Hunger von taiyo83 ================================================================================ Kapitel 2: Antworten -------------------- Teil 2 - Antworten Ruckartig riss Sanji die Augen auf und stellte erst nach einigen Sekunden der Panik fest, dass er im Krähennest saß. Die hastigen Atemzüge verebbten. Stöhnend sank der Koch in sich zusammen, schlug die Hände vors Gesicht und unterdrückte mühsam ein Schluchzen. Wann würde das endlich aufhören? Wann würde er endlich damit abschließen können? Wann würde er die Augen schließen können, ohne Angst zu haben, dieses Grauen wieder und wieder erleben zu müssen? Seit er das Baratie verlassen hatte, bekam Sanji in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen schreckliche Alpträume, die ihn in der Zeit zurück schickten bis zu dem Moment, in dem er und Zeff auf dem Felsen gestrandet waren. Als wäre es erst gestern gewesen, zeigte seine Erinnerung ihm den kalten Stein, die Trockenheit, wenn kein Regen fiel, die Einsamkeit, die Angst – und den Hunger, der ihn so lange gequält hatte, bis er fast gestorben war. Keuchend presste der Blonde beide Fäuste in seine Magengegend, die wie jedes Mal, wenn er aus seinen Träumen erwachte, höllisch wehtat. Er konnte nicht das Geringste dagegen machen; der Hunger war da, und er zerriss ihn förmlich von innen, zerrte an allen Eingeweiden und verursachte ihm unmenschliche Schmerzen. Fast hätte Sanji sich an Ort und Stelle übergeben, so schlecht war ihm innerhalb kürzester Zeit geworden. Doch nur ein heiseres Keuch entkam seiner Kehle, als er vorn übergebeugt im Ausguck kniete und um seine Beherrschung kämpfte. „Bitte…nicht…“ stöhnte der Koch leise und gequält, die Hände so fest zu Fäusten geballt, dass sich seine Fingernägel in die Handflächen gruben. Und doch wusste er, dass es nur eine Sache gab, die ihm jetzt helfen würde. Wie jedes Mal, wenn er geträumt hatte. Schwankend richtete Sanji sich auf, kletterte den Mast hinab und war, als er unten angekommen war, dankbar darüber, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Mit großen und für seine Verhältnisse ungewohnt unsicheren Schritten lief er über das leergefegte Deck, die Treppe hinauf und in seine Kombüse hinein. Er verzichtete darauf, Licht anzumachen. Schließlich wollte er unter keinen Umständen einen seiner Nakama wecken. Mit gezielten Griffen öffnete der Blonde Schubladen und Schranktüren, griff sich Messer, Schneebesen, Spatel, Töpfe und Pfannen, die er auf der Arbeitsfläche bzw. dem Herd platzierte, bevor er sich dem Kühlschrank zuwandte und die Tür aufriss. Hastig entnahm er den gekühlten Regalen die Lebensmittel und stapelte diese neben dem Herd. Wie in Trance, nur um ein Vielfaches schneller lief jede Bewegung ab, als Sanji Gemüse und Fleisch klein schnitt, Nudelwasser aufsetzte und den Ofen erhitzte. Einzelne Schweißperlen rannen über die blasse Stirn nach unten und vermischten sich mit den stummen Tränen, die dem Koch über das Gesicht liefen und die er immer wieder wegzuwischen versuchte. Ein weiteres Stöhnen entfuhr ihm, als sein Magen sich so schmerzhaft verkrampfte, dass ihm fast die Beine weggeknickt wären, hätte er sich nicht an der Arbeitsfläche festgehalten. ‚Zu langsam… das dauert zu lange…’ Mit einem Ruck stemmte Sanji sich hoch und öffnete abermals den Gefrierschrank. Im Tiefkühlfach fand er schließlich das, was er suchte. Hastig zerrte der Blonde die Packung Eiscreme heraus und riss den Deckel ab, den er achtlos zu Boden fallen ließ, während er hinter sich nach einem Esslöffel tastete. Dass die braune Masse noch fast völlig gefroren war, störte ihn genauso wenig wie die Tatsache, dass der Kühlschrank sperrangelweit aufstand und Kondenswasser zu Boden tropfte. Löffel um Löffel schlang Sanji das Eis herunter, ohne zu kauen, ohne zu schmecken, nur um die riesengroße Leere in seinem Bauch zu füllen, die ihm in diesem Moment mehr Schmerzen bereitete als alles andere. Leise schluchzend fuhr er sich mit dem Hemdsärmel über die feuchten Augen, rutschte dabei an der Küchenzeile herunter, bis er auf den Planken saß, die Knie angewinkelt und die Hand fest um den Löffel geballt. Hinter ihm fing das Wasser an zu kochen. Das erste, was Zorro durch den Kopf ging, als er die Kombüse betrat, war: ‚Ich träume noch.’ Er traute seinen Augen kaum, weil das, was er sah, rational nicht erklärbar war. In der Küche herrschte das reinste Chaos. Auf dem Tisch, neben dem Herd und sogar auf dem Boden standen Töpfe und Schalen, sowie Teller, die allesamt dreckig waren. Eine Mischung aus den unterschiedlichsten Gerüchen schlug dem Schwertkämpfer entgegen, die er zwar nicht alle zuordnen konnte, die ihm aber verrieten, dass schätzungsweise fünf verschiedene Dinge in der letzten halben Stunde gekocht worden waren. Das allein war es aber nicht, was Zorro so schockierte. Fassungslos musste er mit ansehen, wie Sanji auf dem Fußboden saß und ein Reisbällchen nach dem anderen in sich hineinstopfte. Vier, fünf, sogar sechs Reisbällchen zählte der Grünhaarige, bevor der Teller leer war und lieblos beiseite geschoben wurde. Seit wann ging der Koch so rücksichtslos mit seinem Geschirr um? Und wieso… Zorros Augen weiteten sich mit Entsetzten, als er Sanji dabei zusah, wie er einen Berg dampfender Nudeln mit Gemüse auf seinen Teller leerte und noch im Stehen anfing, ihn herunter zu schlingen. Schon allein vom Zusehen bekam der Schwertkämpfer Magenschmerzen – die Nudeln waren doch noch kochend heiß! Das schien nun auch dem Blonden aufzufallen, der den Teller abstellte und sich die halbleere Eispackung griff, die daneben stand. Schnell schob er sich einen übervollen Löffel in den Mund und schluckte ihn runter, bevor er das Besteck erneut in der schon beinahe flüssigen Creme versenkte. Und in diesem Augenblick fand Zorro seine Sprache wieder. „Was zur Hölle tust du da?!“ Na großartig, etwas noch Dämlicheres war ihm nicht eingefallen? Was der Koch gerade tat, war ja nicht zu übersehen oder fehl zu interpretieren. Immerhin – seine Worte erregten Sanjis Aufmerksamkeit und ließen ihn schlagartig herumfahren. Die Eiscreme glitt dem Blonden aus den Händen und kam mit einem dumpfen Knall auf den Planken auf, wo sich die letzten Reste in einer Lache breit machten. Sanji war wie gelähmt durch den Anblick des Schwertkämpfers, er brachte keinen Laut heraus, nicht einmal mehr runterschlucken konnte er, dabei hatte er den Mund bis zum Überlaufen voll. Lediglich in den großen, weit aufgerissenen blauen Augen des Smutjes war Regung zu erkennen. Zorro trat noch einen Schritt näher, und weil er keine Antwort bekam, deutete er auf all die leeren Teller und Schüsseln. „Sag mir nicht, dass du das alles gegessen hast… was da drin war…“ Es auszusprechen war schon so albern, dass Zorro fast gelacht hätte, auch wenn ihm gerade nicht wirklich danach zu Mute war. Wie bitteschön hätte ein so dünner Mensch, dessen Magen das geschätzte Fassungsvermögen eines Kindes hatte, soviel essen können? Mal von Ruffy abgesehen, denn der war so dehnbar wie ein Luftballon. Aber Sanji war nicht Ruffy! Weil der Koch nach wie vor stumm blieb, packte ihr Zorro schließlich ein wenig unsanft an der Schulter und zog ihn ein Stück zu sich heran. „Ich warte auf eine Erklärung.“ meinte er, wesentlich barscher, als er es beabsichtigt hatte. Aber er war jetzt einfach zu verwirrt, um sich Mühe zu geben, sensibel zu sein. Er brauchte Antworten, und zwar sofort, bevor er anfing, an seinem Verstand zu zweifeln. Schlagartig kam Leben in Sanji – auch wenn das bedeutete, dass er sich erst einmal an dem viel zu großen Eisklumpen in seinem Mund verschluckte und keuchend, weil nach Atem ringend, auf die Knie sank. „Hey…alles okay?“ Zorro schlug, nun ebenfalls auf den Knien, dem Koch mit der flachen Hand ein paar Mal auf den Rücken, wie er es sich bei Lysopp abgeschaut hatte, der das immer machte, wenn Chopper sich verschluckte. Das schien immerhin eine effiziente Maßnahme zu sein… Grüne Augen beobachteten, wie das Husten langsam aber sicher nachließ, der blonde Haarschopf sich aber nicht wieder hob. „Aller klar, Koch?“ bohrte der Grünhaarige nach. „Jetzt sag gefälligst was, ich rede mit dir!“ Leichtes Kopfschütteln war alles, was ihm erwidert wurde, und langsam aber sicher reichte es Zorro. Mit seiner Geduld am Ende schob er seine rechte Hand unter Sanjis Kinn und zog das Gesicht des Blonden nach oben, um ihn direkt anzusehen. Als er seinen Nakama musterte, versetzte es dem Schwertkämpfer einen tiefen Stich in die Magengrube. Ganze Sturzbäche von Tränen liefen über die blassen, mit Eiscreme verschmierten Wangen, während seine dunklen Augen so hilflos dreinschauten, wie er es noch nie gesehen hatte. Zorro biss sich auf die Lippen, brach den Augenkontakt aber nicht ab. Er hatte vielleicht keine Ahnung, was mit Sanji los war, aber dass er ganz dringend Hilfe brauchte stand außer Frage. Ruhig sah Zorro den Kleineren an, legte ihm dabei die linke Hand auf die Schulter, die rechte immer noch unter dessen Kinn ruhend. „Was ist los? Spuck es aus.“ forderte er eine ganze Spur sanfter. Das nächste, was Zorro wusste, war, dass ein schluchzender Smutje an seiner Brust lehnte und ihm das weiße T-Shirt durchnässte. Leises, durch den Stoff ersticktes Schluchzen zog ihm alles zwischen Kehle und tiefster Magengrube zusammen, bis er sich nach einem Moment, der sich für ihn wie eine kleine Ewigkeit anfühlte, dazu durchrang, seine Arme um den Blonden zu legen. Es war ein seltsames Gefühl, Sanji so nahe zu sein, jede seiner Bewegungen am eigenen Körper zu spüren, so wie die abgehackten Atemzüge, die kleine Schauer auf seiner Haut hinterließen, wenn sie hin streiften. Zorro schluckte, weil sein Hals mittlerweile so unangenehm eng geworden war, dass er kaum noch Luft bekam. Er fühlte großes Mitleid. Was auch immer die Ursache für dieses Verhalten war, es musste dem Koch schwer zu schaffen machen. Und Zorro wollte nicht, dass einer seiner Nakama sich so schrecklich fühlte, auch wenn es derjenige unter ihnen war, mit dem er jeden Tag stritt, als würden sie sich bis aufs Blut hassen. Sie war trotz allem Freunde. Gute Freunde. Langsam tastete die rechte Hand des Schwertkämpfers sich übe den Nacken des Blonden in dessen Haare hinein und fing an, diese sanft zu kraulen. Kräftige Finger glitten durch feines, weiches Haar, das sich für den Schwertkämpfer wie Seide anfühlte. Unterhalb seines Kinnes wurde das Schluchzen immer leiser, als Sanji sich mehr und mehr beruhigte, schließlich ganz still in den Armen des Mannes ruhte und sein Gesicht an dessen Oberkörper lehnte. Nur ein leises Zittern ging noch durch den zierlichen Körper, das aber, wie Zorro feststellte, nicht mehr vom Weinen kam, sondern von der Kälte. Die Gänsehaut auf den Armen des Koches verriet es ihm – Sanji fror erbärmlich. Langsam, um den anderen nicht einfach fallen zu lassen, falls dieser sich komplett auf ihn stützte, löste Zorro sich aus der Umarmung und stand auf. Kurz wanderten seine Augen durch die Kombüse, bis er schließlich das gefunden hatte, wonach er gesucht hatte. Mit drei Schritten war er an der Sitzreihe hinter dem Tisch angelangt, wo auf einem der Hocker eine dicke flauschige Decke lag. Der Grünhaarige nahm den Stoff auf, ging mit etwas schnelleren Schritten zurück zu der Stelle, an der Sanji noch immer am Boden saß, bevor er sich zu ihm herunter beugte und die Decke um seine Schultern schlang. Verwirrt sah der Koch erst auf den weichen Wollstoff, der sich wärmend um ihn legte, dann hinauf in Zorros Gesicht. „…“ Kein Wort kam über seine leicht geöffneten Lippen, als er den großen muskulösen Mann einfach nur anstarrte. Er wusste auch nicht, was er hätte sagen sollen. Nach dieser Tränenflut fühlte sich sein Kopf schrecklich leer an, einzig und allein der Gedanke, dass er sich vor Zorro erniedrigt hatte wie noch niemals zuvor, kreiste darin in einer Endlosschleife. Der Schwertkämpfer blieb ebenfalls stumm, während er die Decke fester um Sanji wickelte. Erst als er sich sicher war, dass kein Luftzug mehr an den kälteempfindlichen Körper gelangen würde, setzte er sich dem Koch gegenüber und fixierte ihn aus seinen tiefgrünen Augen. „Hast du dich beruhigt?“ fragte er. Sanji nickte langsam, seinen eigenen Blick zu Boden gerichtet. „Gut. Dann möchte ich jetzt ehrliche Antworten von dir.“ Der Blonde zuckte bei diesen Worten zusammen, zeugte aber sonst keine Reaktion, und Zorro fuhr fort: „Ich verstehe zwar nicht, wie du es gemacht hast, aber für mich sieht es so aus, als hättest du gerade den ganzen Kühlschrank leer gegessen. Wenn das mal reicht. Habe ich Recht?“ Wieder nickte Sanji, wenn auch wesentlich zögerlicher. „Und gestern Nacht, warst du das auch?“ Als er nach 10 Sekunden immer noch keine erkennbare Antwort hatte, schon Zorro wie schon zuvor seine Hand unter das Gesicht des Koches und hob es diesmal mit mehr Nachdruck an. „Sieh mich an, Sanji. Warst du es?“ – „…ja.“ Der Schwertkämpfer stieß die Luft aus den Lungen und schloss für einen Moment die Augen. „Du weißt, dass Nami und Lysopp Ruffy verdächtigen. Du hast daneben gestanden, als Nami ihm Vorwürfe gemacht hat, und nichts gesagt. Du lässt es unseren Kapitän ausbaden. Seit wann bist du so feige?“ murmelte er, die Enttäuschung in seiner Stimme nicht verbergend. Sanji kam sich wie das letzte Stück Dreck vor, als die Schuldgefühle um ein Vielfaches gesteigert in ihm aufloderten. Erneut traten ihm Tränen in die Augen, und er biss sich fest auf die Unterlippe, um diese vom Zittern abzuhalten. Zorro runzelte bei diesem Anblick missbilligend die Stirn. „Glaub nicht, dass Tränen noch einmal funktionieren.“ knurrte er. „Sag mir, warum du dich so schäbig verhältst.“ Sanji rang nach Worten. Worte, die gut genug waren, Zorro alles zu erklären, die einleuchtend waren, dass der Mann begriff, was mit ihm nicht stimmte, auch wenn es noch so hirnrissig klang. „Ich…ich wollte nicht…ich wollte nicht, dass Ruffy verdächtigt wird. Aber ich wollte auch nicht, dass ihr wisst, dass…ich es war.“ brachte er schließlich stockend heraus. Zorro widerstand nur schwer dem Impuls, die Augen zu verdrehen, konnte sich aber eine bissige Bemerkung nicht verkneifen: „Soweit war ich auch schon… ich möchte wissen, warum du geschwiegen hast, obwohl jemand anderes für dich geradestehen musste. Niemand hätte dir den Kopf abgerissen. Hättest du denn morgen, wenn wieder alles Essen weg gewesen wäre, auch zugelassen, dass Ruffy ausgeschimpft wird? Bist du so rücksichtslos geworden?“ – „Nein!“ fuhr der Blonde verzweifelt auf. „Ich...ich hätte…“ – „Schon klar. Du hättest dir irgendetwas ausgedacht.“ Zorro schüttelte den Kopf, sah an seinem Gegenüber vorbei. „Soll ich dir mal was sagen? Das ist genauso feige.“ murmelte er. Sanjis Hände ballten sich um den flauschigen Stoff der Decke. „Es tut mir leid… ich will das alles nicht…“ – „Und warum tust du es dann? WARUM?! Erklär es mir! Ich verstehe es beim besten Willen nicht!“ Müdigkeit und auch Verzweiflung ließen Zorro die Stimme heben. Er hatte keine Lust mehr auf dieses hin und her. Er wollte verdammt noch mal wissen, was mit dem Koch los war! Doch Sanji schien es ihm nicht leicht machen zu wollen. „Das ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst!“ fuhr er auf, ebenfalls wesentlich lauter als vorher. Zorro schnaubte. „Kannst es ja mal versuchen, noch schlechter werden deine Karten bestimmt nicht!“ – „Das könnte dauern.“ – „Ich habe Zeit.“ Sanji spürte, wie ihm richtiggehend das Herz in die Hose rutschte. „Es…klingt verrückt…“ murmelte er hilflos, wusste er doch, dass er aus dieser Situation nur noch mit einem vollen Geständnis herauskommen würde. Ein Geständnis, das er ausgerechnet an Zorro machen musste, an den Menschen, der ihn wohl am schlechtesten überhaupt verstand. Der Grünhaarige machte eine abwertende Handbewegung in Richtung des dreckigen Geschirrs, das fast jeden freien Raum in der Kombüse einnahm. „Glaub mir, noch verrückter als das, was ich vorhin gesehen habe, kann es nicht sein. Ich hab dich an einem Abend mehr essen sehen als in der gesamten Zeit, in der wir auf der Grand Line segeln. Und die Gründe dafür interessieren mich. Was ist mit dir los?“ Eine Weile war es still. Sanji musste einsehen, dass er verloren hatte. „Ich habe Albträume, Zorro.“ – „Und?“ Es klang nicht spöttisch oder ungeduldig, sondern auffordernd, was dem Koch ein wenig Mut machte. „Von früher…von meinem Schiffbruch. Ich träume von den 80 Tagen auf diesem Felsen…mit Zeff. Ich…ich erlebe alles noch mal…und es sind keine schönen Träume…“ Sanji schluckte schwer, darum bemüht, halbwegs ruhig zu bleiben, obwohl es ihm immer mehr die Kehle zuschnürte. „Und wenn ich aufwache, fühle ich mich genau wie damals…als wäre ich…kurz vorm Verhungern…“ Langsam fing Zorro an zu begreifen, oder glaubte es zumindest. „Und dann isst du soviel wie vorhin? Oder wie gestern Nacht? Hattest du gestern Nacht auch diesen Traum?“ wollte er wissen. „Ja.“ Und dann machte es endgültig klick. „Du hast diese Träume öfter?“ – „Ja…“ – „Wie oft?“ Sanji zuckte die Schultern. „Zwei mal die Woche…manchmal mehr, manchmal weniger.“ meinte er leise. Das war also der Grund. Der Grund, für den unerklärlichen Lebensmittelschwund. Der Grund für Sanjis seltsames Verhalten. Der Grund, warum er scheinbar niemals aß und trotzdem keine Probleme bekam… Zorro wusste nicht was er sagen sollte, aber er verstand nun. Kein Wunder, dass der Koch kaum Hunger hatte, wenn er zwei Mal in der Woche solche Mengen zu sich nahm. Da wäre wohl jedem normalen Menschen der Appetit vergangen! Wie lange das wohl schon so ging? Hatte er diese Träume schon gehabt, als er noch auf dem Baratie gelebt hatte? War es dort auch niemandem aufgefallen? Als ob Sanji die Gedanken des Schwertkämpfers gelesen hätte, murmelte er: „Ich träume das erst, seit wir auf der Grand Line sind. Und am Anfang…war es auch nicht so schlimm. Erst in den letzten Wochen…“ er brach ab. Zorro wusste auch so, was er sagen wollte. Das war also der Grund dafür, dass ihnen erst jetzt auffiel, dass Vorräte fehlten. Vorher waren die Träume und die Fressanfälle nicht so extrem gewesen. Sprachlos saß der Grünhaarige da und sah seinen Nakama einfach nur an. Niemals hätte er gedacht, dass der Koch so ein bedrückendes Geheimnis mit sich herumtrug. Nicht ohne einen Funken von schlechtem Gewissen dachte Zorro an die unzähligen Gelegenheiten zurück, in denen Sanji ihnen allen das Essen hingestellt und sich nicht beteiligt hatte. Immer waren seine Mahlzeiten so liebevoll zubereitet gewesen, obwohl es ihn doch innerlich angeekelt haben musste. Und trotzdem hatte er nie ein Wort darüber verloren. Warum bloß?! „Ich bin nicht verrückt, Zorro…“ Leise und voller unausgesprochener Angst drang die Stimme des Blonden an sein Ohr, und Zorro hob die Augenbrauen. „Habe ich das gesagt?“ brummte er irritiert. „Nein.“ – „Na also. Aber du hast ein Problem, das eindeutig da oben sitzt.“ Der Schwertkämpfer tippte seinem Gegenüber an die Stirn. „Und das wirst du nie überwinden, wenn du dich ihm nicht stellst. Du verdrängst deine Ängste, deshalb suchen sie dich nachts heim.“ Sanji wurde unter der Berührung des anderen schlagartig rot und schob dessen Hand mit einem Ruck zur Seite. „Seit wann hast du Ahnung von Psychologie, Marimo?“ murrte er. Zorro stöhnte, und sein Gesicht verdüsterte sich. „Du bist ja so dämlich, Koch. Dafür braucht man keine Ahnung von Psychologie! Das weiß doch jedes Kind. Das hätte dir sogar unser Kapitän sagen können. Vor allen Dingen hättest du früher mit jemandem darüber reden sollen.“ „Das sagst du so einfach!“ Aufgebracht sah Sanji den Grünhaarigen an. „Ich komme mir wie ein Idiot vor...wie jemand Unnormales. Ich wollte nicht, dass ihr mich für geistesgestört haltet! Verstehst du das nicht?“ rief er. Zorro packte ihn an beiden Schultern, sah ihm fest in die Augen, ein schmales Lächeln auf den Lippen. „Erstens BIST du ein Idiot, und zweitens sind wir alle nicht normal. Und wir hätten dich nicht für verrückt gehalten. Wir hätten dir geholfen. Aber du musstest ja mal wieder stur sein und deine Probleme in dich reinfressen…wortwörtlich. Wann begreifst du, dass wir deine Freunde sind, egal was mit dir los ist, egal was du tust, egal was für Sorgen und Geheimnisse du hast? Wir schmeißen dich nicht von Bord, nur weil du dein Kindheitstrauma nicht überwunden hast…“ Sanji hielt den Kopf gesenkt und weinte nun stumm vor sich hin. Noch nie war einer seiner Nakama so freundlich und besorgt um ihn gewesen, und dass ausgerechnet Zorro ihm diese tröstenden, liebevollen Worte, die ihm so viel Mut machten, sagte, überstieg einfach sein Fassungsvermögen. Er hätte dem Schwertkämpfer weder die Sensibilität, noch die Zuneigung zu ihm zugetraut, so mit ihm zu sprechen. Aber Zorros Worte lösten einen riesengroßen Stein von seinem Herzen, den er die ganze Zeit alleine herumgetragen hatte. Zorro hielt ihn nicht für verrückt. Er verstand ihn. Und… „Damit das klar ist, Smutje – ich werde dafür sorgen, dass du dich halbwegs zusammenreißt. So wie bisher lasse ich dich nicht weiter machen.“ Der Blonde blickte den Größeren fragend an. „Und wie…?“ – „Ich werde dich notfalls mit Gewalt dazu bringen, wenigstens eine anständige Mahlzeit am Tag zu essen. Denn ich bin felsenfest davon überzeugt, dass deine Träume deshalb so schlimm sind, weil du tagsüber nichts isst.“ Sanji hatte den Mund schon zu einem Protest geöffnet, doch Zorro ließ ihn gar nicht zu Wort kommen. „Lass mich ausreden. Es ist nicht nur so, dass du tagsüber nichts runterkriegst, weil du dich nachts überfrisst. Ich glaube, dass deine Träume so schlimm sind, weil du den ganzen Tag unfreiwillig hungerst. Verstehst du?“ – „Das…ist total bescheuerte Logik.“ – „Quatsch. Das ist total genial. Und mir ist relativ egal, was du davon hältst. Wie schon gesagt, notfalls wende ich Gewalt an.“ Zorro legte seine rechte Hand an die Wange des Koches. „Glaub nicht, dass ich dir einfach zusehen werde, wie du vor dich hin leidest, auch wenn du das richtig gut kannst. Ich werde dir helfen, ob es dir passt oder nicht. Du kannst es dir aussuchen: Entweder du machst mit, und gehst irgendwann von alleine zu Chopper, um dir bezüglich deines Traumas helfen zu lassen, oder ich schleife dich persönlich hin und sage allen die Wahrheit.“ Sanjis Miene verdüsterte sich schlagartig. „Das ist reine Erpressung, Schwertfuchtler!“ beschwerte er sich. Zorro grinste überlegen. „Ich sehe das als fairen Deal. Du lässt dir helfen, und ich halte die Klappe. Chopper wird es auch nicht weiter erzählen. Am besten gehen wie gleich zu ihm. Wird sowieso nötig sein.“ – „Wieso das denn?“ wollte Sanji wissen – ehe Zorro die Decke um seine Schulter zurück zog und an ihm herunter blickte. „Weil du – falls du sie nicht längst hast – tierische Bauchschmerzen kriegen wirst. Dir müsste doch längst kotzübel sein.“ erklärte dieser und deutete auf den geschwollenen Bauch des Blonden. „Im Gegensatz zu Ruffys ist dein Magen nicht aus Gummi.“ – Sanji gab ein leises Stöhnen von sich, als er schlagartig realisierte, wie Recht Zorro hatte. Ihm war wahnsinnig schlecht und er fühlte sich, als ob er jeden Moment platzen würde. Sogar mit dem Aufstehen hatte er Probleme, weshalb ihm der Schwertkämpfer mit einem spöttischen Grinsen auf dem Gesicht hoch helfen musste. So sehr Sanji die Medizin ihres Arztes sonst auch verabscheute – in diesem Moment war er richtiggehend froh darüber, dass er gleich einen großen Löffel voll abbekommen würde. Mit einem leisen Seufzen sank Robin in den Schreibtischstuhl zurück und öffnete die Augen. Was sie in der letzten Stunde gesehen und gehört hatte, wühlte sie mehr auf, als ihr lieb war. Niemals hätte sie gedacht, dass Sanji solche Probleme hatte. Robin rieb sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. Was für ein Glück, dass er sich endlich jemandem anvertraut hatte, wenn auch eher unfreiwillig. Leise löschte die Frau das Licht und legte sich in ihr Bett. Trotz ihrer Sorge um Sanji war sie jetzt auf mehr als nur eine Art und Weise erleichtert. Sie war sich sicher, dass ihr Koch irgendwann den Mut aufbringen würde, seinen Nakama alles zu gestehen. Bis dahin würde sie schweigen und es dem Schwertkämpfer und Chopper überlassen, sich um den verirrten Smutje zu kümmern. Das erste, was der Koch sah, als er am nächsten Tag die Augen öffnete, war ein rotgoldener Himmel und eine untergehende Sonne, die ihre letzten Lichtstrahlen in die Kajüte schickte und ihn an der Nase kitzelte. Mit einem Satz wollte Sanji aus der Hängematte springen und stellte sich dabei so ungeschickt an, dass er mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden aufkam. Erst nach ein paar Sekunden gedämpfter Flucherei wurde ihm bewusst, dass er soeben von der Couch gestürzt war, und nicht aus seiner Hängematte. Was nichts an der Tatsache änderte, dass es schon Abend war und er es ganz offensichtlich versäumt hatte, seiner Crew Frühstück und Mittagessen zu machen. Hektisch streifte der Blonde sich das nächstbeste Kleidungsstück über, das er von sich auf dem Boden fand, kletterte am Mast hoch und schlug die Luke zum Deck zurück. „Na, ausgeschlafen?“ schallte ihm Namis Stimme ein wenig spöttisch entgegen. Mit schnellen Schritten war Sanji zu ihr gerannt und stammelte tausende von Entschuldigungen, warum er seiner Pflicht nicht Nachgekommen war. „Das werde ich mir NIE verzeihen! Wegen mir musstest du hungern! Wie kann ich das jemals wieder gutmachen, Schönste?!“ rief er leicht panisch, wurde von Nami aber effektvoll zum Schweigen gebracht, indem diese einen Finger auf seinen Mund legte. „Wir haben nicht gehungert. Wir haben uns Brote gemacht. So schnell fallen wir allesamt nicht vom Fleisch, also reg dich bitte ab. Und wie Zorro es geschildert hat, ging es dir letzte Nacht ziemlich schlecht, da dachten wir, dass du mal einen Tag Ruhe brauchst.“ Schlagartig erinnerte Sanji sich an alles – dass Zorro ihn erwischt hatte, wie sie geredet hatten, sein Geständnis, Zorros ruhige, verständnisvolle Worte… Eine leichte Röte malte sich auf die blassen Wangen. Und jetzt verschaffte ihm der Schwertfuchtler auch noch einen freien Tag! Langsam wurde es unheimlich… In diesem Moment trat Robin aus der Kombüse, eine Schürze um die Hüften gebunden. „Essen ist fertig!“ rief sie, bevor sie Sanji entdeckte. Der Koch starrte die Archäologin fassungslos an, stürmte die Treppe mit großen Schritten hinauf und bremste erst kurz bevor er in sie hinein krachte ab. „Robin…sag mir nicht…das DU gekocht hast?!“ stieß er hervor. Die Frau lächelte sanft. „Doch habe ich. Natürlich wird es niemals so gut sein wie dein Essen, aber ich habe mein Bestes gegeben.“ – „Das tut mir leid.“ murmelte Sanji betreten und ließ den Kopf hängen. Der Gedanke, dass Robin sich an den Herd hatte stellen müssen, während er geschlafen hatte, behagte ihm kein Bisschen, im Gegenteil: Er machte ihm ein schrecklich schlechtes Gewissen. „Muss es nicht. – Wir hoffen nur, dass es dir wieder besser geht.“ entgegnete Robin, nun eine Spur leiser. Sanjis Röte vertiefte sich. „Hast du dir etwa Sorgen gemacht?!“ – „Ja…ein wenig.“ Die Frau strich mit einer Hand über die Wange des Blonden und sah ihm nachdenklich in die Augen. „Aber Zorro hat sich ja gut um dich gekümmert, nicht wahr? – Und jetzt lasst uns essen!“ Der Koch hatte nicht lange Zeit, sich darüber zu wundern, was Robin mit diesen Worten gemeint hatte, denn in diesem Moment wurde er von einem herannahenden Gummigeschoss geradezu in die Kombüse katapultiert, während der begeisterte Schrei „FUTTAAAAAAAAAAA!!!!“ in seinen Ohren dröhnte. Stöhnend richtete Sanji sich auf, nur um von Ruffy wieder zu Boden gerückt zu werden. „Hey! Bist du wieder fit?! Zorro hat gemeint, du wärst krank…stimmt doch, oder Zorro?“ Verwirrt hob Sanji den Blick und sah zu Zorro hinauf, der gerade zwei Teller voller Spaghetti auf den Tisch stellte. „Ich hab gesagt, dass der Blödmann sich die Nacht mit Bauchschmerzen um die Ohren geschlagen und so lange gejammert hat, bis ich ihn zu Chopper geschleift habe. Aber so wie es aussieht, ist er ja wieder auf dem Damm, wenn er hier so herumturnen kann.“ brummte der Schwertkämpfer, nicht ohne dem Blonden einen kurzen Blick aus den Augenwinkeln zuzuwerfen. Nach und nach trudelten die restlichen Crewmitglieder ein, und Sanji löste, nachdem er sich zum zweiten Mal für diesen Abend vom Boden hochgerappelt hatte, Zorro am Herd ab, um die verblieben Teller zu füllen und zum Tisch zu bringen. „Wow, Robin, das riecht lecker!“ Begeistert sah Lysopp von seinem Teller zu der Archäologin und zurück. „Ich wusste ja nicht, dass du auch so toll kochen kannst!“ - „Hoffen wir, dass es so schmeckt, wie es riecht.“ lächelte diese amüsiert. Vom anderen Ende des Tisches kam nur ein Schmatzen. „Hmmm – lecker!“ brachte Ruffy zwischen zwei riesigen Gabeln voller Nudeln heraus. Missmutig sah Nami ihn an. „Schling nicht so, du Gierhals!“ knurrte sie und zückte drohend die Faust. Sanji sah zu seinen Nakama hinüber und seufzte leise und voller Erleichterung. Alles war wie immer. Keiner hatte was gemerkt. Nichts würde sich für ihn ändern… „Hey, Smutje.“ Zorros Stimme ließ ihn aufhorchen. Der Grünhaarige deutete auf den Platz neben sich, der noch frei war, auf dem aber ein dampfender Teller voll Spaghetti stand. „Hör auf, Löcher in die Luft zu starren und setz dich gefälligst. Dein Essen wird kalt, und das nachdem Robin sich so viel Mühe gemacht hat, nur weil du faul gepennt hast.“ Etwas zögerlich ließ Sanji sich neben Zorro auf den Schemel fallen. Fast hatte er es vergessen gehabt – aber der Marimo hatte ihn daran erinnert: Natürlich würde sich alles ändern. Nicht alles auf einmal, aber langsam, Stück für Stück. Er bekam Unterstützung und Hilfe, die er dringend brauchte. Ein versonnenes Lächeln erhellte das Gesicht des Koches, als er auf die Nudeln hinab sah und begriff, dass er nicht mehr allein war. Zorro, Chopper, und auch die anderen waren für ihn da. „Grins nicht so blöd, sondern iss.“ schnauzte der Schwertkämpfer ihn von der Seite an. Doch Sanji wusste, wie es gemeint war. Langsam wickelte er die Spaghetti um die Gabel und schob diese in seinen Mund, schmeckte dabei die Säure der Tomatensoße, sanfte Gewürze und die warmen Nudeln. Es schien Monate her, dass ihm irgendein Essen so gut geschmeckt hatte. Robins liebevoll zubereitetes, simples Gericht war unglaublich lecker und fühlte sich richtig gut im Bauch an. Und das lag in Sanjis Fall nicht zuletzt daran, dass er es inmitten seiner Freunde einnahm. So wie es sein sollte. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)