Useless Pride von Vandra ================================================================================ Kapitel 1: Es geht nicht mehr schlimmer – oder doch? ---------------------------------------------------- Kapitel 1: Es geht nicht mehr schlimmer – oder doch? „Caym! Caym…! Wo bist Du? CAYM!“, hallte es laut auf dem von Felsen umgebenen Weg. Immer wieder dasselbe, immer verzweifelter, immer drängender erklang es dort. Wie lange würde er wohl noch nach seinem Bruder – Halbbruder, wenn man genau sein wollte - suchen müssen? Er war inzwischen schon fast eine Stunde unterwegs, obwohl er anderes zu tun hatte. Zusehends verfiel er in seine alte, lästige Angewohnheit an seinen Fingernägeln zu knabbern. Das war ein Zoll, den er in diesen schweren Zeiten zu zahlen hatte. Und jetzt musste er suchen, bis er fand was er sollte. Vater hatte gerade ihn geschickt und er wusste nicht wirklich wieso. Er hätte fast daran zweifeln können, dass er geliebt wurde, aber nein - er schüttelte den Kopf - in Wahrheit wusste er, dass sein Vater ihn geschickt hatte, weil er ihm über alle Maßen vertraute und ihn schätzte. Seine Eltern liebten ihn wirklich und er verstand nicht, wieso gerade sie dieses Schicksal durchmachen mussten. Er seufzte leicht verzweifelt. Wo sollte er denn noch nach Caym suchen? Er überlegte, kramte in seinem Gehirn, das mit anderen Dingen voll ausgelastet war und lenkte seine Schritte in eine andere Richtung – zum Wald hin. Sein Bruder liebte es, versteckt Bücher zu lesen oder mit seinem Schwert Dinge zu bearbeiten – Schwertkampf nannte er das, und er war erstaunlich gut damit. In seinen Augen war es aber eher malträtieren der Luft. Caym hatte Talent, Verstand und Geschick, aber er war zu faul um es wirklich weiter zu trainieren. Er trieb fast jeden Lehrer ob seines Unwillens etwas zu tun, was ihm keinen Spaß machte, in die Verzweiflung. Schon öfter war geflüstert zu hören, dass er sich nur gegen Anordnungen wehren würde, um zu rebellieren. Atris war neidisch auf seinen Bruder, der so viel Talent hatte. Er musste hart dafür arbeiten dasselbe zu erreichen wie Caym, der es fast im Schlaf schaffte. Ein Seufzer entrang sich seiner Kehle. Schon wieder waren seine Gedanken abgeschweift, und nicht einmal in die Richtung, in die sie sollten. Er musste suchen und noch mehr Zeit vergeuden, wo er doch hätte Trost spenden können, und, was noch viel wichtiger war: Er wollte endlich wieder in die Bibliothek kommen, in der er schon die letzten Wochen intensiv verbracht hatte, damit er eine Lösung fand. Die Ärzte und Schamanen hatten doch keine Ahnung. Sie hatten seine Mutter schon längst aufgegeben und ihn für verrückt erklärt, als er den Himmel oder etwas anderes zu Hilfe rufen wollte. Er war in der absoluten Minderheit mit seinem Glauben an die alten Schriften, die andere Welten beschrieben. Diese Sicht passte nicht mehr in die moderne „Wahrheit“ der Dinge. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die blonden Haare und vergrub seine Finger darin, krallte sich fast an seiner Kopfhaut fest, so dass es schmerzte. Wieso nur? Wieso nur strafte der Himmel gerade seine Mutter. Sie war gläubig und was konnte sie dafür, dass der Mann, den sie liebte, einer anderen versprochen war? Seine Gebete, seine Rufe - nichts war von Erfolg gekrönt gewesen. Sie war eine gute Frau, eine liebevolle Mutter. Sie stand bedingungslos hinter denen, die sie liebte und selbst Caym hatte sie immer gut behandelt und ihn zusätzlich zu ihrem eigenen Kind groß gezogen, nachdem dessen Mutter in viel zu jungen Jahren aus eigenem Antrieb verschieden war. Die Last war wohl zu groß für die Frau geworden: Einsam und allein neben einem Mann, der eine andere liebte. Selbst Cayms Mutter war von seiner Mutter mit großem Verständnis behandelt worden, denn sie hatte im Gegensatz zu der armen Frau alles bekommen was sie wollte. Doch jetzt hatte das Schicksal auch sie eingeholt. Atris hatte gar nicht bemerkt, wie er gedankenverloren den Weg weitergegangen war und etwas davon abgekommen war. Jetzt sah er schon die ersten Bäume und Büsche, einzeln verteilt und doch eine gute Tarnung darstellend. Blumen wuchsen auf dem Boden und verströmten einen sanften Duft, der am Abend zu einem wunderschönen Geruch werden würde. Sommer hier in diesem Land, in der Grafschaft seines Vaters war wirklich traumhaft. In vielen Gedichten hatte er selbst schon die Schönheit des Landes gepriesen, doch jetzt war er einfach mit anderem beschäftigt und hatte weder Augen noch Nase für die Idylle. „Caym! Caaaaaym…“ rief er mit aller Kraft, die seine Lunge zuließ und so laut er konnte. Hier war ein perfekter Ort für seinen Bruder. Vielleicht hatte er ja zur Abwechslung wieder einmal Glück, nachdem in letzter Zeit so vieles nicht funktionierte. Schlimmer konnte es wohl kaum noch werden. Er hörte ein Rascheln. Da? Konnte es wirklich sein? „Hmmmm? Atris, was willst Du denn?“, hörte er eine gelangweilte Stimme aus dem Gebüsch, die nicht deutlich zu erkennen war, weil sie etwas schläfrig klang. Man hörte, wie kleinere Zweige brachen, die größeren zur Seite geschoben wurden, so dass dann endlich das Gesicht auftauchte, nach dem er schon so lange verzweifelt gesucht hatte. Golden schimmerndes braunes Haar, das ein wohlgeformtes Gesicht umrahmte, grüne Augen, die trotz des leichten Schlafes intelligent und wachsam fragend in die seinen blickten Die kurzen Haare standen wild in alle Richtungen ab. Das und das Buch in der Hand zeigten, dass der Besitzer wohl über der Lektüre an diesen schönen Sommertag in der perfekten Idylle eingeschlafen war. Kein Wunder bei der Umgebung und dem Buch. Atris erkannte den dicken Wälzer schon alleine durch den Einband. Jetzt wollte Atris dieses Kapitel schnell abschließen und seufzte kurz erleichtert. Endlich kam er weg von hier: „Vater will dich sprechen. Beeil dich lieber, denn es ist wahrscheinlich ernst. Vielleicht hast Du etwas angestellt. Wenn er mich schickt, solltest Du dir Sorgen machen. Und ich bin jetzt weg…“ Nach diesen Worten drehte er sich um und lief so schnell er konnte wieder zurück in die Stadt und zur Bibliothek. Er hatte seine Aufgabe als Botenjunge erfüllt und konnte sich endlich schwierigerem und den wichtigeren Dingen widmen. Atris sah nicht mehr, wie Cayms Augenbrauen seine Stirn zu suchen schienen, diese aber nicht ganz erreichten und Caym schlussendlich einen tiefen Seufzer ausstieß. Er sah das Buch in seiner Hand kurz an und seufzte noch einmal laut und deutlich. Ein Buch über die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaften und eines, das selbst für ihn nicht einfach zu lesen war. Von der wunderschönen Umgebung, dem sanften Rauschen der Blätter und dem süßen Geruch war er eingelullt worden und hatte kaum ein dutzend Seiten gelesen. ‚Verdammt…so war das nicht geplant gewesen… Und jetzt muss ich zu Vater. Wenn er Atris geschickt hat, dann ist er wohl ernstlich verstimmt und ich kann meine Freizeitbeschäftigungen wieder für die nächsten Tage vergessen. Kann er mich nicht einfach mein Leben leben lassen?’ Caym richtete sich auf, steckte das Buch in die Umhängetasche, die er mitgenommen hatte und hängte sie sich um die Schulter. Dann klopfte er noch schnell den Staub und die Blätter und das ganze andere Grünzeug von seiner Kleidung und fuhr sich mit seinen Händen durch die ungebändigten, zerzausten Haare. Noch mehr Gründe ihm böse zu sein wollte er seinem Vater nicht liefern. Der Graf war immer streng zu ihm und behandelte ihn außerhalb der „Pflichten“ fast wie Luft, ignorierte ihn förmlich. Das störte ihn nicht wirklich. Leicht würde er es ihm sicher nicht mit ihm machen. Er grinste verschmitzt. Dafür war er ja bekannt: Es allen schwer zu machen. Nur wenn es darum ging ihn zurechtzuweisen oder vorzubereiten auf seine „Zukunft“ war er für seinen Vater existent. Nachdem er siebzehn geworden war, passierte das immer öfter. Dabei wollte er alles andere, nur nicht der Graf werden und diese Ländereien erben. Nur weil er der einzige „eheliche“ Sohn war hatte er dieses Schicksal zu erdulden. Atris wiederum war zu beneiden. Dieser würde er genug Güter bekommen um seinen Lebtag gemütlich mit seinen Hobbys zu verbringen. Wie er ihn beneidetet für die Freiheit… Aber nein, Vater musste ihn so behandeln. Er stampfte kurz und ging dann den Weg entlang, den Atris genommen hatte, wobei er seine Füße aber wütend mit jedem Schritt auf den Boden rammte, dass er so tiefe Abdrücke im weicheren Untergrund hinterließ. ‚Immer ich…’ Etwas später kam Atris außer Atem in der Bibliothek an. Niemand schien ihn noch groß zu beachten, da sie seine Anwesenheit schon gewohnt waren. Niemand kam auf die Idee den Sohn des Grafen aufzuhalten. Er konnte in alle Bereiche der Bibliothek, was für einen normalen Bürger sehr ungewöhnlich gewesen wäre, und wirklich keiner interessierte sich dafür, was er las. Und das war auch wahrlich besser so. Mit der Zeit hatte er sich von normalen Schriften hin zu immer obskureren Texten vorgearbeitet, da er in keinem der bisherigen Werke fand, was er suchte. Je tiefer er in den Gewölben der Bibliothek grub, desto merkwürdiger wurden die Schriften, aber umso mehr Hoffnungen machte er sich auch. Er war inzwischen weit von vernünftiger oder nachvollziehbarer Literatur entfernt. Obwohl er älter als sein kleiner Bruder Caym war, war er naiver und gutgläubiger, und das wusste er auch. Ihm fiel es nicht schwer ernsthaft an Magie und andere Wesen als Menschen zu glauben - an andere Ebenen wie den Himmel, doch der war ihm anscheinend nicht gewogen. Also hatte er sich langsam den Büchern zugewandt, die die Beschwörung von Wesen aus der Dunkelheit, von Dämonen, Teufeln und ähnlichem beschrieben und dokumentierten. Bisher war aber jede Mühe vergeblich und nur sinnloses Zeug zu finden gewesen – zumindest so weit er es verstehen konnte. Jetzt suchte er wieder in den versteckten Bereichen, wie so oft zuvor, doch plötzlich sah er ein Buch, das einen seltsamen roten Einband hatte und sehr auffällig war. Es schien ihn fast magisch anzuziehen. Mit seiner Hand fuhr er darüber und spürte die Wärme des Buches und schreckte erstaunt zurück, starrte es mit großen Augen an. Minuten vergingen, bevor er einen Entschluss fasste, sich kurz umsah und es herauszog. Auf den ersten Blick waren merkwürdige Zeichen, Zahlen und Zeichnungen darin zu erkennen. Die Farbe, in der alles niedergeschrieben war, war pures rot, so rot wie der Einband. Ihn erschauderte, machte sich Hoffnungen, die aber sofort wieder zerbrachen, als er mit aller Kraft versuchte in dem Wirrwarr einen Sinn zu finden. Entweder er verstand es nicht, oder es war nur eine Fälschung. Als er versunken mit dem Buch noch immer vor dem Regal stand, aus dem er es gezogen hatte, spürte er eine kalte Hand auf seiner Schulter und erschrak fast zu Tode. Seine Hände zuckten nach oben und das Buch fiel klappernd auf den Boden. Erschreckt drehte er sich um und sah eine alte Frau, die sich nach dem Band bückte und ihn aufhob. Er stand mit schreckensgeweiteten Augen vor ihr und hörte nur noch sein Herz laut pochen. Es schien ihm, als wollte es ihm aus dem Hals springen, so aufgeregt war er und so ertappt fühlte er sich. Jemand hatte jetzt entdeckt, was er so trieb, wo er suchte. Und das als Sohn des Grafen – wenn auch als unehelicher. Atris war versucht an seinen Nägeln zu kauen, konnte aber seine Arme nicht wirklich bewegen. Er war vor Schreck fast zu einer Salzsäule erstarrt. „Interessantes Buch, das Ihr da lest.“, flüsterte die Frau mit sanfter und sehr leiser Stimme. Atris zuckte zusammen und sah mit noch immer schreckgeweiteten Augen in die ihren. Tiefes Braun war darin zu sehen, das ihn fast an fruchtbare Erde erinnerte, und die Haare waren Schneeweiß. Das Gesicht faltenfrei, doch die Augen und die Haare zeichneten sie für Atris als alte Frau aus. Sie lächelte kurz. „Ihr braucht keine Angst zu haben. Ich habe nicht vor jemandem etwas hiervon zu erzählen. Und selbst wenn: Für jeden Unwissenden steht hier nur sinnloses Gebrabbel. Übrigens ist mein Name Salome.“ „Wa…Was…?“ Atris konnte nur stottern. Er verstand sie nicht wirklich, obwohl sie dieselbe Sprache wie er sprach und auch verständlich klang. „Ihr fragt, was ich will? Oder warum ich das weiß?“ Sie lachte ganz kurz auf. „Jedem Wohlinformierten im Land ist bekannt, dass die Geliebte des Grafen – eure Mutter - krank ist. Und Ihr seid täglich in der Bibliothek und kramt in diesen Gefilden herum.“ Atris sah sie erschreckt an. Wieso wusste die Frau, diese Salome, von all dem? „Tja, ich selber liebe diese Bereiche auch und sah euch des Öfteren, falls Ihr euch fragt, woher ich das weiß. Viele der Bücher habe ich selber gelesen. Und das meiste ist purer Schwachsinn. Ihr habt eure Zeit vergeudet.“ Sie machte kurz eine rhetorische Pause und sah ihn scharf an, bevor sie weiter sprach: „Aber DIESES Buch hier ist anders. Ein Grimoire, eine Schrift, die beschreibt, wie man ein Portal öffnet und seine Wünsche von einem Dämon erfüllen lässt. Wahrlich dunkle Schriften und mehr als geheim. Deswegen wurde es verschlüsselt geschrieben. Ich kann euch helfen euren Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen – wenn ihr mir im Gegenzug dafür helft.“ Sie sah ihn erwartungsvoll an, während er versuchte sich noch auf den Beinen zu halten. Das ganze klang zu unglaublich um wahr zu sein. Und woher sollte er wissen, dass sie ihn nicht verriet, ihm etwas antat, ihn erpresste oder noch schlimmeres. Er hob seine Hände und fing an, an seinen Nägeln zu kauen. Verdammt… Aber hatte er denn eine Wahl? Seine Mutter lag im Sterben – das war selbst für einen Laien weithin sichtbar. Ihr Körper war abgemagert, ihre Geist abwesend und sie war nicht mehr ansprechbar. Aber konnte er dafür alles aufs Spiel setzen? „Was wollt Ihr? Und wie kann ich sicher sein, dass ich Euch vertrauen kann?“, fragte er sie schließlich. „Ihr kennt mich nicht, also könnt Ihr mir nicht vertrauen.“ Sie lächelte trotz dieser Aussage herzlich, bevor sie fast flüsterte: „aber ihr habt keine Wahl. Und was ich will ist einfach: Zugang zu allen Bereichen der Bibliothek und ein Haus im Grünen, wo ich ungestört sein kann. Sicher kein hoher Preis für das, was ich Euch biete, oder?“ Es war unglaublich, mit welcher Selbstsicherheit sie das sagte, und keinen Widerspruch zu dulden schien. Und er wusste, wieso. Er hatte keine Wahl. Er hatte schon zu tief gegraben, um jetzt aufzugeben. Seine Mutter war für ihn das wichtigste auf der Welt. „Besprechen wir das woanders. Das Buch wird sicher niemand vermissen.“ Sagte er und nahm wieder das Buch aus ihren Händen und ging voran, sicher, dass sie ihm folgen würde. ‚Typisch, TYPISCH. Immer dasselbe.’ Vater hatte sich wieder einmal über die Unzuverlässigkeit von Caym geärgert, hatte sich in langen Tiraden darüber ausgelassen, dass er doch dankbar dafür sein sollte, dass er der Erbe war und weiteren Schwachsinn dieser Art geäußert. Er konnte nichts dafür, dass er als Sohn seiner Mutter auf die Welt gekommen war, als Sohn der ungeliebten Frau des Grafen. So war er der einzige „eheliche“ Sohn und trotzdem nicht gewollt. In der Nacht entstanden, in der die beiden Eheleute miteinander nach dem Gesetz schlafen mussten – in der Hochzeitsnacht. Tja…und damit war er der rechtmäßige Erbe, und das noch immer, trotz aller seiner Rebellionsversuche. Er musste wohl zum Brandstifter werden, um sein Erbe zu verlieren, aber darauf und auf alles andere, was er tun hätte können um das zu erreichen, stand die Todesstrafe. Und am Ende war ihm sein Leben dann doch etwas zu wertvoll, um das dann doch nicht zu wollen. So begnügte er sich damit zu rebellieren, dabei unterbewusst nur nach der Anerkennung seines Vaters zu suchen und gleichzeitig seine Freiheit zu verteidigen. Er kam an der Bibliothek vorbei und wunderte sich darüber, dass er seinen Bruder mit einem Buch im Arm, gefolgt von einer jungen Frau mit weißem Haar zu sehen bekam. Merkwürdig…oder spielten ihm seine Sinne einen Streich? Atris saß normalerweise immer sehr lange in der Bibliothek, und kam nur heraus um seine Mutter zu besuchen oder zu schlafen. Mit Frauen hatte er seinen Bruder noch nicht gesehen. Er rieb sich die Augen. Ein Schlaf am Nachmittag war wohl nicht so gut, obwohl der Tag wirklich schlecht verlaufen war. Sehr schlecht. Nach den „Gesprächen“ mit seinem Vater vergrub er sich immer am liebsten im Bett. Denn wer wusste schon, was noch danach kam? Schlimmer konnte es immer werden. Seine Erfahrung hatte ihn das gelehrt. Was die Leute sich bei dem Spruch „Schlimmer geht es nicht mehr“ gedacht haben mögen war ihm ein Rätsel. Aber das war jetzt auch egal. Immer schweiften seine Gedanken ab… Er lenkte seine Schritte zu seinem Zimmer, öffnete die Tür schnell, schmiss die Umhängetasche in eine Ecke, was einen dumpfen Aufprall zur Folge hatte – das schwere Buch war schließlich noch in der Tasche - zog sich die Schuhe aus und streifte die Jacke ab. Dann warf er sich aufs Bett, zog die Decke über sich und sinnierte so lange weiter, bis er die Welt durch den Schlaf vergaß, der ihn übermannte. Stunden später fanden sich vor derselben Tür, in die Caym verschwunden war, 3 Männer. In dunkle, gedeckte Farben gekleidet und leise redend wirkten sie fast wie Einbrecher, doch die Anwesenheit von Atris als einer dieser Männer zerstörte diesen Eindruck schnell wieder. Denn er lebte auch in dem Haus, hatte sein Schlafzimmer ganz in der Nähe von Cayms. „Die Tür ist nie abgeschlossen und er schläft immer tief und fest. Ich glaube selbst ein Kampf neben seinem Bett würde ihn nicht aufwecken. Seid aber trotzdem vorsichtig. Es wird einfacher für alle, wenn er nicht mitbekommt, was passiert.“, flüsterte er den beiden anderen Männern zu. Sie waren stattliche Gestalten, muskelbepackt der eine und athletisch der andere. Beides wahre Könner und Leute, mit denen Atris schon öfter zusammengearbeitet hatte bei anderen „legalen“ Sachen. Er konnte ihnen vertrauen. „Hier…“, mit diesen Worten gab er ihnen einen Sack, den der Athletische entgegennahm, „ein Betäubungsmittel, das schon auf einem Tuch verteilt ist – haltet es einfach über seinen Mund und die Nase – und einen Knebel und Fesseln, die Ihr ihm anlegt, wenn er betäubt ist. Den Rest haben wir schon besprochen. Er hat mich beauftragt das zu tun, also keine Sorge.“, sagte er und log damit die Männer an. Er hatte es ihnen schon glaubhaft erklärt: Die Simulation einer möglichst realen Entführung und Training, wie man vielleicht aus den Fesseln entkommen konnte, wie lange es dauerte, bis ihn jemand vermisste und fand. Leicht unglaubwürdig, aber es war anscheinend gut genug. „Die Belohnung bekommt Ihr dann vor Ort, hier ist der Vorschuss.“ Gleich darauf gab er ihnen einen kleinen Beutel, dessen Inhalt klimperte. „Ich muss jetzt weg. Bitte beeilt Euch.“ Er drehte sich um und schlich aus dem Zimmer, während er hörte, wie der Griff der schweren Eichentür herunter gedrückt wurde und die Tür aufschwang… Er floh regelrecht von dem Haus weg, wo das stattfand, woran er nicht denken wollte, er wollte unter keinen Umständen dort sein. Er hasste seinen Bruder nicht, doch hatte er keine Wahl. Entweder Caym oder seine Mutter und Caym würde wahrscheinlich nichts passieren. Salome hatte einen interessanten Plan entwickelt, aber trotzdem war es ein Risiko und unstatthaft. Er war bereit, seinen Bruder zu verlieren. Bei dem Gedanken verkrampfte sich sein Magen zusehends, und das Gefühl wurde nicht besser, sondern wuchs mit jedem weiteren Schritt an. Das Unterbewusstsein hatte ihn fast automatisch in die richtige Richtung gelenkt. Merkwürdigerweise war er den Weg heute schon einmal gegangen. Es war der Weg zum Wald. Und dort hatte es auch etwas mit seinem Bruder zu tun gehabt. Das war wohl ein Zeichen, dass es so laufen musste, wie es gerade lief, alles zusammen war einfach zufiel für einen Zufall. Am Ende war er eben doch ein abergläubischer Mensch. Der Wald um ihn herum sah gespenstisch schön aus. Er war in ein fast zauberhaftes Mondlicht gehüllt, das ihn wie einen Märchenwald wirken ließ. Die Blätter rauschten ganz sanft in der warmen Brise, die Blumen strömten den unwiderstehlichen süßlichen Duft aus und die Grillen zirpten in einem Konzert. Und doch färbte die Stimmung in keinster Weise auf ihn ab, sondern verstärkte sein Unwohlsein sogar noch mehr – wie konnte er es denn wagen an so einem Abend das zu tun? Er wusste ja noch nicht einmal, ob alles klappen würde, ob Salome vielleicht nicht doch eine Betrügerin war oder er einem Irrglauben hinterherlief, in Wahrheit Leute wie Caym Recht hatten und es nur diese eine Welt gab. Er beschleunigte seine Schritte, wollte nicht mehr darüber nachdenken müssen, nicht mehr die quälenden Gedanken in seinem Kopf spüren. Er lief geradezu über den holprigen Weg, der sich am Waldrand auflöste und nur noch den einheitlich bewachsenen Boden zurückließ. Mit viel Schwung sprang er über die Steine, über die riesigen Wurzeln der Bäume, seine Sicht durch den entstehenden Schweiß und die einzelnen Tränen geblendet. Seine Lunge krampfte, sein Herz pochte ihm bis zum Hals und er lief trotzdem noch etwas schneller. Passte nicht auf und stolperte über eine große Wurzel, fiel vornüber mit voller Wucht Knie voran auf die Hände. Schmerzen durchzuckten ihn und er schien aus seiner Trance zu erwachen. Er klopfte sich schnell ab, richtete sich wieder auf und ging langsamer weiter. Es hatte keinen Sinn so zu rasen, er konnte nicht vor seinen Problemen davonlaufen. Er lief ihnen sogar noch entgegen… Den Rest des Weges verbrachte er selbst in Gedanken schweigend, bis er die ersten Lichtstrahlen eines sanften Flackerns wahrnahm. Da musste es sein – der Ort, den er heute verlassen hatte um Caym zu „holen“. Er ging weiter und sah zusehends das Licht einen größeren Bereich einnehmen, mehr werden, aber nicht wirklich merklich stärker. Er trat durch ein paar Bäume und stand am Rand einer Lichtung, die sich aus unbekannten Gründen gerade hier gebildet hatte. Salome hatte gesagt, dass es an den Energieströmen lag und dass sie deswegen das Ritual hier vollführen mussten. Der Ort sah so anders aus als noch etwas früher. Ein riesiger Kreis prangte in der Mitte der Lichtung, war tief in die Erde geritzt worden. In seiner Mitte befand sich ein immenses Kreuz, dass von einer furcht erregenden Schlange bewacht wurde und an die rechte Innenseite geschmiegt befand sich ein Oval, das einen spitzen Fortsatz hatte, der bis zu dem Kreuz reichte. Der große Kreis war umgeben von vielen Kerzen, die wie zufällig verteilt waren und vier Symbolen, die in die vier Himmelsrichtungen zeigten und in denen jeweils eine kleine Fackel steckte. Die Flammen waren alle entzündet und tauchten die Lichtung in eine Stimmung, in der man ein Fest hätte feiern können – hätte man nicht gewusst, was hier passieren sollte. Atris sah sich kurz weiter um und entdeckte Salome in dem letzten Kreis, der links vom großen lag – zwei Meter war die kürzeste Entfernung zwischen den Kreisen - und ohne jegliche Zierde fast deplatziert wirkte. Salome stand mitten im Kreis und rezitieren wohl aus dem roten Buch, doch auf Atris machte es den Eindruck, als würde sie nur sinnlose Aneinanderreihungen von Lauten von sich geben. Er ging zielstrebig zum Kreis und stellte sich neben sie. „Wo ist euer Bruder?“, fragte sie, ohne auch nur vom Buch aufzusehen. Sie schien nicht erfreut. „Sie werden ihn gleich bringen. Ich konnte nicht dabei bleiben oder es gar selbst tun. Das müsst Ihr verstehen Salome.“ Er schaute sie an und versuchte etwas in ihren Augen zu lesen, die sich ihm aber nicht zuwandten. „Es ist eure Entscheidung. Wir haben nicht lange Zeit, also…“ Noch als sie die Worte sagte, hörte man, wie zwei Männer die Lichtung betraten. Der Stärkere von beiden hatte ein Bündel Decken über die Schulter geworfen. Sie sahen kurz zu Atris und der Frau, worauf Atris den Kreis wieder verließ und schweigend von außen zum Oval ging und drauf zeigte. Der Mann mit dem Bündel ging als einziger dorthin und legte das Bündel an den angezeigten Ort. Atris nahm schnell mit zitternden Händen zwei kleine Beutel und gab jeweils einen dem starken Mann, und den anderen dem Athletischen, der inzwischen auch dort stand, wo sein Partner sich gerade befand. Sie sahen kurz hinein, nickten dann zufrieden und eilten schnell wieder fort. Alles war schweigend abgelaufen und Atris pries alle Götter, dass die beiden nicht die Intelligentesten waren. Dann sah er das Bündel an und machte sich daran, es sanft von den Decken zu befreien. Drei hatten sie benutzt, um das einzuwickeln, was sich darin befand. Erst kamen die schönen braunen Haare, wild durcheinander geraten, zum Vorschein, die im Mondlicht golden glitzerten, dann das Gesicht, das wie schlafend wirkte. Doch etwas störte die Idylle: Der Knebel, der im schlafenden Mund versenkt worden war. Atris strich einmal sanft über die Haare von Caym, der so ruhig vor ihm lag. Vielleicht tat er es um Caym zu beruhigen, doch vielleicht eher sich selbst, bevor er die restlichen Decken rasch entfernte. Die Hände waren auf dem Rücken gefesselt worden, die Füße ebenfalls mit Fesseln versehen. Atris sah entschuldigend auf Caym und versuchte ihn „bequem“ hinzulegen. „Beeilt euch endlich. Die Kerzen brennen nicht ewig und wenn sie ausgehen, dann sind wir in Schwierigkeiten. Verabschiedet euch von ihm – für alle Fälle.“ Rief ihm Salome nervös zu. „Bruder, es tut mir leid. Ich wollte das nicht, aber ich habe keine andere Wahl. Ich hoffe Du wirst nie mitbekommen, was hier passiert – auf die eine oder die andere Art.“, flüsterte Atris seinem Bruder ins rechte Ohr, bevor er sich aufrichtete und zu Salome in den Kreis ging. „Denkt daran, Euch die Hände vor die Augen zu halten, wenn ich die Beschwörung gesprochen habe. Wir wissen nicht, was genau passieren wird.“, sagte Salome noch einmal mit eindringlicher Stimme. Einen potentiellen Erben der Grafschaft wollte sie wohl nicht verletzt sehen, oder auch nur das Risiko eingehen, dass etwas passierte. Sie schaute ihn fragend an und er nickte kurz sprachlos. Auf das Zeichen hin las sie noch ein paar Zeilen laut aus dem Buch vor, bevor sie es zuschlug, auf den Boden vor ihre Füße legte und ihre Hände bedeutungsschwanger hob. „Hört unser Rufen. Hört unser Rufen! HÖRT UNSER RUFEN!“ Die Lautstärke ihrer Stimme wuchs immer mehr an: „Wir rufen Euch hierher, an diesen Ort großer Energie. Oh großer Dämon. Astaroath. Astaroath! ASTAROATH!“ Ihre Stimme hallte über die ganze Lichtung, die Flammen, die überall verteilt waren, hatten bei ihren ersten Worten schon angefangen zu flackern und die Änderung im Licht war immer stärker geworden. Fast schien die ganze Lichtung zu pulsieren. Sie sah Atris schnell an, bevor sie sich die Hände vor das Gesicht hielt. Er erschrak kurz, sah noch wie die Flammen plötzlich immer heller wurden und schloss die Augen reflexartig und riss seine Hände plötzlich vor sein Gesicht. Trotz der Maßnahmen merkte er, wie das Licht fast zu explodieren schien, ein lauter Knall zu hören war und man einen Luftschwall spürte, der entsetzlich stank. Das musste dann wohl der Gestank der Hölle sein, dachte er fast. Als er sich wieder ein wenig sicherer fühlte, konnte er seine Aufregungen nicht mehr zügeln. Erst öffnete er die Augen um damit durch hastig gespreizte Finger nach außen zu schauen. Sein Mund öffnete sich wie von selbst vor Staunen, um sich dann schnell zu schließen ob des anhaltenden Gestanks, der von Demjenigen kam, der jetzt auf dem Symbol in der Mitte des großen Kreises stand. Seine Hände fühlten sich so schwer an wie Blei und konnten ihre Position nicht halten, fielen der Schwerkraft zum Opfer und endeten auf beiden Seiten. Seine Füße wurden schwach und seine Knie waren kurz davor, zu versagen ob des Anblicks vor ihm. Die Augen, die ihn fixierten, waren stechend und Furcht erregend. Er zitterte am ganzen Leib, die Angst war in seinem Körper so präsent wie noch nie zuvor. Er sah kurz zu Salome und bemerkte, dass sie genauso verängstigt war wie er. Was hatten sie da gerufen? Verschreckt sah er sich um, hoffte, betete inständig, dass die Barrieren halten würden. Sein Blick wanderte wieder zurück zu dem unglaublich stinkenden Wesen, das dort stand. Wahrlich ein grausames Wesen, dem man nie ohne Schutz begegnen wollte, ja, niemals begegnen wollte. Ein Wesen der Unterwelt. Und das war deutlich sichtbar. Ganz in Burgunderroten Samt gekleidet, seine Haut rot, selbst seine Haare waren in der Farbe des Blutes. Unglaublich. „RRRRRRHHHHHH….“, hörte es das Wesen ausstoßen, zuckte vor Schreck zusammen und stolperte fast. Er hatte Angst, unbändige Angst. Als er sah, wie es einen Schritt vorwärts ging, eine Handbewegung machte und ein immer stärker werdender Wind um es herum entstand, zitterte er nur noch stärker. Magie…das war MAGIE. Trotz des Staunens wich er noch weiter zurück. Er wollte diesem Wesen nicht zu nahe kommen. Der Wind verwandelte sich schnell in eine dunkle stinkende rote Wolke, die das Monster umkreiste und schließlich gänzlich verdeckte. Plötzlich sah Atris eine Hand, die eine Bewegung seitwärts machte, woraufhin die Wolke den Dämon mit einem kleinen Knall verließ und in den Wald zu flüchten schien. Damit war der Gestank, der so grausam war, dass Atris sich fragte, wie Caym dabei noch bewusstlos bleiben hatte können, wie weggeblasen. Doch die Gedanken starben schnell ab, als er sah, wie der Dämon JETZT aussah. Denn er hatte sich gänzlich verändert und das rot war fast vollständig verschwunden. Im Kreis stand jetzt ein in einen schwarzen, schweren Mantel gehüllter, sehr gut gebauter Dämon mit heller, schokoladebrauner Haut. Schwarze Zeichnungen waren auf den Händen zu sehen, so schwarz wie die Krallen, die lang und spitz auf den Fingern prangten. Ein jadegrünes Hemd, das die prallen Muskeln mehr betonte den verbarg lag über die Haut gespannt. Eine enge schwarze Hose bedeckte den unteren Teil des Körpers, die stattlichen Muskeln der Beine weithin sichtbar, nebst zwei schwarzen Handschuhen, die in einer Tasche der Hose hingen. Schwarze Stiefel kleideten die Füße – ob sie wohl auch Krallen hatten? Die langen Haare waren schwarz mit einem deutlichen unheimlichen Rotschimmer. In ihnen, auf der Stirn, waren zwei kleine schwarze – wie Obsidian wirkende – Hörner? Vielleicht so um die zehn Zentimeter lang und ganz glatt. Doch das unheimlichste waren die Augen…diese goldgelben, mit geschlitzten Pupillen versehenen Augen, die vor Hass und Wut nur so zu brennen schienen und einem fast das Herz aus der Brust zu reißen suchten. Das riesige Schwert auf seinem Rücken – der Schwertgriff, der über die Schulter ragte, spiegelte das wieder – half auch nicht ihn weniger bedrohlich wirken zu lassen. Atris zitterte am ganzen Leib: Hände, Arme, einfach alles. Er konnte sich nur mit Mühe aufrecht halten und sein Herz raste förmlich, wollte ihn dazu treiben wo weit weg wie nur möglich davonzurennen. Als der Dämon – sie hatten ihn als Astaroath gerufen – mit den Fingern in der entstandenen Stille fast ohrenbetäubend laut knackte, zuckte er zusammen und trat fast aus dem Kreis hinaus, wurde aber von Salome zurückgehalten. „Ihr verdammten MENSCHEN.“ Er spuckte das Wort „Menschen“ beinahe aus, absolute Missachtung zeigend. „Ihr wagt es mich zu rufen auf diese dreckige Ebene, voll von euch Gewürm? Und dabei kennt Ihr nicht einmal meinen richtigen Namen und hüllt mich in dieses stinkende Etwas? IHR WAGT ES MICH, EINEN FÜRSTEN, ZU RUFEN?“, schrie er den letzten Satz donnernd heraus. „Verehrter Dämon Astaroath“, begann Salome, nur um durch die Tot versprechenden Augen des Dämons zum Schweigen gebracht zu werden. „Astaroth, ASTAROTH, nicht Astaroath, Ihr dämlichen Menschen. Und vergeude meine Zeit nicht mit Einschmeichelungen. Sagt, was Ihr wollt, damit ich wieder gehen kann, und gebt mir meine Belohnung, damit wird das ganze schnell hinter uns bringen können.“ „M…Meine Mutter. Ich will, dass Ihr sie heilt verehrter Astaroth. Sie ist todkrank und ich will, dass sie wieder gesund wird und lange lebt.“, antwortete Atris mit zitternder Stimme. Er hätte es gerne Salome überlassen, aber die Forderung musste er stellen. Seine Zähne klapperten dabei vor Aufregung. Astaroth schaute sich kurz um und sah auf den Opferkreis. Ein Mensch? Das war wieder einmal der übliche Humor der Menschen. Sie dachten, dass ein Menschenleben irgendeine Bedeutung oder einen Wert für ihn hätte. Was sollte er mit einem Angehörigen dieser Würmer? Schwache, unzuverlässige, dumme, ängstliche und hässliche Wesen waren sie. Nur Furcht und Angst stand immer in ihren Gesichtern geschrieben, das wusste jeder Dämon. Sie hatten wohl jemanden getötet und dachten, dass wäre Ausgleich genug, dachten er könne sich die Seele einverleiben oder ähnliches. Er achtete gar nicht mehr richtig darauf, was da im Kreis lag. Die Mühe war es nicht Wert, so ein Ungeziefer näher zu studieren. Er machte einen grollenden Laut, hob eine Hand und eine Frucht erschien dort, die er sonst immer in seiner Tasche trug. „Ihr seid wirklich dumm. Wegen der Kleinigkeit hättet Ihr mich nicht rufen dürfen. Wenn Ihr es noch einmal wagt mich zu rufen oder mir unter die Augen kommt, dann werde ich dafür sorgen, dass Ihr einen schmerzhaften, langen Tod sterbt, während dem ihr Euch wünscht nie geboren worden zu sein oder lieber 1000 Tode zu sterben, als gefoltert zu werden.“ Mit diesen Worten, die vor Hass nur so strotzten, warf er die Frucht Atris zu und machte eine Handbewegung. „Damit ist der Handel besiegelt. Verfüttert das eurer wertlosen Mutter. Jeder hat seinen Teil damit erfüllt, habe ich nicht Recht?“ Seine Worte ließen keinen Widerspruch zu und bei der Frage nickten Atris und Salome nur schweigend. „Und damit Ihr mich nie wieder rufen könnt…“ Mit diesen Worten und dem Senken seiner krallenbewehrten Klaue zerfiel das rote Buch vor Salomes Füßen zu Asche. Sie schreckte zurück und Astaroth grinste nur zufrieden. Astaroth wandte sich um und wollte gehen, entlassen aus der Bannung durch das schreckliche Grimoire. Er, wie auch alle Dämonen verfluchten den Menschen Salomon noch jeden Tag dafür diese Dinger geschaffen zu haben. Doch langsam hätten doch alle zerstört worden sein sollen, oder hatten sie so viele übersehen? Weg von der stinkenden Ebene, war das einzige was er im Moment wollte, als seine Jagdinstinkte sich plötzlich meldeten und er sich blitzartig dem Opfer zuwandte. Das war wohl doch nicht so tot, wie er gedacht hatte. Amüsant. Es wand sich leicht, offensichtlich nicht gewohnt an die Fesseln, versuchte sich zu befreien und schien noch halb im Schlaf gefangen. Als er näher trat, schossen die Lider, die noch kurz zuvor die Augen bedeckt hatten, auf und unglaublich grüne Augen starrten ihn an. Da war etwas, was ihn erstaunte, was ihn wirklich erstaunte. In den Augen fehlte jegliche Furcht. Da war Erstaunen, Unglauben, Neugier und Wissensdurst, aber keine Furcht. Er war amüsiert über diesen Menschen. Da war wohl ein seltenes Exemplar, das nicht ganz so hässlich war und vielleicht nicht ganz so dumm. Und da war Mut, fehlte die Furcht. Er ging näher heran und sah, wie ihm die Augen folgten, der Körper des Menschen aber von ihm wegzuwandern suchte. „Caym…es tut mir leid.“, hörte er die leise flüsternde leicht gebrochene Stimme des männlichen Etwas, das ihn gerufen hatte. Dieser Mensch hatte wohl nicht angenommen, dass er ihn hören konnte. Also war Caym der Name des Opfers. Er fuhr mit einem Fingernagel über die zarte, ach so zerbrechliche Haut von Cayms Hals und drückte etwas fester zu, so dass die Haut brach und der rote Lebenssaft herausträufelte. Und da war die Furcht. Er grinste schon zufrieden und wollte zu dem Todesschlag ausholen, als er sah, wie die Angst von Entschlossenheit überdeckt wurde und plötzlich Wut zu sehen war. Astaroth lachte laut los. Das war nun wirklich amüsant. Er würde ihn wohl noch etwas quälen, bevor er ihn tötete und zurückkehrte. Die Schmerzensschreie wollte er sich nicht entgehen lassen, und so bewegte er seine Kralle, die über die Haut ritzte, nach hinten zum Verschluss des Knebels und öffnete ihn. Mit der linken Hand zog er ihn hinaus und als er mit der rechten Hand wieder über dem Hals schwebte, zuckte er erstaunt zusammen. Plötzlich war etwas gänzlich Unerwartetes geschehen. Er spürte einen Druck auf seiner Hand. Der Mensch hatte die Chance genutzt und hatte sich wohl todesmutig in seiner Hand zu verbeißen versucht. Der Druck, den er ausübte, musste seinem Kiefer schon Schmerzen bereiten – schön – und zu Astaroths Erstaunen sah er, wie einige Tropfen schwarzrötliches Sekret seine Hand hinuntertropften. Er riss die Augen auf, als ihm die Erkenntnis kam, dass dieser Caym ihn gebissen hatte und sein Blut zum Rinnen gebracht hatte. Ihm wurde ganz heiß, als er daran dachte, dass dieses Wesen, so schwach und klein wie es war, gegen ihn rebellierte. Instinktiv wusste er, wie er dieses aufsässige kleine Etwas am besten zu Tode quälen konnte – die Chance das zu überleben war nämlich verschwindend. Er vergrub seine linke Hand in dem goldbraunen sanften Haar von Caym und ergriff die Haare. Mit einem Ruck, der gerade nicht so groß war, um diesem das Genick zu brechen, riss er den Kopf zurück, so dass Cayms Mund löste sich. Der kleine Mensch stöhnte und Astaroth spürte, wie ihm das Blut durch den Körper schoss. Daraufhin hob er seine rechte Hand und schlug dem Menschlein hart auf den Kopf, der daraufhin ohnmächtig umfiel. Astaroth betrachtete ihn noch einmal näher. Klein, zerbrechlich, rebellisch und vielleicht intelligent – über die Eigenschaft konnte man streiten, wenn er sich in einem Dämon verbiss. Und irgendwie sah er jetzt nicht mehr so unscheinbar aus, viel verführerischer als es ein solches Wesen eigentlich sein sollte. Vielleicht gab es doch einen interessanten Menschen – zumindest noch. Er lachte noch einmal schallend auf, warf das bewusstlose Bündel Mensch über seine Schulter, Kopf auf seinem Rücken rastend, und fühlte nach dem Gesäß. Er lächelte ob dessen, was er tun würde und verschwand lachend aus dem Kreis und aus der Welt – mitsamt Caym. Die Flammen erstarben in dem Augenblick, da der Dämon verschwand. „Was…Was wird jetzt aus Caym?“, fragte Atris Salome mit zitternder Stimme. „Er wird nicht lange leiden – höchstens etwas. Er ist schon tot. Dämonen halten nichts von Menschen, wie Ihr gesehen habt.“, sprach Salome selbstsicher, doch in Wirklichkeit war sie sich da vielleicht nicht so sicher. Sie wirkte verunsichert auf Atris, so als ob etwas Unerwartetes geschehen wäre. „Geht und bringt die Frucht eurer Mutter und gebt sie Ihr zu essen. Wenn nötig flößt sie Ihr ein.“, forderte Salome Atris auf. Atris wischte sich mit einem Ärmel den Angstschweiß und die vereinzelten Tränen aus dem Gesicht, sah die rote, unförmige Frucht kurz an und sprintete dann los. Er hatte heute genug gesehen, vielleicht zu viel. Vielleicht würde es ihm gelingen alles, was er heute gesehen hatte, zu vergessen. Caym war einfach rebelliert und hatte die Flucht ergriffen. Ja, dass war es… Und so rannte er, Lunge brennend und Herz schwer, zu seiner Mutter… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)