Brüder von Mono-chan (das letzte Kapitel ist da) ================================================================================ Kapitel 38: Erinnerung ---------------------- Selbst für Sao Paolo war der Tag ungewöhnlich heiß. Die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel, und der Fußballplatz war verlassen. Beinahe zumindest. Roberto kannte kein Erbarmen, immerhin war der Termin für die Auswahlspiele nur noch knappe 2 Wochen entfernt. Je näher der Termin rückte, desto anspruchsvoller und länger wurden die Trainingseinheiten, die er für Tsubasa ausgearbeitet hatte. „Die Konkurrenz ist groß.“, erklärte er jeden Tag aufs Neue. „Der Vorstand hat dich zwar auf diversen Aufzeichnungen schon spielen sehen, aber du hast vorerst nur diese eine Chance, wenn du kein ganzes Jahr warten willst. Also streng dich gefälligst an – ich will nicht, dass du umsonst hierhergekommen bist und Zeit verlierst!“ Tsubasa beschwerte sich nicht und strengte sich an, immerhin war er ganz Robertos Meinung – er wollte kein Jahr warten. Allerdings musste er feststellen, dass sich einiges verändert hatte. Roberto war schon immer streng gewesen, auch damals, als sie sich kennengelernt hatten. Jetzt allerdings bewegten sie sich auf einem ganz anderen Level. Robertos früherer Trainingsplan war trotz seinen damals schon hohen Ansprüchen kindgerecht gewesen, jetzt dagegen trainierte er eindeutig auf Profi-Niveau. Gerade die ersten Tage hatte Tsubasa mehr als einmal geglaubt, irgendwann einfach auf dem Platz umzufallen und liegen zu bleiben. Seine Ausdauer, die er eigentlich immer als gut eingestuft hatte, war bei weitem nicht gut genug, und der Muskelkater, der ihn quasi 24 Stunden lang begleitete, war schmerzhaft. Immerhin fiel er abends wie ein Stein ins Bett und schlief. Traumlos. Das war das gute an der ganzen Sache…. Inzwischen, gute drei Monate später, war es bereits deutlich besser geworden – vermutlich auch, weil er sich an das Klima gewöhnt hatte. Das hatte er zumindest bis heute geglaubt. Als Robertos Trillerpfeife nach gut sechs Stunden das Ende der heutigen Trainingseinheit verkündete, gab Tsubasa dem Impuls zum ersten Mal nach, ließ sich an Ort und Stelle rücklings ins Gras fallen und blieb liegen, während er darauf wartete, dass sich sein rasender Herzschlag beruhigte und er wieder zu Atem kam. Er blinzelte, als Robertos Schatten über ihn fiel. „Wenn du hier in der prallen Sonne liegen bleibst, wird es sicher nicht besser.“ Roberto klang immer noch streng, aber soweit Tsubasa das gegen das Sonnenlicht erkennen konnte, grinste er leicht. „Los, hoch mit dir.“ Tsubasa unterdrückte ein Stöhnen, ließ sich aber ohne Widerstand von Roberto auf die Beine ziehen. Sein Körper schien schwer wie Blei. „Da rüber.“ Roberto dirigierte ihn zu einer schattigen Bank und drückte ihm eine Wasserflasche in die Hand. „So. Sitzen, viel trinken, dann bist du in ein paar Minuten wieder fit. Wie geht’s dir sonst? Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit?“ Tsubasa schüttelte nur den Kopf und nahm einen großen Schluck aus der Wasserflasche. Roberto nickte zufrieden, während er sich neben ihn setzte. „Eventuell habe ich es heute bei der Hitze etwas übertrieben, aber auf der anderen Seite musst du dich auch an solche Bedingungen gewöhnen. Das Wetter kennt hier kein Erbarmen, und wenn bei diesen Temperaturen ein Spiel stattfindet, musst du genauso durch wie alle anderen auch.“ „Aber hoffentlich keine sechs Stunden, oder?“ Roberto lachte. „Nein, keine Sorge. Die Leute hier sind fußballverrückt, aber ganz so verrückt dann auch wieder nicht. Wird es besser?“ „Ja, passt schon.“ Die Wasserflasche war bereits so gut wie leer, seine Atmung normalisierte sich zusehends. Roberto nickte wieder und redete dann weiter. „Du schlägst dich wirklich hervorragend – dass du heute so gut durch hältst hätte ich dich nicht erwartet. Was hältst du von einem freien Tag morgen?“ Das kam so überraschend, dass Tsubasa sich prompt an dem restlichen Wasser verschluckte. „Wie, frei?“, ächzte er leicht heiser, als er wieder durchatmen konnte. „Ist das dein Ernst?“ „Sicher.“ Roberto schmunzelte. „Das hast du dir nach gut drei Monaten durcharbeiten redlich verdient. Davon abgesehen kann ich mir nicht vorstellen, dass du den ersten Tag, an dem du Sanae wiedersiehst, auf dem Fußballplatz verbringen willst, oder?“ „Ich…äh….nein.“ Tsubasa konnte nicht verhindern, dass er rot wurde. Roberto lachte wieder und schlug ihm leicht auf die Schulter. „Also abgemacht. Wann kommt sie an, heute Abend noch oder morgen?“ „Morgen früh.“ Tsubasa war immer noch leicht verlegen und überrumpelt. „Danke.“ „Keine Ursache.“ Roberto stand auf. „Ich muss leider los. Wir sehen uns übermorgen zur selben Zeit. Es soll weniger heiß werden, ich denke also, dass wir etwas länger trainieren können und die fehlende Zeit von morgen wieder rein holen.“ Das klang jetzt mehr nach dem, was Tsubasa erwartet hatte. Er lächelte leicht. „Alles klar.“ Roberto grinste wieder, als hätte er Tsubasas Gedanken gelesen, dann wandte er sich zum Gehen – und hielt erstaunt inne. „Huch?“ Tsubasa folgte seinem Blick und stand ebenfalls perplex auf. Noch bevor er richtig registrierte, wer da auf ihn zu rannte, oder gar die Chance bekam, etwas zu sagen, war Sanae bereits da und fiel ihm dermaßen ungestüm um den Hals, dass er das Gleichgewicht verlor und prompt zum zweiten Mal auf dem Rasen landete. „Uff! Sanae…..? Wa….“ Sanae ließ ihn nicht ausreden, sie küsste ihn kurzerhand und schnitt ihm dadurch das Wort ab, und mit einem Mal waren die Fragen auch gar nicht mehr so wichtig. Es dauerte einige Zeit, bis Tsubasa sich wieder bewusst wurde, dass er auf einem ziemlich unbequemen Fußballfeld lag und Sanae ihm mit ihrem vollen Körpergewicht doch allmählich die Luft abdrückte. Sanae wurde das anscheinend im selben Augenblick klar. Sie wurde rot bis unter die Haarspitzen und löste sich abrupt von ihm, so dass er wieder durchatmen konnte. „Hoppla. Entschuldige…. So war das eigentlich nicht geplant.“ „Das kannst du laut sagen….“ Tsubasa richtete sich wieder auf, immer noch mehr als verwirrt. Sanaes Attacke würde ihm vermutlich einige blauen Flecken bescheren, so wie sich sein Körper anfühlte, aber das interessierte ihn im Moment nicht wirklich. „Was machst du hier? Ich dachte, dein Flugzeug geht erst in ein paar Stunden….“ Sanae strahlte ihn an. „Es gab einen Buchungsfehler, irgendein Problem mit dem System…. Die Maschine war überbucht und die Airline hat mir als Entschädigung einen Ersatzflug angeboten, und ich dachte, ich kann dich so überraschen……“ „Das hast du definitiv geschafft.“ Tsubasa wurde sich plötzlich bewusst, dass Roberto vermutlich immer noch in der Nähe war und sie beobachtete, aber als er den Kopf wandte, war der Trainer nicht mehr zu sehen. Anscheinend hatte er sich taktvoll zurückgezogen. „Es war gar nicht so einfach, dich zu finden.“, redete Sanae weiter. „Ich war zuerst bei der Wohnung, aber du warst nicht zuhause, und dann habe ich einen Nachbar getroffen und der hat mir verraten dass es eigentlich nur einen nennenswerten Fußballplatz hier in der Gegend gibt wo man auch ohne Verein trainieren darf, und dann bin ich mit dem nächsten Taxi hierher…..“ Sie unterbrach ihren Redefluss und holte tief Luft, bevor sie ihn glücklich anlächelte. „Ich bin so unglaublich froh, dich zu sehen. Du hast mir gefehlt….“ „Du mir auch.“ Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr. Als Sanae ihm vor einigen Monaten eröffnet hatte, dass sie keinesfalls im Sinn hatte, ihn alleine nach Sao Paolo gehen zu lassen, war recht schnell klar geworden, dass eine gemeinsame Abreise unmöglich zu organisieren war. Bedingung ihrer Eltern war gewesen, dass sie zumindest den Schulabschluss erfolgreich hinter sich brachte, um auch in Brasilien eine Chance auf eine gute Ausbildung zu haben, und Roberto hatte auf der anderen Seite darauf bestanden, so früh wie möglich anzureisen, damit er ihn optimal auf den Verein vorbereiten konnte. Und so war Tsubasa schweren Herzens einige Monate früher geflogen und hatte in der Zeit wenigstens einiges an Organisation erledigen können. Jetzt kniete Sanae mit geröteten Wangen vor ihm im Gras und lächelte ihn überglücklich an, bevor sie ihm erneut einen kurzen Kuss gab. „So. Und jetzt musst du aufwachen.“ „Was?“ Tsubasa blickte sie perplex an. „Du musst aufwachen.“, wiederholte Sanae geduldig, aber deutlich ernster, während sie sein Gesicht mit beiden Händen umfasste. „Sie warten alle schon.“ Tsubasa starrte sie immer noch ungläubig an, aber mit einem Mal wusste er, was hier passierte. Sanae hatte ihn in der Tat in Sao Paolo überrascht, allerdings war es mittlerweile mehrere Jahre her. Sie hatten den freien Tag gemeinsam in der Stadt verbracht, hatten in den nächsten Wochen und Monaten die kleine Wohnung so eingerichtet, dass Sanae sich wohl fühlte. Sie hatte einen Ausbildungsplatz und Freunde gefunden, Tsubasa hatte die Auswahlspiele für den Verein überstanden und war tatsächlich aufgenommen worden. Aber obwohl alles so gut lief, waren Tsubasa im Laufe der Zeit wieder Zweifel gekommen, ob Brasilien tatsächlich der richtige Weg war – für ihn und für Sanae. Er vermisste Japan, mehr als er es sich vorgestellt hatte. Also hatte Roberto ihn beurlaubt und nach Hause geschickt, gemeinsam mit Sanae. Beide hatten sich darauf gefreut, ihre Familien und Freunden wieder zu sehen. Und jetzt lag Sanae im Koma und er….auch? An diesem Punkt gerieten seine Gedanken ins Trudeln. Er erinnerte sich nur zu gut an die letzten Minuten, an das Chaos – Hideos Schreie, Daichis panisches Weinen, die Stimmen seiner Eltern, Polizei, Sanitäter…. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass er kein Interesse daran hatte, aufzuwachen. Hier war es besser. Deutlich besser….. Er legte seine Hand über Sanaes, aber bevor er noch irgendetwas sagen konnte, schüttelte sie den Kopf, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Du musst aufwachen.“, wiederholte sie eindringlich. „Es ist falsch, dass du hier bist. Sie warten alle.“ Sie lächelte leicht. „Und ich auch.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)