Useless Pride von Vandra ================================================================================ Kapitel 20: Das Chaos ist der Feind jeder Planung - Teil 2 ---------------------------------------------------------- Astaroth stand ungläubig da und starrte auf den Fleck Erde, auf dem gerade eben noch Caym zum Greifen nah gewesen war. Er ignoriert die Schmerzen, die er auf seinem ganzen Körper spürte, die blutenden Schnittwunden, die ihn fast vollständig bedeckten, und versuchte die Wut noch halbwegs zu kontrollieren, während er so laut schrie, wie er konnte. Die Engel, die konnten, waren alle weg. Zurück blieben nur die Verwundeten und Toten, doch dafür hatte er im Moment keine Augen. Diese verfluchten, verabscheuungswürdigen Engel hatten Caym mitgenommen, hatten ihn vorher verwundet, diese Missgeburten, die nie existieren hätten sollen. Jemand würde dafür mehr als leiden müssen. Wenigstens hatte der kleine Wolf seinen Wert bewiesen und denjenigen, der Caym das Messer an die Kehle hielt und mit ihm verschwand, gebissen. „Sofort herkommen!“, schrie er niemandem Besonderen an, doch sein Nachrichtenoffizier kam sofort herbei gestürmt. „J…Ja, Fürst Astaroth“, kam die kleinlaute Antwort mit zitternder Stimme. „Ich will, dass ihr Forcas Truppen ausradiert und jeden Dämon umbringt, der es noch wagt auf seiner Seite zu kämpfen. Und was die Engel betrifft: Pfählt sie, spießt sie hier auf, damit sie nicht entkommen können und hier elendig verrotten. Diejenigen von ihnen, die etwas sagen, bekommen als Entlohnung einen schnellen Tod: Reißt ihnen das Herz heraus. Ich will wissen, wohin sie Caym – meinen Menschen – gebracht haben. Und wenn ihr das nicht herausbekommt, werde ich euch eigenhändig ausweiden.“ Seine Wut war so stark geworden, dass sie plötzlich Verstand zuließ. Er würde seinen Menschen zurückbekommen – koste es was es wolle. Astaroth wollte sich schon dem ersten röchelnden Engel zuwenden, als er die unheimliche Stille bemerkte, die so gar nicht in den Schlachtlärm passte. Schnell drehte er sich um und starrte auf das Pferd, das so wie Hiuma aussah, nur mit einer etwas gelblicheren Flamme. Sitri war hier. Noch einmal schaute er sich um, und bemerkte, dass sein Pferd langsam zu ihm zurück trottete, und dabei ein Bein nachzog. Das musste versorgt werden, bevor er den Nachtmahr noch einmal genau erklärte, was er durfte und was nicht. Aber jetzt gab es wichtigeres. Ein Knurren später war die kleine Ratte Sitri auch schon da und stieg von seinem Pferd, nur um gelassen festzustellen: „Die Schlacht ist beendet, Astaroth. Forcas wird für das hier seine Strafe bekommen. Und du solltest dich langsam wieder beruhigen – so ist es etwas auffällig, welcher anderen Rasse du noch angehörst.“ Der letzte Satz wurde schmunzelnd vorgetragen, woraufhin Astaroth fast explodierte. „Sitri, wenn du mich nur verärgern willst, dann lass es lieber. Sag mir, was das alles sollte, bevor ich dich eigenhändig erledige, bevor du auch nur blinzeln kannst“, fauchte er, während er jede Etikette völlig missachtete. „Ich werde dir diese Unhöflichkeit noch einmal durchgehen lassen, weil Du offensichtlich nicht ganz bei Sinnen bist. Forcas hat schon seit längerer Zeit versucht die Anweisungen des Satans dich betreffend zu umgehen – und dafür Engel zu benutzten. Er hat die Schwachstellen in der Energie ausgenutzt und sie angelockt. Jetzt haben wir den Beweis und er wird dafür mit Konsequenzen rechnen müssen. Und was dich angeht:“, Sitri machte dabei kurz Pause und legte den Kopf etwas schief, bevor er fort fuhr: „Sei froh, das du deine Schwachstelle losgeworden bist.“ Astaroth riss die Augen auf, und wollte zu Sitri stürmen, doch zwei seiner Generäle hielten ihn an den Armen zurück. Er war noch zu geschwächt durch die ganzen Wunden, wollte aber trotzdem umfahren, zitterte am ganzen Leib vor Wut. Wer wagte es, ihn zurückzuhalten? Doch dann flüsterte ihm einer der Generäle etwas zu: „Fürst, einer der Engel hat sofort geredet. Sie haben euren Menschen in die Menschenwelt verschleppt, und wollten ihn dort von Menschen verurteilen lassen – zum Tode. Und wenn ihr Sitri jetzt angreift, dann könnt ihr ihm nicht mehr helfen.“ Diese Worte von Belial, der er immer hatte vertrauen können, beruhigten ihn etwas. „Lasst mich sofort los!“, knurrte er seine Untergebenen trotzdem an, die seinem Befehl auch sofort Folge leisteten. „Und jetzt zu EUCH, Lord Sitri. Ich bitte um Zugang zu dem Portal, von dem gemunkelt wird, dass ihr es habt. Dann vergesse ich all das, was ihr hier veranstaltet habt.“, presste Astaroth zwischen seinen Fangzähnen hervor, während er sich schnaubend bemühte möglichst höflich zu bleiben. „Mein lieber Astaroth – Kannst du dich noch daran erinnern, was ich dir gesagt habe? Ich werde dir eine Bitte abschlagen und dafür Sorgen, dass sie dir nie erfüllt wird. Jetzt ist der Moment, an dem sich deine Unhöflichkeit rächt. Sei froh. Du bist dieses Ungeziefer los und deine Schwäche wird schon noch vergehen. Ich hätte nie gedacht, dass gerade Du dich so in deinen Gefühlen verlieren könntest.“, mit diesen Worten drehte sich Sitri um und sprang auf seinen Nachmahr. „Sei froh, dass ich so viel Verständnis für dich habe.“, rief er noch im Galopp nach. „DU. DU. Das wirst du mir büßen Sitri. ICH werde das sicher nicht vergessen.“ Wutentbrannt drehte sich Astaroth um und rammte sein Schwert in den nächstgelegenen Engel und drehte es mit einem wütenden Knurren. „Sorgt dafür, dass jeder einzelne von diesen Engeln so viel leidet wie nur möglich. Und ich will dass alle, die sich in meinem Reich mit Magie näher beschäftigen, sich schnellstmöglich in meinem Palast einfinden. Und wenn einer von Forcas Leuten angetroffen wird: Tötet ihn langsam und schmerzvoll. Die, die überlaufen, werden geschont. Ich will außerdem Attentäter, die Forcas Tag und Nacht quälen.“ Die Generäle nickten nur schweigend. Er sah noch einmal auf seine anderen Untergebenen, die zum Teil förmlich zitterten und ihn ungläubig anstarrten, pure Furcht in ihren Augen. Viele hatten ihn noch nie in dieser Form gesehen, aber es war ihm egal. Mit einem lauten Knurren ging er zu seinem Drachen und machte sich auf den Weg zu seinem Palast. So würde das ganze sicher nicht enden… Noch immer flackerte die Welt um ihn herum, während ihm fast schlecht wurde und sein Magen sich leicht drehte, doch mit einem kurzen Lichtblitz wurde plötzlich alles wieder klar. Er starrte fassungslos auf die jetzt so anders aussehende Umgebung: Grünes Gras, rundherum Bäume mit brauner Rinde und grünen Blättern. Doch bevor er sich noch viele Gedanken darüber machen konnte, erinnerte er sich wieder an den lauten Schrei, und bemerkte, dass er noch immer da war und der Griff um ihn sich gelockert hatte. Das Messer war nicht mehr an seiner Kehle. Kurz entschlossen holte er mit seinem Ellbogen aus und rammte ihn dem Engel hinter sich in den Magen, nur um dann schnell davon zu stolpern, während er die Schmerzen in seinem Bein fast nicht mehr spürte. So schnell er konnte, rannte er humpelnd davon, drehte sich um und blieb bei dem Anblick wie erstarrt stehen. Ezekiel zerrte an Aki, der sich im Unterschenkel des Engels verbissen hatte, und schrie dabei immer wieder: „Verfluchtes Dämonenpack!“, bevor er mit dem Dolch ausholte. Caym riss die Augen auf und rief entsetzt: „AKIIIII!“, doch der Wolf war schon aus der Bahn gesprungen und wich fauchend und knurrend zurück – in Richtung Caym. Jetzt fand der Blick des Engels, der sich mit einer Hand die blau blutende Wade hielt, ihn. „Du hast diesmal Glück, aber glaube nicht, dass du so davon kommst. Die uns treuen Menschen werden dich schon noch finden und bestrafen, dich Verräter und Liebling der Dämonen und Liebhaber von Astaroth.“, hallte die Stimme durch die Lichtung, auf der sie sich gerade befanden. Das Blut tropfte langsam auf die Erde und färbte das Gras mit einzelnen Tropfen unnatürlich blau. Caym starrte den Engel mit weit aufgerissenen Augen fassungslos an. „WAS?“, schrie er ungläubig heraus. „Lieb…LIEBHABER?“, stotterte er weiter. Der Engel musste den Verstand verloren haben. „Inzwischen…Inzwischen weiß wohl jeder in der Dämonenwelt und auch in der Engelswelt von dir. Und in der Menschenwelt werden sie dich auch bald jagen – dafür werden wir schon mit unseren Verbündeten sorgen.“, sprach Ezekiel noch einmal, bevor er seine Flügel ausbreitete und in einem gleißenden Licht verschwand – nicht ohne noch einmal über den furchtbaren Wolf zu fluchen. „Liebhaber?“, murmelte Caym verwirrt, während er Aki anstarrte. „Das…wie kommen die nur auf…auf so eine Idee?“ Er fiel recht unsanft auf die Knie, als seine Beine ihren Dienst versagten, während er die Umgebung anstarrte, in der er jetzt war: Eine große gelbe Sonne, normales Gras, normale Bäume. Er strich mit seinen Händen über das so lebendige Grün unter sich. Fast verwirrt schaute er auf seine Hand, als er die einzelnen Tränen bemerkte, die darauf tropften. Wieso weinte er? Mit leicht verschwommenem Blick rieb er sich die Augen, starrte auf seine Hände, bevor er vornüber fiel, seine Arme den Boden berührten und er anfing zu weinen. Jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Zu Hause. Er war zu Hause nach all dem, was er erlebt hatte. Endlich sein Ziel erreicht. Endlich. Doch da war etwas, was an ihm nagte, was seine Freude trübte. Immer wieder erschien das Bild der beiden fast sehnsüchtig starrenden tiefroten Augen, die so unverrückbar auf ihn fixiert waren, die das letzte waren, was er in der Dämonenwelt gesehen hatte. Je mehr er sich konzentrierte, je mehr er der Erinnerung zu entfliehen suchte, umso deutlicher wurde jetzt Astaroth, wie er sich durch das Engelsheer gekämpft hatte, von Wunden übersäht. Ob er noch lebte? Astaroth konnte doch nicht tot sein, trotz all der Wunden. Caym schüttelte den Kopf. Er war wieder in seiner Welt, wieso dachte er jetzt daran? „Wieso nur“, flüsterte er. „Wieso nur…ich sollte alles vergessen.“, versuchte er sich selbst zu überreden und die Bilder in seinem Kopf zu ignorieren. Er wischte sich mit dem Hemd die Augen trocken, bevor sein jetzt klarer Blick auf Aki fiel, der ihn anstupste und zwitscherte. Aki, den er von Astaroth bekommen hatte, Aki, der ihn genauso wie der Dämon beschützt hatte. Nichts würde je wieder so werden wie früher, gar nichts. Akis weiches Fell war beruhigend unter seinen Fingern, die den Wolf unbewusst angefangen hatten zu streicheln. Es war so beruhigend. Mit einem lauten Seufzer und noch immer verschwommenem Blick fasste Caym einen Entschluss: Er musste herausfinden, wie es Astaroth ging, bevor er all das ruhen lassen konnte. Er schuldete seinem Dämon viel, trotz allem. Und das was der Engel gesagt hatte, war wie immer nur gesagt worden, um ihn zu reizen, da war er sich sicher. Doch das Wort „Liebhaber“ nagte an ihm. Wirkten sie so auf alle anderen? Aber er war jetzt zu Hause und konnte hier bleiben, war nicht mehr der Gefangene eines Dämons. „Komm Aki“, forderte Caym seinen Wolf, seine Verbindung zum Dämonenreich, auf, während er mit einem Seufzer aufstand und loshumpelte. Seine Wunde schmerzte leicht, doch das musste er ignorieren. Nach ein paar Metern fand er im Wald einen geeigneten Ast, den er als Stütze nehmen konnte. Das war schon weit besser und zumindest ein hinreichender Ersatz für seinen Stock, den Astaroth ihm geschenkt und die Engel ihm aus den Händen geschlagen hatten. „Und wo ist jetzt zu Hause?“, frage er sich selbst laut, woraufhin er ein aufgeregtes Fiepen hörte. „Nicht DAS zu Hause…ich meinte dort, wo ich in der Menschenwelt zu Hause war…bin.“, verbesserte er sich selbst und wunderte sich schon gar nicht mehr, warum er mit Aki redete. Dieser starrte ihn kurz aus seinen schwarzen Kopfaugen an und legte seinen Kopf schief, bevor er davon trabte. Ob das Wölfchen ihn verstanden hatte? Selbst wenn nicht, so war die Richtung sicher genauso gut wie jede andere. Und so folgte er dem nicht mehr wirklich kleinen Fellknäuel… Der Wald war schnell zu Ende und er fand sich vor einer Art Straße wieder. Aki hatte ihn zielsicher aus dem Meer von Bäumen manövriert und sprang mit wedelndem Schwanz weiter, blieb immer wieder stehen und wartete auf Caym, um dann wieder vorzupreschen. Nach ein paar Minuten auf der Straße kam ihnen ein älterer Mann entgegen, der auf einem Esel „ritt“. Er musste ein Bauer sein, denn sonst benutzte keiner diese störrischen Tiere. Caym seufzte und rollte mit den Augen, als Aki vor den Esel sprang und knurrte, woraufhin der Esel starr stehen blieb und ein paar Schritte zurück wich. Der Bauer fluchte sehr ausführlich, bevor er abstieg und mit seinem Stock, mit dem er den Esel angetrieben hatte, ausholte. „HALT!“, rief Caym ohne großartig zu überlegen. Der Stock blieb mitten in der Luft stehen und der Besitzer schaute Caym erstaunt an. „Wat soll dat men Jung? Dat is ne Bestie, wat soll dat?“, fragte der Bauer mit einem Dialekt, den der Sohn des Grafen nur zu gut kannte. Konnte das sein? „Askavi…komm her! Wo bin ich hier?“, erkundigte er sich, nachdem Aki sofort zu ihm zurück gesprungen war. Der Bauer sah ihn verwirrt an und beäugte ihn kritisch, beantwortete aber dann doch die Frage: „Dat is Sibu. Wat haste den gedacht? Un wat bist du für ener?“ Bei der letzten Frage schien der Blick bei Cayms Hals hängen zu bleiben. Unbewusst fuhr er mit einer Hand hoch und spürte das Halsband, das dort schon seit Wochen prangte. Das hatte er fast vergessen, doch wie sollte er das erklären? Er konnte das Ding nicht selbst abnehmen und er bezweifelte, dass es sich überhaupt abnehmen ließ, aber das wollte er auch nicht wirklich. Dieser letzte Gedanken riss ihn aus seinen Überlegungen und er schüttelte sich. Das war falsch, so falsch, und er musste noch immer herausfinden, wie er nach Hause kam. „Und wo ist Graf Duncans Anwesen von hier aus gesehen?“, lenkte er sich mit der Frage ab, die er dem Bauern stellte. Dieser beantwortete sie auch gleich, während er immer eindringlicher auf das Halsband zu starren schien: „Dat is die Straß in die Richtung lang, nich weet“, dabei zeigte er mit der Hand in eine Richtung, bevor er die Augenlider etwas senkte und fort fuhr: „Un wat is dat an denem Hals?“ „Das…Das ist nichts. Danke für die Auskunft. Ich muss schnell weg.“, antwortete er schnell und drehte sich in die angezeigte Richtung, um so schnell davon zu humpeln, wie er konnte. Aki knurrte einmal laut in Richtung Bauer und schon hörte Caym diesen fluchen: „Bestie dat! Bleb stehn, du dumm Esel! Bleb enlich stehn!“ Dafür, dass die Stimme sich schnell von ihm entfernte, war er sehr dankbar. Er seufzte erleichtert und schaute Aki an. Amüsiert sprach er zu dem kleinen Wolf: „Danke, Du kleine Bestie, Du.“, bevor er laut zu lachen anfing und Aki ihn mit dem Kopf stupste. „Jaja, ich lasse das schon. Gehen wir weiter.“, sagte er mit besserer Laune und humpelte auf dem Stock weiter, bis er plötzlich stehen blieb. Eigentlich humpelte er doch wegen der Wunde an seinem Bein, die er bisher völlig ignoriert hatte. Er riss die Augen erstaunt auf. Wie dumm konnte er nur sein? Schnell bückte er sich, sah sich um, und zog dann die Hose herunter. Seine Augen folgten seinen Fingern, die langsam auf die Wunde wanderten, die mit einem feinen silbernen Gespinst überzogen war und keine Spur von Blut aufwies. Das war wirklich merkwürdig, denn genau dieses Netz hatte er schon bei seiner damaligen Verletzung gesehen. Seine Finger fuhren vorsichtig über die Wunde, die nicht einmal dabei schmerzte, nur um dann schnell die Hose zu ergreifen und wieder hochzuziehen. „Das…kann doch nicht sein…oder? Asta…Astaroth…was ist das nur?“, fragte er kopfschüttelnd den Dämon, der für all das verantwortlich war, und gerade jetzt nicht da war. Wie es ihm wohl ging? Doch das waren alles müßige, unsinnige Gedanken, die er jetzt nicht brauchte. Entschlossen stützte er sich auf den Stock und ging weiter, folgte der ausgetretenen Straße. Er musste nach Hause, er musste aber vorher noch etwas finden, um das Halsband zu verdecken. Der Stoff kratzte ein wenig, aber was wollte man auch von einem Leintuch erwarten, dass Aki freundlicherweise zerrissen hatte? Er zupfe den improvisierten Schal zu Recht, und fuhr vorsichtig mit seinen Fingern den ganzen Hals entlang, damit nichts von dem Halsband zu sehen war. Nach einem langen Marsch und einer kurzen Pause, kam er seinem früheren, oder besser: richtigen zu Hause wieder näher. Die Landschaft hatte sich zusehends geändert und jetzt waren die ihm bekannten Felder und die gelegentlichen Scheunen sehr gut erkennbar. Schritt um Schritt näherte er sich dem Sommeranwesen seines Vaters, aber irgendwie fühlte er sich dabei nicht wirklich wohl. Sein Magen knurrte, doch er hätte sich nicht getraut etwas zu essen, so unwohl war ihm zu Mute. Als er die ersten Gebäude – die altbackenen Bauernhäuser, die zum Anwesen gehörten – sah, atmete er einmal tief durch und seufzte. Zu Hause. Was ihn wohl erwarten würde? „Sir Caym?“, hörte er eine erstaunte Stimme rufen und sah im nächsten Moment einen Wachmann, der auf ihn zu kam und ihn durch zusammengekniffene Augen betrachtete. Seine grüne Uniform mit dem silbernen Bären als Emblem, die Pike in der Hand und der silberne Helm waren eindeutig. Er war einer der Männer seines Vaters. „Sir, was macht ihr hier draußen? Seid ihr wieder gesundet?“, setzte der Mann erstaunt fort. Caym starrte ihn verwirrt an: „Gesundet? Wieso gesundet? Ich war doch nie krank…“, fing er an, doch der absolut erstaunte Blick des Wachpostens ließ ihn stoppen. Was war hier erzählt worden, als er weg war? „Aber Sir, ihr wart doch schwer krank. Ich glaube, ich muss meinen Vorgesetzten holen.“, murmelte der Mann jetzt nur hilflos, verbeugte sich und ließ Caym verdattert zurück. „Äh…was sollte das jetzt?“, fragte Caym niemandem im Besonderen. War das die „offizielle“ Version, was mit ihm während der ganzen Zeit passiert war? Langsam setzte er sich wieder in Bewegung, und humpelte ohne zu warten, in Richtung Hauptgebäude. Doch lange dauerte es nicht, bis der ihm nur zu bekannte Vorgesetzte des Wachmanns alleine auf ihn zukam. Die kurzen schwarzen Haare, die immense Größe, der kräftige Körperbau und diese intelligenten, stechenden Augen gehörten eindeutig Lakur, der ihn auch schon in Schwertkampf und an den Messern unterrichtet hatte. „Sir Caym, ihr seid endlich wieder da.“, sagte Lakur und klang dabei erleichtert, klopfte Caym kurz auf die Schulter. „Der Graf hat sich große Sorgen gemacht Sir Caym. Er ließ ein paar Eingeweihte, Vertrauenswürdige überall nach ihnen suchen, hat dabei aber darauf geachtet, dass niemand davon erfuhr. Alle dachten, dass Sie krank wären.“, erzählte ihm sein ehemaliger Lehrer. Caym schüttelte nur den Kopf. „Du weißt genau, dass ich diese…förmliche Anrede nicht ausstehen kann, Lakur. Und seit wann bin ich weggelaufen? Ich…“, entgegnete er, während er den Angesprochenen anschaute und stoppte, als Lakur die Augenbrauen hochzog. „Ihr wisst genau, dass ich Euch mit eurem Titel anreden muss. Ihr sollt nicht weggelaufen sein? Wo wart ihr dann? Aber das ist nebensächlich. Der Graf hat angeordnet, dass er euch sofort sehen will, wenn ihr gefunden werdet.“, stellte Lakur fast trocken fest, bevor dessen Blick auf Askavi fiel, der schon die ganze Zeit seine Zähne fletschte. Ein Schwert surrte aus seiner Scheide, bevor der Hauptmann der Wache fast aufgeregt: „Sir Caym, geht weg von dieser Bestie!“, rief, und vorstürmen wollte. „Halt!“, schrie Caym schon fast genervt, und stellte seinen improvisierten Stock vor Aki, bevor er selber langsam vorhumpelte. „Was soll denn…das? Muss denn jeder denselben Schwachsinn anstellen?“, seufzte er leise. „Das ist mein ‚Hund’, also keine Gewalt gegen den kleinen, unschuldigen ‚Freund des Menschen’.“, log er ohne jegliches Schuldbewusstsein. Irgendwie war Aki ja vielleicht eine Art ‚Hund’. Und schon wieder dieses merkwürdige Missverständnis. Vielleicht war ein Wolfsdämon doch ein wenig auffällig, aber Aki konnte er nie und nimmer zurücklassen. „Aber dieser ‚Hund’ hat rote, extrem lange Zähne und er wirkt mehr als gefährlich. Besser ein Tollwütiges Tier gleich töten.“, entgegnete Lakur verwirrt, ließ sein Schwert aber sinken. „Das…Das…äh…das ist nur…wegen einer Krankheit, die er hatte. Alles ganz harmlos.“ Krankheit war das erste was ihm eingefallen war – nicht zuletzt wegen der Behauptung, er selber wäre krank gewesen. „Und jetzt bring mich zu Vater.“, fügte er noch hinzu, um die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. Wenn jemand anfing nachzufragen, dann würde er irgendwann in Erklärungsnot geraten. Wie sollte er das alles nur seinem Vater erklären? Und Atris…Er knirschte mit den Zähnen und folgte Lakur, der nach einem Nicken sein Schwert wieder in die Scheide gleiten ließ und in Richtung Haupthaus ging. Lakur drehte sich immer wieder um, um unsicher einen Blick auf den ihm wohl suspekten Wolf zu werfen. Alles sah wie immer aus. Sie kamen an zwei „Bauernhäusern“ vorbei, bevor linkerhand die Barracken und Gebäude der Wachmannschaft zu sehen war – alles recht unspektakulär und in Brauntönen gehalten. Geradeaus sah Caym den großen Bibliotheks- und Schulkomplex, und rechts lag das reinweiße Haupthaus. Er zitterte bei diesem Anblick leicht, ging aber scheinbar unberührt weiter. Irgendwann musste er sich dem stellen. Die große, schwarze Eichentür des Haupthauses öffnete sich, und gab den Weg in den Vorhof frei, in dessen Mitte das eigentliche Gebäude stand. Das andere war lediglich ein Verteidigungswall, der den unwissenden Betrachter täuschen sollte. Er biss die Zähne zusammen, und flüsterte ganz leise: „Aki...bitte nicht knurren oder Zähne fletschen oder sonstiges…bitte.“ Hoffentlich hielt sich der Wolf daran. Normalerweise verstand dieser ihn immer erstaunlich gut, und er wollte seinen kleinen Gefährten auf keinen Fall verlieren, weil sein Vater in ihm eine Bedrohung oder etwas „Unpassendes“ sah. Die eigentliche Tür – ganz aus Eisen geschmiedet – schwang auf, und Caym versuchte den Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken, bevor er eintrat ein. Währenddessen hörte er nur leise hinter sich: „Sir Caym, ihr kennt den Weg. Ich werde hier draußen warten.“ Er wunderte sich noch kurz darüber, dass Lakur nicht mitkam, doch als er die Stimme seines Vaters aus dem großen Zimmer hörte, verflogen all diese Gedanken. Das letzte Mal hatte ihm Graf Duncan, sein Vater, angedroht, ihn mit einer Herzogstochter aus einem Nebenkönigreich zu verheiraten, wenn er weiter so rebellisch wäre. Natürlich hatte er sich geweigert, und war wütend aus dem Haus gerannt. Was danach folgte, war seine Gefangenschaft bei Astaroth. Irgendwie ein sehr makaberer Scherz der Schicksalsgötter. Einen Partner abgelehnt, dafür einen anderen bekommen. Seine Mutter hatte unter so einer adeligen Zwangsheirat so lange gelitten, bis sie sich selbst das Leben nahm. Er würde sicher nicht so enden, auch wenn die Realität verlangte, dass er aus politischen Motiven jemanden heiraten musste. Wieso sollte er sich zwingen lassen, jemanden zu heiraten, den er nicht kannte, für den er nichts empfand? Nur weil er als Grafensohn geboren wurde, musste er leiden? Nur um das gesellschaftliche Ansehen zu erhalten, die Macht zu erhalten? Selbst Astaroth war nachsichtiger gewesen und hatte sich alles andere als um sein Ansehen gekümmert. Immer wieder hatte Caym die verächtlichen Blicke vieler Dämonen gesehen. Auch wenn sein Dämon ihn gezwungen hatte, so hatte er doch erstaunlich viel Rücksicht auf ihn genommen – besonders wenn man bedachte, wie Dämonen eigentlich sein sollten. Astaroth war nicht schlecht oder böse… Er schüttelte den Kopf und vertrieb diese dummen Gedanken, während er durch den Türknauf herunter drückte. Wieso nur nahm er den Dämon in Schutz? Das passte nach all dem, was er durchmachen musste, nicht, nach all dem, was ihn der Dämon angetan hatte. Vergaß er denn, dass dieser ihn ohne seine Zustimmung zu DEM gezwungen hatte? Aber andererseits wollte ihn Astaroth unbedingt, verletzte ihn nicht mehr wirklich, sorgte eher noch für seine gute Laune. Wie es dem Dämon jetzt ging? Wieso wanderten seine Gedanken immer wieder dorthin? Doch das war jetzt alles nebensächlich – er war zu Hause. Kaum hatte er die Tür geöffnet, waren alle Augen auf ihn gerichtet und seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die Anwesenden. „Ca…Caym?“, kam die erstaunte Frage seines Vaters, der ihn überrascht anstarrte, während er noch immer hinter dem großen braunen Holztisch saß, auf dem sich die Unterlagen stapelten. Der Raum war wie immer spärlich eingerichtet, nur ein paar einfache Sessel, zwei Regale und ein paar Wandteppiche sorgten für Ablenkung von der Leere, die hier herrschte. Das Aussehen der grünen Augen hatte er fast vergessen, obwohl sie doch seinen so ähnlich waren. Die große Narbe über einem Auge erinnerte an irgendeine Schlacht, und die blonden Haare, die fast dieselbe Farbe wie die von Atris hatten, ließen ihn kurz die Fäuste ballen. Atris, dieser Schuft, dem er all das zu verdanken hatte und der ihn jetzt ungläubig und verwirrt anstarrte, während er neben dem Tisch stand. Offensichtlich hatte er die beiden bei einer Unterredung gestört. „Ich…ich…gehe jetzt. Draußen…“, murmelte Atris, und stürmte schnell an ihm vorbei, aus dem Zimmer hinaus, während er jeden Blickkontakt vermied. „Du bist zurück?“ Das klang nicht wie sein Vater. Caym schaute ihn verwirrt an, als Duncan trotz seines Bierbauchs erstaunlich grazil aufsprang, den Tisch umrundete und ihn schließlich umarmte. „Endlich bist du wieder da.“, setzte der Graf fort, während Caym wie versteinert dastand. War er in einer anderen Welt gelandet? Das hier passte einfach nicht, wirkte falsch. Oder war das jetzt seine Entschädigung für die Zeit in der Dämonenwelt? Schließlich konnte wohl alles möglich sein, wenn schon Dämonen und Engel existierten. Doch ein harter Schlag in sein Gesicht riss ihn aus diesen Betrachtungen. Er schaute verdutzt zu seinem Vater, dessen Hand sich gerade wieder an die Seite legte, und hielt sich die brennende Wange. „Was…Was sollte das?“, fragte er jetzt wütend. Irgendwie schien das wohl doch die richtige Welt zu sein. „Was das sollte? Weißt du welche Sorgen ich mir um dich gemacht habe?“, fing der Graf an, und stoppte wohl wegen des ungläubigen Blicks den Caym ihm entgegenbrachte. „Ich bin dein Vater, trotz allem. Ich habe dafür gesorgt, dass nur die absolut Vertrauenswürdigen darüber Bescheid wussten, dass du weggerannt bist; alle anderen glauben, dass du krank warst. Damit dürfte dein Ruf unbeschadet bleiben.“ „WAS? Alles was dich interessiert ist DEIN Ruf, oder? Ich werde geschlagen für etwas was ich nicht getan habe! Und du nennst dich meinen Vater? Seit wann warst du das jemals? Tu dies, tu das, heiraten die, lass das, verbessere dich dort. Immer nur ist dein Interesse an mir, dass ich dein Nachfolger werde und ein möglichst gutes Bild auf dich werfe. Dich interessiert doch nur das, und dass Atris alles bekommt, was er will. Und das nimmt er sich sowieso...“, fauchte Caym jetzt förmlich, und wedelte mit den Händen in der Luft. „Ich bin nicht weggelaufen – wieso auch? Glaubst du ich hätte das nicht schon längst getan, wenn ich gewollt hätte? Verdammt – glaub mir doch endlich einmal!“ „Lüg nicht, Caym. Deine Unhöflichkeit, und dass du jeglichen Titel ignorierst, reicht schon völlig. Ich bin nicht dumm, ich erkenne, dass du gegen mich rebellierst - mit allen Mitteln. Du hast Atris erzählt, dass du am liebsten von hier verschwinden würdest, und bist schlussendlich mit einer beträchtlichen Anzahl Goldmünzen auf und davon. Man hat die fehlende Kleidung auch bemerkt. Du hast wahrscheinlich schon alles aufgebraucht, und bist nur zurückgekommen, weil du sonst verhungern müsstest. Ehrliche Arbeit, mit Menschen zu Recht zu kommen, liegt dir nicht. Du bist ein egoistischer, verzogener Bengel. In Lumpen und mit einem verlausten Etwas kommst du hierher. Also sein ruhig und benimm dich endlich deinem Stand entsprechend!“, fuhr ihn der Graf an und ergriff ihn dabei an den Schultern, schüttelte ihn. War Atris dermaßen auf den Titel des Grafen aus, dass er ihn dermaßen diskreditieren musste? „Ich bin nicht weggelaufen! Wieso glaubst du mir nicht, wenn du doch behauptest mein Vater zu sein? Weil Atris dir lieber ist? Weil du seine Mutter mehr liebst? Und lass mich endlich los!“, platzte es aus ihm heraus. Alles was sich so lange angestaut hatte, brach aus ihm heraus. „Sei ruhig! Jetzt wo Rebecca endlich gesund ist, lasse ich dich so etwas nicht mehr sagen. Bist du weggerannt, weil sie gesund wurde? Weil du dann weniger Aufmerksamkeit bekommst? Du wirst auf jeden Fall keinen Schritt mehr ohne Überwachung gehen – Atris, Lakur oder sonst jemand Vertrauenswürdiger wird dich auf Schritt und Tritt überwachen, in der Nacht wirst du in dein Zimmer gesperrt, dass schon umgebaut wurde.“ Sein Vater ließ ihn los. Alles klang aus dem Mund des Grafen wie ein Urteilsspruch, nur war es die Verurteilung eines Unschuldigen. Keine Sympathie, kein Verständnis lag in der Stimme. „Du…Du…hast mir noch nie zugehört. Verdammt noch mal. Selbst Astaroth war einsichtiger. Hör mir doch endlich ZU! Siehst Du nicht zufälligerweise einen Zusammenhang zwischen der Gesundung deiner ‚Geliebten’ und meinem Verschwinden? Frag doch mal deinen tollen Sohn, was das soll! Er hat mich verkauft wie Vieh, als ob ich nichts wert wäre! VERKAUFT! Verdammt…Verdammt…hör doch endlich auch auf mich. Hör auf mich!“, schrie Caym, während er Tränen unterdrückte und sich mit der Hand durch die Haare fuhr, sich dort verkrallte. Jedes Mal endeten die Gespräche in einem Kampf, den er verlor. Wieso nur war seinem Vater sein Bruder so viel lieber? Doch die Antwort war nur ein eiskalter Blick, gefolgt von einer mindestens so gefühllosen Stimme: „Caym, ich habe genug von deinem Rebellentum. Du wirst der nächste Graf, und daran wirst du nichts ändern. NIE. Dein Neid auf Atris ist unausstehlich und ich werde mir deine Andeutungen und Beleidigungen meines Sohnes nicht mehr länger anhören. Geh jetzt! Draußen wartet sicher Atris, und wird dich überwachen. Du kannst deine Freiheit wiederbekommen, wenn du einsichtig bist, dich bei Atris entschuldigst, und der Hochzeit zustimmst. Das hast du dir selbst zu verdanken. Und jetzt geh…“ Damit drehte sich sein Vater um, und zeigte ihm die kalte Schulter, ignorierte ihn völlig. „Du…Du…“, wollte Caym schon etwas entgegnen, schwang die Arme hoch, bevor er sie fallen ließ, und kopfschüttelnd nur fortsetzte: „vergiss es. Es hat sowieso keinen Sinn.“ Halb resignierend, halb wütend sagte er: „Wieso mache ich mir jedes Mal Hoffnungen, dass Du gerecht sein könntest…“ Damit wandte er sich um, und nickte Aki kurz zu, der die Zähne fletschte, bevor er hinter Caym her, aus dem Zimmer tapste. Kein weiteres Wort fiel zwischen ihm und seinem Vater. Sobald er außer Sichtweite war, holte er aus, und schlug mit einer Handfläche kräftig gegen die weiße Wand, die durch die spärliche Beleuchtung dunkler aussah. Immer er. Er fühlte die Wärme, die sich dort jetzt ausbreitete und ihn ablenkte. Alles war genauso, wie er es hätte erwarten sollen. Sein Vater hatte immer Atris den Vorzug gegeben, hielt ihn für vertrauenswürdiger. Egal, es war alles besser als in der Dämonenwelt, in der ihn so gut wie jeder hasste, gefangen zu sein. Gut, Astaroth hasste ihn nicht, er sah ihn als Spielzeug, als was-auch-immer - er war sich einfach nicht darüber sicher, was er für ihn war. Damon war ihm dankbar und Navi ärgerte ihn gerne. Und da war natürlich auch Aki, der ihm immer folgte und an ihm hing. Wo war eigentlich der große Unterschied zwischen Dämonen und Menschen? Beide hatten Emotionen, beide konnten grausam sein. Dämonen waren etwas extremer in allem und sahen anders aus – aber sonst? Dämonen hassten Menschen, das war der große Unterschied. Als er aus dem Haus kam, sah er Lakur und Atris leise miteinander reden, während sie beide nah an der Mauer standen. Wieder seufzte er. Eigentlich wollte er nichts mit seinem Halbbruder zu tun haben, aber Aki, der ganz leise fiepte, hatte wohl Hunger. „Lakur, kannst du etwas für meinen kleinen ‚Hund’ zu Essen besorgen?“, fragte er hoffnungsvoll. „Sir Caym, ich muss auf sie aufpassen – das hat der Graf schon kurz nach ihrem Verschwinden angeordnet.“, entgegnete ihm dieser. Das hieß, dass sein Vater das schon vor längerer Zeit beschlossen hatte, denn Lakur hatte sicher nichts von dem Gespräch mitbekommen. Kein Wunder, dass er so stur blieb – einmal beschlossen, änderte der Graf seine Meinung kaum. „Atris ist hier, du kannst also gehen. Bring mir bitte viel Milch für meinen ‚Hund’, wenn es sich auftreiben lässt.“, bat Caym mit knirschenden Zähnen. Sich selbst diesem Verräter Atris auszuliefern war ihm nicht geheuer, aber andererseits hatte er seinen Stock und Aki. Mit einem kurzen Nicken verschwand Lakur, und Cayms Blick fiel auf Atris, der ihn anstarrte und immer wieder den Mund öffnete, wie um etwas zu sagen. Seine Augen schimmerten leicht, während der Kiefer leicht zitterte. Caym atmete ein paar Mal durch, und schaute auf das grüne Gras zu seinen Füßen. Wenn er seinen Bruder jetzt sprechen hörte, wenn er ihn jetzt ansah, konnte er sich sicher nicht mehr zurückhalten. Atris war ein mieser, kleiner Verräter, der an allem Schuld war, schon immer alles bekam und sich jetzt auch noch alles nahm, was er wollte. „Ca…Caym? Wo…wo warst du?“, hörte er seinen Bruder zitternd sagen. Cayms Blick schoss hoch, und er starrte diese Mistkröte nur Momente an, bevor er auf ihn zustürmte, ausholte, und ihm eine schallende Ohrfeige verpasste. Seine Handfläche brannte wieder, doch das war ihm egal. „DU Mistkröte! Die hier bekam ich von Vater, doch sie gehört dir. Du bist ein Aas, hältst mich auch noch für dumm, oder wie? Du bösartiges Etwas hast mich verkauft, verkauft an einen verdammten Dämon, in eine verdammte Dämonenwelt! Und versuch es erst gar nicht zu leugnen. Du kleine Mistkröte. Sei froh, dass ich ein netter Mensch bin und verschwinde aus meinem Blickfeld. Gesteh deinem Vater, was du getan hast, und ich werde mir überlegen, ob ich dir ein wenig verzeihe!“, schrie Caym heraus, während er immer wieder mit einer Faust gegen die Brust seines Bruders schlug, der wie erstarrt dastand, sich die Wange mit einer Hand hielt und Tränen zurückhielt. Die getroffene Haut verfärbte sich rot, genau wie die Handfläche, die sie geschlagen hatte. „Aber…Aber ich habe doch nur das Richtige getan. Mutter lebt noch, sie ist gesund – und dir ist nichts passiert. Und ich bin niemand, der nichts fühlt. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, habe Vater erzählt, dass du dem Druck nicht mehr standgehalten hast…“, fing sein Bruder an zu erzählen, worauf Caym wieder ausholte und diesmal die andere Wange schlug, während er vor Wut zitterte. „DU…DU…“, schnaufe Caym und starrte Atris erbost an, schäumte fast. „Hast du deinen Verstand völlig verloren, du Vollidiot?“, schrie er jetzt, während er seine Hände zu Fäusten ballte, eine um den Stock herum, und sich dabei die Nägel in seine Haut bohrte. Sein Bruder starrte ihn nur zitternd an, und hatte die Augen wie zu einem Hundeblick verzogen. Nein, bei ihm würde das nicht funktionieren. „Du hast mich an einen Dämonen verkauft, du Verräter. Ich dachte, du wärst mein Bruder, dabei bist du nur eine schmierige Mistkröte, die sowieso alles bekommt, und dann noch nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Du…Du…Du hast keine Ahnung, wie es mir erging. Was hast du geglaubt, was Dämonen machen? Ein nettes Abendessen servieren?“, fauchte er förmlich, während er immer wieder nach vorne wippte, und seinen Arm wie zum Schlag hob. Sein Bruder zuckte jedes Mal zusammen und versuchte dem zu entkommen. „Und erzähl mir nicht, dass du kleine Mistkröte irgendetwas davon für jemand anderen getan hättest. Du hättest dich selber opfern können, wenn du wirklich etwas hättest tun wollen. Aber nein, du musstest mich opfern, mich, der dir sicher nur im Weg steht für den Titel des Grafen. Du hättest nicht einmal einen Menschen opfern müssen. Als ob Dämonen Menschen als irgendetwas anderes als Abfall betrachten würden. Und dann hast du noch die Frechheit, die Dummheit, die absolute Arroganz, und sagst mir, dass du diese nette Lügengeschichte nur für mich erfunden hast? Du Vollidiot. Man sollte dir ein Gehirn verpassen. Wer hätte wohl mehr darunter gelitten, wenn raus gekommen wäre, dass DU mich an einen DÄMON verkauft hast. Hm? Hm? Ich glaube die Frage ist nicht mal zu schwer für dich. Selbst Dämonen sind noch netter als du, du, mit deiner unehrlichen, falschen Art. Du betrügst, belügst und verkaufst die, die dir nahe stehen. Du bist widerlich.“, schloss Caym seinen Monolog ab, und wollte sich umdrehen, um seinen Bruder nicht noch einmal zu schlagen. Hoffentlich blieb er jetzt ruhig, verschwand aus seinem Leben. „Wo…Woher weißt du das überhaupt alles, Caym? Ich wollte wirklich nichts Böses – ich dachte doch selber nicht, dass alles funktionieren würde. Und Salome hat mir versichert, dass ein Opfer in gleichem Wert der Bitte abgegeben werden muss. Salome sagte auch, das man sich nicht selbst opfern kann – und hätte ich Mutter mit meinem Verschwinden geholfen? Nein. Ich musste dich opfern. Dein Verschwinden mit deinem Wegrennen zu erklären, hat Vater sicher zum überlegen gebracht, ob er dich nicht gut genug behandelt. Und Mutter hat dich auch immer gut behandelt, es war zu deinem Besten.“, sagte Atris jetzt recht leise, während er Caym eindringlich anstarrte, und ihm die Hände auf die Schultern legte. Caym explodierte fast vor Wut, holte mit seiner Faust aus, und schlug sie seinem unausstehlichen Bruder auf die Brust, woraufhin dieser nach hinten stolperte, und auf seinen Allerwertesten fiel. Wie dumm konnte man sein? Jetzt stand er wütend über seinem Bruder, die Faust noch geballt, und hielt sich mühevoll zurück, Atris nicht auch noch zu treten. Er hörte irgendwo Aki knurren, sagte nur kurz: „Nein Askavi. Das ist meine Sache.“, bevor er seinen Stock neben dem Kopf seines Bruders in die Erde rammte. Jetzt schwieg Atris und schaute ihn immer wieder kurz an, nur um bei dem ersten Blickkontakt die Augen wieder abzuwenden. „Du…DU…ZU MEINEM BESTEN? Sei froh, dass ich zu freundlich bin. Jeder andere hätte dich längst umgebracht – und das hättest du auch wahrlich verdient, du kleine Mistkröte. Nein warte, eigentlich ist das eine Beleidigung für alle Mistkröten. Was für ein Aas bist du? Zu meinem Besten? Du meinst mich zu verkaufen, weil dir irgendjemand das gesagt hat, ist in Ordnung? Das ist deine Mutter, also hättest du dich schön brav selber opfern können. Wenn du schon jemand anderen dabei hattest, hättest du sie alles erledigen lassen können. Du kleines Aas hast keine Ahnung davon, was ich alles durchmachen musste. Zu meinem Besten… Was für ein Schwachsinn. Verdammt, denkst du auch einmal über das nach, was du sagst? Du bist widerlich, absolut widerlich. Und dumm, dumm bist du dazu auch noch. Was glaubst du, wer wohl der Graf wird, wenn ich weg bin, und wie es jemandem hilft, wenn man den Grafen erpressen kann? Aber wozu sage ich das überhaupt? Zu meinem Besten? Ein Gefangener, ein Spielzeug eines Dämons zu sein war noch die nette Variante. Eigentlich hassen sie Menschen wie die Pest und ich wäre gestorben, hätte er nicht irgendwas an mir gefunden…hätte er mich nicht ins Herz…hätte er nicht…“ Caym stoppte schnaufend, und trat seinen Bruder jetzt doch kurz in die Seite und schob den Schal kurz von seinem Hals. Atris starrte das Halsband mit schreckgeweiteten Augen an. Das Zeichen war ihm wohl bekannt. „Da! Siehst du das, du durchgedrehtes Aas? Du hast keine Ahnung…keinen blassen Schimmer, verdammt. Und dabei war Astaroth noch nett zu mir, hat mich nicht einfach irgendjemandem ausgeliefert – im Gegensatz zu dir. Er hat mich nicht im Stich gelassen, hat mich niemandem ausgeliefert, obwohl es ihm große Vorteile gebracht hätte. Du bist mehr Dämon als er, du kleines Aas. Und jetzt will ich, dass du mich zu dieser Salome führst, sonst werde ich Aki hier“, dabei zeigte er auf seinen Wolf, „sagen, dass er sich nicht mehr zurückhalten muss.“ Er war zwar wütend, hätte seinen Bruder aber nie getötet, aber das musste dieser nicht wissen. Atris konnte ruhig leiden, sehr leiden, und diese Salome schien zu wissen, wie man Dämonen rief. So konnte er vielleicht einen kurzen Blick auf Astaroth werfen, um zu wissen, ob er noch lebte. Das war er ihm schuldig. Sein Dämon hatte ihm so oft das Leben gerettet… „Und du wirst deinen Mund halten, aber das kannst du sowieso sehr gut.“ Mit diesen Worten zupfte er sich den improvisierten Schal zu Recht, bevor er seinem Bruder noch einen fast sanften Tritt in die Seite verpasste, und fort fuhr: „Und jetzt steh auf, und sag Lakur, dass du mir etwas zeigen willst. Dann gehen wir zu Salome, und du hast kein Einspruchsrecht dabei!“ Damit sah er seinen Bruder noch einmal an, der auf dem Boden lag und ihn anstarrte, als wäre die ganze Welt zerbrochen. Woher kannte er nur das Gefühl? „Aber, aber ich kann dich nicht zu ihr bringen. Sie wollte absolute Verschwiegenheit.“, stotterte der noch am Boden liegende. Caym ergriff den Stab wieder, der in Boden steckte, und zog ihn mit einem Ruck heraus, worauf Atris zusammenzuckte und schnell nach hinten rutschte. „Du…wirst mich zu Salome…bringen.“, stellte er nur noch kühl fest. Sein Bruder war nicht einmal eine Emotion wert. „Caym…es…es tut mir leid?“, murmelte Atris leise, während Caym ihn schon gar nicht mehr anschaute, sondern auf die sich langsam nähernde Figur starrte. Lakur kam wieder zurück, und hatte einen großen Trinkbeutel in der einen Hand, und einen der Übungsstäbe, mit denen er ihm den Schwertkampf beibrachte, in der anderen. „Was ist hier los?“, hallte die Stimme des Hauptmanns in der jetzt fast unheimlichen Stille und löste so ein wenig die angespannte Lage. „Nichts. Atris…ist nur gestolpert.“, antwortete Caym trocken, und blickte auf seinen Bruder, der jetzt aufstand, und sich fast vorsichtig seine Kleidung abklopfte. „J…Ja.“, stotterte dieser, und starrte Aki furchtsam an, bevor seine Augen auf Caym fielen. „Und ich will Caym etwas zeigen…ich will es ihm alleine zeigen.“, setzte er unsicher fort. Lakur schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. „Irgendetwas war hier los, ist hier los. Ich bin nicht dumm, aber ihr seid die Söhne des Grafen, und ich nur ein Untergebener. Aber eines:“, dabei schaute er erst Caym, und dann Atris genau an, „wenn einer dem anderen etwas antut, dann bekommt er es mit mir zu tun, verstanden?“ Lakur atmete einmal tief aus, bevor er Caym erst den Stab, und dann den Flüssigkeitsbeutel in die Hand drückte. Caym hatte den improvisierten Stock weggeschmissen, sobald er den Stab in der Hand hatte, der sich weit besser anfühlte, und eine Art schwarzen Griff mit Handschutz besaß. „Milch, und ein anständiger Stab für euch Sir Caym. Ihr humpelt.“, bemerkte Lakur fast nebensächlich. Ein kurzes Nicken war die erste Antwort Cayms, bevor er leise: „Danke.“, sagte, den Beutel öffnete, und Aki trinken ließ, der auch sofort anfing zu gurren. Wie erwartet, öffneten sich die Augen und die Münder der beiden anderen Anwesenden schnell bei dem Geräusch, bevor sie sich wieder fassten. Doch noch immer war pure Verwirrung in den Gesichtern zu lesen. „Ich werde jetzt gehen, und euch beide alleine lassen.“, kam es mit einer Verbeugung von dem Hauptmann, bevor dieser sich umdrehte und schnell ging. Als er schließlich außer Hörweite war, und Aki genug getrunken hatte, befahl Caym Atris mehr oder minder: „Und du führst mich jetzt zu Salome.“, drehte sich um, und ging aus dem Vorhof des Haupthauses hinaus in die „Freiheit“. „Warte Caym. Willst du dich nicht erst ausruhen, oder umziehen?“, schlug jetzt sein Bruder leise und mit fast sanfter Stimme vor, worauf Caym stehen blieb und seinen Bruder nur mit einem abfälligen Blick bedachte. „Von DIR brauche ich keine Ratschläge, wir gehen JETZT zu dieser Salome. Danach kann ich mich ausruhen. Und jetzt geh endlich vor…zeig mir den Weg…und beeil dich.“, kam es wie selbstverständlich aus seinem Mund, während er den Stab ein wenig hin und her schwang, bevor er sich wieder darauf stützte. Sein Bruder starrte ihn kurz an, öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder ohne ein Wort herausgebracht zu haben. Atris schaute schnell weg, und rannte förmlich an ihm vorbei - hoffentlich in Richtung Ziel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)