Mal ganz sorglos von Chibichi (Fanfics rund um die Sorglospunks) ================================================================================ Kapitel 10: Jenseits der Realität --------------------------------- In einer wohlbekannten WG im Schwabenland kannte man jede Art von Katastrophe, schließlich war dort Murphy ein ständiger Besucher. Und selbst wenn der schwarze Chaoskater mal fernbleibt, schaffte es Easy immer noch im Alleingang die unmöglichsten Dinge zustande zu bringen. Gerade darum verbringe ich ja so gerne jede freie Minute in der sorglosen Band-WG, denn dort ist es nie langweilig. Aber an einem schönen Januartag lag ein klarer Fall von „Mit dem falschen Fuß aufgestanden“ vor. Easy hatte schlechte Laune. Das merkte ich schon daran, dass das Begrüßungs-Chiiiiii um einige Is kürzer und nicht so fröhlich wie sonst war. Verwundert blickte ich der normalerweise so sorglosen Frontfrau nach, wie sie missmutig in die Küche stapfte. Doch sofort wurde ich von den restlichen WG-Bewohnern ins Wohnzimmer gezogen und über diese seltsame Sachlage aufgeklärt. Seit dem Morgen lief alles, aber auch wirklich alles, was Easy anfing, total schief. Der Toast zum Frühstück war angebrannt, die Kaffeemaschine hatte den Geist aufgegeben (und das war wahrscheinlich noch der schlimmste Punkt auf der ganzen Liste, wenn man bedenkt, dass in diesem Hause Kaffee einem Lebenselixier gleichkommt), Easy war Kiwi auf den Schwanz getreten, weshalb das Bandmaskottchen mit ausgefahrenen Krallen über die auf dem Boden liegenden Ärzte-CDs gewetzt war und diese nun extreme Kratzer aufwiesen, und die Schokoladenvorräte waren zur Neige gegangen, weil irgendjemand (ich will keine Namen nennen) beim letzten Einkauf mal wieder nur die Hälfte der Einkaufsliste mitgebracht hatte. Weitere Katastrophen des Tages konnten zu dem Bericht nicht mehr hinzugefügt werden, denn Easy schlurfte gerade ins Zimmer und stolperte dabei über Chris‘ Bass, der neben dem Sofa lehnte. Doch der Prince of Punk hatte sich todesmutig in bester Bodyguard-Manier zur Rettung seines geliebten Instrumentes quer durch den Raum katapultiert, während Easy eine harte Bruchlandung auf dem Fußboden hinlegte. „Verdammt!!! Muss dein blöder Bass überall rumstehen?“, fluchte Easy lauthals und rappelte sich langsam wieder auf. „Irgendwann bricht sich hier noch einmal jemand den Hals.“ „Dann latsch doch nicht durch das Haus, als hättest du Tomaten auf den Augen“, brummte Chris und tätschelte liebevoll den so eben geretteten Bass. Ich muss anmerken, dass mir Abranka in dem Moment flüsternd mitteilte, dass die Stehlampe im Flur, der Spiegel im Bad und einer der Kaffeebecher mit dem Bandlogo schon an diesem Vormittag zu Bruch gegangen waren, weil eine gewisse Person zurzeit dazu neigte, nicht aufzupassen, wohin sie ging. Jack, die bis dahin ihre Zwillingsschwester nur kopfschüttelnd betrachtet hatte, stimmte Chris zu: „Genau, such dir lieber eine Beschäftigung. Schreib doch einen neuen Song, das wäre sowieso mal wieder fällig.“ „Ach, lass mich doch bloß damit in Ruhe. Dazu habe ich jetzt echt keine Lust“, murrte Easy herum. „Dazu hast du nie Lust“, bemerkte Nifen trocken. „Aber jede Band, die Erfolg haben will, braucht neue Lieder und die schreiben sich nun mal nicht von alleine.“ Easys schlechte Laune erreichte in diesem Augenblick ihren Höhepunkt und sie raunzte: „Von wirklichem Erfolg kann bei uns ja nicht die Rede sein. Wir haben immer noch keinen Plattenvertrag und treten ständig nur auf den seltsamsten Veranstaltungen auf. Vielleicht war es keine so gute Idee, die Band zu gründen.“ Für einige Sekunden herrschte absolute Stille im Raum und alle starrten Easy fassungslos an. Okay, dies war heute absolut nicht ihr Tag, aber deswegen gleich die Band anzuzweifeln, war echt ein starkes Stück. „Meinst du das wirklich ernst?“, fragte Jack, die endlich ihre Sprache wiedergefunden hatte. Easy zuckte stoffelig mit den Schultern. „Ja, warum nicht? Es wäre doch kein Weltuntergang, wenn es die Sorglospunks nicht geben würde…“ „Na, wenn du das meinst, Easy“, schaltete ich mich ein, „Dann können wir uns ja mal angucken, ob es einen Weltuntergang geben würde.“ Ich muss gestehen, dass ich Weltuntergangsszenarien schon immer sehr unterhaltsam fand, und deswegen nicht abgeneigt war, die Möglichkeit dazu mal näher zu betrachten. Abranka blickte mich fragend an und murmelte: „Was hast du denn schon wieder vor?“ „Das werdet ihr gleich sehen“, erklärte ich zwinkernd und zückte mein Hell-o Berry, um schnell eine alte Bekannte anzurufen. „Hey Parinas, könntest du mir einen winzigen Gefallen tun? Ich bräuchte da eine kleine Alternativsimulation. Eine typische Dreizehn-Dreizehn. Es wäre echt toll, wenn du das gleich in die Wege leiten könntest. Falls der Aufsichtsrat Zicken macht, sag ihnen, dass ich die volle Verantwortung übernehme… Danke, dafür hast du was gut bei mir. Bis dann!“ Es war immer wieder nützlich, eine gute Fee im Bekanntenkreis zu haben, besonders wenn diese sich auf Alternativleben spezialisiert hatte. Grinsend steckte ich das Handy wieder in meine Tasche und ignorierte die fragenden Blicke und die bei dem Wort „Alternativsimulation“ hochgeschnellten Augenbrauen. Denn jede Erklärung war unnötig. Ein lauter Trommelwirbel lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit von mir ab. Bunte Lichteffekte blitzten durch das Wohnzimmer und eine Stimme verkündete donnernd: „Ladys and Gentleman, hier spricht Ihr Kapitän. Der Feenaufsichtsrat hat uns gerade die Starterlaubnis gegeben. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein. Lehnen Sie sich zurück und entspannen Sie sich. Die folgende Alternativsequenz wird Ihnen präsentiert von Parinas, Ihrer guten Fee für alternative Wunscherfüllung.“ Ein heftiger Ruck ging durch den Raum und kurzzeitig hatte man das Gefühl, an zwei Orten gleichzeitig zu sein, bis ein leises Zischen zu vernehmen war. Die Simulation hatte begonnen. „Wa… was war das denn?“, erkundigte sich Chris und sah sich irritiert um. Wir befanden uns zwar immer noch im Wohnzimmer, aber der Raum hatte sich erheblich verändert. Eine altmodische Blümchentapete prangte an den Wänden und überall waren gehäkelte Spitzendeckchen verteilt. Nifen blickte alarmiert zu der Ecke, wo eben noch ein Schreibtisch gestanden hatte, und rief entsetzt: „Wo ist mein Laptop abgeblieben?“ „Nur keine Panik“, versuchte ich sie zu beruhigen, „Der Laptop ist noch bei euch zu Hause. Wir sind in einer alternativen Realität, um uns mal anzuschauen, wie die Welt ohne Sorglospunks wäre.“ „Also sind wir zwar in unserer WG, bloß wir wohnen nicht hier, weil es die Band nicht gibt“, fügte Abranka hinzu. Schließlich kennen sich Musen nur zu gut mit der Möglichkeit der Alternativrealtät aus. Ich nickte bestätigend: „In dieser Welt wohnt Frau Müller hier. Eine ältere Dame mit einem Hang zum Häkeln, wie man sieht.“ „Und wo wohnen wir?“, fragte Jack mit einem unguten Gefühl. „Das genau werden wir uns ja jetzt angucken“, erwiderte ich grinsend. Ein weiterer Ruck ging durch das Zimmer und in Sekundenschnelle standen wir in einer unaufgeräumten Studentenbude. Eine übellaunige Alternativ-Jack hämmerte auf die Tastatur ihres PCs und brüllte: „Verdammt, Easy, kannst du nicht mal ruhig sein? Ich versuche mich hier zu konzentrieren, die Hausarbeit muss ich bis Ende der Woche abgegeben haben. Und bei deinem Lärm kann ich die Statistiken nicht analysieren.“ Bergeweise Bücher über Wirtschaftswissenschaften und Unternehmenskommunikation türmten neben dem Computer und überall waren Ausdrucke von Tabellen und Diagrammen verstreut. Gerade steckte eine ganz in Schwarz gekleidete Alternativ-Easy ihren Kopf, geziert mit einer Baskenmütze, in das Zimmer. „Ich kann den Monolog aber nicht leiser einstudieren. Das ist schließlich experimentelles Theater und kein Flüstervortrag. Da muss ich auch mal aus voller Kehle schreien können.“ „Aber nicht, wenn ich hier über den Büchern sitze. Spätestens nächste Woche hast du dich eh für ein anderes Fach entschieden. Vergangenes Semester hast du Meeresbiologie angefangen und wolltest für Green Peace den Walfang beenden. Und davor wolltest du als Sozialpädagogin die nächste Super-Nanny werden“, erwiderte Jack spitz. Easy hob theatralisch die Hand. „Nur weil du jetzt so langweiligen Kram machst, musst du nicht von mir erwarten, dass ich ebenfalls über Zahlen rumbrüte. Außerdem wer hat vor einem Jahr noch Medizin studiert, um dann festzustellen, dass er kein Blut sehen kann?“ Die alternative Zwillingsschwester setzte zu einer giftigen Bemerkung an, aber in dem Moment machte es Zisch und wir wurde wieder in eine andere Szene auf einem Hinterhof hineinversetzt. Die echte Jack murmelte verwirrt: „Also das wäre passiert, wenn wir nicht die Sorglospunks gegründet hätten?“ „Ganz genau“, nickte ich, „Ihr hättet ein Studium angefangen und dann in regelmäßigen Abständen die Fächer gewechselt. Weil ihr euch nicht entscheiden könntet, was ihr eigentlich machen wollt.“ „Und was ist mit Kiwi? Ich habe sie nirgends in der Wohnung gesehen“, erkundigte sich Easy kleinlaut. „Da ist sie doch!“, rief die Bandmuse, die von ihrer Wolke aus einen besseren Überblick auf den Hof hatte. „Dort hinten den Mülltonnen steht sie mit einigen anderen Katzen.“ Langsam pirschten wir näher heran und die echte Kiwi machte große Augen, als sie ihr anderes Ich begutachtete. Die alternative Kiwi hatte ganz struppiges Fell und maunzte bestimmt zu einigen verdreckten Straßenkatzen. „Ah ja“, meinte ich, „Kiwi ist Anführerin einer Straßenkatzengang geworden. Sie benutzt nun ihren Intellekt für kriminelle Machenschaften wie zum Beispiel großen Raubzügen durch Fischgeschäfte. Schließlich war sie ohne ihre Aufgabe als Bandmaskottchen nicht ausgelastet genug.“ Nifen schüttelte den Kopf: „Das ist ja wie bei der Mafia. Ich hätte niemals gedacht, dass Kiwi zu so etwas fähig wäre.“ Ein erneutes Zischen beförderte uns mitten in einen Kindergarten. Eine alternative Nifen, bekleidet mit einem grünen Malkittel über den mit Fingerfarben vollgekleckerten Jeans, unterhielt gerade eine ganze Rasselbande von Kindern mit einem interessanten Handpuppentheaterstück zu „Stolz und Vorurteil“. „Tante Nifi, das Stück ist doof. Wir wollen lieber Rotkäppchen sehen“, quengelte ein kleines Mädchen. Fassungslos ließ Nifen die Prinzpuppe, die als Mr. Darcy herhalten musste, sinken. „Aber Jane Austen ist niemals doof. Ihre Werke gehören zur Weltliteratur.“ „Und wenn schon“, wischte ein rotzbengeliger Junge ihre Anmerkung vom Tisch. „Wir wollen lieber ein Stück zu Superman sehen.“ „Nein, ich will aber Rotkäppchen sehen“, quietsche das Mädchen. Und schon war ein handfester Streit im Gange, bei dem der vorlaute Junge dem Mädchen heftig an den Haaren zog. Tante Nifi ließ die Puppen fallen und setzte alles daran, die Streithähne von einander zu trennen. Heulend klammerte sich das Mädchen an sie und übergab sich vor Aufregung auf Tante Nifis rechten Schuh. Der Rest der Rasselbande nahm diese Begebenheit zum Anlass, komplett durchzudrehen und schreiend und kreischend durch den Raum zu rennen. Die echte Nifen seufzte erleichtert auf, als ein weiteres Zischen uns von dem Kindergarten fortbrachte. Wir waren mitten in die Frankfurter Börse geraten, wo ein anderer Chris in Anzug und Krawatte die Anzeigentafel mit den Börsenkursen anstarrte und wie ein Verrückter in gleich vier verschiedene Telefonhörer Anweisungen reinbrüllte: „Kaufen, Kaufen kaufen... Nein, sofort verkaufen!!! … Der Dax steigt wieder! … Oh mein Gott, die Aktien sind um 50 Punkte gefallen. Veranlasst sofort alles weitere!!!“ Der echte Chris verfolgte das hektische Treiben seines alternativen Ichs und war im Stillen froh, dass er in dieser Welt ein so erfolgreicher Börsenmakler war und nicht von Kindergartenkindern tyrannisiert wurde. Aber eine wichtige Frage brannte ihm nach ein paar Minuten doch unter den Nägeln. „Was ist eigentlich mit Umeko? Ich sehe gar kein Foto von ihr auf meinem Schreibtisch“, fragte er mich. Mitleidig schüttelte ich den Kopf: „Ihr seid euch hier nie begegnet. Und du hast auch keine andere Freundin, weil dir bei dem Beruf kaum Zeit für ein Privatleben bleibt.“ Ein Zischen erlöste den Prince of Punk von dieser Horrorvorstellung und verfrachtete uns auf eine sonnige Terrasse. In einem Gartenstuhl saß ein Mann mit einer dunklen Sonnenbrille und stopfte sich ein großes Stück Haselnusstorte in den Mund. Neben ihm schwebte eine Abranka auf ihrer Wolke und fluchte leise vor sich hin: „Ich habe dir doch tausendmal gesagt, dass du mal etwas komplett Neues singen sollst. Nicht immer nur von blauem Enzian und schwarzbraunen Nüssen. Verdammt, das ist ein alter Hut. Die Menschen wollen etwas Frisches hören und keine alten, ausgelutschten Kamellen…“ Zwischen zwei Bissen Torte trällerte er: „Vor der Stadt im grünen Rasen...“ „Argh, es ist zum Verrücktwerden. Was hast du bloß mit den Farben. Jeder Mensch weiß, dass Enzian blau und Gras grün ist! Warum musste ich nur dir zugeteilt werden?“, rief die Muse verzweifelt aus und verwünschte ihre Vorgängerin, die den Job geschmissen hatte und nun zurückgezogen in der Einöde lebte, weit weg von Schlager und Volksmusik. „Das kann nicht wahr sein, oder?“, jammerte Abranka, während sie sich selbstmitleidig die Haare raufte. „Wenn ich nicht bei den Sorglospunks wäre, müsste ich hier versauern? Wie konnte Apollo mir das nur antun?“ Mitfühlend tätschelte ich ihr die Schulter, während die anderen ihr aufmunternd erklärten, dass das ja alles nicht echt wäre. Ein lautes Plopp brachte uns zurück in die WG, die Alternativsimulation war abgelaufen. „Ladys and Gentleman, ich verabschiede mich von ihnen und bedanke mich, dass Sie die Realitätsreise bei Parinas gebucht haben. Vielen Dank und auf Wiedersehen“, erklang die donnernde Durchsage. „Wir sind zurück“, rief Easy froh aus, „Gott sei Dank, wir sind wieder da.“ Grinsend sah ich zur Frontfrau hinüber. „Und hast du immer noch den Gedanken, dass es keine gute Idee war, die Sorglospunks zu gründen?“ Entsetzt schüttelte sie den Kopf. „Ich werde so etwas niemals wieder denken. Die Alternative war ja viel zu schrecklich. Kiwi bei der Mafia und Abranka bei Heino…“ Und um zu zeigen, dass sich ihre Laune und ihre Ansichten gebessert hatten, setzte Easy sich brav an ihren Schreibtisch und schreib gleich ein neues Lied. „Ohne Chris ist man ganz allein. Ohne Abranka gibt’s keine Ideen mehr. Ohne Kiwi kann man nicht glücklich sein. Ohne Sorglospunks ist die Welt echt leer. Ohne Jack hat man keinen Spaß. Ohne Nifen weiß man nicht wo lang. Ohne Easy erlebt man nie was. Das, was ich will, ist Punk!!!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)