Hals war ausgetrocknet. Sasuke machte ein paar Schritte zu dem kleinen Nachttisch, der neben meinem Bett stand und füllte ein Glas mit Wasser aus einer Karaffe. „Hier.” Er reichte mir das Glas. „In den letzten Tagen haben wir dich kaum dazu bekommen, etwas runter zu kriegen.” Ich leerte das Glas bis zur Hälfte, bevor ich es absetzte. „Tage?” Ein grimmiger Ausdruck legte sich auf seine Züge, er zog einen Stuhl heran, der neben dem Bett stand und setzte sich. „Du warst fast zwei komplette Tage ohne Bewusstsein.” Ich suchte sprachlos seine Züge ab, versuchte darin Informationen darüber zu finden, was all das zu bedeuten hatte. „Ich kann mich kaum daran erinnern, was passiert ist.” Er zögerte. „Was weißt du noch?” „Wir hatten noch etwa einen halben Tag vor uns. Und ich war in sehr schlechter Verfassung. Ich…” Ich runzelte die Stirn, versuchte mit aller Kraft, mich zu erinnern. „…bin zusammengebrochen. Das Fluchmal hat seine Farbe verloren. Und dann - nichts mehr.” Aber im selben Moment kam eine Erinnerung über mich wie eine hohe Welle. Die Schmerzen und die Schwäche - die Geschwindigkeit mit der mich alle meine Kräfte verlassen hatten, all das konnte ich jetzt lebhaft abrufen. Das Fluchmal war beinah komplett verschwunden gewesen. Ich konnte nicht begreifen, wie es passiert war, aber dass nahezu alles aus gewesen wäre, diese Tatsache war nicht zu bestreiten. Stille dehnte sich aus, Stille, die dieser Erkenntnis schweres Gewicht verlieh und meine Fassung ins Wanken brachte. „Was ist mit mir passiert, Sasuke?” Er atmete tief aus und rieb sich über seine Stirn. „Tanada hat gesagt, dein Fluchmal ist zusammengebrochen.” Er schüttelte den Kopf, als er meinen fragenden Blick sah. „Er kann es dir besser erklären als ich. Und er sollte jeden Moment hier sein.” Sein Widerstand, mehr preiszugeben, machte mir Sorgen. Ebenso die Art, wie er mich anblickte. „Du siehst mich an, als hättest du mich nicht schon in schlimmerer Verfassung gesehen.” „Habe ich das?” Ich hob vielsagend die Augenbrauen. „Vielleicht ist es besser, wenn du dich nicht genau daran erinnern kannst.” Ich sah ihn noch ein paar lange Sekunden an, bevor ich an dem Shirt zupfte, das ich trug. „Was ist mit meinen Sachen passiert?” Er nickte zu meinem Rucksack, der vor einer Kommode stand. Darauf entdeckte ich meine Kleidung gewaschen, getrocknet und ordentlich gefaltet. Ein paar Sachen, die ich als Sasukes identifizieren konnte, lagen daneben, nur minimal ausgepackt und kaum im Raum verteilt. Der Anblick ließ mich innehalten. „Es hat nicht aufgehört zu regnen. Du warst eiskalt und ich konnte dich nicht warm bekommen, also bin ich weiter gelaufen. Wir waren nicht mehr allzu weit weg und als wir hier ankamen, habe ich dir die nassen Sachen abgenommen und dir ein trockenes Shirt von mir angezogen.” Ein Kommentar dazu lag mir bereits auf den Lippen, als eine weitere Erinnerung zurückkehrte - und diese hatte es in sich. Ich hatte den Kopf geneigt, aber jetzt schaute ich wieder zu ihm hoch. „Was hast du getan?” „Was hätte ich tun sollen? Ich wusste nicht, wie ich dir hätte helfen können. Ob ich dir hätte helfen können. Ich konnte nicht riskieren, irgendwo Rast zu machen, ohne dass Tanada eingreifen konnte.” „Nein.” Er wusste, was ich meinte, das konnte ich ihm ansehen. „Im Wald. Kurz bevor ich das Bewusstsein verloren habe. Was hast du mit mir gemacht?” Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort, rieb wie beiläufig über eine unachtsam verbundene Stelle in seiner Armbeuge, schwieg. Seine feuchten Haare fielen ihm in die Stirn, seine blasse Haut hob sich von der dunklen Stuhllehne ab, als würde sie leuchten. Aber es war der Verband an seinem Arm, der meine Aufmerksamkeit hielt. „Du hast von einer Spritze gesprochen…” Ich ballte eine Hand zur Faust. „Und du hast mir etwas gegeben.” Ich fixierte ihn. „Was?” Das schien ihn zu einer Reaktion zu bewegen, er stand auf, fing sich wieder und rieb sich erneut aufgebracht über die Stirn. Ohne etwas zu sagen. Ich verengte die Augen. Er war unruhig. „Was war in der Spritze?” Er schluckte hart und seine Stimme war heiser, als er wieder sprach. „Tanada kann es besser erklären als ich.” „Ich will es von dir hören.” Er entfernte sich ein paar Schritte und ging dann vor der Balkontür auf und ab, gab mir die Gelegenheit sein Profil zu mustern und zu realisieren, dass ich da draußen, unbestreitbar, beinah gestorben wäre. Einfach so. Und ich hatte keine Ahnung, warum. Sasuke blieb stehen, verharrte eine Weile mit dem Rücken zu mir, bevor er erneut sprach. „Ich habe dir mein Blut gegeben.” Seine Stimme war so rau wie meine, nur war meine zwei Tage lang unbenutzt geblieben. Er sah aus dem Fenster, als könnte er von dort etwas sehen, das seine Aufmerksamkeit ungemein fesselte. Nach gefühlten Minuten kamen seine Worte bei mir an. Und was sie bedeuteten. „Du hast gewusst, dass das passieren würde?” Meine Stimme hielt weder das Gefühl, furchtbar verraten worden zu sein, noch meinen törichten Unglauben verborgen. Er drehte den Kopf leicht zu mir, öffnete die Lippen, schloss sie wieder und rieb sich über den Mund. „Dass es passieren könnte. Ja.” Ich starrte ihn an. „Wieso hast du nichts gesagt?” Er drehte sich ganz zu mir um und das Licht hinter ihm tauchte sein Gesicht in Schatten. „Ich wollte nicht, dass du an nichts Anderes mehr denken kannst, Sakura.” Ich gab ein abfälliges Geräusch von mir. „Was, wenn es nicht wahr gewesen wäre?” „Aber das ist es!” Ich atmete harsch aus. „Wir hätten voneinander getrennt werden können. Ich hätte ohne dich weiter gehen können.” „Warum hättest du das tun sollen?” Ich riss die Decke von mir und richtete mich im Bett auf. „Es spielt keine Rolle, Sasuke. Du hast mit meinem Leben gespielt!” „Sakura…” Ich kam wackelig auf die Füße. „Hat sie es dir verboten?” Er wusste, von wem ich sprach. Sein Kiefer spannte sich an, als wollte er nichts lieber, als die Worte zurückzuhalten. „Nein”, brachte er dann hervor. „Sie hat es mir freigestellt.” „Mit welchem Recht? Hat sie dich zu meinem Vormund erklärt?” „Natürlich nicht.” Er senkte seine Schultern und seine Mimik war die eines alten Mannes, der zu viel gesehen, zu viel Leid erlebt hatte, der müde war und keine Kraft mehr hatte. „Du hast dich nicht gesehen.” Seine Stimme war kratzig, als er eine Hand an der Wand abstützte, belegt von Emotionen; sie war kaum wiederzuerkennen. Oder schon so lange verstellt, dass ich sie nicht erkannte, wenn sie es nicht war. „Du warst kreidebleich und eiskalt, vollkommen leblos. Du hattest keinen Puls mehr. Ich hatte keine andere Wahl, als es zu versuchen… Ich musste es versuchen, also habe ich mein Blut abgenommen und es dir gegeben. Und es hat funktioniert.” Seine Augen flehten mich an, zu verstehen. Was zu verstehen? Er lehnte den Kopf zurück an die Wand in seinem Rücken und wirkte plötzlich wahnsinnig erschöpft. Ich erinnerte mich an die Dunkelheit und Taubheit und daran, dass alles zu verblassen schien, bis nichts mehr übrig war. An so starke Schmerzen, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte. Ich schüttelte abweisend den Kopf. „Du hättest mir sagen müssen, was passieren würde. Tsunade hätte mir sagen müssen, was mich erwarten würde.” „Aber doch nicht so bald, Sakura! Tanada hatte den Eindruck, du hättest noch viel mehr Zeit.” „Dann hat dieser Fremde ziemlich falsch gelegen!” Das halb geleerte Glas auf dem Nachttisch zersprang auf dem Boden, bevor mir überhaupt bewusst wurde, dass ich es herunter geschlagen hatte. Dieses kurze, wütende Aufflammen von Chakra in mir biss bereits jetzt hinterhältig in meinen Armen - ich hatte nicht mehr Energie als ein Neugeborenes. Mit Entsetzen betrachtete ich meine Arme, meine Hände und das Zittern meiner Finger, das ich nicht wahr haben wollte. Sasuke war näher gekommen und jetzt dicht genug, um zu helfen. Ich wandte den Kopf ab, stand nur noch dank aller Willenskraft, die ich in diesem erbärmlichen Zustand hervorbringen konnte. „Lass mich.” Er verharrte, aber ihm schien ohnehin bereits klar gewesen zu sein, dass ich ihn nicht helfen lassen würde. „Ich wollte kein Risiko eingehen.” „Du hast nichts gesagt, weil es einfacher war.” Bitterkeit tropfte aus meinen Worten. Sasuke begegnete meinem Blick und sein Kiefer spannte sich an, dann schloss er die Augen, fuhr sich mit beiden Händen über den Kopf und wandte sich ab. Aufzustehen war keine gute Idee gewesen. Ohne die Decke lag ein Frösteln auf meinem Körper und das Gleichgewicht zu halten, erschien mir unnatürlich schwer. Schwankend und außer Atem ließ ich mich wieder auf das Bett sinken. Eine steile Falte lag auf seiner Stirn, als er mir dabei zusah und ich senkte den Blick. „Warum hat dein Blut geholfen?” Sasuke gab einen frustrierten Laut von sich, die Antwort auf meine Frage kam jedoch unerwartet von anderer Stelle. „Das hat mit der hohen genetischen Ähnlichkeit zu seinem Bruder zu tun.” Zweifelsohne war der Mann, der jetzt im Türrahmen stand und mich sehr genau musterte, Haruyoshi Tanada persönlich. Er strahlte jede Menge Zielstrebigkeit aus und sein Blick auf mich kündete von Absichten, die mir noch unbekannt waren. „Ich sehe, ihr seid schon tief in die Hintergründe vorgestoßen.” Seine Augen waren leuchtend grün und wach. Seine weißen Haare standen ihm leicht vom Kopf ab und er hatte einen spitzen weißen Bart, der bis zu seinem Halsansatz reichte. Er war gebräunt, vielleicht also schon eine Weile hier und seine Kleidung war in mehreren Grüntönen gehalten, geeignet für jede körperliche Anstrengung und funktionell. Ich nahm ihn so genau wie möglich in Augenschein, versuchte mehr über ihn herauszufinden, als er möglicherweise selbst von sich preisgeben würde, aber er schien nicht nur wache Augen zu haben, sondern auch einen scharfen Verstand, denn meine gründliche Musterung entging ihm nicht. Ein kleines Lächeln spielte um einen seiner Mundwinkel, als er zu mir kam und vor dem Bett stehen blieb. Er reichte mir seine Hand, schien jedoch überhaupt nicht überrascht zu sein, als ich sie nicht nahm. „Haruyoshi Tanada. Es ist gut, dich endlich bei Bewusstsein zu sehen, Sakura.” Er ließ seine Hand gelassen sinken. „Warum habe ich so lange geschlafen?” Er tauschte einen kurzen Blick mit Sasuke, bevor er sich den Stuhl heranziehen wollte, den Sasuke verlassen hatte, und dabei die Wasserlache und die Scherben entdeckte. Ich atmete laut aus. „Ich kümmere mich darum.” „Nicht doch.” Er griff nach dem Handtuch, das Sasuke auf die Kommode gelegt hatte, und warf es auf den Boden, um das Wasser aufzusaugen. „Ich schicke jemanden herauf.” Er platzierte den Stuhl sorgfältig daneben und setzte sich vor mich. „Warum hast du so lange geschlafen? Du hast die Zeit gebraucht, um dich zu erholen.” „Von was?” Er hob leicht die Augenbrauen. „An was kannst du dich erinnern?” „Ich weiß, dass ich zusammengebrochen bin. Dass das Fluchmal verblasst ist. Dass Sasuke mir sein Blut gegeben hat. Aber warum?” Meine Feindseligkeit war nicht zu überhören, aber sie machte ihm offenbar nichts aus. „Du willst Details. Das ist verständlich, aber zuvor würde ich mir gern deinen Arm ansehen. Darf ich?” Er wartete sehr höflich ab, bis ich ihm widerstrebend meinen Arm entgegenstreckte. Aber was auch immer ich erwartet hatte - was er schließlich tat, war nicht der Rede wert. Er warf einen kurzen Blick auf das Fluchmal, drehte meinen Arm und gab ihn dann wie ein beliebiger Scharlatan mit einem freundlichen Tätscheln frei. „Das sieht gut aus. Hast du dich selbst schon untersuchen können?” Maßlose Enttäuschung brach über mich herein und in diesem betäubten Zustand schüttelte ich knapp den Kopf. „Das ist nicht außergewöhnlich. Bei so wenig Chakra solltest du damit ohnehin besser abwarten.” „Was sind Sie, ein Medic-nin? Ein Arzt?” Er schüttelte mit einem Lächeln den Kopf. „Nur jemand, der sich mit so etwas auskennt.” Sein Ausdruck wurde weicher. „Hast du Schmerzen?” Meine Fassungslosigkeit war geradezu lähmend. „Nein.” „Aber du fühlst dich wie gerädert?” Mein Blick war Antwort genug. „Das wird bald vergehen. Das Beste, das du tun kannst, ist, noch ein paar Stunden zu schlafen. Du wirst sehen, es wird dir sehr bald viel besser gehen.” Als er aufstand und zweifelsohne bereits gehen wollte, kam ich wieder zu mir. „Soll das ein schlechter Scherz sein?” Er drehte sich noch einmal um und machte ein fragendes Gesicht. „Dafür bin ich hierher gekommen?” „Für was genau, Sakura?” „Sie haben nicht vor, mir Informationen zum Fluchmal zu geben? Mir zu erklären, was zur Hölle im Wald passiert ist, warum ich zwei Tage hier gelegen habe und was für Folgen mich erwarten?” Meine Wut ließ diesen Mann vollkommen kalt, stattdessen war da nur dieses milde Lächeln. „Zu seiner Zeit - natürlich. Aber jetzt ist ein schlechter Zeitpunkt dafür.” Mein Blick verdunkelte sich. „Haben Sie je erlebt wie es ist, auf der Schwelle zu sein, weder hier noch dort? Vor dem großen Ungewissen zu stehen, ohne vorbereitet zu sein?” Ich ließ ihn nicht aus den Augen, doch er blieb davon unbeirrt und als er wieder aufschaute war sein Lächeln noch da, aber keineswegs spottend. Mehr so, als wüsste er dass die Erde eine Kugel ist und ich sah sie noch immer als eine Scheibe. „Das tun wir doch alle, mein Kind. Das Leben ist nichts weiter als ein großes Ungewisses. Niemand ist auf das Ende vorbereitet.” Ich konnte nicht sagen, was mich ungehaltener machte, die degradierende Bezeichnung oder seine Gelassenheit, die an Unbeteiligung grenzte. „Auf solche Ratschläge kann ich verzichten. Wer sagt mir, dass Sie mir helfen können? Wer sagt mir, dass ich Ihrem Urteil trauen kann?” Der Ausdruck seiner Augen wurde kühl. „Niemand. Niemand kann dir so etwas versichern und täte es jemand, würdest du auch das Urteil dieser unglückseligen Person anzweifeln.” Sein Lächeln war verschwunden. „Du wirst niemals rechtzeitig jemanden finden, der so viel über dein Fluchmal weiß wie ich, Sakura Haruno. Und wenn doch, steht außer Frage, dass dieser Jemand dir jemals seine Hilfe anbieten würde. Niemand spricht gern über die Dämonen aus der Vergangenheit.” Es musste noch jemanden geben. „Ich wage das zu bezweifeln, Tanada-san. Und ich habe es nicht nötig-” „Sakura.” Mein Blick zuckte zu Sasuke. Jetzt endlich war er wieder in der Lage zu sprechen? „Du brauchst einen Beweis.” Haruyoshis Stimme war härter geworden, sein Blick eindringlich. Abwägend? Urteilend? Ich konnte nicht in seinen Augen lesen. „Heute Abend, Sakura, wenn du weniger neben dir stehst. Schlaf jetzt. Erhole dich.” Er ging zur Tür und meine wiedererlangte Kontrolle war dahin. „Warten Sie.” Er ging weiter und öffnete die Tür. „Warten Sie!” Ich hatte die Füße bereits auf dem Boden, als Sasuke erneut neben dem Bett stand und mich mit den Händen auf meinen Schultern zurück drückte. Wir wussten beide, dass ich keine Kraft hatte, ihn aufzuhalten. „Sasuke. Bitte.” Ich sah ihn flehend an, aber er gab nicht nach. „Tanada. Warum bin ich…so…” Ich schwankte sogar im Sitzen mit bleierner Müdigkeit in den Gliedern. „Tohru hat dir ein Schlafmittel gegeben.” Fassungslos schaute ich auf das Handtuch, das immer noch Wasser aufsaugte, und davon zu Sasuke. Sein Kiefer spannte sich an, aber sein Blick lag auf dem Fremden. „Das war nicht vereinbart.” Tanada war kein Bedauern anzumerken. „Aber es war nötig.” Die Tür fiel ins Schloss. Ich sackte geschlagen zusammen und senkte den Kopf. Mir blieben ein paar Sekunden, bevor das Mittel vollends einsetzen würde. Sasuke zog seine Hände langsam zurück, als befürchtete er, dass ich jeden Moment aus dem Bett springen würde. Es gab nichts zu sagen. Was ich ihm vorwarf, lag in meinem Blick und er erhielt die Botschaft. Ich legte mich auf die Seite und registrierte noch, wie Sasuke die Decke über mich zog. Erschöpfung lähmte meine Glieder und meine Augenlider wurden schwer, Geräusche gedämpft. Sasuke hob das Handtuch vom Boden auf und sammelte die groben Scherben ein, bevor er das Wasser aufwischte. Er brachte ein neues Glas und schenkte mir noch einmal Wasser ein, dieses Mal aus dem Wasserhahn im Badezimmer, dann ging er auf die andere Seite des Raumes, zu dem Sofa, auf dem Kotakame zuvor gesessen hatte, und ließ sich dort nieder. Aus dem Augenwinkel, wie von ganz weit weg, bemerkte ich eine Bewegung, nur leicht, kaum zu erkennen. Ich blinzelte träge, sah wie Sasuke die Augen schloss und sich mit beiden Händen über den Kopf fuhr und nicht weit von ihm… Dunkle Augen, blasse Haut und ein boshaftes Lächeln auf schmalen Lippen. Meine Muskeln spannten sich an, aber ich war erschöpft, so erschöpft. Mein Blick blieb an ihm hängen, ungläubig, verständnislos. Er konnte nicht hier sein. Ich hatte seinen toten Körper stundenlang gemustert, seine leblose Kälte gespürt. Ich hatte das Feuer aus der Ferne gesehen, das seine sterblichen Überreste verschlungen hatte.   Er stand einfach nur da, an die Wand gelehnt, die Hände hinter dem Rücken verborgen und in seinen verhassten Akatsuki-Mantel gehüllt. Mit wissendem Ausdruck schaute er zurück und sein Lächeln wurde breiter, als sein Blick zur Seite wanderte. Sasuke drehte den Kopf zu ihm, verharrte so…aber er reagierte nicht auf seinen Bruder, der keine zwei Meter von ihm entfernt stand. Ich blinzelte ein paar Mal schnell hintereinander - und konnte nicht mehr als eine leere Wand sehen. Dann griff das Schlafmittel - und ich driftete davon. *** Als ich am späten Nachmittag aufwachte, dauerte es eine Weile bis ich mich wieder zurechtfand. Aber noch während ich mich aufrichtete war Haruyoshis Versicherung sofort zu spüren und eine vorsichtige Selbstuntersuchung ließ keinen Zweifel mehr daran. Mein Chakra hatte sich minimal, aber genug regeneriert, um mich besser zu fühlen, und mein Blutkreislauf schien vollkommen einverstanden mit dem fremden Anteil von Sasuke. Abgesehen davon, dass ich die Nachwirkungen des Schlafmittels spürte, fühlte ich mich besser als in den ganzen letzten drei Tagen. Ich rieb mir den Nacken und streckte mich bis mein Blick auf Sasuke fiel und ich die Arme sinken ließ. Er saß noch immer auf dem Bett gegenüber von mir und der Ansatz eines müden Lächelns legte sich auf seine Lippen. „Hey.” Ich schob die Decke von mir und stand vorsichtig auf. „Wie fühlst du dich?” „Besser.” Ich machte ein paar vorsichtige Schritte und sah über meine Schulter. „Ganz bestimmt dank der Rücksichtslosigkeit deiner neuen Freunde.” Ich fasste mir an den Kopf. Er stand auf und rieb sich über das Gesicht, als wäre er wahnsinnig erschöpft. „Das Schlafmittel war unbegründet. Sie hätten es dir nicht geben dürfen.” „Wie spät ist es?” „Fast halb Sechs.” Wir standen eine Weile schweigsam im Zimmer, die Beziehung zwischen uns mittlerweile so unsicher, dass ihre Grenzen und Zugeständnisse vollkommen verschwammen. Dann ging ich zu der Kommode, auf der noch immer meine gewaschenen Sachen lagen, streifte eine Hose über und packte alles andere in meinen Rucksack. Ich sah einen Moment auf Sasukes Shirt hinunter, das ich noch immer trug, und schloss die Augen. „Dein Shirt gebe ich dir gewaschen zurück.” „Sicher.” Ich hörte ihn näher kommen. „Ich habe dir ein Zimmer besorgt.” Ich drehte mich zu ihm um und er reichte mir einen Schlüssel. „Es ist direkt neben diesem. Du kannst es wahrscheinlich kaum erwarten, duschen zu gehen.” Ich atmete aus. Eine heiße Dusche klang jetzt geradezu himmlisch. Sasuke ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. „Tanada und Kotakame wollen uns heute Abend auf der Terrasse treffen. Wenn du also nichts mehr brauchst…sehen wir uns dort, gegen Sieben.” Er formulierte es nicht direkt als Frage, dennoch war genug Offenheit darin, dass ich mich zu einem Nicken durchrang. Seine Schultern senkten sich, als hätte er an meiner Zusage gezweifelt. Er schaute noch einmal auf den Schlüssel in meiner Hand, dann auf den Rucksack zu meinen Füßen. Ich sah die Absicht in seinen Augen, bevor er mich fragen konnte und kam ihm zuvor. „Ich kann meine Sachen selbst tragen.” Er zögerte ein paar Sekunden, bevor er nickte und tief einatmete. „Dann…lass dir Zeit.” Er ging in den Flur, zog die Tür sehr leise hinter sich ins Schloss und ich stand noch einen Moment in der plötzlich ungewohnten Stille, bevor ich überprüfte, ob ich alles zusammen hatte und den Rucksack schulterte. Ich sackte sofort unter dem Gewicht zusammen und verbrachte ein paar Augenblicke damit, mein Gleichgewicht wieder zu finden und mich aufzurichten. Allein mit meiner neuen Schwäche erklärte ich das dennoch für einen Erfolg und verließ mit Mühe das Zimmer. Im Flur bekam ich einen ersten Eindruck von dem Hotel, in dem ich die letzten zwei Tage geschlafen hatte. Die Wände waren weiß getäfelt, die Teppiche in Creme gehalten und hier und dort ergänzte ein blaues Accessoire das maritime Muster. Ein paar Gäste gingen an mir vorbei, munter ins Gespräch verwickelt, sommerlich gekleidet. Ich überprüfte meine Schlüsselnummer und ging zur Tür zu meiner Linken. In meinem Zimmer angekommen, warf ich meinen Rucksack mit einem dankbaren Ächzen auf das große Bett, völlig unvertraut damit, nach ein paar Schritten so außer Atem zu sein. Ich musterte meine Umgebung: Die Einrichtung war komfortabel, es gab ein großes Doppelbett, zwei Nachttische, mehrere Kommoden und einen Sessel an den Fenstern. Auch hier fand sich das Muster aus Weiß und Blau wieder, zeitlos und aufgeräumt. Als ich die großen Fenstertüren entdeckte, zog es mich sofort auf den kleinen Balkon, der auf das Meer hinausblickte. Eine Weile stand ich dort, ließ mir vom Wind die Haare um mein Gesicht peitschen und atmete tief die Seeluft ein, gedankenverloren. Wir waren so nah am Meer, dass es keine fünfzig Meter bis zum Ufer sein konnten und ich von hier einige Hotelgäste am Strand und im seichten Wasser ausmachen konnte. Weiter draußen zogen ein paar kleine Schiffe und Segelboote vorbei. Es war mein erster Besuch in Tea-Country und diese Aussicht, zusammen mit dem warmen Klima waren ein unverhoffter Lichtblick in einem anhaltenden Albtraum. Unerwartet nostalgisch kehrte ich in das Zimmer zurück, nahm in einer alten Routine nur die nötigsten Dinge aus meinem Rucksack und verteilte sie im Raum und im anliegenden Badezimmer. Mein Kunaiholster nahm seinen vertrauten Platz auf dem Nachttisch ein und meine Handschuhe legte ich gleich daneben, jederzeit griffbereit. Dann endlich erlaubte ich mir die ersehnte Dusche, kostete das heiße Wasser eine lange Weile aus und spürte, wie sich meine Muskeln nach und nach entspannten und sich die letzten Nachwirkungen des Schlafmittels auflösten. In der Bestandsaufnahme vor dem Spiegel nahm ich meine fahle Haut und die müden Augen zur Kenntnis und rieb über das Fluchmal, das sich in seiner satten schwarzen Farbe noch stärker als sonst von meinem blassen Arm abhob. Ansonsten sah alles aus wie immer. Ganz die Alte. Ich musste nur noch an den Punkt gelangen, an dem ich mich auch so fühlte. Ein paar Minuten später - mit sauberer Kleidung auf dem Leib - entschloss ich mich, meine neu gewonnene Bewegungsfreiheit und die verbleibende Zeit bis zum Abendessen zu nutzen, um meine Umgebung zu erkunden. Ich lief jede Menge Treppenstufen nach unten und sah das erste Mal das Hotel von außen. Es war ein imposantes, mehrstöckiges weißes Haus, das größer als angenommen war und vermutlich erst auf eine gewisse Distanz hin seine volle Wirkung hatte: Mit den Türmen hier und da und den weiten Sprossenfenstern hatte es etwas von einem einsamen Schloss am Meer.   Die Terrasse, auf der ich die anderen treffen sollte, war direkt vor dem Hotel und bereits von einigen Gästen bevölkert. Ich ging daran vorbei und schlug den Weg ein, der Richtung Stadt führte. Rechts von mir war die ganze Zeit über das Wasser und ich saugte alles auf: Die Aussicht über die Wellen, den fernen Horizont und den weißen Strand, der nicht weit von der Straße lag. Ich riss so viel Licht und Wärme an mich wie möglich. Die Sonne stand tief und spiegelte sich in Rot, Orange und Gelb auf dem Wasser, tauchte den Himmel in eine Palette von strahlenden Farben und der Wind spielte wieder mit meinen Haaren und brachte salzige Luft mit sich. Meine Kondition war ein Witz, aber auch das langsame Gehen viel anstrengender als befürchtet. Ich musste bald umkehren und dabei zusätzlich eine Weile auf einer Bank verschnaufen. Der weite Blick über Meilen von freier See war fesselnd genug, um mich nicht zu sehr an meiner Schwäche herabzuziehen, und ich löste mich erst wieder davon, als ich aus dem Augenwinkel bemerkte, wie drei junge Leute vor mir von kleineren Klippen ins Wasser sprangen. Ich blinzelte ein paar Mal gegen den Wind, strich mir die Haare aus den Augen und sah dabei zu, wie ein Junge und ein Mädchen dem zweiten Jungen zuredeten, der sich offenbar nicht sicher war, ob er wirklich springen wollte. Als er schließlich mit einem Schrei sprang, zugleich ängstlich und begeistert, bedauerte ich auf einmal ganz schrecklich, Naruto nicht mitgenommen zu haben. Er hatte ebenso unter Sasukes Abschied gelitten wie ich. Aber trotzdem war die erste Regung auf seinem Gesicht, als er Sasuke wiedergesehen hatte, reine Freude gewesen. Ino hatte sie gesehen, hell und dunkel, Yin und Yang. Sie hatten sich mitten auf einer belebten Straße in Konoha gefunden, am Abend nach unserer Begegnung in Tsunades Büro. Als hätten sie nach einander gesucht, war alles was mir dabei durch den Kopf ging. Sie schienen keine großen Schwierigkeiten damit gehabt zu haben, wieder so gut wie früher auch miteinander auszukommen. Im Gegenteil, Narutos Erzählung kurz vor meinem Aufbruch nach zu urteilen hatte es den Anschein, als wären sie noch enger verbunden als zuvor. Ich stellte mir vor wie es wäre, wenn wir hier mit dem alten Team 7 entlang gehen würden. Kakashi würde gelassen vorn an der Spitze gehen. Naruto würde neben Sasuke laufen, vielleicht in eine Diskussion vertieft, aber vielleicht auch in einem seiner selteneren Momente, nachdenklich und in sich gekehrt. Er würde etwas zu Sasuke sagen und auf dieselben Jugendlichen deuten, die ich gerade entdeckt hatte. Sie hatten einen Picknickkorb mitgebracht und kamen kreischend aus den Wellen, die trotz der warmen Luft noch recht kalt sein mussten, um sich am Strand aufzuwärmen. Ihr fröhliches Lachen drang bis zu mir vor und Naruto würde seine Arme entspannt im Nacken verschränken, mit einem breiten Grinsen auf seinem Gesicht, als ob er liebend gern mitmachen wollte. Sasuke würde den Kopf schütteln und weiter nach vorn sehen, Naruto als albern abtun und sich nicht für solche profanen Freuden des Lebens interessieren. Ich hatte die Szene so lebendig ausgemalt, dass ich beinah erstaunt war, als ich nach einem Blinzeln kein vertrautes Orange von Naruto sah. Stattdessen entdeckte ich Sasuke einige Meter entfernt. Er schien mir entgegengekommen zu sein und auf mich gewartet zu haben und war wohl meinem Blick gefolgt, um zu sehen, was mich so fasziniert hatte. Jetzt hatte er den Kopf zum Meer gedreht und in seinem Gesicht entdeckte ich weit mehr Zurückhaltung, als Naruto sie je gezeigt hätte. Aber dann sah ich das verhaltene Lächeln auf seinen Lippen und seine Augen, deren Ausdruck plötzlich nicht mehr so hart aussah, sondern weicher wurde und bitter zugleich und bevor ich mich dafür wappnen konnte, schaute er zu mir und entdeckte, dass ich ihn und den geisterhaften Naruto beobachtet hatte. Ich blickte einen Moment zurück, bevor ich aufstand, meine Hände in den Taschen vergrub und zu ihm aufschloss. Wie sollten wir jemals wieder miteinander auskommen? Miteinander sprechen, ohne einander die schlimmsten Vorwürfe unseres Lebens zu machen? Er hatte es nie gesagt, aber es war so naheliegend. Ich war es, die Sasuke an seinen Bruder kettete, mehr als je zuvor, denn jetzt konnte er sich kein Ziel mehr setzen, um dagegen anzukämpfen. Itachi war tot, aber sein Fluchmal ließ Sasuke nicht darüber hinwegkommen. Das beste, was er tun konnte, war weit weg von mir zu sein. Der Himmel verdunkelte sich bereits, als ich bei Sasuke ankam. Er warf mir einen Seitenblick zu, aber er sagte nichts und dafür war ich dankbar, als wir zusammen zur Terrasse gingen. *** „Wirklich? Aber wie lange kennt ihr einander schon?” „Ewigkeiten. Seit wir Kinder waren, noch vor der Akademie.” Das sanfte Klimpern von Geschirr, gedämpfte Unterhaltungen und hier und da lautes Gelächter untermalten das stetige Geräusch der Wellen, die an den Felsen zerschellten. Die weitläufige Terrasse war übersät von Windlichtern, die die locker verteilten Hotelgäste an kleinen runden Tischen in goldenes Licht tauchten, als wären wir alle hier, um eine Hochzeit zu feiern und voller Wohlwollen das träge Glimmen des Sonnenuntergangs zu beobachten. Tanada scherte sich nicht darum, dass ich in dieser Bilderbuchszenerie mit meinem finsteren Blick völlig deplatziert war oder darum, dass ich keinerlei Anzeichen machte, mich meiner Umgebung anzupassen, indem ich übermäßig höfliche Konversation betrieb. Er schien wie gemacht für diese Gesellschaft, gekleidet in einem eleganten dunklen Anzug, ein Weinglas neben seinem Teller und die passende seidene Serviette auf der anderen Seite. Informationen, die ich diesem Mann bisher entlocken konnte? Er war mit seinem Schwiegervater seit einer Woche hier und das offenbar schon zum dritten Mal. Er demonstrierte eine ausgeprägte Vorliebe für ausgezeichnete Weine und war - wenn er nicht gerade unvereinbart Schlafmittel verabreichen ließ - ein Meister der Höflichkeit, inklusive des Aufhaltens von Türen für das weibliche Geschlecht und des Aufstehens, sobald eine solche Vertreterin sich vom Tisch erhob. Außerdem? Nichts. „Was ist mit Ihrem Schwiegervater? Wollte er nicht mit uns essen?” Er stellte seinen Wein auf dem Tisch ab und schüttelte den Kopf. „Er fühlt sich nicht gut, also ist er in unserem Zimmer geblieben.” Ein Lächeln legte sich auf seine Züge. „Er wird ein anderes Mal dabei sein.” Und wieder stolperte ich über eine seiner Andeutungen. Dieser Mann schien davon überzeugt zu sein, dass wir uns länger hier aufhalten würden. Sasuke saß neben mir, seit wir unsere Bestellung aufgegeben hatten, genau genommen das ganze Essen über, wortkarg und grübelnd. Selbst als ich widerstrebend über die Zeit sprach, in der wir uns kennengelernt hatten, wirkte er, als kannte er seine eigene Vergangenheit nicht. Die Stimmung an unserem Tisch hätte also kaum schlechter sein können und doch wirkte Tanada, als wäre er sich all dem überhaupt nicht bewusst. Zumindest auf den ersten Blick. Ich war mir ziemlich sicher, dass er diese unangenehme Situation nutzte, um Sasuke und mich und alle Schwingungen, die in der Luft hingen, gründlich zu analysieren, obgleich ich nicht sagen kann, dass ich mir nicht die größte Mühe gab, die besonders komplexen Themen auszulassen. In der minimalistischen Konversation, die ich mit zusammengebissenen Zähnen mit ihm aufrecht erhielt, fühlte ich mich wie durchleuchtet und seziert, während ich noch immer ziemlich ratlos dastand, was meine Analyse dieses Mannes anging.   Jetzt legte Tanada sein Besteck ab, wischte sich mit der Serviette über den Mund und wandte sich mit hochgezogenen Augenbrauen an Sasuke. „Du bist ausgesprochen schweigsam, Sasuke.” Es war eine simple Feststellung. Und so unschuldig. Aber für mich enthielt sie den Gedanken daran, dass Sasuke zwei Tage gehabt hatte, um Tanada und Kotakame näher kennenzulernen - zwei Tage, die mir fehlten, und deren Inhalt mir völlig verborgen blieb. Sie konnten ihm alles und nichts erzählt haben und dasselbe galt für ihn. Ich blickte zu Sasuke, doch er schaute nicht zurück. Er beäugte Tanada, als würden ihm jeden Moment Krallen wachsen, aber er schwieg. Das ließ Tanada nur für einen kurzen Moment die Stirn runzeln, bevor er sich erneut mir zuwandte und das Thema wechselte. „Kirschblüte. War es Zufall, dass deine Eltern dich so genannt haben, Sakura?” „Wenn das die originellste Frage ist, die Sie an mich haben, kann ich mich auf ein Feuerwerk von Informationen gefasst machen, da bin ich sicher.” Das lockte ein raues Lachen aus ihm hervor, bei dem er den Kopf in den Nacken warf und viele Falten um seine Augen sichtbar wurden. Ich neigte den Kopf. Wenn ich versuchte, sein Alter zu schätzen, tendierte ich durch seine Haare dazu, ihn älter einzuschätzen, als er wirklich sein musste. Kakashis Haare waren das beste Beispiel dafür, wie die Haarfarbe täuschen konnte. „Tanada-san-”, begann ich zähneknirschend, doch er unterbrach mich, unvermittelt wieder ernster. „Nenn mich Haruyoshi, bitte.” Ich brachte ein gerade noch höfliches Lächeln zustande. Haruyoshi lächelte zurück, aber mit einem Glitzern in den Augen, das erneut durchscheinen ließ, wie viel er verstand, ohne es erklärt zu bekommen. Zu sagen, dass er mich verunsicherte, war noch milde ausgedrückt. Jede meiner Beobachtungen hatte mir neue Rätsel aufgegeben und als er sich ein Glas Wasser eingoss, fiel mein Blick unweigerlich erneut auf seine Hände: Sie waren außergewöhnlich ruhig und präzise, aber seine Handinnenflächen waren rau. Nicht das erste Mal seit unserer Vorstellung fragte ich mich, was für einen Beruf er ausgeübt hatte oder immer noch ausübte. „Wie hat dir der Kabayaki geschmeckt, Sakura?” „Er war anders als erwartet.” Er hob erwartungsvoll die Augenbrauen. „Wie soll ich sagen? Er wird seinem Ruf eindeutig nicht gerecht.” Ich fühlte mich lächerlich in diesem Ambiente der Leichtigkeit und Eleganz, so fehl am Platz, wie man es nur sein kann. Ich war noch lange nicht wieder sicher auf meinen Beinen, ganz zu schweigen davon, dass sich die Bilder meines Zusammenbruchs hartnäckig eingebrannt hatten. Und der Mann, der mir angeblich Antworten geben konnte, saß vor mir und fragte mich nach meinem letzten Gang - direkt nachdem er mir Stunden zuvor ein Schlafmittel aufgezwungen hatte. Haruyoshi nickte zu einigen Paaren, die sich auf der freigemachten Tanzfläche zusammengefunden hatten und sich in trauter Zweisamkeit darauf wiegten. „Es ist ein wundervoller Abend zum Tanzen. Warum gesellt ihr euch nicht zu den Anderen und lasst den Stress der Reise von euch abfallen?” Mit einem berechnenden Lächeln sah er zu Sasuke, der mit verengten Augen zurückblickte.   Meine Hand schoss vor, bevor ich diesen Zug richtig durchdacht hatte. „Es reicht.” Haruyoshi sah langsam auf seinen umklammerten Arm, dann wieder zu mir zurück und ich war plötzlich sicher, dass er in der Lage gewesen wäre, mir reflexartig auszuweichen. „Ich bin nahezu völlig ahnungslos drei Tage hierher gereist, vor weniger als 72 Stunden zusammengebrochen und hätte mit etwas mehr Pech keinen Morgen mehr gesehen. Zwei Tage später weiß ich noch immer nicht mehr. Ich brauche Antworten und Sie sind in der Lage sie mir zu geben. Oder nicht?” Ich hob eine Augenbraue, immer noch mit einer Hand um sein Handgelenk. Haruyoshi sah kurz zu Sasuke, wirkte allerdings überhaupt nicht überrascht. Stattdessen machte er seinen Arm bestimmt frei und schenkte mir geradezu gelassen seine ganze Aufmerksamkeit. „Geduld ist eine Tugend, die viele junge Menschen sich noch aneignen müssen.” „Ich bin nicht diejenige, die jemandem aus Ungeduld ein Schlafmittel untergejubelt hat.” Er verengte minimal die Augen. „Wie ich bereits sagte, war das nötig. Du brauchtest noch mehr Schlaf und es hätte nicht geholfen, deine Aufgebrachtheit weiter zu fördern.” „Das werden wir jetzt kaum widerlegen können.” Er senkte kurz den Blick, als wollte er seine nächsten Schritte gut überdenken. Dann schaute er wieder auf und seine Entscheidung war klar zu sehen. „Es ist wohl das Beste, dir zu zeigen, dass du deine Zeit hier nicht verschwendest.” Als er seinen rechten Ärmel hoch krempelte, verstand ich nicht, was er damit bezweckte. Er musterte mich, abwartend und auffordernd, und ich sah ziellos an ihm hinab. Bis mein Blick zu seinem frei gelegten Unterarm zuckte. Und plötzlich machte vieles Sinn. Ich schüttelte langsam den Kopf, legte eine Hand flach auf den Tisch und sah auf. „Wie?” „Das ist eine Geschichte für ein anderes Mal. Ich will dir nur eines klar machen: Ich weiß, wovon ich spreche und ich kann dir Erklärungen liefern.” Er hielt meinen Blick, als wollte er mir anbieten, ihn durch und durch auf seine Ehrlichkeit zu prüfen. „Ich gebe dir mein Wort, du hast noch Zeit, um deine Entscheidung zu treffen. Und du wirst sie brauchen.” Ich sah zwischen seinen Augen hin und her und blickte dann wieder zurück auf dieses fremde Fluchmal, geradezu magnetisch davon angezogen. Das Muster machte es auf den ersten Blick als solches erkennbar, so ähnlich zu meinem, aber bei genauerem Hinsehen war es mehr grau als schwarz und die Schnörkel waren nicht so scharf und aggressiv wie meine. Ich kämpfte mit Unverständnis. „Warum all diese Geheimnisse? Warum sagen Sie mir nicht einfach, was mit mir los ist?” „Du bist noch nicht so weit.” „Sie kennen mich seit ein paar Stunden. Woher sollten Sie das wissen?” Er tippte ein paar Mal auf seinen Arm, bevor er seinen Ärmel erneut darüber zog. „Intuition. Eigene Erfahrung. Such dir etwas aus.” Einen langen Moment sahen wir einander nur an. Dann fiel mein Blick auf Sasuke, der mit einem bitteren Zug noch immer auf Haruyoshis Arm blickte. Er hatte nicht davon gewusst? Als er aufschaute und mich ansah, wich ich aus. Haruyoshi rieb sich unbeirrt die Hände. „Also. Wer ist in der Stimmung für ein Dessert?” *** In der folgenden Nacht schreckte ich aus dem Schlaf, mit hämmerndem Herzen und schweißgebadet. Ich hätte vollkommen erledigt sein müssen - und das war ich - doch ich sah die roten, hasserfüllten Augen immer noch vor mir, hörte noch immer seine grausame, weiche Stimme und ich spürte seine Hände noch immer um meinen Hals. Zu schlafen erschien mir nunmehr unmöglich. Meine rechte Hand legte sich unter mein Kinn. Ich schloss die Augen und zwang mich, tief ein- und wieder auszuatmen bis sich mein Puls etwas beruhigt hatte. Dies war der erste Traum von Itachi seit Monaten. Kurz nach meiner Rückkehr nach Konoha hatte er mich ständig heimgesucht, so oft, dass ich das Schlafen so lange wie möglich herausgezögert hatte. Aber irgendwann hatten diese Nächte anderen Platz gemacht und sein Gesicht war in meinen Erinnerungen verblasst. Nicht heute. Nicht hier. Ich sah seine Züge so scharf vor mir, als würde ich ein Foto betrachten und das, in Kombination mit den lebhaften Gedanken an meinen Zusammenbruch, jagte mir Schauer über den klammen Rücken. Immer noch mit einer Hand an meinem Hals ließ ich sie schließlich sinken und mein Blick fiel auf meine offene Balkontür und die transparenten Vorhänge, die sich in der leichten Brise wölbten. Von hier war das Wellenrauschen nur leise zu hören, aber die Sterne konnte ich hell und deutlich sehen. Mit einem leisen Ausatmen schälte ich mich aus meiner Decke, stand auf und ging durch die Balkontür. Das Geländer war kalt unter meinen Händen, als ich mich darauf abstützte, den Kopf in den Nacken legte und in die Sterne sah. Konoha hatte wenige Lichter, die den Nachthimmel erhellten, aber hier in dem einsam liegenden Hotel, in einer Neumondnacht, gab es rein gar nichts, das den Sternen ihr Licht nahm. Tausendfach von ihnen erleuchtet war der Himmel von einem samtigen, tiefen Blau und das Rauschen der Wellen war alles, was ich hören konnte. Selbst der Wind war viel schwächer als tagsüber und kühlte wie ein alter Freund meine warme Haut. Die Nacht ist auf eine Weise mächtig, die wir nicht wegrationalisieren können. Ängste und Sorgen wachsen mit der Dunkelheit und der Stille, wenn alle anderen Menschen schlafen und träumen. Gedanken werden scharf wie Klingen und manchmal so verdreht, dass sich die Spitze dieser Klinge gegen ihren Besitzer richtet. Unbewusst hatte sich meine Hand auf meinen Unterarm gestohlen und ich senkte den Blick, um die mittlerweile so vertrauten Linien mit den Augen abzusuchen. Nicht einmal jetzt, wirklich wach, konnte ich Itachi abschütteln. Als mir bewusst wurde, dass ich Gesellschaft hatte, runzelte ich die Stirn und drehte den Kopf nach rechts. Sasuke lehnte an der Seite seines Balkons, die Beine lang ausgestreckt gekreuzt, die Arme verschränkt und hatte einen guten Blick auf mein Schlafensemble, das aus einem grünen Top und einer kurzen Hose bestand. „Unruhige Nacht?” Ein müdes Lächeln lag auf seinen Lippen. Ich schenkte seiner dunklen Hose und der silbrigen Haut seines Oberkörpers nur einen Moment Beachtung, dann drehte ich mich wieder nach vorn, ließ meine Arme und den Kopf über den Balkon hängen und schloss die Augen. „Eine mächtige Offenbarung, die uns der alte Mann heute Abend gemacht hat.” „Du hast es nicht gewusst.” Es war keine Frage. Aber als er auch nach einer Weile nichts erwiderte, hob ich den Kopf und musterte ihn. „Dann hätte ich es dir gesagt.” „Das klingt, als sollte das irgendetwas wieder gut machen.” Er hielt meinen Blick. „Nein, Sakura. Das macht nichts wieder gut.” Ich schaute zurück, hatte nicht erwartet, dass er so reagieren würde. „Warum bist du hier draußen?” Jetzt war es an ihm, auf das Meer hinaus zu sehen und zu schweigen. Ich verengte die Augen. „Du schläfst nicht.” Er schüttelte leicht den Kopf, wieder mit dem Hauch eines erschöpften Lächelns und ich wusste, das war die einzige Antwort, die ich erhalten würde. „Er ist geschickt. Und er spielt mit uns.” Ich zuckte mit den Achseln und schaute nach vorn. „Spiele bin ich mittlerweile gewohnt.” „Sakura.” Er musterte mich wieder von der Seite. „Worüber habt ihr in den zwei Tagen gesprochen?” „Ich habe ihnen gesagt, wie das Fluchmal entstanden ist. Sie haben ein paar Fragen zu meiner Familie gestellt. Das ist alles.” Ich nickte stumm - aber er deutete das als Zeichen dafür, dass ich ihm nicht glaubte. „Sakura-” „Ich bin nicht wirklich auf den Balkon gekommen, um mich zu unterhalten, Sasuke.” Es klang abweisender als beabsichtigt. Sasuke wirkte überrascht. „Du hast nicht gespürt, dass ich hier bin?” Ein bitterer Zug legte sich auf meine Lippen und ich neigte zugestehend den Kopf. „Das hätte ich. Wenn ich schon so viel Chakra zurück hätte.” „Geht es dir schlechter?” „Was für eine Frage soll das sein?” „Dein Chakra steigt sehr langsam, aber beständig, dein Blutdruck hat sich normali-” Ich verengte den Blick. Er wusste, dass ich das selbst feststellen konnte. „Tu mir den Gefallen und setz dein Sharingan irgendwo anders ein.” Das Rot wich aus seinen Augen und ließ sie schwarz und undurchsichtiger denn je zurück. „Du hast Recht. Das war unangebracht.” Ich schaute über meine Schulter, auf die hellen Vorhänge, die sich im Wind neigten und das dunkle Zimmer, das auf mich wartete. Itachis Präsenz hing tief darüber, wie ein dichter, schwerer Nebel. Ich konnte noch nicht zurück. Damit blieb nur die Flucht nach vorn - und die alte Frage nach seiner Motivation. „Warum bist du für Tsunade auf die Suche gegangen? Das war nicht der Grund für deinen hastigen Aufbruch.” Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis er antwortete. „Du zweifelst daran, dass ich dir von mir aus helfen würde.” Ich schnaubte leise. „Ich weiß nicht. Gehöre ich nicht zu den Gründen, weshalb du Konoha verlassen hast?” „Ich bin nicht gegangen, um es dir schwerer zu machen.” „Um mir was schwerer zu machen?” Schweigen. „Hast du eine Ahnung, wie es war als du weg warst, ohne ein Wort? Kannst du dich auch nur ansatzweise daran erinnern, wie ich dich zuletzt gesehen habe? Betrunken und dabei unter dem Einfluss von Medikamenten? Kannst du dir vorstellen, was ich mir ausgemalt habe?” Er senkte den Kopf. „Das war nicht meine Absicht.” „Was war deine Absicht?” „Das ist der falsche Zeitpunkt, um darüber zu sprechen.” Ich starrte ihn an, schluckte hart und kämpfte gegen die Enttäuschung darüber, dass er mich nicht mehr einweihte. Nicht einmal jetzt. „Du wirst es mir nicht sagen.” Jetzt regte sich Widerstand in seinen Augen. „Ich wäre dir keine Hilfe gewesen.” „Du hast es gar nicht versucht.” Ich atmete harsch aus. „Glaubst du, ich hätte nicht selbst mit dem Gedanken gespielt, zu gehen? Aber Tsunade hätte mich nie-” Ich brach den Satz ab, schüttelte den Kopf und sah in die Ferne, ohne wirklich etwas zu betrachten. „Ich wollte dieses Mal nicht. Ich habe mich mit Händen und Füßen gegen ihn gewehrt. Aber jetzt trage ich es und ich habe dich am selben Tag, an dem du es das erste Mal gesehen hast, verloren. Das verstehe ich. Und doch…” Er sprach über mich hinweg, sichtlich aufgebracht, aber seine Worte kamen nicht bei mir an. „Du hättest dich verabschieden können. Trotz allem. Weil ich zumindest das verdient hätte. Du warst uns beiden mehr als diesen furchtbaren Abschied in deinem Hotelzimmer schuldig.” Wir beide waren lauter geworden, aber jetzt verstummten wir mit einem Schlag - und die Stille drückte uns beinah zu Boden. Er schaute mich an, wartete darauf, dass ich zurücksah. Aber ich konnte nicht. Seine Stimme war leise, als er schließlich sprach. „Das war ich.” „Warum hast du mich so zurückgelassen? Du hast mich gesehen. Es ging mir kaum besser als dir.” „Ich konnte nicht bleiben.” „Das hättest du mir sagen können.” Und ohne Vorwarnung brach seine brüske Ungeduld durch. „Es hätte nichts geändert!” Ich zuckte zurück, wie vor den Kopf geschlagen. „Okay”, kam es tonlos über meine Lippen. „Das war deutlich genug.” „Du hättest es nicht verstanden.” „Das wirst du nie erfahren.” Ich schaute wieder nach vorn, fuhr mir über die Stirn, atmete aus. „Ich weiß nicht, ob dir das, was wir hatten, am Ende noch etwas bedeutet hat. Ob du einen Gedanken daran verschwendet hast, als du mich weggestoßen hast-” „Natürlich. Und sie waren nicht verschwendet.” Ich sah zur Seite. Seine dunklen Augen spiegelten das Licht der Sterne, ein paar Haarsträhnen wehten ihm um die Stirn. „Aber es kann nie wieder so sein. Alles, was zählt, ist, dass wir herauszufinden, wie wir dir helfen können.” Die Resignation und die Endgültigkeit in seiner Stimme waren fehl am Platz - eine wilde Einbildung meinerseits. Noch einmal legte sich Stille über uns, wie eine Decke, die man auf etwas wirft, dessen Anblick man einfach nicht mehr ertragen kann. Dann brachen ein paar große Wellen nur ein paar Meter vor uns und ich senkte den Blick, schluckte hart und lehnte mich wieder über das Geländer. Ich rang mit meinem Stolz. „Also dann. Besser spät als nie, so sagt man doch. Und jetzt wissen wir beide, wo wir stehen.” Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Sasuke nach tiefer Bewegungslosigkeit den Kopf sinken ließ. Er schaute einen langen Moment auf die Wellen und ich konnte förmlich dabei zusehen, wie er unvermittelt die alte Mauer zwischen uns wieder abdichtete, Stein für Stein, bis seine Augen nichts mehr preisgaben. Dann drehte er sich zu mir, nickte knapp, plötzlich wieder völlig kalt, und ging wortlos - einfach so - zurück in sein Zimmer.   Wilde Enttäuschung brach über mich herein und ich rügte mich dafür und stampfte sie gnadenlos zurück. Es hat eine Zeit gegeben, da war er anders, fuhr es mir durch den Kopf. Ich knirschte mit den Zähnen und schob den Gedanken von mir. Diese Zeit lag lange hinter uns. Trotzdem hielt sich eine blinde, starrsinnige Hoffnung in mir, dass er sich jeden Moment umdrehen und abstreiten würde, was ich gerade gesagt hatte. Das tat er nicht. Und als ich mich schließlich zusammenriss, von seiner Seite des Balkons abwandte und direkt auf Itachis dunkle Umrisse in der gegenüberliegenden Ecke blickte, war ich kaum noch überrascht. Meine Hand zuckte wieder zu meinem Hals, als könnte ich noch immer seine geträumten Finger darum spüren und mein Atem stockte für einen Moment. Aber ich griff nach einem der Steine in den Blumenkästen, wog ihn ein paar Sekunden in der Hand, ohne Itachi aus den Augen zu lassen - dann warf ich den Stein und atmete jämmerlich erleichtert aus, als er ungehindert durch ihn hindurch fiel. „Lass mich in Ruhe.” Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen - und doch mit einer Gänsehaut am ganzen Körper - ging ich zurück in mein Zimmer und verschloss die Balkontür mit einem vehementen Zerren. Langsame Schritte brachten mich zurück in das große Hotelbett, aber Schlaf schien jetzt noch weniger möglich als Minuten zuvor. Stundenlang starrte ich also an die Decke und suchte bei dem kleinsten Geräusch alle Winkel des Zimmers ab. Irgendwann schlief ich doch darüber ein, aber ein Gedanke verfolgte mich noch bis in meine Träume: Ausgerechnet jetzt, nach so vielen Zeitpunkten, die nachvollziehbarer gewesen wären, ließ mich mein Verstand im Stich. *** „Die Ähnlichkeit zu Kaohru ist tatsächlich verblüffend.” Haruyoshis Lachen war rau, als sein Schwiegervater diese Worte äußerte, aber ich gewöhnte mich langsam daran, dem Humor dieses störrischen Mannes ausgesetzt zu sein und schenkte ihm nur wenig Beachtung dafür. Stattdessen gab ich mir noch immer große Mühe, an diesem Morgen nach Sasukes und meiner Unterhaltung auf dem Balkon nicht ununterbrochen daran zu denken. Es half, dass diese beiden fremden Männer - trotz unserer ersten Begegnung, die in mehr als einem Punkt schlecht gelaufen war - bei genauerem Hinsehen ganz in Ordnung zu sein schienen. Sie hatten Humor, sie waren die meiste Zeit über sehr höflich und sie konnten herzlich sein, etwas, das mir zuvor völlig verborgen geblieben war.   Ich fixierte den alten Mann mit Sorge. Tohru, der mich wie Haruyoshi gebeten hatte, ihn mit seinem Vornamen anzusprechen, sah nicht gut aus. Er wirkte sehr erschöpft, als wir ohne Eile von dem kurzen Morgenspaziergang am Strand zum Hotel zurückkehrten, war aber in guter Stimmung. „Kaohru hatte einen furchtbaren Charakter”, sagte Haruyoshi jetzt. „Sakura hat ein gesundes Temperament, aber sie ist keinesfalls hinterhältig. Sakura.” Haruyoshi wandte sich zu mir und lächelte so breit wie ein kleiner Junge. Sein Schwiegervater, dessen war ich mir jetzt mehr denn je sicher, bedeutete ihm viel. „Lass dir gesagt sein, meine geliebte Sumiko teilte keine Eigenschaften mir ihr.” Bei dieser sonderbaren Beschreibung hob ich eine Augenbraue, lächelte jedoch, als Tohru mit beiden Händen nach meinen griff und sie warm in seinen hielt. „Nimm mir meinen Kommentar nicht übel, sie war eine außergewöhnlich schöne Frau und sie hatte ihre Momente der Freundlichkeit - hier und da.” Ich neigte respektvoll meinen Kopf und lächelte. „Ich bin mir sicher, dass es ein Kompliment sein sollte, Tohru-San. Wer genau war Kaohru, wenn ich fragen darf?” Ich sah zwischen den beiden Männern hin und her und stieß auf verschworene Blicke. „Sie war Sumikos Mutter. Tohrus Frau.” Beide brachen in Gelächter aus und ich schüttelte mild den Kopf. Es gab sicher eine Geschichte dazu, aber ich musste sie nicht jetzt hören. Vor allem nicht, da Tohrus Lachen in einem bösen Hustenanfall endete, der mich aufhorchen ließ. Ich legte eine Hand auf seinen Rücken und stellte fest, dass Haruyoshi bereits dasselbe getan hatte. „Das hört sich nicht gut an. Waren Sie damit bei einem Arzt?” Haruyoshi sah an Tohru vorbei zu mir und nickte ernst. „Wir sind wegen der Seeluft hierher gekommen. Tohru soll so viel wie möglich am Strand sein und sich ausruhen.” Ich schaute zurück auf Tohru und neigte mich etwas mehr zu ihm. „Ich würde Sie gern untersuchen, wenn Sie nichts dageg-” „Sakura.” Haruyoshi legte eine Hand auf meinen unteren Rücken und schob mich ein paar Schritte zur Seite. Tohrus Husten legte sich langsam und er ließ sich schwerfällig auf eine Bank zurücksinken, die Augen erschöpft geschlossen. „Ich weiß dein Angebot sehr zu schätzen. Und ich wünschte, du könntest ihm helfen. Aber das ist unmöglich.” Ich runzelte die Stirn und löste meinen Blick nur widerwillig von seinem Schwiegervater. „Was soll das heißen? Ich bin sicher, dass ich etwas für ihn tun könnte, was ein Arzt ohne Chakra nicht tun kann.” „Darum geht es nicht.” Haruyoshi schüttelte den Kopf. „Du trägst ein unvollendetes Fluchmal. Sein Fluchmal ist intakt. Und für nichts auf der Welt würde ich mir gestatten, das in Gefahr zu bringen.” Ich starrte ihn an, entgeistert. „Sein Fluchmal?” Er nickte, aber ich hatte keinen Zweifel daran, dass auch diese Geschichte für einen anderen Zeitpunkt vorgesehen war. „Es gibt zu wenig Forschung zu diesem Aspekt. Du könntest ihn gefährden, dich selbst, letztlich auch mich. Es tut mir leid.” Die Punkte verbanden sich langsam zu einem Gesamtbild. „Das heißt, Sie beide sind verbunden?” „So ist es. Seit 43 Jahren.” Seine Worte kamen einem Schlag in die Magengrube gleich. „Aber…” „Es ist nicht so, wie du denkst, Mädchen. Wir haben uns freiwillig dafür entschieden.” „Warum...? Wer würde das-” „Später, Sakura.” Er drehte den Kopf zurück zu Tohru, der mit einem Stofftaschentuch über seine Mundwinkel tupfte. „Später.” Als er Anstalten machte, zu ihm zu gehen, legte ich eine Hand auf seinen Arm. Er stoppte. „Sind Sie absolut sicher, dass ich ihn nicht untersuchen soll?” Seine freie Hand legte sich gutmütig auf meine. „Ich weiß, wozu du fähig bist. Tsunades Ruf eilt ihr voraus und ich bezweifle, dass ihre Schülerin ihr in vielem nachsteht. Aber du kannst ihm nicht helfen.” Einen langen Moment hielt ich seinen Blick. Dann sah ich wieder zu dem alten Mann hinüber. „Ich verstehe.” „Ich werde nichts schönreden, sein Arzt hat ihm gesagt, dass sein Zustand ziemlich schlecht ist. Aber er hat Hoffnung, dass die Seeluft ihm helfen und ihn wieder etwas zu Kräften kommen lassen wird. Und diese Hoffnung habe ich auch.” Ich nickte. „Okay.” Ich hatte Tohru nur einmal husten gehört und erst wenige Stunden gesehen. Vielleicht hatte der Arzt Recht. Vielleicht würde die Seeluft tatsächlich helfen. Vielleicht war der zerbrechliche Tohru stärker, als er aussah und vielleicht irrte sich mein Instinkt. Auch wenn es sich nicht danach anfühlte. *** Nachdem Tohrus Anfall sich gelegt hatte, frühstückte ich mit Haruyoshi und seinem Schwiegervater im Hotel, aber das Gespräch war so meilenweit von allem entfernt, was ich Haruyoshi fragen wollte, dass mir klar wurde, dass der störrische Mann auch heute nicht mehr preisgeben würde als am Tag zuvor. Tohru entpuppte sich weiterhin als heiter und aufgeschlossen, aber irgendwann zeigten seine sporadischen Hustenanfälle ihre Wirkung und Haruyoshi begleitete ihn zurück auf ihr Zimmer. Mit jeder Menge Zeit und keiner drängenden Aufgabe auf der Hand, verbrachte ich den Vormittag am Strand, wanderte am Wasser entlang, um meinen Frust in etwas umzuwandeln, das nicht mit unmittelbarer Gewalt zu tun hatte, und legte mich irgendwann in die Sonne, um noch etwas Schlaf nachzuholen. Sasuke hatte ich nicht gesehen, seit er den Balkon in der Nacht verlassen hatte, aber nach und nach regenerierte sich mein Chakra und ich konnte hin und wieder spüren, dass er in der Nähe war. Als ich am Strand entlangwanderte, nahm ich flimmernd wahr, dass er sich in seinem Zimmer bewegte, als würde er auf und ab gehen und als ich in die Lobby zurückkehrte, um mir eine Karte zu beschaffen, traf er sich mit Haruyoshi zum Mittagessen. Ich war kurz versucht, mich ihnen anzuschließen, entschied mich jedoch dagegen, als ich nur zu deutlich Sasukes und mein Gespräch der letzten Nacht Revue passieren ließ. Schließlich machte ich mich auf den Weg in die nächste Stadt, nur ein paar Minuten von hier, um etwas zu essen, den Hafen zu sehen und ein paar Märkte zu besuchen. Auf meinem Weg zurück zum Hotel stand die Sonne tief und ich hätte mich zu gern von der friedlichen Stimmung einfangen lassen, mit der die Urlauber ihre Handtücher und Taschen am Strand einsammelten, um zum Abendessen ins Hotel zurück zu schlendern. Aber der Moment währte nur kurz, denn noch bevor ich die Lobby erreicht hatte, überfiel mich die Erkenntnis, dass Sasuke und Haruyoshi noch immer - oder schon wieder - auf der Terrasse zusammen saßen. Ungeachtet der fröhlich kreischenden Kinder einer Familie am Tisch daneben, sah ich Haruyoshi den Kopf schütteln und seine Mimik verzog sich missbilligend. Was er zu Sasuke sagte, konnte ich nicht hören, aber sie waren sich nicht einig, so viel war sicher. Bevor sie mich wirklich bemerken konnten, zog ich weiter in mein Zimmer, um mir den Sand von der Haut zu waschen. Sasukes Reaktion wirkte sich noch immer genug auf mich aus und ich wusste, dass wir es nicht umgehen konnten, aber ich wollte nicht allzu bald eine Wiederholungsvorstellung der letzten Nacht. Ich ließ mir Zeit in der Dusche, hatte mich gerade abgetrocknet und war im Begriff, meine Haare zu föhnen, als ich im Spiegel hinter mir eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm und mit einem Mal aus meinen Gedanken gerissen wurde. Ich fuhr mit klopfendem Herzen herum und konnte niemanden sehen. Ein langsamer erneuter Blick in den Spiegel bestätigte mir jedoch, dass ich mich nicht geirrt hatte und mein persönlicher Albtraum mich ein weiteres Mal heimsuchte. Er stand direkt hinter mir, ohne dass ich Wärme spüren oder Stoff rascheln hören konnte, unnatürlich still.  Mein Griff um den Föhn wurde so fest, dass das Material ein flehendes Geräusch von sich gab und ich ihn bewusst langsam auf dem Waschbeckenrand ablegen musste. Ich legte meine Zeigefinger aneinander und verschränkte meine restlichen Finger. „Kai.” Aber das änderte nichts. „Was machst du hier?” Ich sprach zu dem Spiegel, die Worte kaum mehr als ein Fauchen. „Er hat dich wieder enttäuscht.” Seine Stimme war samtig und frei von Bösartigkeit, verbarg den Schatten hinter seinem arglosen Äußeren so gut, aber ihr Klang, alles, was ich damit verband - und was es bedeutete, dass ich seine Stimme hören konnte - ließen meine Knie beinah nachgeben. Ich schluckte hart, schwieg, legte die Hände mühsam kontrolliert auf den Rand des Waschbeckens und hielt seinen Blick, wohlwissend, dass mein Stein ihn letzte Nacht auf dem Balkon überhaupt nicht beeinträchtigt hatte. „Du weißt, dass er nicht anders kann. So ist er aufgewachsen.” „Was zur Hölle willst du?” „Passend, dass du davon anfängst. Was glaubst du, wo ich die ganze Zeit über war?” „Im tiefsten Ring, den sie dort unten haben, hoffentlich.” „Hast du dich je gefragt…” Er neigte sich über meine Schulter und noch immer konnte ich ihn nicht spüren, aber die Haare in meinem Nacken stellten sich auf. Mit seinen langen, blassen Fingern, viel zu filigran für das, was er lebenslang getan hatte, fuhr er über meinen linken Unterarm. Er berührte mich nicht, doch ich fühlte mich augenblicklich schmutzig. Sein Blick zuckte zu meinem im Spiegel. „…warum ich dir dieses Geschenk gemacht habe?” Mein Körper spannte sich an, wollte ihn instinktiv zurückstoßen, doch ich war ziemlich sicher, dass ich nur durch ihn hindurch gleiten würde und das wollte ich gern vermeiden. Also tat ich das Einzige, das ich tun konnte: Ich wandte mich vom Spiegel ab und verließ das Badezimmer. „Du glaubst, dass es das gewesen ist? Dass dein Zusammenbruch eine einmalige Sache war?” Ich blieb stehen. Seine körperlose Stimme war noch immer klar und deutlich zu hören und ein Gefühl, wie ein Windhauch auf meinen Schultern, jagte mir eine neue Gänsehaut über den Rücken. „Dann liegst du falsch.” Ich fuhr herum und stellte mich erneut vor den Spiegel, die Hände auf dem Waschbecken abgestützt, den Oberkörper vorgebeugt. Sein Spiegelbild lauerte hinter mir wie ein dunkler Schattendoppelgänger. „Ich habe gesehen, wie du deinen letzten Atemzug getan hast. Ich habe dich sterben sehen. Wie hast du das hier angestellt?” Er gab keine Antwort. Meine Zuversicht wagte sich an die Oberfläche. „Du bist nicht wirklich hier. Und ganz sicher nicht real.” „Das fühlt sich sehr real an, oder nicht?” Zu meinem Horror legte er seine Hände auf meine Unterarme, beugte sich über meine Schulter und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren, um tief einzuatmen. Ich stolperte zurück - direkt durch ihn hindurch. Im Spiegel konnte ich sehen, dass seine Umrisse träge verschwommen, wie ein paar Tropfen Farbe in Wasser, dann überschnitten sich unsere Spiegelbilder. Und schneller als ich realisieren konnte, was ich gerade gesehen hatte, stand er wieder hinter mir. Reflexartig drehte ich den Kopf und erblickte ein weiteres Mal nur die weiße Wand. „Hör auf.” Ein Zittern legte sich über meine Arme, aber ich schaute dennoch zurück in den Spiegel - wollte lieber sehen, was er tat, als mir grauenvolle Bilder auszumalen. Unerträglich langsam schaute er auf und legte sein Kinn auf meine Schulter. Ich spürte kein Gewicht, keine Wärme. Er war hier. Und doch nicht. Meine Stimme senkte sich. „Nimm deine Hände von mir, Itachi.” „Als wir uns zuletzt gesehen haben, warst du anderer Meinung.” Ich verengte die Augen. „Du bist nicht einmal ein Schatten deiner selbst. Du bist nichts. Und früher oder später musst du Sasuke loslassen, ob du willst oder nicht.” Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und seine Augen leuchteten auf, als hätte ich genau das gesagt, was er sich erhofft hatte. „Noch etwas, das wir gemeinsam haben. Aber Sakura…” Er lächelte in mein Haar, bevor er wieder meinen Blick suchte. „Sasuke ist nicht derjenige, der mich sehen kann. Was immer du hier willst-”   „Du weißt genau, was ich hier will.” „Nach allem, was ich für dich geplant hatte, bist du so hastig darin, es abzuweisen.” Ein kalter Laut brach aus mir hervor. „Du hast all das getan, um etwas zu beweisen. Das ist alles.” „Und habe ich das nicht, Liebes?” Seine samtige Stimme wurde beißend. Ich wollte ihm Schmerzen zufügen, ihm das Lächeln vom Gesicht wischen und seine verfluchten Hände so dringend von meinen Armen reißen, dass meine hart umkämpfte Ruhe dahin war. „Raus hier. Verschwinde!” Er lachte leise, als könnte ihn nichts vollendeter amüsieren als meine haltlosen Forderungen. Mit einem grauenhaften, sorglosen Summen neigte er sich zu meinem Ohr und sprach direkt davor, ohne unseren Blickkontakt zu unterbrechen: „Sasuke war voreilig. Und falls er seine Unüberlegtheit an diesem Tag auf der Lichtung bis jetzt noch nicht bereut hat, so wird er das. Ihr beide werdet das - sehr bald.” Ein grausames Lächeln, das seinem ungewollt ähnelte, verzerrte meine Lippen. „Alles, was er bereut, ist, dass er sein Katana nicht wieder und wieder durch deine Brust stoßen kann.” Seine Reaktion war nüchtern. „Das wird sich zeigen.” Er schien immer die Oberhand zu behalten, ganz gleich, was ich tat, und die Angst vor seiner angedeuteten Zukunft zwängte meine Brust ein. „Fahr zur Hölle, Itachi.” Von seiner Ruhe fehlgeleitet, durch seine Körperlosigkeit in Sicherheit gewogen, spürte ich den Schnitt erst, als er bereits verblasste und schließlich verschwand, nicht ohne noch einen Blick auf meinen Arm geworfen zu haben. „Wir sehen uns dort.” So blieb ich stehen, konnte keinen Sinn daraus formen, dass er die Haut unter dem Fluchmal mit einem Kunai zum Bluten gebracht hatte, auch wenn der Schnitt vor meinen Augen bereits fast wieder geschlossen war. Die blutigen Tropfen im Waschbecken ließen sich nicht leugnen. Wieder allein - die ganze Zeit allein gewesen? - war ich wie fest gefroren. Auf dem besten Weg, den Verstand zu verlieren. *** Wutentbrannt, zu Tode erschrocken und außer mir, weil es keine andere Erklärung gab, weil ich mir all das einbilden musste, verließ ich das Hotelzimmer innerhalb von Sekunden. Ich streifte mir ein paar Klamotten über, holsterte meine Kunais und ließ die Tür hinter mir zufallen. Gedanken rasten mir durch den Sinn, fruchtlose Erklärungsversuche, etliche Fragen. Das alles war eine gewaltige Nummer zu groß für mich. Wie konnte ich ihn hören, sehen, wenn er nicht mehr am Leben war? Er spielte mit meiner Angst und Unwissenheit, so wie er es immer getan hatte. Und wenn ich mich darauf einließ, dann hatte er nur noch mehr gegen mich in der Hand als ohnehin schon. Ich würde diesen Irrsinn hinter mir lassen, die Panik einfangen, bevor sie mich gänzlich überrollte und in den Wahnsinn hinabriss. Es zog mich wieder an den Strand. Ich musste nur ein kurzes Stück gehen, um allein zu sein, denn die Sonne war bereits untergegangen, die letzten Boote auf dem Wasser steuerten den Hafen an und es wurde kühl. Ich setzte mich in den Sand, verschränkte die Beine und legte meine Hände mit den Innenflächen nach oben auf meinen Oberschenkeln ab. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich darauf, meinen Kopf frei zu machen - mich dorthin driften zu lassen, wo auch nur ein Funke einer Erklärung auf mich warten könnte. Meine Haare tropften noch auf meine Schultern, als ich damit anfing. Als ich sie das nächste Mal öffnete, waren sie in unbändigen Wellen getrocknet. Ich hörte Stimmen, drehte den Kopf zur Seite und entdeckte um die zwanzig junge Leute mit Taschenlampen, die auf mich zukamen. Sie sahen mich nicht sofort, ganz allein im Dunkeln, aber als sie mich entdeckten kam eine von ihnen zu mir herüber und blieb vor mir stehen. „Hi!” Sie trug einen kurzen Rock und ein Pailletten-Top, trug ihre blonden Haare in einem langen Zopf - und plötzlich vermisste ich Ino schmerzlich an meiner Seite. „Es ist selten, dass wir hier um diese Zeit jemanden treffen. Wir stören wahrscheinlich. Aber da vorn ist unsere übliche Feuerstelle. Macht es dir was aus, wenn wir…?” Ich winkte ab. „Tut euch keinen Zwang an.” „Super! Oh hey…” Sie drehte sich sofort wieder zu mir um und streckte ihre Hand aus. „Ich bin Nako. Es kommen noch ein paar andere vorbei. Wenn du Lust hast, komm doch dazu?” Ich warf einen Blick an ihr vorbei auf die muntere Gruppe, die bereits ein kleines Feuer entzündet hatte und sich bemühte, es größer werden zu lassen. Das Klirren von Flaschen, die Musik, die jemand mitgebracht hatte, und ihr sorgloses Lachen gaben schließlich den Ausschlag. Ich griff nach Nakos Hand und stand auf. „Sakura. Danke für die Einladung.” Nako schenkte mir ein breites Lächeln. „Je mehr, desto besser.” Und sie sollte Recht behalten. Es dauerte nicht lange, bis das Feuer hohe Flammen schlug, die Gruppe auf über fünfzig angewachsen war und ich genug getrunken hatte, um die improvisierte Tanzfläche anziehend zu finden. Alle Gesichter um mich herum waren aufgeladen mit süßer Selbstvergessenheit, flirtender Leichtigkeit oder strahlender Belustigung und ich ließ mich davon mitreißen, bewegte meine Hüften im Takt der tiefen Bässe, führte meine Arme über den Kopf und schloss die Augen. Ich konnte mir vorstellen, wie Ino mich jetzt ansehen würde, wie sie die Augenbrauen heben und danach fragen würde, was ich mit der echten Sakura gemacht hätte. Ich runzelte die Stirn und malte mir aus, wie sie in ihrem kürzesten Kleid die Herausforderung annehmen und ihren besten Hüftschwung einsetzen würde. Die Musik, die Tanzenden und ich fielen mühelos in einen alten Rhythmus. Ich hatte seit Ewigkeiten nicht mehr so ausgelassen getanzt. Eins mit dem Takt, versunken in Licht und Schatten, die das Feuer flackernd über uns warf, schüttelte ich alles ab und ließ mich von der tanzenden Masse leiten, die denselben Gedanken zu haben schien wie ich: Loslassen und vergessen, nur für ein paar Stunden. Als jemand dichter an mich heran rückte als die anderen, war ich nicht überrascht zwei anfragende Hände auf meiner Taille zu spüren. Ich warf einen Blick über meine Schulter und entdeckte wilde braune Haare und braune Augen, die geradezu unverschämt sein breites Lächeln untermalten. Er schien ein paar Jahre älter als ich zu sein und ein Shurikenanhänger an seiner Kette ließ unschwer erkennen, dass wir denselben Beruf gewählt hatten. Vielleicht lag es an seinem Lächeln oder an seiner Art, bestimmt, aber nicht unhöflich zu zeigen, was er wollte, in jedem Fall fand ich mich wenige Sekunden später mit dem Rücken dicht an seiner Brust und seinen Händen in meinen wieder. Wie tanzten zwei Songs auf diese Weise - und ich war immer noch damit beschäftigt, zu entscheiden, ob das etwas Gutes war - dann blieb mein Blick an einem Gesicht hängen, das nicht hierher passte.   Sasuke und Haruyoshi bahnten sich im Halbdunkel am Rand der Gruppe einen Weg. Haruyoshi sagte etwas zu ihm, aber Sasuke schaute über die Leute hinweg, suchend und als sein Blick mich fand, eingefroren in einer Menge, die sich drehte und wand, und meinen hielt, wusste ich, dass er nach mir gesucht hatte. Ich Glückspilz. Ich besann mich der wandernden Hände meines Begleiters, lehnte mich für einen Moment zurück und drehte den Kopf an seine Brust, ignorierte Sasuke, so gut es ging. Aber er hatte mich aus dem Rhythmus gebracht. Den Takt zerstört. Und die eben noch so erwünschten Hände unerwünscht gemacht. Ich befreite mich aus dem Griff meines Tanzpartners, schenkte ihm ein bedauerndes Lächeln und nickte zur improvisierten Bar. Er machte Anstalten, mitzukommen, verzichtete jedoch darauf, als ich den Kopf schüttelte und tanzte allein weiter, das sorglose, waghalsige - das beneidenswerte Lächeln wieder auf seinen Lippen. Ich bahnte mir den Weg zur Bar, griff nach einer Sakeflasche und stellte sie auf dem fleckigen Holz ab. Aber die Suche nach Sakegläsern gestaltete sich schwieriger. Ich konnte sein Chakra nicht spüren, aber als er hinter mir zum Stehen kam, war ich mir seiner Gegenwart trotzdem bewusst. Ich ging mit neuem Elan an meine Suche nach Gläsern, wünschte mir, sie bereits in meinen Händen zu halten, um sie direkt hintereinander stürzen zu können. „Was machst du hier?” Ich sah keinen Wert darin, darauf zu antworten. Stattdessen entdeckte ich endlich ein brauchbares Glas hinter der Theke. „Dein Chakra ist völlig aus dem Gleichgewicht.” Er hatte Recht - und einen Nerv getroffen. Angriffslustig drehte ich den Kopf zu ihm, das Glas noch in der Hand. Die Musik war nicht leiser gedreht worden, die vielen Stimmen genauso laut wie vorher, aber als ich ihn musterte, seine schwarzen Haare, die die Farben des Feuers hier und dort fingen, seine helle Haut und die dunklen, dunklen Augen, drang alles dumpf in den Hintergrund. Er musterte mich ebenso eindringlich wie ich ihn und seine Stirn war gerunzelt, der Ausdruck in seinen Augen ein bitteres Bedauern. War das Mitleid für mich? Ich wandte mich ab und die Musik, die Menschen um uns herum, Parfum und der Geruch von Schweiß und Alkohol drangen wieder zu mir vor. Ungeduldig drehte ich die Flasche auf und goss das Glas randvoll. „Was schert es dich?” „Komm schon, Sakura.” Ich knirschte mit den Zähnen und wandte mich ihm vollends zu. „Ich schlage Zeit tot. Offensichtlich.” Ich stürzte das Sakeglas, begrüßte das Brennen in meinem Hals, und stellte es dann kopfüber auf der Holztheke ab. Mit einem falschen Lächeln salutierte ich, bevor ich mir den Weg zurück zur Tanzfläche bahnte und ich spürte Sasukes Blick auf mir, als wollte er damit zwei Löcher in meinen Rücken bohren. Ich gab mir alle Mühe ihn zu ignorieren. Mein charmanter Tanzpartner von zuvor machte mir das leichter, als er erneut vor mir auftauchte und ich zog ihn an mich heran, fest entschlossen, mich wieder treiben zu lassen. Aber als sich dann auch noch Haruyoshi durch die dichte Menge bis an Sasukes Seite kämpfte und auf ihn einredete, wusste ich, dass ich mich bald geschlagen geben musste. Sasuke ließ mich nicht aus den Augen, als wartete er nur darauf, dass ich jeden Moment zusammensacken und den Nachmittag im Wald wiederholen würde. Eine Weile sagte Haruyoshi noch etwas zu ihm, dann saß er schweigend an seiner Seite, beobachtete ihn, warf hin und wieder einen Blick auf die Menge, um sicherzugehen, dass ich noch hier war. Sasuke nahm davon keine Notiz. Er war ein bewegungsloser Fleck in einer wogenden Gruppe von Menschen, eine beständige Erinnerung an den Grund unseres Aufenthaltes hier - und er sah seinem Bruder, wie ich irgendwann in meinem dämmrigen Zustand realisierte, im flackernden Licht des Feuers einfach viel zu ähnlich. Die Luft war drückend, die Musik wurde langsamer - sinnlicher - und als die Hände meines Tanzpartners wanderten, drehte ich uns um, sodass ich Sasuke meinen Rücken zuwandte. Der Fremde entwickelte Interesse für das Fluchmal. Ich konnte quasi sehen, wie sich seine Fragen dazu formten, wie er Anstalten machte, meinen Arm zu heben, um es besser mustern zu können. Ich kam ihm entgegen, allerdings nur, um meine Hände an sein Gesicht zu legen und seine Mimik zu mustern. Der Fremde schenkte mir ein vielsagendes Lächeln. „Ich habe noch gar nicht gefragt… Mit wem habe ich das Vergnügen?” „Ino.” Die Antwort kam schneller über meine Lippen, als ich darüber nachdenken konnte. Er nickte und deutete auf sich. „Daiki.” „Du bist ein guter Tänzer, Daiki.” Er lachte - unbelastet - und lehnte sich vor, bis seine Stirn meine berührte. „Du bist auch nicht schlecht, Ino.” Er senkte die Lider, tief auf meinen Mund fixiert, kam näher und ich dachte zurück an mein Bild im Spiegel: große Augen, reine Angst im bleichen Gesicht. Hier war ein Stück Normalität, auf einem Silbertablett serviert, ein netter Mann, anziehend genug, um nachzugeben. Aber so sehr ich das Spiegelbild abschütteln wollte, konnte ich doch nicht davon Abstand nehmen. Ich wich leicht nach hinten aus und Daiki stoppte, überrascht. Mit gesenktem Kopf legte ich eine Hand auf seine Brust. „Tut mir leid.” Ich wusste nicht, ob er mich über die laute Musik überhaupt hören konnte. Aber das machte nichts. Itachis Schatten lauerte über mir und ich spürte das drängende Bedürfnis, Abstand zwischen mich und all diese Leute zu bringen. „Es ist nicht-” Im selben Moment wurde Daiki von mir gezerrt. Sasuke baute sich mit dem Rücken zu mir vor mir auf und hob die Stimme so weit, dass er über die Musik gut zu hören war. „Such dir jemand anderen.” Er hatte sich exakt bis zu dem Moment, in dem ich Daiki von mir gedrückt hatte, nicht eingemischt. Aber dann war er unverhältnismäßig schnell an meiner Seite gewesen und wer gab ihm das Recht dazu? „Sasuke, geh zur Seite.” Ich legte eine Hand auf seinen Oberarm, schob ihn nach rechts, aber er weigerte sich, sah nicht einmal flüchtig von meinem Tanzpartner weg. Von jetzt auf gleich loderte mein Temperament auf. „Geh mir aus dem Weg!” Ich schubste ihn mit der Schulter zur Seite, drängte mich an ihm vorbei und drehte mich zu ihm um. „Was soll das werden?” Jetzt schenkte er mir seine Aufmerksamkeit, aber nur so lange, wie es dauerte, seine Sharingan zu aktivieren, bevor er über meine Schulter sah und erneut Daiki fixierte. „Geh. Jetzt.” „Was erlaubst du dir?!” Ich sah mit der Absicht über meine Schulter, Sasukes Anweisungen als das zu entlarven, was sie waren - anmaßend. Aber Daiki hatte seine roten Augen gesehen und seine Entscheidung war längst getroffen. Man legt sich nicht mit einem Uchiha an und schon gar nicht mit dem letzten, unberechenbaren Seitenwechsler. Er hob beschwichtigend seine Hände, zuckte für mich entschuldigend mit einer Achsel und verschwand in der Menge. „Warum?” Ich drehte mich langsam zu Sasuke zurück. „Du hast ihn weggestoßen.” „Das habe ich nicht. Und wenn es so gewesen wäre - wie zur Hölle kommst du darauf, dass du dich einmischen müsstest?” „Dein Chakra…” „Jeder Genin könnte sich in so einer Situation verteidigen!” „Du hast weniger Chakra als ein Genin. Du könntest dich nicht verteidigen.” Er sagte es so unnachgiebig und kühl, wie man nur sein konnte. Ich gab ein ungläubiges Schnauben von mir, machte einen Schritt zurück und ließ die Arme fallen. „Danke für die Erinnerung.” Benommen drehte ich mich um und bahnte mir einen Weg durch die Tanzenden, dankbar für jeden Meter Abstand, den ich zwischen uns brachte. Als ich mir über die Stirn wischte, stellte ich verwundert fest, dass kalte Schweißperlen darauf standen und ich wieder unsicher auf den Beinen war. Für einen Moment musste ich mich an dem Mann neben mir abstützen, der so betrunken war, dass er das gar nicht bemerkte. Ich schloss kurz die Augen, öffnete sie wieder und mein Blickfeld war voller schwarzer Punkte. Ich ließ den Mann wieder los und machte ein paar weitere Schritte. Dann brach ich aus der Menge hervor und begrüßte die Weite des dunklen Strandes. Ich stolperte Richtung Hotel. Aber Sasuke, der unberechenbare Mensch, bei dem man nur darauf zählen konnte, dass er tat, was er wollte und dass er ging, wann immer er wollte, akzeptierte das nicht. Jemand hinter mir beschwerte sich lautstark, dann griff Sasuke ruckartig nach meinem Arm und bevor seine Finger sich gänzlich um meinen Arm gelegt hatten, fuhr ich herum. Es hätte mich nicht überraschen sollen, dass die Wut zurück kam, wie eine Welle, die jeden klaren Gedanken überspülte, als hätte sie sich all die Monate nur versteckt und wäre dabei heimlich immer größer geworden. Dass die Gleichgültigkeit nur Schein gewesen war. Aber ein Teil von mir schüttelte den Kopf und fragte sich, was ich in den letzten Monaten erreicht hatte, wenn ich jetzt, noch immer, so wütend war. Unter all den Versicherungen, dass es Erklärungen für Sasukes Verhalten gab und dass eigentlich gar nicht wichtig war, warum er gegangen war, dass ich ihn nicht brauchte, glomm dieser Zorn und er verlangte ein Ventil. Diese Wut hatte so lange kein Ventil gehabt - sie wollte gerächt sehen, was er versäumt hatte, was er an Scherben hinterlassen hatte, ohne sich auch nur umzudrehen. Ich holte vollkommen instinktiv aus, nicht sicher, ob er oder ich erstaunter über diesen Schlag waren. In jedem Fall war ich es, die stärker von dem Aufprall meiner Hand getroffen war als er - und ich hatte nicht zimperlich zugeschlagen. Sasuke hatte nur den Kopf zur Seite gedreht, ein wenig abgefangen, was mein Handballen seinem Kiefer angetan hatte. Er sah nach vorn, von mir aus zur Seite und er hatte die Lider gesenkt. Abwartend. Als wollte er mir anbieten, gleich noch einmal zuzuschlagen. Ich atmete harsch aus, ließ die Hand sinken und machte einen wackeligen Schritt zurück. Sasuke verharrte wie er war, er legte nicht einmal eine Hand an sein gerötetes Kinn. „Ich…das-” Ich hob abweisend die Hände und spürte ein Pochen in meiner Rechten. Dieser Schlag war nicht für ihn gewesen. Diese Erkenntnis kam wie ein Eimer Eiswasser über mich. „Was ist passiert, bevor du hergekommen bist, Sakura?” „Du kannst das nicht mit mir machen, Sasuke.” Ich griff mir an den Kopf. „Du kannst mir nicht ständig sagen, was ich tun darf und was nicht.” Ich schaute ihm direkt ins Gesicht und mein Blickfeld verschwamm. „Leg dich hin, Sakura, du darfst noch nicht aufstehen. Du darfst nicht mehr über das Fluchmal wissen. Du darfst nicht einen Abend lang vergessen, was dich hierher gebracht hat.” Seine Reaktion war verhalten: Er ließ meine Wut auf sich regnen, wie kalten Regen nach einem stickigen Sommertag. Als würde er sich dadurch besser fühlen. Als er wieder sprach, senkte er seine Stimme. „Etwas hat sich verändert.” Ich sah zur Seite. „Gar nichts hat sich verändert. Wir treten nur auf der Stelle.” Er wusste, dass ich log. Aber was sollte ich ihm sagen? Dass ich mir seinen Bruder einbildete, den er noch immer kaum selbst ausblenden konnte? „Lass mich dir helfen.” Seine Worte lockten mein Geheimnis meinen Hals hinauf, bis ich fast daran erstickte. „Du musst dich wirklich überall einmischen.” Ich machte einen Schritt auf ihn zu und stand nun so dicht vor ihm, dass ich den Kopf etwas in den Nacken legen musste, um seinen Blick zu halten. „Du willst mir helfen? Finde heraus, warum dieser sture Mann nicht redet! Und mach aus mir keine zerbrechliche Puppe, die man in Watte einschlagen muss. Das würde helfen.” Kaum hatte ich das gesagt, sah ich Haruyoshi ein paar Meter entfernt stehen und stellte mit größter Begeisterung fest, dass er alles gehört haben musste. „Großartig…!” Er kam mit langsamen Schritten zu uns und warf einen Blick auf Sasuke. „Gibst du uns einen Moment?” Sasuke hob die Hände, als wäre er nur zu gern bereit, uns hier stehen zu lassen und verschwand in Richtung des Hotels in der Dunkelheit. Natürlich entging Haruyoshi nicht, dass mein Blick ihm folgte, und er nutzte diesen Moment, bevor er ihm durch die Finger rinnen konnte. „Was du fühlst, ist so wirr. Zorn, jede Menge Zorn. Trauer. Misstrauen. Sehnsucht. Schmerz. Angst. Was ist zwischen euch vorgefallen, dass dich so aus der Bahn geworfen hat?” Meine Schultern spannten sich an und ich atmete frustriert aus. „Das geht dich nichts an. Warum musst du bloß so hartnäckig herumstochern?” Es war ihm offenbar gleich, dass ich das alberne Siezen hinter mir gelassen hatte. „Du brauchst den Jungen, Sakura. Warum begrabt ihr eure Unstimmigkeiten nicht?” Ich drehte den Kopf zu ihm und verengte die Augen. „Er sorgt sich um dich. Du kannst es abstreiten und dir vormachen, dass du es nicht siehst, aber so ist es.” „Ich bin nicht hier, um beraten zu werden, wie ich mit Sasuke umgehen soll. Ich bin auch nicht hier, um bei einem Drei-Gänge-Menü die Wellen, die Sonne und den Himmel zu bewundern. Ich bin hier, weil du mir zugesagt hast, dass du Antworten hast.” Haruyoshis Lippen wurden schmal. „Und wenn du auch jetzt nicht darüber reden willst, ist unser Gespräch beendet.” Er hielt mich nicht zurück, als ich ihn und seinen tief beunruhigten Blick hinter mir ließ - aber er konnte einen weiteren Kommentar nicht für sich behalten. „Sakura. Du kannst so nicht weitermachen.” Ich drehte mich nicht um. „Das werden wir ja sehen.” *** Die Sonne stand bereits hoch, als ich am nächsten Tag aufwachte. Meine Nachttischlampen brannten noch immer, wie für ein kleines Kind, das sich vor der Dunkelheit der Nacht fürchtet. Ich hatte Stunden in diesem Bett gelegen, alle Muskeln angespannt, eine unbändige Unruhe in mir, jede Sekunde für einen neuen Überfall von Itachi gewappnet - und doch in panischer Angst davor, dass er tatsächlich wieder auftauchen würde. Ich blinzelte gegen das helle Licht und legte meine Hände an meine Schläfen, um das dumpfe Pochen darin abzumildern. Mit einem langen Ausatmen knipste ich die Lampe neben mir aus und lehnte mich dann auf die andere Seite, um die zweite ebenfalls auszuschalten. Es war bereits früher Nachmittag und dem Blick aus dem Fenster nach zu urteilen, würde es wieder ein sonniger Tag bleiben. Ich zog für ein paar Minuten in Betracht, der Welt noch einmal den Rücken zu kehren, nicht an gestern Nacht oder an alles, was mir mit Haruyoshi noch bevorstand, denken zu müssen. Aber es war nicht von der Hand zu weisen, dass ich nur deshalb hier war und je schneller ich Antworten bekam, umso schneller würde ich von hier verschwinden können. Also rieb ich mir erschöpft über die Augen und raffte mich schließlich dazu auf, mich ins Badezimmer zu schleppen und einem weiteren Tag zu stellen, an dem Haruyoshi sich Gründe zurechtlegte, um keine klaren Informationen herauszurücken. Es war wenig los, als ich gähnend in der Lobby Platz nahm, um etwas zu essen. Weder Haruyoshi noch Sasuke ließen sich blicken und als ich am Empfang nach ihnen fragte, wurde mir mitgeteilt, dass sie vor einer Weile das Hotel verlassen hatten. Es hätte nicht deutlicher sein können, dass etwas hinter meinem Rücken vorging, aber ohne Anhaltspunkte, wohin sie gegangen waren, lohnte es sich kaum, sich darüber verschwendete Gedanken zu machen. Ich kehrte in mein Zimmer zurück, setzte mich auf dem Balkon in die Sonne und schloss die Augen - zufrieden damit, alles um mich herum auszublenden. Als ich die Augen wieder öffnete, stand die Sonne tief und ein mäßiger Wind war aufgezogen. Fröstelnd schloss ich die Balkontür hinter mir und schenkte mir ein Glas Wasser ein, bevor ich Sasukes Zimmer meine Aufmerksamkeit schenkte. Ich konnte sein Chakra noch immer nicht spüren und auch Haruyoshi war nicht in nächster Nähe wahrzunehmen. Irgendetwas ging hier vor, aber ich zweifelte nicht daran, allzu bald darin eingeweiht zu werden. Ich trank das Glas in einem Zug aus, schenkte mir ein neues ein und stellte mich darauf ein, zu warten. Und so stand ich an meinem Fenster und sah dabei zu, wie die Sonne unterging und Segelboote sich von den Wellen schaukeln ließen, als Sasuke in sein Zimmer zurückkehrte. Er war laut und achtlos, seine Schritte waren schwer und spätestens als seine Tür hart ins Schloss fiel - so gegensätzlich zu seiner Art - wurde ich hellhörig. Ich neigte den Kopf zur Seite und lauschte seinen langsamen Schritten durch das Zimmer und dem Glas, das gegen anderes Glas klirrte. Und dann zerriss ein wütender Aufschrei die trügerische Stille seines Zimmers, ein Schrei, der mich in seinem rohen Schmerz durchzuckte, und jetzt hielt mich nichts mehr in meinem Zimmer. Ich hatte meine Tür bereits geöffnet, als er etwas gegen die Wand schmetterte und die Erschütterung die Bilder an meiner Wand herunterriss. Ich starrte einen Moment auf die Scherben der zerbrochenen Bilderrahmen am Boden und ich erkannte, dass das hier schlimm sein musste. Sehr schlimm. Dann stand ich im Flur vor seiner Tür und klopfte. Er antwortete nicht, also drückte ich die Klinke hinunter. Seine Tür war nicht verschlossen und als ich sie öffnete und ihn mitten im Raum stehen sah, den überwältigenden Sonnenuntergang im Rücken und von einem warmen Schein umgeben, wusste ich warum. Ich fand und hielt seinen Blick, sah die ungefallenen Tränen darin, die Verzweiflung, offen und echt, dieses eine Mal ohne eine Mauer zwischen uns. Und ich verstand. Er reagierte viel zu spät. „Sakura, warte…” Ich sah noch, wie er sich über das Gesicht rieb, versuchte, sich zu fassen, doch ich stolperte bereits zurück und drehte ihm den Rücken zu, wie in Trance, aber zielsicher. „Gottverdammt…!” Ich hörte Sasuke hinter mir fluchen, wieder gegen die Wand schlagen, aber ich war bereits ganz woanders. Meine Füße trugen mich zu Haruyoshis und Tohrus Zimmer, doch es war nur Tohru, der mir die Tür öffnete, blass und müde, so gebeugt, als müsste er das Gewicht der ganzen Welt auf seinen Schultern tragen. „Wo ist Haruyoshi?” Ich fragte nicht, wie er sich fühlte, ob ich etwas für ihn tun könnte - gefangen in der wachsenden Zuversicht, dass Haruyoshi Sasuke die Wahrheit gesagt hatte. „Am Empfang.” Seine Augen waren zwei tiefe Seen des Mitgefühls und Bedauerns und damit besiegelte er meine Vermutung. Ich ließ ihn stehen, folgte den Gängen und Treppen nach unten, weit weg von allem um mich herum. In der Lobby musste ich ihn nicht suchen. Er saß an der Bar, ein paar Meter vom Empfang entfernt, über den Tresen gebeugt. Ich näherte mich, bis ich ihn von der Seite sehen konnte und blieb stehen. Er umklammerte ein Glas, das nach Whisky aussah. Neben ihm stand ein leeres Glas, das vermutlich Sasuke gehört hatte. „Sag es mir. Sag mir genau das, was du ihm gesagt hast.” „Das ist weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt, Sakura.” „Nein. Das hier ist genau der richtige Moment. Du hast es ihm gesagt. Jetzt sagst du es mir.” Als er nicht antwortete, schlug ich mit der flachen Hand auf die Theke. „Warum hast du es ihm vor mir erzählt?” Er drehte den Kopf zu mir und seine Augen waren trüb und müde. „Weil er genau danach gefragt hat. Und weil er es wissen musste, bei all seinen unnützen Versuchen, eine Lösung zu finden, die nicht gefunden werden kann.” Ich hielt den Atem an, stolperte über das tiefe Bedauern, das auch seine Augen widerspiegelten. Und hier, taghell, war die Offenbarung, die er mir tagelang nicht hatte machen wollen. Die Wahrheit war jetzt unter uns, schlich durch die Eingangshalle, um die Bar herum und zog ihre Kreise immer enger. Ich hatte mich so lange an einen Strohhalm geklammert und sah nun dabei zu, wie er davontrieb - mit einem bitteren Zug um den Mund und der Erkenntnis, das ich schon längst selbst dahinter hätte kommen müssen. Er atmete aus. „Dir bleiben ein paar Wochen, Sakura, nicht mehr.” Wochen. Es war, als hätte er mir in den Bauch geschlagen. Haruyoshi senkte den Kopf und und seine Stimme. Er klang milde, so wie man mit einem Kind spricht, das sich gegen Naturgesetze auflehnen will und sich weigert, zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. „Sasukes Blut wird dir nicht mehr helfen. Sein Blut ist nicht Itachis Blut und das Jutsu lässt sich nicht mehr darüber hinwegtäuschen.” „Das war es also? So viel Zeit habe ich noch übrig.” Jedes Wort fühlte sich an, als müsste ich Scherben schlucken. Meine Stimme klang fremd, als spräche ein anderer, völlig separater Teil von mir. Mit einem ganz neuen Blick fuhr ich mit der linken Hand über die schwarzen Linien des Fluchmals, atmete langsam, flach, wieder ein. War das wirklich meine Realität? Dieser neue Schlag ins Gesicht? Diese höhnische Nachricht, diese Hiobsbotschaft, die lachend darauf wartete, das ich nachgab? „Itachi hat dir ein übles Schicksal auferlegt. Niemand sollte so etwas erdulden müssen.” Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Haruyoshi noch tiefer über den Tresen gesunken war und sich über die Augen rieb, eine Faust auf dem Tresen ballte - aber ich war umfangen von meiner eigenen kleinen Seifenblase. Wochen. Es gab noch so vieles, das ich sehen wollte. So viele Dinge, die ich erleben wollte. Und jetzt blieben mir Wochen für etwas, für das ich ein Leben lang Zeit hätte haben können. Ich sah von seiner Hand zu seinem Gesicht, wild und verletzt. „Du hast angedeutet, du würdest mir helfen können. Dass du weißt, wie das Fluchmal entfernt werden kann.” „Ich habe nichts dergleichen gesagt. Das Fluchmal kann nicht entfernt werden.” „Dafür hast du mich hierher kommen lassen! Für diese lächerliche Information!” „Ich hätte es dir schlecht in einem Brief mitteilen können.” „Natürlich hättest du das!” Meine Worte hallten laut durch die Halle und machte ein paar andere Gäste und Angestellte auf mich aufmerksam. Ich sprach durch meine Zähne, kaum kontrolliert: „Damit hättest du mir die Odyssee hierher und diese alberne Scharade von dir und deinem Schwiegervater ersparen können.” Er hob sein Glas und trank daraus, langsam, unbeeindruckt. Ich rang um Fassung. „Wie?” Ich musste es nicht ausformulieren. „Genau wie er, Sakura. Du wirst ganz genau wie er umkommen.” „Woher?! Woher weißt du das?” „Ich war an der Entwicklung des Fluchmals beteiligt.” Ein zweiter Schlag in die Magengrube. Was er sagte, nahm mir den Atem und trieb Tränen in meine Augen, weil es immer wahrscheinlicher machte, dass er wusste, wovon er sprach. Dass es keinen Ausweg gab. „War das ein monumentaler Fehler, den ich längst bereue? Natürlich. Aber das wird dir kein Trost sein.” Seine Stimme war abgeschottet und neutral. Aber er sah nicht mehr her und jetzt war ohnehin alles gesagt. Ich griff nach der halb geleerten Flasche Whisky neben ihm, drehte den Verschluss ab und als ich die Augen schloss und einen tiefen Schluck nahm, rollte die erste Träne heiß meine Wange hinab. Ich ließ die Flasche sinken, wischte mit der anderen Hand rigoros über mein Gesicht und wandte mich ab. Doch nach ein paar unsicheren Schritten in die Lobby blieb ich stehen und trat schließlich noch einmal zu Haruyoshi zurück. Ich suchte seinen Blick und als er endlich aufschaute, legte sich ein hartes Lächeln auf meine Gesichtszüge. „Weißt du…du hast sehr deutlich gemacht, dass du niemand bist, der die Dinge mit Zuckerguss verziert. Aber ich hätte für diesen Moment zumindest ein Minimum an Respekt von dir erwartet. Nur ein kleines Bisschen Mitgefühl.” Der Ausdruck in seinen Augen änderte sich, als hätte ich ihn  tatsächlich beschämt, doch er wandte sich schnell wieder seinem Getränk zu und sagte nichts mehr. Ich sah ihm noch einen Moment dabei zu, musterte wie er sein Glas umklammerte und wie weiß seine Finger dabei wurden, dann stieß ich mich mit einem abfälligen Geräusch vom Tresen ab und verließ die Lobby auf wackeligen Beinen - ziellos, aber sicher, dass ich es nicht ertragen konnte, eine Minute länger im Hotel zu bleiben. *** Meine Schritte waren hart und schwer, der Sand bremste mich aus, also legte ich noch mehr Widerstand in meine Beine. Ich passierte Urlauber am Strand, die dem Sonnenuntergang zusahen, registrierte ihre Gesichter und vergaß sie gleich wieder, als legte sich eine dichte weiße Nebelwolke um alles links und rechts von mir. Der Whisky in der Flasche schwappte mit jedem meiner Schritte wild umher und ich hob ihn erneut an die Lippen, ohne mein Tempo zu verringern, und wischte grob über die Rinnsale, die meine Mundwinkel hinab liefen.  Ich war nie jemand gewesen, der Probleme mit Alkohol zu lösen versuchte, aber von gewöhnlichen Problemen war in meinem Fall nicht mehr zu sprechen und was machte es, wenn ich jetzt versuchte, dem Schmerz mit viel Glück eine Nacht lang zu betäuben? Und so hob ich die Flasche und zog eine Grimasse, als ich noch ein paar Schlucke mehr trank. Ich stapfte den Strand entlang, so weit ich gehen musste, bis ich vollkommen allein war. Die Sonne war längst untergegangen, als ich zum Stehen kam und mich schwer in den kalten Sand fallen ließ. Ich fröstelte, weil ich nur ein Shirt trug, aber der Whisky half und bald spürte ich die Kälte kaum noch. Die Flasche war allzu schnell leer, sodass ich eine Weile die Beine verschränkte und sie dazwischen hielt, wie ein Kind, das man wärmen und schützen würde. Ich starrte auf das Meer hinaus, lauschte dem Krächzen der Möwen, verfolgte die rasch ziehenden Wolken am dunklen Himmel, die hier und dort den Blick auf die Sterne freigaben. Eine fremde Ruhe legte sich über mich, als würde ich gar nicht dort sitzen, sondern mich vielmehr von außen betrachten, schlicht vor Tatsachen gestellt. Das also hatte Itachi gemeint, als sein unerklärliches Abbild mir sagte, dass ich seinen Tod bereuen würde. Ich hatte nicht falsch gelegen, als ich vor nur vier Tagen auf dem Ast dieses alten Baumes gelegen hatte. Als mein Leben mich schleichend verlassen hatte und die Erfüllung von Itachis Fluchmal bereits in Sichtweite gewesen war. Ein halbes Jahr war alles, was er mir gelassen hatte, plus/minus ein paar wertvolle Wochen, die Sasukes Blut mir gekauft hatte. Und ich fragte mich erneut, was dieses Monster mit all dem bezweckt hatte oder ob ich nicht einfach die Folgen einer Entscheidung von Itachi trug, die er in der Zeit eines Wimpernschlages getroffen hatte und die er ebenso schnell wieder hätte verwerfen können. Vielleicht war es nicht mehr als Pech, dass er das nicht getan hatte. Plötzlich kam mir sehr deutlich die Erkenntnis, wie allein ich war. Dass niemand hier war, an den ich mich wenden konnte. Meine Eltern, Naruto, Ino, Kakashi, Tsunade - alle waren meilenweit entfernt. Und ich wusste nicht einmal, ob ich ihnen sagen wollte, was ich heute erfahren hatte. Ob es nicht besser war, einfach zu bleiben und ihnen irgendetwas erzählen zu lassen, wenn alles vorbei war. Ich kämpfte mit allem, was übrig war, dagegen an, einzubrechen. Aber ich verlor. Und so fand ich mich irgendwann bis zu den Knien im Wasser wieder, haltlos gegen das Rauschen der grauen Wellen und den Wind schreiend, der mir die Haare ins Gesicht peitschte. Als meine Stimme nachgab und meine Füße kaum noch zu spüren waren, wischte ich die kalten Tränen fort und drehte mich fahrig um. Ich stolperte zurück auf den eisigen Sand, griff nach meinen Schuhen und der leeren Flasche und ging schwankend den Weg zurück zum Hotel, ohne wirklich wahrzunehmen, wohin ich meine Schritte setzte. Es war sehr spät, als ich durch den stillen Flur zu meinem Zimmer ging, die Füße noch immer voller kaltem Sand. Das Licht war gedämpft und ich musste mich hin und wieder an der Wand abstützen, um nicht zu stolpern. Die leere Flasche kam ein paar Mal klingend an der Wand auf und ein verrückter Impuls zu lachen kam in mir auf, als gäbe es nichts, was lustiger sein könnte. Ich war nicht mehr weit von meinem Zimmer entfernt, als ich einen dunklen Umriss neben meiner Tür ausmachen konnte und ernüchtert stehen blieb. Mein Chakra war noch immer so niedrig, dass es entschieden zu viele Sekunden dauerte, bis ich ihn erkannte. „Sasuke.” Ich schloss kurz die Augen, nur um sie gleich wieder zu öffnen, weil ich zu schwanken begann. Deutlich weniger energetisch ging ich die letzten paar Schritte bis zur Tür, ließ die Schuhe fallen und suchte in meinen Hosentaschen nach meinem Schlüssel. Er hatte an der Wand gelehnt, den Kopf nach vorn geneigt, doch jetzt drehte er sich zu mir und ich konnte aus dem Augenwinkel sehen, dass er mich einer gründlichen Musterung unterzog. Ich ging die Suche nach dem Schlüssel mit neuer Motivation an, bis mein Blick auf die Flasche neben ihm am Boden fiel und der Schlüssel auf einmal stark an Bedeutung verlor. Ich beugte mich dazu herab, hob sie auf und stellte fest, dass auch er sich nicht um ein Glas bemühte hatte und dass ich nicht die einzige war, die in dieser Nacht viel getrunken hatte, obwohl er in Konoha nahezu nie etwas trank. Sasukes Haare fielen ihm ins Gesicht, als wären sie noch feucht von einer gerade genommenen Dusche, und er hatte sich umgezogen, was für meine Vermutung sprach. Er suchte mein Gesicht ab, nur ein paar Sekunden, dann nahm er mir beide Flaschen ab, um sie gedämpft auf den Boden zu stellen. „Ich gebe dir mein Wort. Ich wusste nichts davon.” Als ich nicht antwortete, sondern stattdessen die Tür aufschloss und öffnete, kam er mir in meinem Rücken so nah, dass unsere Schultern einander berührten, bevor ich einen Schritt nach vorn machen konnte. „Sakura.” „Ich glaube dir.” Ich drehte den Kopf zu ihm und musterte, so dicht vor seinem Gesicht, die dunklen Schatten unter seinen Augen. „Es macht nur keinen Unterschied.” „Bitte. Sprich mit mir.” „Ich habe nichts zu sagen.”   Er legte eine Hand auf die Wand neben der Tür. „Wie könntest du nichts zu sagen haben?” „Ich bin okay.”   Er schlug einmal mit der flachen Hand gegen die Wand und gab ein leises Geräusch des Widerspruchs von sich. „Du bist nicht okay.” Ich sah auf seine Hand, als ich wieder sprach und meine Stimme war leise, meine Zunge schwer. „Und wenn schon.” Mein Kopf war mittlerweile gnädig benommen und alles verlor ein bisschen an Schärfe. Meine Gedanken waren langsamer. Sanfter. Und alles, was Haruyoshi mir gesagt hatte, erschien sehr weit weg, geradezu unwirklich, wie ein schlechter Traum, aus dem man aufwachen kann. Sasuke schwieg so lange, dass ich schließlich die Augen schloss, die Tür weiter aufstieß und meine Schuhe hineinschubste. Ich machte einen Schritt, aber dann spürte ich seine Hand auf meiner Schulter und blieb stehen. Er wartete, nur ein paar Sekunden, bevor seine warmen Finger über meinen Hals und über den Rand meines Kinns strichen. Als seine Fingerknöchel über meine Wange fuhren, neigte ich den Kopf zu seiner Seite, den Blick gesenkt. Selbst jetzt, oder gerade jetzt, während ich nicht ganz Herrin meiner Sinne war, überkam mich trotz allem Widerstand das Verlangen, nachzugeben: Mich umzudrehen, in seine Arme zu flüchten, meine Hände an seiner Brust zu bergen und seine Wärme zu spüren. „Du bist eiskalt. Wo warst du die ganze Zeit?” Es war nicht mehr als ein Flüstern und er schien keine Antwort zu erwarten. Sein langsames Ausatmen klang resigniert. Ich kämpfte, um meine Maske aufrecht zu erhalten - und dann machte er es mir leicht. „Ganz gleich was ich tue, selbst mit den besten Absichten…es wird alles mit jedem Tag nur schlimmer.” Ich wand mich aus seiner Berührung, indem ich mich wieder zu ihm umdrehte, die offene Tür nun in meinem Rücken. Unsere Blicke trafen sich, aber ich konnte in seinen Augen nicht ablesen, was er meinte. „Wenn ich wüsste, dass du ohne mich zur Besinnung kommen, dass du dich dem stellen würdest, wie du es immer getan hast - ich würde sofort gehen, Sakura.” Er atmete aus und legte seine Hände auf meine Schultern. Ihre Wärme und wie willkommen sie meiner kalten Haut tatsächlich war, registrierte ich nur am Rand. „Aber ich sehe in deine Augen und ich weiß, dass du diese Kraft im Moment nicht allein aufbringen kannst. Ich weiß, wie du dich fühlst”, fügte er rasch hinzu, als ich mit einem abfälligen Geräusch auswich, unmittelbar frei von aller Sentimentalität, und seine Hände von meinen Schultern schubste. „Du fühlst dich verloren, alles schmerzt und du bist weit weg von allem, was dich aufbauen könnte. Aber außer mir ist niemand hier. Du hast nur mich. Und ich werde alles tun, um dir zu helfen. Genauso wie du mir vor all den Jahren beigestanden hast.” „Du meinst, so wie du mir vor einem halben Jahr beigestanden hast?” „Ich konnte mehr für dich tun, indem ich nach Hilfe gesucht habe.” „Und was für eine Hilfe du gefunden hast.” Seine Frustration schien auf einmal durch, darin, wie er sich die Haare raufte, darin, wie er den Mund verzog. „Du glaubst, dass es keine Hilfe gibt. Weil ein Mann, den wir seit weniger als einer Woche kennen, das gesagt hat.” Wir wussten beide, dass er - wie ich es so lange getan hatte - nach Strohhalmen griff. „Es gibt…Möglichkeiten. Wege, um keinen Schmerz zu spüren, wenn es so weit sein wird.” Mit einem bitteren Zug um den Mund drehte er sich zur Seite und fasste sich an den Hinterkopf. Müde und halb erfroren konnte ich kaum klar denken, geschweige denn jetzt dieses Gespräch führen, das nicht weiterhelfen würde - und das ließ sich nicht länger ausklammern. „Was genau willst du? Musst du einen Abschluss finden, ist es das? Oder glaubst du, es ist an der Zeit, wieder mal mein Retter zu sein?” „Ich wünschte, das könnte ich.” Ich starrte ihn einen langen Moment an, völlig überrumpelt von den frischen Tränen, die sich bei diesen Worten sammelten und drängte sie kopfschüttelnd zurück. „Meine Zeit läuft ab”, begann ich mit tonloser Stimme. „Lass das.” Es klang schmerzlich. „Sag das nicht.” Aber ich ließ mich nicht beirren. „Und ich will sie nicht mit so etwas verschwenden.” „Das reicht!” Seine Stimme war gepresst. „Es hilft nicht, die Wahrheit zu leugnen, Sasuke.” Er kam mir noch einmal sehr nah, aber ich weigerte mich, einen ausweichenden Schritt zu machen, auch wenn ich jetzt zu ihm aufsehen musste. „Irgendjemand muss dich aus diesem Loch holen. Wir wissen nicht sicher, ob es wirklich keinen anderen Weg gibt.” Er hob beide Hände und umfasste mein Gesicht. Ich spürte regelrecht, wie meine Züge einfroren. „Mach dir keine Illusionen. Nicht zu akzeptieren, was er gesagt hat, macht gar nichts besser”, kam es zischend über meine Lippen, bevor ich mich unter Kontrolle bringen konnte. Ich befreite mich aus seinem Griff, trat in mein Zimmer und zog die Tür zu - bis Sasukes Fuß sie stoppte. Als er wieder sprach, tat er dies mit einem scharf fokussierten Ausdruck in seinen Augen, ruhig, aber gewichtig, als wollte er sicher gehen, dass ich ihn jetzt vollkommen verstand. „Wenn wir das alles so hinnehmen, wenn wir nichts tun, um einen anderen Weg zu finden, wirst du an einer klaffenden Wunde quer durch deine Brust sterben, die ich verursacht habe.” Er schluckte hart. „Und ich habe ihm den Hals durchgeschnitten, Sakura.” Das blasse Mondlicht, das durch mein Fenster fiel, erhellte Sasukes Gesicht genug, sodass ich - zu meinem größten Erstaunen - eine Träne über seine Wange laufen sehen konnte. Er gab einen erstickten Laut von sich und zog seinen Fuß zurück. „Also wirst du langsam verbluten oder ersticken. Wie soll ich das akzeptieren?” Ihn so zu sehen, zusammen mit dem Echo seiner Worte - das durchzuckte mich mit voller Wucht. Mein Hals schnürte sich zu, meine Hände zitterten, aber ich hatte meine eigene Mauer aufgebaut. Und ich brauchte diese Mauer, um jetzt nicht noch einmal durch und durch einzubrechen. Ich sammelte alle Entschlossenheit, die ich noch hatte - und machte meine Stimme hart. „Ich weiß es nicht. Aber genauso wie ich wirst du es müssen.” Sein Anblick war erschütternd, als hätte ich ihn soeben ein weiteres Mal geschlagen - und trotzdem zwang ich mich, die Tür ins Schloss zu ziehen. „Warte. Sakura. Mach wieder auf.” Ich schluckte ein Wimmern. „Ich will allein sein. Lass mich einfach eine Weile allein, Sasuke. Bitte.” „Nein. Nein, Sakura. Mach auf.” Ich blieb lange so stehen, den Kopf an das kühle Holz zurückgelehnt und ich behielt die Kontrolle - als wären wir in einen Kampf der Ausdauer verwickelt - bis Sasuke endlich, endlich mit langsamen Schritten in sein eigenes Zimmer zurückkehrte. Dann erst kniff ich die Augen zusammen, rutschte an der Tür herab und gab den Kampf auf. Ich unterdrückte mein Schluchzen in meinem Ärmel, ließ ihn die tiefen Leidenslaute schlucken, angefeuert von der Angst und Ausweglosigkeit, die drohte mich zu zerreißen. Der Ausdruck in seinen Augen ließ mich nicht los. Ich sah vor mir, wie Sasuke hinter Itachi gestanden hatte, auf dieser matschigen Lichtung im Regen und wie er alles beendet hatte, als er ihn mit seinem Katana durchbohrte. Ich erinnerte mich an die blutigen Tropfen an der Spitze. Ich hörte noch einmal Itachis erstickte Versuche, Luft zu holen, nachdem Sasuke mit dem Kunai tief in seine Kehle geschnitten hatte und ich sah seinen durchdringenden Blick, der auf mich fiel, kurz bevor er zu Boden ging und sich nicht mehr rührte. Als wäre ich direkt dort - hätte lange vor Itachis totem Körper gestanden, statt an Sasukes Seite zu eilen - sah ich mich schließlich selbst dort liegen, aber bei mir dauerte es länger, ungnädig viel länger, bis meine fruchtlosen Versuche zu atmen, beendet wurden. Nicht mehr als ein paar Wochen trennten mich von diesem Schicksal. Wut, Schmerz, Angst und gesegnete Betäubung wechselten sich ab, blühten in Wellen auf und fielen in sich zusammen, seit Haruyoshi die verhängnisvolle Wahrheit verkündet hatte. Nun also hatte ich meine Antworten. Das grauenvolle Wissen, das ich die ganze Zeit über hatte haben wollen. Und ich bereute jede wissende Sekunde, die mir den Weg zu Itachis geplantem Ende für mich ebnete. Erklärungen herzuleiten war jetzt ein Leichtes. Sasukes Blut hatte geholfen, ja, aber ich fühlte mich immer noch schwach und das würde auch so bleiben. Mein Chakra regenerierte sich unglaublich langsam - es hatte noch nie so lange gedauert, bis ich wieder zu Kräften gekommen war. Es war jetzt klar, warum ich mich auch in Konoha dauernd so müde gefühlt hatte. Warum ich mich nie ganz erholt hatte. Ich hatte mich daran gewöhnt, das Fluchmal jeden Tag zu sehen - und es unter Ärmeln oder Armschienen zu verstecken hatte nie wirklich einen Unterschied gemacht. Ich hatte trotzdem geglaubt, auf einem guten Weg zu sein. War irgendwann zu der Überzeugung gelangt, dass das Fluchmal wie eine Narbe war und davon hatte ich reichlich, genug Beweise für etliche Kämpfe, aus denen ich siegreich hervorgegangen war. Lebend. Nur wusste ich jetzt, dass dieses jahrelang erprobte Wissen mich in diesem Fall im Stich ließ. Und Itachi war in dem Wissen gestorben, dass ich ihm früh genug folgen würde. Ich konnte das Ausmaß seines Hasses für Sasuke nicht verstehen, mir nicht ausmalen, warum er einer Fremden so viel Wert für Sasuke zugemessen hatte, dass ich so tief in seine Pläne verstrickt worden war. Aber auch das hätte nichts verändert. Seit ich das erste Mal die Akademie in Konoha betreten hatte, lebte ich damit, dass ein hohes Alter für mich noch weniger garantiert war als für Menschen, die sich nicht dafür entschieden, zum Ninja ausgebildet zu werden. Am Tod vorbei zu schrammen war für mich keine Neuigkeit. Ich hatte immer geglaubt, mich im Einklang mit diesem Wissen zu befinden. Aber ich hatte nie mit Klarheit gewusst, wie alles enden würde - und das hatte sich heute geändert. Ich wollte mehr Zeit. Ich wollte nicht so gehen. Es war nicht fair, aber für wen galt das schon? Wollte nicht jede und jeder noch mehr Zeit, wenn es so weit war?   Als ich vom Boden aufstand, musste ich mich an der Kommode neben der Tür hochziehen. Meine Glieder waren steif vor Kälte, meine Hände und Füße halb erfroren und ich taumelte zu meinem Bett und rollte mich darauf zusammen, ohne das Licht einzuschalten. Mein Blick fiel auf die Wand gegenüber, ich zog links und rechts von mir die Decke über mir zusammen und so lag ich dort, einverstanden damit, nur auf die nächtlich eingetauchte graue Farbe der Tapete zu starren und sehnsüchtig darauf zu warten, in den Schlaf zu gleiten. *** Ich hatte noch nie zuvor ein so gutes Tiramisu gegessen. Und wahrscheinlich würde ich auch nie wieder ein so gutes Dessert essen. Aber das sollte jetzt nicht im Vordergrund stehen. Die Stimmung auf der Terrasse war gelassen und friedlich, untermalt von einer kleinen Band, die die samtige Stimme einer Frau begleitete. Ich wollte dem nicht zu viel beimessen, dass sie von dem sang, was sie bedauerte und davon, dass sie einmal geliebt worden war, vor langer Zeit. Die lebhaften Unterhaltungen normaler Leute mit normalen Problemen erdeten mich auf eine tröstliche Weise, als wir alle zusammen einem weiteren Sonnenuntergang zusahen. Ich hatte ein Bein auf dem Stuhl neben mir angewinkelt und während ich das Tiramisu voll auskostete und der Wind mir sanft durch die Haare fuhr, fiel mein Blick wieder auf das Paar, das ich bereits seit einer Weile im Auge behalten hatte. Sie beide waren elegant gekleidet, vielleicht für einen Jahrestag hier oder um etwas Besonderes zu feiern und sie saßen gegenüber voneinander. Während sie ihre gegenseitige Menüwahl kommentierten, wirkten sie sehr vertraut und ihre Körpersprache verriet viel darüber, wie nah sie einander standen. Ich verbrachte eine Ewigkeit damit, sie aus der Ferne zu beobachten, dankbar für jede Minute, die ich in ihrer erdachten Geschichte aufgehen konnte, und in der meine eigene weit in den Hintergrund rückte. In meiner Vorstellung war sie eine junge, sehr erfolgreiche Ärztin. Das rote Kleid, das ihr bis zu den Knien reichte, war normalerweise überhaupt nicht ihr Kleidungsstil und sie war nervös, weil sie glaubte, es würde ihr nicht stehen. Er war ein Künstler, vielleicht ein Maler, und sie hatten sich kennengelernt, als er sich bei dem Aufhängen eines seiner farbenprächtigen Bilder den Fuß gebrochen hatte und in das Krankenhaus gebracht worden war, in dem sie arbeitete. Er liebte sie in ihren unförmigen Kitteln ganz genauso sehr wie in diesem Kleid - diese Farbe konnte er an ihr nicht oft genug sehen - und seine Blicke kündeten davon, dass er mit jeder Faser seines Seins für sie lebte. Sie badete in seiner Aufmerksamkeit und gab sie ihm hundertfach zurück, als sie seine Hände auf dem Tisch in ihre nahm und mit seinem Ehering spielte. Als ihr Dessert kam, warfen sie sich verschwörerische Blicke zu, als hätten sie eine Erinnerung dazu, die ihnen allein gehörte. Die Art wie er seiner Frau die Gabel mit einem Stück Kuchen entgegen hielt, wie er über ihre unbeholfenen Versuche, das Stück zu essen, ohne dass etwas daneben fallen konnte, lächelte, hätte furchtbar kitschig sein können. Ihre leuchtenden Augen und das Lachen, das ihr gesamtes Gesicht erhellte, wären an einem anderen Tag, unter anderen Umständen, passender Stoff für die harmloseren Passagen von Kakashis grauenhaften Büchern gewesen. Aber hier - jetzt, in diesem Moment - konnte ich nicht umhin, sie beide furchtbar um so viel Glück zu beneiden. Ihre Vertrautheit führte mir in allem vor Augen, was ich nicht hatte, zeigte mir, wie weit ich davon entfernt war, von jemandem so geliebt und geschätzt zu werden. Wie weit ich davon entfernt war, so alltäglich, so normal auf dieser Terrasse zu sitzen, mit einem Ohr der schmalzigen Musik zu lauschen und ein Dessert zu bestellen, um es mit jemandem zu teilen. Ich wollte, was sie hatten, hatte vor nicht allzu langer Zeit  geglaubt, genau das gefunden zu haben. Aber, kam mir der bittere Gedanke, es war besser so. Unter diesen Voraussetzungen war es besser, allein zu sein. Egal, wie schlimm sich das anfühlte. „Warst du selbst einmal so verliebt, Sakura?” Ich löste meinen Blick von dem Paar und sah auf. Haruyoshi trug an diesem Abend ein weißes Hemd und eine weiße Hose - frei von allen Sünden - und stand neben meinem Tisch, eine Hand auf einer Stuhllehne abgelegt. Ich sagte nichts. „Darf ich mich zu dir setzen? Ich würde gern ein paar Dinge erklären.” Mein Kiefer spannte sich an, aber ich deutete ein knappes, abweisendes Nicken an und Haruyoshi setzte sich. Der Kellner brachte ihm eine Karte, doch er winkte ab und bestellte nur einen Tee. Als wir wieder allein waren, sah ich aus dem Augenwinkel wie auch er das Paar musterte. „Ich war einmal so verliebt. Eine Liebe wie man sie ein einziges Mal im Leben findet, wenn man jede Menge Glück hat.” „Was ist mit ihr passiert?” Ich sah nicht von dem Paar weg. „Sie ist gestorben. Vor langer Zeit.” Wann war aus mir ein so bitterer Mensch geworden, dass ich nicht einmal der Höflichkeit halber eine Beileidsbekundung hervorbringen konnte? Als er mir eiskalt ins Gesicht gesagt hatte, dass ich nicht mehr viel Zeit hatte. Und trotzdem… Ich räusperte mich. „Das tut mir leid.” Er nickte. „Es ist wirklich schon lange her. Aber lass mich zum Punkt kommen. Du siehst müde aus.” Ich war in der letzten Nacht mehr als einmal aufgewacht und wenn ich tatsächlich geschlafen hatte, so war es kein erholsamer Schlaf gewesen. Und ich hatte nicht genug Chakra, um meinen Kater in den Griff zu bekommen. Deshalb war ich erst am späten Nachmittag aufgestanden, hatte eine lange Dusche genommen und war dann auf die Terrasse gekommen. Ich nahm einen weiteren Bissen von meinem Tiramisu. „Ich habe die letzte Stunde damit verbracht, einen Reiseplan zu erstellen. Orte aufzuzählen, die ich noch sehen möchte und all das.” Ich spürte seinen Blick auf mir und neigte den Kopf zu ihm. Er war nicht amüsiert, nicht einmal ansatzweise. „War das nicht die Antwort, die du hören wolltest?” „Ich will gar nichts Bestimmtes von dir hören. Ich verstehe, dass du mir gestern Abend übel nimmst.” Ich sah wieder nach vorn. „Etwas mehr Höflichkeit hätte nicht geschadet, aber auch das hätte nichts an den Tatsachen geändert.” Der Kellner brachte seinen Tee und Haruyoshi gab etwas Milch in seine Tasse und rührte ein paar Mal um. „Du hast noch keine einzige Frage dazu gestellt, wie die Details aussehen.” Ich hob eine Schulter. „Würde das etwas verändern? Ich kann mich noch sehr gut an Itachis Tod erinnern.” „Du wirkst auf mich nicht so, als würdest du eine solche Wahrheit ohne Hintergrundwissen annehmen.” Erneut drehte ich den Kopf zu ihm und brachte ein einseitiges Lächeln zustande. „Bitte. Wenn es dir so wichtig ist, erzähl mir davon.” Unsere Blicke trafen sich und seine Augen waren sehr ernst. So ernst, dass mein Lächeln verschwand und ich die Stirn runzelte. „Warum bin ich auf dem Weg hierher zusammengebrochen?” „Dein Fluchmal ist zusammengebrochen.” „Wie?” Er hob seine Tasse und trank einen Schluck. „Im Grunde ist alles sehr einfach. Sasukes Bruder hat das Fluchmal erzwungen und damit dich und ihn in ein Abhängigkeitsverhältnis gesetzt. Er ist vor einem halben Jahr verstorben - Sasuke hat mir von Itachis Todesumständen erzählt. Und du warst dort.” Ich nickte einmal. „Ihr beide wart verletzt, du und Sasuke, und du hast versucht, ihn zu heilen.” Ich fand meine Stimme wieder, auch wenn sie jetzt belegt und misstrauisch war. „Sasuke hatte schwere, lebensgefährliche Verletzungen. Ich hatte so wenig Chakra, dass ich nicht mehr viel ausrichten konnte, aber ich befand mich nicht in Lebensgefahr.” „Das war nicht nötig. Es hat gereicht, dass euer Blut in Kontakt gekommen ist. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte es nur Minuten gebraucht und du wärst Itachi gefolgt, lebensgefährlich verletzt oder nicht.” Ich senkte den Blick auf das weiße Tischtuch. „Warum?” Haruyoshi tippte ein paar Mal auf den Rand seiner Tasse. „Das Jutsu verbindet zwei Seelen bis zu ihrem Tod. Davor muss es willentlich gelöst werden, sonst ereilt den jeweils anderen dasselbe Schicksal wie den ersten. Ohne Itachi ist das Gleichgewicht verloren.” Aus dem Nichts kamen mir Itachis Worte in den Sinn, so klar als ob er direkt neben mir stünde. Sie hatten sich eingebrannt, sodass ich sie auch jetzt noch, ein halbes Leben später, genau erinnern konnte: ‚Kyô-kai-ki-jun schützt die verbundenen Seelen. Wenn die eine die andere verletzt, greift es ein und rettet beiden das Leben. Der eine kann nicht ohne den anderen, Sakura. So lange bis das Jutsu aufgehoben wurde…’ Verstummt begegnete ich Haruyoshi Blick. Er nickte kurz. „Wie du jetzt weißt, gibt es eine Ausnahme. Sasukes Blut hat so viel genetische Ähnlichkeit mit Itachis, dass das Jutsu sich damit zufrieden gegeben hat, quasi akzeptiert hat, dass es noch einen lebenden Organismus gab, der als Ersatz arbeiten konnte. Aber das konnte unmöglich für immer anhalten, vor allem nicht, da Sasuke so viele Monate von dir entfernt gelebt hat.” Er hob die Augenbrauen, als wollte er fragen, ob ich folgen konnte. Ich ließ mich zurück gegen meine Lehne fallen und musterte meine Hände in meinem Schoß. „Als Sasuke vor einer Woche erstmals wieder nach Konoha zurückkehrte, hat das einen Prozess gefördert, der sich nun nicht mehr aufhalten lässt.” Ein freudloses Lachen kam über meine Lippen. Aber Haruyoshi wartete - so lange, bis ich schließlich wieder aufsah. „Sein Blut hat dir geholfen, ja, aber mittlerweile wird es nutzlos für dich sein. Das Fluchmal ist sich gewissermaßen bewusst, dass Itachi nicht mehr lebt und es ist von jetzt an versessen darauf, diesen Fehler zu beseitigen.” Ich atmete aus, fuhr mir mit zwei Fingern über die Mundwinkel. Das alles änderte nichts - aber es füllte Lücken. „Dein Chakra erholt sich kaum noch. Vielleicht bist du besonders erschöpft, auch wenn du kaum etwas getan hast. In den nächsten Tagen, vielleicht Wochen, wirst du weiter an Kraft verlieren und du wirst erneut zusammenbrechen, wenn alles so bleibt, wie es jetzt ist.” Haruyoshi senkte den Kopf und rieb sich über die Stirn. Als er wieder aufschaute, als hätte er sich wappnen müssen, war das Bedauern deutlich sichtbar. Seine Stimme war sehr nüchtern, aber das, was er sagte, war es nicht. „Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem sich dein Körper überhaupt nicht mehr regenerieren wird. Und ja, wenn es so weit kommt, wirst du so sterben, wie Itachi gestorben ist.” Es wurde nicht einfacher, das zu hören. Ich wandte mich ab, schaute auf die anderen Gäste, die sorglos ihren Abend verbrachten, sich unterhielten, den Ausblick genossen. Der Tisch, den ich suchte, war leer, aber als ich meinen Blick schweifen ließ, entdeckte ich sie. Das Paar, das ich vor wenigen, so friedlichen Minuten beobachtet hatte, hatte sich vor der Band auf die Tanzfläche begeben. Er hielt sie als wäre sie das Wertvollste auf der ganzen Welt und sie legte eine Hand an seine Wange, als könnte sie ohne ihn nicht leben. Sie waren so…heil. Ganz. Und hier brach meine Welt unter meinen Füßen zusammen, nur ein paar Schritte von ihrem sicheren Hafen entfernt. „Die Art, wie ich dir gestern davon erzählt habe, tut mir sehr leid. Aber ich bereue sie nicht.” Ich drehte den Kopf sehr langsam zu ihm zurück. „Ich musste handeln. Du und Sasuke waren auf einem sehr schlechten Weg. Ich hoffe, du wirst bald nachvollziehen können, dass ich keine andere Wahl hatte. Du hast ein Zeitproblem und es wird nicht besser, wenn du noch weniger Zeit bekommst, um dich mit dieser Option vertraut zu machen.” Eine düstere Vorahnung legte sich über mich. „Was hast du mir noch verschwiegen?” Eine Weile sah er mich an und ich erwiderte seinen Blick, nicht sicher, wonach er suchte, bis er unvermittelt mit der Tür ins Haus fiel. „Es gibt einen Ausweg. Du kannst all das überleben.” Als ich nichts erwiderte, lehnte sich Haruyoshi auf seine Ellenbogen, legte seine Handflächen aneinander und lehnte sie an seinen Mund. „Dieser eine Tag war nötig, Sakura. Du musstest die Tragweite dieser kommenden Entscheidung verstehen. Es-” „Wie?” Er stoppte und seine Aufregung verblich. Die Antwort schien nicht über seine Lippen kommen zu wollen. „Wie kann ich all das überleben?” „Meine Frau war mit mir verbunden. Sie starb, wie du weißt, vor vielen Jahren. Tohru hat mein Fluchmal stabilisiert.” Stille folgte seinen Worten, in denen sich die gröbsten Teile zu einem Bild zusammensetzten. „Das Jutsu kann wiederholt werden.” Haruyoshi hielt meinen Blick, als er nickte - und meine Welt wieder auf den Kopf stellte. „Unter bestimmten Bedingungen, ja. Wenn es Verwandte gibt, die genug genetische Ähnlichkeit haben. Und wenn diese Verwandten bereit sind, sich an jemand anderen zu binden, bis an ihr Lebensende.” Das Ausmaß dessen, was er sagte, drang nur langsam zu mir durch, aber als ich verstand, was er damit implizierte, hatte ich Mühe meine Stimme zu finden. „Sasuke soll das Jutsu wiederaufnehmen.” „Wenn Sasuke das Jutsu nicht wiederholt, wirst du sterben, Sakura. Warte zu lange und das Ritual wird nicht mehr möglich sein. Dann kann dir niemand mehr helfen.” Ich schüttelte langsam den Kopf, fassungslos. „Das ist keine Option.” Wie konnte er glauben, dass er mir damit half? „Wie könnte ich dem jemals zustimmen? Wie könnte Sasuke dem zustimmen?” „Sakura. Tohru und ich haben zu viele sterben sehen. Menschen, die für eine Chance wie du sie hast, alles gegeben hätten.” Ich lehnte mich zu ihm vor. „Ach ja? Wie vielen habt ihr helfen können?” „Wenigen. Sehr wenigen.” In diesem Moment schien sie durch, eine traurige Müdigkeit, ein Hadern mit etwas, das auch er nicht ändern konnte. „Sasuke erfüllt alle Bedingungen. Das ist unfassbares Glück. Willst du wissen, wie vielen anderen vor dir wir begegnet sind, die dieselben Voraussetzungen erfüllen konnten? Zwei. Zwei Paaren.” „Glück…” Ich schüttelte noch einmal den Kopf. „Nichts an dieser gesamten Situation hat etwas damit zu tun. Und du hast eine Woche meiner kostbaren Zeit verschwendet, um mir überhaupt nicht weiter zu helfen. Weiß Sasuke davon?” Haruyoshis Lippen formten sich zu einem schmalen Strich. „Weiß er es?” Schließlich schüttelte er den Kopf. „Dann soll es so bleiben.” „Unmöglich.” Er sah meinen Gesichtsausdruck und sein Kiefer spannte sich an. „Wenn du es ihm nicht sagst, werde ich es tun. Dies ist keine Entscheidung, die du allein treffen kannst. Du darfst ihm das nicht vorenthalten.” „Was ich kann oder darf wird nicht von dir beschlossen.” Ich stand auf und brachte das Geschirr dabei zum Klirren. „Sind wir jetzt fertig? Oder gibt es noch etwas, das du verschwiegen hast?” Er schaute zu mir hoch, störrisch, aber offenbar erfahren genug, um zu erkennen, wenn er einen verlorenen Kampf führte. Sein Kopfschütteln waren eine Erlösung und ein Urteil zu gleich. Ich nickte finster und drehte mich um. „Nimm dir Zeit. Denk darüber nach.” Ich schloss die Augen und neigte den Kopf zur Seite, aber ich beschleunigte trotzdem meine Schritte und ließ die Terrasse, die neugierigen Blicke - und mein halb gegessenes Tiramisu hinter mir. *** Zurück in meinem Zimmer, ließ ich mich schwer auf das Bett sinken. Meine Gedanken schwirrten wild umher, bis ich die Scherben der Bilderrahmen bemerkte, die noch immer vor der Wand lagen. Ich hatte niemanden zur Zimmerreinigung hereingelassen und war nun dankbar dafür, eine Aufgabe zu haben. Sorgfältig hob ich alle Scherben und die Rahmen auf und sammelte sie auf einem Handtuch. Als nur noch kleine glitzernde Krümel übrig waren, hob ich das Handtuch hoch und mustere die Bilder eine Weile. Es waren Fotografien vom Strand, die um das Hotel herum aufgenommen worden waren und verschiedene Tageszeiten eingefangen hatten. Mit neuen Rahmen würde man sie wieder aufhängen können. Ich drehte mich um, in der Absicht, das Handtuch auf dem kleinen Esstisch abzulegen, sah eine Bewegung aus dem Augenwinkel - und ließ klirrend alles wieder fallen. Vor der Balkontür, in einem Sessel wie ein gern gesehener Gast sitzend, war Itachi. Ein Sonnenstrahl fiel durch das Fenster auf seine dunklen Haare, und so viel Licht sah fremd an ihm aus. Sein rechtes Bein war angewinkelt, sein linkes gelassen auf dem Boden abgestellt und er lehnte in dem Sessel, als hätte er ihn bezahlt. Als hätte er minutenlang dort gesessen, während ich die Scherben eingesammelt hatte, nur darauf wartend - mit all der Zeit der Welt darauf wartend - dass eben diese mir ausging. Er trug feste Handschuhe und seine Hände waren locker mit einem Kunai beschäftigt, das er so sorglos balancierte wie ein Spielzeug. Ein einseitiges Lächeln zeichnete sich auf seinem Mundwinkel ab, doch er sah nicht davon auf. Einige Sekunden ließ er mich mit der Unmöglichkeit seines Erscheinens kämpfen. Dann holsterte er das Kunai und stand auf. „Also, Sakura. Was sagst du zu den Optionen, die ich meinem Bruder gelassen habe?” Als ich nicht antwortete, immer noch überwältigt von seinem Anblick, kostete er seinen Triumph aus. „Er wird dich verlieren und sich für immer schuldig fühlen. Oder er wird für dich sterben. Und das Beste daran? Du musst entscheiden.” Mein Kunai lag auf dem Nachttisch bereit - aber es war zu weit weg. Ich legte die andere Hand auf einer Stuhllehne neben mir ab. „Er trägt keine Schuld.” Er warf mir einen Blick zu, der sagte: Das wissen wir beide besser. Wie konnte er schon wieder hier sein? Vor mir, als wäre er aus Fleisch und Blut? Ich schluckte und sah auf die Scherben zu meinen Füßen. „Ich werde nie verstehen, wie man einen Bruder, der nichts getan hat, der nur geliebt und angehimmelt hat, so sehr verachten kann.” Ein bemüht belustigter Laut kam über meine Lippen. Er durfte niemals sehen, wie viel mir an Sasuke lag. „Du gestehst mir zu viel Wert zu, Itachi. Was lässt dich annehmen, dass ich Sasuke je so viel bedeutet habe?” Ich hörte seine Schritte und sah angespannt dabei zu, wie er zu mir kam, bis er so dicht stand, dass er auf mich herab schaute. „Ich habe euch zusammen gesehen.” Ein wissendes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus. „Ich kenne meinen Bruder sehr gut. Abgesehen davon…” Er machte ein paar Schritte um mich herum. „…kann ich den Anreiz nachvollziehen. Dein Kampfgeist ist nicht von der Hand zu weisen. Das respektiere ich.” „Du respektierst gar nichts”, erwiderte ich giftig und krallte meine Hand fest in das Holz der Stuhllehne. Sein Lächeln wurde vielsagend. „Natürlich hast du mich nun auch schon eine Weile in Versuchung gebracht.” „Lass die Spielchen.” Meine Worte trotzten kaum der üblen Vorahnung und der Gänsehaut, die sich auf meinen Körper gelegt hatte. Ich erinnerte mich nur zu gut an den Schnitt auf meinem Arm, fürchtete, dass er dieses Mal nicht so untätig wie zuvor verschwinden würde - und ich fürchtete, zu was er in dieser Form fähig sein könnte. „Ich habe nichts als Zeit. Und meine Besuche bei dir haben unmittelbare Wirkung auf Sasuke. Du tust mehr für mich als du denkst. Siehst du es ihm nicht an? Dass ich jedes Mal dabei bin, wenn ihr im selben Raum seid?” „Du bewertest deinen Einfluss zu hoch.” Meine Hand auf dem Stuhl war mein Anker - die andere lechzte nach dem Kunai außer Reichweite. Ich war überrascht, wie ruhig meine Stimme im Vergleich zu der Anspannung, die ich fühlte, noch klang. Er neigte den Kopf, bis wir auf Augenhöhe waren und Blickkontakt hielten. „Tue ich das?” Das Glimmen in seinen Augen und sein siegesgewisses Lächeln waren kaum zu ertragen. „Es ist einfach. Es gibt nicht viel, das Sasuke etwas bedeutet. Du warst für eine lange Zeit eine immense Schwachstelle - du bist es noch, wie ich glaube.” „Du hattest nie vor, das Fluchmal lange Zeit aufrecht zu erhalten.” „Im Gegenteil. Ich habe nicht erwartet, an diesem Tag zu sterben.” „Aber es hat deinem Plan nicht wirklich geschadet. Du bist hier - in welcher Form auch immer. Und du bist immer noch darauf versessen, Sasuke zu zerstören.” Er legte den Kopf zur Seite, weder zugestehend noch wirklich widersprechend. Unvermittelt loderte Wut in mir auf. „Damit wirst du ihn nicht brechen. Nach allem, was passiert ist, wird das nicht schlimmer als alles andere für ihn sein.” „Unterschätze nicht, was passiert, wenn das Fass bereits randvoll ist.” „Du unterschätzt deinen Bruder.” „Sasuke, der Held. Wo ist er jetzt? Sollte er nicht hier an deiner Seite sein und die Schatten fernhalten? Lernst du denn gar nicht dazu? So ist er schon immer gewesen. Dir die Mühe zu machen, meinen Bruder zu verstehen, nimmt dir nur Zeit, von der dir ohnehin schon so wenig bleibt.” „Er war es nicht, der mir diese Zeit genommen hat.” „Und er kann sie dir zurückgeben. Aber wir wissen beide, dass du nicht zustimmen wirst. Und selbst wenn - was er einst in dir gesehen hat, ist unwiederbringlich verloren. Du bist gezeichnet. Er wird in dir nie wieder etwas Anderes sehen.” Er hielt kurz inne, musterte mich prüfend. „Es ist bedeutungslos, ob du jetzt stirbst oder in Jahren. Mich wird er niemals hinter sich lassen können.” Seine Maske war beinah perfekt. Doch dahinter schien er auf bizarre Weise darauf zu lauern, dass ich ihm dieses grausame Urteil, das er seinem Bruder auferlegen wollte, bestätigen würde. Das würde ich nicht. „Du bist es, der nicht loslassen kann, Itachi.” Es waren leise Worte, schlicht in ihrer Überzeugung. „Warum bist du immer noch hier?” Ich hatte ihn verärgert, ich wusste, dass es so war. Aber zumindest äußerlich bewahrte er seine kalte Überlegenheit. „Mach nicht den Fehler, Sasuke und mich zu vergleichen.” Beinah gelangweilt hob er eine Hand und näherte sie meinem Gesicht. Mein Zurückzucken belustigte ihn, doch er verharrte. „Während er nichts für Verdorbenheit übrig hat…kann ich mich dafür begeistern. Tatsächlich habe ich etwas übrig für die ruinierten Seelen. Sie erinnern mich in vielerlei Hinsicht an mich selbst.” Ich wich zur Seite aus und brachte Abstand zwischen uns, bis ich in der Mitte des Raumes einige Meter von ihm entfernt stehen blieb. Er ließ mir die Illusion, noch etwas an dieser Situation beeinflussen zu können, mit Genugtuung, als wäre das alles nur ein albernes Spiel, das ihn unterhielt, so lange ihm danach war. Ich wusste noch immer nicht, mit was ich es hier zu tun hatte. Bisher konnte sich das alles nur in meinem Kopf abspielen - er hatte mich das letzte Mal nur für ein paar Sekunden verletzt, vielleicht nicht einmal das, und er hatte noch keinen Gegenstand berührt, der nicht zu ihm gehörte. Aber als er jetzt über seine Schulter zu mir sah, wuchs meine Besorgnis darüber, zu was er tatsächlich im Stande sein konnte - meinen reinen Menschenverstand und die Erinnerung an seinen lodernden Scheiterhaufen außer Acht gelassen. „Was macht dir größere Sorgen - die Vermutung, dass ich nicht nur in deinem Kopf bin? Oder die leise Befürchtung, dass dir gefallen könnte, was ich mit dir vorhabe?” Ich schwieg, kämpfte die Panik nieder und wog meine Möglichkeiten ab. Er stand direkt neben der Tür - einfach an ihm vorbeizulaufen schied damit aus. Hier zu bleiben und abzuwarten stand außer Frage und der Balkon war zu hoch. Das Badezimmer blieb meine einzige Option, wenn es zum Äußersten kommen sollte. Itachi folgte meinem Blick dorthin und hob die Augenbrauen. Er drehte sich gänzlich zu mir um und kam näher, scheinbar gelassen, aber ich sah die kaum verhaltene Erwartung in seinen Augen. Er schnitt mir den Weg zum Badezimmer ab. „Ich habe nie herausgefunden, ob Sasukes brennendes Interesse an dir berechtigt war.” Ich sah ihm dabei zu, immer noch kalkulierend, und machte ein paar Schritte zur Wand. „Deine Uhr tickt. Du bist nur hier, solange ich es bin und das wird - wie du selbst gesagt hast - nicht mehr allzu lange der Fall sein.” Ohne Eile blieb er schließlich vor mir stehen, ganz in Schwarz und mit einem roten Leuchten in seinen Augen, die Sasukes so ähnlich waren. Was sie eindeutig voneinander abhob, war die Abwesenheit des Verlangens nach Grausamkeit in Sasukes Blick. „Ah, aber was für eine Verschwendung, diese Zeit nicht zu nutzen.” Wieder streckte er seine Hand nach meinem Gesicht aus. Dieses Mal kam ich ihm zuvor und schlug sie weg. Die unerwartete, sehr reale Berührung mit seinem Handgelenk jagte mir Schauer über den Rücken und brachte ihn zu einem neuen einseitigen Lächeln, als er die Hand sinken ließ. Ich hob beide Hände in einer Verteidigungshaltung vor meine Brust. „Dieses Spiel zwischen uns hat immer die größte Faszination ausgemacht, das weißt du sicher. Die Tatsache, dass du beständig Widerstand gegen jemanden ausgeübt hast, gegen den du nur verlieren konntest.” „Man würde annehmen, dass es dich irgendwann langweilen sollte.” „Ganz im Gegenteil. Mich fasziniert so viel verschwendete Energie.” Mein Kunai war jetzt noch mehr außer Reichweite als zuvor. Ich hatte ein paar weitere in die Schubladen der Kommode nicht weit von mir gelegt, aber es stand außer Frage, dass er mich stoppen würde, bevor ich sie erreichen könnte. Und was würde überhaupt passieren, wenn ich eines davon direkt in sein Herz stieß? Würde ich ihn treffen? Durch ihn hindurch fallen? Würde das irgendetwas bewirken? Seine Kunais im Holster an seinem Bein blitzten in der Sonne auf, als er näher kam, und ich ließ ihn - ich hatte nicht wirklich eine Wahl - und hielt mich sehr still, als er eine Hand nach meiner vorderen Hand ausstreckte und sie langsam, ohne Eile mit seiner verwob. Ich sah nicht dorthin, konzentrierte mich auf seine Mimik. Er schaute zurück, aber dann ließ er seinen Blick auf unsere Hände fallen, in seiner Stille und Faszination auf einmal sehr fremd. Ich starrte ihn bewegungslos an. Als stünde eine große Bestie vor mir und jede schnelle Bewegung, jeder Laut könnte das Ende ihrer Ruhe bedeuten. Itachi neigte den Kopf zur Seite, beinah wie jemand, der ein gutes Angebot in Erwägung zieht. Eine bessere Gelegenheit würde diese Bestie mir niemals zugestehen. In einer fließenden Bewegung schnellte ich vor, zog ein Kunai aus seinem Holster und legte es unter sein Kinn. Er neigte seinen Kopf in den Nacken, hielt meinen finsteren Blick unbeeindruckt, abwartend, und verspottete mich mit einem leisen Lachen. Meine Adern waren voll mit vertrautem Adrenalin. „Was wird passieren, wenn ich dir die Kehle durchschneide, Itachi? Kommst du dann zurück für eine Zugabe? Oder wirst du bleiben, wo du hingehörst?” „Du bist willkommen es auszuprobieren, Kunoichi.” Seine Gelassenheit hätte mir eine Warnung sein müssen, doch ich kannte die Spielregeln nicht - und er schon. Und so, gegen jede Logik, verblich das Kunai, das ich an seine Halsschlagader presste, und dann verschwand es vollkommen. „Wie…?” Ich starrte auf meine leere Hand, sah hoch zu ihm, fuhr realisierend zurück, aber ich hatte Sekundenbruchteile verschenkt. Itachi griff nach mir und riss dabei meinen Shirtkragen ein, er packte mich mit einer Hand im Nacken, presste die andere auf meinen Mund und drängte mich näher zur Wand. „Ich habe dieses Spiel immer genossen.” Ich umfasste seine Unterarme, zerrte daran. Der charakteristische Ledergeruch seiner Handschuhe stieg mir in die Nase und brannte sich für immer ein. „Es ist nur so, Sakura…irgendwann ist jedes Spiel zu Ende. Und das unsere nähert sich rasant seinem Finale.” Er drückte meinen Kopf in den Nacken. Ich senkte die Lider, um seinen Blick halten zu können und atmete harsch, seit Haruyoshis Offenbarung hin und her gerissen zwischen klinischer Gleichgültigkeit und lähmender Angst, wenn es darum ging, was jetzt noch mit mir passieren konnte, immer noch mit seinen Armen kämpfend. Mein Hinterkopf kam hart auf der Wand auf. „Sasuke hat dich geliebt. Und ich habe mir schon immer genommen, was Sasuke geliebt hat.” Panik überschwemmte mich. Sein Handschuh dämpfte meine Widerstandslaute nahezu vollkommen. Ich holte aus, doch er blockte meine Arme mit der Hand aus meinem Nacken und hielt sie vor meiner Brust zusammen. Instinktiv ließ ich Chakra in meine Hände fließen, bereit ihn durch die nächste Wand zu schmettern, und wurde sofort mit einem qualvollen Stechen für diesen Versuch bestraft. Ich hob mein Knie und zielte auf seinen Unterleib. Er wich aus, zerrte mich mit sich - zum Bett. Ich legte alles, was ich hatte, in meinen Widerstand, aber Itachi spielte nicht mehr und wie Sasuke es prophezeit hatte - ich konnte mich nicht verteidigen. Er warf mich auf das Laken, ich landete auf dem Bauch, versuchte mich aufzurichten, das Kunai zu erreichen, setzte zu einem Schrei an, aber der Handschuh kam zurück und dazu Itachis ganzes Gewicht, das jetzt keine Unterscheidung von einem Menschen aus Fleisch und Blut mehr zuließ. Sein Umhang umhüllte uns wie eine bizarre Decke und er war so schwer, dass ich kaum Luft holen konnte. Der Handschuh machte jeden Protest, alle meine Flüche unkenntlich. Ich befreite einen Arm, griff hinter mir nach allem, was ich in die Finger kriegen konnte, Haut, Kleidung, Haare. Dann spürte ich ein heißes Stechen in meinem rechten Unterarm und wölbte mich unter einem gedämpften qualvollen Schrei unter Itachis Körper. Mein Blick zuckte nach vorn und entdeckte den tiefen Schnitt, den Itachi dort durch das Fluchmal gezogen hatte. Seine Lippen in meinem Nacken, sein heißer Atem gingen nahezu völlig in dem Anblick unter. Blutrinnsale strömten an meinem Arm hinunter auf das weiße Kissen und versickerten in hellroten Flecken, jeder Logik trotzend. Itachi drehte mich um. Ich zog den Arm schützend an meine Brust und zielte mit der anderen wahllos auf sein Gesicht bis ich seine Wange zu fassen bekam und die Fingernägel mit aller Kraft darüber zog. Er fing meinen Arm ein, griff gleichzeitig um mein verletztes Handgelenk und drehte den Kopf zur Seite, den Kiefer angespannt, ließ den Schmerz einmal über sich rollen und schüttelte ihn gleich wieder ab. Wütende rote Spuren zierten sein Gesicht und öffneten sich für ein paar blutige Tropfen, die daran hinab liefen. Mein eigener Schmerz betäubte mich - ich konnte nur auf seine Wange starren und immer wieder dieselbe Frage stellen: Wie war es möglich, dass er blutete? Er drehte den Kopf zurück zu mir und fing meinen Blick fing. Dann zog er meinen blutenden Arm von mir weg und mein Verteidigungsinstinkt erwachte von Neuem. Er ließ sich kaum davon beirren, musterte seinen tiefen Schnitt in meinem Unterarm der Länge nach, als gäbe es dort etwas zu sehen, das mir verborgen blieb. Aber als ich in meinem Zerren endlich eine Lücke fand, drang das alles in den Hintergrund. Ich zog mein Knie an, drehte meine Hüfte und rammte es hart genug in seinen Unterleib, um ihn von mir zu stoßen. Von seinem Handschuh befreit, schnappte ich nach Luft, hechtete zu dem Kunai auf dem Nachttisch und sprang vom Bett auf. Als ich mich zu ihm drehte, ließ sein Anblick wieder alles einfrieren. Er stand am Fußende des Bettes, zog seelenruhig einen seiner Handschuhe ab und legte einen Finger an seine Wange. Als er ihn vor seine Augen hielt, glänzte er leuchtend rot. „Das hier ändert die Dinge. Meinst du nicht, Sakura?” Mein Griff um das Kunai wurde hart. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was es zu bedeuten hatte, dass er bluten konnte. „Wenn ich untergehe, dann wirst du mit mir kommen.” Er lächelte berechnend. „Dafür ist es noch zu früh.” „Ich habe nichts mehr zu verlieren.” „Im Gegenteil. Du hast alles zu verlieren. Tage. Wochen. Vielleicht sogar Monate, um dich von deinen Freunden und deiner Familie zu verabschieden. Dich mit meinem wertlosen Bruder zu versöhnen und-” Plötzlich drehte Itachi den Kopf, als könnte er etwas hören, das bei mir nicht ankam, und kurz darauf folgte ein lautes Klopfen an meiner Tür. „Sakura.” Meine Beine drohten, nachzugeben, als ich die Stimme erkannte. Itachis Aufmerksamkeit lag auf der Tür. „Sakura, ich muss mit dir reden.” Ich wagte nicht, mich zu bewegen, starrte Itachi an, fürchtete, er würde jeden Moment dort weiter machen, wo er aufgehört hatte. Doch er erfüllte keine weiteren Befürchtungen. Mit einem langen Blick zu mir - der mir versprach, dass ich ihn nicht das letzte Mal gesehen hatte - verblasste er vor mir wie eine alte Fotografie im Zeitraffer. Ich sackte auf meine Knie, von einer Sekunde zur nächsten nicht mehr vom Adrenalin getragen. Mein Arm… Mit ungläubigem Erstaunen entdeckte ich, dass der Schnitt verheilt war. Ich strich mit den Fingern darüber und konnte nicht einmal eine Erhebung spüren. Nur das Blut war noch überall darauf verteilt. Ich wagte einen Blick auf das Kunai in meiner Hand. Sasukes ungeduldiges Hämmern an der Tür riss mich aus meiner Trance. „Wenn du nicht aufmachst, komme ich so rein.” „Einen…einen Moment!” Ich fand die Geistesgegenwart, aufzuspringen und die Blutflecken auf dem Bett mit der Decke zu verstecken. Ich legte das Kunai zurück auf den Nachttisch, sah mich kurz um, konnte aber keine weiteren Indizien entdecken, ging zur Tür und atmete tief durch. Dann öffnete ich das Schloss und stürzte ins Badezimmer. Ich spülte meinen Arm im Waschbecken ab, mit dem Blick auf die unversehrte Haut unter dem Blut ernsthaft an meiner Psyche zweifelnd. Die Tür zum Flur fiel ins Schloss. Während Sasukes Schritte näher kamen, sah ich flüchtig in den Spiegel - und beeilte mich in der letzten Sekunde, mein beflecktes, eingerissenes Shirt über den Kopf zu ziehen und in die Dusche zu werfen. Ich trug noch ein Top darunter und wollte mir gar nicht ausmalen, was er denken würde, sollte er irgendetwas von all dem bemerken. Ich wusste, wie es für mich ausgesehen hätte. Und ich konnte mir nicht erlauben, zu meiner eigenen Sicherheit, verrückt und halluzinierend, eingesperrt zu werden. Sasuke erschien im Türrahmen des Badezimmers - und mit ihm die Erinnerung an die letzte Nacht. Ich musste noch sehr darum kämpfen, meine Fassung zurückzuerlangen, als ich den Wasserhahn zudrehte, doch Sasukes ernster Blick verlangte jetzt meinen Fokus. Er musste nicht in Worte fassen, dass Haruyoshi mit ihm gesprochen hatte - auch wenn sich diese Offenbarung für mich gerade meilenweit entfernt anfühlte. „Du hättest es mir nicht gesagt.” Ich griff nach einem Handtuch und trocknete meinen Arm. „Wahrscheinlich nicht, nein.” „Warum nicht?” Ich ließ das Handtuch sinken, aber ich sah nicht davon auf. „Weil es ausgeschlossen ist.” Sasuke atmete schwer aus, als ob er bereits geahnt hätte, dass ich so reagieren würde und wusste, dass die nächste Auseinandersetzung uns direkt bevorstand. Ich ließ das Handtuch auf die Ablage fallen und fixierte ihn. „Bist du einfach so mit Haruyoshis Verhalten einverstanden?” „Was für eine Frage soll das sein? Natürlich nicht. Aber Fakt ist, dass wir jetzt einen Ausweg haben und das wiegt schwerer als mein…” Er brachte den Satz nicht zu Ende. „Was ist mit deinem Shirt passiert?” Ich folgte seinem Blick darauf. „Ein Fleck muss einweichen.” Misstrauen legte sich auf seine Züge. „Ein Fleck.” Ich zuckte mit den Schultern. Sasuke hatte feine Sinne. Mein Top war schwarz, aber das Blut war sicher auch darauf durchgesickert. Konnte er… „Hast du geblutet?” Ich schloss kurz die Augen. „Ich hatte Nasenbluten.” Er nahm mir meine Unbekümmertheit nicht ab und wie sollte er auch? Ich riss mich gerade so zusammen, war dankbar, dass meine Beine nicht mehr nachgaben, als ich mich an ihm ins Schlafzimmer vorbeischob und in meiner Tasche nach einem neuen Shirt suchte. Sasuke folgte mir bedächtig, zweifelsohne dabei, sich umzusehen, zu analysieren. „Tanadas Eingeständnis ändert alles.” Ich konnte mein Top nicht schnell genug loswerden, also riss ich es mir über den Kopf und antwortete ihm rigoroser als beabsichtigt. „Es ändert gar nichts. Ich werde das Jutsu nicht wiederholen.” Ich sah nicht zu ihm, aber seine Stille sprach Bände. Mit mehr Schwung als nötig schleuderte ich das Top weit weg in eine Ecke und musterte es einen Moment. „So schnell kannst du dich unmöglich entscheiden.” Ich verengte die Augen und griff nach dem bereitgelegten Shirt. „Du hast keine Ahnung wie es war, an ihn gebunden zu sein.” Ein paar Sekunden schweren Schweigens legten sich über uns. Dann… „Genaugenommen habe ich die.” Mein Blick zuckte zu ihm. Er schaute ernst zurück. Ich schluckte und wich seinem Blick aus. „Du hast alles versucht, um Orochimarus Fluchmal loszuwerden. So wie ich es würde, wenn wir verbunden wären.” Ich schätze, wir realisierten beide im selben Moment, was ich damit angedeutet hatte. Mein Kopf schnellte zurück. „So habe ich es nicht gemeint.” Sasuke lächelte schwach. „Du liegst wahrscheinlich gar nicht weit daneben. Es spielt nur keine Rolle.” Ich atmete aus und zog das Shirt über meinen Kopf. „Kannst du dich wirklich nicht erinnern, Sasuke? Ich wollte dich umbringen! Weil er es so wollte. Ich hätte alles getan, was er wollte.” Ich zog die Shirt-Enden herab und ließ die Arme hängen. „Wie könntest du verstehen, was diese Verbindung mit mir gemacht hat? Wie anders ich war, wie anders ich mich gefühlt habe? Was ich durch ihn getan habe…” Glasklar konnte ich mich an Itachis Hände auf meinem Körper - an seine Gehirnwäsche vor einem halben Jahr erinnern. „Es war so einfach für ihn. Dieses Jutsu ist wahrhaft ein Fluch. Es macht dich abhängig von der anderen Person und es macht dich zu einer anderen Person.” Sein Blick lag sehr aufmerksam auf mir, als ich wieder aufschaute. „Du willst es tatsächlich durchführen? Dann hast du offensichtlich nicht lange genug darüber nachgedacht.” Er blickte nicht weg. „Darüber muss ich nicht eine Sekunde nachdenken. Es gibt keine Alternative.” Ein bitteres Lächeln schlich sich auf meinen Mund. „Sasuke.” Er atmete aus. „Was?” „Du schuldest mir nichts.” Wieder legte sich Stille über uns. Offenbar hatte er das nicht erwartet. Er ging ein paar Schritte und denselben Weg zurück. Als er wieder sprach, tat er es langsam. „Es ist egal, was du tust oder was du über mich denkst.” Er stoppte kurz. „Oder wie lange wir uns nicht gesehen haben. Ich würde dein Leben niemals in Gefahr bringen. Und ich werde dich nicht sterben lassen.” „Ich werde nicht noch einmal so etwas mitmachen. Nie wieder.” Ich sah abgestoßen auf das Fluchmal hinunter. „Sakura…” Er fuhr sich durch die Haare und machte ein paar Schritte zur Fensterwand. „Ich habe dich erreicht. Ich habe dich zurückgeholt. Du warst wieder du selbst.” „Und wie lange hätte das angehalten? Du weißt nicht mehr über dieses Fluchmal als ich. Und das ist es einfach nicht wert.” „Liegt es an mir, dass du diese Option so vollkommen ablehnst?” Ich stockte. „Ich würde das niemandem antun.” „Es würde dein Leben retten”, sagte er dann zähneknirschend. „Es würde mich in die nächsten Ketten zwingen! Mich zu deiner Puppe machen, statt zu seiner. Und wenn mir etwas passiert? Was ist dann mit dir? Oder umgekehrt?” Sasukes ruhige Fassade bröckelte. „Ich würde nie-” „Sasuke!” Er verstummte und ich senkte meine Stimme. „Es macht keinen Unterschied.” „Du bist nicht die einzige, die diese Entscheidung zu treffen hat.” Ich schüttelte leicht den Kopf. „Tu das nicht.” Sasuke war so lange geduldig gewesen, so ruhig, so kontrolliert. Aber jetzt schien er die Beherrschung zu verlieren. Unsere Blicke trafen sich, beide unnachgiebig und hart. „Das ist Irrsinn.” Ich neigte den Kopf. Diese Sache würde nie einfach werden. „Wenn du nicht zusehen kannst…ist es vielleicht besser, du kehrst ohne mich nach Konoha zurück.” Er wandte sich ab, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und ging bis ans Fenster, drehte mir den Rücken zu, sortierte seine Gedanken, was auch immer. Ich blickte ihm stumm hinterher. Er legte seine Hände auf die Fensterbank, als ob er sich dort abstützen und gleichzeitig für etwas vorbereiten wollte. „Haben die letzten fünf Monate wirklich ausgereicht, um mich dir völlig zu entfremden?” „Was hat das damit zu tun?” Meine Stimme klang resigniert, des Streitens müde. „Alles. Du würdest mich nicht helfen lassen, ganz gleich, was du über das Jutsu denkst.” „Du irrst dich. Es liegt nicht an dir. Nur daran, was es bedeutet, das Fluchmal zu tragen.” Seine Schultern spannten sich an, aber er schaute nicht her. „Dann lass es mich tragen.” Ich betrachtete seinen gebeugten Rücken, ließ seine Worte wirken. Dann senkte ich den Kopf. „Nein. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Und mit dieser wirst du leben müssen.” Als ich bereits glaubte, er würde nichts mehr erwidern, zog er seine Hände von der Fensterbank zurück und drehte sich gänzlich um. Er atmete aus, fuhr sich durch die Haare, wich meinem Blick aus. Sekunden vergingen, dann schlug er mit einem Fluchen gegen die Wand, so kraftvoll, dass etwas Farbe von der Decke rieselte und Risse zurückblieben. Und so unvermittelt war seine Stimme wieder ruhig. Seine Augen waren nachtschwarz und hart, als er mich wieder ansah. „Nie.” Ich hielt seinen Blick, wollte meine nächsten Worte unmissverständlich wissen. „Wenn du mich zwingst, werde ich dir das niemals verzeihen.” Er fuhr zurück. Dann formten sich seine Lippen zu einem schmalen Strich und seine Absicht wurde eindeutig. „Immerhin wirst du dann nicht tot sein.” Das zu hören schmerzte. Und ich wurde von dem Verlangen überwältigt, mich dafür zu revanchieren. „Sei stolz auf dich. Du wirst dem Vermächtnis deines Bruders mehr als gerecht.” Sobald ich sie gesagt hatte, wünschte ich mir, meine Worte zurücknehmen zu können. Es fühlte sich an, als hätte ich damit einen wichtigen Teil meiner selbst verloren. Als hätte ich gerade eine Grenze überschritten, die uns davor bewahrt hatte, einander tiefer denn je zu verletzen. Aber Sasuke schleuderte mir keinen berechtigten Zorn, nicht einmal kühle Widerworte entgegen. Er war sehr still. „Dann sei es so”, sagte er dann, tonlos. In seinem Blick sah ich nur abgehärtete Akzeptanz und Schmerz und das war so unerwartet wie die Zimmertür, die mit einem Knall endgültig hinter ihm ins Schloss fiel. *** Das Wetter war umgeschlagen. Graue Wolken jagten über den Himmel und stürmische Wellen bäumten sich auf und schlugen wieder zusammen. Eine Familie hatte ihre Sachen zusammengepackt und kam mir entgegen, aber außer ihnen war niemand mehr am Strand, auch wenn die Schiffe vereinzelt rausgefahren waren. Mein Gewissen plagte mich. Ich bereute meine gestrigen Worte zu Sasuke zutiefst und überhaupt - meine Situation sah ziemlich schlecht aus. Mir schien, schlimmer konnte es gar nicht werden und das war noch der aufheiterndste Gedanke, den ich auftreiben konnte. Eine Weile lief ich ziellos mit meinen Schuhen in der Hand am Ufer entlang und bot dem kalten Wasser, das rhythmisch über meine nackten Füße schäumte, sturköpfig die Stirn. Dann entdeckte ich eine einsame Gestalt vor mir, den Rücken gegen eine Felsformation gelehnt und mit einer Pfeife in der Hand, und ich musste nicht lange rätseln, wen ich hier vor mir hatte. Ich zog kurz in Erwägung, wieder umzukehren, bevor ich mich doch dazu durchrang, den Abstand zwischen uns zu schließen. Er wartete einen langen Moment bevor er den Kopf zu mir drehte und sein Gesichtsausdruck war düster. „Kann ich mich zu dir setzen?” „Tu dir keinen Zwang an.” Er nahm einen tiefen Zug aus der Pfeife, während ich mich neben ihm auf den kalten Boden sinken ließ. „Wie geht es Tohru heute?” „Nicht anders als gestern.” „Ihr seid über eine Woche hier. Hat sich sein Zustand seitdem in irgendeiner Form gebessert?” „Nein. Was sollen all die Fragen?” Ich blickte nach vorn, überlegte mir meine Worte gut. „Haruyoshi…wir sind beide nicht gut aufeinander zu sprechen. Aber was auch immer es wert ist, ich war gestern Abend sehr harsch zu dir. Ich denke…” Ich neigte den Kopf und vergrub meine feuchten Füße im Sand, bis sie komplett davon bedeckt waren und die Kälte an meinen Zehen nagte. „Ich denke, du meinst es gut mit mir. Und ich hätte nicht-” „Sakura, zerbrich dir nicht deinen Kopf darüber.” Er atmete tief aus. „Ich war mir bewusst, dass meine Entscheidung Konsequenzen haben würde.” „Du hast bereits öfter solche Gespräche geführt. Mindestens zweimal, wenn ich es richtig verstanden habe.” Er zog noch einmal an der Pfeife und blickte auf das Meer hinaus. „Ist es besser als bei mir gelaufen?”, fragte ich dann. Er runzelte die Stirn als er die Pfeife sinken ließ. „Wie man es nimmt. Einmal sprachen wir mit einem Mann und seinem Schwager und die einzigen Bedenken dabei waren, dass der Malträger seinen Schwager nicht gefährden wollte.” Er schaute zu mir und der Ansatz eines Lächelns erschien um seine Mundwinkel und war ebenso schnell wieder verschwunden. „Sie konnten ihre Bedenken ausräumen, erneuerten das Jutsu und lebten noch drei Jahre.” Ich schaute betroffen zwischen seinen Augen hin und her. „Drei Jahre?” „Sie teilten deine Berufung und sie starben gemeinsam im Kampf.” „Was ist mit den anderen?” „Eine Mutter und ihre Tochter. Und sie hatten keine Zweifel daran, wie sie entscheiden würden, sobald wir ihnen ihre Situation erklärten. Akane hat nicht gezögert, ihre Mutter zu retten und sie hat ihre Hilfe angenommen, wohlwissend, dass sie dasselbe für sie tun würde.” „Wie lange haben diese beiden überlebt?” „Tohru und ich treffen sie einmal im Jahr und sie erfreuen sich bis heute bester Gesundheit.” „Verstehe.” Ich senkte den Blick und begann damit, Muster in den feinen Sand zu malen. „Wie alt waren sie als das Jutsu erneuert wurde?” Als er nicht sofort antwortete, hob ich den Kopf und runzelte die Stirn. „Die Mutter war Anfang 30. Ihre Tochter…” Seine Lippen formten sich zu einem harten Strich. „Sie war fünf.” Ich starrte ihn an und konnte mein Entsetzen nicht in Worte fassen. „Sie war ihrem Alter weit voraus, sie-” „Sie war fünf Jahre alt! Bei weitem nicht in der Lage, eine solche Entscheidung zu treffen. Ihr habt ihr ganzes Leben für sie bestimmt, nur weil-” „Weil sie ihre Mutter brauchte! Ihre Mutter hat es für sie getan, unter den größten Schuldgefühlen, die man sich vorstellen kann. Wenn ich diese Chance gehabt hätte, um meine Eltern zu retten, dann wäre ich mein Leben lang dankbar dafür gewesen.” „Und deshalb habt ihr für dieses Mädchen entschieden, dass sie genauso fühlen würde.” „Das haben wir. Und sie hat jedes Jahr bestätigt, wie dankbar sie uns dafür ist.” Ich gab ein abfälliges Geräusch von mir. Offensichtlich würden wir auch was dieses Thema anging nicht überein kommen. „Dieses Jahr haben wir sie bereits getroffen. Aber ich könnte ein Treffen arrangieren, ermöglichen, dass du ihnen alle deine Fragen stellen-” Die Kälte, die bei dem Gedanken an das fünfjährige Mädchen durch meine Adern zog, legte sich auch auf meine Gesichtszüge. „Nein. Auf keinen Fall.”   Er ließ meine Erwiderung lange zwischen uns stehen, bevor er wieder etwas sagte. „Das wäre die vernünftigste Entscheidung, Sakura. Eine solche Situation muss von allen Seiten beleuchtet werden und dabei solltest du dich nicht nur von deinen Emotionen lenken lassen. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Ich habe es dich einen Tag lang glauben lassen. Dieser Tag sollte dich verstehen lassen, was diese Entscheidung umfasst. Wie verzweifelt man sein kann, eine andere Option zu finden, irgendeine, die dich am Leben halten würde - um zu erkennen, wie sehr du das Leben liebst und wie unerträglich es wäre, zu wissen, dass du dieser Chance - zu leben - beraubt wurdest.” Dieser eine Tag war ein Albtraum gewesen. Zu wissen, dass ich nichts tun konnte, war unerträglich. Aber Haruyoshi weigerte sich noch immer zu sehen, dass er mir nicht wirklich eine echte Alternative geboten hatte. „Du versteht nicht: Es schmerzt nicht weniger, nachdem du mir eine Option gegeben hast, die keine ist.” Haruyoshi wandte sich wieder zu mir, mit einem Ausdruck so kühl wie ich ihn bisher noch nicht bei ihm gesehen hatte. Er wirkte fremd in seinem sonst so freundlichen Gesicht. „Das liegt ganz allein an dir. Du weist diese Chance zu leben zurück.” „Du sagst das, als würde ich mich leichtfertig dafür entscheiden.” Meine Stimme überschlug sich. „Wenn ich Sasuke das Jutsu erneuern ließe, wäre ich nicht besser als Itachi.” „Ich habe schon einmal ein Paar getroffen, bei denen alle Voraussetzungen, so selten sie sind, zutrafen - aber sie haben sich trotzdem dagegen entschieden. Und der Mann, der übrig blieb, ist in seinem ganzen Leben nicht mehr froh geworden.” „Haruyoshi…” Ich schüttelte den Kopf. „Dieses Manipulieren, all diese Geschichten…! Du kannst mir diese Entscheidung nicht wegnehmen. Ich werde Sasuke da nicht reinziehen.” „Es gibt keine andere Möglichkeit. Wir haben jahrelang, jahrzehntelang danach gesucht. Da ist nichts.” Ich dachte an alles, was Itachi mir zugeflüstert hatte und nickte langsam. „Ich weiß.” Eine Weile sagten wir beide nichts, Haruyoshi rauchte seine Pfeife und während der süßliche Dampf ab und an zu mir herüber zog, beobachtete ich ein paar Möwen über dem stürmischen Wasser, nicht sicher, ob ich noch bleiben oder gehen wollte. „Lass mich das Mal noch einmal sehen”, sagte er dann. Wortlos streckte ich meinen Arm aus und er musterte ihn ein paar Sekunden, bevor er davon aufsah. „Hast du irgendwelche Symptome? Irgendetwas Ungewöhnliches?” Ich hob die Augenbrauen. „Was zum Beispiel?” „Chakraeinbrüche, übertriebene Müdigkeit, Albträume?” Ich sah ihn lange abwägend an, bevor ich den Kopf schüttelte. „Nein.” Er atmete reuevoll aus und gab meinen Arm frei. „Versteh doch, Sakura…es hätte nicht geholfen, früher davon zu wissen. Im Gegenteil.” „All diese Weisheiten, die du bereithältst…” Ich sah auf das wilde Meer hinaus und schüttelte den Kopf. „Nichts davon lässt sich mit Sasuke und mir vergleichen.” „Darum seid ihr doch hier. Ich musste beobachten, was er und du für eine Beziehung haben. Er ist der einzige, der helfen kann.” Der Ausdruck in Haruyoshis Augen war ernst und klar, als könnte er jeden Gedanken mitverfolgen, der durch meinen Kopf geisterte. „Du hast drei Tage weitgehend unbehelligt verbracht, dich von deinem Zusammenbruch erholt und gewappnet. Bessere Bedingungen mit Aussicht auf Erfolg kann es unter diesen Umständen nicht geben.” „Erfolg. Das Leben eines anderen Menschen zu ruinieren kann man nicht Erfolg nennen. Es tut mir leid, dass ihr so vielen nicht helfen konntet. Ich bin dankbar dafür, dass ihr Betroffenen helfen wollt. Aber du bist auch derjenige, der geholfen hat, dieses Jutsu ins Leben zu rufen. Und nicht jeder ist heiß darauf, sein Leben auf Kosten des Lebens eines anderen zu retten. Das solltet ihr bedenken, wenn ihr das nächste Mal jemandem eröffnet, was du mir gestern gesagt hast.” Bedauern grub sich tief in Haruyoshis Gesichtszüge, wie ein alter Vertrauter. Und ich war mir sicher, dass er nie solche Folgen beabsichtigt hatte. Aber er schien zu glauben, dass alles, was er jetzt tun konnte, um dafür Buße zu leisten, die Überzeugung der Fluchmalträger war. „Du bist entschlossen, diese Chance nicht anzunehmen. Sasuke ist mehr als bereit, dir zu helfen, die Voraussetzungen könnten kaum besser sein-” Ich setzte an, ihn zu unterbrechen, doch er sprach lauter weiter. „Nichts steht dir im Weg - abgesehen von deiner eigenen Sturheit.” Ich musterte ihn einen langen Moment und stellte zu meinem eigenen Erstaunen fest, dass ich Mitleid mit ihm hatte. Aber das würde uns nicht weiterhelfen. Mein Blick fiel erneut auf seine Pfeife. „Dein Schwiegervater raucht nicht, oder?” Er schwieg. „Und du im Grunde auch nicht. Um Tohrus Gesundheit nicht zu beeinträchtigen.” „Ich bin nicht tadellos, wenn es um diese Verbindung geht.” „Das verstehe ich nicht. Ich dachte-” „Wie könntest du das verstehen? Du kannst dir eine Verbindung, wie wir sie haben, nicht einmal vorstellen.” Mein Blick wurde hart. „Nein. Das kann ich nicht.” Ich stand auf. „Und dafür muss ich mich nicht verurteilen lassen.” Er tat als hätte er mich nicht gehört, zog wieder an der Pfeife und schaute auf das Meer hinaus - genau so, wie ich ihn vor ein paar Minuten gefunden hatte. *** Als ich vom Strand zurückkehrte und in die Lobby kam, war ich bereit, zu packen und alle Zelte abzubrechen. Ich musste mit Tsunade sprechen, mit meinen Eltern und Freunden und hier auf nichts zu warten führte nur zu mehr Bitterkeit. Dann fiel mein Blick auf Sasuke, der gerade den Empfang verließ und mit einem Brief auf mich zukam. Er kam gleich zum Punkt. „Ich habe eine Nachricht von Tsunade erhalten. Sie hat uns angewiesen, hier zu bleiben, bis ich das Jutsu blind wiederholen kann.” Ich riss ihm die Nachricht aus der Hand, überflog Tsunades nüchtern formulierte Anweisungen und drückte das Papier zurück an Sasukes Brust. Er nahm es mir wachsam ab. „Ihr verschwendet meine Zeit.” Sie hatte nicht eine Zeile für etwas Persönliches übrig gehabt. „Du hast noch einige Wochen. Solltest du eine andere Entscheidung treffen, sind Haruyoshis Informationen von unschätzbarem Wert.” Ich atmete tief ein, erschöpft und so müde von etlichen Auseinandersetzungen mit verschwendeter Energie. Ich dachte daran, einfach zu verschwinden, alles hinter mir zu lassen und mich irgendwo ganz allein zu vergraben. Aber im selben Moment wusste ich, dass ich den Mut dazu nicht aufbringen würde. Itachi konnte mich überall finden und ich konnte mich nicht wehren. Es wäre reine Torheit, in meiner Situation die Einsamkeit und damit tiefe Verwundbarkeit zu wählen. Also gab ich mich geschlagen: Sich auch gegen Tsunades Weisung aufzulehnen, erschien mir auf einmal wie ein Kraftakt, den ich mir nicht mehr zumuten konnte. Und vielleicht…war ein Teil von mir erleichtert, meiner Familie und meinen Freunden noch nichts erzählen zu müssen. Ich räusperte mich. „Wie lange wirst du brauchen?” „Eine Woche. Vielleicht zwei.” „So kompliziert soll das Jutsu sein?” „Es steht viel auf dem Spiel, Sakura.” „Das brauchst du mir nicht zu sagen.” Ich ging langsam an ihm vorbei zur Treppe, die zu den Hotelzimmern führte, als er noch etwas sagte. „Also wirst du bleiben?” Mit einer Hand auf dem Treppengeländer blieb ich stehen. „Nur weil sie dich angewiesen hat, heißt das nicht, dass du-” „Ich werde bleiben. Natürlich.” Dann ging ich die Treppe hoch und zurück in mein Zimmer. Ich ließ mich auf mein Bett fallen, starrte an die Decke und lauschte dem Kreischen der Möwen, stand wieder auf. Ruhelos ließ ich den Blick schweifen, marschierte ein paar Mal auf und ab, blieb an meinem gekippten Fenster und den weißen Segeln der kleinen Boote hängen. Ich saß also hier fest - aber das bedeutete nicht, dass ich die Zeit für gar nichts nutzen konnte. Ich warf einen Blick auf die Uhr, griff mir eine wärmere Jacke und lief wieder nach unten - direkt in Sasukes Arme. Er sah die Jacke und runzelte die Stirn. „Was hast du vor?” Ich schob einen Arm in einen Ärmel und sah davon hoch. „Ich will mit einem der Schiffe fahren - bis fünf Uhr fahren sie noch raus.” Seine Einwürfe mussten ihm schon auf der Zunge liegen und ich versuchte abzuschätzen, ob ich dennoch die nächste Fahrt schaffen könnte, da schob mich Sasuke zur Bar und wartete, bis ich mich auf einen der Hocker sinken ließ. „Warte kurz. Ich hole meine Weste.”   *** Die Schiffe, die laut Plan etwa eine Stunde Touristen fuhren, waren voller Menschen und weitaus größer als die kleinen Segelboote der Urlauber und Anwohner, aber der Wellengang machte sich dennoch bemerkbar. Sasuke und ich standen an der überdachten Reling und wenn ich nicht zu ihm hinüberschaute war es beinah so, als wäre er gar nicht hier - so wenig hatte er gesagt, seit wir zum Hafen und an Bord der Akiko gegangen waren. Ich wusste, dass er hier war, um ein Auge auf mich zu haben. Aber seine Anwesenheit war nichtsdestotrotz tröstlich - selbst nach allem, was in den letzten Tagen geschehen war. Hin und wieder schoben sich ein paar Touristen mit Fotoapparaten um den Hals an uns vorbei, aber die meisten Passagiere waren entweder im Innenraum des Schiffes, um sich aufzuwärmen oder am Bug versammelt, um die brechenden Wellen und ihre feinen Wassertropfen, die bis an Deck geschleudert wurden, aus nächster Nähe zu erleben. Ich sah hinaus auf das unruhige Meer, dunkler als die grauen Wolkenberge am Himmel und weit von dem freundlichen Türkis entfernt, das ich nur ein paar Tage zuvor so bewundert hatte. Sasukes Schritte entfernten sich hallend auf dem Boden aus Metall, gerade als die Wolken sich schließlich ihrem Schicksal beugten und die ersten Regentropfen auf uns niederschickten. Die Schleusentür zum Innenraum öffnete sich für ihn und als sie sich wieder schloss, atmete ich leise aus, senkte den Kopf über die Reling und sah abwesend dabei zu, wie die Tropfen auf der Wasseroberfläche Kreise entstehen ließen, die gleich wieder von den Wellen verschlungen wurden. Wir hatten Haruyoshi und Tohru nicht gefragt, aber ich zweifelte daran, dass sie uns begleitet hätten - Tohru machte unter keinen Umständen den Eindruck, in der Verfassung für einen solchen Ausflug zu sein. Und es war dieser Moment, in dem ich das erste Mal darüber nachdachte, was es für sie bedeutete, mit einem immensen Altersunterschied aneinander gebunden zu sein. Ich wusste nicht viel über ihre Verbindung und es machte im Grunde nicht wirklich einen Unterschied, ob ich mehr darüber erfuhr oder nicht. Aber was würde passieren, wenn Tohru sich nicht mehr erholte? Spielte es eine Rolle, dass sie sich einvernehmlich für das Jutsu entschieden hatten? Oder würde Haruyoshi in den Zustand vor ihrer Verbindung zurückfallen? Der Wind drehte und das Schiff wendete mit röhrendem Motor, um den Rückweg einzuschlagen, sodass die mittlerweile kräftigen Regentropfen bis unter die Überdachung schlugen und in einem feinen Nebel mein Gesicht benetzten. Ich wischte abwesend darüber, beugte mich vor und zog ein Haargummi von meinem Handgelenk, um meine Haare in einem ungeordneten Knoten zu bändigen. Hinter mir öffnete sich erneut die Schleusentür und ich zog das Haargummi noch etwas enger, drehte es noch einmal bis es fest saß. Die Schritte konnte ich hören, aber die Berührung in meinem Nacken kam so unerwartet, dass ich zusammenzuckte und mich alarmiert mit dem Rücken zur Reling drehte. Sasuke hielt zwei gestapelte Becher in der Hand, die in der kühlen Luft dampften. Er ließ die freie Hand sinken, offenbar immer noch ebenso wenig daran gewöhnt, dass ich die Nähe anderer Menschen über ihr Chakra nicht mehr einschätzen konnte, wie ich. Er schluckte und senkte den Blick auf den Becher, den er mir entgegenhielt. Ich nahm ihn und spürte, wie die Wärme bis in meinen kalten Fingerspitzen vordrang. „Danke.” Sasuke nickte und stellte sich mit dem Blick auf das Wasser wieder neben mich. Er nahm einen Schluck von seinem Tee und ich tat es ihm nach. „Wann hast du es stechen lassen?” Ich drehte den Kopf zu ihm und fasste mit einer Hand in meinen Nacken, als könnte ich das Kunaitattoo dort ertasten. Ich hatte eine Weile nicht mehr daran gedacht. „Vor ein paar Monaten”, sagte ich langsam, schaute auf die Schiffswand und legte meine Hand um den Becher. „Kurz nachdem Itachi verbrannt wurde.” Ich wagte nicht, zu ihm zu blicken. „Genaugenommen auf dem Rückweg davon. Es ist nichts Besonderes. Nur…eine Art Kapitelabschluss.” „Es steht dir.” Er sagte nichts weiter, ließ mich kryptisch damit zurück. Ich trank aus meinem Becher, konnte noch immer seine Hand in meinem Nacken fühlen, warm, achtsam und weich. So viele Monate hatte ich mich nach einer solchen Berührung von ihm gesehnt und selbst jetzt reagierte ich darauf viel zu heftig. Ich dachte daran, was ich gestern zu ihm gesagt hatte - und senkte beschämt den Blick. „Wenn Naruto hier wäre…was würde er jetzt tun?” Wie aus weiter Ferne drangen Sasukes Worte nur langsam zu mir durch. Ich runzelte die Stirn und drehte den Kopf zu ihm. „Hier in Tea-Country? Er wäre im eiskalten Wasser, so viel ist sicher, und wahrscheinlich würde er sich danach mit einem Kind um seine Sandschaufel streiten.” Sasuke schaute mit einem nüchternen Gesichtsausdruck zu mir. „Und was tut er tatsächlich gerade?” Ich drehte mich wieder zur Reling und blickte in den stürmischen Regen. „Er geht Tsunade immer noch auf die Nerven, weil er nicht mitkommen durfte. Er macht sich Sorgen um uns.” „Ohne Zweifel.” Er klang nachdenklich, mit einem Hauch von Wehmut. Und ich fand holprig die Worte, die ich bereits gestern Abend hätte sagen sollen. „Ich habe es nicht so gemeint.” Ich musste mich zwingen, zur Seite zu sehen und stellte fest, dass er noch immer zu mir blickte. „Natürlich bist du nicht im Geringsten wie dein Bruder. Ich hätte das niemals sagen dürfen.” Aufmerksam suchte ich sein Gesicht ab, doch ich konnte seine Reaktion nicht lesen. Er richtete sich auf, trank von seinem Tee und sein Schweigen lastete schwer auf meinen Schultern. Ich schaute zu Boden, drehte angespannt den Becher im Kreis, aber dann legte er eine Hand federleicht an mein Kinn, als würde er sich sorgen, mich damit noch einmal aufzuschrecken, und hob meinen Kopf etwas an. Ich ließ ihn gewähren, sah zwischen seinen Augen hin und her, fürchtete, dass er mir diese furchtbaren Worte nicht vergeben konnte. Seine Hand wanderte, fuhr so warm und weich wie zuvor an meiner Wange entlang, strich mir ein paar Haarsträhnen hinter mein Ohr. „Ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast.” Seine Stimme war schwermütig. „Beantworte mir eine Frage, ja?” Ich musterte ihn - voller Fragen - und nickte einmal. „Was ich für dich tun kann…würdest du es für deine Eltern tun? Für Naruto, Ino…Kakashi?” „Du weißt, dass ich das würde.” Er sah einen langen Moment zur Seite und als er wieder meinem Blick begegnete, schluckte er hart und der Ausdruck in seinen dunklen Augen gab seine Zweifel preis. „Sogar für mich?” Darüber musste ich nicht nachdenken. „Natürlich.” Die Erleichterung und das Unverständnis kämpften in ihm. „Warum willst du mir dann nicht dasselbe Recht zugestehen?” Ich senkte den Blick, legte eine Hand an seine an meinem Gesicht und zog sie sachte herab. „Du übersiehst den wichtigen Teil…ich denke nicht, dass irgendjemand von allen, die du aufgezählt hast, mich das für sie oder ihn tun lassen würde.” Er schwieg und ich musste mich zunehmend gegen Erinnerungen wehren, die jetzt hier keinen Platz hatten. Seine unerwartete Sanftmut machte mir das, was ich sagen musste, nur noch schwerer. Ich suchte seinen Blick nach Antworten ab, strich über seinen Handrücken und ließ seine Hand los. „Ich werde dir das nicht antun.” Er griff nach meinem Handgelenk. „Du musst dich nur an den Gedanken gewöhnen, was es ist: Ein Weg aus diesem Horror, um das alles zu beenden.” Ich schüttelte sachte den Kopf. „Es gibt kein Ende, Sasuke. Auch nicht, wenn wir das Jutsu wiederholen.” Der Wind wurde stärker und schickte immer häufiger kalte Tropfen zu uns herüber. Das Rauschen der Wellen übertönte beinah unsere Stimmen. „Du musst dich damit abfinden”, sagte Sasuke dann. „Du kannst nicht ewig davor weglaufen.” Ich verengte den Blick und machte meine Hand frei. „Du bist der letzte, der das zu mir sagen darf. Glaubst du, ich erinnere mich nicht?” Es klang mehr wie ein Fauchen. „Glaubst du, ich weiß nicht mehr, was ich an diesem Tag getan habe? Wie es sich angefühlt hat?” Er sah ruhig zurück. „Das Problem ist nicht, dass du dich erinnerst. Das Problem ist, dass die Erinnerung dich beherrscht. Ich erinnere mich auch an jedes Detail dieses Tages. An das Blut meines Bruders an meinen Händen. An dein Gesicht, als du mich nicht mehr erkannt hast.” Er atmete aus und fuhr sich über die Stirn. „Itachi ist seit einem halben Jahr tot. Aber er ist immer noch hier. Jedes Mal, wenn du auf das Fluchmal schaust. Jedes Mal, wenn du glaubst, niemand sieht, was du fühlst.” Ich schaute zur Seite. „Sasuke.” „Du leidest und das wird mit jedem Tag schlimmer. Wir können etwas dagegen tun und das werden wir auch.” „Aber nicht so!” Wind, Wellen und Regen hatten nicht an Stärke abgenommen, aber meine Worte brachten eine andere Form der Stille über uns. Sasuke blickte mich an, als würde er plötzlich etwas verstehen, was ihm zuvor immer ein Rätsel gewesen war. Vielleicht erkannte er endlich, dass ich es ernst meinte. Aber was auch immer er sagen wollte, ging in einigen größeren Wellen unter, die die Schiffsseite und uns gleich mit erwischten. Ich verschüttete den Tee zur Hälfte auf meine Jacke und unsere Füße bekamen einen ganzen Schwall Wasser ab. Sekunden später folgte die Lautsprecherdurchsage des Kapitäns, der alle Passagiere anwies, ins Schiffsinnere zu gehen. Sasuke und ich tauschten einen langen Blick, offenbar noch lange nicht mit dieser Auseinandersetzung durch. Dann folgten wir der Aufforderung und gingen durch die Schleusentür. Willkommene Wärme schlug uns entgegen und muntere Gespräche kamen aus den Aufenthaltsräumen, die an den Gängen links und rechts von uns lagen. Wir schienen die letzten zu sein, die draußen verharrt hatten. Sasuke stellte seinen Tee ab und schälte sich aus seiner Weste, aber ich deutete knapp auf den Fleck auf meiner Jacke und ging in die Damentoilette, um zu retten, was zu retten war - aber vor allem, um etwas Abstand zu gewinnen. Ich warf den Pappbecher in den Mülleimer und zog die nasse Jacke aus. Leise fluchend ließ ich das Wasser laufen und versuchte den Fleck ohne viel Erfolg mit angefeuchteten Papiertüchern zu reduzieren. Ein flüchtiger Blick in den Spiegel zeigte mir eine aufgebrachte Frau mit Haaren, die zerzaust gegen ihre Bändigung ankämpften, und Augen, die im Kontrast zu ihrer blassen Haut geradezu unnatürlich grün wirkten. Ich hob die Hände, um ein paar Haare glatt zu streichen, dann entdeckte ich die roten Augen hinter mir und stieß mit einem unterdrückten Ausruf nach vorn gegen das Waschbecken, Jacke und Fleck vergessen. Dieses Mal gewann sofort der Instinkt zu fliehen. Ich griff nach der Jacke, riss die Tür auf und zog sie mit einem Knall hinter mir zu. Mit geschlossenen Augen blieb ich daran angelehnt stehen, versuchte, mich zu sammeln. „Bist du okay?” Ich schlug die Augen auf und entdeckte Sasuke an der gegenüberliegenden Wand. Er war seine Weste und den Tee losgeworden und konnte viel mehr sehen, als ich ihm zeigen wollte. Ich versuchte ein gelassenes Achselzucken. „Die Hotelreinigung bekommt den Fleck bestimmt wieder raus.” „65, 66. Kami sei Dank. Da sind Sie ja.” Ein junger Mann in Schiffsuniform blieb neben uns stehen und hakte etwas auf seinem Klemmbrett ab. „Scheußliches Wetter da draußen. Das hat uns völlig aus dem Nichts erwischt.” Er kratzte sich am Kopf und nickte zu einem der Gänge. „Für die Unannehmlichkeiten und die kürzere Fahrt gibt der Kapitän Getränke aus. Sie beide sehen aus, als ob sie welche vertragen könnten.” Ich brachte ein flüchtiges Lächeln und Nicken zustande, strich mir ein paar wirre Strähnen aus dem Gesicht und ging zu dem Jackenständer neben Sasuke, um meine Jacke aufzuhängen. Sasuke bedankte sich leise bei dem Mitarbeiter und dann verliefen sich dessen Schritte den Gang entlang im Tosen des Sturms. Zwischen allen anderen Mänteln und Jacken entdeckte ich Sasukes Weste und das erschien mir in diesem Moment auf banale Weise erdend. „Sakura.” In meinem Rücken spürte ich Sasukes Wärme und sein Ton war sanft. Vor mir schlug der Wind den Regen peitschend gegen die Schleusentür und das Schiff beugte sich mehr und mehr dem Wellengang. „Was ist los?” Ich rieb mir über die Schläfen, konnte einfach keinen Sinn daraus machen, dass ich Itachi immer öfter und nicht mehr nur im Hotel sah. „Hey.” Sasuke legte eine Hand auf meinen Rücken und ich spannte die Schultern an. „Deine Hände zittern.” Ich sah auf meine Hände und machte - erkennend, dass er Recht hatte - einen Schritt von ihm weg. „Ich weiß nicht, wie ich dich lesen soll, Sasuke.” Bemüht um einen klaren Kopf rieb ich mir über das Gesicht und drehte mich zu ihm um. Sasuke wartete. „Ich würde dir jederzeit mein Leben anvertrauen, immer, aber du wechselst dein Gesicht vollkommen unvorhersehbar. In der einen Minute bist du unnahbar wie zu der Zeit, als wir uns kennenlernten. In der nächsten so vertraut wie der beste Freund. Immer, wenn ich denke, wir haben die Grenzen ausgelotet, lässt du wieder alles verschwimmen und ich weiß nicht mehr, wo wir stehen.” Ich atmete aus. „Du willst das Mal vervollständigen? Wie sollte das gehen? Wie könnte das gehen, wo wir kaum im selben Raum sein, geschweige denn ein Gespräch führen können, ohne in Streit auszubrechen? Du bist derjenige, der gesagt hat, es könne nie wieder so sein wie vorher.” „Und wie könnte es das?” Sasuke ballte eine Faust, plötzlich unverhältnismäßig aufgebracht. „Sakura, ich habe Konoha nicht verlassen, weil du mir nicht genug bedeutet hast, um zu bleiben, sondern weil du mir so viel bedeutest, dass ich gegangen bin, obwohl ich lieber geblieben wäre. An meinen Gefühlen für dich hat sich nichts geändert. Aber sieh mich an.” Er hob die Hände und deutete auf sich. Ein paar Regentropfen perlten noch an seinem Gesicht herab, seine Haare fielen ihm tief in die Stirn und schneidende Verachtung stand in seinem Blick. „Schau dir mein Gesicht an - du kannst nicht abstreiten, dass du es siehst. Er wird immer da sein. Und wie könntest du jemanden wollen, der dich in all das gezwungen hat, weil er impulsiv und egoistisch gehandelt hat, wie ein kompletter Amateur?” „Was meinst du damit?” „Du bist besser dran, wenn du mich auf Abstand hältst und das kannst du, auch wenn ich dir helfe. Wir müssen uns nicht einmal oft sehen, wir-” Ich trat näher an ihn heran, brauchte diese Erklärung jetzt. „Sasuke. Was meinst du?” Er stoppte und ein geschlagener Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. Er ließ die Schultern sinken. „Alles wurde anders, als du in mein Zimmer im Krankenhaus kamst. Etwas stimmte mit dir nicht, also habe ich die Schwester dazu gebracht, mir von dem Mal zu erzählen. Und ich konnte es nicht ertragen.” Er schloss die Augen, so schmerzlich, dass es wehtat ihm dabei zuzusehen. „Ich wusste sofort, dass ich es nicht ertragen würde.” Seine Augen öffneten sich und er hielt meinen Blick. „Es wurde nur schlimmer, als ich es mit eigenen Augen sah. Und Tsunade…” Sein Kiefer spannte sich an. „Tsunade hatte keine Ahnung von dem Mal. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie rein gar nichts darüber, auch wenn sie alles tun würde, was in ihrer Macht stand. Aber wir hatten keine Zeit. Und ich wusste, dass es Folgen haben würde.” Er sah mich an, offen und so flehend, dass ich eine Hand blind nach der Wand ausstreckte, um mich daran abzustützen. „Mein Bruder hätte sich nicht um ein Fluchmal bemüht, wenn er damit keine Absicht verfolgt hätte. Und wir hatten gar nichts in der Hand. Ich war dir keine Hilfe. Niemand war dir eine Hilfe. Alles, was ich tun konnte, war auf die Suche zu gehen und zu versuchen, Anhaltspunkte zu finden, die alles aufklären würden. Wie sollte ich mich da von dir verabschieden?”   Worte hatten mich völlig verlassen. Sasuke kam ein paar Schritte zu mir, stützte eine Hand an der Wand neben meinem Kopf ab. Er schaute auf mich herab, als wäre er nicht hier, sondern zurück an dem Tag, an dem er diese Entscheidung gefällt hatte. „Wie hätte ich dir ins Gesicht sehen sollen, mit dem Gedanken, dass es das letzte Mal hätte sein können? All das hast du mir zu verdanken. Er ist wegen mir auf dich aufmerksam geworden. Er hat dich verletzt, weil er mich verletzen wollte. Er hat dir das angetan…,” Er deutete auf meinen Arm. „…um es mir anzutun.” Seine Augen waren rot umrandet, die Erschöpfung - die Schuld - standen riesengroß in seinem Blick. „Ich habe dein Todesurteil unterschrieben. Und ich kann nichts auch nur ansatzweise wiedergutmachen, wenn du dich weigerst, das Jutsu zu erneuern.” Und schließlich, mit nur ein paar Zentimetern zwischen uns und dem ächzenden Schiff um uns herum, das dem Sturm die Stirn bot, verstummte Sasuke. Er sah aus wie jemand, der sich gerade so sehr offenbart hatte, dass nur eine leere Hülle übrig bleiben konnte. Und er schaute mich an, als ob ich ihn jetzt jeden Moment verfluchen würde. Ich stolperte über meine Gedanken, griff nach Worten und konnte keine finden, die angemessen genug sein würden. Also legte ich beide Hände an seine Wangen und senkte meine Stimme auf ein Flüstern wild zusammengesuchter Ehrlichkeiten. „Ich hätte es sehen müssen. Aber das habe ich nicht. Verzeih mir, dass ich so blind war.” Vor meinen Augen verschwamm sein vertrautes Gesicht und als ich blinzelte, rollte eine Träne heiß meine Wange hinab. Er folgte ihr mit seinem Blick, wenn möglich dadurch noch tiefer verletzt, und ich hob eine Hand, um sie achtlos wegzuwischen und seinen Fokus zurückzuholen. „Es ist nicht deine Schuld. Es war niemals deine Schuld.” Das schwere Gewicht, das er mit dieser Erklärung von mir genommen hatte, konnte er vermutlich nie ganz verstehen. Er hatte mich nie im Stich gelassen, sein eigenes Wohl so weit zurückgestellt. Seit seiner Kindheit war Sasuke mit dem schweren Gewicht von Schuld vertraut und auch jetzt schulterte er eine Bürde, die nicht seine war. Ich legte eine Hand in seinen Nacken, zog ihn dichter und beugte mich zu seinem Ohr vor. Er roch nach Wind und Regen und etwas, das ganz Sasuke war. Der Wind heulte und das Schiff brachte uns ins Schwanken, aber ich hielt uns still. „Du hast den Ausweg gefunden. Es war nicht deine Aufgabe, aber du hast getan, was du konntest und es ist genug. Vergib dir selbst, Sasuke. Es gibt nichts, das ich dir vergeben müsste.” Die Muskeln in seinem Nacken waren angespannt, seine Schultern unbeweglich. Ich wich ein kleines Stück zurück, um in seine Augen sehen zu können, doch Sasuke wich meinem Blick aus. Ich neigte den Kopf zur Seite. „Du weißt, wie viel du mir bedeutest, ganz egal, was ich gesagt habe. Das hast du immer und das wirst du immer. Aber was du vorhast? Das ist Irrsinn. Du würdest mich das nicht für dich tun lassen. Und das mit Recht.” „Ich kann dich nicht sterben lassen.” Er hob den Kopf und blanke Verzweiflung zeichnete sich in seinem Gesicht ab. „Keine Versicherung von dir wird daran je etwas ändern. Lass mich dir helfen.” Ich lächelte bedauernd und zog meine Hand zurück. „Ich kann nicht, Sasuke.” „Sieh es als vorübergehende Lösung. Etwas, das uns Zeit gibt, Tests durchzuführen und zu recherchieren.” „Und wenn es nicht vorübergehend ist? Was, wenn uns diese Entscheidung ein Leben lang aneinander bindet und wir uns irgendwann dafür verabscheuen?” Er griff nach meinen Schultern und kam dicht heran. „Gottverdammt, Sakura, selbst dann werde ich an deiner Seite sein und dich beschützen und du wirst leben. Und vielleicht kann ich eines Tages in den Spiegel sehen, ohne ihn zerschlagen zu wollen.” Ich sah an ihm vorbei und entdeckte die warmen Lichter des Hafens, unwirklich verzogen durch die regennassen Fenster. „Wir sind fast da.” Müde drehte ich den Kopf zu ihm und musterte ihn einen langen Moment. „Es steht außer Frage, dass ich leben will, Sasuke, und dafür würde ich nahezu alles geben. Wirklich nahezu alles. Aber dein Leben gehört nicht dazu.” Seine Augen spiegelten seine Geschlagenheit wie ein spiegelglatter See das Mondlicht. „Du wirst dir niemals ein lebenswertes Leben aufbauen, wenn du dir nicht vergeben kannst.” „Wenn du stirbst, ist es meine Schuld.” Ich schüttelte einmal den Kopf, erkennend, dass er nicht davon abrücken würde, ganz gleich was ich tat, aber dennoch entschlossen, ihn zu überzeugen. „Das ist es nicht.” Ein frustrierter Laut kam über seine Lippen und er schüttelte mich. „Warum haben deine Hände gezittert? Was hast du gesehen?” Wie könnte ich das Unerklärliche erklären? Nichts hatte sich verändert - würde ich ihm von Itachi erzählen, wie könnte er nicht an meinem Verstand zweifeln? Wo ich doch selbst daran zweifelte? Er hätte keine andere Wahl, als mich überhaupt nicht mehr aus den Augen zu lassen. Und ich weigerte mich, auf diese Weise - eingesperrt und immer unter Beobachtung - zugrunde zu gehen. „Du bist ein guter Freund. Der beste und das werde ich nie wieder vergessen. Aber seit wir in dieses Leben eingestiegen sind, wussten wir immer, dass es sehr plötzlich enden könnte. Das hier ist hart - aber es ist nicht wirklich anders. Nur lang gezogener. Vielleicht ist das sogar ein Segen, im Vergleich zu dem Tod so vieler-” „Lass das. Du kannst es nicht schönreden.” Ich sah ihn einen langen Moment an und ein Lächeln wagte sich auf meine Mundwinkel. „Okay.” Ich beugte mich zu ihm vor und küsste seine Wange. „Holen wir unsere Sachen. Die anderen Fahrgäste werden gleich hier sein.” Ich machte einen Schritt zurück, brachte Abstand zwischen uns und drehte mich zu dem Fenster, durch das die Lichter des Hafens immer dichter kamen. Ich war gänzlich unvorbereitet darauf, dass er mich zurückzog, in meine Haare griff und mich küsste, als würde er mich verlieren, sobald er losließ, doch - wissend, dass es im Grunde so war - wurde ich weich in seinen Armen, als hätte mein Körper früh erkannt, was mein Verstand nicht gesehen hatte. Er festigte seinen Griff in meinen Haaren, legte die andere Hand an mein Gesicht. Seine Wangen waren kalt, seine Lippen warm und fordernd und eine wohlige Gänsehaut breitete sich rasend schnell über meinen gesamten Körper aus. Ich neigte meinen Kopf, zog ihn dichter und spürte seine feste Brust und jeden Muskel durch sein dünnes Shirt dicht an meinem eigenen. Zielsicher legte ich eine Hand auf sein Herz und fühlte es pochen, so schnell wie den Flügelschlag eines kleinen Vogels, als ich mit dem Rücken an die Wand stieß. Es endete so abrupt wie es angefangen hatte, mit Tränen, die stumm fielen. Ich schob ihn von mir, ohne Worte. Er zog mich noch einmal zurück, langsam, und ich weigerte mich, bis ich seine Lippen auf meiner Stirn fühlte. Als ich still hielt, tauschte er sie mit seiner eigenen Stirn, leicht außer Atem. „So wird es nicht für dich zu Ende gehen.” Ich musste lächerlich hart dagegen ankämpfen, ihm zuzustimmen und ihn wieder an mich zu ziehen. „Noch ist Zeit, Sakura. Ich werde dich überzeugen.” Dieses eine Mal nicht die Kraft findend, ihm zu widersprechen, lehnte ich meinen Kopf an seine Brust und er strich darüber, so wie man ein verängstigtes Kind trösten würde. Er hielt mich wie ein warmer Kokon, sicher, aufgehoben, wertgeschätzt. Und auch wenn ich wusste, dass das nicht anhalten konnte, ließ ich mich von ihm halten, bis wir von Bord gehen mussten. *** Nachdem wir zurück im Hotel angekommen waren und nachdem ich mich auf mein Zimmer zurückgezogen und eine heiße Dusche genommen hatte, um die Kälte des unbarmherzigen Regens zu vertreiben, lag ich wie ausgelaugt lange in meinem Bett und legte mir zurecht, was ich meinen Eltern sagen würde, sobald wir nach Konoha zurückkehrten. Aber alles, was ich hervorbrachte, war bitter oder heruntergespielt und überhaupt hatte ich Zweifel daran, auch nur eines dieser überlegten Worte hervorbringen zu können, sobald es Zeit dafür war. Weil ich so früh eingeschlafen war oder weil mein Kopf so voll war, wachte ich am nächsten Morgen schon sehr früh auf. Der Sturm hatte sich aufgelöst und mein Zimmer war nur trüb vom Licht der Morgendämmerung erhellt. Alles war ruhig und friedlich, von der Terrasse hörte ich keine Stimmen, nur das Wellenrauschen, und ich zog mir eine lange Wolljacke über, schlüpfte in meine Sandalen und machte mich auf den Weg durch das stille Hotel zum Strand. Der Sand war kühl und der lange Weg am Ufer entlang völlig verlassen. Ich ging nicht lange, nur so weit, dass ich nahezu außer Sichtweite des Hotels war, ließ mich in den Sand sinken, zog die Jacke enger um mich und sah auf das graue Meer hinaus, um meinen Gedanken zu lauschen, völlig unvoreingenommen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als ich Haruyoshi auf den Dünen entdeckte, heute selbst in einen warmen Wollmantel gehüllt. Er bahnte sich gemächlich seinen Weg zu mir, so als hätten wir uns hier verabredet. „Du bist eine Frühaufsteherin.” Er kam mit einem Lächeln vor mir zum Stehen und schaute in die Richtung des Hotels, das von hier kaum zu sehen war. „Weiß Sasuke, dass du hier bist?” „Ich habe es ihm nicht gesagt.” Ich zuckte mit einer Schulter, malte Kreise in den klammen Sand. „Aber er behält mein Chakra im Auge wie ein Falke. Ich bin mir sicher, er weiß wo ich bin.” Ich schaute nach vorn, hinaus auf das ruhige Meer und ließ mir die Haare aus dem Gesicht wehen. „Ich habe schon lange keinen Sonnenaufgang mehr gesehen.” Haruyoshi deutete auf den Platz neben mir und hob fragend die Augenbrauen. Ich nickte und er zog seine Schuhe aus und ließ sich neben mir in den Sand fallen. Das klare Wasser schwappte leise an den Strand, Vögel, die sich herwagten, wenn die Möwen nicht alles für sich einnahmen, zwitscherten und eine Weile nahmen wir die Einsamkeit um uns herum still, jeder für sich, auf. „Ich war nicht viel älter als du, als meine Frau und ich die Entscheidung trafen, uns mit dem Jutsu, das du unter dem Namen Kyoukai-ki-jun kennengelernt hast, aneinander zu binden.” Seine Bereitschaft, darüber zu sprechen, war im Licht unserer letzten Begegnung unerwartet. Ich drehte den Kopf zu ihm, aber er schaute weiter nach vorn, weit weg, in Erinnerungen versunken. „Warum?” Langsam kam die Sonne über den Horizont und färbte den graublauen Himmel orange. Haruyoshi zuckte mit einer Schulter, ohne mich anzusehen. „Wir waren jung und unwissend.” Ich wartete. Einer seiner Mundwinkel hob sich in einem zugestehenden Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. „Es ist schon lange her. Ich komme aus Tea-Country, wusstest du das?” Ich schüttelte leicht den Kopf. „Ich habe ursprünglich hier gelebt, bin hier aufgewachsen…und habe meine Frau kennengelernt.” Die Erinnerung ließ seine Augen warm leuchten. „Sie war eine unglaublich talentierte Medic-Nin. Sicher so gut wie deine berühmte Tsunade.” Er drehte den Kopf zu mir, mit lauter heiteren Falten um die Augen, aber ich wusste, wie diese Geschichte endete, und seine Trauer war immer dabei, wenn er über seine Frau sprach. Das Leuchten verblasste etwas und er senkte langsam den Blick. „Sie fiel im Kampf, während sie Zivilisten beschützte. Und sie hielt so lange die Stellung bis Hilfe kam und alle in Sicherheit gebracht werden konnten. Alle Zivilisten haben überlebt.” „Sie klingt wie jemand, den ich gern kennengelernt hätte.” Er brachte ein halbes Lächeln zustande. „Wir waren noch nicht allzu lange verheiratet, beide noch so jung, als unser Land angegriffen wurde. Dieser eine Tag, der uns zum Verhängnis wurde, war eine Folge dieses Angriffs, aber erst Jahre später. Sumiko war damals bereits eine Weile in einer Spezialeinheit, die unter anderem Jutsus wie das Kiyoukai-ki-jun entwickelte. Und es war noch nicht völlig ausgereift, aber die Tatsache, dass es einen Haufen Vorteile mit sich brachte, die im Kampf über Sieg oder Niederlage entscheiden würden können, machte es unbezahlbar für unsere Zwecke. Mehrere Versuche hatten gute Ergebnisse geliefert. Und als die Zeit drängte, erklärte sich Sumiko bereit, es zu testen." Ich lauschte seinen Worten mit Bewunderung für diese Frau und obgleich ich sie niemals getroffen hatte, fühlte ich Mitleid für ihr trauriges Ende und Haruyoshis Einsamkeit. „Sie stellte immer das Wohl der anderen an erste Stelle und dachte dann erst an sich selbst. Manchmal vergaß sie sogar zu essen, wenn man sie nicht daran erinnerte, so sehr widmete sie sich ihren Patienten. Ich war nicht immer glücklich damit und schon gar nicht, als sie sich freiwillig meldete.” Er schüttelte langsam den Kopf. „Aber sie ließ sich nicht davon abbringen. Und eines wusste sie dabei ganz genau.” Haruyoshi senkte die Stimme und ich musterte ihn mit einer bitteren Ahnung. „Sie wollte mich nicht den Gegenpart übernehmen lassen.” Ich seufzte leise und sah hinaus auf das Meer. Die Sonne schaute über weit entfernte Wellen und brachte das Wasser zum Glitzern. „Wie hast du sie vom Gegenteil überzeugt?” Ich drehte den Kopf zu ihm. „Wie hast du ihre Meinung geändert?” Er schien erneut tief in seinen Erinnerungen, als er antwortete. „Dazu hätte ich sie nie gebracht. Stattdessen habe ich mein Blut mit dem des zweiten Freiwilligen ausgetauscht.” „Wie hat sie es aufgenommen?” Haruyoshi lachte leise. „Sie hätte mir den Kopf abgerissen, wenn sie sich damit nicht ins eigene Fleisch geschnitten hätte.” Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Das klang in der Tat wie Tsunade. „Aber schließlich hat sie sich wieder beruhigt. Und wir haben gemeinsam gekämpft und mit einigen anderen, die ebenfalls mit dem Jutsu aneinander gebunden waren, den entscheidenden Vorteil erringen können. Unser Dorf hat nur wenige Verluste erlitten.” Das unausgesprochene 'Alles war gut.' hinterließ ein trauriges Echo. „Also bist du selbst ein Shinobi.” Ich musterte ihn von der Seite. „Das habe ich mir gedacht.” Seine Augen blitzten, als er mir den Kopf zuwandte. „Was hat mich verraten?” „Abgesehen von deinem ganzen Detailwissen? Deine Hände.” Ich nickte darauf. „Sie sind ruhig und präzise, beinah wie die eines Arztes. Aber gleichzeitig sind sie rau an all den richtigen Stellen, die zu Kunais und Shuriken passen.” Er nickte mir anerkennend zu, bevor er seufzte und wieder nach vorn blickte. „Ich habe dieses alte Leben hinter mir gelassen, nur ein paar Monate, nachdem meine Frau gestorben war.” Ich betrachtete ihn mit einem bisher nicht empfundenen Verständnis und einer neuen Ehrfurcht, fragte mich, wie er es überstanden hatte, seine Frau zu verlieren und gleichzeitig mit den Folgen des Jutsus zu kämpfen. „Wie kam es dazu, dass Tohru dir geholfen hat?” „Ich wurde sehr schwer verwundet, als meine Frau starb, Sakura. Ich lag im Sterben, als Tohru mir eine Blutspende gab, direkt im Einsatz, auf einem matschigen Waldweg. Er hat dieselbe Blutgruppe wie ich und er tat damit unwissend das, was auch dir und Sasuke auf der Lichtung widerfahren ist. Wir beide hatten nur eine dunkle Ahnung, was das bedeutete. Dass Sumiko in diesem Moment…” Er unterbrach sich für ein paar Sekunden und rang um seine Fassung. Er musste sich ein paar Mal räuspern, bevor er weitersprechen konnte. „Tohru war noch stärker an der Entwicklung des Jutsus beteiligt gewesen als ich.” Ich konnte meinen Schock darüber nicht verbergen und als Haruyoshi mir einen Seitenblick zuwarf, konnte er mir das ansehen. „Er hat damit aufgehört, lange bevor es das erste Mal ausprobiert wurde, aber als ich in den kommenden Wochen schwächer und schwächer wurde, ahnte er, was der Grund sein könnte. Er hat Monate damit verbracht, eine Umkehrung zu suchen, um mich zu retten. Und das tat er. Er rettete mich, aber zu einem teuren Preis. Als uns bewusst wurde, dass er das Jutsu nicht lösen konnte, ohne mich erneut derselben Gefahr auszusetzen, entschieden wir beide, unter allen Umständen kinderlos zu bleiben.” „Wie…” Ich zögerte. „Wie alt ist er jetzt?” Die aufgehende Sonne legte ein sanftes Leuchten über ihn, dass seine ohnehin schon freundlichen Gesichtszüge noch weicher machte. „Er wird in diesem Jahr 86.” Bevor ich fragen konnte, schüttelte er den Kopf. „Und wir haben keine weiteren Verwandten. Es gibt nur noch ihn und mich.” Als ich verstand, war ich erstaunt darüber, wie betroffen ich war. Ich schaute nach vorn, blinzelte ein paar Mal und sah dabei zu, wie die Sonne den Himmel weiter erhellte. „Du musst kein Mitleid mit mir haben, Sakura. Meine Frau und ich haben es damals selbst so gewollt. Ihr Vater hat mir freiwillig geholfen. Und ich habe immer mein Bestes gegeben, ihn zu schützen. Sein hohes Alter ist sicherlich ein Zeichen dafür, wie gut wir beide uns angestellt haben.” „Wie alt bist du, Haruyoshi?” Er lachte auf, doch sein Lachen endete in einem Husten, als hätte er sich schlimm verschluckt. „In meinen besten Jahren, Sakura. Ich habe ein sehr erfülltes Leben hinter mir.” Er sprach so freundlich mit mir wie ein tröstender Großvater. Als würde er nicht in einer sehr ähnlichen Situation stecken wie ich. Wie viele Jahre mochten Tohru noch bleiben? Und so plötzlich war sie da, die Erkenntnis, dass Haruyoshi noch schlimmer dran war als ich. „Wo ist Tohru?” Haruyoshi rieb sich über den Mund und wandte sich ab. „Wo ist er?” „In unserem Zimmer. Er ist sehr erschöpft, also habe ich einen Arzt kommen lassen.” Ich war aufgesprungen, bevor er meine Absicht realisieren konnte und auch als er mir hinterher rief, ließ ich mich nicht aufhalten. „Sakura, komm zurück!” Als ich an Tohrus Zimmertür klopfte und eintrat, war der Arzt noch dort. Er warf mir einen mitfühlenden Blick zu, als er seine Sachen packte und während er an mir vorbeiging konnte ich nur erstarrt dabei zusehen. „Sakura.” Tohru lag in seinem Bett, schwach, müde, mit einem freundlichen Blick für mich. Seine dunklen Augen durchschauten meine Absicht hier. „Also hat er es dir gesagt. Das ist gut. Ich hatte ein schlechtes Gefühl dabei…so lange zu warten.” „Ich…” Mir schwammen alle Felle weg. „Ich werde mein Bestes geben, noch eine Weile durchzuhalten.” Zwei Tränen rollten meine Wangen hinab, bevor ich mich fangen konnte. Ich war völlig haltlos und zugleich unbeweglich gemacht. „Fass ihn nicht an, Sakura, hörst du mich?!” Haruyoshi stürmte ins Zimmer, außer Atem und hustend und ich drehte mich zu ihm um, mit wachsendem Grauen in den geweiteten Augen. „Sie hat nichts getan, Haruyoshi. Setz dich einen Moment.” Sie tauschten einen langen Blick. „Gleich, Tohru. Sakura, komm einen Moment auf den Flur, ja?” Ich folgte seiner Bitte wie eine Marionette, blieb betäubt im Flur stehen, als er die Tür zu Tohrus und seinem Zimmer schloss. „Dein Husten”, kam es tonlos über meine Lippen. „Wenn er dich gerettet hat…” Haruyoshi senkte den Kopf. „Dann wirst du…” Ohne Tohru konnte Haruyoshi nicht überleben. Und allem Anschein nach hatte Tohru nicht mehr als ein paar Tage. Ich wandte mich ab, legte eine Hand vor den Mund. „Ich muss ihn untersuchen.” Haruyoshi legte eine Hand auf mein Schlüsselbein, bevor ich an ihm vorbeigehen konnte. „Es hat sich nichts geändert. Du kannst ihn nicht untersuchen.” „Was soll das, Haruyoshi? Was soll jetzt noch passieren? Er ist furchtbar krank!” Ich deutete auf die Zimmertür. Er legte eine Hand auf meinen Arm und zog ihn herab. „Dein Fluchmal ist unvollendet. Es geht um das, was dir passieren könnte.” „Könnte.” „Dieses Risiko werden wir nicht eingehen.” „Dann holen wir einen anderen Medic! Es ist ja nicht so, als gäbe es in Tea-Country keine.” „Glaubst du, ich hätte nicht alles getan, was möglich ist?” Kurz flammte seine eigene Aufgebrachtheit auf, aber ebenso schnell war dieser Moment wieder vorbei. „Du und deine Kollegen sind in der Lage, wundervolle Dinge zu vollbringen, Sakura. Und wir haben um diese Wunder gebeten. Aber kein Medic der Welt kann den Tod für immer bekämpfen, nicht einmal du oder deine Hokage. Tohru weiß das. Wir haben das akzeptiert. Und das musst du auch.” Ich wich seinem Blick aus, schluckte hart, wollte nicht hinnehmen, dass es keinen Ausweg gab. Haruyoshi neigte verständnisvoll den Kopf. „Er ist alt, Sakura. Er ist alt und er ist sehr krank. Er braucht keine Heilung. Er muss Frieden finden. Und das werden wir ihm gewähren.” Ich biss mir auf die Lippe, weigerte mich, ihn wieder anzusehen. „Über vierzig schöne Jahre, Sakura. Er hat mir ein Geschenk gemacht, das ich nie zurückgeben kann.” Er räusperte seine belegte Stimme. „Ich habe weniger Zeit als erhofft, um dir und Sasuke alles beizubringen, was ich weiß.” Ich sah langsam zu ihm auf und er lächelte mild. „Wenn es einen anderen Weg geben würde, ich denke, wir hätten ihn gefunden. Wir hatten so viele Jahre der Forschung. Jetzt bleibt mir nur noch eines zu tun…eine starrköpfige Kunoichi davon zu überzeugen, dass sie ihre Sinne beisammen nehmen und in den sauren Apfel beißen muss. Es ist nicht fair, dass dir so etwas angetan wurde.” „Wie kann irgendetwas von dem, was hier passiert, fair sein?” Er hob eine Schulter. „Ich habe mich selbst dafür entschieden. Du hattest keine Wahl. Aber du hast sie jetzt. Und du hast alles, was du brauchst, um dich zu entscheiden.” Er drückte meine Hand. „Sasuke ist deine Rettung, Mädchen. Du willst, dass er lebt und du willst sein Leben nicht dadurch riskieren, dass er es in deine Hände legt. Das respektiere ich.” Er wartete einen Moment. „Aber Sakura, es ist nicht anders für ihn. Er will, dass du lebst. Und er ist zu allem bereit, um dein Leben zu retten.” Ich hielt seinen Blick für einen langen Moment. „Ich möchte mit Tohru sprechen.” Haruyoshi zog langsam seine Hand zurück und nickte zur Tür. „Lass dir Zeit.” *** Die schonungslose Wahrheit über Haruyoshis und Tohrus Schicksal zu erfahren, hatte mich unerwartet hart getroffen. Ich saß eine Weile bei Tohru, ließ mir von seiner Vergangenheit und seinem Opfer für Haruyoshi erzählen und als er zu müde wurde, sagte er mir noch, dass das Forschungszentrum, in dem er damals gearbeitet hatte, schon sehr lange Zeit nicht mehr existierte und dass damals in einem der Angriffe auf Haruyoshis Dorf alle Unterlagen vernichtet worden waren. Er schien diesen Umstand nicht wirklich zu bedauern, wenn überhaupt schien er eine grimmige Zufriedenheit daraus zu ziehen, dass das Jutsu, an dem Haruyoshi und er damals gearbeitet hatten, heute nur noch sehr wenigen Menschen bekannt sein durfte und mit der Zeit aussterben würde. Als ich sein Zimmer verließ, tat ich das mit einer dunklen Niedergeschlagenheit. Ich zog mir in meinem Zimmer meinen Badeanzug und ein paar andere Sachen an und ging zum Strand, um daran entlang zu laufen. Ich hatte in den letzten Tagen etwas mehr Chakra gewonnen und hielt eine Weile durch, fest entschlossen, für ein paar Minuten an nichts zu denken, außer an den nächsten gesetzten Schritt. Kurzentschlossen warf ich meine Kleidung ab, stürzte mich ins eisige Meer und schwamm so lange, bis ich mich kaum noch über Wasser halten konnte und meine Fingerspitzen schrumpelig und blau wurden. Als ich zurück zum Hotel kam, war ich vollkommen erschöpft, aber auf eine gute, betäubte Weise. Ich bestellte mir auf der Terrasse etwas zu essen, trocknete in der Sonne und kehrte dann in mein Zimmer zurück. Es war nur einen Tag her, dass ich Itachi zuletzt gesehen hatte und seitdem ging ich nirgendwohin, ohne mindestens ein Kunai dabei zu haben. Ich nahm sogar eines mit in die Dusche, nur um sicher zu gehen und wieder ein Gefühl von Kontrolle zurück zu bekommen - die Angst in Schach zu halten. Am frühen Abend stand Haruyoshi mit Tohru vor meiner Tür. Der Anblick des alten, würdevollen Mannes schnürte mir die Kehle zu und als Sasuke aus seinem Zimmer direkt nebenan kam, begleitete ich sie in die Lobby, um dort zu essen. Draußen peitschten die Wellen um die Felsen und die Gäste um uns herum unterhielten sich gedämpft, was die immer wiederkehrende tiefe Stille an unserem Tisch hervorhob. Sasuke hatte den ganzen Abend beinah nichts gesagt, Tohru konnte kaum etwas essen und auch Haruyoshi starrte immer wieder ins Leere. Ich ließ mir von ihm und Tohru erzählen, wie sie jeweils ihre Frauen kennengelernt hatten, aber die Heiterkeit, die sich dabei auf ihre Gesichter legte, verschwand mit ihren letzten Worten dazu ebenso schnell, wie sie gekommen war. Es dauerte nicht lange, bis Sasuke genug davon hatte und wortlos den Tisch verließ - vielleicht zu sehr mit dem Gedanken vor Augen, dass Haruyoshi und Tohru eine unserer Zukunftsmöglichkeiten spiegelten. Ich blieb nicht allzu viel länger, immer mit einem sorgenvollen Blick auf Tohru, der sich vor unseren Augen unaufhaltbar aufzulösen schien. Er wirkte kraftlos und zerbrechlich und wurde zweimal von Hustenanfällen geschüttelt, während derer ich die Fäuste ballen musste, um nicht einzugreifen. So verhalten das ganze Abendessen abgelaufen war, so verhalten verabschiedete ich mich schließlich auch von Haruyoshi und Tohru, mit dem Versprechen, ihnen morgen dabei zu helfen, ihre Freunde zu kontaktieren. Wieder lag ich lange in meinem Bett und starrte an die dunkle Decke, wünschte mir, etwas für die beiden tun zu können und wusste doch, dass Haruyoshi das nicht zulassen würde. Ich fühlte mich sehr klein und machtlos und mit diesen untröstlichen Gedanken driftete ich irgendwann in einen ruhelosen Schlaf. *** Als ich die Augen wieder öffnete, war es dunkel - und etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Ich richtete mich auf, die Decke rutschte von meiner Brust und ich suchte die Dunkelheit danach ab, was mich geweckt haben musste. Nur ein Strahl silbrigen Mondlichts, der durch die Balkontür fiel, erhellte das Zimmer. Meine Finger suchten nach kaltem Metall auf der Matratze. Ich war mit einem Kunai in der Hand eingeschlafen, doch jetzt waren meine Hände leer. Ich zog die Decke von mir, strich hastig auf der Matratze entlang… Und dann spuckte die Nacht ihn aus, dieses Mal ohne seinen Akatsukimantel und in ein enges schwarzes Shirt gekleidet. Alle Muskeln meines Körpers spannten sich an, bereit aufzuspringen, doch er kam mir zuvor, presste seine Hand - wieder in einem Handschuh - gegen meine Proteste auf meinen Mund, setzte seine Knie links und rechts von mir auf dem Bett ab und beugte sich zu mir vor. „Shh, shh, shh, shh, shh…” Ich starrte hoch in sein Gesicht, das halb im Schatten lag, die Augen schockiert geweitet und zerrte an seinem Griff, krallte mich in seine Unterarme, holte viel zu langsam auf, noch halb benommen. Itachi ließ seinen Blick von meinen nackten Füßen über meine Shorts und das dunkle Top zu meinem Gesicht schweifen, bis sich eine Gänsehaut des Grauens über mich legte. Dann streckte er seine rechte Hand aus und seine Handschuhe waren kalt, als er damit ungestört von meinen Verteidigungsversuchen, meinem Kratzen und Schlagen über meine Beine fuhr, meine Hüfte, meine Schultern und meinen Hals berührte. Ich schluckte hart, folgte seiner Hand mit meinem Blick bis sie unter meinem Kinn verschwand und sich in mein Haar legte, um eine Haarsträhne lang zu ziehen und dann achtlos fallen zu lassen. Etwas war anders. Er lächelte nicht selbstzufrieden, verschwendete kaum Zeit, um mich zu verhöhnen und mir bösartige Worte ins Ohr zu wispern. Er hatte eine feste Absicht und seine Entschlossenheit schickte kalte Wellen der Angst durch meine Adern. Itachi sah von meinem Zerren auf und spottete. „Also Sakura…gestehe ich dir immer noch zu viel Wert zu, was meinen Bruder angeht? Oder küsst er andere Frauen regelmäßig so wie dich?” Mit seiner freien Hand zog er ein Kunai hervor - mein Kunai, das im silbrigen Mondlicht aufblitzte - und schnitt damit von meinem Ausschnitt an das Top auseinander, unbeeindruckt von meinem frustrierten Aufheulen, das seine Hand, die immer noch auf meinem Mund lag, dämpfte. Er warf das Kunai achtlos beiseite, als wäre mein Widerstand nicht mehr als eine Fliege, die ihn belästigte, und er ließ sich Zeit - beugte sich mit einem Lächeln vor, berührte mein Schlüsselbein mit seinen Lippen und arbeitete sich dann langsam zwischen meinen Brüsten herab. Panik schoss durch meinen Körper. Ich drehte den Kopf hin und her, wand mich unter seinem Gewicht, bis ich seine Hand genug verschoben hatte, um kräftig hinein zu beißen. Aber statt das Gesicht zu verziehen und von mir abzulassen, hob er die Augenbrauen, bestens unterhalten. Er zog die Hand zurück, von seinem Handschuh ausreichend geschützt. Ich schnappte nach Luft und spuckte ihn an. „Feigling!” Er wischte unbeteiligt über seine Wange und und strich spöttisch über meinen Hals. Ich setzte zu einem Schrei an. „Sas-!” Der Spott verließ seinen Gesichtsausdruck mit einem Schlag, als er seine Hand wieder auf meinen Mund presste. „Drei sind einer zu viel, Sakura. Lass uns nicht meinen Bruder behelligen. Bedenke: Wie sollte er dir dann noch ins Gesicht sehen können?” Meine Augen weiteten sich schockiert. Er hatte wirklich alles verfolgt, was auf dem Schiff passiert war. Und das, während ich mich in vager Sicherheit gewähnt hatte. Ich warf einen verzweifelten Blick auf meine Zimmertür. Sasuke konnte mich unmöglich gehört haben. Itachi drehte mein Kinn zu sich, verharrte mit abscheulich funkelnden Augen dicht vor meinem Gesicht. „Er würde zerbrechen, wenn er dich so sehen könnte, Sakura. So vor mir ausgebreitet wie ei-” Gleißende Wut überschwemmte mich. Meine geduldig aufgezogene Chakramenge war gering, aber bereit, als ich sie ohne Zurückhaltung an mich riss und ihn von mir stieß. Mit einer Hand griff ich nach dem Kunai, das er fallen gelassen hatte, sprang auf und schubste ihn gegen die gegenüberliegende Wand, sodass ein paar weitere Bilderrahmen herabfielen und klirrend zerbrachen. Seine Augen glänzten herausfordernd in der Dunkelheit und Adrenalin jagte mit jedem gehetzten Herzschlag durch meinen Körper, berauschte mich mit dem Verlangen nach Rache, bis ich mit dem Kunai ausholte und er seinen Kopf im letzten Moment zurückzog. Und für ein paar fatale Sekunden war ich blind vor Hass, drehte das Kunai in meiner Hand und rammte es mit schonungsloser Befriedigung in seine Schulter, ohne einen Gedanken an die möglichen Folgen zu verschwenden. Alles kam zu einem unnatürlichen Stillstand. Unsere Blicke trafen sich und mein Blick folgte dem Blut, das in einem dünnen Rinnsal aus dem feinen Schnitt auf seiner Wange herablief. Er wartete auf etwas. Ich sah irritiert an ihm herab, doch bevor ich das Kunai in seiner Schulter überprüfen konnte, spürte ich etwas Warmes und Dickflüssiges auf meiner eigenen Wange. Verständnislos blickte ich wieder in seine Augen und entdeckte unverhüllten Triumph. Er beugte sich zu mir vor, stoppte mit den Lippen dicht vor meinem Ohr. „Sieh und lerne, Sakura.” Der heiße Schmerz in meiner Schulter kam aus dem Nichts und ließ mich beinah in die Knie gehen. Ich unterdrückte einen gequälten Aufschrei und stolperte von Itachi zurück, eine Hand auf meine Schulter gepresst. Sie spiegelte Itachis Schulter und er hob eine Hand, ohne seinen Blick von mir zu nehmen, und zog das Kunai aus seinem Fleisch. Es stellte ihn zufrieden, zu sehen wie mich der dazu passende scharfe Schmerz ohne Einbuße überrollte, als würde etwas aus meiner eigenen Schulter gezogen werden. Dieses Mal gab ich einen wilden Schmerzenslaut von mir und fiel auf meine Knie, die Hand gegen die plötzliche Blutung gepresst. Ich sah von meinem Platz am Boden zu ihm hoch, atmete hart gegen den Schmerz. „Und du vergisst es besser nicht wieder.” Wie so oft zuvor, verblasste Itachi und mit seinem Verschwinden schlug Sasuke meine Tür auf. „Sakura.” Aus dem Augenwinkel sah ich ihn einen Augenblick im Türrahmen stehen, dann kam er näher, so langsam wie man sich einem verschreckten, verletzten Tier nähert. Ich starrte auf die leere Wand, vor der Itachi gerade gestanden hatte, biss die Zähne zusammen und neigte mich schließlich doch vor Schmerz grollend nach vorn. „Gottverdammt!” Schock und Unglauben kämpften in mir um Gehör, als ich die Hand von meiner Schulter hob, um meine Verletzung sehen zu können. Das Blut floss beständig aus dem sauberen Schnitt und tropfte auf den hellen Teppich. Sasuke kniete plötzlich vor mir. Seltsam losgelöst sah ich dabei zu, wie er mein zerschnittenes Top, das Blut auf meiner Wange und der Schulter zur Kenntnis nahm. „Was ist passiert?” Ich zog die Reste des Tops von meinen Schultern, unbeholfen, weil mein rechter Arm nahezu unnütz war und Sasuke lehnte sich eilig vor und zog es für mich herunter, bemüht meinen Blick zu fangen. „Sakura. Ist noch jemand hier?” Ich schüttelte den Kopf, presste die Stoffreste des Tops mit einem Zischen auf meine Wunde. „Ich muss das reinigen.” Schweigen antwortete mir, doch Sasuke half mir auf und führte mich ins Badezimmer. Als er das Licht anschaltete, zuckte ich geblendet zurück und er verzog das Gesicht. Aber er ließ es an und ging sicher, dass ich mit einer Hand auf dem Waschbeckenrand abgestützt war, bevor er das Wasser laufen ließ und ein Handtuch darunter durchnässte. „Kannst du stehen?” Ich nickte und nahm ihm das Handtuch ab, um über meine Haut zu wischen und es auf meine Wunde zu drücken. „Ich hole etwas zum Verbinden.” Als er zurückkam, hatte die Blutung etwas nachgelassen. In einem Arm hielt er eines meiner Tops und er trug einen Stuhl für mich, drückte mich darauf und brachte mich dazu, das Handtuch sinken zu lassen. „Wie ist das passiert?” Unter meinen Fluchen und kaum zurückgehaltenen Schmerzenslauten betupfte er die Wunde mit Alkohol. „Sakura.” Ich biss die Zähne zusammen und weigerte mich, zu antworten. Verhalten warf er die gebrauchte Watte ins Waschbecken und griff nach den Verbänden. „Hast du genug Chakra, um dich zu heilen?” Ich starrte auf den wütenden Einstich und schüttelte leicht den Kopf. „Ich kann den Schaden nur begrenzen.” Ich sah, dass er nickte, doch lange konnte ich seinen Blick nicht halten. Meine Erste-Hilfe-Versuche, kläglich im Vergleich zu dem, was ich vor nicht allzu langer Zeit hätte tun können, verlangten mir viel ab - so viel, dass mir die Augen zufielen, als ich damit fertig war. „Noch einen Moment. Dann kannst du ausruhen.” Ich blinzelte sie wieder auf, fixiert auf Sasukes sanfte Stimme. Er stellte sich hinter mich, sodass ich im Spiegel seine Augen sehen konnte - wieder gerötet durch zu wenig Schlaf, mit dunklen Ringen darunter, die Zeichen von tiefer Erschöpfung waren. Wir sahen einander beinah ähnlich.   Er senkte den Blick, als er meinen BH öffnete und von den Schultern streifte. Ich führte wie unbeteiligt seine Hand, als er Verbandsmaterial auf meine Schulter drückte und stand auf, damit er einen Verband mehrfach fest um meine Brust wickeln konnte. Mit leerem Blick schaute ich nach vorn bis er damit fertig war und mich wieder ansah und ließ mir das Top, das er gebracht hatte, über den Kopf ziehen. Er rieb das Blut von meiner Wange, desinfizierte den Schnitt, aber ich bemerkte das Stechen kaum. Auf dem Weg zu meinem Bett schwankte ich so sehr, dass er mich beinah tragen musste. Kurz davor brandete die Erinnerung an das Genjutsu und Itachi in mir auf und ich stemmte mich gegen Sasukes Griff. „Hey.” Ich schüttelte hart den Kopf. „Sakura. Es ist okay.” „Nein-” Er umfasste mein Gesicht mit beiden Händen, versuchte Blickkontakt herzustellen. „Du bist sicher.” „Nirgends”, hörte ich mich zu ihm sagen, von ganz weit weg. „Ich bin hier. Ich werde die ganze Zeit hier sein.” Und ich würde an keinem Ort der Welt vor Itachi sicher sein. Sasuke beugte sich noch einmal vor, bis er auf meiner Augenhöhe war. „Was ist passiert?” „Ich…” Ein gutturaler Laut kam über meine Lippen. „Ich kann es nicht erklären. Ich weiß nicht wie.” Ich setzte zu einem neuen Versuch an und wurde von tiefem, unmenschlichem Schluchzen geschüttelt - dem Wahnsinn sehr nah. „Shh, Sakura.” Er zog mich an sich und ich lehnte zitternd den Kopf an seine Schulter, haltlos auf der Suche nach einem Anker. „Schon okay. Du bist nicht allein.” Dunkel nahm ich wahr, dass er tröstend über meine Arme fuhr, Haarsträhnen aus meinem Gesicht wischte, meine Stirn küsste. Itachi würde mich überall finden. Und er würde meine restliche Zeit zur Hölle auf Erden machen. Sasuke sagte noch etwas, aber es kam nicht bei mir an. „Er wird wiederkommen, Sasuke. Es hört niemals auf.” Meine Stimme klang gebrochen. Er atmete schwer aus, strich sanft über meinen Kopf. „Ich lasse es aufhören.” Er hob mein Kinn noch einmal an, ich sah in seine roten Augen - und in einem sanften Ausatmen fiel erlösende Dunkelheit über mir zusammen. *** Ich war nicht allein. Alarmiert durch diesen untrüglichen Instinkt, schreckte ich aus dem Schlaf und dachte nicht, sondern reagierte. Ich schlug die Augen auf, schnellte zur Seite und bevor ich mich versah, hatte ich meine Hände um den Hals der Person unter mir gelegt, bereit zuzudrücken. Dunkelheit machte das Orientieren schwierig und es dauerte ein paar Sekunden, in denen mein Herz in meiner Brust hämmerte, bevor ich erkannte, dass Sasuke unter mir lag und meinen Blick gespenstisch ruhig hielt, ohne sich zu bewegen. Ich starrte ihn an. „Ich hätte dich ersticken können, bevor du geblinzelt hättest.” „Aber das hast du nicht.” Seine Stimme war rau. Ich zog meine Hände zurück, von ihrer Gewaltbereitschaft befremdet und rieb mir über die Stirn. Er hatte sich nicht gewehrt, nicht einmal ansatzweise. Ich blickte in seine glänzenden Kohleaugen und hatte das vage Gefühl, dass er seinem Leben nur sehr wenig Wert beimaß. Der Gedanke hinterließ in mir eine tiefe Traurigkeit, wie ein Stein, der im Wasser zielsicher bis zum Grund sinkt. „Ist es immer so schlimm für dich? Wachst du immer so auf?” Ich zog mein Bein von seiner linken Seite zurück, sank neben ihm auf das Bett und sah flüchtig durch den schattigen Raum. Nicht viel Mondlicht schaffte es durch die Vorhänge. „Wo bin ich?” „In meinem Zimmer.” „Wie lange ist es her, dass du…?” „Nur ein paar Stunden.” Er richtete sich auf und drehte den Kopf zu dem Wecker auf seinem Nachttisch. „Es ist erst halb vier.” Ich ließ den Kopf in meine Hände sinken und atmete aus. Die Verletzung in meiner Schulter pochte dumpf und ich verzog kurz das Gesicht. „Wer hat dich verletzt, Sakura?” Ich schaute nicht hoch. „Ich dachte, er würde irgendwann verschwinden. Ich dachte, es würde aufhören. Stattdessen ist es nur schlimmer geworden und er kam immer wieder.” „Wer?” Ich rieb mit der linken Hand über das Fluchmal, das sich in diesen Lichtverhältnissen kaum von meiner hellen Haut abhob. Es sah aus wie immer. „Ich habe das Kunai in seine Schulter gestochen - und es war, als wäre es meine Schulter gewesen.” Sasuke stellte keine Fragen mehr, konnte mir nicht folgen und wie sollte er auch? Ich hob den Kopf und schaute zu ihm. „Ich sehe Itachi, Sasuke. Seit ich im Wald zusammengebrochen bin, beinah jeden verdammten Tag.” Er senkte den Blick, leckte sich über die Lippen. Sein Schweigen ließ mir reichlich Raum, um mir auszumalen, was er denken musste. Wie sollte er mich jetzt noch ernst nehmen? Ich war mir selbst nicht sicher, was mit mir geschah. „Warum hast du nichts gesagt?” Ich wich nach hinten aus. „Warum habe ich nichts gesagt? Das ist alles in meinem Kopf.” Er schaute auf und deutete auf meine Schulter. „Und das? Ist das auch in deinem Kopf? Der Schnitt auf deiner Wange, völlig erfunden?” „Ich kann es nicht erklären. Aber mit jedem Auftauchen ist er zu mehr in der Lage.” „In welcher Form siehst du ihn?” Ich atmete schwer aus. Ihm nach dieser Offenbarung noch die Details zu geben, konnte kaum etwas schlimmer machen. Die Tatsache, dass wir von Schatten umgeben waren, machte das Reden einfacher. „Er - diese Form von ihm, was auch immer ich sehe - erscheint einfach. Aus dem Nichts. Am Anfang war er mehr oder weniger durchlässig. Ich konnte ihn nicht anfassen, nur sehen und hören. Aber mittlerweile…” Ich schloss die Augen und atmete hart aus. „Vorhin habe ich ihn an der Wange verletzt. Nur ein paar Sekunden später hatte ich dieselbe Verletzung.” Ich fasste an mein Gesicht und fühlte einen feinen Schnitt, der zumindest nicht mehr blutete. „Die Erkenntnis kam zu spät. Ich hatte bereits das Kunai in seine Schulter gestoßen und…” Ich sah flüchtig auf meine Schulter hinab. „Wie lange bleibt er?” Seine Stimme war nüchtern, rational. Aber ich hörte heraus, dass ihn diese äußere Ruhe viel kostete. Ich schüttelte leicht den Kopf. „Nur ein paar Minuten. Manchmal nicht mehr als ein paar Sekunden.” „Sakura.” Er wartete, aber ich schaute noch immer auf meine Schulter, zupfte am Verband. „War er je in meiner Gegenwart dabei?” Das ließ mich aufblicken. „Ich bin nicht sicher. Ganz am Anfang - in deinem Zimmer, nach dem Zusammenbruch. Das Schlafmittel hatte schon gegriffen, ich kann nicht genau sagen, was ich gesehen habe. Aber seitdem ist er nicht mehr aufgetaucht, wenn du dabei warst.” Sasuke nickte dunkel, mit den Gedanken offenbar meilenweit entfernt. „Die meiste Zeit redet er. Er scheint zu wissen, was passiert, auch wenn er nicht sichtbar dabei ist. Er hat zweimal meinen Arm verletzt - den Arm mit dem Fluchmal. Das erste Mal war die Wunde sofort wieder verschwunden. Beim zweiten Mal hat es ein paar Sekunden gedauert. Dieses Mal…” Sasukes Kiefer war angespannt, aber er ließ die Verletzungen fallen, zumindest erstmal. „Worüber redet er?” Ich zog die Knie an und legte meine Arme darum, tat mein Bestes, um meine kommenden Worte zu verschleiern. Sasuke musste nicht hören, dass Itachi ihn für immer an alles erinnern, ihn für immer dabei sehen wollte, wie er an seinem Gewissen erstickte. „Er redet über nichts von wert, Sasuke. Er erinnert mich gern daran, dass meine Zeit zur Neige geht und er lässt keine Gelegenheit aus, klarzustellen, dass er gewusst hat, dass es so kommen würde.” Ich sah zu ihm und er lauschte meinen Worten, ohne mich anzusehen. „Nichts davon ist wichtig.” Die Schuld fraß ihn auf, direkt vor meinen Augen, und um das zu erkennen, brauchte ich kein Licht. „Wenn ich mir all das nicht einbilde, wenn ich mich nicht - aus irgendeinem völlig absurden Grund - selbst mit dem Kunai verletzt habe - dann bin ich ziemlich sicher, dass wir noch immer verbunden sind. Und das könnte bedeuten, dass Itachi das alles nicht nur getan hat, um noch mehr Leid über uns zu bringen.” Ich wagte einen Blick zur Seite. Er war beinah bewegungslos, doch seine linke Hand hatte sich in das Bettlaken gekrallt und sein Griff wurde fester, je mehr ich sagte. „Ich weiß nicht, was passiert ist, als er in den letzten Tagen meinen Arm verletzte - er hatte lange Ärmel. Aber wenn ich ihn verletze, dann passiert dasselbe mit mir. Was kann das bedeuten?” Etwas blasses Mondlicht war bis zum Bett vorgewandert und ich sah wie Sasuke seinen Gesichtsausdruck minimierte, als gäbe er sich jede Mühe, seine Reaktion dahinter zu verbergen. „Wir müssen mit Tanada darüber sprechen.” Ich runzelte die Stirn. „Du hast noch nicht mit ihm gesprochen?” „Ich war die ganze Zeit hier. Wie versprochen.” Ich verarbeitete das einen Moment. Hatte er also neben mir gelegen, schlaflos, rätselnd, was mit mir los war? Ich senkte den Blick. „Haruyoshi hat nichts davon erwähnt.” „Das hat er schon öfter nicht.” Ich wandte mich ab, sah in den Raum und schüttelte langsam den Kopf. „Du kennst die Lösung für all das.” „Du hast keine Ahnung, ob das irgendetwas an seiner Präsenz ändern würde.” „Es muss.” Ich musterte ihn einen langen Moment, blickte auf seine Hand, die sich noch immer in das Laken krallte. Ich streckte meine Hand aus, zögerlich, und berührte vorsichtig seine Finger, aber er drehte sich weg. „Hey.” Er schaute nicht her. „Danke, dass du geblieben bist. Dafür dass du meine Verletzung gesäubert hast. Und für das Sharingan, als ich es wirklich brauchte. Es tut mir leid, dass ich so die Kontrolle verloren habe.” Von der Seite konnte ich sehen, dass sich sein Nacken anspannte. „Sakura…” Unvermittelt fühlte ich mich in seiner Gegenwart sehr verletzlich. Und ich sah den Schmerz und immer noch die verhasste Schuld in seinem Gesicht, gefräßig, beständig wachsend, als er sich umdrehte. Die Machtlosigkeit musste sich in meinem Blick abzeichnen. „Bitte, mach das alles nicht wieder zu deiner Schuld.” „Es hat sich nichts geändert. Nur wegen mir hat er dich ausgesucht. Ich kann das niemals akzeptieren. Ich kann lernen, damit zu leben - wenn du es auch tust.” „Wir haben darüber gesprochen.” „Du hast darüber gesprochen. Aber du hörst nie wirklich zu. Du lässt dich von ihm umbringen.” Er konnte seine Verzweiflung nicht verbergen und traf mich damit mitten ins Herz. Ich sah langsam auf die Bettdecke. „Ja. Vielleicht ist es am Ende so. Aber in erster Linie lasse ich ihn nicht dein Leben lang die Kontrolle über dich übernehmen. Ich weigere mich, seine krankhafte Besessenheit von dir und diesen unerklärlichen Drang, dich endlos zu quälen, am Leben zu halten, um mich selbst zu retten.” Sasuke griff sich aufgebracht an den Kopf und ich rückte näher zu ihm, bis er meinen Blick hielt. „Du hast mich an diesem Tag auf der Lichtung vor einem Schicksal gerettet, das schlimmer als der Tod gewesen wäre. Davor, seine Sklavin zu bleiben und mich selbst für immer zu verlieren. Du hast alles getan, was du konntest.” „Warum tust du mir das an?” Ich wusste nicht, ob er darauf wirklich eine Antwort haben wollte. Aber ich gab sie ihm trotzdem: „Du hast genug gelitten, Sasuke. Dein ganzes Leben lang.” Als ich aufstand, streckte er eine Hand aus und griff nach meinem Arm. „Wohin gehst du?” „In mein Zimmer zurück.” So groß mein Widerwille auch war. „Bleib.” Ich setzte an, etwas zu erwidern, doch er unterbrach mich. „Bitte. Du kannst jetzt nicht allein sein, nicht nach dieser Nacht.” Weil ich zögerte, stand er auf und stellte sich vor mich, der Ausdruck in seinen Augen offen und flehend. „Er hat dich verletzt. Bitte bleib.” Ich schaute einen Moment zurück, realisierend, dass ich nicht allein sein, dass ich bleiben wollte. Also nickte ich. „Okay.” Erleichterung veränderte sein ganzes erschöpftes Gesicht und ich spürte in mir das seltene Echo des Gefühls, aufgehoben zu sein, umsorgt - sicher, so sicher ich mittlerweile noch sein konnte. Sasuke nahm sich ein Kissen und als mir seine Absicht klar wurde, stoppte ich ihn am Handgelenk. „Sei nicht albern. Das Bett ist groß genug.” Er musterte mich abwägend und ich brachte ein kleines Lächeln zustande. „Wie in alten Zeiten.” Wir legten uns auf das Bett, er zog die Decke über mich und ich drängte ihn, sich ebenfalls darunter zu legen. So blieben wir eine Weile auf dem Rücken, gewöhnten uns langsam an die Nähe, die so lange kein Teil mehr von uns gewesen war. Als ich eine Hand auf seinen Unterarm legte und sie schließlich mit seiner Hand verwob, rückte er näher heran. Und als ich mich zu ihm lehnte, statt wegzurücken, legte er seinen anderen Arm über mich und zog meinen Rücken fest an seine Brust. Worte waren nicht genug. Ich hatte ihn furchtbar vermisst. Wie sehr wurde mir jetzt, wie mit einer Sanduhr vor Augen, die viel zu schnell lief, schmerzlich bewusst. Ich schloss die Augen. „Du hast mir unendlich gefehlt.” Ich drückte seine Hand fester, nicht in der Lage, etwas zu erwidern, spürte seinen Atem in meinem Nacken und gab endlich der Müdigkeit nach, die schwer in meinen Knochen lag. Ich war beinah eingeschlafen, nicht mehr ganz hier und noch nicht ganz dort, als ich glaubte, Sasuke in meine Haare flüstern zu hören. „Kami, ich kann dich nicht verlieren. Nicht dich.” *** In Sasukes Armen aufzuwachen war neu, aber das Gefühl altvertraut. Auf eine Weise hatte ich ihn bereits geliebt, als wir noch sehr jung gewesen waren und diese Liebe hatte sich stets gewandelt, doch der Kern war immer gleich geblieben - auch als ich glaubte, von ihm vollkommen verlassen worden zu sein. Das erste Mal seit Tagen hatte ich traumlos und ruhig geschlafen. Zu sehen, dass er schon eine Weile wach gewesen sein musste, aber trotzdem hier mit mir liegen geblieben war, erfüllte mich mit Wärme und gleichzeitig so viel Wehmut. Das hier war nicht dafür gemacht, um anzudauern, konnte nicht andauern. Und wir hatten so viel Zeit damit verschwendet, getrennt zu sein und allein unsere Wunden zu lecken. Ich konnte mein Inneres nicht so gut verbergen, wie erhofft, denn Sasukes schläfriger, beinah glücklicher Ausdruck fiel mit meinem Anblick. Er wirkte älter als seine Jahre, als er mich freigab und ging mit zu viel Gewicht auf seinen Schultern ins Badezimmer. Ich überprüfte meine Verletzung und stellte fest, dass ich meinen Arm besser bewegen konnte, also wechselte ich allein den Verband. Sasuke kam zurück, als ich die letzten Bahnen um meine Brust schlang. „Wie geht es dir?” Ich steckte das Verbandsende fest. „Die Wunde heilt.” Es war nicht das, was er hören wollte, aber mehr konnte ich ihm nicht geben. Auch wenn ich es leid war, ihm nie etwas Besseres als Absichten oder Abwiegelungen anbieten zu können. „Ich ziehe mich um und dann will ich Haruyoshi und Tohru dabei helfen, ihre Freunde zu kontaktieren. Kommst du mit?” Er nickte und zog sich ein anderes Shirt über den Kopf. Ich wandte meinen Blick nur langsam ab, immer mehr das wollend, was ich nicht haben konnte, nicht unter meinen Bedingungen. Ich glaubte nicht daran, dass Sasuke sich mit meiner Entscheidung abfinden würde. Nach einem sehr kurzen Zwischenstopp in meinem Zimmer, voller düsterer Schatten, trafen wir Haruyoshi und seinen Schwiegervater zum Frühstück auf der Terrasse. Sie hatten angefangen, eine Liste zu schreiben und ich erklärte mich gern bereit, für sie zu schreiben und ihre Nachrichten abschickbereit zu machen. Sasuke steckte alle Briefe in Umschläge und erkundigte sich in der Lobby nach der schnellsten Versandmöglichkeit. Währenddessen erzählte ich Haruyoshi und Tohru von Itachis Auftauchen. Sie tauschten ernste Blicke miteinander, als sie davon hörten. „Ich habe in meiner ganzen Zeit nichts dergleichen erlebt.” Tohru schüttelte ebenfalls beunruhigt den Kopf. „In der Entwicklung ist dieser Effekt niemals aufgetreten oder gar geplant worden.” „Was ist mit den Paaren, denen ihr geholfen habt? Haben sie je davon berichtet?” Ich konnte ihnen ansehen, dass sie keine gute Antwort für mich hatten. „Nicht einer hat so etwas erlebt, Sakura.” Haruyoshi rieb sich über die Mundwinkel. „Itachi war sehr ernst zu nehmen. Ein Meister in seinem Fach. Es ist nahezu unmöglich, aber nicht auszuschließen, dass er Änderungen am Jutsu vorgenommen hat, die ermöglichen, was du uns geschildert hast.” Ich musste fragen. „Würde Sasukes Hilfe dann überhaupt noch etwas bringen?” Tohru schüttelte müde den Kopf und Haruyoshi hob die Schultern. „Wir wissen es nicht, Sakura. Aber einen Versuch ist es wert.” Ich atmete resigniert aus, doch Haruyoshi hatte wieder Blut geleckt. „Euch trennen nur wenige Jahre. Es gibt keine besseren Voraussetzungen, mit etwas Glück könntet ihr zusammen beschwerlich alt werden.” „Haruyoshi.” Ich legte eine Hand flach auf dem Tisch ab und fixierte ihn. „Wie könnte ich Sasuke in so etwas hinein ziehen, mit euch beiden direkt vor Augen?” Sie hatten den Anstand, betrübt meinem Blick auszuweichen. „Es ist schlimm genug, dass ich euch nicht helfen darf. Aber die Vorstellung, Sasukes Leben von meinem abhängig zu machen ist ein Horror, mit dem ich nicht leben kann.” Sasuke wählte diesen Moment, um zu uns zurückzukehren und sein Scharfsinn ließ ihn nicht im Dunkeln darüber, worüber wir gesprochen hatten. Er sah von mir zu Haruyoshi. „Und?” „Was Sakura uns beschrieben hat, ist keinem von uns bisher begegnet, Sasuke.” Er nahm Haruyoshis Worte nüchtern zur Kenntnis und wählte dann, zu meiner Überraschung, nicht darauf einzugehen. „Es gibt eine Poststelle im Nebenort. Von dort sollten die Briefe in einem Tag zugestellt werden.” „Ich kann das erledigen.” Zwei zweifelnde und ein unnachgiebiger Blick fielen auf mich. „Er ist nie in Menschenmengen aufgetaucht. Und ich werde nicht allein sein.” Haruyoshi stand auf. „Wie wäre es, wenn ich dich begleite? Und Tohru heute mit Sasuke das Jutsu durchgeht?” Man muss sich seine Kämpfe aussuchen. Und dieser hier war es nicht wert, gekämpft zu werden. „Okay. Gehen wir, Haruyoshi.” Sasuke machte nur kurz den Eindruck, widersprechen zu wollen, bevor er sich neben Tohru setzte. Sie beide sahen uns hinterher, als wir die Terrasse verließen und ich wollte mir nicht ausmalen, wie es für Tohru sein musste, Sasuke zu zeigen, was er vor so vielen Jahren für Haruyoshi getan hatte - so kurz vor dem Ablauf seines Opfers. Haruyoshi fragte mich auf dem Weg in die kleine Stadt nach Details zu Itachis Erscheinen und ich gab ihm, was ich erinnern konnte, aber er konnte sich nicht mehr erklären, wie Itachi das offenbar Unmögliche angestellt hatte als ich. Als wir die Briefe aufgaben, wurde er sehr still und ich fühlte mich wie ein Eindringling in diesem ersten Abschied. In vielerlei Hinsicht konnte ich nachempfinden, was er fühlen musste, aber dann wiederum auch nicht. Ich hatte eine Wahl und das machte das Ganze auf eine sonderbare Weise erträglicher, irgendwie. Haruyoshi und Tohru hatten alle Optionen ausgeschöpft. Sie sahen ein paar ungewissen Tagen entgegen, bevor sie endgültig aufgeben mussten. „Wie hat es sich angefühlt, all diese Jahre verbunden gewesen zu sein?”, fragte ich ihn, als wir das Gebäude verließen und uns ohne Eile in die Richtung des Hotels aufmachten. „Vielleicht ein bisschen wie bei Zwillingspaaren. Wir haben eine so tiefe gemeinsame Basis, das wir fühlen können, was der andere fühlt. Wir verstehen einander ohne Worte, wissen, was der andere sagen würde, was er tun würde, wie er darüber denkt…aber Tohru übt keine Macht über mich aus. Man könnte vielmehr sagen, wir vervollständigen einander.” Haruyoshi lächelte. „Ich war vorsichtiger, als ich auf mich allein gestellt gewesen wäre, schätze ich. Aber das hat mir eine neue Perspektive ermöglicht. Eine Abneigung gegen ewige Kämpfe. Das alles bringt so viel Schmerz und so viele Rachewünsche mit sich, es ist ein Kreislauf, der kein Ende findet.” Er hob eine Schulter. „Ich bin so jung zum Shinobi geworden wie du und Sasuke. Ich kannte lange Zeit nichts Anderes. Und ich war zufrieden mit dem, was ich hatte und mit dem, was ich tat. Dann starb meine Frau - und alles war anders. Es waren nicht nur die Folgen des Mals, die meine neue Sichtweise formten, aber die Verantwortung für das Leben meines Schwiegervaters zu tragen veränderte mich sehr - zum Besseren, wenn du mich fragst.” Ich ließ seine Worte wirken, fand die Wahrheit darin und das große Risiko, mit dem Haruyoshi den größten Teil seines Lebens verbracht hatte. „War einer von euch je so krank oder schwer verletzt, dass ihr den anderen in Gefahr gesehen habt?” „Nicht oft, Sakura. Zum Glück. Aber diese Tage waren schlimm. Ich bin nicht frei von den Schuldgefühlen, die dich so radikal abschrecken.” Er warf mir einen prüfenden Blick von der Seite zu. „Aber am Ende hat sich alles gefunden.” Dass es jederzeit anders hätte kommen können, hing unausgesprochen zwischen uns. „Sasuke hat seine Familie so früh verloren”, sagte Haruyoshi dann und ich runzelte die Stirn. „Er hat mir nicht viel erzählt, aber es ist offensichtlich, dass seine Freunde zu seiner Familie geworden sind.” Ich nickte kurz, aber ich schaute auf unsere Umgebung, nicht auf ihn. „Die meisten Menschen würden alles tun, um ihre Familie zu schützen. Und er ist nicht anders.” Wieder nickte ich, natürlich nicht blind für seine unterschwelligen weiteren Überzeugungsversuche. Ich räusperte mich. „Wenn es Tohru gewesen wäre, der mit seiner Tochter verbunden gewesen wäre…” Ein Blick zeigte schon, dass er wusste, wohin meine Frage führen würde. „Hättest du ihn gerettet?” Er neigte zugestehend den Kopf. „Ohne Zweifel, ja. Aber er hätte mich - genau wie Sumiko - nicht gelassen.” „Warum hast du es ihm erlaubt?” Er zuckte mit beiden Schultern, wie ein unschuldiger Junge. „Ich war nicht bei Bewusstsein, Sakura. Er hat mir keine Wahl gelassen. So einfach ist es.” Ich war immer davon ausgegangen, dass Haruyoshi Tohrus Opfer zugestimmt hatte, dass er deshalb so vehement an meiner Haltung rüttelte und mich nicht verstehen konnte. Und das sah er mir an. „Hätte ich zugestimmt, wenn ich bei Bewusstsein gewesen wäre? Das kann ich dir nicht beantworten. Ich weiß, wie unsere Geschichte endet und ich fürchte, das würde meine Einschätzung beeinflussen. Ich kann dir nur sagen, wie andere Paare die Entscheidung bewusst trafen - die meisten taten es, ohne zu zögern.” Bedächtige Stille fiel über uns und begleitete uns auf dem Rest des Weges. Sasuke und Tohru saßen nicht mehr auf der Terrasse, als wir zurückkehrten und so trieb ich mich in Haruyoshis Gesellschaft eine Weile im kleinen Geschäft des Hotels herum. Meine Schulter machte das Schwimmen im Meer oder eine Trainingseinheit unmöglich, abgesehen davon, dass mein Chakra nach dem Heilungsversuch wieder so niedrig war, dass ich ohnehin nicht viel hätte tun können. Mit einem Handtuch, einem neu gekauften Sonnenhut und einem Groschenroman im Arm machte ich mich schließlich auf den Weg zum Strand, Haruyoshi mit eigener Lektüre dicht auf meinen Fersen. Wir tauchten in eine fröhliche Urlaubsmeute ein und verbrachten ein paar Stunden auf diese Weise, zufrieden damit, ein Teil von lachenden Kindern, entspannten Erwachsenen und dem lauten Kreischen von Möwen zu sein. Als Sasuke zurückkam, verließ Haruyoshi meine Seite, um nach Tohru zu sehen, der sich auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte. Sasuke und ich bestellten etwas auf der Terrasse und er war es, der mich daraufhin fragte, ob ich in die nahe liegende Stadt gehen und über die Märkte laufen wollte. Er musste nicht zweimal fragen. Zwischen Taschen, Hüten, Keramik und allerlei Schmuckstücken fand ich ein paar Andenken für meine Freunde und Eltern. Alles, was ich für sie aussuchte, hatte eine tiefere Bedeutung, war mehr als ein simples Souvenir, konnte gut und gern bald ein Andenken an mich sein. Aber entgegen meiner Befürchtungen klammerte Sasuke das Fluchmal so vollkommen aus, dass es sich beinah anfühlte, wie ein ganz normaler Nachmittag. Er schenkte mir für wertvolle Stunden unbedarfte Freiheit und ich glaubte, dass er wusste, wie viel mir das bedeutete. In seiner Nähe zu sein war jetzt nicht mehr schmerzhaft. Stattdessen heilte ein Teil von mir mit jedem seltenen Lächeln, das er mit mir tauschte und mit jeder Geste der Fürsorge. Wir sprachen nicht viel und das mussten wir auch nicht, ich für meinen Teil dankbar für seine Gesellschaft und bemüht, das Beste daraus zu machen. Als wir im Hotel ankamen, war die Sonne beinah untergegangen, aber es war noch sehr warm und als Sasuke meinem Blick auf den Strand folgte, nickte er zur Lobby. „Soll ich die beiden dazu holen?” Diese Vertrautheit mit ihm war unendlich viel wert. „Ich frage sie, ob sie dazu kommen wollen und treffe dich dort.” Ich brachte meine Andenken in mein Zimmer und wenig später saßen Tohru und Haruyoshi mit Sasuke und mir am Strand, Tohru mit einer dicken Decke um die Schultern und Haruyoshi mit vier Gläsern und einer Flasche Wein. Sasuke hatte mit einem Feuerjutsu einen Haufen angesammeltes Treibgut angezündet, auf dieselbe Weise wie er es als Zwölfjähriger getan hatte, und wir sahen in die lodernden Flammen, geschützt unter einem Steinvorhang, wo der Wind nicht mehr so peitschend und das Wellenrauschen nicht mehr so laut waren. Ich dachte an Abende zurück, wie es sie vor Jahren oft gegeben hatte. Team 7, am Ende eines langen Tages, dabei ein Lager aufzubauen und ein Feuer anzuzünden. Naruto, der bereits darauf drängte, um an ein warmes Essen zu kommen, Sasuke, der ihm entnervte Blicke schickte, Kakashi, mit seinem Lieblingsbuch auf einem Ast. Abende, die in ihrer Friedlichkeit und ihrer Sorglosigkeit so wertvoll waren wie ich es damals nicht ahnen konnte. Das Feuer war bald so groß, dass seine Wärme bis zu uns vordrang und wir stießen mit dem Wein an und erzählten alte Geschichten aus dem Leben als Ninja. Naruto bekam dabei besonders viel Aufmerksamkeit, und ich bin sicher, unsere beiden neuen Freunde hätten sich bestens mit ihm verstanden. Die Stimmung war friedlich, frei von Konflikten zwischen Haruyoshi und mir, und mehr als einmal trafen sich Sasukes und meine Blicke über das Feuer, bis er auswich und sich meine Stirn in Falten legte. Haruyoshi und Tohru waren heiter und herzensgut. Was sie in Anbetracht ihrer eigenen Lage für mich taten, war mit nichts wieder aufzuwiegen. Weise war es nicht, aber irgendwo zwischen meinen Vorwürfen und Haruyoshis Erklärungen stellte ich fest, dass ich sie beide liebgewonnen hatte und der Gedanke daran, wie wenig Zeit sie noch hatten, schnürte mir die Kehle zu. Wir saßen bereits ein oder zwei Stunden am Feuer, Tohru döste sanft vor sich hin, als Sasuke aufstand, sich zu Haruyoshi vorbeugte und mit einem kurzen Blick zu mir Richtung Hotel ging. Ich wandte mich an Haruyoshi. „Wo geht er hin?” „Er hat mich gebeten, dir Gesellschaft zu leisten, während er eine Dusche nimmt.” Ich sah Sasuke nach, mit seltener Klarheit erfüllt. Er maß mir so viel Bedeutung zu, fühlte für mich und ich fragte mich, wie ich das in all der Zeit hatte übersehen können. Wie ich so vollkommen falsch darin hatte liegen können, weshalb er Konoha verlassen hatte. Mit Tohru und Haruyoshi vor Augen nahm jede Minute neue Bedeutung an. Ich sprach noch ein paar Augenblicke länger mit Haruyoshi. Dann entschuldigte ich mich, nahm ihm die Gläser und den Wein ab, damit er nur noch Tohru nach oben begleiten musste und kehrte zum Hotel zurück. *** Ich zog kurz in Erwägung, an Sasukes Tür zu klopfen, aber als ich den Türgriff herabdrückte, stellte ich fest, dass sie nicht abgeschlossen war und ließ mich selbst in sein Zimmer. Ich hörte das Wasser der Dusche im Badezimmer laufen, schloss die Tür leise hinter mir und blickte mich um. Alles sah so aus wie an diesem Morgen: aufgeräumt, neutral und praktisch. Man hätte anhand seiner persönlichen Gegenstände nur sehr vage schlussfolgern können, ob Sasuke hier gewesen sein könnte. Ein paar Shirts hingen über einer Stuhllehne. Einige seiner Waffen lagen auf einem Schreibtisch, als ob er sie gerade noch gereinigt hätte. Ein Teller mit Obst stand auf einem kleinen Tisch neben Sasukes Balkontür bereit. Das Wasser wurde ausgestellt, die Türen der Dusche schlossen sich und die Tür des Badezimmers öffnete sich hinter mir. Ich schaute über meine Schulter und Sasuke kam heraus, ein Handtuch tief um seine Hüfte geschlungen, mit nassen Haaren, die noch an seinem Kopf klebten und Wassertropfen, die seine Brust herabliefen. Unweigerlich fiel mein Blick auf eine ganz bestimmte Narbe auf der Höhe seiner Hüfte. Sie war vor Monaten noch frisch gewesen und jetzt - nach qualifizierter Behandlung durch Medic-Nins - bereits verblasst, aber der Tag, an dem er sie erhalten hatte, würde das niemals tun. Ich wandte mich ganz zu ihm um und Sasuke stoppte, als er mich bemerkte. „Sakura.” Ich schien so wenig Chakra übrig zu haben, dass er nicht in der Lage gewesen war, meine Anwesenheit zu bemerken oder er war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht wahrgenommen hatte, dass ich sein Zimmer betreten hatte. „Deine Tür war nicht abgeschlossen.” Er nickte langsam, forschte nach dem Grund meines Besuches. Ich senkte den Blick und verschränkte meine Hände. „Mir ist etwas klar geworden.” Als er nach einem Handtuch für seinen Kopf griff und sich damit über die Haare rieb, ohne seine Aufmerksamkeit von mir zu nehmen, hatte ich noch ein paar Sekunden, um meine Überzeugung zu hinterfragen. Aber Sasuke sah unter seinem Arm zu mir hervor, bevor er das Handtuch achtlos neben sich auf der Kommode ablegte, und meine Entschlossenheit loderte wieder auf. Ich machte einen Schritt nach vorn. „Haruyoshi und Tohru haben noch Tage.” Meine Stimme versagte für ein paar Silben. Es zu wissen und nichts tun zu können, schmerzte. „Aber sie sind im Reinen mit sich und der Welt.” Seine dunklen Augen waren immer noch forschend, sein schwarzes Haar ein starker Gegensatz zu seiner hellen Haut, deren Verletzungen sein ganzes Leben erzählten. Ich schloss zu ihm auf, blieb vor ihm stehen. „Ich bin es nicht.” Er schaute zu mir herunter und ich zu ihm hinauf, sandte ihm stumm, was ich nicht in Worte fassen konnte. Ich hob eine Hand an sein Gesicht, folgte einem Tropfen, ohne seine Haut zu berühren, bis ich seine Wange umfasste. Er lehnte sich in meine Berührung, leicht, immer noch suchend, immer noch fragend. Kühle Tropfen fielen von seinen Haaren auf meinen Handrücken. Er sah aus, als hätte man ihn gnadenlos an eine Klippe getrieben und er wusste, er müsste springen, aber nicht, was darunter lag - Wasser oder harter Boden. „Wir haben ein halbes Jahr verloren. Und nie einen würdigen Abschluss gefunden.” Er hob eine Hand auf meine Hand an seiner Wange und seine Haut war warm. „Du sprichst immer öfter von Abschieden.” Ein wehmütiges Lächeln hob meine Mundwinkel. „Ja.” Ich hob auch meine andere Hand und umfasste damit sein Gesicht vollkommen. „Das stimmt.” „Du bist so fest entschlossen.” Ich deutete ein Nicken an, nur mit der Hälfte meiner Gedanken bei unserer Unterhaltung, vielmehr geborgen in dem Gefühl seiner Haut, seinem Duft, seiner Wärme. „Willst du mich wirklich so unbedingt zurück lassen?” Sasuke hob beide Hände, umklammerte meine Unterarme vor mir. Er schüttelte mich, aber weil ich ihn nicht stoppte, nicht aufgab, was ich entschieden hatte, ließ er gleich wieder geschlagen davon ab. Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen und beugte mich dicht zu seinem Gesicht vor. „Ich will, dass du lebst.” Er verharrte, als ich mit meinen Lippen kurz seine streifte, federleicht. „Ich will, dass du dir ein Leben aufbaust, das dein eigenes ist.” Ich folgte seinem Kiefer, seinem Schlüsselbein. Er schien mit sich zu ringen, ein paar endlose Sekunden. Dann drückte er mich nur so weit von sich, dass wir einander in die Augen sehen konnten. „Ist dir wirklich klar, worum du mich damit bittest?” „Ich bitte dich, zu nehmen, was ich dir geben kann.” Er verzog gequält das Gesicht. „Ich brauche mehr.” Es war, als hätten wir immer darauf hin gesteuert. Er griff mit einer Hand in meinen Nacken und fing meine Unterlippe mit seinen Zähnen - ohne Vorbehalt, gab mir alles, wonach ich mich gesehnt hatte, als gäbe es keinen Morgen und keine wenigen verbleibenden Wochen. Er schmeckte schwach nach Wein und die Nässe seines Oberkörpers drang schnell durch mein dünnes Shirt, als ich mich fest an ihn drückte. Ihn zu küssen war Verzweiflung und Hochgefühl zugleich, Triumph und der unweigerlich drohende tiefe Fall im selben Moment. Ich griff in seine nassen Haare und er drehte mich mit einem rauen Ton zur Wand, neigte meinen Kopf zur Seite und beugte sich in meinen Nacken, um mit seinen Zähnen über meinen Puls zu streifen, nur um mit seinen Lippen zu folgen. Ich schloss die Augen. Er ließ wenig Vorsicht walten, vielleicht genauso überrannt wie ich - und ich hätte es nicht anders gewollt - aber als seine Hand meine verletzte Schulter zu sehr drückte, atmete ich ungewollt scharf ein und Sasuke stoppte. „Ich vergesse mich in deiner Gegenwart.” Ich öffnete die Augen. „Es ist noch nicht lange her, dass du mich nicht wie aus Glas behandelt hast.” „Es wird nichts leichter machen, Sakura”, drang seine gesenkte Stimme an mein Ohr, immer noch so gefoltert durch Dinge, die wir nicht ändern konnten. Ich griff nach seinem Kinn, suchte seinen Blick und wartete, bis er mir seine volle Aufmerksamkeit schenkte, sah flüssiges, schwarzes Verlangen und Verzweiflung miteinander kämpfen. „Haben wir nicht lange genug gewartet?” Und um alle möglichen Zweifel zu beseitigen, suchten meine Hände nach seiner Hüfte und lösten das Handtuch, sodass es mit einem endgültigen Geräusch zu Boden fiel. Er sah zwischen meinen Augen hin und her und ich hob mein Kinn herausfordernd an. „Ich will dich, Sasuke. Was willst du?” Seine Pupillen weiteten sich. Die Würfel fielen. Und wir prallten aufeinander wie zwei Wellen. Er zog mir mein Shirt über den Kopf, als wollte er es zerreißen und es wäre vollkommen egal gewesen. Ich war begierig wettzumachen, was wir so lange versäumt hatten, fühlte mich endlich, als hätte ich es nach diesem schrecklichen Tag vor so vielen Monaten nach Hause geschafft. Meine Shorts landeten neben dem Shirt auf dem Boden und Sasuke beugte sich zu meinem BH vor, ließ seine Hände wandern, kehrte immer wieder zu meinem Mund zurück, bis wir Luft holen mussten. Als er meinen Verschluss öffnete und die Träger von meinen Armen schob, drängte sein Knie meine Beine auseinander und er erstickte mein Aufkeuchen mit seinen Lippen. Schließlich gab er meinen Mund frei, schwer atmend. Ich seufzte seinen Namen und seine Antwort war ein faszinierender Ton, der tief aus seiner Kehle kam und eine Gänsehaut über meinen Nacken jagte. Seine linke Hand wanderte meinen Körper hinab und er hielt meinen Blick, als sie in meine Unterwäsche fuhr. Ich gab einen willigen Ton von mir und er sah mir zu, hinreißend in seiner dunklen Schönheit, und ließ seine Finger Wunder bewirken. Meine Hände wanderten über seine Schultern, krallten sich in seine feste Haut, vergruben sich in seinen Haaren und ich wölbte meinen Rücken an der kalten Wand. Ich zog ihn näher, bewegte mich ungeduldig, warf den Kopf in den Nacken und hörte mich selbst keuchen, als es mich so außerhalb meiner Kontrolle wie ein mächtiges Gewitter durchzog. Ich fühlte seinen Blick auf mir und ein Lächeln, das an meinen Mundwinkeln zupfte, als ich langsam wieder herunterkam, mein Verlangen nur ansatzweise gestillt. Sasuke lehnte sich vor und küsste meine Schulter über dem Verband, so zärtlich, dass es wehtat. Mein Laut der Überraschung war gedämpft, nicht viel mehr als ein Seufzen, als er unter mich griff und mich hochhob. Ich öffnete halb die Lider und spürte seinen Atem auf meinem empfindlichen Mund. Seine Haare standen wild von seinem Kopf ab und seine Brust hob und senkte sich beinah im selben Rhythmus wie meine. Er betrachtete mein Gesicht, als wollte er sich alle Details einprägen, rief die Endgültigkeit wieder ins Gedächtnis, aber er verweilte nicht dabei, sondern trug mich zu seinem Bett und legte mich darauf ab. Für ein paar lange Sekunden stand er davor und musterte mich und sein Blick brauchte keine Worte. Dann kniete er sich neben mich und betrachtete meine Schulter. Ohne Eile löste er meinen Verband, küsste zwischen den Umdrehungen träge meine Brust, strich über meine heilende Verletzung, gedankenversunken. „Wo bist du, Sasuke?”, fragte ich ihn leise. Seine Erwiderung war unerwartet. „Das hier ist nicht das, was ich will.” Ich runzelte die Stirn, wollte mich aufrichten. Aber er neigte sich vor und sprach dicht vor meinen Lippen. „Ich brauche dich, nicht nur jetzt, sondern immer. Ein Leben lang.” Ich sah ihm direkt in die Augen, konnte die kleinen braunen Flecken um seine Pupillen sehen, die nur ein paar Zentimeter weiter weg jedem Beobachter verborgen blieben. Und ich nahm all seinen Kummer darin offen an, als wäre das meine Strafe dafür, ihm so viel Schmerz zuzufügen. Er schüttelte kurz den Kopf, als konnte er nicht glauben, dass er dennoch hier mit mir lag. Dass er mir Zugeständnisse machte, wenn ich mich so sehr weigerte, ihm nur dieses eine zu machen. „Ich will dich immer an meiner Seite haben. Gesund und sicher. So voller Leben wie jetzt.” Der Wunsch nach dieser gemeinsamen Zukunft war so beißend, dass nur das Wissen, dass der Preis dafür sein Leben war, mich davor bewahrte, allem zuzustimmen. Und Sasuke wartete, schien zu ahnen, dass ich mein Zugeständnis mit aller Macht zurückhielt. Aber ich gab nicht nach und mit einem geschlagenen Ausatmen akzeptierte er das ein weiteres Mal - zumindest für den Moment. Vielleicht, weil er diese rare Gelegenheit, die wir hatten - allein, geschützt von der Dunkelheit und ohne Geheimnisse voreinander - ebenso wenig aufgeben wollte wie ich. Denn als ich seine linke Hand griff und zu meinen Lippen zog, federleichte Küsse darüber verteilte, ließ er sich nicht noch einmal bitten. Und so ließen wir die Welt, die keinem von uns etwas schenken wollte, für ein paar kostbare Stunden hinter uns. *** Ich erwachte zu dem Anblick von Sasukes heller Haut, die silbern im Mondlicht leuchtete. Seine dunklen Wimpern warfen Schatten auf seine Wangenknochen und seine Haare fielen ihm getrocknet ins Gesicht. Er sah beinah friedlich aus. Aber dann warf er mir mit dunklen schimmernden Augen einen prüfenden Blick von der Seite zu - hellwach. Ich streckte mich träge in seinem Arm. „Bist du nicht müde?” Er küsste meine Stirn. „Vollkommen verausgabt”, antwortete er und schenkte mir ein Lächeln. „Und trotzdem hellwach.” Mit einem leisen Seufzen verlagerte er sein Gewicht bis er bequemer lag. Ich schloss die Augen und schmiegte mich an seinen Arm. Es fühlte sich seltsam an, so glücklich zu sein - wundervoll und entsetzlich zugleich. Ein Zupfen an meinen Haaren ließ mich wieder aufschauen. Sasuke ließ ein paar Strähnen durch seine Finger gleiten und seinen Blick über mein Gesicht wandern. Seine Augen waren wie ein dunkler Nachthimmel mit aufblitzenden Sternen, wenn das Mondlicht richtig fiel. Er war wunderschön. Wahrscheinlich konnte er sehen, wie hoffnungslos ich ihm verfallen war, denn ein mildes Lächeln hob seine Mundwinkel. Aber es hielt nicht lange, als würde es von dem, was ihn beschäftigt hatte, bevor ich aufgewacht war, zurückgedrängt. „Vor ein paar Monaten habe ich mir nicht oft erlaubt, mir einen Moment wie diesen auszumalen”, sagte er dann mit weicher Stimme und es fühlte sich an, wie die Eröffnung einer neuen unbequemen Wahrheit. „Das hat diese Vorstellung nie lange fern gehalten und ich habe immer gedacht: So viel reines Glück wird dir niemals vergönnt sein. Ich wusste, dass es außer Frage stand. Ich wusste das in den letzten Wochen, sogar in den letzten Tagen. Und jetzt…” Er strich über meine Wange. „Jetzt schaue ich dich wieder und wieder an, in dem Versuch, zu entscheiden, ob das hier echt sein kann. In dem Versuch, mich zu erinnern, ob ich jemals zuvor so empfunden habe wie jetzt. Und ich denke nicht, dass ich das habe. Also…ist es ein Traum. Der perfekteste Traum, unmöglich, für immer außer Reichweite. Aber dann sehe ich deine Schulter. Und dieser perfekte Traum würde das niemals beinhalten. Niemals das.” Er beugte sich vor und küsste meine heilende Verletzung. „Also ist es kein Traum. Und das macht Sinn. Er ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. So weit.” Es war kein Vorwurf. Es war nur eine Feststellung und er hatte Recht. Ich blinzelte ein paar Mal schwer, benommen von dieser bereitwilligen Ehrlichkeit, die sehr genau widerspiegelte, was mir durch den Kopf ging und sah auf seine Brust, um mich zu sammeln. Ein paar Sekunden vergingen, in denen nur das Rauschen der Wellen an unsere Ohren drang. Sasuke strich federleichte Kreise ohne Ordnung über meine Schultern und erweckte eine neue Gänsehaut zum Leben. Ich hob den Kopf. „Sasuke-” „Ich habe in der Leichenhalle gesessen, als er dort aufgebahrt war.” Meine Worte erstarben sofort auf meinen Lippen. „Alle Mitarbeiter sind um mich herum geschlichen, wie um eine Bombe. Ich konnte ihn riechen.” Ich starrte ihn an. Und ich kämpfte darum, mitzuhalten. „Du warst nach mir bei ihm.” Als Itachis Verwesungsprozess bereits eingesetzt hatte. „Ich habe dich gesehen, als du aus der Halle kamst.” „Aber wieso hast du nicht…?” Er schüttelte leicht den Kopf. „Ich hatte noch keine Informationen gefunden, als Tsunade mir den Termin nannte. Ich weiß nicht, warum ich dort war. Um sicherzugehen, dass sie nichts übersehen hatten, vielleicht. Für ein paar Jutsus, die ich nie von meinen Eltern gelernt habe, er dagegen schon.” Es war, als würde er sich selbst sehen, dort in der Halle neben der Leiche seines Bruders, und mit dem Blick eines unbeteiligten Shinobi bewerten, was er als Beteiligter im Grunde gar nicht konnte. „Ich habe ihn angesehen und er hat mich verspottet. Selbst tot hat er mich noch verspottet. Mein ganzes Leben lang hat er mich manipuliert und neben ihm zu sitzen, als alles vorbei war, hat nicht gehalten, was ich mir darunter vorgestellt habe. So lange Zeit hatte ich nur ein einziges Ziel, eine Aufgabe, die immer da war. Meine Familie zu rächen hatte immer oberste Prioriät.” Er atmete schwer aus. Ich griff nach seiner freien Hand und verwob seine Finger fest mit meinen. Er sah kurz darauf, als würde er etwas sehen, das ihn verblüffte. „Ich wusste nicht, wer ich war, ohne seinen Tod in der Zukunft. Ich weiß es immer noch nicht. Ich konnte nicht zurück ins Uchiha-Viertel. Jede Straße in Konoha erinnerte mich an ihn oder meine Familie und damit immer an sie alle. Aber mit seinem verrottenden Körper vor Augen wurde mir klar, dass ich nichts ungeschehen machen kann. Dass die Suche nach Hilfe, nach Antworten mein neues Ziel sein musste.” Ich küsste seine Brust und wünschte mir, etwas von seinem Schmerz mittragen zu können. Ich hatte sein Ziel immer gekannt. Und so viele Jahre befürchtet, was mit ihm passieren würde, sollte er es erreichen. „Wäre es so unerträglich, an mich gebunden zu sein, Sakura?” Ich ließ seine Hand los, richtete mich auf und umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. Unsere Blicke trafen sich. „Nein. Das wäre es nicht.” Er sah stumm zurück, wissend, dass das nichts veränderte. „Jeder Schnitt in den Finger würde von uns geteilt werden. Jede Grippe. Jede Verletzung durch ein Kunai, ein Shuriken, ein Katana. Jeder Sturz. Jeder Bruch.” Er ließ meine Worte über sich regnen und sie fügten ihm Schmerzen zu, die ich ihm um alles in der Welt ersparen wollte, aber nicht konnte. Ich zog meine Hand von ihm zurück und verschränkte die Arme, weigerte mich, überhaupt daran zu denken. „Du kannst uns nicht in Watte packen. So könnten wir beide nicht leben.” Sasuke richtete sich ebenfalls auf. „Wir werden vorsichtig sein und stärker. Wir haben einander seit Jahren beschützt. Ich würde ohne zu zögern mein Leben für dich geben. Nichts hat sich geändert. Warum also muss ich so hart dafür kämpfen, dich zu retten?” Ich schloss die Augen und schüttelte matt den Kopf. „Weil das gegenseitige Retten nie ein Job für das ganze Leben sein sollte, Sasuke.” Er legte einen Finger unter mein Kinn. „Es ist ein Job für das ganze Leben geworden, als ich dich das erste Mal gerettet habe. Als du mich das erste Mal gerettet hast, beide ohne Rücksicht auf die Gefahr für das eigene Leben. Ich würde dich immer retten, ganz egal, ob wir miteinander reden, miteinander schlafen oder nicht. Man riskiert sein Leben nicht einfach für irgendjemanden. Und ich könnte genauso wenig damit aufhören wie du. Es spielt keine Rolle, ob das Fluchmal existiert oder nicht.” Ich musterte ihn gequält. „Für immer ist mehr als ein Mensch planen kann.” Er fühlte sich bestärkt und das war nicht richtig. Ich leistete schreckliche Arbeit. „Wer sagt, dass wir von ‚für immer’ sprechen? Wir könnten in einem Jahr einen Ausweg gefunden haben. In fünf Jahren. In zehn.” Seine flehenden Worte, seine feste Überzeugung nagten an meiner Rüstung und schließlich ließ ich mich von seiner Emotionalität mitreißen: „Was ist mit einer Frau, Sasuke? Mit einer Familie?” Nach seiner feurigen Rede erstarrte er nun sehr plötzlich. Er rieb sich über den Kopf, schaute zur Seite und seine Stimme war rau, als er antwortete. „Ich war nie wirklich der Typ fürs Heiraten.” „Ich meine es ernst.” Sein Ausdruck wurde hart. „Ist das so? Sieh uns an, Sakura. Als gäbe es eine andere Frau, die ich heiraten wollte.” Ich verbarg mein Gesicht in den Händen, wollte ihm glauben und daran, dass alles gut werden würde. Aber das war jetzt, wo mein Ende so nah war. Wie würde es zwischen uns in einem Monat aussehen? In einem halben Jahr? Wann würde er anfangen, mich für meine Verletzungen, die ihn an der Arbeit hinderten, zu verabscheuen? Wann würde er seine Aufträge anpassen, um keine unnötigen Risiken einzugehen und mich zu schützen? Sasuke war ein freier Shinobi, seit er ein kleiner Junge gewesen war auf sich allein gestellt, nur für sich verantwortlich. Stolz, stark, waghalsig. Ich würde ihn einsperren. Und ich würde nie ausschließen können, eines Tages für seinen Tod verantwortlich zu sein. Sasuke rückte an mich heran und fing mich in seinen Armen ein. „Du kannst das nicht durchziehen, Sakura. Alles wäre umsonst, wenn du keine Zukunft hast. Und du verdienst es nicht, so zugrunde zu gehen.” Er vergrub sein Gesicht in meinem Nacken und meinen Haaren und küsste die dünne Haut unter meinem Ohr. Ich ließ die Hände von meinem Gesicht sinken und legte sie auf seine Brust. Er nahm den Kopf etwas zurück und zog mich mit einer Hand in meinem Nacken an seine Stirn. „Dich zu verlieren ist mehr als ich ertragen kann.” Sein Schmerz schnürte mir die Kehle zu. Ich strich über seine Haare und brachte ein wackeliges Lächeln zustande. „Es ist spät. Lass uns noch etwas schlafen, ja?” Er suchte mein Gesicht ab. Ich hatte keine Ahnung, was er dort fand. Aber ich glaubte, in seinem Blick einen Funken Triumph zu erkennen. Einer seiner Mundwinkel hob sich verschwörerisch. „Wenn es so viel bessere Möglichkeiten gibt, die Nacht zu füllen?” Fern lag es mir, ihm zu widersprechen. *** „Es ist gut dich zu sehen, alter Freund.” Haruyoshis Stimme war warm und gefasst. So zuversichtlich. Und das im Angesicht seines Freundes, der seine Tränen nicht zurückhalten konnte. Er war so schnell hierher gekommen, er musste alles stehen und liegen gelassen haben, um Haruyoshi noch einmal zu sehen. Ich stand am Beginn des Strandes, mit dem Blick auf das Meer und den roten Himmel, das warme Licht, das alles umhüllte, inklusive der zwei Männer, die sich vor meinen Augen so fest umarmten, als würden sie sich danach nie wieder sehen. Und keiner von beiden wusste, wie lange das noch nicht der Fall sein würde. Nach Sasukes und meiner Unterhaltung auf dem Balkon hatte er beide folgenden Tage nur mit Haruyoshi verbracht. Ich hatte Tohru eine Weile Gesellschaft geleistet, am Strand gelegen, immer umgeben von anderen Menschen, um Itachi fernzuhalten, aber ohne eine Aufgabe. Mit dem Wissen um Tohrus und Haruyoshis erbarmungslos nahendes Ende musste ich tatenlos dabei zusehen, wie Tohru dahin schwand und Haruyoshis stets präsente Energie langsam verblasste. Also hatte ich angefangen, Briefe zu schreiben, falls ich aus irgendeinem Grund nicht selbst mit meiner Familie und meinen Freunden sprechen konnte. Dann hatte ich versucht aufzuschreiben, was ich ihnen sagen wollte, wenn ich doch dazu kam. Und als ich das erfolglos aufgab, fühlte ich mich hohl und ausgelaugt. Ich war zum Sonnenuntergang Richtung Strand gegangen und hatte Haruyoshi und seinen Freund so vorgefunden, war mitten in diesen sehr vertrauten Moment gestolpert. Würden meine Abschiede genauso aussehen? Mussten Naruto, Ino, Kakashi, Tsunade - meine Eltern - das durchleben, was dieser Freund gerade empfand? Bevor Haruyoshi mich sehen konnte, wandte ich mich wieder zum Gehen, wollte ihnen ihre gezählte Zeit lassen und dabei stieß ich beinah mit einer älteren Frau in einem tiefroten Reiseumhang zusammen. Ihr Blick lag auf den beiden Männern und fand mich nur langsam. Sie schien sofort die Verbindung zwischen Haruyoshi und mir zu erkennen und reichte mir freundlich ihre Hand. „Hotaru. Eine sehr alte Freundin von Haruyoshi.” Ich nickte höflich. „Sakura.” „Du bist das Mädchen, dem Haruyoshi und Tohru helfen wollen.” Es war keine Frage und deshalb nickte ich weder, noch schüttelte ich den Kopf. „Wie lange kennen Sie einander schon?” Hotaru seufzte und schaute wieder zum Strand. „Ein halbes Leben. Wie geht es ihnen?” Ich suchte einen Moment nach den richtigen Worten. „Tohru muss viel schlafen und ist sehr schwach. Sein Husten erschöpft ihn schnell. Und Haruyoshi…” Ich schweifte ab, musterte die beiden Männer, die soeben über etwas lachten, als erzählten sie einander alte Geschichten aus ihrer Vergangenheit. „Er ruht sich öfter aus. Aber er hält sich wacker.” „Er war immer ein guter Freund.” Hotaru hatte nicht wieder zu mir zurückgesehen. Ein paar Strähnen ihrer langen grauen Haare tanzten um ihr Gesicht und in ihrem Blick war so viel Zuneigung, dass ich mich unweigerlich fragte, wie sie und Haruyoshi zueinander standen. Und sie war sich dem offenbar bewusst. „Er hat nie etwas eingestanden, nie etwas geschehen lassen. Er gibt sich für vieles die Schuld, macht sich Vorwürfe wegen seiner Beteiligung an der Entwicklung des Jutsus. Aber das hat niemals etwas an meinen Gefühlen verändert. Er konnte es nicht verhindern, verstehst du? Egal wie sehr er es versucht hat.” Ich spannte die Schultern an. „Sie wollen sicher mit ihm sprechen.” Ich wandte mich zum Gehen. „Sie haben ein aufregendes Leben geteilt. Voller Liebe und Unterstützung.” Ob sie noch mit mir sprach oder eher mit sich selbst, konnte ich nicht sagen. Aber die Worte schlugen deshalb nicht weniger bei mir ein. *** Das Wasser, das über meine nackten Füße schwappte, war kalt. Und trotzdem machten mich das stetige Wellenrauschen und die simple Empfindung meiner Füße im Matsch und das anschließende Sauberspülen nahezu lächerlich glücklich. Der Abend war erholsam gewesen, normal beinah, mit Haruyoshi und seinen Freunden in einer Bar und einem improvisierten Dart-Wettkampf, bei dem die Ninjas unter uns natürlich deutlich im Vorteil waren. Acht von ihnen waren sofort gekommen, andere hatten Nachrichten geschickt, sich zu beeilen. Haruyoshis Anstoßen auf seine Freunde war liebevoll gewesen, die Unterhaltungen heiter und gelassen. Es war wie eine Auszeit von allem, was uns hier zusammengebracht hatte. Eine bitter nötige Auszeit und ich war noch nicht bereit, sie wieder loszulassen. Sasuke ging neben mir, auch ohne Schuhe, aber nicht so begeistert von dem kalten Wasser auf den Füßen wie ich. Vor uns liefen in kleinen Gruppen Haruyoshi und seine Freunde, ohne Eile auf dem Rückweg in unser Hotel und zu Tohru, der mit einem alten Freund und dessen Tochter dort geblieben war. „Erinnerst du dich an den Abend, an dem Naruto uns zum Karaoke gezwungen hat?” „Wie könnte ich das vergessen?” Ich lächelte breit. „Ich habe dich nie wieder so unbehaglich gesehen. Dabei hast du so eine nette Stimme.” Er nahm mir meine Stichelei nicht übel. „Ich habe andere Talente, von denen du noch gar nichts ahnst.” Mein Grinsen ließ sich nicht wegwischen. „Davon bin ich überzeugt.” Eine neue Welle, dieses Mal eine besonders große, rollte über meine Füße und ich machte mit einem überraschten Laut einen Satz zur Seite, in Sasuke hinein. Mein lauthalses Lachen brachte ihn zum Lächeln und er griff nach meiner Hand, drehte mich unter seinem Arm und zog mich dann dicht an ihn heran, um meine Stirn zu küssen. Er zog sich nur langsam zurück und ich musterte ihn genau, immer noch nicht ganz an einen scherzenden Sasuke gewöhnt. Mit einem heiteren Funkeln in seinen Augen drehte er mich zurück, aber seine Hand hielt meine weiterhin umklammert. Wir gingen weiter, mittlerweile schon ein gutes Stück von den anderen entfernt, aber wir konnten sehen, wie zwei Freunde von Haruyoshi, einer davon war sein bester Freund Yin, versuchten, einander ins kalte Wasser zu schubsen und ich schüttelte lächelnd den Kopf. Haruyoshi ging sicher, dass er genug Sicherheitsabstand zwischen sich und diese beiden brachte, aber er spornte sie mit diebischer Freude an. „Wie viel Zeit haben sie noch?” Ich drehte den Kopf zu Sasuke, dessen Blick auf Haruyoshi lag. Mein Lächeln verblasste und verschwand. Ich sah zu Boden. „Tage. Vielleicht nur ein paar Stunden. Tohru geht es zunehmend schlechter.” Aus dem Augenwinkel schaute ich zu ihm. Sasuke ließ meine Worte wirken, bis er unvermittelt unsere verbundenen Hände hob und meinen Handrücken küsste. „Komm. Wir holen sie ein.” *** Am Ende blieben ihnen noch zwei Nächte und ein weiterer Tag. Die Sonne verdrängte das dunkle Blau des Himmels mit siegesgewisser Geduld. Ich lehnte an der Hauswand in meinem Rücken, eine Strickjacke eng um mich gezogen und sah ihr selbstvergessen dabei zu. Seit ein paar Tagen schien ich nicht genug von Sonnenaufgänge bekommen zu können und mit jedem Tag verweilte ich ein bisschen länger auf dem Balkon, als könnte ich damit das Aufsteigen der Sonne etwas länger hinauszögern. Mit einem leisen Seufzen zog ich den wieder und wieder gefalteten Brief aus meiner Tasche und entfaltete ihn, um ihn noch einmal zu lesen, auch wenn ich ihn mittlerweile auswendig konnte. Tsunades Worte waren tröstlich, in ihrem Maß zwischen Betroffenheit und Professionalität hatte sie genau den richtigen Ton getroffen, wenn es für eine solche Situation denn den richtigen Ton gab. Vor einigen Tagen hatte ich ihr einen ebenso sorgfältig formulierten Brief geschickt, in dem ich sie darum gebeten hatte, mir einige Medikamente für Haruyoshi und Tohru zuzusenden, die sie seit ein paar Tagen immerhin schmerzfrei hielten. Sie hatte ihr tiefes Mitgefühl für die beiden Männer übermittelt und mir ein paar Ratschläge zur Linderung ihrer Beschwerden gegeben. Mein Blick verweilte auf der letzten Zeile: ‚Geh und lindere Leid - deines eingeschlossen.’ Es war ein altes Motto, das mir aus meiner Ausbildung zur Medic-Nin noch gut vertraut war, aber dieses Mal war es so viel persönlicher. Ich konnte förmlich sehen, wie sie noch einmal mit dem Finger über diese geschriebenen Worte gefahren war, fühlen, wie sehr es sie schmerzte, Itachis Vermächtnis zu akzeptieren. Ich spürte Sasuke mehr als dass ich ihn hörte, so leise bewegte er sich, und als er sprach, waren seine Worte kaum über das Wellenrauschen zu hören. „Du bist wieder früh wach.” Ein halbes Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich den Kopf zu ihm drehte und den Brief  zusammenfaltete. „In Konoha hatte ich nie einen Ausblick wie diesen.” Seine dunklen Augen waren ernst und klar. „Wie fühlst du dich?” Er stellte die Frage bedächtig, besorgt, mich vor den Kopf zu stoßen. Ich nickte ein paar Mal, ohne ihn anzusehen. „Gut. Unverändert.” Als sich unsere Blicke wieder trafen, stand Unausgesprochenes zwischen uns. Das warme Sonnenlicht verlieh ihm einen goldenen Schein, zeichnete alles weicher. „Hast du dich jemals gefragt, was aus dir geworden wäre, wenn du nicht in einer Ninja-Familie aufgewachsen wärst?” Für einen Moment konnte ich ihm die Überraschung ansehen. Dann fiel sein Gesichtsausdruck und ich verfluchte meinen schnellen Mund. „Viele Male. Mehr als ich zählen kann.” Seine Vergangenheit dehnte sich zwischen uns aus und füllte den kleinen Balkon. Ich beeilte mich, sie zu verscheuchen. „Ich wüsste nicht, was ich wäre, wenn ich keine Kunoichi geworden wäre…” Ich ging an das Geländer und stützte die Hände darauf ab, ließ mich von den Sonnenstrahlen wärmen. „Ich würde gern glauben, dass ich trotzdem medizinisch gearbeitet hätte. Vielleicht sogar Ärztin geworden wäre. Aber ich bezweifle, dass ich das Selbstbewusstsein dazu gehabt hätte, ohne das Ninja-Dasein. Ohne Tsunade.” Ich hatte den Blick wieder gesenkt, während ich gesprochen hatte und sah kurz auf, um festzustellen, dass er meinen Worten aufmerksam folgte. Sein Anblick erinnerte mich daran, wie er mich am Tag zuvor angesehen hatte, als er glaubte, ich würde ihm keine Aufmerksamkeit schenken. Ich hatte mich schließlich dazu durchgerungen, ihm und Haruyoshi dabei zuzusehen, wie sie das Jutsu durchgingen, auch wenn Sasuke es mittlerweile vollkommen verinnerlicht hatte. Zwischen zwei Wiederholungen hatte ich eine Frage an Haruyoshi und während dieser Erklärung von Haruyoshi hatte Sasuke mich sehr genau - so wie jetzt - gemustert. Und ob er es zugeben würde oder nicht, ich hatte die verhaltene Hoffnung in seinem Blick gesehen und das tat immer noch weh. Er musste diese Hoffnung aufgeben. „Wir wissen, dass jede Mission die eine sein kann, die unsere letzte sein wird. Und das ist okay, dafür haben wir uns freiwillig entschieden. Aber wenn wir gehen, dann nehmen wir allein dadurch nicht jemanden mit. Und wir planen Tage, Wochen, vielleicht Monate voraus. Aber nicht das ganze Leben. Das tun wir einfach nicht. Weil es nicht natürlich ist. Nicht richtig.” Ich drehte den Kopf zu ihm. „Sasuke, du kannst dich dein Leben lang damit herumquälen. Oder du kannst dir selbst vergeben. Darüber hinwegkommen, mit der Zeit.” Er trat an mich heran und strich mir ein paar Haare hinter mein Ohr. „Ich hätte dich nicht her bringen sollen. Es war lächerlich, zu glauben, dass das zu irgendetwas führen würde.” „Nein…” Ich runzelte tief die Stirn. „Ich bin noch nie hier gewesen. Und es ist wunderschön. Tea-Country könnte sogar der schönste Ort sein, den ich je-" Ich stockte mitten im Satz. Mein Name, so laut gerufen, dass er bis zu uns auf den Balkon vordrang, ging mir in seinem Entsetzen durch Mark und Bein. Er passte in ein Krankenhaus, in einen neonbeleuchteten OP-Saal oder auch in einen Flur voller Verletzter. Der Klang, die Lautstärke, die Angst, all das hatte sich eingebrannt und war unweigerlich mit diesen Bildern verknüpft. Meine Beine trugen mich in den Flur, sie reagierten, während alles andere noch verarbeitete, dass es Tohru sein musste, für den ich gerufen wurde. Und dass ich höchstwahrscheinlich nichts für ihn tun konnte. Haruyoshi hatte mich aus dem Flur vor seinem und Tohrus Zimmer gerufen und als ich dorthin lief, trafen sich unsere Blicke nur kurz, bevor er sah, dass ich unterwegs war und sich in das Zimmer zurückzog. Ich ahnte, in was ich hineinlief, aber das machte es nicht weniger surreal. Tohrus Leben schwand. Und was das für Haruyoshi bedeutete, wussten wir alle. Mit Sasuke dicht auf meinen Fersen, stürzte ich den Gang entlang, fluchte, als mir eine Gruppe Touristen entgegenkam, die nur langsam Platz machte. Dann erreichte ich seine Zimmertür. Dann Haruyoshi, direkt neben dem Türrahmen. Und dann sein Bett. „Tohru.” Der alte Mann atmete rasselnd und schwer. Seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig. „Tohru.” Ich legte eine Hand auf seine Stirn, strich ihm ein paar Haare aus dem Gesicht, ließ mich neben ihm auf das Bett sinken. Haruyoshi stellte sich schweigend neben mich, schaute von mir zu Tohru und wieder zurück. „Hörst du mich?” Tohrus Augen waren geschlossen aber seine Lippen formten ein paar Worte, die ich beinah nicht verstehen konnte. Ich neigte mich zu seinem Mund vor, um zu lauschen. „Ich werde es nicht…nicht schaffen.” Er holte ein paar Mal Luft. Ich lehnte mich zurück und krempelte meine Ärmel hoch. „Okay, du hörst mich wunderbar.” Ich fing Haruyoshis Blick und suchte nach seiner Erlaubnis. Wir waren an einen Punkt gelangt, an dem ich mich über ihn hinwegsetzen würde, aber ich hoffte, dass er erkannte, dass sein grauenhaftes Verbot, mein Chakra einzusetzen, jetzt nicht mehr von Bedeutung war. Haruyoshis Mund war eine schmale Linie, sein Gesicht kreideweiß - doch ein kaum sichtbares Nicken war seine Antwort. Ich beugte mich wieder über Tohru. „Ich werde ein paar Dinge versuchen, du versuchst weiter, ganz ruhig zu atmen.” Ich legte die Hände auf seine Brust, setzte mein gut gehütetes Chakra ein und sah mir an, was in seinem Inneren vor sich ging. Und so gründlich ich ihn auch aus verschiedenen Blickwinkeln begutachtete, das Ergebnis änderte sich nicht. Ich konnte nichts mehr für ihn tun. Die Entzündung war zu weit fortgeschritten, seine Organe, vor allem sein Herz, waren stark angegriffen und zu geschwächt. Ich linderte seine Schmerzen, machte ihm das Atmen noch ein wenig leichter, aber das würde nur einen Aufschub von Minuten bringen. Als ich wieder zu Haruyoshi sah, legte ich diese Feststellung klar in meinen Blick. Er schluckte hart und fasste sich an den Kopf. „Ich hätte ihn so gern…” Tohru atmete tief, begleitet von einem minimal weniger angestrengten Röcheln, und ich blickte wieder zu ihm. „…noch etwas länger am Leben erhalten.” Ich legte eine Hand an sein Gesicht. „Du hast sein Leben gerettet. Du hast ihm so viele Jahre gegeben. Er konnte mir nur dank dir helfen. Ruh dich aus…schlaf ein bisschen.” Ich war vertraut mit diesen Momenten, hatte schon einige Male Patienten dabei begleitet. Es war niemals leicht und es tat niemals nicht weh. Aber das hier…machte meine Stimme wackelig. Das hier brachte heiße Tränen dazu, sich in meinen Augen zu sammeln und machte es mir schwer, sie am Fallen zu hindern. „Ich habe ihn geliebt.” Tohru musste noch etwas loswerden, Worte, die er aussprechen wollte, bevor er gehen konnte. Seine gütigen, dunklen Augen öffneten sich noch einmal. „Ich habe es für ihn getan…wie für mich selbst…damit ich nicht…noch einen geliebten Menschen…verlieren musste. Damit ich nicht…nicht…allein sein würde.” Und ja…diese Worte legten sich in meine Glieder und machten sie schwer. Sie ließen mich still werden und starr und gaben mir ein neues Verständnis, wie er es beabsichtigte, selbst wenn es ihn so sehr anstrengte. Selbst wenn er dafür seine letzten Atemzüge opferte. Ich zwang mich, zu antworten. „Ich verstehe.” Ich drückte seine Hand, fest. „Ich danke dir für alles, ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr. Ich werde es ihm leicht machen.” Er wusste, dass ich Haruyoshi meinte und blinzelte dankbar, als wäre die Last auf seinen Schultern ein wenig leichter geworden. Dann stand ich auf und trat ein paar Schritte zurück. „Haruyoshi.” Ich begegnete seinem Blick und versuchte in meine Stimme zu legen, wie leid es mir tat. Wie furchtbar unerträglich das hier war. „Ich werde vor der Tür warten. Sag ihm, was immer du ihn noch wissen lassen willst.” Eine einsame Träne rollte seine Wange herab, aber es war keine Träne für sich selbst. Er würde keine Zeit haben, um wirklich um Tohru zu trauern, das wusste er, und doch brach es ihm das Herz, seinen treuen Schwiegervater, seinen einzigen Verwandten gehen lassen zu müssen. Er schloss einen kurzen Moment die Augen, atmete durch die Nase ein. Dann ging er zum Bett, nahm den Platz ein, den ich zuvor belegt hatte, legte eine Hand auf Tohrus Kopf und umfasste mit der anderen seine Hand, ganz fest und doch sanft, beruhigend und versichernd. „Ich bin hier, alter Mann. Direkt an deiner Seite. Bis zum Schluss.” Sasuke folgte mir nahezu lautlos aus dem Zimmer und lehnte sich neben mir an die gegenüberliegende Wand. Minuten zogen sich in die Länge. Ich starrte auf die geschlossene Tür, sah die Maserung, die abgeblätterte Farbe und spürte wie Tohrus Chakra schwächer und schwächer und schwächer wurde, bis nur noch ein Flackern übrig blieb und dann - nichts mehr. Die zuvor bekämpften Tränen quollen über, liefen meine Wangen hinab, sammelten sich an meinem Kinn. Sasuke berührte meine Hand und als ich nicht auswich, verwob er unsere Finger, bis er meine Hand fest in seiner hielt. Für ein Blinzeln und noch eins und noch ein weiteres blieben wir so. Dann machte ich mich los, wischte grob über mein Gesicht und öffnete die Tür. Haruyoshi saß an Tohrus Seite, mit dem Rücken zu uns. Er hielt noch immer seine Hand, strich noch immer über seinen Kopf. Doch sein Atem war bereits schwer. Ein leises Grollen in seiner Brust legte sich darunter, wann immer er Luft holte. „Haruyoshi.” Er drehte sich nicht um, stattdessen musterte er Tohru, als wollte er um jeden Preis seinen Gesichtsausdruck, seine Züge aufsaugen, um sie in Erinnerung behalten zu können. Tohru sah nicht friedlich aus. Ruhig, das schon, aber nicht so, als hätte er Ruhe gefunden. Trauer lag auf seinen Zügen, in dem Wissen, das er seinen Schwiegersohn jeden Moment nachholen würde. Ich wischte noch einmal über meine Wangen und schluckte hart. Dann fing Haruyoshi an zu husten. Es begann als ein Schütteln seiner Schultern, lautlos, als würde er weinen. Aber schließlich wurde daraus ein so schlimmes Husten, dass er die Faust an den Mund hob und sich vorbeugte und als er für einen Moment wieder aufsah, war Blut auf seiner Faust. Er starrte darauf, verblüfft, als hätte man ihn ausgefallen und mit viel Geschick überrascht. Und schließlich kippte er vornüber. Bevor er den Boden erreichen konnte, hatten Sasuke und ich ihn aufgefangen. Gemeinsam trugen wir ihn zu dem anderen Bett, und legten ihn darauf ab. Sasuke trat an das Waschbecken und feuchtete ein Handtuch an, das er mir brachte. Ich fühlte Haruyoshis Stirn und hielt seinen wachen, seinen wissenden Blick und nahm dankbar das Handtuch entgegen, um seine Mundwinkel und seine Hand zu säubern. Er lag ganz ruhig da, ließ mich das Blut entfernen und atmete flach, so wie Tohru es gerade noch getan hatte. „Schau dich an. Wir kannten uns nicht lange. Aber du leidest.” Seine Stimme war heiser. Und plötzlich lehnte er sich vor, griff in meinen Kragen, zog mich dicht zu sich heran, trotz der Anstrengung, die ihn diese einfache Bewegung kostete. „Tu ihm das nicht an, hörst du? Er wird es nicht verkraften.” Ich machte mich vorsichtig los, legte eine Hand auf seine Brust und nahm ihm die Schmerzen, stoppte die Blutung. „Sakura. Hör auf.” Ich schüttelte vehement den Kopf. „Ich habe meinen Frieden mit der Welt gemacht. Du kannst es nicht aufhalten.” Er hustete neues Blut und seine Lippen färbten sich rot. „Meine Zeit ist gekommen.” Sasukes Hände legten sich um meine Oberarme und er zog mich ein Stück von Haruyoshis Brust weg, so sanft wie man ein Kind von einem sterbenden Tier zurückziehen würde. Ich ließ meine nutzlosen Hände sinken, geschlagen. „Ich brauche dich.” Auch mein Flehen war erfüllt von der kindlichen Verweigerung, das Unausweichliche anzunehmen. „Ich bekomme, was ich verdiene. Und ich wäre froh, wenn das Mal mit uns sterben würde. Jetzt wird es das nicht. Und so sehr ich es aus der Welt haben möchte, ich würde doch alles geben, was ich noch habe, damit du uns nicht folgst. Ihr seid vorbereitet. Und…so jung.” Ein kleines Rinnsal Blut lief aus seinem Mundwinkel und ich tupfte noch einmal sanft darüber. „Wenn jemand die Chance hat…” Er hustete und setzte erneut an. „Wenn jemand die Chance hat, einen Ausweg zu finden…dann ihr zwei.” Sasuke hatte sich auf die andere Seite des Bettes gesetzt und er hielt Haruyoshis Hand, schweigend. „Du hast mir alles gegeben, um diese Entscheidung zu treffen und dafür bin ich dir unendlich dankbar.” Ich drückte seine Hand, beugte mich vor und küsste seine Wange. „Es tut mir so leid.” Eine widerspenstige Träne tropfte auf sein Kinn und ich beeilte mich, sie wegzuwischen. Haruyoshi lächelte. Und dieser Mensch, den ich nur so kurze Zeit gekannt hatte und den ich so lieb gewonnen hatte, brach mir das Herz. Ich konnte die Tränen nicht zurückzwingen. Ich wandte mich ab, blinzelte angestrengt, legte eine Hand mit dem Rücken an meinen Mund. „Das ist halb so übel”, bemerkte er dann, als hätte er noch schlimmeres erwartet. „Du hast magische Hände, Mädchen. Ich-” Ein neuer Hustenanfall hob ihn vom Bett und Sasuke und ich stützten ihn, bis es vorbei war. „Komm uns nicht nach. Noch nicht.” Er drückte meine Hand zurück und ich traute mich nicht mehr, wegzusehen. Sein Chakra war bereits sehr niedrig und sein Puls wurde immer langsamer. „Sasuke.” Er erneuerte seinen Griff um Sasukes Hand, sehr schwach und Sasuke drückte sie zurück, stark genug für sie beide. Ich starrte auf ihre Hände. „Du wirst sie überzeugen. Und für dich…kommen auch…bessere…Tage…” Der Rest war zu leise, um ihn zu verstehen und ging unter. Der Raum war still, nur von seinen angestrengten Atemzügen erfüllt. „Haruyoshi.” Ich drückte seine andere Hand und sein Blick fiel noch einmal auf mich. Ein sanftes Lächeln lag auf seinen Lippen aber seine Augen waren traurig, bedauernd. Er hatte Schmerzen. Ich legte meine freie Hand auf seine Brust und erhellte das gedimmte Zimmer noch einmal mit dem grünen Licht, das heilen sollte und doch nicht konnte, fest entschlossen, es ihm leichter zu machen. Er registrierte, was ich für ihn tat und einen kurzen Moment schaute er noch zurück, dann schloss er seine Augen und seine Stirn gab die Anspannung auf und glättete sich. Er atmete aus und wir warteten. Wir warteten eine Ewigkeit. Aber er atmete nicht mehr ein. *** Schließlich und endlich war alles so schnell passiert, so früh am Morgen, dass die Zeit zu knapp gewesen war, um Haruyoshis und Tohrus Freunde noch rechtzeitig zu informieren. Ein paar von ihnen warteten vor dem Zimmer, aufgeschreckt durch ihre Wahrnehmung des Verlustes zweier Chakraquellen und ihre Gesichter waren eingefallen, als sie mich und Sasuke herauskommen sahen. Ein paar fingen an zu weinen. Andere drehten sich zur Seite oder ließen ihre Köpfe sinken. Meine Stimme war schwach, als ich ihnen leise zusprach, ins Zimmer zu gehen und sich zu verabschieden und Sasuke stützte mich mehr, als dass ich mich selbst aufrecht hielt. Und als sie trauernd hinein gingen, überfiel mich das Verlangen, zu schlafen. Ich wollte nur schlafen und verschieben, mich mit all dem auseinander zu setzen, mit Chakra, das viel zu niedrig war und dem Gefühl, als würde ich jeden Moment einbrechen und nie wieder aufstehen. Sasuke las mir genug davon ab, um mich, ohne dass ich ihn darum bitten musste, in sein Zimmer zu bringen und mir zu versprechen, sich um alles zu kümmern, das erledigt werden musste. Meine Augenlider waren bereits schwer, als er Hotaru in das Zimmer holte, um eine Weile bei mir zu sein. Und dann fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf, aus der Welt mit all ihrem Leid. Als ich orientierungslos aufwachte, lag er neben mir auf dem Bett. Ich brauchte einen Moment, um aus dem Wecker Sinn zu machen und erkannte schließlich, dass es später Abend war. „Wo hast du sie hingebracht?” „Ein Bestatter aus dem Nachbarort hat sie mitgenommen.” Er sah mein bestürztes Gesicht und legte eine Hand auf meine. „Yin hat ihn begleitet und wird sich um die Beerdigung kümmern. Er lässt sie nicht aus seiner Reichweite.” Ich rieb mir mehrfach über die Stirn, rang um meine Fassung. „Ich muss nach draußen.” Sasuke erfüllte mir meinen Wunsch, ohne Einwände, legte mir meine Strickjacke um und begleitete mich an den Strand. Er war menschenleer und der Himmel ein weites Feld voller Sterne. Das Meer war ruhig und die Wellen schwappten träge, beinah liebevoll an den Strand, deckten hier und da eine Muschel auf und vergruben sie wieder, in einem stetigen Rhythmus. Mit Sasuke wortlos an meiner Seite, setzte ich mich auf ein knorriges Stück Treibholz mit einem kalten Felsen im Rücken, ein Bein angewinkelt und eins ausgestreckt, und hing meinen Gedanken nach. Vor meinem inneren Auge spielte sich der Morgen in allen Details ab und als ich glaubte, diese Bilder nicht mehr ertragen zu können, wurden sie überlagert von der Erinnerung an Sasuke, Haruyoshi, Tohru und mich, hier am Strand, mit einer Flasche Wein - lachend, heiter, lebendig. Er und ich, wir waren jetzt allein. Wir hatten keine Führung mehr. Keine weisen Mentoren, die unsere Fragen beantworteten und Zuversicht spendeten, wenn wir keine aufbringen konnten. Ich neigte den Kopf. „Ich hätte ihnen früher helfen können.” „Es war zu riskant. Und sie wollten es nicht.” Ich schaute zu ihm. „Mir ist nichts passiert.” „Das kannst du nicht mit Sicherheit sagen.” „Und Haruyoshi oder Tohru können wir nicht mehr fragen…!” Ich atmete leise aus und schloss die Augen. „Tut mir leid.” Es war nicht meine Absicht, auch nur einen kleinen Teil an ihm auszulassen. Er gab mir zu verstehen, dass keine Entschuldigung nötig war und wir fielen wieder in Schweigen zurück, das Sasuke irgendwann gedämpft durchbrach. „Hast du ihn noch einmal gesehen?” Er musste nicht weiter ins Detail gehen. Ich schüttelte den Kopf, den Blick auf den silbrigen Sand gerichtet, hell erleuchtet durch das Licht, das der Mond spendete. „Ich glaube nicht, dass er wieder auftauchen wird.” Aber nach allem, was heute passiert war…war das kein Trost. *** Haruyoshis und Tohrus Beerdigung, zwei Tage später, die in einem abschirmenden Schleier vergangen waren, fiel auf einen grauen, nebligen Tag. Der kleine Kreis am Strand sah still dabei zu, wie beide Männer verhüllt auf das Boot gelegt wurden und Yin trat an den Scheiterhaufen heran und zündete ehrfürchtig, zutiefst traurig, das Feuer an, das unsere beiden Freunde verschlucken würde. Ich stand am Ufer, blickte auf den brennenden Holzhaufen auf dem kleinen Boot, das langsam auf das Meer hinaus trieb, und die Lotosblüten, die mit ihm über die unruhige Wasseroberfläche glitten. Zu sehen wie Haruyoshi und Tohru sich immer weiter von uns entfernten zwang mir eine Endgültigkeit auf, die sich nicht mehr viel länger verdrängen ließ. Was beide Männer zuletzt zu mir gesagt hatten, beschäftigte mich ununterbrochen. Es höhlte mich langsam aus. Zurückgelassen zu werden ist hart. Zurückgelassen zu werden, wenn man etwas tun kann, um das zu verhindern, ist noch schlimmer. Ich erinnerte mich daran, Haruyoshi einmal gefragt zu haben, wann er begonnen hatte, Tohrus unerlaubtes Opfer zu akzeptieren. Wann er damit in Einklang gekommen war, dass Tohru ihm das Leben gerettet und ihn gezwungen hatte, weiterzuleben, auch ohne seine geliebte Frau. Er konnte mir keine klare Antwort geben, aber er hatte etwas gefunden, das ihn zufrieden stellte. „Das bringen die Zeit und das Alter mit sich, Sakura. Die Erkenntnis, was er für mich aufgegeben hatte, hat mein Selbstmitleid ziemlich schnell auf seinen Platz verwiesen.” Als der Nebel die beiden nach und nach schluckte, loderten die Flammen hoch und tauchten die Luft um das Boot herum in einen warmen Schein, der sich wie eine schützende Blase über Tohru und Haruyoshi legte. Ich sah in die Runde, fand traurige Blicke, die auf dem Boot lagen. Und einen weiteren Blick, nur dunkel - ohne Mitgefühl, ohne Erbarmen. Er stand mitten unter den Trauernden, ein boshaftes Lächeln auf den Lippen und als er meine volle Aufmerksamkeit hatte, legte er einen Finger makaber an den Mund und machte einen rügenden Laut, als hätte ich die Runde mit meiner Lautstärke gestört. Sasuke stand direkt neben mir und er bemerkte meine Anspannung sofort, aber als er meinem Blick folgte, war klar, dass er ihn nicht sehen konnte - auch wenn er sicher genug ahnte, was ich anstarrte. Ich verpasste den letzten Blick auf das brennende Boot, bevor der Nebel und das Meer es für immer mit sich nahmen. Er verschwand, als sich die Gruppe zum Gehen wandte, um im Hotel noch ein paar Stunden Geschichten zu erzählen und Erinnerungen zu teilen. Erst dann bemerkte ich, wie fest ich Sasukes Arm umklammert hielt und zog meine Hand mit einem Laut tiefer Erschöpfung zurück. „Ist er noch da?” Sasuke musterte mich besorgt, immer noch hin und wieder um uns herum blickend, als könnte er Itachi plötzlich - grundlos - doch noch sehen. Ich schüttelte den Kopf. Er zog mich an seine Seite und hielt mich dort einen langen Moment. Aber als er Haruyoshis und Tohrus Freunden folgen wollte, blieb ich stehen und stoppte ihn. „Wir müssen nach Hause zurück.” Er sah abwägend zum Hotel und der Gruppe. „Du willst nicht noch mit ihnen reden?” „Ich kann nicht.” Ich senkte den Kopf, nicht in der Lage ihn bei diesem Eingeständnis anzusehen. Haruyoshis und Tohrus Freunde waren freundlich und gutmütig, aber ich konnte ihren Schmerz und ihre Trauer nicht länger ertragen. Es war bereits zu viel, sie zu sehen und dabei immerzu die Gesichter meiner Freunde und Familie vor Augen zu haben, ohne Pause daran denken zu müssen, wie es für sie sein würde, wie meine Eltern unter ihrer Trauer stolpern, wie Naruto und Ino leiden würden, wie die stoische Tsunade hin und wieder ins Schwanken kommen und wie Kakashi den Verlust einer weiteren Person, die ihm nahe stand, überstehen müssen würde. Ich konnte sie nicht ertragen, diese Spiegelungen meiner unmittelbaren Zukunft. Und Sasuke zwang mich nicht dazu. *** Wir verließen Tea-Country nur eine halbe Stunde später, nach einem kurzen Abschied von Haruyoshis und Tohrus Freunden und mit dem wenigen, das wir mitgebracht hatten, in unseren Taschen verstaut. Hotaru sah mir lange nach, bis wir aus dem Sichtfeld des Hotels verschwunden waren und ich hatte noch eine Weile danach Mühe, ihren wachsamen Blick abzuschütteln. Unsere Reise verlief ohne Zwischenfälle, ruhig, ganz anders als der Weg hierher, aber meine Schulter, die immer noch nicht ganz verheilt war, verlangsamte uns. Wir schliefen zweimal in einem Gasthof und Sasuke hielt mich in der Nacht, aber er machte keine neuen Anläufe, mich zu überzeugen, als wüsste er, dass der Kummer mich meilenweit von dieser Sorge abgeschottet hatte. Als wir den Ort passierten, an dem ich vor Wochen zusammengebrochen war, ließ er mir wortlos die Zeit, die ich auf dem breiten Ast verbrachte, die Hände auf die raue Rinde gelegt, mit jeder Faser noch einmal in diesem Moment, in dem das Ende unmittelbar gewesen war. Ich war etwas weniger benommen, als wir weitergingen. Ein Stückchen mehr bei mir und dankbar, dass der Weg nicht mehr allzu lang war. Ich war langsam und schnell erschöpft und als Sasuke uns deshalb Pferde besorgte, wehrte ich mich nicht, wissend, dass ich die Hilfe brauchte und so nahm ich sie an. Es wurde grüner um uns herum, vertraute Straßen machten uns die Reise leichter und schließlich waren Konohas Mauern aus der Ferne zu sehen. Ich konnte sie nicht wahrnehmen, aber das bedeutete nicht, dass ich nicht wusste, dass sie sehr wahrscheinlich auf uns warteten. Ich sah zu Sasuke. „Sind sie da?” Meine Stimme war matt. Sasuke nickte ernst. „Gibst…” Ich senkte den Kopf. „Gibst du mir einen Moment?” „Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.” Ich war mir sicher, dass wir beide dasselbe dachten. Aber Sasuke war dicht genug, dass er mein Chakra im Auge behalten konnte. Also ging er das Risiko eines neuen Besuchs von Itachi für mich ein und ritt vor. Und als ich schließlich genug Mut gesammelt hatte und mein Pferd wieder antrieb, war es ohne einen Schimmer vom vorletzten Uchiha. Sie alle warteten am Tor, das mich vertraut willkommen hieß, wie so viele Male in all den Jahren zuvor. Sie wussten Bescheid. Ich konnte es an ihren Gesichtern sehen und Sasuke stand neben seinem Pferd, wie ein Bräutigam am Altar, der den Geist seiner Braut sieht, die ihn niemals erreichen wird. Doch ich lächelte für sie alle und ließ mir vom Pferd hinunter helfen, nicht weniger froh, sie wiederzusehen. Naruto war der erste, der mir um den Hals fiel, dicht gefolgt von Ino, die erst versuchte, sich Platz zu schaffen und dann, als Naruto keine Anstalten machte, wieder loszulassen, einfach uns beide umarmte. Keiner von beiden sagte etwas, vielleicht weil sie keine Worte fanden, vielleicht, weil es schlicht nichts zu sagen gab und eine Umarmung wie diese genug war. Ich nahm keine Sekunde ihrer Zuneigung als selbstverständlich wahr. „Danke, dass ihr gekommen seid.” Sie antworteten nicht und spätestens jetzt war klar, wie sehr sie sich für mich zusammenrissen. Ich schloss kurz die Augen und klopfte ihnen ein paar Mal auf die Schultern. Als sie mich wieder freigaben, fiel mein Blick auf meine Eltern, die direkt dahinter auf mich warteten. Wir sahen einander ein paar Sekunden an, dann fiel ich ihnen in die Arme und sie drückten mich, als hätten wir einander Jahre nicht gesehen. „Du bist so dünn, so blass”, hörte ich meine Mutter in meinem Nacken klagen und ich zog den Kopf zurück und strich ihr liebevoll mit einem Lächeln über die Haare. „Du kannst mich wieder anfüttern.” Sie wollten mich kaum loslassen, mit tausend Fragen, die Zeit hatten, um Zuhause besprochen zu werden. Ich bat sie, noch einen Moment zu warten, und ging dann zu Kakashi und Tsunade, die etwas abseits standen. Im Grunde hatte sie nicht die Zeit und es gab ohnehin nichts, das sie für mich tun konnte - aber die Hokage war für ihre Sturheit bekannt und wenn sie hier sein wollte, konnte sie niemand davon abhalten. Und Kakashi…Kakashi sah nicht gut aus. Sein sichtbares Auge barg sein ganzes Wissen, all die Tragödien, die er bereits erlebt hatte, als er eine Hand an mein Gesicht legte und leise seufzte. „Es ist gut, euch wieder Zuhause zu haben.” Ich legte meine Hand auf seine und das war Antwort genug. Dann drehte ich den Kopf zu Tsunade und ihre stoische Zurückhaltung machte mir Sorgen. „Sakura.” „Das Rätsel ist gelöst, Hokage-sama.” Ich zuckte mit einer Schulter, halbherzig, aber nicht sicher, wie ich sonst mit ihrem Verhalten umgehen sollte. Sie musterte mich rasch und ihr Blick blieb an meiner Schulter hängen. „Es ist okay”, kam es über meine Lippen. Sie erwiderte nichts, kein ‚So weit ist es also gekommen’, kein ‚Was in aller Welt tust du bloß?’. Sie legte nur ihre flache Hand auf meinen Arm und heilte Itachis Verletzung in einem Blinzeln, so unangestrengt wie man Luft holt. Ich senkte die Lider. „Danke.” „Ich habe Shizune angewiesen, dich zu untersuchen.” Sie wusste, dass es nicht dazu kommen würde, aber ich stoppte sie trotzdem mit sanftem Nachdruck. „Mir fehlt nichts, Tsunade. Zumindest nichts, das Shizune oder du beheben könnten.” Ihr Kiefer spannte sich an und ich schüttelte leicht den Kopf. „Eine durchgeschlafene Nacht wird helfen. Lass uns morgen über alles sprechen.” Sie nickte nicht, stimmte nicht zu, aber sie hielt mich auch nicht auf und das war genug. Ich warf einen Blick über meine Schulter und entdeckte Sasuke dabei, wie er jemandem die Pferde zur Versorgung übergab und seine Aufmerksamkeit dabei nie wirklich von mir nahm. Ich deutete ihm mit einem Nicken zu meinen Eltern an, jetzt mit ihnen zu gehen und auch er hielt mich nicht auf, aber er ging sicher, dass ich seine stille Mahnung, selbst Zuhause nicht allein in einem Zimmer zu sein, richtig deutete. Ich schickte ihm ein Lächeln, das seine Vorsicht wohlmeinend verspottete, dann hakte ich mich bei meinen Eltern ein. „Bevor ich es vergesse…Ino?” Sie hob eine Braue. „Sehen wir uns morgen?” Ein halbes Lächeln schaffte es auf ihre Lippen. „Das fragst du noch?” „Naruto?” „Selbstverständlich.” Beruhigt schlug ich mit meinen Eltern den Weg nach Hause ein, mit genug Müdigkeit in den Knochen, um ein paar Tage am Stück schlafen zu können - aber wachsam genug, um mehr als einen Blick auf mir zu spüren, tief in Gedanken versunken und maßlos unglücklich. *** Ich erklärte meinen Eltern alles so gut ich konnte, ließ Unwichtiges und unnötig Schmerzhaftes weg und stellte mich ihrem Unverständnis. Niemand konnte es ihnen verübeln: Sie schossen sich sofort darauf ein, Sasukes Angebot anzunehmen und egal wie oft ich darauf pochte, dass mein Leben nicht mehr wert war als seines oder besser oder lebenswerter, sie wollten diese Wahrheit nicht annehmen. Sie kannten sie. Aber alles, was sie sehen konnten, war der unmittelbar bevorstehende Tod ihrer Tochter, der durch das Opfer einer ihrer Freunde verhindert werden konnte. Wir kamen so nicht weiter und ich war erschöpft. Also stand ich auf, schloss die Augen und drehte den Kopf zur Seite. „Ich möchte meine Sachen zurückbringen. Und ich möchte endlich eine Nacht in meinem eigenen Bett schlafen.” „Ausgeschlossen. Du bist gerade erst zurück und deine Mutter und ich müssen ein Auge auf dich haben.” Ich fing den Blick meines Vaters, bemüht um Strenge und doch von Sorge zerfressen. „Ich passe auf mich auf, Otousan. Und ich werde nur ein paar Straßen entfernt sein.” „Sakura, bleib. Ich bitte dich.” Meine Mutter war ein Schatten ihrer selbst, aber ich musste mir in Erinnerung rufen, dass ich es niemandem leichter machte, wenn ich hier blieb und beständig ihre Überzeugungsversuche auslöste, also schüttelte ich den Kopf. „Ich komme gleich morgen wieder her. Direkt nach meinem Gespräch mit Tsunade.” Sie folgten mir aufgebracht bis an die Tür, bedrängten mich, zu bleiben, und ich schaffte es kaum bis zur nächsten Straßenecke, bevor ich unter ihrem Leid einknickte. „Lass mich dir das abnehmen.” Ich hob den Kopf und entdeckte Sasuke ein paar Schritte entfernt. Widerstandslos ließ ich ihn meine Tasche schultern. „Hast du die ganze Zeit hier gewartet?” Er schaute nicht weg. „Ich wollte in der Nähe sein. Für einen Fall wie diesen.” „Du wolltest nicht wirklich hier auf der Ecke schlafen.” „Genaugenommen habe ich das Dach deiner Eltern in Betracht gezogen.” „Sasuke…” Ich seufze schwer und strich meine Haare nach hinten. „Du musst nicht jede Sekunde an meiner Seite sein und springen, sobald ich auch nur huste.” Er neigte den Kopf zugestehend, aber ich hatte Zweifel daran, dass er etwas ändern würde. „Was könntest du tun, wenn etwas passieren würde?” „Ich wäre da.” Er sagte es so selbstverständlich, dass ich unvermittelt Schwierigkeiten beim Schlucken hatte. Auf der Suche nach Haltung schaute ich die Straße entlang und ließ die Schultern sinken. Meine kleine Wohnung erschien auf einmal nicht mehr einladend, nicht mehr wie der sichere Hafen, der sie vor unserer Reise nach Tea-Country gewesen war. Ich blickte wieder zu Sasuke. „Wo bleibst du im Moment?” „Im Uchiha-Viertel.” Er sah mir meine Überraschung an, doch er sagte nichts dazu. Und ein Gedanke formte sich und kam über meine Lippen, bevor ich es mir noch einmal überlegen konnte. „Kann ich mitkommen?” Wenn er überrascht darüber war, ließ er es sich nicht anmerken. „Sicher.” Er deutete unsere Wegrichtung mit dem Kopf an, wartete, als glaubte er, ich würde es mir gleich anders überlegen, aber als ich das nicht tat, fielen wir in einen gemäßigten Gleichschritt durch die Straßen Konohas, die nach einem langen Tag nur gemächlich genutzt wurden. Ich war dankbar und zugleich erbost, weil er meine Tasche trug und doch über alle Maße froh darüber, dass er wieder an meiner Seite war. Es war ein wirrer Mix. „Du siehst immer noch erschöpft aus.” „Ich habe vorhin nur ein paar Stunden geschlafen.” Nachdem ich geduscht und meine Mutter mich bekocht hatte; bevor ich das grausige Gespräch mit beiden führen musste. „Wo bist du gewesen?” „Ich habe mit Tsunade und Kakashi das Jutsu durchgesprochen. Er hat mir damals mit meinem Fluchmal geholfen, zumindest für eine Weile, und er ist alles noch einmal durchgegangen.” Ich würde nicht danach fragen, zu welchem Schluss er gekommen war, und das wusste Sasuke. „Es ist unsere beste Option.” Als ich nichts sagte, ließ er seinen Blick über mich schweifen. „Willst du Ino sehen? Naruto?” Ich wandte das Gesicht ab. „Mir ist nicht besonders nach Gesellschaft.” Ich hatte sie sehr vermisst. Auch in diesem Moment fehlten sie mir, so sehr, dass es körperlich schmerzhaft war. Aber ich hatte verdrängt, wie schwierig alles sein würde. Jetzt, wo Tsunade sie informiert hatte, würden sie alle gleich handeln, alle versuchen, mich zu überzeugen und das kostete mich Kraft, die ich dafür nicht hatte. Ich sah auf meine Tasche über Sasukes Schulter. „Es fühlt sich immer noch fremd an.” „Was?” „Dich meine Sachen tragen zu lassen.” Er atmete schwer aus. „Ich weiß, dass du deine Unabhängigkeit über alle Maßen schätzt. Das tue ich auch. Aber das hier-” Ich stoppte ihn mit einer gehobenen Hand, meine Aufmerksamkeit auf einen Türrahmen nur ein paar Häuser weiter fokussiert. Es war der Blumenladen von Inos Familie und Shikamaru hatte gerade dort geklopft, wenn möglich mit einem noch dunkleren Stirnrunzeln als normalerweise. Als ihm geöffnet wurde, sah ich seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt und dann nahm er Ino in die Arme. Ihr Schluchzen konnte man bis hierher hören und in meinen Ohren klang es nach, auch als Shikamaru die Tür hinter ihnen schloss. Ich stand mitten auf der Straße, erstarrt, kaum in der Lage, zu atmen. „Oh Gott…” Ich legte die Hände über mein Gesicht, schüttelte den Kopf. Sasuke fasste nach meiner Hand und ich sah auf. „Komm.” Er führte mich zur nächsten Abzweigung und wir machten einen Bogen um den Blumenladen. Ich ließ mich von ihm führen, erst noch stolpernd, dann immer dankbarer dafür, mehr Abstand zwischen Ino und mich zu bringen. Als er vor einem hohen Tor stehen blieb, schenkte ich meiner Umgebung erstmals wieder etwas Aufmerksamkeit und stellte fest, dass einige Häuser um uns herum leer standen und die Straßen verlassen waren. Das Uchiha-Viertel hatte sich in den Jahren seit dem Tod nahezu aller seiner Bewohner verändert. Nach und nach hatte man Häuser verkauft, umgebaut oder abgerissen und es war nicht mehr allzu viel von dem einst beeindruckenden Vermächtnis der Uchihas übrig geblieben. Ich wusste, dass man Sasuke die Grundstücke und Häuser seiner engsten Verwandten gelassen hatte, dass er daran zumindest äußerlich nie etwas verändert hatte. Aber ich war nie in seinem Zuhause gewesen. Und als ich an dem eindrucksvollen Tor hoch sah, breitete sich eine düstere Vorahnung in mir aus. Sasuke öffnete das Tor mit einem Knirschen, als würde es eher selten benutzt und ging in den Innenhof. Ich folgte ihm nur langsam, nahm die Größe und Leere mit aufmerksamen Blicken auf. Er blieb vor einer Schiebetür stehen, öffnete sie und drehte sich wartend zu mir um. Die Bilder bauten sich automatisch in mir auf, dieser große Komplex, ruhig und einsam, und der stille, dunkelhaarige Junge, der zurückgeblieben war, allein - von der Trauer, von dem, was er gesehen hatte, für immer gezeichnet. Ich schloss zu Sasuke auf, versuchte die Geister dessen, was sich hier abgespielt hatte, abzustreifen. „Ich habe meinen Vater zu dir gehen sehen. Als ich am Tor mit Kakashi und Tsunade gesprochen habe. Was hat er von dir gewollt?” Er zog mich fest in seine Arme, hielt mich ein paar Augenblicke, küsste meinen Hals. „Er hat mich gefragt, ob ich dich zwingen kann. Und er war nicht der erste.” „Kannst du es?” Sein Schweigen war nicht eindeutig. Dann… „Willst du es von innen sehen?” Als ich ihn jetzt ansah, fragte ich mich, ob er jemals zuvor jemandem sein stilles, leeres Haus gezeigt hatte - und ich nickte. Er führte mich über die Schwelle und durch aufgeräumte, helle Räume ohne Staub, aber zugleich ohne viele Zeichen von Leben. Der Trainingsraum war am meisten als zu ihm gehörig zu erkennen. Abgesehen davon schien Sasuke nicht viel zu brauchen - oder sich nicht viel zuzugestehen. Einige Räume standen vollkommen leer, andere wie die Küche beinhalteten das Nötigste. Ein langer Flur dagegen war übersät von Fotografien und Gemälden. Unzählige dunkelhaarige Menschen in jedem Lebensalter folgten mit ihren Blicken unseren Schritten an ihnen vorbei. Ihn zu fragen schien am naheliegendsten und doch baute sich dabei eine Scheu auf, die ich nur schwer niederringen konnte. „Sind das alles Vorfahren von dir?” Er nickte leicht, selbst in der Musterung seiner Verwandten gefangen. Wie konnte er so leben? Umgeben von allen, die er verloren hatte, immer mit ihnen vor Augen, wenn er Räume verließ und Räume betrat. „Ich habe ihre Gesichter so schnell vergessen. Dann bin ich hierher gekommen. Es hat geholfen, ihr Aussehen hier sicher zu wissen.” Und ich war sicher, dass sie auch dazu beigetragen hatten, sein Ziel, das er sich bereits als Junge gesetzt hatte, mit aller Kraft am Leben zu halten. Ich trat an ein Bild heran, auf dem ich Sasuke erkennen konnte. Sein Vater verschränkte die Arme. Aber seine Mutter stand hinter Sasuke, die Hand auf seine Schulter gelegt und ein Lächeln auf den Lippen. Neben ihr war weniger Platz als neben Sasukes Vater. Bevor das Foto am Rand abgeschnitten worden war, musste Itachi auch darauf zu sehen gewesen sein. „Sie war sehr schön”, sagte ich leise. Sasuke stellte sich neben mich. „Und gütig. Ganz anders als mein Vater.” Ich drehte mich zu ihm. „Hast du viele Erinnerungen behalten?” „Genug. Und gleichzeitig zu wenige.” Er streckte die Hand aus, als wollte er über das Bild streichen, dann zog er sie wieder zurück. Das Lächeln seines kindlichen Ebenbildes war fremd in seiner Unbeschwertheit. Mit gestrafften Schultern ging er weiter den Flur entlang und nach einem weiteren langen Blick auf das Familienfoto folgte ich ihm. Itachi war auf keinem Foto zu sehen. Das nächste Zimmer, das Sasuke mir zeigte, war sein Schlafzimmer. Es war wohnlicher als der Rest des Hauses, aber auch hier stand die Zweckmäßigkeit im Vordergrund. Es fühlte sich an, als ob Sasuke in seiner rastlosen Suche nach Rache nie wirklich hier gelebt hatte, immer nur für Zwischenstopps zurückgekehrt war und als ob ein richtiges Zuhause nie für ihn in Frage gekommen war. Bis Itachi für seine Taten gebüßt hatte. Ich ging langsam durch das Zimmer, musterte das große dunkle Bett, die dunklen Schränke, die Katanas an den Wänden, alles unter Sasukes abwartendem Blick. „Es ist sehr groß.” Ich blieb stehen und neigte den Kopf. „So viel Platz für dich allein.” Er nickte einmal kurz, immer noch wartend. Ich atmete tief ein und ließ mich auf einen Stuhl sinken, der mit einem zweiten Stuhl und einem kleinen Tisch am Fenster stand. Seinen klugen Augen entging nicht, dass ich nicht mehr stehen konnte und der Schmerz darin spiegelte meinen verletzten Stolz. Ich räusperte mich. „Ist es jetzt anders für dich?” Er wusste genau, was ich ihn damit fragen wollte und schaute sich nun selbst im Raum um, als hätte er bisher noch nicht einmal darüber nachgedacht, wie er sich hier fühlte, nachdem er seine Aufgabe erfüllt hatte. „Ich habe lange nicht mehr wahrgenommen, wie leer dieses Zimmer, das ganze Haus ist - bis du dich auf diesen Stuhl gesetzt hast.” Er sagte es nachdenklich, als hätte er wirklich gerade zuvor zu dieser Erkenntnis gefunden. „Es geht mir jetzt besser, mit dir. Besser als es sehr lange Zeit der Fall gewesen ist.” Ich schaute eine Weile zurück, nach allem, was wir in den letzten Tagen zusammen erlebt hatten, mit einem ganz neuen, vertrauteren Blick auf ihn. Ich konnte mehr von ihm zu sehen als je zuvor. Und ich wusste nicht, wie ich mit diesem wertvollen Zugeständnis umgehen sollte, so wie die Dinge standen. Mittlerweile war die Sonne beinah untergegangen. Sasuke ging zur Wand und schaltete Lampen ein, die gedämpft in zwei Zimmerecken leuchteten. „Es muss ein schönes Zuhause gewesen sein.” „Es ist schlicht. Aber ich bin es so gewohnt.” „Hast du etwas verändert, irgendwann danach?” Er kam zu mir und setzte sich auf den Stuhl gegenüber. Sein Blick war sehr weit weg. „Sie haben einiges entfernt, direkt danach. Vieles ist zerstört worden. Und vieles habe ich nie gebraucht.” Er schaute unter seinem dunklen Haar zu mir. „Ich wusste nie, was ich mit dem Viertel anfangen würde, sollten sie eines Tages alle Frieden gefunden haben. Und heute gehören nur noch ein paar weitere Grundstücke zu diesem. Aber ich denke, mittlerweile weiß ich, was daraus werden soll.” Ich legte meine Ellbogen auf den Tisch und neigte mich vor, ehrfürchtig vor diesem Eingeständnis. „Was?” Er rieb sich über den Kopf, schloss kurz die Augen, als wäre er erschöpft. „Ich muss noch eine Weile darüber nachdenken.” „Versprich mir, dass du es umsetzen wirst.” Er atmete schwer aus. „Ich kann nicht.” „Aber du musst. Du musst dir etwas aufbauen, das dir allein gehört. Das dich glücklich macht.” Er nahm die Hand hinunter und sein Blick wurde vorwurfsvoll. „Ich kann das nicht noch einmal durchmachen. Beinah mein ganzes Leben war ich gelähmt durch diesen Verlust. Durch die Notwendigkeit, ihnen Frieden bringen zu müssen. Was, glaubst du, wird passieren, wenn ich dich verliere?” Der Schmerz in meiner Brust war nicht mehr zu ignorieren, so präsent, dass ich mir im Versuch, ihn zu mildern, darüber rieb, aber Sasuke gab nicht nach. „Sakura. Wenn du stirbst, sterbe ich mit dir.” Er griff nach meinem Handgelenk, doch ich entzog es ihm wieder. „Sag so etwas nicht.” Ich dachte an die Tage, die ich mit Haruyoshi verbracht hatte, an die Abendessen mit seinem Vater, an die Stunden am Strand, an die Beerdigung. Aber mehr als das gingen mir Tohrus Worte durch den Kopf, seine bedingungslose Liebe für den Schwiegersohn, der nur so wenige Jahre offiziell sein Schwiegersohn gewesen war, und seine Trauer, nicht über seinen eigenen bevorstehenden Tod, sondern über die Tatsache, dass er nichts tun konnte, nicht eine Stunde mehr kämpfen konnte, um Haruyoshi noch länger am Leben zu halten. Ich versuchte das Bild abzuschütteln, aber Haruyoshis Husten, sein herzliches Lächeln, seine traurigen Augen waren hartnäckig. Ich vermisste sie beide. Und noch immer nagte die Schuld an mir, mit stumpfen Zähnen, die nur hier und da brockenhaft etwas abtrugen, aber dann mit voller Kraft. Wenn ich sie früher gefunden hätte, wenn Tsunade dort hätte sein können…wenn ich Tohrus Erkrankung früher bemerkt und behandelt hätte…wenn, wenn, wenn… Ich sah Tohrus gebrechliche Form, so still und kalt auf seinem Bett. Ich sah Haruyoshi, hörte seinen rasselnden Atem und seine Warnung an mich: ‚Tu ihm das nicht an, hörst du? Er wird es nicht verkraften.’ Ich stand auf, machte ein paar eilige Schritte von ihm weg. Ich schluckte hart, schloss die Augen. „Hast du schon verdrängt, wie sehr er gelitten hat? Wie sehr sie beide gelitten haben? Das war ein grausamer Tod. Wie könnte ich dir das antun?” Ich schluckte hart, wischte einmal über mein Gesicht, schüttelte vehement den Kopf. „Niemals. Es ist ausgeschlos-” „Sakura.” Er trat hinter mich, drehte mich um und griff unter mein Kinn, wartete bis ich durch verschwommene Augen seinem Blick begegnete. „Es war furchtbar und nicht fair. Aber Haruyoshi ist beinah fünfzig Jahre später gestorben als es für ihn vorgesehen war. Du und ich wissen es besser als viele andere. Das Leben ist kostbar. Zerbrechlich. Und Haruyoshi hat uns die Mittel gegeben, um deines nicht sinnlos zu verlieren.” Ich wollte meinen Kopf wegdrehen, aber Sasuke ließ mich nicht. „Es gibt nur eine begrenzte Zahl an Tragödien, die ein Mensch ertragen kann.” Seine Stimme wurde leiser und brach, doch er hielt meinen Blick, als wollte er jedes Wort damit unterstreichen. „Ich will ohne dich nicht weitermachen.” ‚Das hier war ein Zimmer für Bedienstete. Und so lebt mein Bruder jetzt.’ Der Schock, Itachi nur ein paar Schritte hinter Sasuke zu entdecken, fuhr mir durch alle Glieder. Er hatte von seinem ersten Auftauchen an nicht ein einziges Mal in Sasukes Gegenwart zu mir gesprochen. Aber jetzt war er so nah, vollkommen unerwartet, und hatte keine Skrupel seine Kommentare einzuwerfen. Ich stolperte durch meine Optionen. Sasuke wartete auf eine Erwiderung von mir - und Itachi auch. Ich legte eine Hand an Sasukes Gesicht und er stockte, sah zwischen meinen Augen hin und her. Ehrlich. Verletzlich. „Was würdest du tun?” Seine Augen weiteten sich. „Das ist nicht fair.” Ich kämpfte, um meinen Blick nicht von ihm zu lösen, nicht auf Itachis unnatürliche Bewegungslosigkeit zu sehen. „Natürlich ist es das. Es ist dieselbe Frage, nur in umgedrehten Rollen.” Er ließ mein Kinn los. „Das ist es nicht. Dein Bruder hat nicht deine gesamte Familie umgebracht. Dein Bruder hat mich nicht zum Tod verurteilt!” Und hier, für einen kurzen Moment, brach der tiefe Schmerz, der niemals ganz verschwinden würde, aus seinen Worten. ‚Genau genommen hat er dich zum Tod verurteilt.’ Ich knirschte mit den Zähnen und hielt eine Erwiderung zurück. Anzuerkennen, dass er hier war, wäre dasselbe wie Öl ins Feuer zu gießen. Sasuke würde sich etwas aufbauen. Heilen. Daran hatte ich keinen Zweifel. „Es geht nicht um Itachi, Sasuke. Das haben wir lange schon hinter uns gelassen.” ‚Habt ihr das?’ „Ich lasse dich nicht sterben.” Sasuke lehnte seine Stirn an meine, umfasste meine Taille und hielt mich sehr fest. Ich zog mich etwas zurück und nahm sein Gesicht in beide Hände. „Glaubst du wirklich, dass ein Mensch in der Lage ist, die Reichweite einer solchen Entscheidung absehen zu können?” Er senkte den Kopf und überraschte mich erneut, als er ihn gegen mein Schlüsselbein sinken ließ und dort mit seiner Stirn verharrte, immerzu einen verlorenen Kampf austragend. „Das weiß ich.” ‚Sieh dir an, was du aus ihm gemacht hast. So am Boden zerstört war er nicht einmal, als er all unsere Verwandten auf einem Haufen gefunden hat.’ Ein getroffener Laut kam über meine Lippen. Angewiderte Verfluchungen lagen mir auf der Zunge. Aber dafür machte er sich die Mühe. Und ich würde ihn ignorieren. „Sakura. Wenn ich dir genug bedeute, um dich dieses Opfer bringen zu lassen, dein Leben zu geben, damit ich meines unberechenbar, ungarantiert, vielleicht nur sehr kurz leben kann…dann musst du meinen Wunsch respektieren. Ich kenne Einsamkeit. Ich kenne mehr Verlust als eine einzige Person je ertragen sollte. Das größte Geschenk, das du mir machen kannst, ist, mich dieses eine Mal nicht verlieren zu lassen. Du bedeutest die Welt für mich.” ‚Und in ein paar Monaten, vielleicht ein paar Wochen könntest du ihn damit umbringen. Innerhalb eines Blinzelns.’ Ich zuckte zurück, als hätte Itachi mir körperlich Schmerzen zugefügt. Er hätte es genauso gut tun können. Er wusste, dass Sasukes Wohl meine Schwachstelle war. Sasuke nahm meine Reaktion zur Kenntnis und lehnte sich sanft vor. „Verlass mich nicht. Ich brauche dich.” Das Flehen in seiner Stimme brachte mich ins Wanken. ‚Am Ende bist du nicht selbstloser als alle anderen auch. Das eigene Wohl in den Vordergrund zu stellen ist ein menschlicher Makel, der sich einfach nicht abstellen lässt.’ Ich hielt inne, irritiert von seinem Drängen. Itachi wendete entschieden zu viel Energie dafür auf, mich von der Rettung durch Sasuke abzubringen. Wir wussten nicht, ob er wirklich etwas dadurch gewann, abgesehen von einem weiteren Versuch, Sasuke Leid zu bringen.  Und doch - auch mit so viel Hass auf seinen Bruder - erschien mir all das am Ende einfach zu groß, nur um Sasuke noch einmal in den Rücken zu stechen. „Was sagt er dir?” Ich hob den Kopf, aus meinen Gedanken gerissen. Sasuke schaute zurück, gefährlich ruhig. Und er wusste, dass Itachi hier war. Ich schluckte. „Er sagt, dass dieses Zimmer einmal ein Zimmer für Bedienstete war.” Ich glaubte nicht, dass Sasuke zuvor bezweifelt hatte, was ich ihm über Itachi erzählt hatte. Aber weil er ihn nicht sehen, nicht wahrnehmen konnte, musste es ihm schwer gefallen sein, meine dürftigen Beschreibungen zu akzeptieren und sich darunter etwas vorzustellen. Und so traf ihn diese Information über ein Zimmer, das ich nie zuvor gesehen hatte, umso härter. Er machte ein paar Schritte nach hinten, hob beide Arme, ließ den Blick an den Wänden entlang schweifen. „Du wagst es, wieder in dieses Haus zu kommen…” Er konnte ihn nicht sehen - ich wusste, dass er ihn nicht sehen konnte - und doch, wie durch einen surrealen Zufall, verharrte Sasuke und plötzlich standen sich die beiden Brüder in meinen Augen gegenüber. Itachi musterte ihn mit finsterer Neugier, dieses Mal ohne einen Funken von Spott. Und Sasuke senkte seine Stimme wie ein dunkler Racheengel. „Du kannst dich über das, was du getan hast, hinwegsetzen, so viel du willst - am Ende wirst du dafür brennen. Und du wirst sie nicht nachholen. Du wirst nicht mit ihr die Plätze tauschen. Brenn in der Hölle, Itachi. Tausendfach für all das Blut, das an deinen Händen klebt.” Ich sah zu Itachi, der seinen Blick nicht von Sasuke genommen und jedes Wort aufgesaugt hatte, dessen Gesichtsausdruck kalt und berechnend war. Ohne es zu ahnen, drehte Sasuke ihm den Rücken zu. „Du wirst ihr nie wieder etwas anhaben. Ich lasse dich nicht.” Itachi verharrte. Er schien etwas abzuwägen, eine nicht umkehrbare Entscheidung. Einen letzten Ausweichplan. Dann schaute er auf, sah zu mir. Und ich war wie vor den Kopf geschlagen. Seine Absicht erschien auf einmal so naheliegend, völlig offensichtlich - aber ich hatte ihm nicht genug entgegenzusetzen, um ihn davon abzuhalten. Ein sadistisches Lächeln kehrte auf seinen Mund zurück. ‚Das werden wir sehen.’ Ich machte bereits mechanisch Schritte zurück, griff nach meinem Holster, aber er war schneller und als Sasuke bemerkte, was ich tat, war Itachi schon bei mir. Ich fing seinen Angriff mit einem Laut der Anstrengung ab und das Grauen in Sasukes Gesicht war maßlos. „Nein!” Er holte aus, doch ich konnte dabei zusehen, wie seine Hände widerstandslos durch Itachi glitten. Stattdessen packte Itachi meine Hand mit dem Kunai, als wäre es nicht meine eigene, hob sie und zog sie - vollkommen surreal - über Sasukes Hals. Sasuke war so unvorbereitet wie ich, seine Augen waren entsetzt geweitet, doch seine Reflexe setzten schnell genug ein, um ihn vor einer tödlichen Verletzung zu bewahren. Eine lange Linie zog sich unter seinem Kinn entlang und fing sofort an zu bluten. Ich gab ein klagendes Heulen von mir. In einem Blinzeln hatte Itachi mich zurück an die Wand geschubst und mein Kopf prallte hart daran auf. Noch vollkommen erschüttert schlug ich nach ihm und er fing meine Faust mit der flachen Hand ab. Ich hob mein Knie und er blockte meinen Angriff und zog das Kunai unbeteiligt über meine Wange bis ein dünnes Rinnsal Blut herunterlief. In meinem Zustand war ich nicht mehr als ein Blatt im Wind von Itachis Vendetta. Seine Hände legten sich in meinen Kragen, er zog mich wie eine Puppe ein Stück von der Wand weg, dann drehte er mich grob um und zerrte meinen Rücken an seine Brust. Als er uns beide so stellte, dass Sasuke mir entgegen sehen konnte, zeichnete sich seine Absicht unverkennbar ab. Er ließ das Kunai achtlos fallen. ‚Nimm es nicht persönlich, Sakura.’ Ich kam nicht gegen seine Kraft an. Sein rechter Unterarm legte sich um meinen Hals, die andere Hand legte er stabilisierend gegenüber an, ruhig aber nur Sekunden davon entfernt, mir das Genick zu brechen - und er wollte, dass Sasuke zusah. ‚Es ging nie wirklich um dich.’ Sasuke folgte erstarrt dem Blut auf meiner Wange, weiß wie eine Wand und das Blut, das seinen Hals hinunterlief, färbte seinen Shirtkragen dunkelrot. Unsere Blicke trafen sich und sein Entsetzen war grauenvoll, die Panik überwältigend. Itachis Griff wurde fester - vorsätzlich. Ich hatte keine angemessen Worte für Sasuke. Alles, was ich ihm noch sagen wollte, hatte mich in einem Atemzug verlassen und was er gleich sehen würde, ließ mein Blickfeld verschwimmen, obwohl ich sein Gesicht noch einmal klar sehen wollte. Ich blinzelte schnell. „Gib auf dich Acht.” Sasuke hob flehend eine Hand, als wollte er Itachi beschwichtigen. „Sakura. Schau mich an.” Ich folgte seiner Forderung, betäubt, spürte wie Itachis Hände den besten Ansatz fanden - und Sasukes dunkle Augen färbten sich rot. ***** Als ich zu mir kam, war es, als müsste ich mich selbst aus einem Sumpf ziehen. Ich blinzelte ein paar Mal und sah Sasuke über mich gebeugt. Er war immer noch kreidebleich und blutverschmiert und seine Anspannung überall zu spüren. „Ist er hier? Schau dich um.” Benommen tat ich, was er verlangte und atmete tief aus, als ich ihn nicht sah. „Wir sind allein.” Sein Ausatmen war matt und verzweifelt und erleichtert zugleich. „Wir können nicht länger warten, Sakura. Ich wäre beinah zu spät gewesen.” Er wollte keine Zeit verlieren, fürchtete, - so wie ich - dass Itachi jeden Moment wieder auftauchen und seine Absicht zu Ende bringen würde. Ich verzog das Gesicht, legte einen Daumen und Zeigefinger an meinen Nasenrücken. „Ich bin am Ende mit meinem Wissen. Das alles fühlt sich falsch an. Aber das war kein neues Spiel von ihm…” Ich fing seinen Blick. „Er wollte mich umbringen. Er hat alles zu verlieren und er will um jeden Preis verhindern, dass du mir hilfst.” „Warum hat er getestet, ob er dich zum Bluten bringen kann? Er hatte seitdem so viele Gelegenheiten, dir zu schaden. Aber er hat bis eben gewartet. Dahinter steckt noch mehr. Wir können nicht mehr warten, um zu sehen, was er beabsichtigt.” Schwere Stille baute sich zwischen uns auf. Ich rieb mir über den Hals, dachte daran, was alles schief gehen konnte, daran, dass wir für einander Dinge würden aufgeben müssen. Aber ich dachte auch an den unaussprechlichen Horror in seinen Augen, als ich jeden Moment hätte sterben können. Was Itachi um jeden Preis verhindern wollte, musste unsere oberste Priorität sein. Und was ich sagte - obwohl sich alles in mir dagegen sträubte - war: „Wir hätten darüber sprechen sollen.” Sasuke ließ die Schultern fallen. „Ja. Das hätten wir. Jetzt müssen wir eben improvisieren.” Er suchte meine Augen ab, als wagte er kaum zu glauben, was ich gesagt hatte. Aber ich nickte, auch wenn es sich anfühlte, als würde ich damit etwas Wundervolles zerstören, vergleichbar mit der furchtbaren Notwendigkeit, einem Schmetterling Leid zufügen zu müssen. „Okay.” Seine Körperspannung kehrte schlagartig zurück. „Ich werde dich bewusstlos machen und zu Tsunade bringen. Wir bereiten alles vor und erst dann wirst du wieder aufwachen. Willst du jemanden dabei haben?” Ich griff nach seiner Hand. „Sag meinen Eltern Bescheid. Aber niemand soll dabei sein, der es nicht sein muss.” Er sah zwischen meinen Augen hin und her. „Gut. Wir sehen uns in ein paar Stunden.” Er küsste meine Stirn, dann aktivierte er sein Sharingan - und ich stoppte ihn mit einer Hand auf seiner Brust. „Wir wissen nicht, ob es funktionieren wird.” „Das wird es.” „Du musst darauf vorbereitet sein, dass es schief gehen könnte.” Ein müdes Lächeln fand seinen Weg auf seine Lippen. „Vertrau mir, Sakura.” Und nach einem letzten fragenden Blick und einem Nicken von mir - schickte er mich in die sichere Dunkelheit zurück. *** Wie versprochen holte mich Sasuke erst wieder aus der Dunkelheit zurück, als wir in Tsunades Büro waren. In einem kurzen Moment der Orientierung bemerkte ich erste Sonnenstrahlen, die durch die breite Fensterfront fielen und alles in warmes Licht tauchten. Sasuke hatte mit Kakashi, Tsunade und Shizune alles vorbereitet. Jetzt kniete er vor mir, den Hals frisch verbunden, mit dunklen Augenringen, aber strotzend vor Professionalität, die auf jeder Mission dafür sorgte, dass er tat, was getan werden musste. Neben ihm lag ein Tablett mit aufgezogenenen Spritzen, Watte und Alkohol. Er legte eine Hand an mein Gesicht. „Bist du bereit?” Ich nickte, ein bisschen wie im Traum - und Sasuke vollführte eine Reihe von Fingerzeichen und presste seine Hand auf den Boden zwischen uns. Der goldene Schleier, der sich über ihm und mir in die Höhe zog bis er uns beide umhüllte, rief Erinnerungen an Itachi wach. Jede Menge Erinnerungen. Aber Sasukes entschlossener Blick hielt mich in der Gegenwart. Tsunade, Shizune und Kakashi standen außerhalb des Schleiers und waren durch die fließenden Bewegungen nur verschwommen zu erkennen. Der Schleier warf Geräusche zurück und schirmte alles ab, was außerhalb lag. Im Grunde waren wir also allein - aber zu wissen, dass sie da waren, half trotzdem. „Streck deinen Arm aus, Sakura.” Ich konzentrierte mich wieder auf Sasuke und hielt ihm meinen Arm entgegen. Er war nicht direkt unbeholfen, aber ungeübt, was das Spritzen anging, hatte von mir nur die grundlegendsten medizinischen Kenntnisse gelernt und das war Jahre her. „Bist du okay?”, krächzte ich. Er lächelte einseitig. „Ein bisschen Schlaf würde ich zur Abwechslung nicht ablehnen.” Ich erwiderte sein Lächeln. „Lass mich dir helfen.” Ich griff nach einem Wattepad und dem Alkohol und desinfizierte meinen Arm. Dann streckte ich ihn noch einmal aus und hielt ihn vor Sasuke. Er legte eine Hand stützend unter meinen Arm, ohne Hast und musterte mich einen Moment, doch mein Fokus lag auf dem tiefschwarzen Fluchmal, das sich von meiner hellen Haut abhob. Dann setzte er die Spritze an, punktierte die Haut und drückte den Kolben, bis er die Spritze geleert hatte. Er zog sie langsam aus der Haut und drückte, bevor ich es tun konnte, einen bereits zurechtgelegten Watteballen auf die Einstichstelle. „Das hast du dir gemerkt”, stellte ich laut fest, ohne darüber nachzudenken. „Grob.” Er atmete aus, als würde etwas Anspannung ihn verlassen. Wir sahen beide auf meinen Arm und er hielt noch immer die Watte, obwohl ich das gut hätte selber tun können. „Tsunade hat mich gerade noch einmal eingewiesen.” „Jetzt bist du dran?” Er überließ mir das Drücken der Watte nur widerwillig, als hätten ihn die volle Wahrheit und die Bedeutung der nächsten Schritte plötzlich zögerlich gemacht und sein Blick blieb auf dem Fluchmal hängen. Es sah aus, als würde ihm die Bürde dessen, was auf dem Spiel stand, beinah zu schwer werden. Als würde er fürchten, zu scheitern. Aber dann atmete er schwer aus, als hätte er neue Entschlossenheit gefunden, und ging dazu über, seinen eigenen Arm zu desinfizieren. „Ich bin euch dankbar für die Spritzen. Blut zu schlucken ist nicht wirklich ein Vergnügen.” Ich war überraschend ruhig, akzeptierte mein Schicksal, wie auch immer es nun aussehen würde - aber Sasuke war es nicht. Er gab sich Mühe, es zu verbergen, aber ich sah es ihm trotzdem an. Unwichtiges Zeug zu hören half ihm vielleicht, sich etwas von der ernsten Lage abzulenken. Ich schaute unter die Watte auf meinem Arm und drückte noch einmal darauf. Sasuke hielt mir die Spritze entgegen. „Würdest du…?” „Sicher.” Ich legte die Watte auf das Tablett und nahm ihm die Spritze ab. „Das hier ist mein Blut?” Als befürchtete er, ich würde es mir plötzlich, noch in der letzten Minute, anders überlegen, nickte Sasuke sehr langsam. Ich deutete mit dem Kopf an, dass er mir den Arm ausstrecken sollte und das tat er. „Was kommt als nächstes?” Er sah nicht von meinen Augen weg, auch dann nicht, als ich den Kolben drückte, die Spritze aus seinem Arm zog und wie er zuvor Watte darauf drückte. „Noch mehr Fingerzeichen. Ich muss das Fluchmal von ihm lösen, bevor ich seinen Platz einnehmen kann.” Jetzt senkte er doch den Kopf und hielt selbst die Watte fest. „Du wirst wahrscheinlich das Bewusstsein verlieren.” Ich nickte ein paar Mal. Das war keine Überraschung. Der Austausch von so viel Energie konnte kaum zu einem anderen Ergebnis führen. Sasuke griff nach meiner Hand und wartete, bis ich zu ihm aufschaute. „Aber du wirst wieder aufwachen. Tsunade und Shizune werden dafür sorgen.” Ich bot ihm ein zuversichtliches Lächeln an. Blinzelte. Und Itachi richtete sich hinter Sasuke auf. Ich spannte mich an, aber nur für einen kurzen Moment. Ich wusste, - unerklärlicherweise - aber deshalb nicht weniger sicher, dass er mir hier nichts mehr anhaben konnte. Er war geschlagen und das war ihm bewusst. Seine Stimme klang neutral, als wäre er jetzt nicht nicht mehr als ein stiller, dunkler Beobachter in diesem Stück: ‚Du hast dich lange gehalten, Sakura. Aber wenn du das überlebst…zu welchem Preis? Und wie lange?’ Er musterte Sasuke. ‚Er wird mich nie ganz abschütteln.’ Und das sollte auch niemand von ihm verlangen. Aber ich wählte, nichts zu erwidern. Ich würde lernen, mit dieser Bürde zu leben, lernen, Sasuke mit allem zu schützen, was ich hatte und ich würde auf mich selbst Acht geben, sodass er, wenn ich es irgendwie verhindern konnte, niemals durch mich sterben würde - nicht, bis wir beide alt, müde und schwach waren. Sasuke konnte Itachi nicht sehen - das hatte sich nicht geändert - und das würde er auch nie wieder. Er begann ein neues Kapitel, vor Itachis und meinen Augen und ich entschied mich zu glauben, dass das meiste gut werden würde - mit der Zeit. Aber er zögerte - drückte noch immer die Watte auf seinen Arm. „Ich bin so weit, Sasuke.” Seine Finger zitterten, nur ganz leicht, doch ich kannte die Ruhe seiner berühmten Hände besser als die meisten anderen. „Ich wünschte, du hättest Zeit gehabt, dich etwas zu erholen.” Mit einem kleinen Lächeln beugte ich mich zu ihm vor, bis er mich ansah. „Wir werden uns wiedersehen. Hab Vertrauen.” „Halte dieses Versprechen. Schwöre es, Sakura.” Es war nur der Fetzen eines Flüsterns. „Ich werde mein Bestes geben.” Sasuke schluckte hart. Dann deutete er mir an, etwas näher zu rutschen. „Ich werde dich halten, wenn es so weit ist.” „Ich weiß.” Wieder wartete auf mich das große Ungewisse. Aber in der Wärme seines Blickes war alles, was ich brauchte, um mich fallen zu lassen. Kurz überkamen ihn Zweifel, er lehnte sich vor und küsste mich und ich fühlte eine Träne auf seiner Wange, bevor ich sie mit dem Daumen wegwischte. „Ich werde mich nicht verabschieden”, sagte er dann. Ich nickte. „Okay.” Wir verharrten einen langen Moment wie wir waren. Ich rieb über seine Schulter und er drückte mich noch einmal fest, die Augen fest geschlossen. Dann legte ich mich zurück, bettete den Kopf auf seine Oberschenkel und ließ ihn dabei nicht einmal aus den Augen. Wenn es das letzte Mal war, dass ich ihn sah, würde ich es voll auskosten. Sasuke legte seine Handflächen aneinander. Er fing meinen Blick, dann schloss er die Augen und begann mit den Fingerzeichen. Ein paar Sekunden schaute ich dabei zu, noch völlig unbeeinträchtigt, sofern ich es beurteilen konnte. Dann fiel meine Aufmerksamkeit auf Itachis stummen Schatten. Er beobachtete Sasukes Fingerzeichen mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht klar deuten konnte. Ich dachte an die kurzen Sekunden zurück, in denen er seine Hände an meinen Hals gelegt hatte. In denen er gewartet hatte, obwohl nur noch eine kleine Bewegung seiner Handgelenke fehlte. Ich würde den Grund für so viel Hass nie erfahren - oder verstehen. Aber warum auch immer, Itachi hatte diesen letzten Blick auf seinen Bruder für ein paar Augenblicke länger gewollt oder gebraucht und das war es, was ihm zum Verhängnis geworden war. Jetzt sah Itachi nicht ein einziges Mal mehr zu mir, aber ich wurde zur einzigen Zeugin seines letzten Todes. Von einem Moment auf den anderen begannen seine Konturen, zu leuchten, als hätte man ihn von hinten angestrahlt. Mein Unterarm wurde warm, dann heiß, das Fluchmal färbte sich giftig rot. Und Itachi, nicht ganz hier und doch nicht ganz fort, bekam Risse, die größer und schärfer wurden, je schmerzhafter das Mal auf meinem Arm wurde. Als er zersprang wie das feinste Porzellan und sich vor meinen Augen auflöste, fühlte es sich an, als würde auch in mir etwas zerspringen und mit den Scherben tiefe Wunden durch mein Inneres ziehen. Als wollten Innen und Außen miteinander tauschen. Und die Bewusstlosigkeit riss mich mit sich wie eine dunkle Welle. *** Ich war nicht tot. Was für ein seltsamer Gedanke. Ich ließ die Augen geschlossen, forschte nach innen und bewunderte das neue Gefühl der Leichtigkeit, die vollkommene Abwesenheit von Unbehagen wie eine Heilung nach einer langen, schweren Krankheit, der erste kräftige Sonnenstrahl in einem tiefdunklen Raum voller Spinnweben. Ich war nicht länger im Begriff zu sterben. Es war surreal. Ich konnte mit jeder Faser meines Körpers spüren, dass es so war. Aber es war so lange her, dass ich mich so lebendig und kräftig gefühlt hatte, dass es fremd war. Ich blinzelte die Augen auf. Langsam nahm ich die weiße Decke zur Kenntnis, das stetige Piepen von Maschinen, den Krankenhausgeruch und die Sonne, die die Schatten von Baumkronen wogend an die Wände warf. Jemand hielt meine Hand. Ich sah über meine Brust hinweg und fand Sasuke, müde, mit einem Dreitagebart, aber längst nicht mehr völlig erschöpft wie zuletzt und seine Kleidung hatte er auch gewechselt. Er lächelte, so erleichtert, dass ich ihn kaum erkannte. Es veränderte sein gesamtes Gesicht. „Wie geht es dir?” „Es ist…ungewohnt. Alles ist vollkommen normal”, sagte ich abgelenkt. Eine Erinnerung kämpfte sich vor. Ich hob eine Hand, bemerkte die Zugänge und Anschlüsse an den Monitor, der munter meinen Herzschlag dokumentierte. Ich streckte sie nach Sasukes Hals aus, aber er wusste bereits, was ich fragen wollte. „Es ist nur einen Tag her.” Sein Hals war vollkommen unverletzt. „Der Schnitt ist verheilt.” Er drückte meine andere Hand und ich zögerte. Sasuke zog mich etwas vor und rückte näher heran. Seine Augen leuchteten. „Sieh es dir an, Sakura.” Ich schluckte und senkte langsam den Blick auf unsere Unterarme. Und da waren sie, zwei identische Fluchmale, ungewollt, nicht schön - aber grau, triumphierend grau und sicher, zumindest so sicher sie in der nächsten Zukunft sein konnten. Vielleicht so sicher wie sie jemals sein konnten. Aber das war ein Gedanke für einen anderen Tag. Ich wagte es nicht, dem Anblick allein zu trauen. „Hat es funktioniert?” Meine Stimme war rau. Sein Blick wurde ernst. „Ich habe es noch nicht ausprobiert.” Er griff neben sich, stand auf und hielt mir ein Kunai entgegen. „Finden wir es heraus.” Ich nahm das Kunai, als wäre es aus Glas. Setzte es an meinem Zeigefinger an. Sasuke sah mir weiterhin ins Gesicht. „Es wird funktionieren.” Ich borgte mir seine Zuversicht, machte den Schnitt und fühlte nur kurz ein Stechen. Wir sahen nicht voneinander weg. Bis Sasukes Mundwinkel sich hoben. Er schaute auf seinen eigenen Zeigefinger und hob ihn triumphierend hoch. Rote Tropfen sammelten sich an derselben Stelle wie bei mir. Ein Laut des Unglaubens kam über meine Lippen und ich beugte mich vor und zog seine verletzte Hand zu mir. Es brauchte beinah nur ein leichtes Wischen darüber, ein zartes grünes Licht erhellte seine Hand und der Schnitt war verschwunden. Ich atmete leise aus. Sasuke griff nach meiner Hand, drehte sie bis er den Schnitt sehen konnte und wir sahen im selben Moment wie er verheilte und verschwand. Mein Blickfeld verschwamm und ich blinzelte schnell. Ich schaute von meiner Hand auf und stellte fest, dass auch Sasukes Augen glänzten. „Testen wir die andere Richtung.” Er schnitt sich in den Finger und derselbe Schnitt zeichnete sich Sekunden später bei mir ab. Ich heilte meinen Schnitt, ohne hinzusehen und dieses Mal war nichts Zaghaftes in Sasukes Lächeln. Er hob seine Hand als Beweis und eine Träne lief seine Wange hinab, dicht gefolgt von einer zweiten. Er stolperte. Sasuke, den ich nur anmutig kannte, stolperte. Ich spannte mich an. „Sasuke? Bist du okay?” „Ich bin okay.” Er nickte mehrfach und ließ sich auf seinen Stuhl sinken. Selten ungefasst rieb er sich über das Gesicht, verbarg seine Augen. Dann schaute er wieder auf und schüttelte langsam den Kopf, als könnte er all das nicht glauben. „Es ist nur so lange her, dass ich es war.” *** EPILOG Sasuke war den ganzen Tag über nervös gewesen. Er war meisterhaft darin, es nicht nach außen zu zeigen, aber ich war mittlerweile ebenfalls sehr gut darin geworden, unsere Verbindung zu nutzen und ich hatte mich nur mühsam auf meine eigenen Aufgaben konzentrieren können. Jetzt, als ich im Licht der Dämmerung die Straße zum Uchiha-Viertel einschlug, bekam ich allerdings kaum noch Signale. Er war ruhig. Zufrieden? Vielleicht hatte er sich selbst noch nicht vollkommen entschieden. Ich hatte einen langen Tag hinter mir, war verschwitzt und schmutzig, aber auf eine gute, erfüllte Weise. Meine neue Uniform fühlte sich an wie eine zweite Haut. Die Dinge waren auf einem guten Weg - ich konnte es kaum abwarten, ihm davon zu erzählen. Aber vor dem großen Tor unseres Zuhauses angekommen, neigte ich den Kopf, überrascht. Sasuke war nicht im Haus. Ich sah die stille Straße entlang nach links. Wie immer waren die letzten Uchiha-Gebäude, das Zuhause seiner Tanten und Onkel, verlassen und dunkel. Sie standen dort seit Jahren wie eine Reihe müder Krieger, die eine Mahnwache hielten. Aber ich war voreilig gewesen. Im zweiten Stock des Hauses seines jüngsten Onkels, in nur einem Zimmer, brannte warmes Licht. Einen Moment stand ich noch da und wagte nicht, mir auszumalen, was das zu bedeuten hatte. Dann trugen mich meine Füße zu dem kleinen Seiteneingang. Die Tür war nur angelehnt, aber ich hörte nichts. Trotz unserer Verbindung wusste ich nicht genau, was mich erwartete, als ich die dunkle Treppe nach oben ging und einem langen Flur bis zu dem goldenen Schimmer einer weiteren offenen Tür folgte. Ich legte eine Hand auf den Türrahmen und warf einen vorsichtigen Blick in den Raum. Er saß mit dem Rücken zu mir auf einem alten Karton, noch in seiner Ausbilderuniform der Akademie. Eine Baulampe stand in der rechten Zimmerecke und warf unförmige Schatten auf die gegenüberliegende Wand. Ich machte ein paar Schritte in den nahezu leeren Raum. „Sasuke?” Er neigte den Kopf als Zeichen, dass er mich gehört hatte, zur Seite, aber er drehte sich nicht völlig zu mir um. Ich stellte mich hinter ihn, ließ meine Finger durch seine Haarspitzen im Nacken gleiten und blickte über seine Schulter. Vor ihm stand ein weiterer, größerer Karton. Darauf lagen einige blaue Pläne aus, voller Zeichnungen und Berechnungen. Ich riss den Blick davon los und musterte sein Gesicht. In Reaktion auf meine Finger in seinen Haaren hatte er die Augen geschlossen und ich setzte mich neben ihn auf den Karton, noch dabei das Rätsel zu lösen. Ich beugte mich vor und küsste seine Augenlider und er öffnete sie mit einem halben Lächeln, griff in meinen Nacken und küsste mich, als hätten wir uns an diesem morgen nicht erst noch gesehen. Schließlich zog er sich leicht zurück, hob meine beiden Hände und führte sie zu seinen Lippen, bevor er mein Aussehen genauer in Augenschein nahm.   „Ich wusste, du würdest den Job annehmen.” Ich zuckte mit einer Schulter. „Wir werden sehen, was daraus wird.” Er hob eine Augenbraue und ich lachte auf. „Okay. Ich kann es kaum erwarten, anzufangen. Ich habe ein gutes Gefühl. Wenn sie schon so früh Medic-Kurse bekommen, wird das unser ganzes System verbessern. Sie werden-” Ich stoppte mich, als ich Sasukes Gesichtsausdruck sah. Er wusste alles über Tsunades, Shizunes und meine Pläne, hatte sich in den letzten Wochen geduldig alle meine Sorgen und Ideen angehört und nicht selten selbst Ideen beigesteuert, die unser Projekt, die Medic-Ausbildung in Konoha komplett umzustellen, bereichtert hatten. Er wusste, was mir daran lag, wusste wie viel mir meine Beförderung zur Projektleiterin und Ausbilderin durch Tsunade bedeutete. Und trotzdem sah er mich an, als hätte er nichts davon bisher gehört und als würde er sich für mich freuen, wie an dem Tag, an dem ich ihm das erste Mal diesen Traum anvertraut hatte. „Du wirst fantastisch sein.” Ich strich ein paar Haarsträhnen hinter mein Ohr und schaute zurück auf die Pläne. „Also, was sehe ich mir hier an?” Er beugte sich vor und schob ein paar der Pläne auseinander. „Ich habe mich heute mit einem Architekten getroffen.” Ich machte ein erstauntes Gesicht und knuffte seinen Arm. „Hast du nicht…!” Er nahm mir meine scherzhafte Übertreibung nicht übel. „Wir haben ein paar Ideen durchgesprochen. Er hat sich die Häuser angesehen und einige Skizzen für uns gemacht.” Er sah eine Weile auf die Pläne. „Ich denke, daraus kann etwas werden.” Ich dachte daran, wie nervös er gewesen war und drehte seinen Kopf am Kinn zu mir. „Daraus kann alles werden, was du willst.” Er griff nach meiner Hand unter seinem Kinn und nippte an meinen Fingern. „Ich habe mit Tsunade gesprochen. Der Dorfrat hat sein Okay gegeben.” Ich erstarrte. „Wirklich, Sasuke?” Tsunade hatte mir nichts erzählt. Er nickte, beinah schüchtern. So viele Jahre nach einer der größten Tragödien in Konohas Geschichte bekam der Uchiha-Clan endlich eine Gedenkstätte, hier in einem der einsamen Häuser. Ich drehte mich hastig wieder zu den Plänen. „Das ist großartig! Welches Haus? Wann fangen sie an?” Sein warmes Lachen jagte mir immer noch eine Gänsehaut über den Rücken. „Wir haben noch keine konkreten Pläne.” Ich schwang meine Beine über seine und setzte mich auf seinen Schoß. „Du warst heute fleißig, Uchiha.” Seine Hände wanderten selbstverständlich auf meine Oberschenkel. „Es fühlt sich unwirklich an.” „Das geht vorbei.” Ich musterte sein Gesicht, fuhr mit dem Zeigefinger seine Konturen nach. „Was wird aus den anderen Häusern werden?” Er hielt meinen Blick. „Dieses Haus hat sich zu lange nicht mehr verändert.” Ich dachte an den Flur voller Ahnenfotos, durch den ich noch immer so leise wie möglich schlich. „Die anderen…sind noch völlig offen. Aber eins davon…” Er sah auf meine Lippen, scheinbar meilenweit entfernt. Ich senkte meine Stimme zu einem Flüstern. „Das Waisenhaus?” Er schaute auf und ich spürte seine Entschlossenheit durch unsere Verbindung. „Das Waisenhaus.” „Ich liebe diesen Plan.” Sasuke war zunehmend offener geworden, seit wir das Fluchmal stabilisiert hatten. Aber bis er mir diesen Traum, den er schon so lange dicht bei sich trug, offenbart hatte, hatte es dennoch Monate gedauert und eine sehr stille, dunkle Nacht, wie gemacht für solche Geheimnisse, gebraucht. Er lehnte seine Stirn an meine. „Ich weiß. Und ich liebe dich dafür.” Ich überbrückte unseren Abstand und küsste seine Lippen, weich, als hätten wir alle Zeit der Welt. „Meine Eltern werden tausend Ideen haben, wenn wir hier etwas verändern.” Ich ließ die Augen geschlossen. „Tausend Ideen sind genau das, was wir brauchen.” Meine Eltern waren Sasuke für das Opfer, das er für mich gebracht hatte, für immer dankbar. Und ihm schien der Gedanke, mit mir eine Familie dazubekommen zu haben, sehr zu gefallen. Er war gnädiger mit ihren Macken als ich. „Naruto und Ino werden ebenfalls mitreden wollen. Und Shikamaru und-” „Lass sie alle helfen.” Ich legte den Kopf schief und grinste über beide Ohren. „Sasuke? Ich bin so stolz auf dich, dass es schräg ist.” „Ich habe nichts dagegen, dass du schräg bist.” „Nein?” Unter seinem Protest stand ich von seinem Schoß auf und machte ein paar Schritte in den Raum. Ich sah über meine Schulter. Er war hinreißend in seiner dunklen Uniform, das Fluchmal halb unter seinem Ärmel verborgen, nahezu wie ein gewöhnliches Tattoo. Bisher waren nicht zu neuen Erkenntnissen gekommen. Aber wir hatten einige andere betroffene Menschen ausfindig gemacht und zwei Paare auf dieselbe Weise wie mich retten können. Ich war zuversichtlich, ganz wie Haruyoshi und Tohru, die ihr Schicksal mit Humor und Lebensmut angenommen hatten. Mit einem nachdenklichen Finger am Kinn schritt ich den Raum ab und legte schließlich die Hände auf die Hüften. „Also…” Ich drehte mich zu Sasuke um, der mich intensiv musterte. Mein Lächeln wuchs als ich seines sah. „Dieser Raum ist ziemlich klein. Man könnte ihn größer machen, vielleicht zu einem gemütlichen Schlafsaal. Hängst du sehr an dieser Wand?” ____________________________________________ THE END Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)