Der Mondkönig - Sonhas Leben von Ekolabine ================================================================================ Kapitel 3: Kirschbaumrinde im Moderland --------------------------------------- Buch 1 - Kindheitsglück Kapitel 02 - Kirschbaumrinde im Moderland Moderland. Wer hier einen Fuß reinsetzt taucht bis zum Hals in den Tod und wer dann noch den zweiten daneben setzt, wird von den Dämonen der Sümpfe in die Tiefe gezogen. Hier lebte nur das niedere Untier der obersten Höllenschicht Anagura, welches zur Muttererde Son’ha empor gekrochen war. Welche Menschen trauten sich schon hier her? Nur die Ausgestoßenen und die, die nicht gefunden werden wollten. „Priester Gallus, ich kann nicht mehr.“ Das kleine Mädchen brach zitternd am Wegesrand zusammen. Die Erschöpfung stand ihr ins Gesicht geschrieben und ihr kleiner Körper lechzte nach Luft. „Weiter! Wir sind noch nicht in Sicherheit. Pause gibt es, wenn wir das Reich der Fasanen betreten haben“, Gallus packte sie grob am Arm und zog sie hoch. Sonja schrie auf und wehrte sich. Dabei trat sie ihm gegen das Schienbein und entzog sich so dem wimmernden Priester. „Ich habe Hunger und Durst!“, jammerte sie dann schließlich weiter. Gallus blickte sie finster an. Musterte sie etwas. „Was hast du denn in dieser Tragetasche auf deinem Rücken? Ich behaupte Mal dreist, etwas zu essen“, Gallus rieb sich sein Bein und wünschte im Stillen diesem Mädchen sämtliche Flüche auf den Hals, die er kannte. Sonja beachtete ihn gar nicht weiter, sondern packte die Tragetasche, die sich zu Beginn der Flucht auf den Rücken gebunden hatte. Darin fand sie sämtliche von Großmutters Kräutern und Steinen – und ein Stück Brot sowie Schafskäse. „Essen!“, freute sie sich und packte beides aus. Gallus blickte auf. Tatsächlich, die Kleine hatte etwas zu essen dabei. Ihm selbst knurrte auch der Magen, doch mit viel Disziplin hatte er das Hungergefühl die ganze Zeit unterdrücken können. Aber nun, da dieses Balg anfing vor seinen Augen, alles in sich hineinzustopfen, überkam auch ihn der Hunger. Langsam kam er auf die Kleine zu und ging schließlich in die Hocke: „Sag mal, hat dir deine Großmutter nicht beigebracht zu teilen?“ Sonja blickte auf und fragte ihn schließlich mit vollem Mund, wobei sie sämtlichen Mundinhalt in sein Gesicht spuckte: „Willst du auch was?“ Sie streckte ihm ein Stück Brot entgegen. „Oh ja, sehr“ – „Kriegst aber nichts!“ Schon hatte sie sich das letzte Stück Brot in den Mund gestopft. Genüsslich kaute sie darauf rum und blickte zufrieden den Priester an. Zum Abschluss rülpste sie noch einmal laut voller Zufriedenheit und band sich die Tragetasche wieder um den Rücken. „So, von mir aus können wir jetzt weiter.“ Sonja stand auf und sprang summend an dem immer noch verblüfften Gallus vorbei. Dieser erwachte so langsam aus seiner Starre und drehte sich um. Er war rot im Gesicht, welches langsam schon in ein Violett überwechselte. „Du kleines, mieses, Stück Mist!“, schrie er nur und hechtete Sonja hinterher. Diese aber, in voller Erwartung dieser Reaktion, rannte schon längst den steilen Weg hinauf und lachte dabei herzhaft. Hatte sie es doch geschafft, diesen bösen Priester für die Tracht Prügel zu bestrafen. Jetzt hörte sie nur wie er von hinten sämtliche Flüche gegen sie ausspie und verzweifelt versuchte sie zu erwischen. Dumm für ihn, dass sie nun Dank ihres kleinen Mahles wieder voll gestärkt und er immer noch erschöpft vom langen Weg war. Doch weilte das Glück nicht lange auf Sonjas Seite. Durch ihre Leichtsinnigkeit passte sie nicht mehr genau auf, wohin sie trat und versank plötzlich mitten in einen Blubbersumpf. „Ahhh! Gallus!“, schrie sie nur noch verzweifelt und versuchte mit dem zweiten Fuß auf sicherem Boden zu bleiben. Dennoch versank ihr halber Leib in der Schlammbrühe und auf diese Weise konnte sie sich nicht mehr lange halten. Wieder schrie sie um Hilfe. „Aha, kleine Sünden bestraft der liebe Schöpfer sofort.“ Gallus stand am sicheren Wegesrand und blickte höhnisch auf Sonja herab. „Vielleicht sollte ich dich zu Strafe hier lassen und alleine weiter ziehen.“ „Nein“, schrie schrill Sonja auf. Panik stand ihr im Gesicht. Gallus lachte auf. „Na, spürst du schon, wie die Sumpfgolems Anaguras deine Füßchen streicheln?“ Jetzt hatte Gallus seine Rache. Dafür, dass dieses kleine Gör ihn so gemein hintergangen hatte. Das Mädchen versuchte sich mit aller Kraft auf festem Boden zu halten. Anscheinend glaubte sie an diesen Humbug, dass Dämonen sie in die Tiefe zögen, wenn sie mit beiden Beinen im Sumpf stand. Doch Gallus musste lernen, dass nicht alles was er für Irrsinn hielt, auch welcher war. Plötzlich begann die Sumpfbrühe zu brodeln. Gallus blickte auf. Ein unterirdischer Geysir? Oder ein Schwefelloch? Was war das? Sonja hörte mit einem Mal auf zu zappeln und blickte ängstlich um sich. Das Brodeln nahm immer mehr zu und da tauchten aus dem Schlamm braune Hände empor, die in der Luft nach irgendetwas zu greifen versuchten. Diese Hände sahen so seltsam verkrüppelt aus, mit ihren Fingern, die mehr Zweige von irgendwelchen bäumen zu sein schienen. So schien es jedenfalls Gallus, der gebannt auf diese Erscheinung starrte. Sonja war mucksmäuschenstill. Sie blickte nur Hilfe suchend zu Gallus. Dieser löste sich aus seiner Starre und wollte Sonja packen und aus dem Sumpf ziehen, doch da fand eine der Hände ihr Ziel und begann, an Sonjas Haaren zu zehren. Gallus erwischte ein Händchen, doch auch die zweite Hand fand ihr Ziel und begann an das kleine Kind in die Tiefe zu ziehen. Gallus strengte sich mit aller Kraft an, doch diese dürren Hände waren stärker als er und langsam entglitt ihm Sonjas Hand. Er konnte nur noch mit ansehen, wie ihr rotes Haar im Schlamm verschwand. Weg. Sonja war weg. Einfach mit in den Sumpf gezogen. Runter ins Dämonenreich. Wie schnell Gallus sich mit dem Tod doch wieder auseinander setzen musste. Er glaubte in seiner Angst noch ein Flüstern ihrerseits vernommen zu haben: „Alles muss man selber machen.“ Aber was? Da spritze ihm auch schon eine Welle Schlamm entgegen und bedeckte ihn komplett. Mitten aus dem Sumpfloch kroch Sonja hervor. Jedoch erkannte Gallus sie kaum wieder. Aus ihrem Mund triefte der Speichel heraus, ihre Augen leuchteten komplett schwarz und ihre Hände sahen eher aus wie Krallen. Sie kroch wie ein Tier rückwärts über den Boden und fauchte dabei die Hände an, die noch immer versuchten, sie zu erwischen. Als sie bei Gallus war, drehte sie sich langsam um und blickte ihn an. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Fratze und plötzlich sprang sie ihn an. Er schaffte es nicht einmal mehr die Arme schützend vor das Gesicht zu halten, sondern spürte nur wie sich zwei kleine Ärmchen um seinen Hals schlangen. „Auf dich ist aber auch gar kein Verlass!“ Er horchte auf. Kichernd blickte Sonja zu ihm empor. Die Augen waren wieder normal. Kleine schimmernde Malachite grinsten ihn schelmisch an. Auch das Gesicht war wieder normal. Keine wutverzerrten Falten waren zu sehen. „Du – hattest – Angst!“, sang ihm Sonja lachend entgegen. Gallus blies langsam alle Luft aus seinem Luftkorb, um erstmal erneut wieder tief Luft zu holen. „Oh mein Schöpfer, ich dachte schon, ich hätte dich verloren.“ Er schlang seine Arme etwas fester um Sonja und drückte sie an sich. Sonja glaubte, sich verhört zu haben und zwang sich erstmal aus seiner Umarmung raus. „Du hattest Angst um mich?“, fragte sie ihn ungläubig und zog eine Augenbraue dabei hoch, „seit wann denn das?“ Gallus blickte sie ertappt an und schwieg erstmal einige Minuten. „Ist das in eurer Familie eigentlich normal?“, fragte er sie schließlich, „dass ihr einfach mal schwarze Augen bekommt?“ Sonja schaute ihn verwirrt an. Sie blickte erstmal nach oben und schien nachzudenken. „Nein. Das hab nur ich“, brachte schließlich als Antwort, „als Schutzfunktion, sagt Oma. Das vergeht aber wieder, sagt Oma. Wenn ich volljährig bin, dann ist diese Fähigkeit ganz verschwunden, sagt Oma.“ „Und was war das dann bei deiner Großmutter?“, brach es laut aus Gallus raus. „Hä? Was?“ Sonja schien nicht zu verstehen, was er meinte. „Na das, kurz vor ihrem Tod, als sie mir auflegte, mich um dich kleines Gör zu kümmern“, polterte Gallus wütend los, „da hat sie den gleichen Mist gebracht wie du.“ Gallus hatte diese teuflische Begegnung noch immer genau vor Augen. „Eurer Schicksal ist eins“, raunte die Alte ihm entgegen. Aus ihrem Mund stiegen Dämpfe empor und ihre Augen färbten sich schwarz. Gallus versuchte sich verzweifelt loszureißen und schabte mit den Füßen am Boden, in der Hoffnung er könnte weiter nach hinten rutschen. Doch nichts half. Das alte Weib hatte bestialische Kräfte und hielt ihn eisern fest. Ihre Stimme war nur noch ein Krächzen. „Schwöre, dass du dein Leben für sie gibst, um sie zu schützen.“ „Nein.“ Gallus schlug nun schon nach dem alten Weib, er murmelte sämtliche Beschwörungen, die er kannte. Sogar welche aus dem Exorzismus. Aber nichts half. Er hatte hier keinen Dämon vor sich, sondern eine Hexe. „Schwör es, Bursche! Schwör es für den Schöpfer!“ Die Alte riss an seinem Gewand und packte schließlich noch sein Fußgelenk. „Ja – ich schwöre es ja“, schrie Gallus schließlich auf. Sofort wurde der Griff der Alten lockerer. Sie hustete stark. „Somit ist der Pakt besiegelt.“ Gallus spürte, wie es um sein Fußgelenk warm wurde. Er riss sich los und sah nur noch die Hexe zu staub zerfallen. Sonja hatte Gallus Erzählung leise gelauscht. Man sah ihm die Angst an, als er die Hose an seinem Fußgelenk hochschob und dort ein Mal zum Vorschein kam. Es war ein paar Mal in sich selbst geschwungen und verlief im Kreis. „Ein Bündnis“, murmelte Sonja gedankenverloren. Sie fuhr mit ihren kleinen Fingern das Symbol nach. „Du bist mit meiner Großmutter ein Bündnis eingegangen. Es bindet dich ein Leben lang und wenn du dagegen verstößt, dann breitet sich das Mal über deinen ganzen Körper aus und du musst langsam leidvoll ersticken.“ Sonja blickte auf, sah in das vor angstverzerrte Gesicht. Der Priester hatte merklich Angst. Blanke Angst. Sie war in seinen Augen. „Ist es so schlimm, Priester Gallus, auf mich aufzupassen?“, fragte Sonja leise, „Bin ich so ein schlimmes Kind?“ Man hörte die leise Traurigkeit in ihrer Stimme. Gallus blickte sie traurig an, doch dann sprach er: „Natürlich bist du ein schlimmes Kind! Du bist das schlimmste von allen! Damit eines klar ist: Ich bin hier das arme Opfer und du das gemeine Biest.“ Er stand langsam auf und versuchte aufmunternd zu lächeln. „Komm jetzt. Wir haben noch ein Stück vor uns und mein Magen ist noch immer nicht voller.“ Er reichte ihr die Hand und zog das Kind empor. Sonja aber lief zugleich zum nächsten Kirschblütenbaum und riss dort einen Ast mit den jungen Blüten ab. Die Blüten wurden nur unbeachtet zu Boden geworfen, die Rinde jedoch wurde vom Ast abgeschält. Diese wurde Gallus plötzlich in die Hände gedrückt. „Iss!“ Das kleine Kind schaute ihn mit großen Augen an. „Baumrinde. Das ist Baumrinde“, Gallus blickte Sonja ungläubig an, „das werde ich nicht essen! Nur weil ihr Kinder selbst Sand als Kuchen ansehen und essen könnt, heißt das noch lange nicht, dass ich Rinde essen werde.“ Er ließ die Rinde zu Boden fallen. Sonja aber hob sie sofort wieder auf und hielt sie dem Priester ein weiteres Mal hin. „Weißt du denn nicht, dass die Rinde eines Baumes wie seine Frucht schmeckt?“ Zur Bestätigung nahm sie ein Stück und biss hinein. Schmatzend kaute sie auf der Rinde. „Du willst mich nur wieder reinlegen“, sprach Gallus nun sichtlich böse. „Wenn es so ist, dann dürft ihr mich übers Knie legen und mir den Po verhauen.“ Die Kleine blickte ihn noch immer ernst an. Langsam bewegte Gallus seine Hand zur der Rinde. Forschend sah er sie erst an und roch daran. Sah aus wie Rinde, roch wie Rinde – er biss hinein – schmeckte wie Kirschen! Das war unglaublich. Gallus kaute prüfend auf dem kleinen Stück und er hatte das Gefühl, als würde er auf frischen Kirschen kauen. Schnell schob er sich noch ein weiteres Stück in den Mund. Herrlich! Endlich wieder was im Magen und es schmeckte so gut. „Ist das bei allen Bäumen so?“, fragte er schmatzend Sonja. Diese grinste nur und sagte: „Nur, wenn ein Kind die Rinde pflückt. Die Natur ernährt und umsorgt ihre Kinder. Können wir nun gehen?“ Gemeinsam schritten sie nun weiter durch das Moderland. Bald schon würden sie das Fasanenland und die dortigen Höhlen erreichen. Doch da die Fasanen nicht allen freundlich gesinnt waren, würden sie schon bald ihre nächste Prüfung bestehen müssen. Eigentlich gar keinem und schon gar nicht einem Priester mit einem vorlauten Kind. „Priester Gallus?“ „Hm.“ „Wenn ich das Biest bin, seid ihr dann der Schöne?“ „Ja, bin ich.“ „Müsst ihr mich dann nicht küssen und mich von meinem Fluch befreien?“ „Mund zu! Hirn aus! Und weiterlaufen!“ „Jawohl, Herr General.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)