Ambivalenz von Annatar ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Ambivalenz ~Prolog~ Verzerrt, fortgeschafft In der wimmelnden Masse von Dämonen Liebling mit geschlossen Augen Trete tief ein in diesen Platz... Pulsierende Stille beherrscht den Raum. Unterbrochen wird sie allein von schnellen, unregelmäßigen Atemzügen, ausgestoßen von dem Engel, der sich, im Begriff zu fallen, in einen tiefen Schlaf geflüchtet hat. Er ihm soeben zum Verhängnis wird. Der Engel reißt die Augen auf, das einst tiefe Blau ist matt geworden, seine Lippen öffnen sich um einen lautlosen Schrei loszulassen. Der Atem des Engels zittert, seine Brust hebt sich schnell auf und ab, saugt Luft in die Lunge hinein, als ersticke er jeden Moment. Die bleichen Hände krallt er in das makellos weiße Bettlacken. Das Bild seines Erwachens wird begleitet von den kühlen Strahlen des aufgegangen Vollmondes, der sein Licht wie kaltes, klares Wasser in das Zimmer ergießt. Die kalkweiße Haut scheint beinahe durchsichtig, Angst und Verwirrung spiegeln sich auf dem ebenmäßigen Gesicht wieder. Das feine, schwarze Haar ist unordentlich auf dem Kissen ausgebreitet, ganz so als wäre eine Spinne demselben Wahnsinn anheim gefallen, der sich auch in seinen Traum geschlichen hat. Ein Traum mit kalten Farben, erstickenden Farben, mit unmenschlichem Kreischen und mit einer höhnender Stille. Mit einem Ruck setzt er sich auf, die blassblauen Augen noch immer weit aufgerissen. Was tat er hier? Wo war er denn überhaupt? Sein Blick schnellt durch den Raum, huscht hastig über die kalten, weißen Wände, über die zwei kleinen Fenster. Es sind Gitter davor. Um ihn einzusperren. Er kann nicht entfliehen. Fliehen. Vor was? Doch diese Frage kommt ihm nicht in den Sinn, er schaut sich nur weiter um, sucht einen Hinweis darauf, wo er sich befindet, doch nichts sagt es ihm, die weißen Wände bleiben stumm, der Mond lächelt ihm herablassend zu und überschüttet ihn mit seinem eisigen Licht. Dann blickt er an sich herab und entdeckt ein Kabel... Es Kabel endet in einer langen Nadel, und diese steckt in seinem linken Unterarm. Sein Blick verfolgt das Kabel zurück, und erst jetzt entdeckt er den kleinen Ständer. Ein Beutel schaukelt an ihm, eine weiße Flüssigkeit schwappt darin hin und her, hin und her und ein schriller Aufschrei hallt in dem Raum wieder, ohne je nach draußen zu gelangen, während er sich panisch die Nadel herausreißt. Die weiße Flüssigkeit blubbert auf, der durchsichte Beutel beginnt Blasen zu werfen, er schreit, er schreit. Und er hört nicht auf. „Scht... Scht, Kaya“, flüstert eine sanfte Stimme in sein Ohr. Sie kommt ihm seltsam bekannt vor. Er hat angefangen zu schreien und sich hin und her zu werfen, aber er weiß nicht mehr, warum. Dann fühlt er feste Arme um seinen Körper und warmen Atem an seinem Nacken. „Du hast ihn umgebracht“, säuselt diese Stimme. „Ich- ich habe was?“ Er reißt ungläubig die Augen auf, will dem Besitzer der Stimme ins Gesicht sehen, doch er vermag nicht den Kopf zu drehen, das schwarze Haar verschleiert seine Sicht, nur das kalte Weiß schimmert hindurch. „Ganz richtig“, erneut diese Stimme, die ihm so sehr bekannt vorkommt, eine Stimme, die er… jeden Tag hört... „Du hast ihm eine Vase über dem Kopf zerbrochen, erinnerst du dich nicht daran? An das purpurfarbene Blut?“ Leises Lachen klingt an sein Ohr, die Arme schlingen sich fester um seinen Körper, drücken ihm langsam die Luft aus den Lungen. „Du bist ein Mörder. Du hast die kleine Minako zum Halbwaise gemacht und ihre Mutter zur Witwe. Du bist daran schuld, dass sie noch viel Schmerz erleiden müssen. Bis sie sich in ihren Qualen winden... Kannst du ihren Hass spüren? Jede Nacht beten sie zu Gott, dass er dieses Verbrechen rächt, indem er dich quält und dann tötet!“ Mit aller Macht versucht er sich aus diesen Armen zu winden, die sich wie Schlangenleiber um seine Brust gelegt haben, aber er schafft es nur den Kopf zu drehen. Langes, schwarzes Haar, blassblaue Augen sehen ihm entgegen. Es ist sein Gesicht. Es ist seine Stimme. ~Prolog~/Ende Kapitel 1: Yakusoku ------------------- Yakusoku - Versprechen Seine Schritte hallten auf dem Steinboden wieder, laut und unerträglich in seinen Ohren. Am liebsten hätte er sich die Hände auf diese gepresst, um es nicht länger ertragen zu müssen. Aber das ging nicht. Er hatte keine Zeit dazu. Schneller! Hetzte er sich in Gedanken. Wenn er es nicht schaffte... Er musste, verdammt noch mal, schneller rennen! Was passierte, wenn er es nicht mehr schaffte...? Er wollte es sich gar nicht erst ausmalen. Seine Schritte beschleunigten sich ein weiteres Mal, die Dunkelheit griff nach ihm, nur vereinzelt wurde die Halle erleuchtet. Das Herz schlug ihm wild gegen die Brust, sein Atem ging keuchend. In seinen Ohren hallte ein widerliches Kreischen. Dann war die Treppe erklommen. In letzter Minute öffnete sich die Tür der S-Bahn noch einmal und er lehnte sich erschöpft und nach Atem ringend an die nächstbeste Wand. Geschafft! Es war die letzte S-Bahn um diese Zeit, die noch nach Kyoto fuhr. Zumindest von diesem Kaff aus. Er hätte auf die am nächsten Morgen warten müssen, hätte er es nicht mehr rechtzeitig geschafft. Seufzend öffnete er die Tür zu einem weiteren Abteil, auch hier war es nur spärlich beleuchtet. Doch eigentlich war es Kaya ganz recht so. Das stechende Licht hätte ihn sicherlich geblendet. So setzte er sich, die Tasche glitt von seiner Schulter und er schloss die schwarz geschminkten Augen mit den künstlichen Wimpern. Er war nicht mehr dazu gekommen, sich abzuschminken, solange hatte das Fotoshooting gedauert. Er lehnte den Kopf an das Fenster, sein schwarzes Haar fiel ihm in Strähnen ins Gesicht, verschleierte den Blick auf seine ebenmäßigen Züge, die hohen Wangenknochen und die gerade Nase. Die sinnlich geschwungenen Lippen waren einen Spalt breit geöffnet. Der schwarze Mantel, den er trug, schmiegte sich an den schlanken Körper und schimmerte leicht im dämmrigen Licht. Die Mondsichel beherrschte das Himmelszelt, nur vereinzelte Sterne leuchteten ihm den Weg, da sie von einer dunklen Wolkenschicht verdeckt waren, als er sich auf seinen Weg nach Hause begab. Es war nicht mehr lange. Bald war er zu Hause! Freudige Erregung, auf das kuschelige Bett in seinem Zimmer, ließ leine Wangen erröten und seine Schritte ausgreifender werden. Er musste nur aufpassen, dass er auf den hohen Sohlen nicht ausrutschte. Schließlich waren fünfzehn Zentimeter kein Kinderspiel. Er lächelte und wandte sich nach rechts, um den Weg durch den Park zunehmen. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es bereits halb zwölf war. Hatten sie denn unbedingt Fotos mit einem Sonnenuntergang machen müssen? Er schüttelte leicht den Kopf, sah dabei wie sein Atem in kleine weiße Wölkchen gewandelt wurde und eine leichte Gänsehaut zog sich über seinen Rücken, als ein kühler Windstoß ihm die Haare aus dem Gesicht fegte. Sein Blick glitt durch die Finsternis, über die Bete und all die Bäume, deren Farben von der Nacht verschluckt worden waren. Es war still hier und nur ab und an hörte man ein leises Rascheln oder ein paar Äste knacken. Hastigen Schrittes ging er den Weg entlang, den er sonst nur bei Tageslicht gesehen hatte und noch nie in beinahe völliger Finsternis. In einem gleichmäßigen Takt hörte er seine Schritte auf den Kieselsteinen, doch die Sicht schien immer mehr zu verschwimmen. Nebel kroch langsam aber unaufhaltsam um seine Füße, hängte sich an die Zweige der niedrigeren Büsche und verdichtete sich mit der Zeit immer weiter zu einem grauen Netz. Alle Geräusche erstarben, kein Knacken mehr, keine Stimme eines Tieres. Es war als sei er in einer Welt gefangen, die vom Nebel beherrscht wurde, undurchsichtig und kalt und gefährlich. Ein ungutes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus und ein saurer Geschmack auf seiner Zunge, als hätte er in einen verfaulten Apfel gebissen. Mehr und mehr hatte er das Gefühl, das kalte, glühende Augen in aus der Dunkelheit um ihn beobachteten und je mehr er diese Gedanken als unsinnig und lächerlich hinstellte, desto intensiver wurden sie. Waren da nicht doch Schritte nach den seinen? Wenn er genau hinhörte... als ob jemand im selben Takt wie er liefe und man nur eine Millisekunde den anderen Schritt hörte. Dann wieder nichts. Doch die Dunkelheit schien irgendwie... stofflicher zu werden. Kaya atmete langsam ein und aus, sein Herzschlag ging ebenen so schnell wie er gegangen war, als er zur S-Bahn gerannt war. Einbildung... Das ist nur Einbildung. Wieso sollte mich jemand beobachten? Unsinnig, völlig unsinnig... Bald... bald war der Park zu ende und er würde wieder auf die Straße kommen, auf welcher wohl noch vereinzelt Leute unterwegs sein würden. Nicht mehr lange. Und dann würde er sich einen heißen Tee machen und zu Bett gehen. Genau so würde es se- Plötzlich wurde er herumgerissen. Ein erstickter Schrei floh von seinen Lippen, als sich feste Arme um seinen Körper legten. Er spürte kühlen Atem an seiner Wange. Kalte Hände zogen ihn zu sich. Und mit aufgerissenen Augen starrte er in ein Gesicht. Es war, als blickte er in einen eigenwilligen Spiegel, denn es war sein Gesicht, sein Gesicht, auf dessen Lippen sich ein feines Lächeln legte. Er wurde von seinen eigenen Augen angeblickt, Spott und Amüsement blitzten in ihnen auf. „Kaya“, flüsterten seine Lippen. Er schnappte nach Luft, doch sagen konnte er nichts. Er blickte nur weiter in dieses Gesicht, in das er eigentlich nicht hätte blicken können. Wie... wie war das möglich? Er verstand es nicht... Es... es konnte gar nicht- „Wie schön... Wie schön dich wiederzusehen.“ Seine Stimme, und doch klang sie ein wenig anders, eine Nuance dunkler. Er starrte in das tiefe Blau seiner eigenen Augen, versank in diesen dunklen Seen. „Wer bist du?“, wisperte er. Die Nacht hatte eine schwarze, samtene Decke über sie ausgebreitet und bettete sie in Finsternis. „Mein Name ist Hakai. Hast du mich so schnell vergessen...?“, fragte sein komplettes Ebenbild. Er wusste nichts darauf zu antworten. Was sollte das...? Was... „Kaya“, flüsterte sein Gegenüber zärtlich, hob seine Linke und strich ihm über die Wange. „Wir sind eins“, raunte Hakai. Eins?! Was hatte das zu bedeuten? Was wollte dieser Mann mit seinem Gesicht von ihm? Er trat einige Schritte zurück, ohne die Augen von denen des anderen zu nehmen, sein Herz pochte schnell und hart gegen seine Brust, die Luft schien in seinen Lungen zu gefrieren. Er hatte das Gefühl zu ersticken. „Keine Angst. Ich würde dir niemals Schmerzen zufügen.“ Seine Stimme klang zu weich, einschmeichelnd und doch... dennoch weckte sie eine absurde Erinnerung an Geborgenheit in Kaya. „Eins?“, hauchte er mit schwacher Stimme. „Ja“, sagte Hakai und trat wieder näher an Kaya heran. Der Blick seiner blauen Augen war stechend und schien direkt in seine Seele zu dringen. Unglaublich... Wie konnte das nur möglich sein? Ein Mann, mit seinem Gesicht, der behauptete sie seien ‚eins’... „Es ist schon spät“, begann der andere nun. „Du solltest nicht stehen bleiben. Wer weiß, wer alles um diese Uhrzeit noch hier herum läuft...“ Kaya konnte seinen Blick nicht von Hakais Augen nehmen, doch er nickte stumm. Ja... es war besser jetzt weiter zu gehen. Zögerlich wandte er sich um und setzte seinen Weg fort. Hakai folgte ihm, trat nah an ihn heran. Ihre Finger verlochten sich mit einander, und ein Lächeln zeichnete sich auf Kayas Lippen. Ein leichtes Kribbeln fuhr durch seinen Körper, als sie sich so zärtlich berührten. Grotesk, ja, sicherlich, doch dieses Gefühl der Geborgenheit... Das Gefühl, dass er diesen Mann schon seit Geburt an kannte, schlich sich wieder wie eine leise wuchernde Krankheit in sein Herz. Erneut blickte er in das blasse Gesicht seines Gegenübers, als er mit einem Mal eine schleppende Stimme hinter sich hörte. „Hey, Süße!“, kam es von etwas weiter vorne. „Warum so spät noch allein unterwegs?“ Und aus dem Nebel schälten sich die Umrisse von zwei Personen, die auf einer Parkbank saßen, lüsterne Blicke auf Kaya gerichtet, die seine hohen Absätze wohl falsch verstanden. Er pflegte es, solche Leute zu ignorieren und schnellen Schrittes an ihnen vorbei zu eilen. Einer der beiden erhob sich nun und kam mit leicht schwankenden Schritten auf ihn zu. „Wie viel nimmst du, Hure?“, fragte er mit einem dreckigen Grinsen. Hakai schenkte er nicht einen Blick, was Kaya leicht stutzig machte. „Komm schon! Wie viel willst du?!“, die Stimme des Mannes wurde ungeduldiger und seine dunklen Augen blitzten lüstern auf. Kaya wandte sich von ihm ab und beschleunigte seine Schritte. „Hey! Willst du abhauen?! So läuft das aber nicht, du dreckige, kleine Schlampe!“, stieß der Mann mit rauer Stimme aus. Kaya rannte nun beinahe, doch dann spürte er wie der Mann ihn am Arm packte und herum zog. In diesem Moment donnerte Hakais Faust in das Gesicht des Mannes. Ein widerliches Knirschen erklang und der Mann kippte schreiend nach hinten. Blut schoss aus seiner Nase. Sein Gefährte sprang auf, rannte zu ihm und blickte fassungslos Kaya hinterher, der, von Hakai bei der Hand genommen, nun schnell in Richtung Ende des Parks rannte. „Danke“, keuchte Kaya, als sie bei ihm im Wohnungsflur stehen blieben. Er rang noch immer nach Atem, Hakai hingegen schien dieser Spurt nichts ausgemacht zu haben. Ein dunkles Lächeln umspielte seine Mundwinkel, er winkte ab, dann gingen sie gemeinsam in seine Wohnung hinein. Es war düster, aber es war warm und vereinzelt drangen die Strahlen des Mondes zu ihnen hindurch, als sie sich, in die Stille des Raumes gebettet, ansahen, Blau in Blau versank und ihre Lippen sich trafen, als sei es nicht das erste Mal. „Kaya“, hörte er diese weiche, dunkle Stimme in sein Ohr flüstern. Warme Hände an seinem Körper, heiße Lippen an seiner Haut und Stoff, der leise raschelnd zu Boden glitt. „Du gehörst mir“, flüsterte Hakai. „Und ich nur dir, Kaya, nur dir. Ich habe seit jeher nur dich geliebt!“, raunte er. Danach verließen keine Worte mehr ihre Münder, denn sie gebrauchten sie nun für etwas anderes. Hitze, Hitze, leises Stöhnen, feuchte Lippen, der Körper Hakais, auf dem seinen gebettet, der Mond, getaucht in rosenrot und die Erinnerung an etwas längst Vergangenes. Etwas, an das er bis an sein Lebensende nicht mehr hatte rühren wollen. Yakusoku/Ende Kapitel 2: Kurenai ------------------ Kurenai - Dunkelrot Der Schlaf, aus dem er erwachte, war stumm und taub und blind gewesen. Sein Zimmer war in Kälte getaucht. Die großen Fenster waren beschlagen, als er versuchte einen Blick nach draußen zu erhaschen. Seine Finger waren steif und seine Glieder ungelenk und gefühllos geworden. Sein Körper schmerzte. Verwirrung malte sich auf sein Gesicht, denn er konnte sich nur langsam an das erinnern, was letzte Nacht geschehen war: Da war Nebel gewesen, die dämmrigen Halbschatten der S-Bahn Beleuchtung und eine Erinnerung. Weiche Hände … sanfte Lippen und Liebesgeständnisse zärtlich in sein Ohr geflüstert. Er setzte sich auf, die dünne Bettdecke glitt von seinen Schultern und gab ihn der Kälte preis, die frostig in seinem Zimmer herrschte. Das Bett war zerwühlt und unordentlich. Es war kein Traum gewesen. Ein Mann mit seinen Augen, mit seinen Lippen, mit seiner Nase, seinem Gesicht und seinem Körper. Eine Gänsehaut überzog seine Arme, als er sich des grotesken Gedanken bewusst wurde, der sein Denken vereinnahmte. Er hatte mit ... sich selbst geschlafen? Nein, nein, das war nicht er selbst gewesen. Er hatte mit jemandem geschlafen, der aussah wie er. Aber ... wer war das gewesen? Hakai. Das war sein Name. Hakai ... Er musste ihn aussprechen, er tat es. Gestern noch hatte er ihm so sanfte Worte entgegengebracht, sie in sein Ohr gehaucht, seine Lippen danach geküsst und er hatte ihn geliebt, wie er es ... früher schon getan hatte ... Wieder das Aufblitzen einer Erinnerung, doch sie war verflogen, ehe er sich ihres Sinnes gewahr wurde. Und nun war Hakai fort. Vielleicht, vielleicht war er nur für eine kurze Zeitspanne fort, wollte etwas erledigen und dann, ja dann, würde er sicherlich zu ihm zurückkehren. Er war bereits fertig angekleidet und saß an seinem Frühstückstisch in der kleinen Küche links vom Wohnzimmer, als die Klingel gewohnt schrill und misstönend an sein Ohr klang. In der nächsten Sekunde war er aufgesprungen, durch das Wohnzimmer zur Haustüre gerannt und öffnete eben diese mit zittrigen Händen. „Hak-“, begann er, doch noch im selben Moment verstummte er wieder, als er dem Mann entgegen blickte, der von seinem Produzenten zu Kaya geschickt wurde, wenn dieser irgendwelche Neuigkeiten seitens der Gesangsaufnahmen, der Musik oder den Aufnahm an sich für den Sänger hatte. „Ohayou“, brachte der ihm entgegen. „Darf ich rein?“ Kaya trat zur Seite und ließ ihn ohne einen weiteren Blick in dieses nichtssagende Gesicht zu verschwenden, ein treten. „Was ist?“, fragte er dann abwesend und vergas die Tür hinter sich zu schließen, während er an seinen Frühstückstisch zurückkehrte. „Da is’ ’n Brief angekommen. Sind Noten drin. Zu ‚Ouka’.“ „Oh“, sagte Kaya desinteressiert. Normalerweise hätte ihn solch eine Nachricht in Hochstimmung versetzt, doch blieb die heute aus. „Von Kamm oder so.“ „Kalm.“ „Jaja, genau.“ Er nickte, dann wandte er sich seinem grünen Tee zu. „Hier sind ’se“, sagte der Mann, dessen Namen er schon beim ersten Mal wieder vergessen hatte und legte ihm einen Umschlag auf den Tisch. Wieder nickte Kaya. Er ignorierte den Mann weiter hin und so fielen ihm auch nicht die Blicke auf, welche dieser ihm nun zuwarf. Verlangen blitzte in seinen braunen Augen auf, als er die zarten Gliedmaßen des Sängers begutachtete, als seien sie bereits sein Eigentum. Sein Blick glitt über das Gesicht Kayas, über diese sinnlichen Lippen, von denen er wollte, dass sie sich für ihn zu einem Stöhnen öffneten. Es war der richtige Zeitpunkt. Er wusste, dass Kaya Affären mit Männern hatte, warum also auch nicht mit ihm ein Techtelmechtel? Er trat hinter den Stuhl des Sängers, zog ihn mit einem Mal grob zurück. Kaya blickte erschrocken und verärgert gleichermaßen auf. „Was soll-?“, doch ihm wurde das Wort abgeschnitten, als sich raue Lippen auf die seinen pressten und sich eine Zunge brutal Eintritt in seinen Mund verschaffte. Sein Schrei wurde erstickt, er hingegen wurde grob herauf gezogen und ein Arm legte sich um seine Hüfte, während eine Welle des Ekels durch seinen Körper fuhr. Seinen Reflexen folgend, schloss er seine Kiefer und das erstickte Keuchen des Boten drang an sein Ohr, als er fest auf dessen Zunge biss. Seine Hand tastete auf dem Tisch hinter sich nach etwas ... Er bekam nichts zu fassen, der Mann stieß ihn grob von sich und er schlug mit dem Kopf hart an die Wand. Sterne tanzten vor seinen Augen, Übelkeit stieg in ihm hoch, dann spürte er wie sich ein harter Körper zwischen seine Beine drängte, fühlte wie ihm die Hose herunter gezerrt wurde, aber er sah nur verschwommene Umrisse. Seine Hände glitten an der Wand entlang. Seine Finger griffen etwas Kühles. Dann spannte er die Muskeln an und das Zerbersten von Glas und ein schriller Schrei klangen in seinen Ohren wieder. „Meine Augen!“, brüllte der Mann. Kaya tat noch einmal das, was er soeben getan hatte, ohne zu wissen, was es genau gewesen war und der Schrei wandelte sich in ein Gurgeln. Eine klebrige Flüssigkeit sprudelte über seine Hände, während er blind an der Wand entlang rutschte, mit weit aufgerissenen Augen nur langsam wieder zu sehen begann. Als er wieder klare Formen und Farben erkennen konnte, war der Bote auf dem Boden zusammengesackt, purpurnes Blut befleckte die weißen Fliesen und in seinen Augen steckten zwei Glasscherben, in seinem Mund der zerborstene Rest der Vase. „Oh Gott“, flüsterte Kaya. „Oh Gott!“, seine Stimme wurde schriller. Mit zitternden Gliedern näherte er sich dem am Boden liegenden Leib, dort wo die Augen gewesen waren, war nun nur noch ein blutiger Matsch und zerquetschtes Weiß des Augapfels zu sehen. Er beugte sich über den Kopf und zog geistesabwesend eine der Scherben aus seinen Augen. Ein widerliches Schmatzen erklang und die Glasscherbe löste sich aus dem toten, aber noch warmen Fleisch. Im selben Moment ließ ihn ein schauerlicher Schrei zusammen zucken, sein Blick glitt zur Wohnungstür, in welcher seine Nachbarin stand. Mit weit aufgerissenen Augen, anklagend den Zeigefinger auf ihn gerichtet. Wie in Trance schritt sie zu dem kleinen Tisch auf dem das Telefon stand und wählte. Kaya stand da, rührte sich nicht, starrte nur die Frau an, die Frau die ihn ängstlich anblickte und seine Augen versanken in den ihren. Dunkles Braun. Beinahe schwarz. Die leeren Höhlen eines Totenschädels, der ihn hämisch angrinste. Er sank auf den Boden, konnte seinen Blick nicht von seiner Nachbarin wenden, die nicht mehr seine Nachbarin war, sondern der Tod, personifiziert in diesen schwarzen Augen und es war ihm als hörte er eine kalte, gnadenlose Stimme in sein Ohr flüstern. „Mörder“ Und er vernahm dieses Wort ohne seinen Sinn zu verstehen. „Mörder. Mörder. Mörder. Mörder.“ Immer dieses eine Wort. „Ich liebe dich“ „Küsst du mich?“ „Mörder!“ „Vielen Dank, dass Sie uns angerufen haben.“, sagte ein blasser Polizist. „Nein!“, schrie Kaya. „Lassen Sie mich das erklären!“, seine Stimme überschlug sich vor Verzweiflung und Angst, die ihn wie dunkle Wogen überrollten und jegliche Luft aus seinen Lungen pressten. Was hatte er getan ...? Was hatte er nur getan! Er hatte einen Menschen ... getötet ... Ein Leben genommen. Dieser Gedanke brannte sich in seine Seele. Getötet, getötet, getötet, gemordet. Er begann zu schreien, immer lauter und lauter und er konnte nicht aufhören, bis man ihm die Hände auf den Mund presste, während seine blutbespritzten Hände in Handschellen gelegt wurden. Mit einem Schlag. Ein Polizist ging an einem Schrank vorbei. Ein Glas stand auf der Kante. Es fiel herunter und zerbrach in tausend kleiner Splitter. Kurenai/Ende Kapitel 3: Kairai ----------------- Kairai - Puppe Sein Kopf lehnte an der Wand. Das schwarze Haar fiel ihm ins Gesicht, seine Augen blickten in die Leere, die sich vor ihm abzeichnete. Die Lippen einen Spalt breit geöffnet, hatte er alles um sich herum vergessen. In seiner Brust schlug ein Herz, das nicht mehr wusste, warum es das tat. Weiße Rosen lagen auf seinem nackten Körper, schimmerten kalt im Licht des zunehmenden Mondes. Seine Füße waren in dunkelrotes Blut getaucht und vor ihm die Leere. Weiß, weiß, weiß, dunkelrot. „Ach, Kaya ...“ Mit einem Mal drang eine weiche, dunkle Stimme an sein Ohr und er blickte auf in die Augen, die die seinen waren. Er blinzelte. Als er sich umblickte, befand er sich wieder in der Zelle, in welche man ihn gebracht hatte. Das Blut war fort. Die Rosen waren fort. Nur die Leere blieb in seinem Herzen. „Hakai“, verließ es seine Lippen und seine Augen schlossen sich. Lange, tiefschwarze Wimpern sanken auf kalkweiße Wangen herab. Was war nur geschehen? Wie konnte es nur geschehen sein? Hatte er nicht noch vor drei Tagen ein mehr oder weniger gewöhnliches Leben geführt? Wo war es hin, dieses Leben? Er spürte Hakais warme Hand an seiner Wange, wie sie sanft über seinen Hals hinab strich, bis er in eine zärtliche Umarmung gezogen wurde. „Wo warst du?“, wisperte Kaya. „Wo warst du, als dieser Mann mich überfallen hat?“ Tränen, die er nicht länger unterdrücken konnte, bahnten sich einen Weg über sein blasses Gesicht, blieben an seinem Kinn hängen bis sie sich nicht mehr halten konnten und hinab stürzten. „Ich liebe dich“, flüsterte Hakai und seine Stimme war sanft. Kaya vergaß, dass er nicht gekommen war. Diese Frage, warum er nicht gekommen war, verblasste mit all den anderen als hätte Hakai sie mit seinen Worten fort geblasen. Er schmiegte sich an den warmen Körper des anderen, seine Hände versanken in Hakai schwarzem Haar, das ihm locker über die Schultern fiel. „Alles wird gut“, flüsterte dieser mit dunkler Stimme. „Alles wird gut.“ „Komm. Komm mit mir“, lächelte Hakai ihn an und nahm seine Hand, um ihn aus der Zelltür zu führen, die nicht länger verschlossen war. Kaya blickte in die tiefen Seen, die Hakais Augen waren, versank in diesen stillen Gewässern und folgte ihm willenlos. Seine Sicht schien zu verschwimmen, nur noch Hakai war da, nur ihn konnte er noch sehen. Diese dunkle, wunderschöne Gestalt, die sein Gesicht trug, wie eine Maske, die man sich einfach aufsetzte. Schritte hallten in Kayas Gedanken wieder, das scharfe Geräusch wenn seine Schuhe den steinernen Fußboden berührten. Schritte, Haikais Gestalt, Schritte, Schritte. Er lächelte leicht und drückte sanft die Hand seines Spiegelbildes. Der Druck wurde erwidert. „Ich liebe dich auch.“, flüsterte er. Hakai lächelte. Er führte Kaya den Gang des Polizeipräsidiums entlang. Der Sänger fühlte sich schwerelos. So mochte es sein zu fliegen ... Ah, was für ein herrliches Gefühl! Plötzlich waren da noch andere Schritte, dann ein erschrockenes Aufkeuchen. „Wie- wie sind Sie entkommen?!“, die Stimme eines Polizisten, der schnell und mit erbleichtem Gesicht auf Kaya zukam. Der sah ihm nur mit einem sanften Lächeln entgegen. „Hakai hat mich hinaus geführt. Die Tür war doch offen.“, sagte er und lächelte noch immer. „Hakai? Wer soll das sein?“, fragte der Polizist misstrauisch, sah sich suchend nach jemandem um, jedoch ohne Erfolg. Da war niemand. Nur dieser feminin aussehende Sänger, der gestern einen Laufboten seines Managers umgebracht hatte. Seine Hand wanderte unauffällig zu dem Lauf der Pistole, die er an seinem Gürtel trug. „Sagen Sie mir, wie Sie entkommen sind!“, forderte er nun, wieder glitt sein Blick misstrauisch den Gang entlang, wieder entdeckte er niemanden. Kaya sah neben sich, dort wo Hakai stand und ihn beruhigend anlächelte. Dann ging alles ganz schnell. Hakai sprang vor, der Polizist zog seine Pistole – und kippte mit einem letzten wehleidigen Schrei nach hinten, als Hakai ihm die Faust ins Gesicht schlug, auf die Nase, so, dass der Knochen das Gehirn des Polizisten aufspießte. Blut spritze hoch wie die Fontäne eines Springbrunnens. Kayas erstickender Aufschrei hallte durch die leeren Gänge, als er sich bewusst wurde, was soeben geschehen war. „Was hast du getan?!“, schrie er Hakai an, doch dieser lächelte nur selbstgefällig, dann wurde sein Lächeln wieder zu dem, das er in jener Nacht so oft gesehen hatte. Ein sanftes, liebevolles Lächeln. Doch dieses Mal beruhigte es den Sänger nicht mehr. Mit weit aufgerissenen Augen rannte er zu dem Polizisten herüber, beugte sich dann über den noch zuckenden Leichnam. „Oh Gott ... Oh Gott, was hast du getan ...?!“, schrie er mit schriller Stimme. Panik flutete seine Gedanken, während seine Augen dem kleinen dunkelroten Fluss folgten. Ein weiterer Mensch ... gestorben ... tot! Und Hakai hatte der Mann nicht gesehen und Kaya wusste, dass es Überwachungskameras gab. Was war, wenn diese Hakai ebenfalls nicht aufnahmen? Dann würde man auf Band haben, während ein Mann starb, während nur er dabei war! Dabei hatte er ... hatte er den Tod dieses Mannes nicht gewollt ... Bestimmt hatte er Familie. Eine Frau, die ihn nie wieder würde sehen können, vielleicht einen Sohn ... Angst wischte alle vernünftigen Gedanken hinfort und er wäre so stehen geblieben, hätte Hakai nicht seinen Arm ergriffen und ihn mit sich gezogen. Er bemerkte nicht einmal, wie Hakai ihn durch die Straßen Kyotos führte, die lärmend laut und blind für alles waren, bis sie zu einem alten, verwitterten Gebäude kamen. „Hab keine Angst.“, flüsterte er Kaya mit einschmeichelnder Stimme ins Ohr. „Alles ist gut.“ Das Blut klebte noch an seinen Händen. Kapitel 3/Ende Kapitel 4: Rakuen ----------------- Rakuen - Paradies Kaya erwachte in einem fremden Bett. Es war wohlig warm und roch nach einem betörend-süßen Parfüm. Sein schwerer Duft hing im Raum. Von Geborgenheit umfangen, lag er auf dem Bett, bis ihm schlagartig bewusst wurde, was geschehen war. Er öffnete die Augen und blickte an eine graue, von Flecken verschmierte Decke. ...Wie anders hatte das Zimmer in seiner Vorstellung ausgesehen, während er dieses Parfüm gerochen hatte ... Eine Nebensächlichkeit, die ihm grotesker Weise als wichtig erschien. Er wandte den Kopf und erblickte Hakai, der auf dem Bett saß und zu ihm mit einem undeutbaren, dunklen Lächeln hinab sah. „Hast du gut geschlafen, Geliebter?“, hauchte er, beugte sich zu Kaya hinab und küsste dessen Lippen. Ganz so als seien sie ein normales Liebespaar, das nach einer leidenschaftlichen Nacht zusammen in einem Hotel erwachte. Kayas Hände krallten sich in das weiße Hemd, das sein Gegenüber trug, er zitterte und Tränen traten in seine Augen bei all den blutdurchtränkten Bildern, die sich vor seinen Netzhäuten zu einem Alptraum Szenario vereinten. Ein Alptraum, der zur Realität geworden war. Zwei Menschen ... Tot. Zwei Leben ... Ausgelöscht. Und Schmerz, so viel Schmerz in dem Antlitz eines jeden Angehörigen. Es war ihm, als starrten alle Verwandten, Bekannten, Freunde dieser beiden Menschen ihn mit vor Hass verzerrten Gesichtern an. ‚Mörder!’, schrieen sie lautlos. ‚Mörder!’ Immer wieder und wieder. Er konnte es nicht ertragen! Wie sollte er sein Gewissen jemals wieder reinigen können? Wie sollte sein Leben denn weiter verlaufen?! Sie würden ihn verurteilen, er würde für zwanzig Jahre ins Gefängnis kommen. Sein Leben ... War es bereits vorbei ...? Hakais Hände strichen über seinen zitternden Körper, während er zu ihm hinab sank. „Ist es nicht das, wo von du so oft singst?“, hauchte er ihm ins Ohr. „Wir brauen keine Realität, mein Geliebter, wir brauchen sie nicht. Sie ist unwichtig, nichtig ... Löse dich von ihr ... löse dich von ihr und zusammen werden wir bis zu den ‚tiefsten Abgründen des Vergnügens herabsinken ’“ Und er küsste Kayas Lippen. Er tat es sanft und doch bestimmend. Der betörende Körper seines Spiegelbildes drückte sich an ihn heran, er konnte ihm weder entfliehen, noch ihm widerstehen. Die Realität versank in einem Strudel aus Begierde und Verzweiflung und er fand es nicht wieder, dieses versunkene Gut. Die Stunden verstrichen und Kaya zählte sie anhand des Windes, der seinen Namen wisperte, mit boshaften Zungen in sein Ohr flüsterte. Der Abend war längst vergangen, als Hakai ihn allein ließ. Wohin, das wusste Kaya nicht und es kümmerte ihn in einem Zustand von einer merkwürdig satten Leere nicht. Stattdessen erhob er sich vom Bett, blickte sich kurz suchend um und trat dann an einen kleinen Schrank an der Wand heran. Er öffnete die Türen und fand Teile seiner Kleidung darin wieder. Ein Lächeln malte sich auf seine Lippen und er zog etwas hervor. Ein seidiges, weißes Hemd, das weit fiel und doch schön geschnitten war und einen langen schwarzen Rock. Im unteren Teil des Schrankes befanden sich seine Schuhe. Zufrieden verhüllte er seinen nackten Leib und begann dann sich in dem kleinen, angrenzenden Badezimmer zu schminken. Das Make-up, die Pinsel und Döschen mit Liedschatten hatten wie für ihn bereit dort gelegen. Also trug er es auf, malte auf sein ohnehin ebenmäßiges Gesicht die Züge einer Maske. Seine Maske. Sie zu tragen war sein Schild und sein Schwert gleichermaßen. Die fein gezeichneten Lippenbögen, die durch geschickt aufgetragenen Kajal und Liedstrich vergrößerten Augen und die falschen Wimpern, die seine eigenen langen Wimpern noch überragten und seinen Augenaufschlag in den einer verführerischen Puppe verwandelte. Dunkelheit umschmeichelte ihn und leitete ihn zärtlich den vorgeschriebenen Weg entlang. Weich war die Luft um ihn herum, angenehm warm wie an Sommerabenden. Die düsteren Straßen wurden von einigen Reklametafeln erhellt, die wie verschwommene Lichtpunkte über Kayas Netzhäute flimmerten, sie zogen an ihm vorbei und er bemerkte es nicht. Dort entlang. Gleich musste er da sein, nicht? Lautes Lachen und das Dröhnen von elektronischen Klängen hämmerte an die Forte seines Verstandes, doch sie blieb verschlossen. Der Raum war matt in rot beleuchtet, von Rauch und Stimmen geschwängert. „Willkommen im Paradies!“, hieß eine hohe, süße Engelsstimme hinter ihm. Er drehte sich herum und entdeckte das strahlende Wesen. Blondes, gelocktes Haar, ein zauberhaftes Lächeln und betörende Augen, in Unschuld getaucht. „Du bist sehr hübsch“, sagte die kindliche Stimme. „Komm mit. Ich zeig dir, wo der Baum steht.“ „Aber es ist doch verboten-“ Der Engel legte den Zeigefinger auf die rosigen Lippen. „Aber Gott sieht nicht zu“, erklärte es. „Und es interessiert ihn auch nicht. Wirklich nicht. Also komm!“ Seine kleine, schmale Hand forderte ihn auf, zu folgen. Er gehorchte. „Schau, Gabriel, wen ich mitgebracht habe!“, stellte es Kaya einem Mann vor, der in süße Rauchschwaden gehüllt zu ihm aufblickte. „Das ist Luzifers Tochter.“, sagte es zu dem Mann und kicherte vergnügt. Er schloss die Augen und als er sie wieder öffnete, lag er in einem weichen Sessel und der süßliche Rauch umgab ihn, durchdrang ihn. Seine Sinne waren frei und losgelöst, er fühlte sich unendlich leicht. Sein Arm, den er von der Sessellehne hob, schien nichts zu wiegen. Am Boden saß Gabriel, an sein Knie gelehnt, den Kopf unter seiner zärtlich streichelnden Hand. „Engelchen, wo bist du denn?“, rief er. „Hier bin ich!“, antwortete der Engel. Das süße Kindergesicht erschien durch den Rauch, sein Körper im grauen Kleidchen war kaum zu sehen durch die Schwaden. „Das hier ist Michael“, sagte es. Und ein anderer Mann kniete sich vor Kaya hin. Der Mann sah zu ihm auf und Kaya lächelte. „Michael also?“ „Ja, meine Herrin.“ Kaya lachte fröhlich. Doch als der Engel gehen wollte, sprach er: „Engelchen, bleib hier!“ Aber der Engel ging winkend davon. „Bleib doch“, flehte er. „Keine Sorge“, sagte da Michael. Kaya sah zu ihm herab. „Das Engelchen bleibt nie lang weg, weißt du, Herrin? Es kommt immer wieder, denn es hat stets die Freude an seinen süßen Händchen.“ Da lächelte Kaya wieder. „Du musst jetzt gehen.“ „Aber ich will nicht!“ „Du musst aber.“ „Warum? Ich will hier bei dir bleiben, Engelchen!“ „Nein, nein. Du musst. Schau, du gehst schon von allein. Das ist dein Bruder, der dich mitnimmt. Dein Vater ruft dich. Du musst jetzt gehen.“ „Aber, mein Engelchen!“ „Du musst jetzt gehen.“ Schwärze umfing ihn und ein ätzender Schmerz jagte durch seinen Magen. Seine Hände verkrampften sich um ihren Untergrund. Er kniete. „Das ist deine Sühne!“, rief eine aufgebrachte Stimme. „Vom Baum darf man nicht kosten!“ „Bruder bist du das…?“, ein Krächzen von ihm. Erneut durchzog Schmerz seinen Magen, Nadeln stachen wie wild gewordene Bienen in seine Schläfen. Er keuchte vor Pein. Es wollte hinaus. Es wollte heraus. Er würgte angestrengt, doch nur Galle, gefolgt von einem saueren Geruch kam über seine Lippen. Schmutz haftete an seinem Körper, Schweiß und Gestank, seine Kleidung war nicht mehr da, wo sie hätte sein sollen. Immer noch Düsternis. Seine Finger fühlten sich klebrig an, seine Arme verkrustet. Er beugte sich weiter nach vorne, als er einen Schub in seinem Inneren spürte. Erneut Galle, ein paar Brocken noch nicht gänzlich verdauten Essens. Speichel vermengt mit sauerer Flüssigkeit in seinem Rachen. Er würgte. In seinem Kopf hämmerte es, sein Gehirn schien von mehreren Händen gepackt und Fingernägel schienen sich hinein zu bohren, bis er den Schmerz nicht mehr aushielt. „Raus damit“, eine kalte Stimme. Erneutes Würgen. Ein Ruck ging durch seinen Körper, alles zog sich zusammen, dann, endlich Galle und eine zähe Flüssigkeit, noch weitere unverdaute Brocken. Doch der Schmerz in seinem Magen klang ab. Ein Keuchen. „Das war Gottes Strafe für dein Vergehen“, die kalte Stimme klang nun schmeichelnd. „Hab keine Angst, mein Geliebter, du überstehst es!“ Kaya erkannte Hakais Stimme. Er öffnete die Augen und fand sich im Bad des Hotels wieder. Er hing förmlich über der Toilettenschüssel, die verkrustet und verkalkt vor ihm aus dem Boden ragte wie eine Mülltonne aus der Erde. Angewidert rückte Kaya von ihr ab, erhob sich dann auf zittrige Beine. Hakai hatte neben ihm gekniet und stand ebenfalls auf. Seine Arme umfingen ihn und führten ihm zum Waschbecken. Darum verstreut lagen noch immer seine Schminkutensilien. Er beugte sich vor und drehte den Wasserhahn auf. Das kalte Nass belebte sein Denken ein wenig. „Was ist passiert?“, fragte er mit rauer Stimme, sein Hals schmerzte. „Etwas, was nie wieder passieren darf!“ Hakais Stimme hatte einen strengen, fast aufgebrachten Ton angenommen und seine Augen waren zu Schlitzen verengt. In seinem Blick loderte eine zornige Flamme. „Wusstest du nicht, dass es Engeln, die gesündigt haben, verwehrt ist, ins Paradies einzudringen?“, sprach er, doch dann milderte ein sanftes Lächeln seine Worte. „Kaya, mein Geliebter, meine Schönheit, meine Ekstase!“, wisperte er. „Lass uns in der Hölle verweilen. Sie gehört uns allein.“ Er konnte ihm weder entfliehen, noch ihm widerstehen. Kapitel 4/Ende Kapitel 5: Sakebi ----------------- Sakebi - Schrei „Du hast ihn getötet!“, schrie eine verweinte Kinderstimme. „Du hast meinen Papa umgebracht!“ Das Kreischen in seinen Ohren wurde lauter, steigerte sich immer weiter und schraubte sich in die Höhe, bis die Stimme unmenschlich verzehrt war. „Du hast ihn umgebracht! Mit deinen ekelhaften Händen hast du ihn umgebracht! Du elender Mörder! Weißt du, was du meiner Mama und mir antust?! WEIßT DU DAS?!“ Kayas Schrei zerschnitt die Finsternis. „Sei still! Hör auf! Das war keine Absicht!“, verzweifelt stürzten sich die Worte in die Dunkelheit und erreichten doch nicht ihr Ziel. „ERMORDET!“, kreischte die verzehrte, richtende Kinderstimme. Schweiß ran über Kayas nackten Körper. Er saß aufrecht im Bett. Ein kalter Windzug jagte eine Gänsehaut über seinen Rücken, doch die Kälte, die er fühlte, kam nicht von außen. Mit zitternden Händen tastete er neben sich. „Hakai“, formten seine bebenden Lippen. „Hakai“, wimmerte er. Doch da war nichts außer dem erkalteten Lacken unter seinen Fingern. „Wo bist du? Ich habe Angst …“ Er schluchzte. Tränen füllten seine Augen und selbst die Finsternis verschwamm noch. Seine Schultern bebten und er schluchzte erneut. „Hakai, bitte, bitte, ich habe solche Angst …“ Doch seine Stimme blieb ungehört. Sie vermochte niemanden zu erreichen. Die Schatten krochen auf ihn zu und erneut vernahm er ein Wispern der Kinderstimme. Er ertrug es nicht. Er biss sich auf die Lippen und ließ sich in die Kissen fallen. Er hatte seinen Körper nicht unter Kontrolle und Schluchzer um Schluchzer quoll von seinen Lippen wie die Tränen aus seinen Augen. Der Schmerz in seinem Herzen ließ nicht nach, die Stimme in seinem Kopf schwieg nicht. Er konnte sie nicht zum schweigen bringen, keine Tränen, keine Schluchzer sättigten diesen schrecklichen Richter. „Du widerliches Monster! Nur weil du deine Triebe nicht unter Kontrolle halten kannst, ist er tot! Wenn du ihn nicht verführt hättest, wäre er NICHT TOT!“ Verzweifelt hielt er sich die Ohren zu, während er im Schmerz versank. Er war wie eine große, dunkle Woge, rollte über ihn hinweg und begrub ihn. In den Tiefen des Meeres herrschte eisige Dunkelheit, der Tod war dort zu Hause und seine klammen Finger streckten sich gierig nach seinem Herzen aus. Sein Weinen hörte nicht auf und seine eigene Stimme klang ihm im Ohr. Es war ihm vertraut, dieses Geräusch, oh ja, auch der Schmerz war wohl bekannt. Doch er war noch grausamer, als er ihn kennen gelernt hatte. Es gab einen Unterschied zwischen dem Schmerz, den man spürte, wenn man verletzt wurde und dem Schmerz, den man fühlt, wenn man jemanden verletzt. Letzterer kann weitaus schlimmer sein. Zu der Kinderstimme hinzu mischten sich noch andere, realere Stimmen. „Ekelhaft! Das ist nicht mein Sohn!“ „Mörder!“ „Wie kannst du das Sagen?“ „Hast du es denn nicht gesehen?! Dieser geschlechtsverirrte Bastard ist nicht mein Kind!“ „Mörder!“ „Soll das ein Witz sein? Denkst du ich bin so einer? Verliebt? Geh doch nach Hause und steck dir sonst was in den Arsch!“ „MÖRDER!“ „Hört auf!“, schrie er verzweifelt. „Hört auf …“ Es war nur noch ein Wimmern in der Finsternis. Er spürte Hakais weiche Hände, wie sie ihn in das Lacken drückten, er stöhnte heiser auf, während der andere noch tiefer in ihn drang. „In dieser Illusion gefangen“, hörte er seine dunkle Stimme. „Bis in alle Ewigkeit, werde ich dich nicht mehr frei lassen!“ Arme, die ihn umschlangen. „In dieser Ekstase werde ich dich halten, meine süße Verzweiflung!“ Tränenspuren auf seiner Wange, die nicht ungesehen blieben. Ihr Anblick wurde gierig aufgesaugt. Die Dämmerung brach an. Der Himmel in Rot getränkt, ein Mond, der bereits aufging und die Sonne, seine grässliche Schwester, zu verdrängen suchte. Sein silbriges Profil schimmerte durch die verschmutzten Vorhänge des Hotelzimmers. Kayas Atem zeichnete die Glasscheibe, wollte entfliehen, doch er wurde von einer unsichtbaren Mauer festgehalten. Nur eine kurzweilige Spur blieb von ihm zurück. Das kühle Glas betastend waren da Fingerspitzen, die sich nach Freiheit sehnten. Im fleckigen Spiegelbild las er den Wunsch aus diesem grausig-ekstatischen Traum auszubrechen, aber dieser Wunsch war zäh wie Honig und blieb an der Scheibe haften. „Was ist geschehen?“, murmelte seine gebrochene Stimme. „Was ist nur geschehen? Ich will zurück …“ Wieder allein war er im Begriff ein weiteres Mal das vernebelnde Vergessen zu kosten, das ihm versagt war. Doch seine Seele schrie und geiferte danach, sie musste es kosten, sie konnte nicht überleben im Verzicht. Sie suchte Linderung, wenn auch nur für eine bestimme Zeit gegönnt, so war es doch Linderung. Und Linderung war, einen Atemzug tun. Er wollte vergessen. Er ertrug es nicht, sein Körper ertrug es nicht und sein Herz zerbrach. Langsam hatten sich die Risse gebildet, krochen wie Schlangenleiber zu ihrem Opfer, bis sie ihre Zähne gierig ins Leben hineinschlugen. Es würde zerbersten, dieses einst unschuldige Herz, bei noch größerem Druck, es würde zerbersten. Und die Stimme in seinem Kopf blieb nie lange still. Fahrige Finger suchten einen Schutz vor der Kälte. Stoff schmiegte sich an nackte Haut. Er konnte nicht wärmen, was innerlich zu erfrieren begann. Die Maske seines Gesichts, das Gesicht seiner Maske. Seine Schritte waren schnell, der Hunger seiner Seele groß, er führte ihn durch die Blutübergossenen Straßen, nun da die Finsternis ihn noch nicht leiten konnte. Er wollte zurück in den Garten, in dem er das verbotene Vergessen gefunden hatte, in dem er verweilt war, bis … Seine Hände stießen Türen auf, seine Füße trugen ihn von selbst. Töne und Geräusche nisteten sich in seinem Kopfe ein. „Da bist du ja wieder!“, eine honigsüße Stimme. „Ich wusste, zu würdest zurückkommen.“ „Mein Engelchen“, formten seine spröden, aufgeplatzten Lippen. „Mein Engelchen, ich brauche dich …“ Seine Hand wurde ergriffen, er wurde sanft geführt. Der lähmende, köstliche Geruch durchdrang sein Denken und versteckte alle Stimmen und jedwede Erinnerung hinter dichten Schwaden aus duftendem Nebel. „Setz dich, setz dich“, flüsterte es. „Michael hat dich vermisst“, die Stimme des Engels klang so weit weg. Er ließ sich fallen wund wurde von starken Armen wieder aufgefangen. „Herrin, hier bist du sicher, hier wo Gottes Augen am seltensten ruhen.“ Eine gepolsterte Liege unter seinen schweren Gliedern, die allmählich leichter zu werden schienen. Er spürte etwas in seinen Unterarm stechen. „Gleich wird es dir gut gehen, Herrin.“ Eine weiche Hand streichelte ihn und er gab sich diesem Gefühl der Wonne nur allzu gerne hin, das mit einem Mal durch seinen Körper pulsierte. „Dein erschöpfter Geist, Herrin, wird sich entspannen können und dein erschöpfter Körper ebenfalls.“ Dann fühlte er eine Glückseeligkeit, die er vor langen, langen Jahren, das letzte Mal empfunden hatte. „Herrin, es ist Zeit.“ „Du musst jetzt gehen.“ „Herrin, komm wieder!“ „Bis bald, wir erwarten dich.“ Er taumelte durch die Straßen, während mit jedem Atemzug, den er tat, sein Kopf sich klärte und der geliebte Nebel auseinander zog. Je klarer sein Denken wurde, desto klarer wurde auch sein Schmerz. Tränen rannen über seine Wangen. Er wandelte in der Finsternis. Er weinte, er schluchzte, bis jemand ihn hörte. Er brach zusammen. Er wollte nicht mehr aufstehen. Für nichts in der Welt wollte er sich der Realität, diesem schrecklichen Traumgebilde, wieder aussetzen. „Haben Sie keine Angst, ich rufe einen Notarzt.“ „In dieser Illusion gefangen …“ „Ganz ruhig! Es ist alles ok! Gleich werden Sie abgeholt. Ruhig! Bleiben Sie doch ruhig!“ „Bis in alle Ewigkeit, werde ich dich nicht mehr frei lassen!“ „Scht … Gleich Sind sie im Krankenhaus. Alles wird gut … Scht …“ „In dieser Ekstase werde ich dich halten, meine süße Verzweiflung!“ Kapitel 5/Ende *** Kapitel 6: Nishiki ------------------ Ninshiki - Erkenntnis „Bleiben Sie ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung. Was auch immer Ihnen passiert ist, Sie sind jetzt in Sicherheit.“ Irgendwo in dieser leeren Dunkelheit sprach eine sanfte Stimme gedämpft zu ihm. „Wir haben die Drogen aus Ihrem Körper gespült“, fuhr die Stimme fort. „Sie dürften jetzt keine Nebenwirkungen mehr hervorrufen können.“ Langsam öffnete Kaya die Augen. Über ihm fing er das Lächeln einer kräftigeren Frau auf, er erkannte sie als Krankenschwester. Er blickte sich um und sah auf sterile, weiße Wände. Er lag in einem Bett. Mit einem Mal erfasste ihn ein Schwindel und der Raum begann sich vor ihm zu drehen. Seine Lider sanken herab. „Das ist normal“, klang es irgendwo in der erneuten Dunkelheit. „Ihr Körper ist noch erschöpft.“ Als er das nächste Mal aufwache, war er allein. Doch eine angenehme Wärme erfüllte ihn, er fühlte sich sauber und geborgen. Während er sich erneut umsah, bemerkte er eine kleine Blumenvase mit Lilien gefüllt, auf einem kleinen Tisch und ein Lächeln glitt über seine Lippen. Er konzentrierte sich und sog tief die Luft in seine Lungen. Er roch das kleine Pflänzchen, und sein Geruch war wohltuend. Er war in einem Krankenhaus und die Krankenschwester hatte ihn nicht erkannt, als angeblichen Mörder. Es schien, als sei dem Wahnsinn, in dem er die letzten Tage verbracht hatte, hier kein Zutritt erlaubt. Er schloss die Augen und genoss die Sonnenstrahlen, die durch das große Fenster sickerten. Er wollte auf ewig in diesem Bett bleiben. Irgendwann weckte ihn die Krankenschwester. Sie hatte ihm etwas zu Essen gebracht und der köstliche Duft von gebratenem Gemüse und Reis stieg Kaya in die Nase. Er bedankte sich mit leiser Stimme und die Frau lächelte ihn an. Ihr Lächeln war wie das einer Mutter und es berührte einen Punkt in Kaya, der schöne Erinnerungen hervorzauberte. Im Gespinst seiner Kindheit verfangen, genoss er das Essen. Er erinnerte sich nicht, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte und sein Körper bestätigte ihm, dass es nicht allzu viel gewesen sein konnte. Erschöpft schlief er wieder ein. „Es ist Besuch für sie da“, hörte er die Stimme der Krankenschwester und schlug die Augen auf. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht mit ihm. Ein Lächeln auf den Lippen und Sorgen in den Augen stand er da. Er trug das Haar noch immer kurz und silbernblond. Sein Gesicht hatte nichts von der Freundlichkeit eingebüsst, die es für ihn immer ausgestrahlt hatte. „Hora!“ „Es ist schön, dich einigermaßen wohlauf zu sehen.“, lächelte er. Die Krankenschwester verließ den Raum. „Woher wusstest du, dass ich hier bin?“ „Ich war in einem Club in der Nähe und habe der Frau geholfen, die dich hat umkippen sehen.“ Kaya konnte es nicht fassen. So lange hatte er ihn nicht gesehen und nun traf er ihn gerade auf diese Weise und durch die Umstände? Die Sonnenstrahlen verfingen sich in dem hellen Haar, ließen Funken darauf leichtfüßig spielen. „Ich habe dich vermisst …“, gestand er. Hora zog sich den Stuhl vom Tisch heran und setzte sich zu Kaya ans Bett. „Ich habe dich auch vermisst. Ich habe mir Sorgen gemacht …“ „Es tut mir Leid“, ein Seufzen entrang sich seiner Kehle und er setzte sich etwas auf. Hora beugte sich vor uns half ihm dabei. „Die Krankenschwester hat mir irgendwas von Drogen erzählt“, begann Hora zaghaft. „Bitte erzähl mir, was sie meint. Ich dachte du hättest damals … Du hast es mir versprochen.“ Kaya blickte ihn wortlos an, er überlegte. Konnte es sein, dass … das all dies gar nicht wahr gewesen war? Dass er sich alles nur eingebildet hatte? Ein Traum, erzeugt von Mitteln, die sein Bewusstsein beeinflussten? Es war wahr … vor dem Fotoshooting hatte er etwas genommen. Es war eine einmalige Sache gewesen. Für einen kurzen Moment hatte ihn die alte Sucht befallen, für einen kurzen Moment war er schwach gewesen. „Ich habe geträumt, ich hätte einen Menschen umgebracht“, flüsterte er mit bebender Stimme. „Ich wollte es nicht … wirklich nicht. Aber vor dem Shooting … letzte Woche?, vor dem Shooting haben sie alle etwas genommen. Und ich … auch.“ Er stockte. Es musste so gewesen sein! Die Illusion um ihn herum schien zu zerreißen. Ein Lächeln malte sich auf seine Lippen. Hora rückte näher und umarmte ihn zärtlich. „Tu das nie wieder.“ Kaya schlang die Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn. „Versprochen“, wisperte er. Seine Finger verflochten sich in Horas Haar, und er genoss die Wärme dieser Umarmung. „Ach Hora …“ Der Angesprochene schob ihn ein wenig zurück, dann küsste er ihn zaghaft. „Verzeih mir“, flüsterte er und tat es erneut. Kaya ließ es geschehen und dieses Mal war es ein schönes Gefühl, dieses Mal da Hora ihn küsste, schien es ihm das Richtige zu sein. „Bleibst du hier?“, fragte er leise, als sie sich von einander gelöst hatten. „Ich muss für fünf Minuten weg“, antwortete der Hellhaarige und strich Kaya sanft über die Wange. „Beeilst du dich auch?“ „Natürlich.“ „Na gut“, damit gab er ihm die Erlaubnis. Ein weiteres Mal berührten sich ihre Lippen, ehe Hora aufstand. „Bis gleich“, hauchte er und war mit schnellen Schritten aus dem Raum. Kaya sah ihm nach, während die Sonne bunte Spiegelungen an die weißen Wände warf und sie anheimelnd erscheinen ließ. Er lächelte glücklich. Letztendlich war er dieser grässlichen Illusion entronnen. Die Augen schließend gab er sich einem leichten Schlummer hin. Geweckt wurde er von dem sanften Druck von Lippen, die sich auf seinen Mund legten. Er erwiderte den Kuss, schlang die Arme um ihn und öffnete die Augen. Düsternis. Langes, schwarzes Haar, blassblaue Augen sehen ihm entgegen. Es ist sein Gesicht. Der Vollmond ist aufgegangen und der Engel schreit und schreit. Aber kann sich nicht retten. Er kann es nicht. „Nein! Ich habe niemanden umgebracht!“, kommt es von seinen bebenden Lippen, er und versucht sich von seinem Spiegelbild zu lösen, doch dieses drängt ihn zurück, drückt seinen Körper auf das Bett hinab. „Ich habe dich vermisst, mein Geliebter!“, raunt er ihm lustvoll ins Ohr und presst sich an ihn. „Nein! Hör auf! Hör auf! Das ist nicht wahr! Es gibt dich nicht!“, versucht Kaya sich zu währen, doch seine Stimme hallt unbemerkt in dem in Dunkelheit getauchten Raum wieder. Er ertrinkt in seinen Küssen. Er erstickt in seinen Liebkosungen. Er wird durchbohrt von seiner ‚Liebe’. „Ich hatte dich gewarnt!“, wird ihm entgegen geschleudert. „Ich hatte dir gesagt, du darfst das Vergessen nicht kosten, mein süßester Geliebter! Ach! Jetzt wird das Vergessen dich kosten.“ Er küsst ihn wild, doch seine Lust ist befriedigt. Er löst sich von dem zitternden Körper, an dem er sich vergangen hat. „Es ist traurig.“, flüstert er. „Aber du hast mich betrogen. Du wolltest ihn, nicht wahr? Nicht mich. Ihn. Aber weißt du? Ich habe ihn bewusstlos geschlagen und in eine Kammer geschleppt. Er soll nicht sterben. Noch nicht.“ Der Engel erträgt es nicht. Der Schmerz wird zu stark. Er springt auf und seine Tränen funkeln wie verlorene Edelsteine im kalten Mondlicht. Sein Körper schmerzt sehr, aber seine Seele stirbt. „Tu ihm nichts an! Er hat dir nichts getan!“, fleht er und geht rückwärts. „Du hast mich schon einmal verlassen, Kaya. Wärst du doch damals mit mir gestorben, Bruder!“ „Ich kann doch nichts dafür …“, wimmert der Engel. Sein Weinen ist herzzerreißend, aber sein Bruder kann es nicht fühlen. Denn er hat kein Herz mehr, schon lange nicht mehr, genauso wenig wie ein Leben. „Wir werden sehen“, lacht er nun und drückt Kaya zurück an die Wand. „Nein! Nicht noch einmal!“ Ein Schluchzen. „Ich habe das Recht dazu!“, schreit sein Bruder. „Du lebst und ich musste sterben! Also habe ich verdammt noch Mal das Recht dazu, deinen Körper zu besitzen!“ „Nein!“, entringt es sich verzweifelt Kayas Kehle, er windet sich aus seiner Umklammerung und weicht zum Fenster aus. „Du willst fliehen? Du willst vor MIR FLIEHEN?!“, schreit sein Bruder. „Du wirst mir NIEMALS entkommen! Dein Leben gehört mir! Mir!“, kreischt er, seine Stimme überschlägt sich. „Ich hätte geboren werden sollen und nicht DU!“ Er drückt ihn an die Wand. Er schlägt auf ihn ein. Schreie, Schreie, Schreie, Schmerzen, Glas das sich in seinen Rücken bohrt. Verzweiflung und Tränen. Er will nicht, dass sein Geliebter sterben muss. An der Tür zu seinem Zimmer sind Schläge zu hören. Die Stimme seines Geliebten. Rette mich! Rette mich! Aber er dringt nicht zu ihm durch. Er versucht zu fliehen, er scheitert. Blut rinnt an ihm herab. Schreie. Schreie. Das Zersplittern von Glas. Wind. Er fällt. Alles in Dunkelheit getaucht, doch der Mond beleuchtet die Erde. Silbrig schimmert alles, verschwommen und doch glasklar. Der Wind zerrt an ihm. Die dunklen Spitzen des Zaunes. Kommen näher. Schmerzen. Ein Ruck. Dunkelheit. Still. Kapitel 6/Ende Kapitel 7: Epilog ----------------- ~Epilog~ Mit der letzten ihm zur Verfügung stehenden Kraft trat Hora die Tür ein. Er wusste nicht, wie lange er bewusstlos in der Kammer gelegen hatte, doch der Vollmond war bereits aufgegangen, als er in Kayas Zimmer trat. Er fand es leer. In glühender Verzweiflung rannte er zum Fenster, über seine Lippen kam ein Schmerzensschrei, während die weißen Vorhänge um seine Gestalt flackerten wie die Flamme einer Kerze um eine Motte. „Nein!“, schrie er heiser. „Nein! Kaya! Kaya! Kaya …“ Er brach zusammen. Er sah ihn. Dort unten, von Finsternis umschattet. Durchbohrt. Es war, als hätten die Schatten ihre gierigen Finger nach ihm ausgestreckt und ihn hinab gerissen in diesen Abgrund. Heiße Tränen liefen über seine Wangen und ein Wimmern kam über seine Lippen. Wenige Minuten später hörte er aufgeregte Stimmen hinter sich, Schritte. „Was ist passiert?“, wollten sie wissen. Er brachte nichts heraus. Sein Herz war zersprungen. Die Scherben lagen um ihn herum verstreut. Kayas Blut klebte an ihnen. Die Stimmen hinter ihm verstummten entsetzt. Was … war es gewesen? Wie konnte es geschehen sein? Sein Verstand begriff es nicht. Für einen Moment hatte er einen Schatten gesehen, einen Schatten mit funkelnden Augen voller Boshaftigkeit. Sein Schmerz war unbeschreibbar. Die Tränen versiegten nicht. Die neu gewonnene Liebe, die erblühte Blume war vom Winter zerstört. Getötet. Verzerrt, fortgeschafft In der wimmelnden Masse von Dämonen Liebling mit geschlossen Augen Trete tief ein in diesen Platz ... ~Epilog~/Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)